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Vertrau mir deine Flügel an

von

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Flucht

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Das Erwachen der Puppe

Der Morgen war ruhig, als Mizu das Frühstück vorbereitete. Die Brünette trug ein Tuch auf dem Kopf, damit die Haare nicht in die Misosuppe fielen.

Genüsslich sog das Mädchen im braunen Yukata den Duft ihres Frühstücks ein. Sie hatte schon Wäsche gewaschen, diese aufgehängt und das Haus sauber gemacht. Somit hatte sie sich also auch was zu Essen verdient.

Vorsichtig schlürfte das Mädchen etwas Suppe von einem Löffel, um zu probieren, ob diese gut war.

“Besser geht es nicht”, dachte sie und griff zu einer Schüssel, die sie mit Hilfe einer Kelle befüllte.

Obwohl sie sich auf diese Mahlzeit freute, hielt sie inne und sah zur hintersten Ecke des Raumes, in der, in einem bereit gelegten Futon, eine Fremde lag und seelenruhig schlief. Zusammen mit Lhikan, dem Händler, hatte sie das Mädchen bei einem abendlichen Spaziergang nahe der Stadtgrenze entdeckt.

Mizu lief immer noch ein kalter Schauer über den Rücken, wenn sie an das Blut dachte, dass sich auf ihrem weißen, barbarischen Kleid befunden hatte. Selbst auf dem Schwert, dass sie nur mit Hilfe Lhikans bewegen konnte und welches das Mädchen einfach so bei sich getragen hatte, waren noch kleine Blutflecke zu sehen gewesen.

Mizu und der Händler hatten sich gefragt, was dem Mädchen widerfahren war, und vor allem, woher sie dieses seltsame Katana hatte, das nun, nicht unweit von ihr, in der Ecke stand.

Antworten auf ihre Fragen würde sie wohl erst bekommen, wenn das blasse Mädchen aufwachte. Bis dahin musste sie geduldig sein.
 

Langsam öffnete die Puppe ihre amethystfarbenen Augen und starrte an die ihr unbekannte Holzdecke. Sie erinnerte sich dunkel daran, dass sie nicht mehr in ihrem eigenen Reich war und sich in einer völlig fremden Welt befand. Dennoch stand sie wie gewohnt mechanisch auf. Doch sie hielt inne, denn hier gab es nicht den Stuhl, auf dem wie gewohnt ihr Kleid lag. Sie war nackt, doch musste sie unbedingt ihren Körper bedecken.

Gezielt sah sie sich in dem kleinen Zimmer um. Hier war es so klein und vollkommen anders als in ihrem Reich. Ein kleiner Tisch stand in der Mitte des Raumes, darauf standen eine Schüssel Reis und ein Brettchen, auf dem ein gebratener Fisch lag.

Rechts von dem Tisch war die kleine Kochnische mit Waschzuber und Kochplatten.

Langsam lief das Mädchen auf einen Schrank zu, der nicht unweit von der Kochnische stand. Sie öffnete diesen und sah sich eine kleine Auswahl von Yukatas an, die darin hingen und ungefähr ihre Größe hatten. Zielsicher griff sie hinein und zog sich einen rosafarbenen mit Kirschblütenmuster heraus.

Obwohl sie noch nie so etwas getragen hatte, legte sie sich den Yukata an und band sich den Obi ohne wirkliches Wissen oder Hilfe um, damit der Stoff ihren Körper nicht entblößte.

Kaum dass ihr Körper bedeckt war, steuerte die Puppe die Haustür an und öffnete diese.

Sie sah an die Wand eines benachbarten Hauses, das die Sonne verdeckte. Momentan stand die Sonne am höchsten Punkt, der ideale Augenblick, um in ihrem Licht zu baden. Nun musste sie nur noch den richtigen Ort für das Sonnenbad finden.

Mit einem Ziel vor Augen verließ das Mädchen das Haus und lief mit dem Kopf zum Himmel gewandt die Gasse entlang, bis sie auf die Hauptstraße kam, auf der das Leben in Kyoto stattfand.

Sie senkte ihren Kopf und ließ ihren Blick stumm über die Menschenmenge schweifen. Noch nie hatte sie so eine große Ansammlung lebendiger Wesen gesehen. Es war neu für sie, und dennoch hatte sie kein großes Interesse daran. Viel wichtiger war ihr gerade der Ort, zu dem sie für ihr Sonnenbad musste.

Langsam und wie eine Puppe setzte sie sich in Bewegung und lief mit dem Kopf zum Himmel gewandt, entgegen dem Strom der Menschenmenge, ihrem Ziel entgegen.
 

Schweiß tropfte vom Kinn der Kriegerin, als sie endlich den Wald hinter sich ließ und die ersten Häuser eines Vorortes von Kyoto erblickte.

Die ganze Nacht hatte sie das Mädchen innerhalb des Waldes gesucht und am Morgen schließlich die erste Spur gefunden. Mitten im Wald hatte sie die Leichen zweier Männer gefunden, die nicht gerade so ausgesehen hatten, als wären sie sich selbst an die Gurgel gegangen.

Nein, Yuki hatte bemerkt, dass die Schnitte nur von ihrem Schwert stammen konnten. Und nur das Himmelsvolk konnte diese Art von Klinge führen, für die Anderen war es definitiv nicht möglich. Es musste also das Werk des Mädchens gewesen sein.

Jetzt, wo sie auf der Erde war, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie aus ihrer eigenen Welt erwachte. Und je nachdem, in welcher Situation sie sich dann befand, würde es blutig oder normal enden.

Yuki wusste, dass sie keine Zeit verlieren durfte; sie musste das Mädchen finden, bevor ein Unglück geschah.

Ohne eine große Pause gemacht zu haben, lief der Schneeengel los, Richtung Hauptstadt, in der sie hoffte, das Puppenmädchen zu finden.
 

Wie weit sie gegangen war, konnte sie nicht sagen, aber sie hatte für sich endlich den richtigen Ort gefunden.

Sie befand sich auf dem Anwesen eines großen Tempels und hatte sich, unbemerkt von allen, in den Garten geschlichen, in dem ein kleiner Teich neben einem blattlosen Baum lag.

Langsam lief sie zu dem Baum, zwischen dessen Ästen ihr das Sonnenlicht ins Gesicht schien.

Sie fühlte die Kraft und die Wärme, die ihr das Licht spendete. Deutlich spürte sie den Schlag ihres Herzens in ihrer Brust. Sie wusste, dass sie noch lebte, obwohl sie sich in dieser fremden Welt befand. Nun musste sie nur noch diesen Herzschlag beschützen.

Emotionslos sah sie den alten, halbtoten Baum an, der scheinbar nicht mehr den Willen zum Leben hatte. Sie kannte Bäume dieser Art nicht. In ihrer Welt blühten die Bäume und Blumen umher. Sie lebten dauerhaft und waren ihr als Vorbild präsentiert worden. Aber dieser Baum…

Vorsichtig legte die Puppe ihre Hand auf die dicke kalte Rinde.

Dieses Gefühl von Kälte war ihr völlig fremd, denn sie kannte nur die Wärme des Lebens, das auch sie erfüllte.

Einige Sekunden ließ sie die Hand am Baum verweilen. Es war so, als versuchte sie diese Welt nur mit ihren bloßen Händen zu erfühlen und zu verstehen.

“Im Frühling, wenn er erwacht, ist er viel schöner.”

Deutlich vernahm sie die männliche sanfte Stimme hinter sich. Sie hatte niemanden kommen gehört, aber vielleicht war sie auch einfach zu sehr damit beschäftigt gewesen, die Art des Baumes zu verstehen. Langsam glitt ihre Hand vom Baum. War sie vielleicht auch so kalt? War das vielleicht normal in dieser Welt?

Unsicher fasste sie sich selbst am Arm und schloss, den Fremden ignorierend, die Augen. Ihr Körper war kalt, kälter noch als der Baum. Und dennoch fühlte sie deutlich den Herzschlag in ihrer Brust.

“Ist alles in Ordnung? Woher kommst du?”

Erneut hatte die Stimme des Mannes die Grenzen ihrer Welt überschritten. Vorsichtig drehte sie sich um und sah zum ersten Mal in die goldbraunen Augen des Mannes, der sie hier entdeckt hatte,
 

Lächelnd sah Harada Sanosuke das Mädchen, das er am Teich neben dem Kirschbaum entdeckt hatte, an. Sie erwiderte sein Lächeln nicht und sah ihn mit ihren leeren Amethystaugen an. Schweigend sah sie ihn an, weswegen Harada nicht wusste, ob sie ihn verstanden hatte. Sie hatte etwas an sich, was ihm das Gefühl gab, dass sie von hier war.

Ganz genau sah er sich das Mädchen an. Der Obi ihres rosafarbenen Yukata war merkwürdig gebunden. Ihre Haare waren offen und fielen strähnchenweise über ihre schmalen Schultern. Eine japanische Frau hätte sich die Haare zusammengebunden und nach oben gesteckt. Zumindest bei ihrer Haarlänge. Dann war da noch die Tatsache, dass sie keine Schuhe trug.

‘Woher kommt sie?’, fragte sich der Samurai in Gedanken.

Dennoch wich das Lächeln aus seinem Gesicht nicht, und er ging vorsichtig einen Schritt auf die Schwarzhaarige zu. Sie wich nicht zurück, obwohl er ihr völlig fremd war und die Zeiten in Kyoto rau geworden waren. Wusste sie das nicht?

Einen Augenblick lang blieb Harada vor dem Mädchen stehen und sah ihr einfach in die Augen. Er wollte sehen, was sie empfand oder dachte, doch er sah nichts in ihnen. Sie waren leer, wie die Augen einer Puppe oder einer Toten.

“Wie heißt du?”

Da sie ihm auf seine erste Fragen nicht geantwortet hatte, versuchte er, ihr wenigstens ihren Namen zu entlocken. Doch wie schon beim ersten Mal schwieg sie und sah ihn einfach nur stumm an.

Erneut ging Harada einen Schritt auf das Mädchen zu. Wieder wich sie nicht zurück.

Harada war nicht wohl bei dem Gedanken, dass dieses Mädchen so zutraulich war und scheinbar jeden so nah an sich heran ließ.

Nachdenklich sah er sie an. Ihre Körperhaltung war vollkommen neutral. Sie hatte weder Angst noch machte sie sich bereit, im Notfall wegzurennen.

‘Vielleicht wirke ich nicht bedrohlich auf sie.’

Prüfend sah er an sich herab. Wie gewohnt trug er innerhalb der Mauern ihres Quartiers sein Schwert nicht spazieren. Vielleicht war das der Grund, warum sie keine Angst hatte. Dennoch war das nicht normal.

Seufzend sah er sie an. Er wusste weder wie sie hieß, noch woher sie kam. Hier bleiben konnte sie auf keinen Fall. Nicht bei den ganzen Männern, von denen er nicht wusste, wie sie auf das Mädchen reagieren würden.
 

Stumm sah die Puppe den Mann an. Er atmete, wie sie. Sein Herz schlug, wie ihres, aber etwas an ihm war anders.

Sie erinnerte sich an die Rônin, die sie im Wald getroffen hatte, und dieser Mann war so anders. Seine Worte hatten einen ungefährlichen, nach dem Leben flehenden Ton. Er war ein Kämpfer, der wirklich leben wollte. Dennoch ergab das, was er fragte, für sie keinen Sinn. Woher sie kam, wusste sie nicht genau. Sie kannte nur ihren Raum, ihre kleine Welt, aus der sie gerissen worden war.

Und einen Namen… Irgendwann hatte man ihr sicher einen gegeben. Alle Dinge in der Welt hatten einen, nur ihrer war so selten benutzt worden, dass sie sich selbst nicht mehr daran erinnerte, wie er lautete.

‘Vielleicht… Ist das der Unterschied…’

Es war nur ein kleiner Gedanke der aufkeimte. Harada war anders als sie, sicher war er das wegen seinem Namen. Oder gab es da noch mehr?

Unsicher hob sie ihre Hand und ging nun selbst einen Schritt auf den Rotschopf zu. Er wich nicht zurück, ergriff aber ihre Hand und hielt mit seiner sanft fest. Ihre Augen weiteten sich. Sie spürte diese Wärme, die von ihm ausging. Lebenswärme, die weder sie noch der Baum hatten.

Hektisch ließ sie sich in seine Arme fallen. Sie wollte diese Wärme, die ihr selbst fehlte, spüren.

Mit ihrer Wange an seine Brust gelehnt, sie war kleiner als er, schloss sie die Augen. Es war warm. Und es war kein Irrtum gewesen.

“W-Warte! Hör auf! W-Wir kennen uns doch kau…”

Harada kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden, denn im Hintergrund hörte er die Stimme seines Freundes Nagakura Shinpachi.

“Sano!!!”

Eilig drückte er das Mädchen von sich, damit sein Freund nicht auf falsche Gedanken kam. Doch auch ohne diese Szene kam Shinpachi, der gerade um die Ecke kam, auf die falschen Gedanken, denn die verräterische Röte auf Haradas Wangen sprach für ihn eine mehr als deutliche Sprache.

“Hier bist du ja! Und wie ich sehe, hast du dir, obwohl wir noch nicht lange hier sind, eine Freundin angelacht!”

Murrend hörte Harada die Bemerkung seines Freundes, und wäre das Mädchen nicht hier gewesen, hätte er ihm das breite Grinsen aus dem Gesicht gewischt. Doch weil sie hier war, ließ er ihn gewähren.

“So ist das nicht. Ich habe sie hier gefunden und versucht herauszufinden, wer sie ist und woher sie kommt!”

Ernst sah Harada seinen Freund an, der nun auch erkannte, dass dieser nicht mit dem Mädchen geflirtet hatte. So etwas hätte auch nicht zu dem Speerkämpfer gepasst.

“Und, hast du etwas herausgefunden?”

Auch Shinpachi schien besorgt zu sein, denn er ahnte, warum Harada versucht hatte diese Informationen zu bekommen. Doch dessen Kopfschütteln verriet dem robusten Kämpfer, dass er es nicht herausgefunden hatte.

“Was machen wir dann mit ihr?”

Der Robustere wusste nicht, was sie tun sollten. In seinem Kopf begann es zu arbeiten, doch eine Lösung schien es nicht zu geben.

“Wir sollten sie zu Hijikata bringen. Ihm fällt bestimmt etwas ein.”

Shinpachi nickte. Harada hatte Recht. Wenn jemand etwas wissen würde oder eine Idee hatte, was man mit dem Mädchen machen sollte, dann war es Hijikata Toshizou.
 

Das Mädchen sah zu dem anderen Mann, der zu ihnen gestoßen war. Sie verstand jedes Wort, das sie wechselten, und entschied für sich, dass es nicht mit ihr zu tun hatte.

Für sie war es an der Zeit zu gehen, denn die Sonne lief weiter, was erstaunlich war, denn sie kannte das nicht. Sie wollte der Sonne folgen und sehen, wohin sie lief.

Ruckartig löste die Puppe ihre Hand aus Haradas Griff und lief an den beiden Männern vorbei.

“Warte! Wohin willst du?”

Sie antwortete nicht und lief einfach weiter, doch sie hörte die Schritte Haradas hinter sich. Schnell hatte er sie eingeholt und sich ihr in den Weg gestellt.

“Du musst es nur sagen. Shinpachi und ich bringen dich dahin. Aber für dich alleine ist es da draußen zu gefährlich.”

Sanft hielt Harada das Mädchen an den Schultern fest. Seine Ehre als Kämpfer erlaubte es ihm nicht, dass sie das Mädchen alleine gehen ließen.

“Lass mich gehen!”, hauchte sie kalt und monoton.

Es erschreckte Harada, so dass er sie losließ und ihr aus dem Weg ging. Obwohl ihre Stimme so sanft und weiblich klang, erschien es ihm, dass sie einer anderen Welt entstammte.

Mit einem mulmigen Gefühl sah Harada dem Mädchen nach, das die Unterkunft der Roshigumi verließ. Er machte sich Sorgen, und die konnte ihm Shinpachi auch vom Gesicht ablesen. Doch mehr als zu hoffen, dass dem Mädchen nichts passierte, konnten sie nicht.
 

Zusammen mit Lhikan lief Mizu durch Kyoto. Sie hatte Angst, denn als sie nach Hause gekommen war, war das Mädchen, zusammen mit einem ihrer Yukatas, verschwunden. Nur das Schwert der Fremden stand noch in der Ecke des Hauses, als wäre ihr dieser Gegenstand nicht wichtig gewesen.

“Hast du sie gefunden, Mizu?”

Außer Atem stand Lhikan neben der Brünetten, die den Kopf schüttelte.

“Weit kann sie doch nicht sein! Sie hat den Reis und Fisch nicht angerührt?”

Wieder schüttelte Mizu den Kopf und sah den alten, schwarzhaarigen Händler an. Er war ungefähr Mitte 30, wirkte aber körperlich so fit wie ein 20jähriger Jungspund. Mizu war dankbar, dass der Händler ihr half, denn neben ihr war er der Einzige, der wusste, wie sie aussah.

“Sie kann doch nicht so weit sein. Körperlich müsste sie vollkommen entkräftet sein.”

Lhikan hatte genau das erkannt, was sich Mizu die ganze Zeit gedacht hatte. Genauso bemerkte er auch, dass sie sich Vorwürfe machte. Er kannte Mizu schließlich lange genug.

“Komm, wir können sie noch finden. Noch ist die Sonne nicht untergegangen.”

Dankbar sah Mizu den Händler an. Sie wusste seine Hilfe sehr zu schätzen und schöpfte daraus auch Kraft für die weitere Suche.
 

Die Sonne ging unter und tauchte die Hauptstadt Japans in ein warmes orangefarbenes Licht.

Mizu verlor immer mehr die Hoffnung, dass sie das Mädchen wiederfinden würden. Zwar hatten sie noch etwas Zeit, aber schon jetzt hatten sie fast ganz Kyoto abgesucht. Es wurde Zeit, dass sie aufhörten, denn schon bald wurde es dunkel und die Straßen würden unsicher werden.

Langsam trottete sie zu Lhikan, der immer noch eifrig die Menschen auf der Straße befragte und ihnen das Mädchen beschrieb. Doch auch er hatte keinen Erfolg.

“Hast du etwas erfahren?”

Obwohl Mizu die Antwort in seinem Gesicht sehen konnte, fragte sie nach. Sie wollte nicht so schnell den letzten Funken Hoffnung beerdigen.

Doch wie sie es schon in seinem Gesicht hatte herauslesen können, schüttelte er den Kopf und seufzte. Diese Antwort war mehr als eindeutig.

“Es wird bald dunkel. Wir sollten nach Hause gehen”, flüsterte er mit schuldbewusstem Unterton.

Sie nickte und war dankbar, dass er sie wohl bis nach Hause begleiten würde. Alleine, vor allem im Dunkeln, hätte sie schon etwas Angst.

Von sich selbst enttäuscht lief Mizu neben Lhikan her. Sie dachte an das Mädchen und fragte sich, ob diese vielleicht auch Angst hatte. Sie war schließlich ganz alleine in dieser großen, ihr vollkommen fremden Stadt.

“Was ist da vorne los? Ist etwas passiert?”

Nur halb anwesend hörte Mizu die Stimmen einiger Passanten und seufzte. Sicher liefen die schurkischen Samurai wieder Amok.

“Ein paar schurkische Samurai haben ein Mädchen in einem pinkfarbenen Yukata angehalten und wollten ihr Geld. Wie es scheint, hat sie aber keines. Zumindest hat sie die Samurai ignoriert und ihnen nicht geantwortet.”

Mizu schreckte auf, als sie die Beschreibung des Mädchens hörte. Konnte es sein, dass es die Gesuchte war? Sollte das Schicksal wirklich so gnädig mit ihr sein?

Ohne lange zu zögern, griff sie Lhikan am Ärmel seines Hakamas und zog ihn hinter sich her. Wenn es Probleme gab, brauchte sie einen starken Mann an ihrer Seite.

Zielstrebig kämpfte sich Mizu durch die umstehenden Menschen, bis sie schließlich in der ersten Reihe stand und das schwarze Haupt der Verschwundenen erblickte.
 

Kalt blitzen die Augen des Rônin das Puppenmädchen an. Er war wütend, denn diese Göre hatte auf keines seiner Worte reagiert oder geantwortet. Sie stand einfach da und starrte ihn und seine Kumpel mit ihren leeren Puppenaugen an. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, eine Frau zu schlagen, doch dieses Weib bettelte gerade stumm darum.

“Ich frage dich noch einmal! Hast du Geld dabei?”

Ernst sah er die Fremde an. Wieder antwortete sie nicht, und das brachte ihn zur Weißglut.

Erzürnt legte er seine Hand auf den Griff seines Katanas und fixierte sein Opfer. Zum ersten Mal, seit er sie gesehen hatte, bemerkte er eine Regung. Ihre stumpfen Amethystaugen wurden kalt und jagten ihm einen Schauer über den Rücken.

“Schlampe!”, presste er zwischen seinen dünnen Lippen hervor und zog sein Schwert.

Sie sollte ihn nicht so voller Verachtung ansehen, sondern voller Angst. Er hoffte, dass sie ihm diesen Blick schenkte, wenn er demonstrierte, wie ernst er es meinte. Sie sollte auf die Knie gehen und um Gnade flehen.

“Das solltest du nicht tun.”

Gehaucht und kalt ertönte ihre sanfte Engelsstimme. Er schluckte, denn nun hatte er sie das erste Mal, gehört und obwohl er seine scharfe Klinge präsentierte, blieb sie ruhig, als wüsste sie, dass er verlieren würde.

Sie war zu weit gegangen. Zumindest aus seiner Sicht. Egal was nun passieren würde, es war ihre Schuld.

“Verdammte Schlampe!!!”, schrie er und lief mit seinem erhobenen Schwert auf das Mädchen, das selbst jetzt nicht mit der Wimper zuckte, zu.
 

Er hatte sein Ziel fast erreicht, doch vor dem alles entscheidenden Schlag spürte er, wie sich eine Faust fest in seine Magengegend grub. Übelkeit überkam ihn, denn dieser Schlag saß tief und drückte das gute Abendessen, mitsamt teurem Sake, wieder nach oben.

Die Klinge konnte er nicht mehr halten, denn der Schmerz übermannte und schwächte ihn.

Zitternd torkelte er zurück, um zu sehen, was ihn genau erwischt hatte. Er konnte nicht glauben, dass dieser Schmerz wirklich das Werk des Mädchens war.

Erst als er den wahren Grund erkannte, ließ er sich nach hinten fallen und gab der angedrohten Ohnmacht nach.

“Was mischst du dich ein?”

Wütend darüber, ihren Kumpel vorerst verloren zu haben, zogen die anderen Rônin ebenfalls ihre Katana und sahen den Händler, der schützend vor der Puppe stand, an.

Mutig ließ der schwarzhaarige Händler mit den saphirblauen Augen die Knöchel knacken.

“Dieses Mädchen gehört zu einer Freundin von mir. Ich lasse nicht zu, dass ihr schurkischen Samurai ihr auch nur ein Haar krümmt. Nehmt euren Freund und verschwindet, bevor ich ungemütlich werde.”

Bereit, es jederzeit mit dem Rest aufzunehmen, baute sich Lhikan mit erhobenen Fäusten vor den Rônin auf.

Die schurkischen Samurai schluckten. Obwohl sie bewaffnet waren, trauten sie es dem Händler zu, dass er sie in Nullkommanichts ausschalten könnte. Schließlich hatte er das auch mit ihrem Chef geschafft, und er war der Stärkere von ihnen.

“Also, wollt ihr auch?”

Siegessicher grinste der Händler die restlichen Rônin an. Er war ihnen zu siegessicher, sodass sie ihren Chef packten und flüchtend in einer Gasse verschwanden.
 

Erleichtert lief Mizu zu Lhikan, der sich selbst entspannte, als die Rônin außer Sichtweite waren. Er war froh, dass er diesen Bluff überlebt hatte, auch wenn das Glück ihm ein klein wenig geholfen hatte.

“Das war genial”, hauchte Mizu anerkennend und sah den alten Händler, der leicht verlegen wurde, an.

Allerdings gab es gerade etwas Wichtigeres, sodass sie sich der Puppe zuwandte und sie ansah. Sie schien unverletzt zu sein, was Mizu als gutes Zeichen deutete.

“Zum Glück haben wir dich gefunden”, erklärte sie mit einem sanften Lächeln.

Doch das Mädchen antwortete nicht. Sie starrte einfach in die Richtung, in der sich die Sonne mit den letzten rötlichen Strahlen dagegen wehrte, der Dunkelheit nachzugeben.

“Wir sollten sie zu mir bringen. Sie hat sicher Hunger.”

Lhikan nickte, als Mizu ihre Pläne verkündete. Er wusste, dass dieses fremde Mädchen sehr gut bei seiner Freundin aufgehoben war. Noch einmal würde sie dieses Mädchen sicher nicht alleine lassen.

Die Frage war nun nur, wie sie das Mädchen in die schützende Umgebung ihres Hauses bringen sollten. Sie stand steif da und machte auch keine Anzeichen dafür, dass sie sich bewegen würde.

Lhikan dachte gerade darüber nach, wie sie die Puppe überzeugen konnten, mitzugehen, als er den zierlichen Körper in sich zusammenfallen sah.

Gerade rechtzeitig konnte er sie packen und sie vor einem schmerzhaften Sturz auf den Boden bewahren.

“Dann mal ab nach Hause. Es war sicher ein langer Tag für sie.”

Lächelnd nickte Mizu dem Händler zu, der das Puppenmädchen Huckepack nahm und sie den weiten Weg zu Mizus Haus trug.
 

Es war dunkel geworden und nur das spärliche Licht einer Kerze erleuchtete Mizus kleine Wohnung. Das Mädchen saß an ihrem kleinen Tisch und stopfte die Löcher in den Hakamas ihrer Nachbarn. Sie wollte diese Arbeit heute noch fertig bekommen, denn nur dann würde sie Geld für die nächste Mahlzeit haben.

Kurz nur machte sie eine Pause und sah zu dem Futon, auf dem das Puppenmädchen lag und schlief. Noch einmal würde sie die Puppe nicht aus den Augen verlieren. Der Tag hatte ihr gezeigt, dass sie sich viel zu leichtsinnig in Gefahr brachte.

Sie kannte diesen Ort nicht, und wusste auch nicht, wie die Dinge hier liefen. Mizu sah es als ihre Pflicht, dem Mädchen zu helfen.

Seufzend wandte sich Mizu wieder ihrer Arbeit zu. Sie wurde müde, aber solange sie nicht fertig war, durfte sie der Müdigkeit nicht nachgeben. Immerhin brauchte sie das Geld, mehr noch als Schlaf.

Die Stunden verstrichen und die Kerze hatte nur noch einen kleinen, unbrennbaren Stumpfen über.

Mit ihrem Kopf lag Mizu auf dem fertigen Berg Hakamas gebettet und schlief selig. Sie hatte es geschafft und konnte nun wohl verdient ins Reich der Träume hinab gleiten. Sie bemerkte nicht einmal, wie das Mädchen sich auf dem Futon aufgerichtet hatte und starr an eine Wand sah.
 

Kalte Dunkelheit hatte sich über den Raum gelegt, in dem das Puppenmädchen ruhig und unschuldig geschlafen hatte. Sie wirkte verunsichert, denn in ihrer Welt war es immer hell gewesen. Hatten diese Wesen die Sonne verärgert und vertrieben? Sie wusste es nicht. Im Grunde wusste sie gar nichts. Außer…

Sie dachte an die Begegnung mit Harada Sanosuke zurück und seufzte kaum hörbar. Er war warm gewesen und sie selbst war kalt. Eine Bedeutung dieses Umstandes wurde ihr nicht ersichtlich. Hieß es vielleicht, das er lebte und sie nicht?

Unsicher hob sie ihre Hand auf die Brust und fühlte den kräftigen Herzschlag unter ihrer Hand. War ihr Herz nicht Beweis genug? Reichte ein schlagendes Herz zum Leben nicht? Reichte es nicht, um sie lebendig und warm zu machen?

“Du bist wach?”

Leise und verschlafen erklang Mizus zierliches Stimmchen und drang zu dem Mädchen vor.

Ihr Kopf wandte sich zu der Fremden, doch in der Dunkelheit konnte sie nicht mehr als ihre graue Silhouette sehen. Etwas in ihr sagte, dass sie diesem Mädchen vertrauen konnte oder vielmehr, dass dieses Mädchen nicht nach ihrem Leben trachtete.

“Leg dich hin. Morgen wird ein langer Tag”, säuselte die Fremde, die augenblicklich wieder einschlief.

Einige Sekunden vergingen, in denen die Puppe nur in Mizus Richtung sah. Vielleicht war sie ja die neue Herrin. Wenn dem so war, dann musste sie sich ihr fügen. Gehorsam legte sie sich wieder hin, an die Decke starrend und darüber nachdenkend, was es bedeutete, zu leben.
 

Als die ersten Sonnenstrahlen durch die undichten Stellen des Hauses leuchteten, erwachte Mizu aus ihrem geruhsamen Schlaf. Ihr erster Blick galt dem Futon, in dem noch immer das Mädchen lag. Allerdings schien es so, dass sie wach war, denn unentwegt starrte sie an die Decke.

“Bist du schon lange wach? Konntest du nicht schlafen?”

Mizu war verwundert über das Verhalten des Mädchens, vor allem, weil sie ihr auf keine Frage oder Anmerkung antwortete. Das erste und einzige Mal, wo sie ihre Stimme gehört hatte, war am vergangenen Tag gewesen.

“Wenn du nicht schlafen kannst, steh auf. Ich werde dir zeigen, wo du dich waschen kannst.”

Kaum dass Mizu den Satz beendet hatte, sprang die Puppe auf, als hätte sie es als Befehl aufgefasst. Kopfschüttelnd erhob sich Mizu. Immerhin verstand sie ihre Sprache, das war ein großer Vorteil. So musste sie sich keine Sorgen um die Kommunikation machen.

“Folge mir.”

Mizu drehte sich zur Tür um und öffnete diese. Vorsichtig schlüpfte sie in ihre Sandalen und lief los, darauf achtend, dass die Fremde dicht genug hinter ihr blieb.

Aus dem Augenwinkel heraus sah sie, dass die Puppe wie am Tag zuvor barfuß lief und seufzte.

‘Ich sollte gucken, ob ich nicht ein paar Sandalen für sie bekomme. Vielleicht hat Lhikan welche im Angebot.’

Mizu machte sich Sorgen, denn es war leichter, sich die Füße zu verletzen, als man glaubte. Scherben und Steine lagen auf dem ebenen Boden und zerstörten selbst ihr regelmäßig die Schuhe.

Es war kein weiter Weg, bis Mizu und das Puppenmädchen einen Brunnen gefunden hatten. Kaum dass sie angekommen waren, zog Mizu an der Schnur für den Wassereimer und holte ihn Stück für Stück nach oben.

Unbeteiligt stand das Mädchen hinter ihr und sah ihr dabei zu. Sie verstand nicht, was die Fremde da tat, und vor allem, wozu. Es war wieder eines der Dinge, die sie an dieser Welt, in der so viele Menschen lebten, nicht verstand.

“Uff! Irgendwie wird das Ding auch von Tag zu Tag schwerer”, keuchte Mizu, den Eimer die letzten Zentimeter hochziehend.

Auf die letzten Millimeter packte sie schließlich den Henkel des Eimers und stellte diesen auf der Brunnenmauer ab.

“Komm her und wasch dir das Gesicht. Wir müssen heute gut aussehen.”

Obwohl Mizu ihre Worte nicht als Befehl aussprach, gehorchte das Mädchen aufs Wort. Sie ging zum Wassereimer und sah in diesen hinein.

Das sonst so ruhige und emotionslose Mädchen erschrak, als sie hinein blickte, und ging einen Schritt zurück.

“Was ist los?”, fragte Mizu verwundert und sah in den Eimer, von wo aus ihr eigenes Spiegelbild sie anlächelte.

‘Hat sie sich davor erschrocken?’

Fragend sah Mizu die Puppe an. Der Schock schien ihr schnell, fast schon viel zu schnell, aus den Gliedern gewichen zu sein.

“Komm her! Das ist nur dein Spiegelbild im Wasser.”

Um ihr zu zeigen, dass sie wirklich nichts zu befürchten hatte, füllte sie sich die hohle Hand mit Wasser und spritzte es sich ins Gesicht.

“Da, es ist nur Wasser”, erklärte sie und schüttelte ihre Hände in Richtung der Puppe, damit diese ein paar Spritzer abbekam.

Obwohl Mizu sah, dass sie ein paar Spritzer ins Gesicht bekam, zuckte das Mädchen nicht einmal. Stattdessen ging sie zum Eimer und sah in diesen hinein. Doch dieses Mal wich sie nicht zurück. Sie starrte einfach stumm ins Wasser.

“Wasch dich, wir müssen uns beeilen.”

Kurz sah das Mädchen auf, als Mizu sie ansprach. Es schien fast so, als ob sie über irgendwas nachdachte. Doch es war nur ein kurzer Augenblick, in dem ihr Gesicht menschliche Züge angenommen hatte. Es war aber ein so kurzer Moment, dass Mizu sich fragte, ob sie das wirklich gesehen und das Mädchen eine menschliche Seite hatte.
 

Langsam trottete die Puppe hinter Mizu her. Sie wollten irgendwohin gehen, wo es genug Arbeit für sie beide geben sollte. Zuerst wollte Mizu aber bei dem Hausherren des Tempels, in dem das Puppenmädchen schon einen Tag zuvor gewesen war, nachfragen, ob es wirklich in Ordnung war, einfach so zu putzen.

Mizu nannte es ihren Masterplan, denn von Lhikan, der ihr für das Mädchen ein paar Sandalen geschenkt hatte, hatte sie erfahren, dass die Roshigumi hier hauste und versuchte, sich einen Namen zu machen.

Dasselbe hatte Mizu nun bei ihnen vor, allerdings was andere Qualitäten anging. Es wäre schließlich schon praktisch gewesen, wenn die Roshigumi sie fest einstellen würde, sobald diese Fuß gefasst hatten.

Von all dem verstand die Puppe aber nichts. Ihr war Ruhm und Geld egal. Sie tat einfach nur das, was Mizu sagte, denn wenn sie das tat, das stand für sie fest, würde sie überleben.

Zusammen mit Mizu lief sie über einen Gang außerhalb des Gartens. Man hatte ihnen gesagt, wie sie zu Yagi, dem Hausherren, kamen. Doch sie waren nicht alleine hier draußen. Nicht unweit von ihnen standen vier Männer, die sich scheinbar tatkräftig stritten. Unter ihnen erkannte die Puppe Harada vom vergangenen Tag.

Sie blieb stehen und beobachtete, was passierte.

“Ich habe niemanden um Hilfe gebeten”, moserte der Wütende der Gruppe, und kassierte sogleich eine Kopfnuss von Harada.

Es schien dem Speerkämpfer nicht zu gefallen, wie der Jüngere sich gab, weswegen er nun zu den schmerzhaften Argumenten griff.

“Egal wen du um Hilfe gebeten hast oder nicht, wem verdankst du denn, dass du hier bist?! Du schuldest uns Dank für die Gastfreundschaft, die wir dir gezeigt haben.”

Die Puppe konnte jedes Wort verstehen und wurde nachdenklich. Wem verdankte sie, dass sie hier war? Sie erinnerte sich an den Engel mit dem weißen Haar. Dieser Engel hatte sie aus ihrer Welt gerissen und ihr ermöglicht, dass sie diesen Ort kennenlernen konnte. Und Mizu.

Ihr Blick ging zu der Fremden, die vor einem offenen Zimmer kniete und wohl mit dem Hausherren sprach.

Mizu hatte ihr ein Dach über dem Kopf gegeben und half ihr auch weiter. Selbst wenn sie es nicht zeigte, so war sie doch irgendwie, im tiefsten Inneren, dankbar.

‘Vielleicht… wird man durch Dankbarkeit lebendig.’

Es war das erste Mal, dass sie dachte, und dass sie in Gedanken auch ihre eigene Stimme hörte. Es war ein seltsames Gefühl.

“Ist alles okay? Geht es dir nicht gut?”

Die Puppe sah vom Boden, auf den sie nachdenklich gestarrt hatte, auf. Mizu stand vor ihr und sah sie besorgt an, so als ob sie befürchtete, dass dem Mädchen etwas fehlte.

Die Puppe fing sich wieder und sah Mizu mit denselben Amethystaugen wie sonst auch an. Es signalisierte Mizu, dass alles in Ordnung war, was sie erleichterte.

“Komm mit, wir dürfen heute gleich unsere Arbeit antreten. Yagi-sensei hat mir beschrieben, wie wir zum Brunnen kommen.”

Wie gewohnt hörte das Mädchen aufs Wort und folgte Mizu zum Brunnen des Anwesens. Doch sie bemerkten, dass sie nicht alleine waren.
 

Seufzend sah Mizu zu dem erbosten Jungen mit blauem Haar, der sich stoisch gelassen das Gesicht wusch. Sie mussten warten, bis er fertig war, und das bedeutete, dass sie Zeit verschwendeten. Das Befüllen der Eimer kostete ja nicht gerade wenig Zeit.

“Kann ich den Damen helfen?”

Mizu zuckte zusammen, als sie so plötzlich die junge kecke Stimme eines Mannes hinter sich hörte. Verlegen drehte sie sich um und sah den Krieger mit rotbraunem Haar an. Verspielt und fast schon belustigt fixierten seine grünen Augen die Mädchen.

“W-Wir warten nur… dass der Brunnen frei wird.”

Mizu hing immer noch der Schreck in den Gliedern, so dass sie sehr damit kämpfte, klar zu sagen, was sie wollte. Ihr war es jetzt schon peinlich, dass sie vor so einem stattlichen Krieger wie ein verängstigtes Kind stotterte.

“Verstehe. Ich kümmere mich darum.”

Die Brünette wollte gerade sagen, dass es nicht nötig war, doch da war der Krieger bereits an ihnen vorbei gegangen.

“Beweg dich. Du bist im Weg.”

Ruppig packte er den Jungen, der die beiden Mädchen nicht bemerkt hatte, und stieß ihn vom Brunnen weg.

“Es ist deine eigene Schuld, wenn du hier vor dich hinträumst. Dieser Brunnen gehört dir nicht alleine.”

Ein kühles, verspieltes Grinsen legte sich auf das Gesicht des Kämpfers, der es scheinbar genoss, wie der Junge sich provozieren ließ. Dieser wehrte sich gegen die Worte des anderen, indem er erklärte, dass er hätte warten können, bis er fertig damit gewesen wäre, sein Gesicht zu waschen.

Es folgten weitere provozierende Worte und Mizu war sich nicht mehr sicher, ob der Krieger ihnen wirklich helfen wollte und nicht viel mehr nach einem Grund für einen Streit gesucht hatte.

“Okita-kun! Warum lässt du es nicht dabei beruhen?”

Erleichtert atmete Mizu aus, als sich ein weiteres Mitglied zum Brunnen gesellte und die kampflustige Atmosphäre mit seiner Anwesenheit beseitigte.
 

Die Nacht war über Kyoto hereingebrochen und Yuki saß in einem kleinen Lokal und genoss ein Abendmahl. Das war es, was sie an der Erde liebte, das gute Essen. Selbst wenn sie es nicht zum Leben brauchte, nahm sie es als Genussmittel zu sich.

Außerdem brachte es auch Vorteile mit sich, wenn sie hier an einem öffentlichen Ort dinierte. Hier konnte sie Informationen sammeln, die ihr vielleicht halfen, das Puppenmädchen zu finden. Fakt war, dass sie an diesem Tag keinen Erfolg gehabt hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Puppe in der Nacht finden würde, war auch gering. Vor allem, weil die Nacht nicht gerade die idealste Tageszeit für einen Engel war.

“Daren-sensei ist aufgetaucht.”

Yuki spitzte die Ohren, als sie, nicht unweit von sich, diesen Namen hörte.

“Er hat dem Boss gesagt, dass es an der Zeit ist, dass er seinen Gefallen zurückzahlt.”

Grummelnd antwortete der zweite Mann, der gerade ein Schälchen Sake runter gespült hatte. Es schien ihm nicht zu gefallen, was sein Kumpel ihm erzählte, doch gleichzeitig war er neugierig geworden.

“Was will dieser Oni denn?”

Er flüsterte leise, denn sobald es um Onis ging, wurden sehr viele Menschen hellhörig.

“Er sucht ein Mädchen. Keine Ahnung warum, aber wenn es nur das ist, sollte es kein Problem sein, dieses Mädchen zu finden.”

Yuki stutzte, als sie hörte, dass noch jemand ein Mädchen suchte, und noch mehr stutzte sie, weil dieser Jemand Daren hieß.

‘Wenn es der ist, an den ich denke, dann muss ich sie schnell finden. Allerdings… Es ist merkwürdig, dass er von ihrem Verschwinden weiß.”

Sie dachte angestrengt darüber nach, wie diese Information zu Daren gesickert sein konnte, doch sie kam auf keine Lösung. Wäre sie noch in ihrer Heimat, hätte sie leicht herausfinden können, woher Daren das wusste.

‘Aber er geht einen cleveren Weg. Er lässt andere für sich suchen. Vielleicht sollte ich das auch tun. Die Frage ist nur, wem ich vertrauen kann.”

Nachdenklich legte Yuki das Geld passend auf den Tisch. Momentan konnte sie nichts tun und die Suche würde am nächsten Tag weitergehen.
 

Brodelnd kochte die Gemüsesuppe mit Reis auf der Kochfläche in Mizus Haus vor sich hin. Das Mädchen freute sich schon auf das Mahl, denn sie hatte hart genug dafür geschuftet, ebenso ihre neue Mitbewohnerin, die an der offenen Tür stand und zum dunkelblauen Himmel starrte.

Mizu war ein wenig besorgt, denn seit sie nach Hause gekommen waren, wirkte das Mädchen so nachdenklich und menschlich. Es war fast so, als wäre durch die Arbeit das Puppenhafte von ihr abgefallen. Auch wenn Mizu daran zweifelte, dass es durch die Arbeit passiert war. Sicher war für sie nur, dass etwas geschehen sein musste. Nachfragen wollte sie aber nicht, denn sie glaubte nicht daran, dass die Puppe ihr antworten würde. Mizu hatte sich dafür entscheiden, dass sie dem Mädchen Zeit geben würde, auch wenn es schon schön wäre, zu wissen, wie sie hieß.

Nach Antworten auf ihre Frage suchend, sah die Puppe zum Himmel und ließ den Tag Revue passieren. Sie erinnerte sich daran, was passiert war, als sie den Garten von toten Ästen und Blättern befreit hatte.
 

“Du bist wieder da. Arbeitest du hier?”

Schnell hatte das Puppenmädchen die Stimme Haradas erkannt. Im Gegensatz zu der Art und Weise, wie er mit dem Wütenden gesprochen hatte, klang seine Stimme wieder so sanft und ruhig wie am Vortag. Dennoch hatte das Mädchen dieses seltsame, unbekannte Gefühl und klammerte sich am Besen fest, mit dem sie den Unrat vom Boden zusammenkehrte.

“Mir scheint, dass du heute auch nicht gesprächiger bist. Aber das ist in Ordnung. Ich bin froh zu sehen, dass es dir gut geht.”

Ein Lächeln lag auf Haradas Gesicht, doch die Puppe konnte es nicht sehen, weil sie ihm mit dem Rücken zugewandt stand. Doch an seiner Stimme erkannte sie, dass er es ehrlich meinte und wirklich froh war.

“D-Danke, dass du dich um mich gesorgt hast.”

Leise, aber doch gut hörbar für den Krieger, flüsterte sie die Worte, die ihr scheinbar schwerer von den Lippen gingen als anderen Menschen. Doch Harada reichten sie, denn der Fakt, dass sie, die scheinbar selten sprach, ihm dankte, war vollkommen ausreichend.

“Wirst du mir heute sagen, woher du kommst, oder wie du heißt?”

Da sie scheinbar gewillt war, zu reden, hatte Harada beschlossen, es mit den üblichen Floskeln des Anstandes zu versuchen. Doch als Antwort bekam er nur ein stummes Kopfschütteln.

“Ich habe… eine Frage an dich.”

Der Mann horchte auf, als das Mädchen, das ihm immer noch steif den Rücken zugewandt hatte, ihn direkt angesprochen hatte.

“Warum… sollte ein Mensch… Dankbarkeit einem anderen zeigen… wenn dieser ihn gerettet und man eigentlich… nicht darum gebeten hat?”

Kurz zog Harada eine Augenbraue hoch. Für ihn als Krieger war Dankbarkeit eine reine Ehrensache, und wenn es nach ihm ginge, sollte es für jeden so sein.

“Es ist nicht selbstverständlich, wenn jemand einem hilft. Man kann sich unter Umständen durch die eigene Hilfe selbst in Schwierigkeiten bringen.”

Nachdenklich sah das Mädchen auf den Blätterhaufen vor ihren Füßen. Wenn sie Recht darüber nachdachte, traf das sicher auch auf Mizu zu. Ihre Wohnung war klein, fast schon winzig und sie ließ sie dennoch bei sich wohnen.

“Wie… zeigt man… Dankbarkeit?”

Die Puppe kannte diese Welt gar nicht. In ihrem alten Leben musste sie niemandem danken. Sie hätte auch niemanden gekannt, der es verdient hätte.

“Es gibt viele Wege. Man kann sich mit einer Umarmung bedanken, oder indem man ‘Danke’ sagt. Wie man sich bedankt, bleibt einem selbst überlassen.”

Leicht stützte sich das Puppenmädchen an dem Besen ab und dachte nach. Sie fragte sich, wie sie wohl Mizu oder Lhikan danken konnte, oder Harada, der ihr ihre Fragen beantwortet hatte. Ihr war nur nicht klar, wie sie ihm danken konnte, wenn es so viele Möglichkeiten gab, musste sie schließlich eine vernünftige finden.

“Ich muss gehen. Danke.”

Kaum dass sie die Worte ausgesprochen hatte, wandte sie sich von ihm ab und entfernte sich von ihm. Es war ihr unangenehm, dass sie dem Krieger nicht danken konnte. Dass sie es bereits unbewusst getan hatte, hatte sie nicht bemerkt. Stattdessen stürmte sie in die Richtung, in der sie Mizu vermutete.
 

Seufzend schloss die Puppe ihre Augen. Noch immer wusste sie nicht, wie sie Mizu danken sollte. An was anderes konnte sie gerade nicht denken.

“Willst du was essen?”

Erschrocken zuckte das Mädchen zusammen und drehte ihren Kopf zu Mizu, die sie anlächelte und ihr eine Schüssel entgegen hielt. Noch wusste sie nicht, was sie tun konnte, aber es gab eine Sache, die bisher jeder von ihr wissen wollte. Sie war nun bereit, endlich zu antworten.

“Erenya.”

“Was?”

Mizu war verwundert, denn das Wort, das die Puppe gesagt hatte, hatte absolut nichts mit ihrer Suppenfrage zu tun.

“Mein Name ist Attarath Erenya.”

Erst jetzt, wo Mizu in die Augen der Schwarzhaarigen sah, bemerkte sie diesen leicht lebendigen Glanz. Es schien so, dass die Puppe endlich erwacht war.
 

Der große Saal war wie üblich hell erleuchtet, so dass man nur schwer Personen oder die Umgebung ausmachen konnte. Langsam betrat ein ehemaliger Engel mit schwarzen Flügeln den Raum, dicht gefolgt von zwei Dienern Gottes, die ihn im Falle eines Falles ausschalten sollten.

“Was gibt es so wichtiges, alter Mann? Wieso rufst du einen Gefallenen? Reicht es dir denn nicht, dass du uns aus den Reihen der Reinen geworfen hast, weil wir anfingen, selbst zu denken?!”

Schweigen erfüllte den Raum, doch es schien so, dass etwas oder jemand ihm antwortete. Und diese Antwort belustigte den schwarzen Engel mit eisblauen Augen.

“Ihr habt Sie verloren und verlangt von mir, Sie zu finden? Wie erbärmlich.”

Empört gingen die Diener Gottes in Kampfposition. Sie waren bereit, dem Gefallenen seine Strafe für diese Worte zuzuführen. Doch sie hielten inne, weil die unsichtbare Stimme es ihnen gebot.

“So so. Ich werde also wieder zu einem Reinen erhoben. Das klingt doch interessant. Also schön, ich werde dir helfen, aber auf meine Weise.”

Mit einem Grinsen wandte sich der Gefallene ab und verließ die Halle. Er wusste, wie er vorgehen würde. Gleichzeitig würde er sich an dem Gott der Schwachen rächen und ihm sein Spielzeug entreißen.

Lernen zu vertrauen

Zur dunkelsten Stunde der Nacht, an der dunkelsten Stelle in ganz Kyoto, stand eine hochgewachsene Gestalt und wartete auf etwas. Es war ein Mann, Mitte 20, schwarzhaarig und schlank gebaut. Seine roten Augen fixierten die Wand eines Gasthofes. Er war ruhig und geduldig, obwohl seine Verabredung bereits viel zu spät war.

“Wie lange willst du mich noch beobachten, Akazumi?”

Seine tiefe Stimme durchschnitt die Stille der Nacht. Es gab keine Anzeichen dafür, dass er mit jemanden sprach, denn seine Silhouette war der einzige Schatten, den man in dieser Nacht sah. Doch kaum, dass der Hall seiner Stimme verklungen war, ertönte das helle Gelächter einer Frau.

“Du weißt also, dass ich hier bin. Beeindruckend, Kurokage Daren.”

Leise ertönte die weibliche Stimme des Schattens, der sich langsam vom Dach des Gasthofes abseilte. Vor dem Mann, der den Namen Daren trug, blieb der weibliche Schatten stehen und löste das Seil mit einem Messer von ihrer Taille.

“Warum hast du mich gerufen? Gibt es jemanden, den du beseitigt haben willst? Ich erledige es für ein kleines Taschengeld schnell und lautlos wie ein Ninja.”

Daren seufzte, als die vermummte Akazumi ihre “Dienstleistung” anbot. Ihr Ruf in der Unterwelt war ihm sehr gut bekannt, weswegen er sie aus hunderten ausgewählt hatte. Sie war eben die Beste, und nur die Beste war gut genug für ihn.

“Du sollst niemanden umbringen. Ich will, dass du jemanden für mich findest. Ein Mädchen.”

Akazumi wurde hellhörig, denn es war noch nie vorgekommen, dass jemand sie nicht für ein Attentat engagierte.

“Was denn, ist dir deine Freundin weggelaufen? Ist ihr dein Ruf als Dämon zu Ohren gekommen?”

Ausdruckslos sah Daren Akazumi an. Er ahnte, worauf sie hinaus wollte, denn er wusste alles über das vermummte Mädchen. Es war nicht schwer, etwas über das Ninjamädchen zu erfahren, auch wenn sie ihren Namen und die Spuren ihrer Vergangenheit verwischt hatte.

“Glaubst du etwa, ich bin einer dieser Dämonen, die deine Eltern ausgelöscht haben?”

Amüsiert lachte Daren auf und sah mit seinen blutroten Augen das Mädchen vor sich an.

“Keine Sorge, nur weil ich ein guter Kämpfer bin und mir meine Feinde den Titel eines Dämons gegeben habe, bin ich keiner. Ich bin genauso menschlich wie du.”

Misstrauisch sah das Ninjamädchen ihr Gegenüber an. Sie war nicht dumm und wusste, wem sie vertrauen konnte und wem nicht. Daren gehört mit Sicherheit nicht zu der ersten Gruppe.

“Also, wirst du diesen Auftrag annehmen?”

Das Ninjamädchen sah Daren an. Sie vertraute ihm nicht, aber der Auftrag klang interessant. Und der Mann zahlte gut. Eigentlich war dieser Auftrag viel zu verlockend, um ihn einfach abzulehnen.

“Also schön. Ich suche deine Freundin. Lass mir die erste Hälfte des Geldes und eine Beschreibung des Mädchens zukommen. Ich melde mich dann, sobald ich Erfolg habe.”

Nickend machte Daren klar, dass er alles verstanden hatte und wandte um. Für ihn war das Treffen beendet und ein voller Erfolg, denn er hatte nun, was er wollte. Nichts konnte ihn mehr aufhalten.
 

Früh waren Erenya und Mizu aufgestanden, denn neben dem eigentlichen Haushalt mussten sie auch heute wieder Ausschau nach bezahlter Arbeit halten. Meist erledigte Mizu Putzarbeiten in örtlichen Lokalen oder stopfte die Sachen ihrer Nachbarn. Einen festen Job hatte sie nicht, und obwohl sie ein hübsches Mädchen war, weigerte sie sich, das Rotlichtviertel auch nur in Betracht zu ziehen. Die kleinen Gelegenheitsjobs reichten, um sie über Wasser zu halten.

“Erenya, leg bitte die Futons zusammen.”

Die Puppe nickte, als sie die Bitte ihrer neuen Freundin vernahm. Ohne zu zögern ging sie zur Schlafecke, in der die Futons lagen und begann, diese zusammenzurollen.

Mizu beobachtete das Mädchen dabei und schmunzelte, denn man merkte schnell, dass ihr die Routine dafür fehlte. In einer Herberge bräuchte sie also erstmal nicht um Arbeit bitten, denn für diesen Job war die Puppe definitiv zu langsam.

‘Vielleicht kann Lhikan Hilfe gebrauchen.’

Mizu wusste, dass sie beide nicht an einem Ort arbeiten konnten. Für das Kellnern war das Mädchen noch nicht geeignet, denn die Rônin, die in einem Lokal speisten, waren nicht gerade höflich. Sie gaben einer weiblichen Bedienung gerne mal einen Klaps auf den Po, und körperliche Nähe vertrug die Puppe nicht. Sie ließ ja nicht einmal zu, dass Mizu sie umarmte. Obwohl das Mädchen sich nun langsam öffnete, vertraute sie Mizu nicht.

Nachdenklich sah Mizu auf das Geschirr, dass sie abspülte. Nun sprach Erenya zwar mit ihr, aber Vertrauen war immer noch Mangelware. Das Mädchen blieb ihr ein Rätsel, denn wenn Mizu ehrlich war, wusste sie noch gar nichts von Erenya. Sie sagte nicht, woher sie kam, weswegen sie ein Schwert bei sich führte und wer sie wirklich war. Die Puppe blockierte vollständig, wenn Mizu diese Fragen stellte.

Vielleicht brauchte sie noch etwas Zeit. Mehr als geduldig warten, konnte sie nicht. Es war allein an Erenya, sich ihr zu öffnen.
 

Staunend sah das Puppenmädchen sich in Lhikans Laden um. Sie war zwar schon den Tag zuvor hier gewesen, aber erst heute nahm sie alles wahr, als wäre sie über Nacht lebendig geworden.

“Hier ist es ja groß. Und voll. Wohnst du hier, Lhikan?”

Der Händler musste schmunzeln, als er sah, mit was für einer kindhaften Neugier das Mädchen durch seinen Laden wuselte.

Sie sollte heute hier arbeiten und er sollte auf das Mädchen aufpassen. In der Zwischenzeit suchte Mizu noch Arbeit für sich, damit sie heute genug Geld verdienen konnten.

“Nein, nein. Hier arbeite ich nur. Die Sachen, die du hier siehst, verkaufe ich an diejenigen, die es kaufen wollen. Deine Aufgabe ist es, die Bestände aufzufüllen.”

Mit einer vollen Flasche Sake ging er auf Erenya zu, die gerade neben dem Regal für Billigspirituosen stand. Dort füllte er die Lücke, die durch seinen letzten Verkauf entstanden war.

“Hast du das verstanden?”, fragte er sanft und lächelte die Puppe an, die ihm zunickte.

So schwer war die Arbeit nicht, und doch war Lhikan froh, wenn er am Ende des Tages genug verkauft und nicht zu viel zerdeppert hatte.

“Also dann. Fangen wir an.”

Frisch motiviert für seine Arbeit, zeigte Lhikan dem Mädchen noch das Lager und erklärte ihr, worauf sie besonders achten sollte.
 

Nachdenklich saß Yuki auf dem Dach des Gasthofes, in dem sie über Nacht verweilt hatte. Die Sonne schien ihr ins Gesicht und stärkte die von der Nacht geschwächten, müden Knochen. Nebenbei verfolgte sie das geschäftige Treiben unten auf der Straße. Schon auf dem ersten Blick erkannte sie die braven, anständigen Bürger und konnte diese von den schwarzen Seelen unterscheiden. Doch keiner von ihnen schien auch nur ansatzweise für die Suche nach dem Puppenmädchen geeignet zu sein. Sie brauchte ein paar tatkräftige Männer, die es unter Umständen auch mit Daren und seinen Männern aufnehmen konnten. Gutherzige Händler oder Bauern brachten ihr nicht viel.

“S-Samurai-sama, zeigt bitte Gnade!”

Flehend drangen die Worte eines verzweifelten Mannes an Yukis Ohr. Sie brauchte nicht lange, um den Mann zu finden, der von drei Schwertkämpfern um sein Geld gebracht wurde. Der Schneeengel schluckte, denn niemand schien dem Mann, der eindeutig in der Unterzahl war und nur seinen Sohn bei sich hatte, helfen zu wollen.

“Zwerg, was soll dieser fiese Blick?”

Verächtlich sah der Samurai den Jungen an, der die drei Männer voller Zorn ansah.

‘Ich muss kein sehender Engel sein, um zu wissen, dass es gleich sehr schmerzhaft für den Kleinen wird’, dachte sich Yuki und erhob sich von ihrem Platz.

Langsam schlich sie über die Dächer näher zu dem Ort des Geschehens. In allergrößter Not würde sie eingreifen, selbst wenn sie sich dann als Engel offenbaren musste.

“Gebt uns das Geld zurück, ihr Diebe!”

Yuki seufzte. Alles lief nun so, wie sie es kommen sehen hatte. Der Kleine wurde frech, einer der großen starken “Samurai” erhob schlagbereit die Faust und…

Der Atem des Schneeengels stockte, denn es hatte doch noch jemand den Mut gefunden, in das Geschehen einzugreifen.

Von ihrem Standpunkt aus konnte Yuki das Schwert an der Hüfte des blauhaarigen Jungen erkennen.

Vielleicht hatte sie mit ihm den Schwertkämpfer gefunden, den sie bei ihrer Suche brauchte.

“Ihr nennt euch selbst ‘Krieger’, obwohl ihr die Hand gegen ein Kind erhebt und klaut?”

Yukis Augen leuchteten. Genau so jemanden hatte sie gesucht. Einen Krieger, der auch mit Worten seinen Standpunkt klar machen konnte und nicht gleich zum Schwert griff.

Es wurde spannend, denn bei den Samurai wirkten einfache Worte nicht. Im Gegenteil. Kampfbereit zog der Dünnere von den drein sein Schwert und forderte den Jungen auf, es ihm gleich zu tun. Genauestens beobachtete der weiße Engel den Jungen, der nicht einmal die Hand an den Griff seines Katanas legte.

“Was ist los? Ist das Schwert an deiner Hüfte nur zur Zierde? Zieh es endlich!”

Yuki war verwundert, als der Schwertträger sein Waffe nicht zog und stattdessen ängstlich zurückwich und stolpernd zu Boden fiel.

‘Also doch nur wieder jemand, der sein Schwert spazieren führt’, grummelte sie innerlich und beobachteten den vor Angst gelähmten Jungen.

‘Oder besser, jemand der von seinem Schwert Gassi geführt wird.’

Erneut machte Yuki sich geistig dazu bereit, einzugreifen, denn der Junge war nicht einmal dazu bereit, sein Katana zu ziehen.
 

Es passierte alles so schnell, so dass Yuki nicht genau sagen konnte, woher der junge Samurai mit den langen braunen Haaren kam. Allerdings war sie beeindruckt, wie schnell er sich in den Weg gestellt und den Angriff abgeblockt hatte.

Yuki staunte nicht schlecht, denn der Samurai wirkte so jung. Sie schätzte ihn auf höchstens 17 Jahre.

Und wie Yuki waren auch die drei Krieger überrascht von dem plötzlichen Erscheinen des Jungen und seiner zwei muskulösen Kumpels.

Doch auch diese drei kampffähigen Männer schienen die Samurai nicht von ihrem hohen Ross runter zu bringen. So provozierten sie die neu hinzugekommenen und stürzten sich, nach einer kleinen Diskussion, auf diese.

Von ihrem Platz aus konnte Yuki den einseitigen Kampf beobachten, aus dem der junge Samurai und seine Freunde als Sieger hervorgingen.

Nun war sich Yuki sicher, diese Jungs sollten ihr bei der Suche nach dem Puppenmädchen helfen. Sofort lief sie wieder zu dem Dach des Gasthofes und sprang auf die Rückseite in ihr Zimmer. Sie hatte es wirklich eilig, denn sie musste sofort mit den Jungs sprechen.

Schnell warf sie dem Gasthofbesitzer das Geld für ihr Zimmer auf den Tresen und stürzte nach draußen in die Freiheit, doch die Samurai waren weg.

Da sie zu früh in ihr Zimmer gestürzt war, hatte sie nicht bemerkt, wie die drei Kämpfer das Feld wegen der Bewohner geräumt hatten. Nichts erinnerte mehr an ihre Anwesenheit und Yuki war wieder bei Null angekommen. Nun musste sie sogar ihre potentiellen Helfer suchen.
 

Lhikan sah staunend zu der Puppe, die gewissenhaft die Bestände auffüllte und mit den Kunden sprach, die Fragen hatten. Schon seit Monaten war sein Geschäft nicht so gut besucht gewesen wie heute. Er fragte sich, ob es vielleicht an Erenya lag, die freundlich zu den Kunden war und auch fleißig ihrer Arbeit nachging. Doch es hatte auch einen Nachteil, denn einige Rônin, die eher zu seinen ungeliebten Klienten gehörten, setzten den einen oder anderen Fuß in seinen Laden.

Vielleicht war das Mädchen Fluch und Segen zugleich. Aber vor allem war sie eine Freundin, die er beschützen musste, weswegen er sie hin und wieder wegen Belanglosigkeiten ins Lager schickte. Sie sollte nicht unbedingt einen falschen Eindruck von Kyoto bekommen. Und auch jetzt war es wieder an ihm, sie von den hauptsächlich männlichen Kunden wegzulocken, weswegen er auf die Puppe zuging und ihr sanft eine Hand auf die Schulter legte.

“Liebes, schau bitte noch einmal im Lager nach. Haben wir genug Sake?”

Der Händler lächelte das Mädchen an, das langsam ihren Kopf zu ihm drehte und ihn aus kalten, leblosen Augen heraus ansah.

“Nimm die Hand… da weg…”, zischte sie bedrohlich kalt, was den Händler zurückschrecken ließ.

Mizu hatte ihm bereits davon erzählt, doch er hatte es nicht glauben wollen. Nun wo er merkte, dass seine Freundin nicht übertrieben hatte, überlegte er, wie man dem Mädchen beibringen konnte, ihnen zu vertrauen. Es war schwierig, so etwas herauszubekommen, wenn man gar nichts von der Person wusste.

“Ist okay, ich gehe schnell nachsehen.”

Schnell war das Mädchen wieder normal geworden. Die Entfernung, selbst wenn sie gering war, schien ihr zu reichen.

Mit einem Lächeln auf den Lippen lief sie hinter zum Lager, zu dem kein Kunde Zutritt hatte.

“Entschuldigung, ich brauche noch einmal Sake!”

Lhikan zuckte leicht zusammen, als er die Stimme eines Kunden hörte, den er heute eigentlich schon einmal bedient hatte. Wahrscheinlich hatte er einfach zu wenig gekauft. Im Grunde ging es ihn auch nicht an, was ein Kunde kaufte und wie viel davon. Freundlich lächelte er den Jungen an und nickte. Es war Zeit, wieder zu arbeiten.
 

Fast schon verzweifelt lief Yuki durch die Straßen. Sie hatte die Jungs aus den Augen verloren und niemand konnte oder wollte ihr sagen, wer sie waren. So langsam nervte es den Engel.

‘Ich bin scheinbar Experte darin, jemanden aus den Augen zu verlieren. Ganz super, Yuki.’

Sie war deprimiert, denn wenn sie ehrlich war, war sie ohne ein Schwert auch ziemlich aufgeschmissen. Im Notfall konnte sie sich zwar gegen schurkische Samurai wehren, aber nur, wenn sie sich dann auch als Engel offenbarte. Die Folgen so einer Offenbarung wollte sie sich nicht einmal ausmalen. Sie musste also unbedingt die Jungs finden, damit die ihr halfen, das Puppenmädchen ausfindig zu machen. Erst dann hatte sie auch die Chance, ihr Schwert wiederzubekommen. Sie vermisste es, denn sie hatte es mit eigenen Händen geschmiedet, und besaß es, so gesehen, schon seit sie eine kleine Putte war.

“Danke! Bis bald!”

In Gedanken versunken bemerkte Yuki nicht, wie ein junger Mann aus einem der Läden kam. Es war unausweichlich, dass sie mit ihm zusammenstieß und ihr Gleichgewicht verlor. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich vor einem Sturz zu bewahren, indem sie ihre Finger in eine Lücke im Holz krallte und sich festhielt.

“Verdammt… Heute ist nicht mein Tag!”, fluchte das Mädchen und holte tief Luft.

Sie hatte sich wirklich erschrocken, denn wer rechnete schon in einer Geschäftsmeile damit, dass Personen aus Läden kamen.

“Nicht nur deiner. Zum Glück ist dem Sake nichts passiert.”

Yukis Augen weiteten sich, als sie die Stimme hörte. Sollte sie wirklich doch noch etwas Glück haben?
 

Murrend bemerkten die Samurai im Lokal, dass die weiblichen Besucher und auch die Bedienung förmlich an den Lippen eines rothaarigen Schönlings hingen. Sofort nachdem dieser das Lokal betreten hatte, konnten sie keinen Service mehr erwarten.

Mit einem charmanten Lächeln und einem verführerischen Blick durch seine eisblauen Augen, hatte er die Herzen der Bedienung im Sturm erobert. Sie waren so hin und weg, dass sie nicht einmal bemerkten, dass er sie nur aushorchte, weil er nach einem Mädchen suchte.

“Sicher ist ihm die Kleine fortgelaufen, weil er nur Augen für andere Frauen hat”, brummte einer der Männer seinem Kollegen zu, der lauthals loslachte.

Es war klar, wofür sie den Typen hielten. Und dieser schien auch keinen anderen Eindruck von sich erwecken zu wollen.

“Vielleicht ist es auch nicht seine Kleine. Das Mädchen, das er beschreibt, erinnert mich an die Kleine, von der ich schon gehört habe. Sie soll im Laden des Händlers arbeiten. Ein Freund von mir hat sie gesehen und meinte, durch sie habe er in das Gesicht eines Engels geblickt. Wenn ihr mich fragt, übertreibt er, denn so hübsch ist keine Frau.”

Erneut lachten die Männer am Tisch, als der Dickere von den Erfahrungen seines Freundes erzählte. Doch seine Freunde waren nicht die Einzigen, die ihm lauschten. Auch der Casanova hörte genau zu und entschied für sich, dass es sich hier um seine Beute handeln musste.

Mit einem Lächeln entschuldigte sich der Mann von den Damen, stand von seinem Platz auf und ging zu den Männern.

“Wo soll dieser Händler denn sein?”, fragte er freundlich, sah die Männer aber bedrohlich mit seinen eisigen Augen an.

Missmutig stellten die Männer fest, dass er alles mit angehört hatte. Und eigentlich hatten sie auch keine Lust, diesem Schnösel solche Informationen zu geben.

“Wie hast du vor, diese Information zu bezahlen?”

Obwohl es eindeutig war, dass sie ihm es nicht sagen würden, stellten die Männer eine klare Forderung. Geld gegen Informationen. Doch selbst wenn der Fremde ihnen das Geld in den Rachen warf, wollten sie nichts sagen. Sie wollten ihn veralbern, denn sie nahmen den Mann mit den eisigen Augen nicht ernst. Und das zeigten sie ihm sehr genau.

“Nun, meine Herren. Ich kann ja ihr erbärmliches Leben verschonen, wenn sie die Güte haben, mir zu helfen.”

Entsetzt, fast schon empört, weiteten die Männer die Augen. Sie trauten diesem Schönling nicht zu, dass er ein Schwert führen konnte, zumal er nicht einmal eines bei sich trug.

Sie hingegen waren gut ausgebildete Krieger. Sich also von so einer halben Portion bedrohen zu lassen, grenzte schon an Beleidigung.

“Was hast du Knirps gesagt?”

Der Casanova hatte es geschafft. Seine Worte hatten die Männer soweit provoziert, dass diese angriffslustig zu ihren Waffen griffen und sich auf den Mann mit den eisigen Augen stürzen wollten.

Seufzend sah der Schönling die Männer an, die mit ihrer Aggressivität die Frauen erschreckten.

“Die Männer hier haben wirklich keine Manieren”, flüsterte er und drehte sich zu den Damen um.

“Ich kläre das nur schnell, meine Damen. Bitte warten sie so lange auf mich.”

Charmant, wie schon vor dieser Eskalation, verbeugte sich der Casanova und nahm den Frauen, nur mit seiner Art, die Angst.

“Folgen sie mir bitte, meine Herren. Draußen lässt sich besser regeln, was es zu regeln gibt.”

Das charmante Lächeln war aus dem Gesicht des Schönlings verschwunden, als er das Lokal verließ und in eine kleine, dunkle Seitengasse ging.

Unauffällig folgten die Männer ihrem Opfer. Doch im Gegensatz zu dem Schönling wurden sie nie wieder lebendig gesehen.
 

Lhikan seufzte. Vor ihm stand ein Korb voll Lebensmittel, und dieser sollte zum Tempel von Yagi-sensei. Doch er konnte den Laden nicht verlassen, denn es war noch lange nicht Feierabend. Die Lebensmittel mussten aber vor dem Abendessen an ihrem Bestimmungsort ankommen. Er hatte keine andere Wahl gehabt, als Erenya um die Auslieferung zu bitten. Ihr alleine den Laden zu überlassen war das schlimmere Übel.

Für den Weg hatte Lhikan ihr deswegen wichtige “Befehle” gegeben.

“Also, Erenya, hast du alles verstanden?”

Lächelnd nickte das Mädchen und griff zu dem Korb.

“Sprich nicht mit Fremden! Geh mit niemandem mit! Geh auf direktem Weg zum Tempel und wieder zurück! Hast du das wirklich verstanden?”

Erneut lächelte die Puppe den übervorsichtigen Händler an und nickte. Er wusste nicht, ob sie wirklich verstanden hatte, was er ihr gesagt hatte. Im Grunde konnte er nur abwarten und hoffen.

Zweifelnd sah er dem Mädchen nach, das seinen Laden mit dem Lebensmittelkorb verließ.

“Ich hoffe sie hat es wirklich verstanden”, flüstert er und wandte sich, bei ihr mit seinen Gedanken, der Arbeit zu.
 

Wie versprochen war Erenya auf dem direkten Weg zum Tempel gegangen. Obwohl der Korb schwer war, hatte sie sich geweigert, ihn abzustellen und eine Pause zu machen. Selbst die Männer, die sie angesprochen hatten, hatte sie einfach ignoriert.

‘Lhikan wird sicher stolz auf mich sein’, dachte sich das Mädchen und ging zum Eingang.

Wenn sie in die Küche wollte, musste sie durch den Garten. Wie sie dahin kam, wusste sie genau. Sie liebte den Garten, auch wenn der Baum scheinbar nicht mehr lebte. Vielleicht half ihre Gesellschaft, so wie Mizu und die Gesellschaft des Samurai ihr geholfen hatte.

Sie versank in Gedanken, denn irgendwie musste sie dem Krieger doch danken. Es musste angemessen sein, seiner würdig. Nur wusste sie nicht, was das sein könnte oder wie teuer es vielleicht war.

Unsanft wurde Erenya aus ihren Gedanken gerissen, als jemand sie am Arm packte und wegstieß. Es ging alles so schnell, so dass sie nur wahrnahm, wie etwas Festes auf Metall prallte.

Fragend sah die Puppe zu dem Mann mit weißem Schal auf. Kerzengerade stand er schützend vor ihr, die Hand auf dem Griff seines Katanas gelegt. Sein Blick war starr in eine Richtung gerichtet. Irgendwas hatte gescheppert, soviel stand für das Mädchen fest. Vielleicht hatte jemand aus Versehen einen Stein nach ihr geworfen.

Suchend sah Erenya auf den Boden und erblickte schließlich ein schwarz lackiertes Stäbchen, nach dem sie vorsichtig ihre Hand ausstreckte.

“Fass das nicht an.”

Als sie die Stimme des Mannes mit den lilafarbenen Haaren hörte, zuckte sie zurück. War mit diesem Stäbchen etwas nicht in Ordnung?

Noch ein paar Sekunden verweilte der Samurai schützend vor Erenya, bis er entschied, dass die Gefahr vorüber war. Dennoch ließ er seine Vorsicht nicht vollkommen fallen und bückte sich zu dem Mädchen so herunter, dass er das Sichtfeld auf sie versperrte.

Doch ihr gegenüber zeigte er nichts von dieser Vorsicht. Er tat nur so, als würde er ihr mit dem Lebensmittelkorb helfen.

“Du solltest vorsichtiger sein. Dieses vergiftete Stäbchen war gezielt für dich bestimmt.”, erklärte er leise und mit gesenkter Stimme.

Die Puppe war verwundert und verstand nicht ganz, warum jemand vergiftetes Essbesteck nach ihr werfen sollte. Doch wenn man sie angegriffen hatte, musste sie dem Krieger wohl dankbar sein.

“Danke…”

Sie stockte, denn sie wusste seinen Namen nicht. Und Mizu hatte ihr erklärt, dass zu einem anständigen Dank auch der Name gehörte.

“Saito… Hajime.”
 

Fluchend hatte sich Akazumi aus dem Tempel zurückgezogen. So eine Gelegenheit wie eben gerade bekam sie sicher nicht noch einmal. Sie war froh gewesen, dass sie das Mädchen, das Daren ihr beschrieben hatte, gefunden hatte. Davon, dass sie ein paar Samurai als Bodyguards hatte, hatte Daren nichts gesagt.

Akazumi wusste nicht, was sie mehr ärgerte. Die Tatsache, dass das Mädchen einen Beschützer hatte, oder die Tatsache, dass dieser verdammt gut aussah.

Wütend riss sich das Ninjamädchen ihre schwarze Maske vom Kopf und enthüllte ihr langes, braungelocktes Haar. Ihre grünen Augen fixierten einen willkürlichen Punkt am Boden, während sie sich das Aussehen des hübschen Kämpfers in Erinnerung rief. In Ihrer Erinnerung wehte sein seidig wirkendes Haar im leichten Wind. Jede einzelne Haarsträhne wurde von hellrosafarbenen Kirschblütenblättern umspielt und hob das elegante Bild des Schalträgers nur noch mehr hervor.

Es war ihr absoluter Traumprinz. Sie konnte doch nicht gegen den Traum ihrer schlaflosen Nächte kämpfen. Wie sollte sie ihren Auftrag und ihr noch nicht vorhandenes Liebesleben nur unter einen Hut bekommen?

“Diese Welt ist so grausam! Warum nur? Was habe ich unschuldige Auftragskillerin getan, dass ich nun dazu verdammt bin, gegen meinen Freund zu kämpfen?!”

Sie verabscheute ihr Schicksal, doch sie konnte nur hoffen, dass Saito sie mal bemerkte und mit ihr Händchen hielt. Dass sie einen Auftrag hatte, war vorerst unwichtig.
 

So wie Lhikan es gewollt hatte, lief Erenya an der linken Seite von Harada in Richtung Lhikans Laden. Wahrscheinlich hatte sich der Händler das ganz anders vorgestellt, aber nachdem Saito dem Speerkämpfer erklärt hatte, was im Garten passiert war, wollte dieser sie nicht mehr alleine lassen. Egal was die Puppe auch sagte, er wollte sie sicher zum Laden bringen.

“Ich weiß, dass es dir unangenehm ist und es tut mir auch leid, aber wenn du in Gefahr bist, muss dich jemand beschützen.”

Erenya schwieg. Es mochte ja sein, dass das, was der Krieger sagte, richtig war, aber warum sollte man sie angreifen? Sie kannte hier niemanden und konnte doch noch niemanden verärgert haben.

“Wie… Wie heißt du eigentlich?”

Verlegen sah Erenya zu Boden und lief neben Harada her. Sie wollte sich bei ihm bedanken, doch dazu brauchte sie seinen Namen.

Und es verwunderte den Krieger, denn wirklich viel Persönliches hatte das Mädchen noch nicht von ihm wissen wollen. Doch es freute ihn auch, denn durch den Namen kamen sie sich ein kleines Stückchen näher.

“Harada Sanosuke. Und wie ist deiner?”

Immer noch verlegen sah Erenya zu Boden. Lautlos formte sie seinen Namen mit ihren Lippen und prägte ihn sich ein. Irgendwann würde sie ihn sicher brauchen.

“Attarath Erenya.”

Ihre Stimme war nur ein leises Flüstern, als sie Harada ihren Namen nannte, doch er verstand ihn auch so ganz gut und musste schmunzeln.

“Eri-chan also”, hauchte er und lächelte das Mädchen an, das vollkommen steif neben ihm herlief.

War ihr seine Anwesenheit vielleicht unangenehm? Mochte sie ihn nicht? Oder vertraute sie ihm und seinen Fähigkeiten vielleicht nicht?

“Sag, Eri-chan, warum bist du so steif? Habe ich was falsch gemacht?”

Erschrocken und ertappt fuhr die Puppe zusammen und blieb stehen. Sie selbst hatte nicht bemerkt, wie versteift sie in seiner Gegenwart war. So war sie doch auch nicht die Tage zuvor gewesen.

“Du hast nichts falsch gemacht, Harada-kun. Es sind nur die ganzen Umstände hier. Dieses… ungewohnte Leben.”

Langsam lief sie wieder los und holte den Abstand auf, den sie zu Harada hatte.

“Ist es hier so anders als Zuhause bei dir?”, fragte der Krieger.

Jetzt wo sie scheinbar bereit war zu reden, wollte er doch mehr von ihr erfahren.

“Sehr viel anders. Bei mir scheint immer die Sonne. Morgens weht der kühle Wind durch meine Vorhänge und trägt die Lieder der Vögel zu mir. Wenn ich dann aufstehe, begrüßt mich die Sonne und hüllt mich in ihre stärkende Wärme. Von meinem Fenster aus kann ich in meinen Garten sehen, in dem viele bunte Blumen das ganze Jahr über blühen. Und in der Mitte des Gartens steht der Kirschbaum, den einst mein Vater mit meiner Mutter gepflanzt hat. Ich liebe diesen Baum, sein schützender Stamm ist so warm und die Rinde so weich. Manchmal, wenn ich mir die Blumen zu lange angeguckt habe, schlafe ich dort ein.”

Harada konnte den verträumten Blick in Erenyas Augen sehen. Was sie beschrieb, klang wie das Paradies, und so ein Paradies gab es hier auf Erden nicht. Der Krieger war sich sicher, dass an Erenyas Beschreibung etwas nicht stimmte, doch sie schien so glücklich über diese utopische Welt zu sein, weswegen er ihre Worte nicht Lügen strafen wollte.

“Dieser Ort klingt viel zu perfekt, um wahr zu sein”, antwortete er stattdessen mit einem Lächeln.

Ohne Hemmungen sah ihn das Mädchen an. Sie war locker geworden, nicht mehr so steif, und sie lächelte ihn auf die unschuldigste Weise an.

“Irgendwann zeige ich dir mein Zuhause.”, erklärte sie mit den unschuldigen Worten eines naiven Kindes.

Es tat Harada weh, denn er wusste, dass er diese Welt niemals sehen würde. Und Erenya selbst würde sie wohl nur in ihren Träumen sehen können. Niemand konnte in einer Welt, wie sie beschrieb, leben. So eine Welt war nur eine Lüge, eine Illusion, doch traute er sich nicht, ihr das zu sagen.
 

“Endlich habe ich dich gefunden!”

Mit einem Lächeln lief ein rothaariger Mann mit eisblauen Augen auf Erenya und Harada zu.

Fragend sah der Krieger zu dem Mädchen, das ihn mit demselben fragenden Gesichtsausdruck ansah. Für ihn war also offensichtlich, dass Erenya den jungen Mann nicht kannte.

Schützend stellte er sich etwas vor Erenya und sah den Mann an.

“Wen hast du gesucht?”

Das Misstrauen war in Harada erwacht, denn weder er noch Erenya kannten den Schönling. Und doch sprach er einen vor beiden so vertrauensvoll an.

“Das Mädchen natürlich. Männer liegen nicht so in meinem Interessenbereich.”

Charmant lächelte der Mann zu Erenya, die sich schutzsuchend mehr hinter Harada schob.

Der Krieger wusste auch, wieso das Mädchen dies tat. Etwas an diesem Mann war nicht koscher. Irgendwas stimmte ganz und gar nicht mit ihm.

“Was willst du von ihr? Und woher kennst du sie?”

Harada kannte den Mann nicht. Er wusste auch nicht, wozu dieser fähig war, und was er von Erenya wollte.

“Mir wurde aufgetragen, sie zu finden und zurück in ihre Heimat zu bringen. Ich kenne sie so gesehen also gar nicht. Aber das ist auch nicht wichtig, denn es ändert nichts daran, dass ich sie besser kenne als du. Das Mädchen, dass du zu kennen glaubst, ist nichts weiter als eine schöne Fassade.”

Die Worte des Fremden waren absurd, auch wenn er Recht damit hatte, dass Harada das Mädchen nicht kannte.

Doch er musste sie auch nicht kennen, um sie beschützen zu wollen.

“Wer bist du?”

Ernst ruhten Haradas goldbraune Augen auf dem Schönling, der selbstsicher vor sich hingrinste. Obwohl Erenya sicher hinter ihm stand, schienen seine eisblauen Augen Haradas Körper zu durchdringen und sie zu fixieren.

“Kleines Engelchen… Versteck dich nicht vor mir. Ich bin ein Freund und will dich nur nach Hause bringen. Lass von diesem barbarischen Volk ab und komm mit mir.”

Langsam setzte sich der Mann in Bewegung und näherte sich Harada, der der Puppe immer noch als Schild diente.

Bereit, das Mädchen zu beschützen, legte Harada seine Hand auf den Griff seines Katanas. Wenn er gewalttätig werden würde, so würde auch Harada in der Sprache antworten, die er am besten beherrschte. Selbst auf die Gefahr hin, dass Erenya danach nie wieder mit ihm reden würde. Solange er sie in diesem Augenblick beschützen konnte, war es ihm gleich, was die Konsequenzen waren.

“Du willst dich wirklich hinter diesem Wurm verstecken? Vertraust du ihm so sehr? Würdest du ihn wirklich sterben lassen?”

Ein kaltes Lächeln zierte das Gesicht des Mannes, der nun doch auf halben Weg stehen blieb. Harada verstand nicht ganz, was dieser bezweckte, doch schienen seine Worte bei dem naiven Mädchen zu fruchten.

Langsam trat sie aus Haradas Schatten hervor und näherte sich in kleinen Schritten dem Schönling, der sich schon seines Sieges sicher war.

“Braves Engelchen.”
 

Haradas Augen weiteten sich, als Erenya mit jedem Schritt näher auf ihren sicheren Untergang zulief. Der Samurai wusste nicht, wie viel von dem, was der Junge sagte, wirklich wahr war. Er wusste es wirklich nicht, denn er kannte Erenya nicht. Doch er sah, wie traurig ihre Augen schimmerten, als sie sich dem Schönling näherte. Es war eindeutig, dass sie das nicht wollte. Und das war alles, was er wissen musste, selbst wenn das Mädchen ihm nicht vertraute.

Blitzschnell reagierte der Samurai und lief auf das Mädchen zu. Er würde sie nicht gehen lassen, nicht mit diesem Typen.
 

Erenya zuckte zusammen, als sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Fragend sah sie neben sich, wo Harada stand und ernst zu dem Schönling sah.

“Vertrau mir, nur dieses eine Mal”, flüsterte er ihr zu, ohne seinen Blick von dem Jungen abzuwenden.

Stattdessen nahm er seine Hand von Erenyas Schulter und überließ ihr diese Entscheidung.

Staunend sah sie in das ernste, kämpferische Gesicht des Kriegers. Obwohl sie den Worten des Fremden glaubte, vertraute sie Harada auf eine seltsame Weise. Sie traute ihm zu, dass er sie wirklich beschützen konnte.

Als Zeichen dafür, wie sie sich entschieden hatte, hob sie ihre Arme und klammerte sich schutzsuchend an den Größeren, neben ihr fest.

“Du traust diesem jämmerlichen Wurm wirklich zuviel zu, Engelchen. Es tut mir leid, dass du auf diese Weise erfahren musst, wie grausam die Regeln dieser Welt sind.”

Ungeachtet dessen, wo sie sich befanden, öffnete der Mann den Stoffgürtel seines Yukatas und warf sich diesen vom Körper.

Er hatte seine menschliche Robe abgelegt und stand in einer Rüstung vor ihnen, die überwiegend aus schwarzen Federn bestand. Es war nur zu deutlich, dass dieser Kerl nicht von hier kam.

“Wer bist du?”

Harada hatte noch nie so eine Rüstung gesehen und konnte damit auch nicht einschätzen, wie gut sein Gegenüber kampftechnisch war. Er musste hoffen, dass er nicht so gut war, dass er ohne seinen Speer alt aussah.

“Bring dich in Sicherheit, Eri-chan. Ich regele das.”

Da das Puppenmädchen ihm ihr Vertrauen schenkte, wollte er sie nicht enttäuschen und ließ sich seine eigene Unsicherheit nicht anmerken.

Das Mädchen nickte, löste sich von seinem Arm und rannte in eine Seitengasse, von der aus sie das Aufeinandertreffen der beiden Kämpfer beobachten konnte.
 

Verborgen vor den Blicken aller lag unter der Federrüstung das Schwert des Schönlings. Er hatte eigentlich nicht vorgehabt, es erneut ziehen zu müssen, aber der Krieger vor ihm forderte ihn heraus. Er hatte keine andere Wahl.

Zielsicher griff er unter das Federkleid und zog geräuschvoll das Katana aus seiner hölzernen Schwertscheide.

“Mach dich bereit, hier zu sterben, menschlicher Narr.”

Im Gegensatz zu den Augenblicken zuvor schwand die Freundlichkeit aus der Stimme des Schönlings. Seine eisblauen Augen verloren jeden menschlichen Glanz und die Haltung seines Körpers erinnerte Harada an Erenya, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte.

‘Sie scheinen doch ein paar Gemeinsamkeiten zu haben. Aber die sind gerade irrelevant. Sie will nicht zu ihm und ich werde nicht zulassen, dass er auch nur einen Finger an sie legt.’

Nichts konnte seinen Entschluss, für das Mädchen zu kämpfen, noch erschüttern. Er war sich zu hundert Prozent sicher was er tun musste.

Mit puppenhafter Eleganz stürzte sich der Schönling auf Harada und ließ gezielt sein Schwert auf dessen Kopf niedersausen. Blitzschnell zog Harada sein eigenes Schwert und blockte den Angriff ab.

Stille machte sich auf der sonst so belebten Straße breit. Nur das Geräusch aufeinander schlagenden Metalls durchschnitt die Stille.

Jedes Mal, wenn Harada einen Schlag von dem Mann abwehrte, wich dieser wieder zurück und holte zu einem neuen Schlag aus.

Seine Bewegungen waren so schnell und flüssig, dass Harada selbst nur dazu kam, seine Angriffe zu blocken. Es gab keine Lücke in seiner Verteidigung, oder bei seinen Angriffen.

“Du wirst sie nicht beschützen können, wenn du nur abblockst.”

Kaum dass der fremde Krieger das gesagt hatte, ließ dieser wieder sein Schwert auf Harada herabsausen.

Kräftiger als zuvor prallte seine Klinge auf die von Harada, der zum ersten Mal das Gefühl hatte, zu unterliegen. Während er wohl über kurz oder lang Probleme haben würde, diese Schläge auszuhalten, schien es dem Schönling nicht schwer zu fallen, mehr und mehr Kraft in seine Schläge zu setzen und den anderen das Leben schwer zu machen.
 

Ängstlich sah Erenya zu Harada, der, so gut es ihm möglich war, versuchte, sich zu wehren. Selbst sie als Laie erkannte, dass Harada unterlegen war und diesen Kampf verlieren würde, wenn nicht ein Wunder geschah.

‘Wenn du nicht die Kraft hast, jemanden zu beschützen, wie willst du dann dein eigenes Leben gestalten?’

Laut und deutlich hörte Erenya die ihr unbekannte Stimme in ihrem Kopf. Sie war weiblich und sanft, doch gleichzeitig klang sie ernst und fordernd.

‘Vertraue auf dich und du wirst anderen wahres Vertrauen schenken können.’

Erenya schluckte, denn die Stimme schien zu wissen, dass sie bereits an ihrer Entscheidung zweifelte. Sie vertraute nicht auf ihre Entscheidung und damit auch nicht auf Harada.

‘Du kannst etwas tun, um ihn zu retten, aber du musst es jetzt tun.’

Diese Stimme, sie klang so selbstsicher und sie schien auch mehr Vertrauen in Erenya zu haben, als sie es selbst anderen entgegenbrachte. Sie musste das lernen und können, wenn sie hier leben wollte.

In ihren Gedanken versinkend, sah das Puppenmädchen weiter zu den Kämpfenden.

Haradas Abwehr wurde schwächer, seine Reaktionsgeschwindigkeit ließ nach und schließlich wurde er von einem Schlag zu Boden geschickt.

“Das war’s, Menschenwurm.”

Erenya zitterte, als sie diese Worte aus dem Mund des Fremden hörte. Harada durfte nicht sterben. Nicht hier, nicht heute, nicht wegen ihr.

Ohne darüber nachzudenken, rannte sie aus ihrem Versteck und stellte sich, gerade als der Schönling sein Schwert erhob und auf Harada runtersausen lassen wollte, zwischen die beiden Männer.
 

Obwohl er den letzten Schlag gegen seinen Gegner tun wollte, hielt er in seiner Bewegung inne. Er konnte nicht glauben was er sah, als er auf das schwarze Haupt des Mädchens blickte. Er musste gestehen, dass er ihr das nicht zugetraut hätte. Schließlich hatte sie sich ihm als Zielscheibe angeboten und opferte sich für diesen menschlichen Wurm. Nur wegen ihr konnte er dem Krieger nicht zeigen, wo sein eigentlicher Platz war.

“Falscher Moment, Engelchen”, seufzte er und ließ sein Schwert sinken.

Unter diesen Umständen hatte alles keinen Sinn mehr. Dem Mädchen durfte nichts passieren, dennoch stand der Krieger im Weg, der nicht zulassen würde, dass sie ging. Und sie stand ihm im Weg, wenn er den Krieger ausschalten wollte. Es war eine verzwickte Lage. Ein Rückzug war so gesehen das taktisch klügste, was er heute noch tun konnte.

“Fein, ihr habt gewonnen!”, erklärte er und schob sein Katana zurück in die Schwertscheide unter seinem Federgewand.

“Hey, Kriegerwurm. Wir klären das ein anderes Mal. Merk dir bis dahin meinen Namen. Mugen Koji.”

Der Mann in der Federrüstung wandte sich von den Beiden ab und verließ die belebte Straße durch eine kleine Seitengasse.
 

Erleichtert ließ Erenya die Schultern hängen. Ihr war klar, in was für eine gefährliche Situation sie sich gebracht hatte, doch es war ihr geglückt. Sie hatte Harada vor dem Tod bewahrt.

Lächelnd drehte sie sich zu dem Kämpfer um, doch er erwiderte nur mit einem bösen Blick. Ihr Lächeln wich. Hatte sie etwas falsch gemacht? Hatte sie ihn in seiner Kämpferehre verletzt? Sie wusste es nicht. Was sie aber wusste, war, dass Harada ihr scheinbar böse war.

“Weißt du, wie gefährlich das war, was du gemacht hast?”, ruhig, aber doch erzürnt stellte Harada ihr diese Frage.

Das Puppenmädchen nickte nur, denn sie wusste wirklich, wie gefährlich ihr Handeln gewesen war.

“Dann scheinst du nicht sehr am Leben zu hängen, wenn du so etwas Unüberlegtes tust! Was hättest du getan, wenn dieser Mugen nicht innegehalten hätte?”

Ein wenig unsanft packte Harada, nachdem er aufgestanden war, das Mädchen am Handgelenk und sah ihr in die amethystfarbenen Augen. Er wollte sehen, was sie empfand. Was sie vielleicht dachte. Doch alles, was er in ihren Augen sah, war Traurigkeit.

Widerwillig ließ er sie los und sah weg. Diesen traurigen Anblick konnte er einfach nicht ertragen, nicht von dieser Frau, die ihm gerade das Leben gerettet hatte. Er konnte ihr so nicht mehr in die Augen sehen.

“Lass uns gehen. Du musst zurück zu deiner Arbeit.”
 

Schweigend liefen Erenya und Harada nebeneinander her. Keiner von ihnen traute sich, auch nur ein Wort zu sagen. Harada wollte sie nicht noch mehr verletzen, als er es wohl so schon getan hatte, und Erenya traute sich nicht, ihm überhaupt etwas zu sagen. Sie schwiegen den ganzen restlichen Weg lang, bis sie schließlich vor Lhikans Laden standen.

“Da sind wir.”

Es war das erste Mal, seit dem Vorfall, dass Erenya wieder Haradas Stimme hörte. Sie hörte aber nicht heraus, ob er noch wütend auf sie war, denn seine Stimme war neutral.

“Danke…”, flüsterte sie leise und lief zum Eingang.

Sie traute es sich nicht einmal, Harada anzusehen. Ihr war es unangenehm.

“Vielleicht… sehen wir uns ja wieder… im Tempel”

Erenya blieb stehen, als sie die Worte von Harada hörte. Er wollte sie also wieder sehen. Hieß das, dass er ihr nicht so sauer war, wie sie dachte?

“Und… Danke, weil du mein Leben gerettet hast.”

Das Herz des Puppenmädchens machte einen Hüpfer. Er hatte ihr nicht nur verziehen, nein er war ihr auch dankbar.

Mit einem Lächeln drehte sich Erenya zu ihrem Helden um und näherte sich ihm. Sie war gerade glücklich.

“Ich danke dir auch, dass du mir geholfen hast. Du bist mein persönlicher Held.”

Ein verwegenes Lächeln zierte Haradas Gesicht. Das Mädchen hatte Recht, doch mit dieser Tat würde er sich nicht schmücken. Als ehrenvoller Kämpfer war es einfach seine Pflicht gewesen.

“Dann sind wir quitt”, erklärte er schließlich lächelnd.

Dennoch verwunderte es ihn, dass Erenya ihm weiterhin näher kam und nicht einfach in den Laden ging, wo sie doch gerade ihre Verabschiedung zelebriert hatten. Erst vor ihm blieb sie stehen und sah ihm in seine goldbraunen Augen.

Vorsichtig stellte sie sich auf ihre Zehenspitzen und näherte sich seinem Gesicht. Sanft drückte sie ihre weichen, schmalen Lippen auf seine Wange und liebkoste sie, so dass dem Kämpfer die Röte in die Wangen schoss.

“Jetzt sind wir quitt”, hauchte das Mädchen ihm noch zu, ehe sie sich von ihm abwand und in den Laden ging.
 

Yuki war froh, als sie endlich vor dem Quartier der Roshigumi stand. Sie hatte es dank der Beschreibung des Jungen, der auf den Namen Ibuki Ryunosuke hörte, gefunden. Er hatte ihr auch gleich gesagt, mit wem sie sprechen sollte, wenn sie etwas Wichtiges zu klären hatte. Nun musste sie nur noch diesen Kondou und Hijikata finden.

“Entschuldigung, kann ich ihnen helfen?”

Freudig drehte sich Yuki zu dem Mann um, der sie angesprochen hatte. Er schien in seinen besten Jahren zu sein, war wahrscheinlich über 40, und seine warmen Augen verrieten ihr, dass sie wohl gleich an den richtigen Mann geraten war.

“Guten Tag! Ich wollte zu einem Kondou-san und Hijikata-san.”

Yuki hatte genug Zeit verschwendet, weswegen sie sofort auf den Punkt kam, was den älteren, braunhaarigen Mann sehr verwunderte.

“Was möchte eine so junge, liebreizende Dame wie sie von so einem kämpferischen Verein wie der Roshigumi?”

Noch hatte sich der Name der Roshigumi nicht in Kyoto herumgesprochen. Niemand kannte sie, und doch stand dieses Mädchen vor ihm und verlangte ihn und seine rechte Hand Hijikata.

“Weil es wirklich wichtig ist. Ich suche etwas hier in Kyoto, und ich bin auch nicht die Einzige, die es sucht.”

Die Worte des Mädchens weckten die Neugier in dem älteren Mann. Ihn interessierte nun, was dieses Mädchen, und scheinbar auch andere Leute, in Kyoto suchten. Vielleicht war genau dies die Gelegenheit, um sich zu beweisen und einen Namen zu machen.

“Es ist etwas, das in den falschen Händen zu einer gefährlichen Waffe werden kann.”

Der ernste Blick, den das Mädchen hatte, zeigte dem gediegenen Roshigumi-Oberhaupt, dass diese Geschichte vielleicht auch seine rechte Hand interessieren dürfte.

Die Geiko mit dem Schwert

Ernst fixierten Yuki die amethystfarbenen Augen des Kommandanten der Roshigumi. Er schien sie förmlich mit seinem ernsten Blick durchbohren zu wollen, so dass Yuki ein eiskalter Schauer über den Rücken fuhr.

‘Er schaut mich an, als wüsste er, dass ich nicht menschlich bin.’

Yuki schluckte, sie sah zwar, dass der Mann vor ihr ein reines Herz hatte, das hatte ihr auch schon Kondou versichert, aber dennoch verbreitete Hijikata Toshizou eine fast schon dämonische Aura.

“Was wollen sie von der Roshigumi?”

Gnadenlos kam der schwarzhaarige Kommandant, der nur mit ihr und Kondou Isami, einem Anführer der Roshigumi, alleine im Zimmer saß, zum Punkt.

Kurz schloss Yuki ihre blauen Augen. Sie überlegte, wie sie am besten erklären konnte, worum es ging.

“Es ist schwer zu erklären, denn es ist eine sehr lange Geschichte.”

Yuki hielt einen kurzen Moment inne und schluckte. Sie wusste, dass sie nicht die ganze Wahrheit erzählen konnte. Das konnte sie nicht riskieren, denn vor ihr saßen zwar zwei reine Seelen, aber auch Menschen.

“Mein Volk lebt nicht hier. Wir kommen von weit her und leben an einem Ort, den niemand außer den Onis kennen. Mein Volk jagt diese Onis im Namen unseres Gottes. Zumindest war das so, bis ein Mann sein Haupt erhob und unseren blinden Gehorsam in Frage stellte. In kürzester Zeit gelang es ihm, eine Rebellion anzuzetteln, doch er unterlag unseren stärksten Kämpfern und wurde mit seinen Anhängern verbannt. Zurück ließ er seine Frau und Tochter. Jahrelang wurde jedes Mitglied seiner Familie gebrandmarkt, bis einer unserer Oberhäupter das Geheimnis und Vermächtnis des Rebellenführers erkannte. Ein Erbe, dass seine Nachfahren durch ihr Blut weiterreichten.”

Leicht biss sich Yuki auf die Unterlippe. Die Sätze kamen ihr bleischwer von den Lippen, denn mit jedem Wort, dass sie noch sagen würde, würde sie auch die Sünden ihres Volkes offenbaren.

“Man nennt die Gabe bei uns das “Sehen”. Der Rebell war in der Lage, Ereignisse aus der Zukunft zu sehen und dieses Wissen zu seinen Gunsten zu nutzen. Diese Gabe wurde an alle seine Nachfahren weitergereicht. Im Kampf gegen die Onis war uns dies eine nützliche Waffe, allerdings…”

Der Schneeengel krallte seine Hände im Schoß zusammen. Sie hasste das Wissen, das sie besaß. Sie hasste das, was sie dem Puppenmädchen und all ihren Vorfahren angetan hatten.

“Ein Seher sieht nicht nur die Bilder. Er fühlt sie auch. Wird jemand in einer Vision umgebracht, durchlebt der Seher diesen Todeskampf. Ist jemand in einer Vision verliebt, so werden diese Gefühle zu denen des Sehers.

Das alles war meinem Volk bekannt, und doch haben sie das sehende Geschlecht zu einer Armee herangezüchtet. Sie wollten immer abgesichert sein, dass es jemanden gab, der sie vor Angriffen der Onis warnen konnte. Aber viele wurden durch ihre Visionen in den Wahnsinn oder Selbstmord getrieben.

Stück für Stück verschwand die sehende Armee und übrig blieb nur eine Frau. Sie wurde gehütet wie ein Schatz, denn sie trug ein Kind unter ihrem Herzen. Immerhin war sie die letzte Hoffnung für den Plan einer sehenden Armee.”

Wieder musste Yuki innehalten. Langsam kam sie dem eigentlichen Problem näher. Dem Grund dafür, warum sie tun musste, was sie eben getan hatte.

“Die Frau starb aufgrund eines Regelbruchs. Das Mädchen ähnelte dem Rebell so sehr, dass es fast schon unheimlich war. Doch als Baby nutzte ihre Gabe niemandem. Sie musste erst wachsen und ihre Fähigkeiten gedeihen lassen. Deswegen zogen unsere Oberhäupter sie groß, eingesperrt in einen goldenen Käfig. Als sie fünf Jahre alt war, war sie schließlich in der Lage, Visionen zu empfangen. Tag für Tag gaben sie ihr den Sehersaft, quälten und folterten sie, nur damit sie genug Bilder aus der Zukunft sah. Tag für Tag hallten ihre Schreie durch die Hallen des Palastes. Tag für Tag… bis… ihre Schreie verstummten.

Niemand weiß was sie genau getan hatten, aber sie hatten es geschafft. Ihr Wille war gebrochen. Sie war nur noch eine Hülle, die alles tat, um ihr Leben zu beschützen. Vielmehr noch, sie war eine lebende Puppe, die gehorsam war und stumm jedem Befehl der Obrigkeit folgte.”

Schweigend hatten Kondou und Hijikata den Ausführungen des Mädchens zugehört. Beide ahnten, worauf ihre Geschichte hinauslief und was, oder besser wen, sie verloren hatte.

“Ich konnte das nicht mehr länger mit ansehen. Sie lebte in einer kleinen, perfekten Lügenwelt, die sie ihr einsuggeriert hatten. Von einigen meiner verlässlichen Quellen wusste ich, dass es fern unserer Heimat ein Dorf gibt, das weder von unseren Leuten noch von den Onis gekannt wird. Ich wusste, dass dies ihre einzige Chance war, ein richtiges Leben zu führen. Deswegen habe ich sie von meinem eigenen Volk entführt. Doch etwas lief schief. Man hat mich bemerkt und verfolgte uns. Nur mit Mühe sind wir meinen Landsleuten entkommen, aber… ich habe sie auf der Flucht verloren.”

Die Stimme des Engels wurde brüchig. Sie war es, die Schuld an dieser ganzen Sache hatte. Es war ihr Versagen gewesen.

“Sie ist also irgendwo hier in Kyoto, wenn ich das richtig verstehe?!”, setzte Hijikata an, als er merkte, dass Yuki wohl nicht mehr so viel zu sagen hatte.

Stumm nickte der Engel und starrte auf den Holzboden. Sie wusste, was sie getan hatte, und sie wusste auch, was für Probleme noch auf sie zukommen würden.

“Hm… Wer weiß noch alles von eurer Flucht? Nur die Leute deines Volkes?”

Yuki wusste nicht richtig, wie sie Hijikatas ernste Worte deuten sollte. Sie klangen aber nicht danach, dass er mit ihr schimpfen würde.

“Nicht nur mein Volk. Gestern habe ich erfahren, dass auch ein Mann namens Daren sie sucht. Er scheint selbst schon einige Männer nach ihr suchen zu lassen.”

In allen Einzelheiten erklärte sie, was sie in dem Lokal gehört hatte, woher sie den Namen Daren kannte, und warum sie nun hier war.

“Alleine finde ich sie nicht. Bitte! Bitte helft mir, bevor ihr etwas passiert.”

Tief verbeugte sich der Schneeengel vor den beiden Männern. Sie waren die einzige Hoffnung, die sie noch hatte.

“Hör auf damit, Yuki-chan. Wir werden dir helfen. Nicht nur weil du uns darum bittest, sondern auch, damit niemand mehr dem Mädchen wehtun kann.”

Erstaunt hob Yuki ihren Kopf und sah in das lächelnde Gesicht Kondous, der, ohne groß zu überlegen, zugesagt hatte. Prüfend sah das Mädchen zu Hijikata, dessen Miene sich zwar nicht aufgehellt hatte, der ihr mit einem Nicken aber dennoch sagte, dass auch er helfen würde.

“Ich danke euch!”, wisperte der Engel und wischte sich verstohlen ein paar Freudentränen weg.

Endlich hatte sie etwas erreicht. Endlich konnte sie neue Hoffnung schöpfen.
 

Wie auf der Erde üblich war die Sonne unter- und wieder aufgegangen. Ein neuer Tag hatte den alten abgelöst und nahm für die Menschen in Kyoto seinen Lauf. Auch für das Ninjamädchen Akazumi verhieß der neue Tag, dass sie neue Taten vollbringen konnte.

Für den heutigen Tag hatte sie sich ein großes Ziel gesetzt. Sie wollte ihren Traumprinzen ansprechen. Fest hatte sie sich vorgenommen, heute wie ein normales Mädchen durch die Straßen zu laufen. Sie schlüpfte in ihren dunkelblauen Yukata, band sich die braunen Haare zusammen und befestigte sie mit einer roten Spange, die sie von ihrer Mutter, die ebenfalls ein Ninja gewesen war, vererbt bekommen hatte.

“Heute habe ich ein Date mit meinem Schatz~!”, summte das Ninjamädchen in ihren Gedanken und lächelte in ihr vergilbtes Spiegelbild. Eigentlich sah sie in dem Spiegel nicht viel von ihrem hübschen, natürlichen Selbst. Der Spiegel war alt, milchig, und der Staub war schon so verkrustet, dass alles Schrubben schädlicher war, als ihn einfach so zu lassen.

Freudestrahlend lief Akazumi zu ihrer Tür und öffnete diese. Ein Lied lag auf ihren Lippen, das sie auch für alle anderen hörbar, summte.

“Heute treffe ich dich mitten ins Herz, nein, mein Schatz, das ist kein Scherz~! Heute treffe ich dich auf die Lippen und am Abend darfst du für mich strippen~!”

Wieder und wieder summte Akazumi diese Zeilen, während sie das Haus verließ und sich auf die Hauptstraße Kyotos begab.

Woher sie wusste, dass sie heute ihren Prinzen wiedersehen würde, war ein Berufsgeheimnis. Um genau zu sein, war es eine Technik, die sie von ihrer Mutter gelernt hatte. Ja, Akazumis Mutter war eine der Besten gewesen. Sie war demnach in große Fußstapfen getreten, und bisher füllte sie diese ganz gut aus.

“Schneller, Shinpachi! Sie sind hier entlang gelaufen!”

Sie hatte es gewusst. Schon von weitem hörte sie die Stimme ihres schaltragenden Prinzens. Unter Tausenden hätte sie diese weiche, kämpferische Stimme wiedererkannt.

‘Ich komme, Schatzi~!’

Fröhlich stieß sich Akazumi vom Boden ab und rannte in die Richtung, aus der die Stimmen gekommen waren. Es lief alles wie geplant, na ja fast, die schurkischen Samurai, die sie vor Saito und Shinpachi weglaufen sah, waren alles andere als geplant gewesen. Im Gegenteil. Sie hinderten Akazumi daran, ihren Prinzen anzusprechen.

‘Diese Schmeißfliegen!’, murrte sie wütend und schob sich am Oberschenkel ihren Yukata etwas zur Seite und zog vier Stäbchen hervor.

‘Regel Nummer 1: Sei immer vorbereitet.

Regel Nummer 2: Steh einem Ninja niemals im Weg.’

Schneller als zuvor lief Akazumi in eine Gasse. Sie kannte jeden Winkel in Kyoto und wusste, wohin der Fluchtweg der Samurai führen würde. Dank ihrer Schnelligkeit hatte sie auch gleich noch den Vorteil, dass sie sich in aller Ruhe verstecken und ihre Störfaktoren ausschalten konnte.

Flink wie eine Katze kletterte Akazumi auf ein Dach und legte sich auf die Lauer.

Es dauerte nicht lange, da kamen auch schon die schurkischen Samurai mit gezogenem Schwert angelaufen.

“Sind sie hinter uns? Gib das Zeichen!”

Ein kurzer Pfiff ertönte, kaum, dass einer der Samurai was von einem Zeichen gesagt hatte.

Akazumis Sinne schärften sich, denn es roch nach einem gefährlichen Hinterhalt.

Tiefer rannten die zwei Samurai, dicht gefolgt von Saito und Shinpachi, in die Gasse hinein, bis sie schließlich stehen blieben.

Konzentriert begutachtete das Ninjamädchen jeden Winkel, jeden Schatten der Gasse und machte schließlich eine kleine Gruppe von Samurai aus, die nur auf ihre Gelegenheit warteten.

‘So haben wir nicht gewettet. Regel Nummer 3: Locke niemals meinen Schatz in einen Hinterhalt.’

Vollkommen sicher bei dem was sie tat, lief das Ninjamädchen lautlos über die Dächer und warf in schnellen Abständen, dennoch sehr zielsicher, ihre Stäbchen.

Noch im Laufen zog sie von ihrem anderen Bein vier weitere Stäbchen hervor. Vier von acht Störobjekten hatte sie beseitigt, um den Rest wollte sie sich hautnah kümmern.

Ohne groß darüber nachzudenken, sprang sie auf eine Mauer auf der anderen Seite der Gasse und kletterte diese behände runter.

“Oi! Was ist mit euch? Steht auf!”

Panisch sah einer der Verbliebenen auf seine Kumpels, die blutend am Boden lagen. Obwohl Akazumi ziemlich weit entfernt gewesen war, hatte sie doch sehr genau die Hauptschlagader am Hals getroffen.

“Wo kam das her?”

Mit geweiteten Augen sah sich der Verbliebene um. Hatten sie die Roshigumi unterschätzt? Waren doch mehr Kämpfer hier?

“Urgh…”

Ein Geräusch, das einem Gurgeln glich, der Geruch von frischem Blut, all das vermischte sich mit dem Dunst der Kriminalität in dieser Seitengasse.

“Argh…”

Es würden hier weniger lebend rauskommen, als hergekommen waren.

Verängstigt sah der letzte der Hinterhaltsgruppe hinter sich, wo er das braungelockte, wehende Haar der Attentäterin sah, die genüsslich das Blut seiner Kumpane von ihrem Stäbchen leckte.

Viel zu ruhig fixierten ihre giftgrünen Augen ihn. Er wusste, dass er sterben würde, wenn er jetzt versuchte, wegzulaufen.

Mit zitternden Händen umklammerte er das Schwert, das er schon vor dem Angriff des Mädchens gezogen hatte. Er hatte nur eine Chance.

“Miststück!”, fluchte er und stürzte sich auf das Ninjamädchen, das vollkommen ruhig stehen blieb.

Etwas scharfes zerteilte die Frucht, blutend fiel die kleinere Hälfte zu Boden, während die andere nur zur Seite kippte.

“Danke für das Kompliment”, hauchte Akazumi dem enthaupteten Körper entgegen und hob das Stäbchen in ihrer Hand, womit sie schließlich eine dünne, unsichtbare Schnur, die sie an zwei Stäbchen in der Wand befestigt hatte, zerteilte.

Der Hinterhalt war missglückt, und ebenso Akazumis Versuch, ihrem Liebsten zu begegnen. Sie hatte ihren Kopf erhoben und sah zu den Kämpfenden. Nun musste sie sich keine Sorgen mehr machen, aber… Ihr Blick glitt zu ihrem Yukata. Er war mit Blut befleckt.

Seufzend wandte sich Akazumi von den Leichen ab und zog die Stäbchen aus der Wand. Wütend darüber, dass sie sich beschmutzt hatte, lief sie über die leblosen Körper, die ihr noch im Weg lagen. So konnte sie sich doch nicht ihrem Prinzen zeigen.

‘Später…’, flüsterte sie sich in Gedanken zu, auch wenn sie nicht so wirklich daran glaubte.
 

Finster sah der schaltragende Schwertkämpfer tiefer in die Gasse hinein. Er nahm das warme Blut, das auf kleinen Stellen an seinem Hals trocknete, nicht mehr wahr, denn seine Aufmerksamkeit lag woanders.

“Diese verdammten Rônin…”, knurrte sein Partner, der sein Schwert an den Sachen der Leiche vor ihm abwischte.

“Findest du es nicht auch seltsam, Shinpachi? Ich hätte schwören können, dass wir in einen Hinterhalt gelockt werden.”

Ohne auf die Antwort zu warten, lief Saito tiefer in die Gasse hinein. Selbst die Dunkelheit konnte seinen geschärften Blick nicht trügen, sodass er recht schnell den fleischigen Berg lebloser Körper erblickte.

“Was meinst du damit? Hey, Saito, warte!”

Eilig lief der muskulöseste der Roshigumi, Nagakura Shinpachi, hinter seinem Gefährten her, stockte aber, als auch er den Menschenberg sah.

“Das sollten wir Hijikata-san und den anderen melden”, flüsterte Shinpachi, der selbst als erfahrener Kämpfer bei diesem Anblick schlucken musste.

Doch sein Partner hatte andere Pläne und ging näher zu dem Haufen. Etwas hatte seine Aufmerksamkeit geweckt.

Vorsichtig trat Saito über die leblosen Körper, bis er schließlich das fand, was er von weitem gesehen hatte. Langsam bückte er sich und hob ein schwarz lackiertes Stäbchen vom Boden auf.

“Wir sollten wirklich mit Hijikata-san reden.”

Shinpachi war verwundert, denn was genau sein Mitstreiter entdeckt hatte und ahnte, wusste er nicht.
 

Schon seit dem Morgen stand Erenya in Lhikans Laden und füllte die Ladenbestände auf. Das Mädchen war tief in ihrer Gedankenwelt versunken, während sie die monotone Arbeit verrichtete.

Ihre Gedanken drehten sich um Harada, der sie am Tag zuvor zurückbegleitet und sie beschützt hatte. Mizu und Lhikan hatte sie noch nichts davon erzählt, sie wollte beiden auch keinen Kummer machen. Es reichte doch schon, dass Harada sich um sie sorgte. Mehr sollten es auch nicht werden.

‘Warum wurde ich angegriffen…. Und was wollte dieser Koji von mir? Er sagte, er wollte mich nach Hause bringen.’

Wie zu Stein erstarrte Erenya inmitten ihrer Bewegung. Ihr Körper hörte nicht mehr auf sie, denn in Gedanken war sie woanders, weit weg in einer anderen Welt.
 

Es war ihr kleines Paradies, in dem sich das Mädchen wiederfand.

Sie wusste, dass es nicht so sein konnte, doch nur allzu deutlich spürte sie das warme Sonnenlicht und den seichten Wind auf ihrer Haut.

Friedlich sangen die Vögel ihre Liebeslieder und umkreisten verspielt die Äste des Kirschbaumes, der in der Mitte eines Blumenmeeres stand.

In ihrem unschuldigen Herzen fühlte Erenya, dass sie Zuhause war. Alles hier war ihr so vertraut und hieß sie allein willkommen.

“Verliere dich nicht in dieser Vision, Erbin des Sehergeschlechts. Wir haben dich gerufen, um dich zu warnen. Verlasse die Stadt, lasse hinter dir, was dich binden könnte, sonst wirst du all jenen, die du in dein Herz geschlossen hast, großes Unheil bringen.”

Kaum dass die fremde Singsangstimme das erste Wort ausgesprochen hatte, fuhr ein stärkerer Wind durch Erenyas schwarzes Haar.

Das Mädchen schluckte, denn diese Worte, diese Warnung, waren wie eine böse Beschwörung.

“Verlasse die Stadt und lasse zurück, was das Schicksal dir sonst gewähren könnte.”

Wie ein hungriger Schwarm Heuschrecken umzingelte die Stimme das Mädchen. Wieder und wieder forderte sie eindringlich, dass sie Kyoto verlassen sollte. Immer schmerzhafter drangen die Worte in ihren Kopf ein, bis die Dunkelheit alles war, was zurück blieb.
 

“Ist alles in Ordnung?”

Erst ganz leise, doch immer lauter werdend, durchdrang die ihr wohl vertraute Stimme die Dunkelheit. Langsam wich diese aus Erenyas Gedanken, so dass das Mädchen sich schnell wieder bewusst wurde, wo sie sich befand.

Fragend sah das Mädchen neben sich, wo sie in das lächelnde Gesicht Haradas sah.

“Geht es dir gut, Eri-chan?”, fragte er freundlich und hielt ein Päckchen Tee hoch, das Erenya noch vor wenigen Minuten in der Hand gehalten hatte.

Noch immer war ihr etwas schwummrig, weswegen sie Harada einfach nur ansah.

“Ich war gerade in der Nähe und wollte nachsehen, wie es dir geht.”

Besorgt sah der Krieger das Mädchen vor sich an, das einmal tief einatmete. Er fragte sich, was passiert war, das sie so verstört hatte.

“Oi! Sano-san, beeil dich, sonst gehen wir ohne dich!”

Verwundert sah Erenya an dem Krieger vorbei und blickte zur Tür, durch die ein Junge mit braunem, langem Haar sah.

“Geht schon vor, ich habe noch was zu tun!”, brummte Harada, ohne den Jungen, der bis über beide Ohren grinste, anzusehen.

“Sag deiner Freundin, dass wir darauf achten, dass du nichts anstellst.”

Kaum dass der Junge das gesagt hatte, nahm er die Beine in die Hand. Er schien Harada gut genug zu kennen, um zu wissen, wie er auf so einen Spruch reagieren würde.

“Verdammter Heisuke!”, grummelte der Samurai und ballte die Hand zur Faust.

Es war ihm schon unangenehm, was sein Freund da gesagt hatte, zumal er nicht wusste, wie Erenya darauf reagieren würde.

“Ihr scheint wirklich gute Freunde zu sein”, kicherte das Mädchen zu Haradas Erleichterung.

“Einer meiner besten Freunde, auch wenn er manchmal über das Ziel hinausschießt. Aber er ist eben noch jung.”

Die Sorgen waren aus Haradas Gesicht gewichen, als er das Mädchen kichern hörte. Er redete sich ein, dass sie vielleicht einfach überarbeitet war.

“Magst du etwas mit mir spazieren gehen?”

Obwohl Harada wusste, dass seine Freunde auf ihn warten würden, hatte er kein besonderes Verlangen danach, sich zu beeilen. Vielleicht lag es an der Gesellschaft, mit der sie feiern würden.

“Ich… kann ja Lhikan fragen, ob ich eine Pause machen darf.”

Harada liebte, auf eine ganz spezielle Weise, dieses unschuldige Lächeln des Mädchens. Es zeigte ihm, dass es ihr gut ging, dass sie keine Trauer oder keinen Schmerz empfand.

“Geh nur, Erenya! Aber geh nicht zu weit weg und bleib immer auf der Hauptstraße! Und geh nicht mit Fremden mit!”

Erenya seufzte wegen der Worte des Händlers, der alles mit angehört hatte und ihr die Erlaubnis gab, ohne dass sie fragen musste.

“Und sie, junger Mann, passen mir bloß gut auf meine Angestellte auf.”

Schamesröte stieg Erenya in die blassen Wangen. Peinlicher konnte Lhikan gerade wirklich nicht sein.

Schnell griff das Mädchen nach Haradas Arm und zog ihn aus den Laden raus.

“Also, Harada-kun. Wohin gehen du und deine Freunde? Ich kann dich ja bis dahin begleiten.”

Da war es wieder, dieses unschuldige Lächeln, das sich mit dieser verlegenen Röte vermischte.

Harada merkte, wie auch ihm das Blut in die Wangen schoss, weswegen er seinen Kopf leicht abwandte.

“Na ja, der Ort, wo ich hin will, ist eigentlich kein Ort für dich, Eri-chan. Dort sind viele betrunkene Männer. Wer weiß, wozu die fähig sind.”

Harada meinte es ernst. Er würde nicht ruhigen Gewissens feiern können, wenn er wusste, dass Erenya alleine im Rotlichtviertel herum lief.

“Mir wird schon nichts passieren, keine Sorge, Harada-kun.”

Sie war so unschuldig, so naiv wie eine blühende Kirschblüte. Wie ein Kind, das die Grausamkeit dieser Welt noch nicht erblickt hatte.

“Was feiert ihr eigentlich?”

Harada wusste nicht, ob Erenya wirklich der Grund ihrer Feierstimmung interessiert, oder ob sie nicht nur versuchte, vom Thema abzulenken. Es freute ihn aber, dass sie ihn überhaupt fragte.

Ganz ungezwungen erzählte er ihr davon, wie die Roshigumi ohne einen Schutzherren nach Kyoto gekommen war, und dass sie nun vom Aizu-Clan die Unterstützung bekamen, die sie zum Verbleib in Kyoto brauchten.

Erenya hörte seinen Worten aufmerksam zu. Sie schien sich nicht einmal zu langweilen, im Gegenteil, sie zeigte aufrichtiges Interesse.

Nachdem Erenya ihm von ihrer utopischen Welt erzählt hatte, zeigte er ihr nun seine.

Langsam, wirklich sehr langsam, begann Harada dem Mädchen sein Herz zu öffnen und sie zu einem Teil seiner Welt zu machen.
 

“Nun habe ich dich doch bis hierher mitgenommen!”

Seufzend stellte Harada fest, dass er den ganzen Weg über nur mit Erenya gesprochen und dabei aus den Augen verloren hatte, wohin er eigentlich genau ging. Ohne es bemerkt zu haben, war geradewegs ins Rotlichtviertel gelaufen.

Doch anhand von Erenyas Kichern, begriff er, dass sie genau das bezweckt hatte.

“Du bist ganz schön hinterhältig”, merkte er mit einem Lächeln an.

Ändern konnte er es jetzt sowieso nicht mehr. Und obwohl es seine Kriegerehre verbot, musste er sie auch wohl oder übel den ganzen Weg alleine zurück gehen lassen.

“Ich wünsche dir und deinen Freunden eine schöne Feier, Harada-kun.”

Lächelnd sah sie den Krieger an, der gerade mit sich selbst rang. Doch in den amethystfarbenen Augen des Mädchens sah er, dass sie ihm nicht erlauben würde, mit ihr zurückzugehen. Diese Feier war ein Teil seiner kriegerischen Welt, einer Welt, in der es nur wenig Platz für Frauen oder Mädchen wie Erenya gab. Sie hatte nur durch dieses kleine Gespräch verstanden, wie wichtig ihm seine Welt war. Sie respektierte es und wollte ihn nicht aus dieser herausreißen.

“Pass auf dich auf, Eri-chan. Versprich es mir.”

Ernst sah er ihr in die Augen. Er wollte das Versprechen sehen, er wollte es hören. Erst dann konnte er etwas beruhigter die Feier genießen.

“Ich verspreche es dir, Harada-kun. Und nun geh deine Feier genießen, deine Freunde warten sicher schon auf dich.”

Es war seltsam. Nicht einmal das ernst gemeinte Versprechen von Erenya beruhigte ihn. Doch er musste sie ziehen lassen, auch wenn es ihm schwer fiel.
 

Eilig lief Erenya die Hauptstraße entlang. Die Atmosphäre in dem sogenannten Rotlichtviertel gefiel ihr ganz und gar nicht. Überall roch es nach Sake und Schnaps, und von den Betrunkenen, die über die Straße torkelten, wollte sie gar nicht reden. Sie wollte einfach nur weg von hier, und am besten war es, wenn sie auch nie wieder herkommen musste.

Wenn sie ehrlich war, hatte sie schon etwas Angst alleine in diesem Viertel. Jeder erschien ihr hier wie ein potentieller Mörder oder Dieb.

Schneller lief das Mädchen die Hauptstraße entlang, sie achtete nicht einmal mehr auf den Weg und rannte einfach so schnell, wie es ihre Kräfte zuließen.

Hauchzart streifte sie den Arm eines Mannes, an dem sie gerade vorbeilief, doch sie hatte viel zu große Angst, um stehenzubleiben und sich zu entschuldigen.
 

Mit ernstem Blick sah Kurokage Daren dem Mädchen nach, das ihn soeben am Arm gestreift hatte. Sie lief einfach weiter, entschuldigte sich nicht einmal mit einem Ruf. Er roch ihre Angst, und obwohl er wusste, wer dieses Mädchen war, machte er sich nicht die Mühe, ihr zu folgen. Die Tatsache, dass er sie heute hier gesehen hatte, reichte ihm vollkommen. Nun wusste er mit absoluter Sicherheit, dass sie hier war.

Es war somit nur eine Frage der Zeit, bis seine Bluthunde sie zu ihm trieben.

‘Lauf, kleiner Engel. Lauf um dein Leben!’
 

Die Feier der Roshigumi war mehr als ausgelassen. Der Sake floss förmlich in Strömen, und wo man hinsah, saßen die Geikos mit kleinen Sakefläschchen neben den Männern und bedienten sie.

Nur eine Geiko saß abgesondert von den anderen in der Ecke und beobachtete die Feiernden. Sie war alles, was zwischen den Damen und einer ungewollten Blutspende stand, auch wenn sie sich nicht von den anderen unterschied. Wie die anderen auch trug sie den Yukata in den Farben ihres Lokals, und auch die Frisur war auf dieselbe Art hochgesteckt und gebunden wie die der anderen.

Dennoch ging sie nicht demselben Geschäft wie ihre Kolleginnen nach.

Leise wurde die Tür zum Zimmer geöffnet und eine weitere Geiko in Begleitung einer Maiko bat darum, den Feiernden Gesellschaft zu leisten. Genauestens beobachtete die Geiko, die alleine in der Ecke saß, das Geschehen. Sie kannte die kleine Maiko, deren Name Kosuzu war. In der Regel war sie bei den Gästen gern gesehen, doch heute war sie definitiv an den falschen Mann geraten.

Die einsame Geiko bekam nicht mit, was die kleine Kosuzu getan hatte. Sie sah nur noch, wie Serizawa, eine der führenden Personen der Roshigumi, sich erhob und die Maiko anschrie.

“Miststück! Weißt du, mit wem du sprichst?!”

Die Geiko war bereit, denn der Zorn und die Brutalität Serizawas waren viel zu deutlich aus dessen Worten herauszuhören.

“Wie kannst du, eine niedere Maiko, es wagen, in diesem Ton mit mir zu reden?”

Die Einsame machte sich bereit, denn die Lage der kleinen Maiko wurde immer ernster, und keiner der restlichen Männer schien eingreifen zu wollen. Es war also wie üblich an ihr, etwas zu unternehmen. Sicher griff die Geiko hinter ihren Rücken, wo unter dem Obi ihr treues Kodachi verborgen lag. Sie war bereit, diesem Serizawa die Kehle aufzuschlitzen, wenn er nicht sofort inne hielt.

Doch ihr Eingreifen wurde unnötig, als einer der Gäste schützend Partei für die Maiko ergriff. Dennoch ließ die Geiko ihre Vorsicht nicht fallen, denn der Junge, der eingriff, sah nicht so aus, als würde er sonderlich viel ausrichten können.

Es war sein Glück, dass die anderen Anwesenden nun eingriffen, denn sonst hätte Serizawa hier vor Ort sein Leben verloren.

“Na, na! Komm schon, Serizawa-san! Das sollte eine Feier sein.”

Mit einem gespielten Lächeln versuchte einer der Krieger, Serizawa zu beruhigen, und es schien auch zu funktionieren.

Nur um sicher zu gehen, dass auch bei den anderen Geikos alles in Ordnung war, sah sie sich um und bemerkte, dass eine ihrer Kolleginnen auf sie zukam.

“Chia-chan, bitte geh nach den anderen Gästen gucken. Wir kommen hier schon zurecht”, flüsterte ihre Kollegin ihr zu.

Nur widerwillig erhob sich die Schwertträgerin und verließ, kurz nach der Maiko, den Raum.
 

Wie üblich ertönten die Lieder der Betrunkenen auf der Straße Kyotos. Es war der späte Abend, und die schwerttragende Geiko lief allein durch die dunklen Gassen. Sie kannte das Risiko, dass es gab, wenn man nicht auf der Hauptstraße blieb, doch sie hatte genug Vertrauen in ihre Fähigkeiten.

Im Gegensatz zu den anderen Geikos musste sie sich keine Sorgen machen. Doch plötzlich blieb sie inmitten des Weges stehen. Etwas stimmte nicht. Sie spürte es in jeder Faser ihres Körpers. Vorsichtig griff sie zu ihrem Obi, dahin, wo der Griff ihres Schwertes war.

Jemand folgte ihr, und diese Person wollte es scheinbar nicht einmal heimlich tun, denn selbst jetzt wo sie stehen blieb, näherte sich das Individuum Schritt für Schritt.

“Verdammt, mir ist der Schuh aufgegangen!”, zischte die Geiko gespielt und bückte sich.

Mitten in der Bewegung zog sie auch ihr Kurzschwert aus dem Obi und umklammerte es kampfbereit.

‘Put Put Put. Nur noch ein kleines Stückchen.’

Zeitgenau wartete das Mädchen ihre Chance zum Angriff ab. Sie war nicht diejenige, die in dieser Gasse sterben würde. Soviel stand für sie fest.

Kaum dass der Gegner nahe genug hinter ihr stand, holte die Geiko mit ihrem Kurzschwert aus und schwang es in die Richtung der unteren Körpermitte des Gegners.

Es war dieser eine Moment, in dem sie begriff, dass sie wohl zum ersten Mal in ihrem Leben einen wirklich begabten Schwertkämpfer gegenüber stand. Geschickt war ihr der Muskelprotz, den sie trotz der Dunkelheit als einen von Serizawas Männern ausmachte, ausgewichen.

“Oi! Pass auf!”

Es waren seine Worte, die so verächtlich in ihren Ohren klangen und sie dazu brachten, ihn mit ihren haselnussbraunen Augen so hasserfüllt anzusehen.

“Du verletzt vielleicht noch jemanden damit.”

Die Geiko atmete tief ein, als sie seine Worte hörte. Er machte sie so wütend, doch sie wollte ihr Schwert nicht mit wutvernebelten Sinnen führen.

Ruhig griff sich das Mädchen in die schwarzen Haare und riss sie sich von ihrem Kopf, wodurch ihre eigentlichen langen seidig-blonden Haare offenbart wurden.

“Du solltest dir lieber deinen Atem sparen und weglaufen.”

Das erste Mal an diesem Abend hatte die blonde Geiko ihre kalte, feminine Stimme erklingen lassen. Das erste Mal, hatte sie ihre Worte direkt an jemanden gewandt.

“O-Oi, warte! Ich wollte nur mit dir reden!”

Hektisch hob der groß gewachsene Muskelprotz die Hände, um dem Mädchen zu demonstrieren, dass er sein Schwert nicht ziehen wollte.

“Falscher Ort dafür, Sonnenschein.”

Kampfbereit ging die Blonde in ihre gewohnte Kampfposition. Noch einmal holte sie tief Luft, ehe sie den ersten Schritt tat und auf ihren Gegner zulief.
 

Shinpachi hatte keine andere Wahl, als sein Schwert zu ziehen und sich gegen die schnellen, geschickten Angriffe des Mädchens zu wehren.

Er war fasziniert von ihr, denn obwohl sie sich äußerlich, mit der Perücke, kaum von den anderen Geikos unterschied, war sie doch anders. Schon im Lokal hatte er das Kurzschwert, das sie unter ihrem Obi versteckt trug, bemerkt. Er war sich auch sicher gewesen, dass sie es gegen Serizawa eingesetzt hätte, wenn nur die Gelegenheit dagewesen wäre. Und auch jetzt, gegen ihn, setzte sie die bläulich glänzende Klinge des Schwertes ein, weil er ihr die Gelegenheit gegeben hatte.

“W-Warte! Ich will dir nichts tun!”

Wieder und wieder versuchte das Muskelpaket, sie mit Worten zu überzeugen. Denn eigentlich war dieser Kampf nicht das, was er gewollt hatte. Doch die blonde Geiko hörte nicht auf ihn. Im Gegenteil, jedes Mal, wenn er es im Guten versuchte, setzte sie zum Tiefschlag an. Er konnte froh sein, dass sie nur ein Schwert und er genug Schnelligkeit zum Ausweichen hatte.

Sie war so stur, die kämpferische Amazone. Er hatte nur eine Wahl, wenn er in Ruhe mit ihr reden wollte. Er musste sie hier und jetzt besiegen, ohne sie aber zu verletzen.

Schnell ging Shinpachi auf Abstand und machte sich bereit für seinen Angriff. Er würde nicht verlieren, das kam absolut nicht in Frage.

Sehr genau studierte er die Bewegungen des Mädchens. Er ahnte, wie der nächste Angriff aussehen würde und wusste auch schon, wie er ausweichen und sie zu Fall bringen musste.

Als sie erneut auf ihn zulief und mit ihrem Schwert ausholte, war es seine Chance. Er duckte sich unter dem Schwert weg und schlug dem Mädchen mit der stumpfen Rückseite des Katanas in die Seite. Wie er es sich gedacht hatte, war sie viel mehr auf den Angriff als auf die Abwehr trainiert. Und das wurde ihr zum Verhängnis. Sie konnte nicht rechtzeitig reagieren und wurde von seinem Schlag regelrecht zur Seite, gegen eine Hauswand, gestoßen.
 

Erst als die Geiko das brüchige Holz einer Hauswand an ihrem Rücken spürte, bemerkte sie auch, wie viel Kraft sie ihre unentwegten Angriffe gekostet hatten. Und scheinbar hatte sie nichts gegen den Muskelprotz ausrichten können. Doch ihre Ehre verbot es ihr, jetzt aufzugeben. Keuchend stützte sie sich an ihrem Kurzschwert ab und versuchte sich wieder aufzurichten, doch als sie den Kopf hob, spürte sie bereits die scharfe Spitze seines Katanas am Hals.

“Es tut mir leid, dass ich ein wenig barsch bin, aber ich will wirklich nur reden.”

Ernst und eindringlich drangen die Worte des Muskelprotzes, der sein Schwert wegzog und zurück in die Scheide steckte, zu ihrem Ohr vor.

“Also, kleine Geiko. Wie ist dein Name?”

Sie überlegte kurz, befand aber, dass dieser Mann nicht zu den schurkischen Samurai gehörte, auch wenn sein Aussehen sich kaum von denen unterschied.

“Man nennt mich Chia. Oder auch die schwerttragende Geiko.”
 

Mizu hatte bereits den Tisch für das Abendessen gedeckt. Heute sollte Lhikan mit den Mädchen zu Abend essen, als Dankeschön, dass er Erenya in seinem Laden arbeiten ließ. Sicher brauchte der Händler nicht mehr lange zu ihnen, denn soweit war der Laden nicht von Mizus Zuhause entfernt.

Insgeheim erhoffte sich Mizu aber auch ein paar Informationen, wie sich das Mädchen im Laden anstellte. Sie konnte es schließlich nicht ertragen, wenn Lhikan mehr Verluste als Gewinne wegen ihrer Mitbewohnerin hatte. Noch dazu war sie in den letzten zwei Tagen immer etwas seltsam gewesen, was bei Erenya eigentlich ein Normalzustand war. Aber so wie in den letzten Tagen war es eben noch nie gewesen.

Klappernd riss sie die Tür aus ihren Gedanken. Jemand hatte geklopft und sie wusste auch, wer dieser Jemand war.

Mit einem Lächeln auf den Lippen schob sie die Tür auf und sah zu dem Händler.

“Du weißt doch, dass du einfach reinkommen kannst. Warum klopfst du immer noch?”

Ein Lächeln lag auf Lhikans Gesicht. Er wusste, dass Mizu ihm das sagen würde. Doch heute hatte er eine gute Ausrede für sein Verhalten parat.

“Noch bin ich im Dienst. Ich soll eine Lieferung für das Fräulein Attarath abgeben.”

Lächelnd hielt er seiner Freundin ein kleines Kästchen, auf dem ein kleines zusammengerolltes Papier lag, hoch.

“Ist die Dame denn hier?”

Eigentlich erübrigte sich die Frage, denn als er in das Zimmer spähte, sah er bereits das Mädchen, das am Tisch saß. Mizu dachte, dass Lhikan dem Mädchen ein Geschenk für ihre gute Arbeit machen wollte, weswegen sie Platz machte und den Händler hereinließ. Dieser ging auch sofort zu Erenya, nahm ihre Hand und legte vorsichtig das Kästchen hinein.

“Man muss sich das vorstellen. Kurz vor Ladenschluss kommt so ein rothaariger Mann in mein Geschäft und fragt nach Erenya. Als ich ihm sagte, dass sie bereits Feierabend habe, kaufte er das kleine Präsent und bat mich, es ihr zu geben.”

Neugierig sah Mizu zu ihrer Mitbewohnerin, die einfach nur nachdenklich auf das Kästchen sah. Sie wusste nichts von irgendwelchen rothaarigen Männern, die das Mädchen kannte. Immerhin sprach Erenya nie über ihre Erlebnisse des Tages.

“Das klingt ja stark nach einem Verehrer. Was ist in dem Kästchen drin?”

Mizu wusste, dass dem Händler der Inhalt bekannt war, schließlich hatte er es verkauft. Fragend sah sie ihn deswegen an und wartete auf seine Antwort.

“Ein rosafarbenes Seidenhaarband.”

Mizu stockte der Atem, als sie das hörte, und ihr Blick glitt zu Erenya, die das Kästchen öffnete und das Haarband rauszog.

“Steht auf dem Papier vielleicht ein Name?”

Das Mädchen konnte sich nicht vorstellen, wen Erenya kennengelernt haben konnte, der so vermögend war, dass er ihr einfach ein Seidenband schenkte.

Erenya, die von dieser Welt keine Ahnung hatte und auch nichts mit dem Wert von Seide anfangen konnte, nahm eigentlich nicht aus Neugier, sondern mehr wegen Mizu das Papier und entrollte es.

“Kirschblüten würden dein Haar sicher gut zieren. Vielleicht tut es auch dieses Haarband.”

Das war alles, was auf dem Papier stand. Nirgends war ein Name verzeichnet, doch Erenya ahnte, wer ihr dieses Band zukommen lassen hatte. Doch sie wusste nicht, warum, denn sie hatte nicht das Gefühl, dieses Zeichen der Dankbarkeit verdient zu haben.
 

Durch Lhikan war das Abendessen etwas belebter als gewöhnlich gewesen. Sie scherzten und lachten, und so war der Abend schön ausgeklungen, auch wenn Erenya kaum ein Wort sprach und immer nur auf das Seidenband sah. Wie üblich hatte sie auch keine der Speisen angefasst, was Mizu immer mehr besorgte. Doch scheinbar störte es das Mädchen nicht. Sie wurde immer besorgter. Doch scheinbar störte es das Mädchen nicht. Sie war am frühen Morgen fit und auch heute war sie wieder bereit, im Quartier der Roshigumi aufzuräumen.

Zwei Tage waren seit ihrem letzten Hausputz vergangen und dreimal die Woche durften sie auf dem großen Tempelgebiet für ihr Geld arbeiten.

Mizu freute sich schon insgeheim auf diesen Tag, denn noch immer hatte sie vor, die Roshigumi mit ihrer guten Arbeit zu überzeugen und fest angestellt zu werden. Nebenbei konnte man sich vielleicht mit den Jungs vor Ort anfreunden und so einen privaten Bodyguard gewinnen. Solche Freunde waren in Zeiten wie diesen wertvoller als Geld.

Fröhlich lief Mizu mit einem Lied auf den Lippen Richtung Tempel. An ihrer Seite lief Erenya, die bedrückt auf den Boden sah. Mizu bemerkte, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Dieses Verhalten war selbst für ihre Mitbewohnerin unnormal.

“Was ist los, Erenya?”

Besorgt sah Mizu ihre Freundin an. Doch wie schon am Anfang ihrer Freundschaft schwieg sie nur und lief stumm weiter.

‘Warum fängt das schon wieder an?’, seufzte Mizu gedanklich und lief weiter.

Insgeheim hoffte sie aber, dass sich dieses Verhalten von Erenya wieder legen würde.
 

“Verdammt, diese Regeln sind dumm!”

Nur leicht nahmen Erenya und Mizu etwas von dem Gespräch der Krieger wahr. Die Jungs der Roshigumi hatten sich versammelt, um über die neuaufgestellten Regeln zu debattieren.

Das Einzige, was Erenya während des Schrubbens aufgenommen hatte, war, das derjenige, der sich nicht an die Regeln hielt, Seppuku begehen musste.

“Diese Verhaltensregeln sind definitiv zu streng”, moserte Harada, der wie sein Kumpel Shinpachi nicht viel von den Regeln hielt.

Doch mit Okita gab es auch Krieger, die scheinbar nichts gegen die Regeln hatten, auch wenn dieser deutlich machte, dass er sich nur für den Anführer Kondou daran halten würde.

“Wir werden diese Regeln wahrscheinlich für die neuen Rekruten brauchen, die zukünftig kommen werden.”

Saito hatte damit eigentlich schon den treffenden Punkt angesprochen. Die Roshigumi, die erst vor kurzem unter den Schutz des Aizu-Clans gestellt wurde, würde sicher auch neue Rekruten anheuern müssen. Je größer die Gruppe wurde, desto striktere Regeln würden sie brauchen, damit kein Chaos innerhalb der Gruppe ausbrach. Doch gleichzeitig legte man damit auch unliebsamen Mitgliedern einen Maulkorb um.

Außerdem betrafen diese Regeln auch die Diener der Anführer. Diener, die nicht einmal Mitglieder der Roshigumi waren. Auch das war ein Thema, was Okita ansprach, der Ryunosuke warnte, was Serizawas Taten für ihn bedeuten konnten.

“Ich bin weg, bevor ich in so etwas hineingezogen werde!”

Der Junge war sich sicher, dass er es schaffen würde, doch damit war er wohl eher ganz allein.

“Na schön, was halten denn die Damen, die uns so aufmerksam zugehört haben, davon?”

Mit einem Lächeln wandte sich Okita zu Mizu, die gerade ihren Lappen in den Eimer tauchte, um ihn wieder feucht zu machen. Sie hielt inne und sah zu dem Krieger, der sie indirekt beschuldigte, zu lauschen.

“Nun, erstens ihr redet so laut, dass wir kaum weghören können, wenn wir hier unsere Arbeit machen. Und zweitens empfinde ich diese Regeln zwar als streng, aber auch als in Ordnung. Jeder, der von den Regeln und den Konsequenzen des Nichteinhaltens hört, wird es sich zweimal überlegen, ob er beitritt. Von denen, die ihr dann noch rekrutiert, wisst ihr wenigstens, dass sie sich an die Regeln halten werden, um ihr Leben zu schützen.”

Ernst sahen die Männer das Mädchen an, das so unbeteiligt war und doch den Regeln so viel positives abgewinnen konnte.

“Außerdem, es beruhigt mich zu wissen, dass in der Roshigumi hart durchgegriffen wird, wenn jemand vom eigentlichen Ziel abweicht. Das macht euch sogar etwas sympathischer als die kaiserliche Armee.”

Das Mädchen hatte gesagt, was sie sagen wollte, und damit getan, was Okita verlangt hatte. Sie konnte sich nun also wieder ihrer Arbeit zuwenden und ihre Seite des Bodens fertig schrubben.

“Was ist mit dir, Eri-chan? Was hältst du von unseren Regeln?”

Mit einem Lächeln sah Harada zu der Puppe, die die ganze Zeit schweigend, ein und dieselbe Stelle wischte. Der Krieger merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Es hing eine Art depressive Aura über ihr.

“Eri-chan?”

Vorsichtig, weil sie nicht geantwortet hatte, sprach Harada das Mädchen erneut an.

Langsam erhob das Mädchen ihren Oberkörper und warf ihren Zopf, den sie mit dem Seidenband gebunden hatte, zurück.

“Es sind eure Regeln… Was sollte ich schon davon halten? Im Prinzip machen diese Regeln doch nur eines klar… Wer leben will, tut, was er tun muss, um leben zu können.”

Kurz hielt Erenya inne, ehe sie aufstand und den Lappen zurück in den Eimer warf.

“Ich mache diesen Abschnitt später weiter, Mizu.”

Fast schon so, als würde sie vor den Männern und Mizu fliehen wollen, griff sie den Eimer und lief um die Ecke, dahin wo keiner sie sehen konnte.

“Wie hältst du es nur mit ihr aus, Mizu-chan? Sie scheint ja eine ziemlich anstrengende Person zu sein”, spottete Okita und heuchelte Mitleid für Mizu.

Doch diese schüttelte den Kopf und sah in die Richtung, in die Erenya gegangen war.

“Eigentlich war sie in den letzten Tagen nicht so. Ruhig ist sie zwar immer, aber so bedrückt… habe ich sie noch nie erlebt.”

Harada nickte, denn auch er glaubte, dass er das Mädchen besser kannte. Irgendwas musste passiert sein, die Frage war nur, was genau.
 

Monoton schrubbte Erenya auf der anderen Seite des Gartens die hölzernen Böden. Sie seufzte, denn es gab etwas, das ihr seit der Nacht schwer im Magen lag. Doch sie traute sich nicht, mit Mizu darüber zu reden. Vielleicht lag es daran, dass sie ihre Entscheidung bereits getroffen hatte. Und mit diesem Entschluss konnte sie niemandem in die Augen sehen. Vielleicht war es das, was man ein schlechtes Gewissen nannte.

“Hier bist du, Eri-chan!”

Deutlich vernahm sie Haradas Stimme neben sich. Obwohl sie sich freute, denn Harada war ihr ein ebenso wichtiger Freund wie Lhikan und Mizu geworden, ignorierte sie ihn und schrubbte weiterhin den Boden.

Sie hoffte, dass wenn sie schwieg und Harada beharrlich ignorierte, er von selbst gehen und sie in Frieden lassen würde. Doch Harada war niemand, der sich ignorieren ließ oder ein betrübtes Mädchen sich selbst überließ.

Vorsichtig näherte er sich dem Mädchen mit den Amethystaugen und hockte sich vor sie hin, so dass es ihr unmöglich war, ihn zu ignorieren, wenn sie den Boden fertig machen wollte.

“Was ist denn los, Eri-chan? Hast du schlecht geschlafen? Oder ist gestern auf dem Heimweg etwas passiert?”

Ernst sah der Krieger das stumme Mädchen an. Sie antwortete aber wieder nicht und versuchte weiterhin krampfhaft, den Krieger zu ignorieren. Er seufzte, denn eigentlich wollte er schon gerne wissen, was los war. Die Vorstellung, dass Erenya traurig war und versuchte, alleine mit ihren Problemen klar zu kommen, missfiel ihm.

“Erenya, ich gehe nicht eher, bevor du mir gesagt hast, was los ist!”

Klar und deutlich sagte Harada, dass er sie nicht alleine lassen würde. Selbst wenn dies kein Kampf war, würde er nicht derjenige sein, der als erster aufgab. Und diese Botschaft kam auch bei Erenya an.

“Ich werde Kyoto verlassen… und nie wieder zurückkehren. Es wäre also besser, wenn du mich vergisst, Harada-kun.”

Das Grab der Vergangenheit

Harada hatte das Gefühl, dass ihn gerade ein Fels erschlagen hatte, als er Erenyas Worte vernommen hatte. Er verstand das Mädchen nicht, denn erst schwieg sie ihn an und nun verkündete sie, dass sie Kyoto für immer verlassen wollte.

“Wieso? Warum willst du Kyoto verlassen? Hat dir irgendjemand was getan? Ist es wegen Mugen?”

Ruhig sah er das Mädchen an, das immer noch mit gesenktem Haupt den Boden schrubbte. Erneut spielte sie das Spiel des Schweigens. Wie konnte Harada nur von ihr erfahren, was passiert war? Wieso wollte sie nicht reden?

Es machte Harada fuchsig.

“Jetzt rede doch mit mir, Eri-chan! Du kannst doch nicht einfach hier auftauchen, dich mit deiner engelsgleichen Art in die Herzen deiner Mitmenschen schleichen und dann verschwinden, als hätte es dich nie gegeben. Was ist verdammt noch mal passiert?”

Der Krieger wurde wütend, nicht auf das Mädchen, sondern auf die Tatsache, dass sie ihm scheinbar immer noch nicht alles anvertrauen konnte. Doch seine Worte trafen bei ihr einen empfindlichen Punkt. Er sah es, denn kleine Tränen kullerten ihre Wange hinab und tropften auf den Lappen. Harada verstand nun, dass sie eigentlich nicht gehen wollte.

Ohne wirklich darüber nachzudenken, hob der Krieger seine Arme und legte sie um das Mädchen, um es an sich heranziehen zu können.

Sanft drückte er den zierlichen Körper des Puppenmädchens an seinen und legte ihr sanft die linke Hand aufs Haupt.

“So lasse ich dich nicht gehen, Eri-chan. Wenn du weinst, bedeutet es, dass du gar nicht weg willst. Und mit Tränen im Gesicht werde ich dich nicht einfach so ziehen lassen.”

Mit dem Mädchen im Arm verweilte Harada eine ganze Weile. Er spürte die Tränen, die den Stoff seiner Sachen durchnässten und ihre Hände, die sich an ihm festkrallten. Sie klammerte sich verzweifelt an ihn, in der Hoffnung doch nicht gehen zu müssen, denn sie wollte ihn und ihre Freunde nicht verlassen.
 

Wie lange sie in seinen Armen lag und sich an seiner Schulter ausweinte, konnte Harada nicht sagen. Er spürte irgendwann nicht mehr die warmen Tränen auf seiner Haut, weil sein Oberteil bereits feucht genug an den betroffenen Stellen war. Doch er störte sich nicht daran. Er wollte die starke Schulter sein, an der sie sich ausweinen konnte. Er wollte der Mann sein, dem sie ihre Sorgen anvertraute.

“Es… tut mir Leid, Harada-kun. Aber… ich habe Angst, euch zu verlieren, wenn ich hier bleibe.”

Der Krieger spürte, dass das Mädchen sich ihm öffnen wollte. Er hoffte, nun zu erfahren, warum sie solche Angst hatte.

“Du wurdest wegen mir in einen Kampf mit diesem Mugen gezogen. Ich wurde angegriffen… Was wenn… Mizu und Lhikan etwas passiert? Was wenn… dir etwas passiert, Harada-kun?”

Fester krallte sich Erenya an dem Oberteil des Kriegers fest. Sie hoffte inständig, dass er sie nun verstehen und gehen lassen würde. Das alles war schließlich auch zu seinem Besten.

“Einfach zu gehen und vor dem Problem wegzulaufen, macht es auch nicht besser. Es gehört zum Leben dazu, sich seinen Problemen zu stellen.”

Sanft legte Harada den Daumen und Zeigefinger unter Erenyas Kinn und hob ihren Kopf vorsichtig an, um ihr in die Augen sehen zu können.

Sie wehrte sich nicht und ließ ihn gewähren, auch wenn sie nicht verstand, wieso.

“Ich bin immer für dich da, Eri-chan. Und wenn du jetzt immer noch gehen willst, muss ich dich wohl gefangen nehmen. Denn ich lasse dich erst gehen, wenn ich weiß, dass du nicht mehr in Gefahr bist. Hast du das verstanden?”

Ernst, als würde es um ihr Leben gehen, fixierten die goldbraunen Augen des Kriegers das Mädchen. Wie sollte sie ihm standhalten, diesem Mann, mit diesen Augen, die wie geschmolzenes Gold glühten?

Magisch zog er sie mit seinem Blick in seinen Bann. Es waren seine Augen, die sie verzauberten und ihr ein leichtes Kopfnicken abrangen.

“Schön. Du wirst also hier bleiben und dich nicht einfach heimlich wegschleichen?”

Erneut nickte sie. Gegen seine warmen, freundlichen Augen hatte sie einfach keine Chance.

“So ist es gut. Und nun sei nicht mehr so traurig und lächle wieder. Schließlich ist es ein Lächeln, das eine Frau wunderschön macht.”

Sanft wischte Harada mit seinem Handrücken die letzten Tropfen von Erenyas Tränen weg. Dieses Mädchen würde er jetzt nicht gehen lassen. Er würde sie beschützen, solange sie ihm erlaubte, in ihrer Nähe zu bleiben.
 

Mizu war froh, als sie endlich mit allen Böden fertig war, und hoffte inständig, dass es auch Erenya war. Doch viel mehr sorgte sie sich um das Mädchen, das seit dem Morgen wie ausgewechselt war. Sie konnte nur hoffen, dass Harada, der mit ihr reden wollte, irgendetwas herausbekam. Obwohl sie nicht wusste, seit wann Harada und Erenya sich kannten, hatte sie das Gefühl, dass er vielleicht der Einzige war, dem sie sich öffnen würde.

Das Mädchen seufzte und warf ihren Lappen zurück in den Eimer. Es war schon deprimierend zu wissen, dass die Mitbewohnerin einen nicht vertraute. Auf Dauer würde das sicher nicht gut gehen. Mizu fragte sich sogar, ob sie Erenya zu viel Zeit gab und sie nicht doch den ersten Schritt wagen sollte.

Zweifelnd hob das Mädchen den Eimer an und lief Richtung Küche, wo noch mehr Arbeiten auf sie wartete. Doch sie hielt inne, als sie Erenyas und Haradas Stimmen vernahm.

“Du hast dem Händler und Mizu-chan also noch nichts erzählt?”

Mizu wurde hellhörig, als sie ihren Namen hörte. Eigentlich war Lauschen nicht ihre Art, doch wenn Erenya nie mit ihr sprach, konnte sie vielleicht nur so erfahren, was mit dem Mädchen los war.

“Nein, wenn ich es ihnen erzähle, machen sie sich nur Sorgen. Ich will ihnen nicht noch mehr Kummer bereiten, als ich sowieso schon tue.”

Vorsichtig lugte Mizu hinter der Hauswand vor und sah zu Harada und Erenya, die nebeneinander saßen.

Das Puppenmädchen hielt den Putzlappen fest umklammert und sah starr nach vorne, während sie mit dem Krieger sprach, der sie keine Sekunde lang aus den Augen ließ.

“Sie sollten es dennoch erfahren, Eri-chan. Sie sind immerhin deine Freunde. Du musst deine Sorgen nicht alleine tragen. Man teilt mit Freunden alle Sorgen, Leid und auch alles Glück.”

Fest drückte sich Mizu an die Wand. Sie wollte nun wissen, warum sie sich genau Sorgen um Erenya machen musste.
 

Mizu war so sehr damit beschäftigt, Harada und Erenya zu belauschen, dass sie nicht merkte, wie jemand sich von hinten anschlich und langsam seine Hände nach ihr ausstreckte. Erst als sie eine der Hände auf ihrem Mund spürte und die andere sie mit sanfter Gewalt zurückzog, realisierte sie die Person, die etwas größer als sie war und sich runterbeugen musste, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern.

“Wenn du schreist, Mizu-chan, bringe ich dich um.”

Kaum dass Mizu die Stimme vernahm, verflog die Anspannung, die sich aufgebaut hatte und sie traute sich auch, mit ihrer Hand zu der an ihrem Mund zu greifen und sie wegzuziehen.

“Okita-kun, du hast mich erschreckt!”, zeterte das Mädchen leise, denn ihre Lauschopfer sollten sie nicht gerade jetzt entdecken.

“Lauschen gehört sich nicht. Haben deine Eltern dir das nicht gesagt?”

Mit einem verspielten Lächeln sah der Größere auf Mizu herab, die einen rötlichen Schimmer auf ihre Wange bekam.

“Das weiß ich auch, ohne dass meine Eltern es mir sagen müssen”, murrte sie und schwieg.

“Scheinbar aber doch. Denn wie es scheint, haben deine Eltern bei der Erziehung versagt.”

Mizus Augen weiteten sich, als Okita das sagte. Er wusste nicht, wovon er sprach, was er mit seinen Worten bei ihr auslöste.

Ohne es kontrollieren zu können, holte Mizu mit der Hand aus und schlug den Samurai so fest sie konnte auf die Wange.

“Sei ruhig! Du weißt nichts von mir oder von meinen Eltern.”

Sie konnte es nicht. Sie konnte nicht mehr hier bleiben, an diesem Ort, mit diesem taktlosen Krieger.

“Ihr Rônin seid wirklich das Letzte.”

Wütend lief das Mädchen an Okita vorbei und verließ das Tempelgelände. Vergessen waren die Arbeit, Erenya und alle anderen Dinge. Sie wollte einfach nur weg.
 

Seufzend sah Mizu auf das obligatorische Grab, das sie aufgebaut hatte, um ihren Eltern hin und wieder die Ehre zu erweisen. Es stand außerhalb der Stadt, verborgen auf einem Hügel. Sie kam immer hierher, wenn sie wegen irgendetwas aufgebracht war. Hier konnte sie sich einigermaßen beruhigen und wieder klar im Kopf werden, selbst wenn sie hier nur mit kaltem, ungraviertem Stein reden konnte. Manchmal blieb sie solange, dass sie nicht einmal bemerkte, wenn die Sonne unterging. So wie heute.

Erst als der Mond und sein Licht das Grab ihrer Eltern beleuchteten, realisierte sie, wie spät es war.

‘Verdammt! Erenya ist sicher noch bei der Roshigumi. Ich muss sie schnellstens abholen.’

Mizu erkannte, dass sie die Roshigumi Hals über Kopf verlassen hatte, und hoffte, dass ihrer schweigsamen Freundin nichts passiert war.

Schnellen Schrittes lief Mizu zurück in die Richtung der Roshigumi. Es wurde bald dunkel, und alleine wollte sie nur ungern auf der Straße sein.

‘Mir fehlt eindeutig meine Waffe’, dachte sie und lief weiter zu einer Brücke, die über einen kleinen Fluss führte.

Kurz hielt sie davor inne, als sie einen Menschen dort stehen sah. Sie erkannte seine Silhouette und fragte sich, was er hier draußen machte.

“Okita-kun?”, fragte sie leise und ging auf den Mann zu, der seinen Kopf hob und sie aus seinen giftgrünen Augen heraus ansah.

“Mizu-chan?”

Obwohl es bereits dunkel war, erahnte das Mädchen ein sanftes Lächeln auf Soujis Lippen.
 

“So ist das also. Du sollst zurück nach Edo?”

Souji nickte, als Mizu zusammenfasste, was dem Krieger beim Abendessen mit seinen Kollegen widerfahren war. Obwohl das Mädchen kein Mitglied der Roshigumi war, vertraute der Junge mit den rostbraunen Haaren ihr, selbst wenn es um Probleme wie diese ging. Sie hörte ihm auch aufmerksam zu, weswegen er glaubte, dass sie seine Gefühle verstand.

“Aber weglaufen ist auch keine Lösung. Man sollte sich dem Problem stellen, um es ändern zu können.”

Mizus Gedanken, die sie laut äußerte, entlockten Souji ein leises Lachen.

Verwundert sah das Mädchen den Krieger an.

“Du bist vorhin doch auch weggelaufen. Weißt du noch? Kurz nachdem deine zierliche Hand mir die Ohrfeige meines Lebens verpasst hat.”

Verlegen sah Mizu weg. Sie erinnerte sich noch genau daran, und es war offensichtlich, dass der Krieger Recht hatte.

“Also, du meintest, dass ich nichts von dir oder deinen Eltern weiß. Dann erzähl mir was über dich, Mizu-chan.”

Das verspielte Lächeln Okitas wich einem freundlichen, warmen, das er Mizu schenkte, die kurz über seinen Vorschlag nachdachte.

“Na schön, Okita-kun. Ich werde dir ein bisschen was erzählen. Aber das darfst du niemanden erzählen”, flüsterte sie leise und überlegte, wo sie mit ihrer Geschichte anfangen sollte.

Vielleicht war der Anfang die beste Entscheidung.
 

“Mein Vater war ein Samurai, und als ich geboren wurde, erlebte er seine größte Enttäuschung. Sein Wunsch nach einem männlichen Erben fand eben nicht seine Erfüllung. Doch mein Vater war einfach nicht der Mann, der sich von so etwas unterkriegen ließ. Obwohl ich ein Mädchen war, kleidete er mich wie einen Jungen. Er lehrte mich den Schwertkampf und andere Kampftechniken. Und abends gab er mir immer etwas von seinem Sake ab, damit ich auch zu einem trinkfesten Krieger werde.

Wenn ich so daran zurückdenke, waren es eigentlich recht schöne Zeiten, aber sie währten leider nicht lange genug.”

Mizus Blick glitt auf das Wasser, das durch das Licht des Mondes und der Sterne wie ein Edelstein funkelte. Doch vor ihrem inneren Auge färbte sich das Wasser feuerrot.

“Rônin drangen in meine Heimat ein und verwüsteten alles. Mein Vater und seine Männer versuchten, sie zu vertreiben, aber sie waren zahlenmäßig unterlegen und starben. Die Frauen und Kinder flohen in den Wald, um dort zu warten, dass die Lage sich beruhigte.

So genau kann ich mich nicht mehr an damals erinnern. Ich weiß nur noch, dass meine Mutter plötzlich nicht mehr bei mir war, und als ich zurück ins Dorf kam, waren ich und einige andere Kinder Waisen. Alles, was mir von meinen Eltern blieb, waren die Erinnerungen und das Schwert meines Vaters. Das alles geschah, als ich acht Jahre alt war.”

Kurz sah Mizu zu Souji, der geistesabwesend in die Ferne sah. Sie fragte sich, ob er zuhörte, und woran er gerade dachte.

“Wir sind uns ähnlich, Mizu-chan. Mein Vater war auch ein Samurai. Und wie bei dir sind meine Eltern gestorben. Allerdings hatte ich eine Schwester, die sich eine Zeit lang um mich kümmerte. Doch sie brachte mich in Kondou-sans Tempel, wo ich schließlich lebte und trainierte. Doch selbst dort waren die Zeiten hart. Der Einzige, der immer für mich da war, war Kondou-san.”

In Soujis grünen Augen schimmerte ein Funken Melancholie, als er sich an die Zeit im Shieikan zurückerinnerte.

Vorsichtig tastete Mizu nach Soujis Hand, die auf dem Brückengeländer lag.

“Waisen haben es nicht leicht. Das mussten auch meine Freunde und ich lernen. Wir wurden aus dem Dorf gejagt und wir schlugen uns durch die umliegenden Wälder zu den großen Städten. Dort klauten wir uns ehrlos alles zusammen, was wir brauchten. Oder wir bettelten. Es war uns eigentlich egal, wie wir an Geld oder Essen kamen. Wir wollten einfach überleben. Und es gelang einigen von uns. Lhikan hat nun seinen eigenen Laden, und einige andere haben feste Arbeit im Rotlichtviertel gefunden, und ich weiß auch, was ich tun muss, um einigermaßen gut zu leben. Und dieses Mal ist es Arbeit, auf die ich stolz bin.”

Ein Lächeln lag auf den Lippen des Mädchens, als sie ihm vom finsteren Teil ihrer Vergangenheit erzählte. Nun hatte sie, neben Lhikan und einigen ihrer alten Freunde, noch jemanden, der etwas über ihre Vergangenheit wusste.

“Ich sollte langsam zurück. Erenya wartet sicher schon auf mich.”

Auch wenn Mizu sich ungern in diesem Moment von ihm und diesem Gespräch trennen wollte, musste sie es. Sie konnte ihre verschwiegene Freundin nicht länger alleine lassen.

“Um Eri-chan musst du dir keine Sorgen machen. Sie ist bereits in bester Begleitung eskortiert wurden.”

Erleichterung machte sich in Mizu breit, denn sie konnte sich schon ahnen, wer diese “beste Begleitung” war. Immerhin konnte sie nun sicher sein, dass ihre Mitbewohnerin sicher zu Hause angekommen war.

“Dann sollte ich dich vielleicht sicher zurückbringen, Okita-kun”, scherzte Mizu, doch der Samurai schüttelte den Kopf.

“Nein, ich möchte noch etwas alleine sein und nachdenken.”

Die Kriegertochter seufzte. Eigentlich hatte sie gehofft, dass Souji auf den Scherz eingehen würde, doch scheinbar war der Krieger noch nicht zum Scherzen aufgelegt.

“Dann sehen wir uns später. In der Roshigumi.”

Langsam wandte sich Mizu von Souji ab. Ihr war klar, dass der Junge nichts mehr sagen würde, denn er hatte seinen Standpunkt klar gemacht. Er wollte alleine sein, und da störte sie eben. Sie musste also den Rückzug antreten, aber immerhin konnte sie nach Hause gehen, dahin, wo Erenya vielleicht schon auf sie wartete.
 

Es war seltsam ruhig auf Kyotos Straßen, als Yuki auf dem Dach des Gasthofes saß. Sie fragte sich, wann sie endlich das Puppenmädchen finden würde. Zwar hatte sie die Roshigumi auf ihrer Seite, aber auch sie hatten ihre internen Probleme.

‘Verlange ich vielleicht zu viel von ihnen?’

Yuki seufzte und sah in den sternenübersäten Himmel. Irgendwo da draußen war sie.

“Ich hätte nie erwartet, dass du so etwas tust, Yuki-chan. Aber irgendwie bin ich froh, dass du es getan hast.”

Leicht zuckte der Schneeengel zusammen, als sie die vertraute Stimme eines alten Bekannten hinter sich hörte.

Vorsichtig sah sie über ihre linke Schulter zu dem Mann in der schwarzen Federrüstung.

“Du bist auch hier, Koji?”

Niemals im Traum hätte sie geglaubt, den Gefallenen wiederzusehen, doch das Schicksal hatte sie wieder zusammenführen wollen. Die Frage war nun, was er hier, ausgerechnet in Kyoto, wollte.

“Was willst du hier?”, fragte sie deswegen und sah wieder gen Himmel, wo die Sterne wie kleine Edelsteine funkelten.

“Ich bin wegen einem Mädchen hier. Genauso wie du.”

Nun verwunderte er sie. Anhand seiner Worte verstand sie, dass er nach dem Puppenmädchen suchte. Die Frage war nur, warum?

“Unser Schöpfer hat mich geschickt, um sie zu holen. Allerdings ist das nicht so einfach. Sie ziert sich ein wenig.”

Langsam ging der Schönling zu Yuki und setzte sich neben sie. In Yuki machte sich ein nostalgisches Gefühl breit, denn es war lange her, dass sie so zusammen saßen.

“Du weißt also, wo sie ist?!

...

...

...

Sicher wirst du es mir nicht verraten, oder?”

Nur aus dem Augenwinkel heraus sah Yuki den gefallenen Engel an. Sie ahnte, warum man ihm diesen Auftrag gegeben hatte. Er war der einzige Gefallene, dem man einigermaßen vertrauen konnte. So schlimm waren seine Taten der Vergangenheit nicht gewesen. Zumindest gab es bei weitem schlimmeres.

“Nun ja, sie ist ganz in deiner Nähe. Du musst nur deine hübschen Augen offen halten.”

Ein amüsiertes Grinsen lag auf Kojis Gesicht, denn das Seufzen von Yuki verriet ihm, dass sein Hinweis nicht sehr hilfreich war. Er sollte es wohl auch nicht sein. Sie wäre schließlich auch nicht mit Informationen gekommen, wenn sie mehr wüsste als er.

“Verzeih mir bitte, Yuki-chan. Aber wir sind Gegner in diesem Spiel und ich möchte es nur zu gerne gewinnen, denn es hängt zu viel davon ab.”

Yuki schwieg. Ihr war egal, was Koji für seinen “Sieg” erhalten würde. Für sie war das kein Spiel, denn das Puppenmädchen war ihr wichtig.

“Wenn du nichts interessantes zu sagen hast, dann entschuldige mich bitte… Ich geh schlafen.”

Ruhig und gelassen erhob sich Yuki von ihrem Platz, doch blitzschnell griff Koji nach ihrem Handgelenk und hielt sie fest.

“Ich werde ihr Herz erobern und es mir zu eigen machen”, verkündete er, doch Yuki entzog sich seinem Griff und verließ das Dach, hoffend, dass das Puppenmädchen noch absolut emotionslos war.
 

Es war wahrscheinlich Mitternacht, als Mizu endlich nach Hause kam und von Dunkelheit begrüßt wurde. In der Ecke, ungefähr da, wo Erenyas Schwert stand, und ihre Futons lagen, sah sie den kleinen Berg, der sich gleichmäßig hob und senkte.

Seufzend schlüpfte Mizu aus ihren Schuhen und betrat das Zimmer, das so ruhig und unbelebt wie zu den Tagen ohne Erenya war. Doch das Mädchen war hier, und sie schlief gerade, weswegen sich Mizu bemühte, leise zu sein.

Vorsichtig und langsam betrat die Kriegertochter das Zimmer und versuchte, den quietschenden Holzdielen auszuweichen. Sie kannte die Schwachstellen ihres Heimes, und so fiel es ihr auch im Dunkeln nicht schwer, tänzelnd über die Gefahrenstellen zu laufen.

Doch trotz aller Vorsicht konnte Mizu einer Tischkante nicht ausweichen. Leise fluchte sie, als sie das Klappern von Geschirr auf dem Tisch hörte, und sah zu dem schlafenden Mädchen, das scheinbar nichts bemerkt hatte.

‘Moment mal, hatten wir den Tisch heute früh nicht leer geräumt?’

Verwundert ging Mizu auf die Knie und tastete am Tisch entlang, bis ihre Finger auf das glatte Porzellan einer Schüssel stießen.

Mizu blinzelte, denn sie war sich mehr als nur sicher, dass sie den Tisch aufgeräumt hatte.

“Du kannst ruhig eine Kerze anmachen. Ich kann sowieso nicht schlafen.”

Leicht blinzelte das Mädchen, als sie Erenyas leise Stimme hörte. Sie hatte gedacht, dass ihre Mitbewohnerin schlief, doch scheinbar hatte sie sich damit geirrt.

“Ich habe dir Essen gemacht… Oder es versucht. Wenn du magst, kannst du vor dem Schlafen noch etwas essen.”

So langsam verstand Mizu, warum es auf dem Tisch geklappert hatte. Und in der Tat, sie hatte schon noch Hunger, denn sie hatte seit dem Mittag, das aus zwei Onigiri bestanden hatte, nichts gegessen. Es war also keine schlechte Idee von dem Puppemmädchen, jetzt noch eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen.

“Wo warst du eigentlich?”, fragte das Mädchen schließlich, als Mizu sich erhoben hatte und zur Kochnische ging, wo eine kleine, aber wirkungsvoll lichtspendende Lampe stand.

Leise seufzte Mizu. Sie konnte es dem Mädchen nicht sagen, denn dann wusste sie, dass diese sie und Harada belauscht hatte.

“Ich musste woanders hin. Ich habe aber von Okita-kun erfahren, dass du nach Hause begleitet wurdest.”

Schnell wechselte Mizu das Thema, denn sie wollte nicht, dass ihre Mitbewohnerin noch mehr fragte und in ihren Problemen herumstocherte. Und sie hatte Erfolg mit ihrer Ablenkungstaktik.

“Ja, Harada-kun hat mich begleitet und mir beim Essen geholfen. Allerdings…”

Leise lachte das Mädchen verlegen und Mizu erkannte sofort wieso. Abgedeckt in einem Wok sah sie die verkohlten Reste, die wohl einst mal Gemüse gewesen waren. Verbrannt konnte man das sicher nicht mehr nennen.

“Harada-kun konnte nicht verhindern, dass mir das Gemüse etwas anbrennt. Den Reis hat er deswegen gemacht, der sollte also genießbar sein.”

Mizu sah in das unschuldige Gesicht ihrer Mitbewohnerin und musste selbst etwas schmunzeln. Die ganze Situation erinnerte sie an die Zeit, als sie mit den anderen Waisenkindern zusammengelebt hatte.

“Mal sehen, ob mein Magen noch abgehärtet ist”, flüsterte sie leise und füllte ihre Schale mit Reis.

Darauf gab sie noch etwas von dem verkohlten Gemüse, denn Erenya hatte sich Mühe gegeben, und diese Mühe wollte sie angemessen honorieren.

Mit ihrem Abendessen in der Hand setzte sich Mizu auf ihren Platz und griff zu ihren Stäbchen, die dort bereits lagen.

“Guten Appetit…”, wisperte die Kriegertochter und genehmigte sich den ersten Bissen.

Sofort fiel ihr auf, was mit dem Gemüse nicht mehr stimmte. Es war zu trocken, zu salzig, und vom Geschmack her konnte sie nicht mehr identifizieren, was Erenya für Gemüse benutzt hatte.

“Also eines steht fest, Eri-chan. Wegen deiner Kochkünste wird Harada-kun dich nicht lieben.”

Mizu musste lachen, als sie das zu Erenya sagte und diese einfach nur ausdruckslos und verwundert vor sich hinstarrte.

“Harada-kun… mich lieben?”, fragte sie nach, als ihre Mitbewohnerin sich beruhigte und einen weiteren Bissen genehmigte.

“Was ist Liebe?”

Die Waise konnte nicht glauben, was sie da hörte, und musste schwer mit dem Bissen im Mund kämpfen, damit sie sich nicht verschluckte.

“Du weißt nicht was Liebe ist? Ohje…”

Leise seufzte Mizu und überlegte nun, wie sie diesem unschuldigen Wesen die Liebe erklären sollte.

“Nun, es gibt drei Arten von Liebe. Das Mögen, das Verliebtsein und eben das Lieben. Wenn man jemanden mag, redet man mit ihm und vertraut ihm die dunkelsten Geheimnisse an. Ist man verliebt, wird man schnell verlegen in der Nähe dieser gewissen Person. Man will mehr über denjenigen erfahren und so oft wie möglich in seiner Nähe sein. Und wenn man diese Person dann richtig liebt, will man sie vor allen Gefahren beschützen. Das Band der Liebe ist das mächtigste auf Erden, und noch nicht einmal der Tod kann es zerstören.”

Schweigend lauschte Erenya ihrer Freundin. Mizu sah, wie es im Kopf des Puppenmädchens arbeitete, und beließ es erst einmal dabei. Sie selbst war sicher auch nicht die beste Lehrerin, wenn es um Gefühle ging, immerhin hatte sie sich selbst noch nie in ihrem Leben verliebt.
 

Obwohl Mizu schon lange in ihrem Futon lag und schlief, konnte Erenya noch immer kein Auge zumachen.

Ausdruckslos sah sie an die Decke und dachte über das Neugelernte nach. Sie rekapitulierte die Worte Mizus und versuchte, sie nun auf ihre Umgebung zu reflektieren.

‘Mizu und Lhikan… mag ich. Die Jungs der Roshigumi… mag ich, auch wenn ich sie kaum kenne. Aber Harada-kun…?’

Angestrengt dachte Erenya nach und rief sich Haradas Gesicht in Erinnerung.

‘Ich glaube, ich mag ihn.’

Leicht schloss Erenya die Augen und dachte darüber nach, was sie mit ihm erlebt hatte. Er hatte sie vor Koji beschützt, sprach viel mit ihr, besuchte sie in Lhikans Laden, wenn sie dort arbeitete…

‘Ich denke… ich könnte auch verliebt in ihn sein.’

Obwohl sich Erenya darüber gar nicht sicher war, formte sich dieser Gedanke. Vielleicht war es ja wahr, obwohl sie nicht wusste, was es bedeutete, verliebt zu sein.

‘Ob mich Harada-kun mag?’

Auch darüber dachte sie einen kurzen Moment nach, ehe sie wie von selbst nickte.

‘Er mag mich’, entschied sie und seufzte leise aus.

Es konnte nicht anders sein, denn schließlich hatte Harada sie dazu überredet, Kyoto nicht zu verlassen.

‘Er mag mich.’

Noch einmal formte sich der Gedanke in ihrem Kopf, ehe sie ruhig und friedlich einschlief.
 

Früh am Morgen erwachte Mizu aus ihrem erholsamen, traumlosen Schlaf und sah sich in ihrem Zimmer um. Alles war wie immer. Das Schwert ruhte in der Ecke, der Tisch wartete darauf, gedeckt zu werden, und der Futon neben ihr war leer. Alles war so wie… immer? Schlagartig, als Mizu realisierte, dass doch nicht alles wie immer war, erwachte sie aus ihrem Wachschlaf und stand auf.

Wieder glitt ihr Blick durch das Zimmer und erst jetzt, beim zweiten Mal, bemerkte Mizu die offenstehende Tür.

‘Erenya!!!’

Obwohl Mizu nicht wusste, wann Erenya die Wohnung verlassen hatte, lief sie zur Tür und schlüpfte in ihre Schuhe.

‘Bitte, sei nicht zu weit weg!’

Die Kriegertochter flehte, dass sie rausgehen und Erenya schnell finden würde, denn alleine da draußen war das Puppenmädchen verloren.

“Guten Morgen, Mizu!”

Unwillkürlich zuckte sie zusammen, als sie vom Dach des gegenüberliegenden Hauses eine ihr wohl vertraute Stimme hörte. Fragend sah das Mädchen nach oben, wo Erenya putzmunter saß und sie anlächelte.

Ungläubig darüber, was sie sah, rieb sich Mizu den letzten Schlafdreck aus den Augen. Sie hätte schwören können, dass sie das Mädchen mit einem Paar schneeweißer Flügel gesehen hatte. Doch nun, wo sie erneut zu dem Mädchen sah, war diese Illusion verschwunden.

“Was machst du hier draußen, und wie kommst du da rauf?”

Mizu konnte nicht anders, als zu fragen, denn sie sah nirgends eine Leiter oder sonst ein Hilfsmittel, womit Erenya auf das Nachbarhaus hätte steigen können.

“Ich hatte Hunger, und die Sonne geht gerade auf.”

Mit einem unschuldigen Lächeln, und so, als erklärte es alles, sah Erenya zu Mizu hinab, die leise seufzte.

“Wir haben noch Reis von gestern da. Außerdem, wie soll das Sitzen auf dem Dach deinen Hunger stillen? Komm da wieder runter!”

Weiterhin sah die Kriegertochter zu ihrer Freundin, deren Lächeln nicht schwand.

“Später!”, rief sie der Mitbewohnerin zu und ließ ihre Füße über den Dachrand baumeln.

Sofort verstand Mizu, dass sie Erenya nicht vom Dach bekommen würde, aber das war ihr egal. Sollte das Puppenmädchen doch tun, was sie wollte. Sie hatte immerhin noch genug Dinge vor dem Abend zu erledigen.
 

Seufzend lief Mizu mit einer schweren Flasche Sake durch die Straßen. Sie hatte vor, sich bei Harada für seine freundliche Fürsorge zu bedanken.

Sie war sich sicher, dass der Sake als Zeichen ihrer Dankbarkeit reichen würde. Immerhin war auch Harada nur ein Mann und Krieger. Und sie kannte zwei Dinge, die jeden Mann glücklich machten. Alkohol und Frauen. Deswegen war sich das Kriegermädchen sicher, dass dieses Geschenk genau ins Schwarze treffen würde.

Mizu verlor den Weg nicht aus den Augen und kam zum Hauptquartier der Roshigumi, das fast schon wie ein eigener Stadtteil Kyotos aussah. Die Frage war nun, wo sie Harada finden konnte, oder jemanden, der ihm die Flasche überreichen würde.

“Kennst du einen Mann namens Tonouchi?”

Mizu sah geradeaus, als sie die grobe, tiefe Stimme Serizawas und die des Raufboldes Okita hörte. Sofort erkannte sie die Männer und verschwand schutzsuchend hinter einer Ecke.

“Er kam zu meinem Zimmer und stattete mir einen Besuch ab… Er sprach über Kondou-kun.”

Mizu wurde hellhörig. Sie wusste, wie viel Okita das Oberhaupt bedeutete, und sie hatte kein gutes Gefühl, was Serizawa anging.

“Scheinbar lehnt er einen Mann, der nicht als Krieger geboren und als Anführer der Roshigumi dient, ab. Er sagte, dass wenn ich ihn töten will, er gerne die Ehre hätte.”

Entsetzt schlug sich das Mädchen eine Hand vor den Mund und starrte auf die drei Männer. Sie konnte nicht glauben, dass es nach der Regelaufstellung wirklich jemand wagte, irgendwen zu hintergehen. Doch wo es sie schockierte, entlockte es Okita nur ein Lachen.

“Du kannst ein Buch nicht nach seinem Umschlag beurteilen! Serizawa-san, du bist überraschenderweise ein netter Kerl.”

Leicht sah das Mädchen aus ihrem Versteck hervor und beobachtete, wie Serizawa mit seinem Anhängsel das Hauptquartier verließ.

“Mir scheint, dass du immer noch gerne lauschst, Mizu-chan.”

Ertappt zuckte Mizu zusammen, als Okita sie direkt ansprach. Im Gegensatz zu ihm hatte Serizawa sie nicht bemerkt. Und Okita machte auch keinen Hehl daraus, dass er Mizu bemerkt hatte.

“Ich hoffe, dir ist klar, dass ich dich töten muss, wenn du irgendjemanden davon erzählst.”

Die Sakeflasche fest umklammernd, kam Mizu aus ihrem Versteck raus und sah den Samurai an. Sein Blick verriet ihr, dass es dieses Mal kein Spaß war. Der junge Mann meinte es ernst.

Schweigend nickte das Mädchen und lief weiter. Sie wusste nicht, wem sie davon erzählen sollte, denn sie kannte niemanden, den es vielleicht interessieren konnte.
 

Summend stand Erenya im Lager von Lhikans Laden und räumte die neu angekommenen Waren ein. Fein säuberlich reihte das Puppenmädchen eine Packung Klebereismehl nach der anderen ein, immerhin hatte Lhikan sie darum gebeten.

“Erenya, kehrst du bitte das Lager, wenn du fertig bist?”

Klar und deutlich vernahm Erenya Lhikans Stimme aus dem Laden. Sie war verwundert darüber, dass sie jetzt schon das Lager ausfegen sollte, denn in der Regel machten sie das immer nur zum Ladenschluss.

“Okay!”

Schnell räumte sie noch die restlichen Tüten Klebereismehl ein, ehe sie sich ihrer neuen Aufgabe zuwandte. Obwohl nur eine Kerze das Lager spärlich beleuchtete, fand Erenya ihren Weg zum Besen, der neben der Tür, die in den Laden führte, stand.

“Na dann, kehren wir doch mal den Arbeitsdreck zusammen.”

Ohne Umschweife begann sie, den rauen Holzboden zu kehren, denn sie wollte das nicht zu lange vor sich herschieben.
 

Erenya war bis in die hinterste Ecke des Lagers vorgedrungen. Der Dreck war fast vollständig zusammengekehrt, und der Feierabend lag in greifbarer Nähe.

Lächelnd und gedankenverloren kehrte sie den letzten Dreck zusammen und ließ den Besen auch unter die Regale gleiten. Schnell hatte sie bemerkt, dass Lhikan unter diesen wohl eher weniger sauber machte. Bei einigen erschien es ihr auch logisch, denn unter vielen standen Kisten mit edlen Stoffen, die der Händler ganz billig ergattert hatte.

‘Nur noch das Regal.’

Voller Elan glitt der Besen unter das Regal und suchte mit seinen Borsten nach dem staubigen Unrat, der sich über Wochen darunter gesammelt hatte.

Doch weit kam der Besen nicht, denn recht früh stieß er gegen eine schwarze Kiste aus Holz.

‘Was zum…?’

Verwundert darüber, dass noch etwas unter dem Regal war, ging Erenya auf die Knie und zog die schwarze Holzkiste hervor.

‘Was hat Lhikan denn hier vergessen?’

Vorsichtig öffnete Erenya die schwarze Kiste und sah schließlich auf das Schwert, das auf lilafarbenen Samt gebettet lag.

“Ich hatte ganz vergessen, dass ich Mizus Schwert noch habe.”

Erschrocken wandte sich das Mädchen zu Lhikan um, der unbemerkt das Lager betreten hatte und nun hinter ihr stand.

“Mizus Schwert?”

Erst als Erenya realisierte, was Lhikan gesagt hatte, beruhigte sie sich wieder und sah auf die Waffe, die vor ihr ruhte.

“Nun ja, es ist nicht ganz ihr Schwert. Vielmehr ist es das ihres Vaters.”

Seufzend hockte sich Lhikan neben seine Angestellte und strich über die glänzende Klinge.

“Damals… mochte ich Mizu nicht. Und ich war nicht der Einzige. Vielleicht waren wir eifersüchtig, weil sie etwas hatte, das wir uns gewünscht haben.”

Fragend sah Erenya zu dem Händler, der sich an die Zeit zurückerinnerte, in der sie noch Kinder gewesen waren.
 

“Damals lebten Mizu und ich in einem kleinen Dorf. Sie war die Tochter eines Samurais, dessen Familie schon seit Generationen für die Ehre des Shoguns kämpfte. Sie war wohl das erste Mädchen, das in diese ehrvolle Samurai-Familie hineingeboren wurde, weswegen der Vater sie zu einen Jungen erzog. Sie hatte damals sogar ein richtig maskulines Aussehen. Kurze strubbelige Haare, Kratzer im Gesicht, an Armen und Beinen… Sie war ein richtiger Raufbold.”

Kurz lachte Lhikan auf, als er eine Mizu beschrieb, die Erenya nicht kennen konnte, weil diese schon lange mehr so aussah.

“Wir Kinder im Dorf haben sie gehasst. Sie spielte nie mit uns, und wenn wir mit ihr reden wollten, zeigte sie uns die kalte Schulter. Sie hatte Eltern, die sie liebten, sich um sie sorgten und ihr Wissen an sie weitergaben.

Doch… das änderte sich, als Mizus Vater im Kampf um das Dorf starb und ihre Mutter spurlos verschwand. Das Einzige, was ihr von ihren Eltern, oder vielmehr von ihrem Vater blieb, war dieses Schwert, das unserer kleinen Gruppe von Waisenkindern gute Dienste geleistet hat.”

Leise seufzte Lhikan, als er sich an die Zeit erinnerte, in der Mizu noch dieses Schwert geführt hatte.

“Sie hat einem Mädchen aus unserer Gruppe das Kämpfen beigebracht. Zusammen sind sie dann losgezogen und haben Geld und Essen besorgt. Es gab Tage, da waren ihre Sachen blutgetränkt, doch ich habe nie gefragt, was passiert war. Ich wollte nicht wissen, wie viele Leben vielleicht ausgelöscht worden waren, damit wir überleben konnten.”

Schweigend sah Lhikan auf das Schwert, dessen Klinge gut poliert und glänzend war. Das Bild der blutbeschmierten Mädchen hatte sich damals in sein Gehirn gebrannt und verfolgte ihn selbst heute noch in seine schlimmsten Träume.

“Was ist passiert? Warum ist das Schwert in deinem Lager und nicht bei Mizu?”

Lhikan sah zu dem Mädchen, das ihn mit ihrer Frage aus seinen Gedanken gerissen hatte.

Kurz musste der Händler nachdenken, wie genau das gewesen war.

“Als wir nach Kyoto kamen, hatte ich genug Geld angespart, um diesen Laden zu eröffnen. Ich wollte dadurch unserer Gruppe eine Chance geben, dass sie niemals wieder Falsches tun mussten, um zu überleben. Doch… Genau das hat unsere Gruppe gespalten. Und so blieb nur noch Mizu bei mir. Ich versprach ihr, alles zu tun, um ihr zu helfen, doch sie wollte das nicht. Stattdessen gab sie mir das Schwert und sagte, sie würde sich, wie ich, mit ehrlicher Arbeit ihr Leben verdienen. Seitdem habe ich das Schwert.”

Schweigend lauschte Erenya der Erzählung bis zum Schluss. Sie hatte bis jetzt nicht gewusst, wie viel wirklich in Mizu steckte. Erst durch Lhikan wurde ihr das richtig bewusst.

“Kann ich so werden wie Mizu? So stark?”

Fragend sah Erenya den Händler an, der verwundert über ihre Frage war. Sie wussten einfach zu wenig von dem Mädchen, um zu wissen, was sie meinte.

Doch er lächelte schließlich und legte eine Hand auf ihre rechte Schulter.

“Mizu und ich werden immer für dich da sein. Egal, um was es geht.”
 

Dunkelheit war bereits über Kyoto eingebrochen und verkündete das Ende des Tages. Schon jetzt entlockte die Dunkelheit der Nacht das Gesindel der Gesellschaft. Aus den Lokalen hörte man lautes Gelächter von betrunkenen Kriegern und trinktüchtigen Geschäftsmännern.

“Wirklich, ich wusste nicht, dass du ein geborener Samurai bist. Der Umgang mit diesen Raufbolden muss anstrengend sein.”

Zusammen mit Tonouchi verließ Okita ein Lokal, in dem sie zusammen getrunken und geredet hatten. Und scheinbar hatte Tonouchi nicht vor, das Gespräch trotz ihres Heimweges so schnell zu beenden. Nachdem er von Okitas Herkunft erfahren hatte, glaubte er, mit ihm einen treuen Verbündeten gefunden zu haben.

“Allerdings, das war es… Aber im Gespräch mit dir fiel mir wirklich ein Stein vom Herzen.”

Bedrohlich ruhig sprach Okita seine Worte aus, doch dem Samurai blieb der drohende Unterton verborgen. Er schien nicht einmal etwas zu ahnen, als Okita sich etwas zurückfallen ließ und langsamer lief.

“Komm für Ratschläge zu mir, wann immer du willst. Selbst nach Kondous Tod wäre ich froh, dir meinen Rat zu geben.”

Leicht verengte Okita die Augen, als Tonouchi den Namen Kondous aussprach und diesen in Verknüpfung mit dessen noch weit entfernten Tod brachte.

“Die Bedenken eines Samurais können nur von anderen Samurai verstanden werden.”

Tonouchi redete sich um Kopf und Kragen und bemerkte nicht einmal, wie Okita seine Hand auf den Griff seines Katanas legte.

“Tonouchi-san.”

Immer noch ruhig sprach der Junge den Namen seines Gegenübers aus, der sich fragend zu dem Krieger umdrehte und fragte, was er wollte. Er sah nur noch die Klinge aufblitzen, die in sein Fleisch schnitt und seinen roten Lebenssaft auf der Brücke und etwas auf Okita verteilte.
 

Fassungslos sah Mizu auf den toten Körper, der zu Boden fiel und ihr den Blick auf Okita freigab.

Stumm sah Mizu auf den Jungen vor sich, der noch in der angreifenden Bewegung verweilte und sie aus seinen grünen Augen heraus frech ansah.

“Heute ist wirklich nicht dein Tag, Mizu-chan. Am besten, du vergisst, was du hier gesehen hast. Geh nach Hause.”

Anders als Okita erwartete, wandte sich Mizu nicht von dem Anblick ab und verließ die Brücke. Sie lief auf ihn zu und blieb wenige Meter vor ihm und dem Leichnam stehen.

“Ich hoffe, dass dieser Serizawa es wirklich nur gut mit dir und der Roshigumi meint. Nicht dass er dich nur benutzt, um einen lästigen Krieger loszuwerden.”

Mizu machte deutlich, dass sie alles gesehen hatte, genauso wie sie Serizawa am Nachmittag reden hören hatte. Und nun war sich die Kriegerin gar nicht so sicher, ob der alte Mann der Roshigumi Okita nicht nur manipuliert hatte, um Hijikatas Einfluss zu schwächen.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, lief Mizu auf das Lokal zu, das Tonouchi vor wenigen Sekunden noch lebend verlassen hatte.

“Du kannst das nicht verstehen, Mizu-chan. Auch wenn du von einem Samurai abstammst, bist du nur eine Frau.”

Schlagartig blieb Mizu stehen und drehte sich zu Okita um, der gemütlich, als wäre nichts geschehen, die Brücke verließ. Sie hasste ihn für diese Worte, denn er war derjenige, der gar nichts verstand. Wie sollte er auch so verblendet merken, dass auch er nur eine Spielfigur des Todes war.
 

Schweigend starrte Erenya auf das Schwert, das in der Ecke stand, seit sie bei Mizu eingezogen war. Zu Anfang hatte sie geglaubt, dass dieses Schwert ihrer Mitbewohnerin oder Lhikan gehörte, doch mittlerweile, nach dem Gespräch mit dem Händler, wusste sie, dass dem nicht so war.

Wenn sie Lhikans Worten glauben konnte, hatte sie dieses Mordinstrument bei sich getragen. Doch sie konnte sich nicht daran erinnern.

“Wer ist dein Besitzer?”, fragte sie und sah das Schwert an, als erwartete sie, dass es ihr antworten würde.

Sie schwieg einige Zeit, seufzte dann aber und erhob sich von dem Platz, auf dem sie gesessen hatte, und lief auf das Schwert zu, um es sich aus nächster Nähe anzusehen.

“Du siehst aus wie ein normales Schwert. Aber Lhikan meinte, dass du verdammt schwer bist.”

Seufzend sah Erenya weiter auf die Waffe. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass dieses Schwert so schwer war. Doch gleichzeitig machte es sie neugierig. Immerhin war sie es, die es bei sich getragen hatte, und sie war nicht gerade stark.

Vorsichtig streckte Erenya die Hand nach der Waffe aus und strich über das weiße Leder, das um den Griff gewickelt war.

‘Ich kann mich nicht erinnern, so ein Ding besessen zu haben.’

Weiterhin betrachtete sie das Ding. In ihrem Kopf ging sie die Ereignisse der letzten Tage durch.

‘Sie kam in mein Zimmer, nahm mich mit… Wir stürzten ab und dann…’

Irritiert und mit Schmerz verzogenem Gesicht hielt sich das Mädchen den Kopf. Ihre Erinnerungen waren unklar, fast verwischt.

‘Was ist dann passiert? Wie kam ich nach Kyoto?’

Die Schwarzhaarige wusste, dass ihr einige Stunden fehlten. Was war in diesen Stunden passiert? Und warum konnte sie sich nicht erinnern?

Angestrengt dachte Erenya darüber nach, während ihr Blick auf dem Schwert gebannt war.

“Ich habe das Schwert genommen…”

Langsam umschlossen die zierlichen Finger des Mädchens den Griff der Klinge, so wie sie es schon einmal getan hatten.

Doch anders als damals schleifte sie es nicht hinter sich her. Sie hob es hoch und betrachtete die Klinge, auf der noch immer kleine rostbraune Flecken zu sehen waren.

‘Ich… habe es dem Mädchen gestohlen…’

Immer klarer wurde der Gedanke, als sie sich erinnerte, wie sie auf dem grasbewachsenen Boden erwacht war und das Schwert neben sich ergriffen hatte.

‘Ich muss das Mädchen finden…’

Für Erenya war klar, dass die einzige Person, der das Schwert gehören konnte, nur das Mädchen sein konnte, dass sie aus ihrer Heimat entführt hatte. Es war klar, dass sie ihr das Schwert zurückgeben musste.

Das Talent des Püppchens

Schweigend sahen Erenya und Lhikan zu Mizu, die ruhig und in Gedanken versunken ihre Stäbchen nutzte um imaginäre Reiskörner in ihren Mund zu schaufeln.

“Seit wann ist sie schon so?”, fragte der Händler und sah das Puppenmädchen, das ihn einfach in die Wohnung gezerrt hatte, als er sie abholen wollte, an.

Schweigend sah Erenya auf Mizu, die immer noch versuchte Reis aus der leeren Schüssel zu fischen.

“Seit gestern… als sie von der Arbeit kam. Meinst du, es ist etwas vorgefallen?”

Fragend sah das Mädchen mit den amethystfarbenen Augen zu ihrem Arbeitsgeber, der die Arme verschränkte und nachdachte.

Doch so sehr er darüber auch nachdachte, er konnte sich keinen Grund ausmalen, warum seine langjährige Freundin so war. Fest stand, Mizu verhielt sich seltsam. In diesem Zustand hatte er sie noch nie gesehen.

“So kann das nicht weiter gehen! Ich muss mit Okita-kun reden!”

Erschrocken zuckten Erenya und Lhikan zusammen, als Mizu mit einem Mal die Stäbchen laut auf dem Tisch ablegte. Es schien so, als hätte sie genug über eine Sache, oder besser über Okita Souji nachgedacht und nun einen passenden Entschluss gefasst.

Ohne auch nur eine Sekunde zu verschwenden, stand sie auf und ging zur Tür.

“Warte! Mizu!”

Obwohl sich Erenya schnell genug umgedreht hatte, konnte sie nur noch den linken Fußballen Mizus sehen. Sie war weg, ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben.

“Und weg ist sie…”, flüsterte Lhikan und erhob sich ebenfalls.

“Komm, wir räumen schnell auf und gehen dann arbeiten. Um Mizu brauchen wir uns keine Sorgen machen.”

Nachdenklich sah Erenya noch dahin, wo Mizu verschwunden war. Sie wusste ja, dass Mizu eine starke Frau war und sicher als letzte Dame auf diesem Planeten gegen einen Rônin verlieren würde.
 

Verwirrt sah Erenya Lhikan an, als sie mit ihm vor seinem Geschäft stand und Harada Sanosuke dort bereits wartete.

“So, hier ist sie. Gib mir eine Sekunde und du kannst meine Angestellte entführen.”

Sie verstand nicht, was hier vor sich ging und warum Harada vor Ort war. Irgendwas hatte Lhikan geplant, soviel stand fest.

“Also Erenya, hier ist euer Bento. Habt Spaß. Und sie junger Mann, passen sie gut auf meine Angestellte auf. Ich will sie heute Nachmittag in einem Stück wieder haben.”

Noch immer wusste Erenya nicht, was sie von dieser Szene halten sollte. Doch eines wurde immer klarer. Lhikan wollte ihr einen Tag frei geben.

“Aber der Laden?”

Sofort wollte Erenya dagegen andebattieren, doch da spürte sie schon die kräftigen Hände des Händlers auf ihren Schultern.

“Kein ‘Aber’. Du wirst nun mit diesem jungen Herren einen freien Tag genießen. Das ist deine wichtige Aufgabe für heute.”

Lächelnd sah Lhikan das Mädchen an, dass immer noch nicht so recht wusste, was sie davon halten sollte, weswegen sie zweifelnd zu Harada sah, der sie aber ebenfalls nur anlächelte.

“Danke, Lhikan…”, wisperte sie schließlich, denn ein Nein hätte der Händler nicht akzeptiert.

Schon gar nicht, wenn Harada vor Ort war. Sie beschloss, dass es wohl besser war, nachzugeben und den schönen Tag einfach zu genießen.
 

Obwohl Erenya zugestimmt hatte und nun mit Harada auf dem Weg durch die Stadt war, war sie sich immer noch nicht sicher, ob er es wirklich richtig war Lhikan alleine im Laden zu lassen. Noch dazu hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil Lhikan sie dennoch für diesen Tag bezahlen wollte.

Doch das allerschlimmste war, dass sie nicht wusste worüber sie mit Harada reden sollte.

‘Worüber sollen wir nur reden? Über das Wetter? Nein, dass wäre doch peinlich. Oder über die Roshigumi? Nee, davon verstehe ich doch sowieso nichts.’

“Du scheinst ja angestrengt über etwas nachzudenken. Lässt du mich an deinen Gedanken teilhaben?”

Erschrocken sah das Puppenmädchen zu dem Mann auf, der sie sanft anlächelte. Mit seinen Worten hatte er sie sanft und doch irgendwie gewaltsam aus ihren Gedanken gerissen.

“Ich… hab darüber nachgedacht, worüber wir reden könnten. Aber mir fällt einfach nichts ein.”

Ein Seufzen kam über die Lippen des Mädchens. Sie war wirklich ahnungslos, was sie sagen sollte.

“Denk einfach nicht darüber nach. Sprich mit mir über den ersten Gedanken der dir einfällt, egal wie sinnlos er zu sein scheint. So können wir ungezwungen ein Gespräch führen und einander besser kennenlernen.”

Erenya fand es erstaunlich, wie einfach es doch scheinbar war sich zu unterhalten. Jetzt musste ihr nur noch ein Thema einfallen, dass ihr als erste in den Sinn kam.

Erneut senkte das Mädchen ihren Kopf und starrte nachdenklich auf den Weg.

“Du denkst schon wieder zuviel nach”, wisperte Harada amüsiert und betrachtete den sanften Rotschimmer, der sich, wegen seiner Worte, auf ihre Wange legte.

Irgendwie stand es ihr, doch er entschied, dass es besser war dies noch nicht zu sagen.

“Ich hab ein Schwert!”

Vollkommen unerwartet kamen die Worte aus Erenyas Mund. Noch dazu waren es Worte, die er nicht erwartet hatte oder die zu einem so zierlichen Mädchen wie ihr gepasst hätten.

“Also… eigentlich ist es nicht mein Schwert. Ich habe es…”

Kurz hielt sie inne. Sie wusste nicht, wie sie es ausdrücken konnte, ohne dass man ihr dafür die Hand abhacken wollte.

“… wohl geklaut, wobei ich es viel mehr gefunden habe. Es gehörte einem Mädchen, das mir geholfen hat. Ich möchte ihr gerne das Schwert wiedergeben, aber ich weiß nicht wo sie ist.”

In aller Kürze erzählte sie Harada, woran sie sich noch erinnerte.

“Wie sieht das Mädchen aus? Wo kommt sie her?”

Harada verurteilte seine Wegbegleiterin nicht. Viel mehr wollte er nun genauere Infos über das Mädchen, das Erenya suchte, erhalten, damit er ihr helfen konnte.

“Ich erinnere mich nur noch an ihre weißen Flügel”, flüsterte Erenya leise und versetzt Harada wieder in einen Zustand der Verwirrtheit.
 

Seufzend sah sich Yuki auf der Straße um und suchte in der Menge nach der Person, die sie vor einiger Zeit verloren hatte. Doch auch heute spürte sie, dass sie keinen Erfolg haben würde.

‘Vielleicht sollte ich der Roshigumi einen Besuch abstatten. Ich war schon lange nicht mehr dort.’

Einen Moment lang blieb Yuki stehen und wandte sich in die Richtung, in die sie gehen musste, um das Hauptquartier der Roshigumi zu erreichen.

‘Wie sollen sie das Engelchen finden, wenn nicht einmal ich dazu fähig bin? Noch dazu konnte ich ihnen keine exakte Beschreibung von ihr geben.’

Mit einem erneuten Seufzen schüttelte Yuki den Gedanken ab, die Roshigumi erneut zu belästigen. Stattdessen wollte sie heute nach einer Waffe suchen, mit der sie sich vielleicht einigermaßen verteidigen konnte.

‘Mal sehen wie viel Geld ich noch habe…’

Vorsichtig zog der Engel einen rosafarbenen Beutel aus seinem Yukata und öffnete diesen um sein Vermögen einigermaßen zu erfassen.

‘Ich sollte mir bald wieder welches besorgen. Die Reserven neigen sich langsam dem Ende zu.’

Egal wie Yuki versuchte das ganze zu kalkulieren, sie wusste, dass es nicht für ein neues Schwert reichen würde. Von dem was sie besaß, konnte sie sich auch den Gasthof nicht mehr lange leisten.

Die Frage war nun, wie sie an Geld herankommen sollte. Das einzige was sie konnte war kämpfen und…

Mitten in ihren Überlegungen hielt Yuki inne, als sie in der Menge ein vertrautes Gesicht entdeckte. Grimmig sah sich der Mann unter all den Menschen um und spähte nach etwas, dass nur er sehen konnte.

Fast schon etwas verängstigt zog sich das Mädchen in eine düstere Gasse zurück und beobachtete das vertraute, suchende Gesicht. Sie sah, wie sich der Mann umdrehte und langsam, fast wie in Zeitlupe, in ihre Richtung lief.

Panisch zog sie sich tiefer zurück und drückte ihren Körper so fest an die Holzwand des Hauses, dass sie glaubte damit zu verschmelzen. Doch je mehr sie sich bemühte nicht entdeckt zu werden, desto näher kamen die Schritte des bekannten Mannes. Er wusste wo sie war und egal wie schnell sie lief, er würde sie aufspüren. Immerhin war das seine Bestimmung.

“Komm raus, gefallener Bastard! Mach es uns nicht schwerer als es ist! Wir finden dich sowieso!”

Aufgeregt klopfte Yukis Herz. Ihr Atem ging schneller und selbst das Blut in ihren Adern schien so laut wie das Rauschen des Meeres zu sein.

“Sei gefälligst nicht so laut, du Schoßhund. Ich befinde mich aus vollkommen legitimen Gründen hier. Deswegen, will mir nicht in den Sinn kommen, warum ihr mich sucht.”

Nur zu deutlich erkannte Yuki Kojis Stimme und fragte sich woher dieser so plötzlich gekommen war.

Vorsichtig lugte sie aus ihrem Versteck heraus und sah wie sich der Gefallene mit schwarzer Federrüstung aus den Schatten löste.

“Nach dir habe ich nicht gesucht. Ich suche den ehemaligen Schneeengel und habe wohl ihre Spur mit deiner verwechselt. Ihr gefallenen Bastarde seid euch immerhin verdammt ähnlich.”

Unbeeindruckt von Kojis Erscheinen, sah sich der Erzengel um, doch er spürte nichts, außer die Fährte eines Gefallenen. Und dieser stand vor ihm.

“Wie du siehst bin ich kein Schneeengel. Da musst du wohl woanders suchen. Vielleicht hast du da, wo auch immer das sein sollte, mehr Glück.”

Frech grinste Koji den Engel vor sich an, der ihn mit einem angewiderten Gesichtsausdruck bedachte. Es war deutlich zu sehen, was er von diesem Schönling hielt. Dennoch lockerte sich seine Haltung und er wandte sich von dem Gefallenen ab.

“Wenn du deine Aufgabe vernachlässigst, bring ich dich um!”, zischte der Erzengel und verließ die Gasse.

Einige Sekunden lang starrte Koji seinem Gegner in spe nach, ehe er sich umwand und in Yukis Richtung sah.

“Du hattest Glück, dass ich in der Nähe war. Sonst wärst du jetzt ein hübsches Häufchen heilige Asche. Und das wäre tragisch gewesen, denn die Farbe Aschgrau steht dir nicht.”

Obwohl Yuki bewusst war, dass Koji zu ihren Gegnern gehörte, war ihr auch klar, dass er für sie keine Gefahr darstellte. Selbst wenn sie nicht verstand wieso, hatte er sie gerettet und das hätte er nicht getan, wenn er sie aus dem Weg hätte schaffen wollen. Deswegen kam sie aus ihrem Versteck heraus und präsentierte sich ihrem Retter.

Argwöhnisch sah sich der Gefallene das Mädchen an und bemerkte, dass etwas seltsam war. Etwas fehlte und schnell wusste er auch was.

“Wo ist dein Schwert? Ich glaube kaum, dass du ohne Schwert auf die unsicheren Straßen Kyotos gehst.”

Er kannte Yuki gut genug um zu wissen, dass sie immer gut vorbereitet war und nie ein Risiko einging.

“Sag mir, wo dein Schwert ist. Du brauchst es für den Fall, dass sie dich wieder aufspüren. Ich kann nicht immer in deiner Nähe sein und dich vor ihnen beschützen.”

Betreten sah Yuki zu Boden. Sie wusste, dass der Gefallene Recht hatte, doch gleichzeitig machte sie das wütend. Es war aber keine Wut, die gegen Koji gerichtet war, sondern Wut, die sie auf sich selbst hatte.

“Ich hab es verloren… Und wahrscheinlich… Hat das Püppchen es bei sich.”

Leicht biss sie sich auf die Unterlippe, denn es war schon schwer genug zugeben zu müssen, dass sie das Püppchen verloren hatte. Das dies aber auch für ihr Schwert galt und es sich wohl im Besitz des Mädchens, war das Schlimmste.

“Seltsam… Sie trug es nicht bei sich, als ich ihr begegnet bin…”

Kurz dachte Koji nach und legte seine linke Hand ans Kinn.

Auch Yuki, die Kojis Worte deutlich gehört hatte, versank in Gedanken. Da sie das Schwert nicht bei sich hatte, oder nicht dauerhaft trug, machte ihr eine Sache klar. Sie war bei irgendwem untergekommen.

“Egal!”

Yuki schreckte aus ihren Gedanken auf, als Koji die Stimme erhob und sein Schwert zog.

“Hier, nimm meines.”

Mit einer galanten Bewegung hob Koji seine Hand und warf Yuki das Schwert so zu, dass sie es am Griff erfassen und fangen konnte, was sie auch tat.

Verwirrt sah sie zu dem Schönling, der sich nun abwandte und ihr nicht die Chance gab abzulehnen.

“Wir sehen uns. Pass bis dahin gut auf das Schwert auf, ich will es wieder.”

Mit diesen Worten verließ er die Gasse und ließ den Schneeengel, der das Schwert ehrfürchtig in den Händen hielt, alleine zurück. Denn jetzt konnte er sich sicher sein, dass sie sich zur Not gegen die Erzengel verteidigen konnte.
 

Obwohl Erenya etwas lockerer geworden war, fiel es ihr nicht leicht mit Harada diese ungezwungenen Gespräche zu führen. Wahrscheinlich war das der Grund, warum sie mehr schweigend als redend nebeneinander herliefen. Es war aber keine unangenehme Stille, die zwischen beiden herrschte.

Und komplett schwiegen sie ja auch nicht. Wenn Harada eine witzige Anekdote von sich und seinen Freunden erzählen wollte, tat er dies. Genauso zögerte Erenya nicht damit, ihn mit Fragen zu löchern wenn sie welche hatte. Im Prinzip redeten sie nicht weniger als die anderen Menschen auf der Straße.

“Nanu…”

Verwundert hielt Erenya in ihrer Bewegung inne, als Harada stehen bleib und geradeaus zu einem vertrauten, jungen Mann sah.

“Yo! Wenn das mal nicht Ryunosuke ist!”

Lächelnd winkte der Krieger seinem Freund zu und ging zu ihm. Verwundert folgte Erenya ihm, denn etwas schien mit Ibuki nicht zu stimmen, was auch Harada schnell bemerkte.

“Was ist los?”

Kaum, dass er seine Frage ausgesprochen hatte, wandte der junge Mann seinen Kopf um und offenbarte einen roten Handabdruck. Irgendwas war geschehen und sowohl Erenya als auch Harada wollten wissen was es war.
 

“Du Idiot!”

Wütend donnerte Harada seine Faust auf Ibukis Kopf, als dieser geschildert hatte, was zwischen ihm und Kosuzu-chan vorgefallen war. Doch weder Erenya noch Ibuki, der seinen Zorn über die Kopfnuss laut Luft machte, verstanden, wofür diese eigentlich gewesen war.

“Du hast diesen Schwachsinn wirklich zu der kleinen netten Maiko gesagt? Kein Wunder, dass sie dir eine Ohrfeige gegeben hat!”

Fragend sahen Ibuki und Erenya zu dem Krieger, der vollkommen fassungslos wegen dem Tun des Jungen war. Das Ibuki nicht verstand warum Harada wütend war, lag daran, dass er einfach naiv im Bezug auf Frauen war. Erenya hingegen verstand einfach zu wenig von dieser Welt um es wirklich nachvollziehen zu können.

“Unglaublich… wir gehen!”, brummte Harada und packte Ibuki am Kragen, wobei er Erenya einen Blick zuwarf, der bedeutete, dass sie auch mitkommen sollte.

“Gehen? Gehen wohin?”

Nun selbst erbost, wehrte sich Ibuki gegen den Griff der Samurais, von dem er sich ungerecht behandelt fühlte.

“Du wirst zu der kleinen Dame gehen und dich entschuldigen!”

Obwohl Ibuki sich weiter vehement wehrte, weil er nicht einsehen konnte, wofür er sich entschuldigen sollte, zerrte Harada ihn weiterhin in Richtung Shimabara.
 

Staunend sah sich Erenya vor dem großen Gebäude um und ignorierte Harada und Ibuki, die beide nach der Maiko Kosuzu suchten. Sie war noch nie so weit in das Rotlichtviertel, das Abends meist mit lautem Gelächter und unterhaltsamer Musik lockte, eingedrungen.

Im Gegensatz zur späten Abendstunde, hatte sie jetzt nicht das Gefühl, bedroht zu sein. Sie wollte nun noch mehr von dieser Gegend sehen, wo sie eigentlich nichts zu suchen hatte.

Stück für Stück, und ohne, dass die Männer es bemerkt hatten, lief Erenya ihrem Gefühl folgend, tiefer in das Herz der Wohngegend für Geikos und Maikos. Irgendwo dahinten war etwas, dass sie magisch anzog und wo sie einfach hinwollte.

Erst als eine Tür ihr den Durchgang verwehrte, blieb sie stehen und ließ ihren Blick auf dem gut geschleiften Holz haften.

Langsam hob sie die Hand und legte diese am Türöffner und schob die Tür vorsichtig auf.

Staunend sah sie auf das, was im inneren des Raumes ruhte.

Hier lagen die Stoffe für edle Kimonos und Instrumente, welche die Geikos und Maikos für ihre Darbietungen nutzten.

Ehrfürchtig betrat Erenya den kleinen Lagerraum und lief zu einer Koto, über die sie fasziniert ihre Finger gleiten ließ.

In ihr erwachte der unzähmbare Trieb, diesem Instrument den ein oder anderen Ton zu entlocken und eine Melodie zu zaubern, die nur sie und der stumme Wind hören konnten.

Zaghaft berührte sie eine Saite der Koto und ließ den Klang des Tones in sich fließen, als sie ihn hörte.

‘Mehr…’, wisperte sie sich in ihren Gedanken zu und griff zur nächsten Saite, um auch dieser einen Ton zu entlocken.

Wie in Trance berührte sie eine Saite nach der anderen und begann, ohne es selbst zu bemerken, eine Melodie zu spielen.
 

Daren war gerade auf dem Weg zu einem seiner Freunde, oder viel mehr Angestellten, die sich hier in Shimabara niedergelassen und der menschlichen “Sünde” verschrieben hatten. Zumindest würden die Engel es als Sünde bezeichnen. Ein Grund mehr, warum man das Geflügel verabscheuen musste.

Während Daren den vertrauten Weg entlang lief, drang eine Melodie zu seinem Ohr vor. In der Regel hätte eine einfache Melodie nicht sein Interesse geweckt, denn um diese Tageszeit war es nur normal, dass die Geikos für den Abend übten. Diese Melodie war aber anders.

‘Musik aus dem Himmelreich… hier?’

Neugierig, wer diese Melodie an so einem Ort spielte, folgte er den Klängen zu einem kleinen, eigentlich immer verschlossenem Lagerraum.

Weit stand die Tür offen, so das Daren das Mädchen, im inneren erkennen konnte.

“Welch Überraschung. Das Mädchen, dass mich so unhöflich angerempelt hat, ist also eine Geiko aus dem Rotlichtviertel.”

Zu deutlich merkte er, dass er das Mädchen erschrocken hatte, denn abrupt endete die Melodie des ihm so verhassten Himmelsvolkes.

Ertappt drehte sich das Mädchen zu ihm um. Er konnte die Angst in ihren Augen sehen. Ein Anblick den er mehr genoss, als ein Schälchen mit kühlem Sake.

“Es tut mir leid, ich wollte nicht… Ich war…”

Genüsslich leckte sich Daten über die Lippen und genoss die Angst, die er spürte und hörte.

“Es ist egal was du wolltest. Du wirst nun mit mir kommen!”

Bedrohlich baute sich Daren vor dem Mädchen auf und versperrte die Tür, um ihr jegliche Fluchtmöglichkeit zu nehmen.

Langsam streckte er seine Hand gezielt zu dem Mädchen aus. Das war eine wohl seltene Gelegenheit, die er unbedingt ergreifen wollte.
 

“Wenn du noch mit deinem Kopf auf den Schultern diesen Grund und Boden verlassen willst, dann solltest du die Griffel von dem Mädchen lassen.”

Klar und deutlich spürte er die scharfe, kalte Klinge der Geiko, die vor allen bei den Rônin in Kyoto einen gefürchteten Ruf genoss.

Für ihn war dieses Mädchen eigentlich kein Problem, aber es war helllichter Tag, weswegen er sich entschied den Rückzug anzutreten. Das Engelchen konnte er sich auch später noch holen.

“Verzeiht. Natürlich ist es dumm von mir, ein Mädchen unter eurer Nase wegstehlen zu wollen. Verzeiht mir meine Dummheit.”

Mit einer Verbeugung drehte sich Daren zu der Geiko und machte deutlich, dass er nun gehen würde.

“Bis zum nächsten Mal, junge Lady. Dann sind wir ungestört.”

Ein leises Lachen kam von dem düsteren Mann, als dieser die angsterfüllten Augen des Engels sah.

Vollkommen zufrieden löste er sich von dem Mädchen und lief weiter dahin, wo er eigentlich vorgehabt hatte hinzugehen.
 

Erleichtert sank Erenya zu Boden, als der düstere Mann endlich weg, und sie alleine mit der Geiko war.

“Und nun zu dir! Ich habe dich noch nie hier gesehen. Also, was suchst du hier?”

Obwohl Chia ihr Kodachi nun gegen Erenya richtete, schien diese keine Angst zu haben. Im Gegensatz zu dem Mann, war die Geiko nicht so furchteinflössend. Auch wenn sie das gefährliche scharfe Schwert gegen sie richtete.

“Ich weiß nicht, was ich hier suche. Ich war mit einem Freund und seinem Bekannten auf dem Weg zu einer Maiko und da zog es mich plötzlich magisch hier her.”

Misstrauisch sah die Geiko zu Erenya, ließ das Schwert aber schließlich sinken. Sie hatte die Musik gehört, immerhin hatte diese sie hergeführt. Sie konnte dem Mädchen also glauben.

“Sag, wie lange spielst du schon die Koto?”

Noch immer sah die Geiko das Mädchen an, das sich langsam erhob und den Staun von den Sachen klopfte.

“Nun eigentlich erst seit heute”, flüsterte sie leise und errötete.

Sie glaubte, dass sie vielleicht etwas falsch gemacht hatte und nun wegen ihrer Unwissenheit Ärger bekam.

“So, so. Seit heute also. Dan hast du wirklich Talent. Wie ist dein Name?”

Erleichtert darüber, dass sie scheinbar nichts falsch oder kaputt gemacht hatte, atmete Erenya auf und stellte sich der fremden Geiko vor.

“Mein Name ist Chia. Also, Erenya, dann bringen wir dich mal zurück zu deinem Freund. Der vermisst dich sicher schon.”

Erst jetzt, wo Chia es erwähnte, wurde Erenya bewusst, dass die Geiko Recht hatte. Sicher suchte Harada sie schon, weil sie ohne ein Wort zu sagen einfach gegangen war.
 

“Ein Glück. Da bist du ja, Eri-chan!”

Erleichtert ging Harada auf Erenya zu, die neben Chia herlief um nicht noch einmal verloren zu gehen.

“Wo warst du denn? Ich habe mir schon Sorgen gemacht, als ich bemerkt habe, dass du nicht mehr bei mir und Ryunosuke warst.”

Ein Seufzen kam von Chia, als sie die Worte Haradas hörte und für sie für sich interpretierte.

“Soso, du hast also nicht bemerkt wie deine Freundin verschwunden ist. Das nenne ich doch mal wahre Liebe.”

Kaum, dass Chia das ausgesprochen hatte, erröteten Erenya und Harada. Scheinbar hatte die Geiko etwas vollkommen falsch verstanden.

“Nein, nein. Wir sind kein Paar. Wir sind nur Freunde”, erklärte Erenya schnell um ihr eigentliches Verhältnis mit Harada klarzustellen und Missverständnisse zu vermeiden.

Sie merkte nicht, das Harada leicht das Gesicht verzog, denn er glaube nun zu verstehen, wie Erenya wirklich für ihn empfand.

“Freunde? So nennt man das also heute. Na schön, mir egal. Ich wollte dem tapferen Krieger nur sagen, dass dies nicht der richtige Ort für so ein junges Mädchen ist. Ihr solltet also besser gehen.”

Sofort verstand Harada, was Chia meinte. Sie befanden sich im Rotlichtviertel und nur weil gerade helllichter Tag war, war es hier nicht sicherer. Seine Aufgabe als Mann war es, dieses Mädchen zu beschützen.

“Danke, dass du dich um Eri-chan gekümmert hast. Solltest du mal Hilfe brauchen, zögere nicht und komm zur Roshigumi. Ich und meine Freunde werden uns darum kümmern.”

Lächelnd verbeugte sich Harada leicht und legte seinen Arm sanft um das Mädchen. Es wurde langsam Zeit, dass er sie zurück zu Lhikan brauchte.

Erneut seufzte Harada, denn wenn er genau darüber nachdachte, hatte er sich diesen Morgen mit Erenya anders und vor allem romantischer vorgestellt.
 

Der Nachmittag brach langsam an, als Chia in ihrem persönlichen Trainingsbereich stand und wie gewöhnt ihre Angriffskata übte. Nur weil sie besser als die meisten Rônin kämpfte, wollte sie sich nicht auf ihren Erfolg ausruhen. Da draußen gab es genug Kämpfer, die besser als sie waren.

Das hatte ihr dieser Nagakura Shinpachi von den Roshigumi bewiesen.

Mit ihren Gedanken bei dem etwas unterbelichtet erscheinenden Samurai, führte sie weiter ihre Übungen aus. Doch mitten in der Bewegung hielt sie inne.

‘Ich muss die Frauen hier beschützen. So wie Mi-chan uns damals beschützt hat. Aber… Kann ich das mit meinem derzeitigen Wissen und meiner Kampferfahrung?’

Stumm sah die blonde Geiko auf das Holzschwert in ihrer Hand.

“Ich kann dir ein paar Tricks für die Verteidigung beibringen. Natürlich nur, wenn du willst. Komm einfach zur Roshigumi.”

Als ob Nagakura noch bei ihr wäre, vernahm sie dessen Stimme klar und deutlich in ihrem Kopf. Seufzend ließ sie das Holzschwert sinken und sah Himmel. Bis zum Abendgeschäft hatte sie noch genug Zeit um vielleicht mal außerhalb zu trainieren. Die Frage war nur, ob es wirklich Sinn machte in die kämpferische Welt barbarischer Männer einzudringen nur um besser zu werden.

‘Vielleicht bin ich aber auch schon zu tief in ihre Welt eingedrungen’, dachte sie, als sie das rote Haarband aus ihrem blonden Haar löste und sich dem Gehen zuwandte.

Viel zu lange trug sie schon ihr Schwert bei sich und kämpfte gegen das blutrünstige Pack, das nicht verstand, was “Nein” bedeutete. So gesehen war sie der einzig ehrenhafte Samurai, der Shimabara verteidigen konnte. Und sie musste stärker werden, wenn sie das auch weiterhin tun wollte, selbst wenn es bedeutete tiefer in die Welt der Rônin, wie die Mibu Wölfe, zu dringen.
 

Als Chia endlich bei dem Hauptquartier der Roshigumi ankam und über den Hof lief, sah sie schon die glücklichen Gesichter der Krieger, die ihr verrieten, dass etwas Gutes geschehen war.

Zum Glück besaß sie nicht genug Neugierde, weswegen ihr eigentlich egal war, warum sich dieses Gesindel so freute.

Sie konzentrierte sich lieber auf ihre Mission. So schnell wie möglich wollte sie Nagakura-kun finden und sich von ihm ein paar Kniffe zeigen lassen.

“Oh, richtig! Ibuki-kun, warum nutzt du nicht die Gelegenheit und beginnst dein Schwerttraining?”

Schon von weitem hörte Chia die freundliche Stimme eines etwas älteren Mannes. Kaum, dass Chia um die Ecke gekommen war, erkannte sie auch schon ein bekanntes Gesicht. Es war der Rothaarige, dessen Freundin sie beschützt hatte.

Er stand bei einem kleinen Hänfling, der sich gerade mit einem älteren stattlich wirkenden Mann unterhielt. Sie war sich sicher, dass dieser einer der Anführer der Roshigumi war. Zumindest strahlte er so was aus.

“Ich?!”, fragte der Hänfling und wirkte verwundert, denn scheinbar hatte er nicht mit diesem Angebot gerechnet.

“Ja! Ich bin gewillt dich persönlich zu unterrichten.”

Nun war Chia klar, dass dieser Mann einer der leitenden Persönlichkeiten war. Zumindest schienen seine Worte es klar und deutlich zu sagen.

“I-Ich verzichte. Ich meine, wegen der kommenden Kämpfe. Wäre es da nicht besser, wenn du das Training der anderen überwachst?”

Unwillkürlich klappte Chia der Mund runter, als sie hörte, was dieser Waschlappen von sich gab. Wäre sie an seiner Stelle gewesen, hätte sie das Angebot mit Kusshand angenommen.

Empört wagte Chia einen Schritt auf die Gruppe zu, doch weiter kam sie nicht, denn sie spürte eine Hand, die sie mit sanfter Gewalt zurückhielt.

Fragend wandte sich die Geiko zu dem Brillenträger um, der sie daran gehindert hatte, sich in das Geschehen einzumischen.

“Guten Tag, die junge Dame. Kann ich ihnen irgendwie behilflich sein?”

Mit einem fast schon gruseligen Lächeln sah der Brillenträger sie an. Es war eines dieser Lächeln, die Chia das Blut in den Adern gefror, denn sie wusste nicht, was ihr Gegenüber dachte.

“Ich bin hier um mit einem Mitglied der Roshigumi zu trainieren. Ich will meine Kampffertigkeiten verbessern.”

Selbst jetzt wo Chia erklärt hatte, was sie hier einem Rudel unerzogener Wölfe wollte, wich das Lächeln ihres Gegenübers nicht.

“Frauen gehören nicht auf ein Schlachtfeld.”

Kurz und knapp antwortete der Brillenträger der Geiko und machte klar, dass niemand sie hier trainieren würde.

“Gehören sie nicht? Warum? Angst, dass eine Frau dem starken Geschlecht den Ruhm abringen könnte, Vierauge?”

Kalt sah Chia den Brillenträger an, dessen Mundwinkel kurz zuckten, als hätte sie einen wirklich empfindlichen Nerv bei ihm getroffen.

“Sagen wir einfach, dass jeder in der Welt seinen Platz hat. Und der Platz der Frauen sollte ein friedlicher sein, wo ihre Schönheit bewahrt werden kann. Blaue Flecke würden eurer Haut nicht stehen.”

Chia fiel immer mehr von ihrem Glauben ab. Sie war es zwar gewohnt, dass die Männer sie unterschätzten, dass man aber mit so einem Grinsen so abfällig über sie sprach, schlug dem Fass den Boden aus.

“Na schön… Dann wirst du Blindschleiche eben mein Trainingspartner.”

Blitzschnell zog Chia ihr Schwert und holte zu einem Schlag aus, den der Mann nicht so schnell vergessen sollte. Gerade rechtzeitig bemerkte dieser aber ihr vorhaben und wich aus, so dass sie ihm nur ein paar unbedeutende Haare abschnitt. Sein Lächeln aber war nun verschwunden.

“Na schön… Trainieren wir. Aber nur mit dem Holzschwert, ich will ihnen ja nicht zu sehr wehtun.”

Chia verstand wirklich nicht, was in seinem Kopf vorging, denn erst verwehrte er ihr das Training und nun wollte er es höchstpersönlich in die Hand nehmen.

“Das könnte doch mal interessant werden”, flüsterte er, als er ihr mit einer Handbewegung klar machte, dass sie ihm folgen sollte.
 

Erschöpft kam Nagakura Shinpachi von dem Training zum Vorhof. Er suchte seine Freunde Toudou Heisuke und Harada Sanosuke, die beide durch seine übliche Schaustellung seiner Muskeln gegangen waren.

Vorsichtig tupfte er mit seinem Handtuch über jede Partitur seiner Muskeln und seufzte. Das Training mit seinen Männern hatte wirklich gut getan und er fühlte sich nun in der Lage gegen Saito gewinnen zu können.

“Oi! Shinpatsu-san!”

Verwundert sah Shinpachi auf, als er Heisukes Stimme vernahm. Hier hätte er den jüngeren als letztes vermutet. Genauso wie Saito und Souji, die ernst zum Mittelpunkt des Geschehens sahen, was der Muskelprotz durch die anderen umstehenden Krieger nicht sehen konnte.

Was ist denn los?”, fragte er, während er sich zu Heisuke vorkämpfte.

“Sannan-san hat einen Trainingspartner gefunden.”

Kaum, dass Shinpachi das gehört hatte, musste er auflachen. Jeder wusste, was für ein herausragender Sadist Sannan war. Niemand, außer den führenden Männern der Roshigumi und Neulinge, die nichts wussten, hätte sich mit ihm angelegt.

“Wer ist dieser dämliche Idiot, der sich mit Sannan-san anlegt?”, fragte er belustigt und sah nun zu dem Geschehen, da er endlich bei Heisuke angekommen war.

Sein Lachen verstarb aber, als er die blonde Schönheit sah, die mit schmerzverzogenem Gesicht am Boden hockte und sich die rechte Schulter hielt.

“Würden wir mit richtigen Schwertern kämpfen, könntest du dein Schwert nun nicht mehr halten.”

Ernst und kampfbereit fixierte Sannan die Geiko, die ihm nichts weiter als einen hasserfüllten Blick schenkte.

“Ob sie noch mal aufsteht und weiterkämpft?”

Entsetzt sah Shinpachi neben sich, wo einer von Heisukes Einheit stand und scheinbar mit seinem Kumpel Wetten über den Kampf abschloss.

Erneut wandte er seinen Blick zur Geiko, die damit zu kämpfen hatte wieder auf die Beine zu kommen. Es war erst diese Moment, wo er den Schmutz auf ihrer Kleidung und die Schürfwunden an ihren Händen bemerkte. Der Kampf schien also schon um einiges länger zu gehen.

“Wie lange geht das schon so, Heisuke?”

Ernst sah Shinpachi seinen Freund, der diesem Trainingskampf scheinbar schon länger bewohnte, an.

“Einige Minuten. Sannan-san hat sie schon einige Male zu Boden gerungen. Soweit ich es mitbekommen habe, gewinnt Sannan-san wenn sie das Bewusstsein verliert oder aufgibt.”

Shinpachi schluckte, als er die Siegbedingungen hörte. Obwohl er die Geiko erst einmal getroffen hatte, wusste er, dass sie niemals freiwillig aufgeben würde. Dafür war sie einfach zu kämpferisch veranlagt.

“Das kann so nicht weiter gehen!”, fluchte Shinpachi und löste sich von Heisuke um diesen Kampf zu beenden.

Was wäre er für ein Mann, wenn er diese Geiko nicht vor ihrem sadistischen Kommandanten beschützte?

“Sannan-san! Das reicht jetzt!

Bereit sich im Fall der Fälle mit Sannan-san anzulegen, stürmte Shinpachi ins Kampfgeschehen und stellte sich schützend vor Chia.
 

Chia war gerade wieder aufgestanden, als sich der gesunde Muskelprotz vor sie stellte und sich als ihr Held aufspielte. Sie hasste diese ehrenhaften Männer, die meinten, dass eine Frau nicht fähig war alleine auf ihre eigenen Beinen zu stehen.

“Geh aus dem Weg, Nagakura-san!”

Synchron sprachen sowohl Chia als auch Sannan auf Shinpachi ein, der zusammen zuckte. Die Worte der Beiden trafen ihn gleichermaßen hart und er wusste, dass es besser war auf Beide zu hören. Dennoch konnte er nicht zulassen, dass Chia noch mehr passierte.

“Chia, ich bitte dich. Ich weiß, dass du deinen Stolz hast, aber gegen Sannan-san hast du keine Chance. Gib auf.”

Flehend sah Shinpachi die Geiko an, die ihn stumm anstarrte. Er hoffte, dass sie seine Worte und seine Sorge verstand und nun vernünftig wurde. Sie ließ seine Hoffnung auch aufblühen, indem sie Stück für Stück die Hand hob.

“Geh aus dem Weg, habe ich gesagt!”

Unsanft schob die Geiko den Krieger beiseite, der ihr den Blick auf Sannan versperrte. Aufgeben stand nie zur Debatte, und es würde auch niemals eine Option für sie werden.

“Du musst wirklich masochistisch veranlagt sein, wenn du Nagakura-sans weisen Ratschlag so einfach ignorierst. Du hast noch nicht einmal darüber nachgedacht.”

Obwohl Chias rechter Arm schmerzte, umklammerte die Kriegerin das Holzschwert und fixierte Sannan.

“Nein, ich bin einfach nur sadistisch genug um dir dieses Grinsen aus dem Gesicht wischen zu wollen.”

Es war nun Chia, die ein freundliches, undeutbares Lächeln aufsetzte und Sannan in Erstaunen versetzte. Er hatte ihr genug Schläge versetzt, die einem gewöhnlichen Krieger gereicht hätten. Doch sie, war alles andere als gewöhnlich.

“Du bist wirklich eine interessante Person. Aber… lass uns das beenden. Ein Angriff, mehr nicht.”

Sannan erwiderte das Lächeln des Mädchens, dass ihn mit diesem entschlossenen Gesichtsausdruck ansah.

“Mehr werde ich nicht brauchen”, erwiderte sie und ging in eine defensive Grundhaltung.
 

Ungläubig stand Shinpachi noch förmlich im Kampfgeschehen, als Heisuke und Saito ihn zurückzerrten, damit dem Muskelprotz nichts geschah.

“Warum haltet ihr ihn nicht auf?”

Der Große konnte es nicht glauben, dass seine Freunde dies wirklich zuließen. Vor allem von Saito hätte er das nicht erwartet.

“Beide haben klar gestellt, dass sie nicht gestört werden wollen. Schau dir das Mädchen doch an. In ihren Augen spiegelte sich die Entschlossenheit eines wahren Kriegers wieder. Würdest du einen Krieger daran hindern, einen Kampf auszutragen?”

Erneut sah Shinpachi zu dem Mädchen, dass Sannan kampfbereit fixierte. Er kannte diesen Blick, denn er hatte ihn schon bei vielen ehrenhaften Kriegern gesehen. Niemals hätte er einen Mann mit diesem Blick aufgehalten.

“Ihr habt Recht”, willigte er schließlich leise ein und spürte, wie seine Freund von ihm abließen.

Wenn Chia so entschlossen war, dann wollte er das respektieren, selbst wenn ihr Gegner der sadistischste Mann der Gruppe war.
 

Siegessicher ging Sannan in Angriffsposition und sah zur Geiko, die sich für seinen Zug bereit machte und in ihrer Verteidigungsposition verweilte.

“Ich habe dir einen Angriff zugestanden und du willst ihn vergeuden?”

Eigentlich hatte Sannan gedacht, dass die Geiko ihn angreifen würde, doch stattdessen vergeudete sie diese Gelegenheit für eine sinnlose Verteidigung. Doch etwas irritierte ihn. Das Mädchen lächelte, als ob sie bereits gewonnen hätte. Er fragte sich, was sie vorhatte.

Stetig stieg seine Verwirrung als sie, trotz defensiver Haltung, auf ihn zu lief und scheinbar doch auf diese Art einen Angriff versuchte. Hatte er sie etwa dazu provoziert?

Es war das erste Mal, dass Sannan das Handeln seines Gegners nicht nachvollziehen konnte. Zumindest verhielt sich Chia nun ganz anders als zuvor. Etwas hatte sich geändert, doch darüber konnte er nicht nachdenken. Jetzt musste er irgendwie auf den Angriff der Geiko antworten, auch wenn er keinen anderen Weg wusste, als seine geplante Offensive einfach fortzusetzen.

Mit Schwung und voller Kraft, holte er aus und zielte auf eine Körperpartie, die durch Chias Defensive nicht geschützt war. Auch wenn ihn ihre Haltung überraschte, hatte sie verloren und das schon von dem Augenblick an, als sie das Holzschwert zur Hand genommen und seine Herausforderung angenommen hatte.
 

Verwundert sah Sannan zu dem Mädchen herab, als er das Geräusch von aufeinander treffenden Holz hörte. Seine Augen weiteten sich, denn verstohlen grinsend sah die Blonde ihn an, als wäre er ihr in die Falle gegangen.

Vorsichtig folgte sein Blick ihrer Körperhaltung, damit er verstehen konnte, was geschehen war. Doch was er sah, konnte er einfach nicht verstehen. Das Mädchen war noch bevor er sie treffen konnte in eine etwas unkonventionelle, aber doch effektive Angriffshaltung gegangen und hatte so seinen Angriff abgeblockt und sich vor weiteren Schmerzen bewahrt.

“Nun bin ich dran!”

Ein Blick in Chias Augen verreit Sannan, dass sie zu allem entschlossenen war. Doch er wusste nicht, was sie nun vor hatte, weswegen es plötzlich kam als sie ihn von sich stieß und erneut in eine defensive Position ging.

Doch während sie sich noch bewegte, spürte er einen stechenden Schmerz in seiner rechten Seite, woraufhin ihm die Beine nachgaben. Es war ein Anblick der genauso selten war wie der Schmerz den er spürte und der ihm tatsächlich sein Lächeln aus dem Gesicht gewischt hatte. Der Kampf war vorbei und die Geiko hatte zu ihrem Wort gestanden, auch wenn er sich schwer tat, dass zu realisieren.
 

“W-Was ist da genau passiert?”

Obwohl Heisuke genau hingesehen hatte, schien er nicht zu verstehen, was genau passiert war. Doch er hatte ja noch seine Freunde, die vielleicht mehr verstanden als er.

“Sie hat Sannan-san in Sicherheit gewogen, als sie in die Defensive ging und angriff. Dadurch kam sie nahe genug an ihn ran. Sein Angriff kam ihr gelegen, denn so konnte sie die Position einnehmen, die sie für ihren eigentlichen Angriff brauchte. Als sie zum zweiten Mal in die Defensive ging, nutzte sie den Schwung der Bewegung, um Sannan-sans ungeschützte Seite anzugreifen.”

Kurz und knapp legte Saito die Technik der Geiko dar. Als Krieger waren sie sich zwar einig, dass die Umsetzung ihres Treffers nicht gerade von kämpferischen Können zeugte, sie aber dennoch Erfolg hatte.

“Ich muss mich entschuldigen, Gnädigste. Zwar bist du eine Frau, aber auf einem Schlachtfeld, könntest du ohne Probleme mithalten.”

Langsam erhob sich Sannan vom Boden und sah die Geiko an, die ihn nun mehr als zufrieden anlächelte.

“Solange ich in Shimabara bestehen kann, reicht es mir.”

Lächelnd reichte Chia dem Brillenträger ihr Holzschwert und genoss die entsetzten Blicke ihrer Zuschauer. Denn bis auf Shinpachi schien keiner bemerkt zu haben, wer sie war. Und das obwohl sie vor einiger Zeit mit ihnen in einem Raum gesessen hatte.

“Shi-Shimabara? Das Rotlichtviertel?”

Entgeistert sah Heisuke das Mädchen an, dass nur nickte.

“Ah… Wusste ich es doch, dass sie mir bekannt vorkommt. Sie trug damals eine schwarze Perücke und saß ziemlich anteilnahmslos in der Ecke.”

Schnell war Souji ein Licht aufgegangen, was ihn nun noch mehr amüsierte. Wer hätte schon gedacht, dass Sannan-san nicht nur von einer einfachen Frau, sondern gleich noch von einer Geiko einen Treffer einkassierte?

“Also, bin ich nun gut genug um mit euren Männern trainieren zu können?”

Kurz sahen sich die Hauptmänner der Roshigumi an. Sie fragten sich wirklich, wie die Geiko jetzt noch nach diesem Trainingskampf weiter machen konnte.

“Wer hat dir eigentlich gesagt, dass du mit uns trainieren könntest?”

Kaum, dass Sannans Stimme verklungen war, hob Chia ihre Hand und zeigte auf Shinpachi, der nun die fragenden Blicke seiner Freunde erntete.
 

Summend saß Akazumi, das Ninjamädchen, in ihrem Gasthauszimmer und kämmte sich ihr langes, braunes Haar. Sie musste schließlich gut aussehen, für den Fall, dass sie wieder ganz zufällig auf ihren geliebten Saito Hajime traf.

Natürlich wäre diese Begegnung nicht so zufällig, denn sie wusste ja, dass er heute noch auf Patrouille gehen musste.

‘Ich geb ihm den Talisman und wünsche ihm viel Glück für Morgen! Genauso mache ich das.’

Schon seit Tagen vernachlässigte das Ninjamädchen ihren Auftrag für ihre Liebe. Und so hatte sie auch herausgefunden, dass die Roshigumi eine Vorführung ihres Könnens für die Verantwortlichen des Aizu-Clans planten. Zwar war dies nur eine interne Information, aber es interessierte sie nicht im geringsten, dass Saito sich über ihr Wissen wundern würde. Wichtig war doch nur, dass sie ihm nahe sein konnte.

“Musst du für deinen Auftrag so hübsch sein?”

Erschrocken fuhr Akazumi zusammen, als sie Darens Stimme klar und deutlich hinter sich hörte. Sie spürte seinen kalten Atem, der ihren Nacken streifte, was ihr nur deutlich machte, wie dicht er an ihr dran war. Er war ihr so bedrohlich nahe, dass ihr ein eisiger Schauer über den Rücken lief.

“I-Ich habe sie noch nicht gefunden. Kyoto ist immerhin sehr groß”, erklärte das Ninjamädchen und schluckte schwer.

Sie traute es sich nicht, sich zu dem Mann mit den bedrohlich roten Augen umzudrehen. Ihr reichte schon die leichte Berührung seines Armes, als er an ihr vorbei griff und ein Stäbchen vom Schränkchen nahm. Das Herz rutschte ihr fast in die Hose, denn sie wusste, dass dieses Stäbchen, was sie für gewöhnlich in den Haaren trug, vergiftet und scharf war. Ein kleiner Kratzer an ihrem Hals könnte sie das Leben kosten.

“Das ist aber seltsam. Das Püppchen ist mir nun schon zweimal über den Weg gelaufen. Noch dazu verbringt sie viel Zeit bei der Roshigumi, die du doch jeden Tag beobachtest. Erkläre mir das, Akazumi.”

Vorsichtig steckte Daren Akazumi die Haare mit dem Stäbchen hoch und ließ nur eine einzelne Strähne verspielt herunterfallen.

“Nun… Ich…”

Das Ninjamädchen wusste nicht, wie sie ihr Fehlverhalten erklären sollte, denn sie musste gestehen, dass Daren Recht hatte. Oft genug hatte sie Gelegenheit gehabt, sich das Mädchen zu schnappen, doch jedes Mal war sie in Gedanken bei Saito gewesen.

“Du bist für eine Auftragskillerin sehr amateurhaft. Wenn deine Mutter genauso stümperhaft wie du war, ist es kein Wunder, dass die Onis sie zerfleischt haben.”

Näher war Daren mit seinem Gesicht an Akazumis Wange gekommen, so dass nur noch wenige Millimeter Platz zwischen ihren rosigen Bäckchen und seine kalten Lippen war.

Vorsichtig griff Akazumi unter ihren Yukata, zu ihrem Oberschenkel, wo vom Stoff verborgen, ihre Stäbchen befestigt waren. Doch sie hielt in ihrer Bewegung inne, als Darens Hand sanft über ihren Arm strich.

“Man beißt nicht die Hand, die einen füttert”, flüsterte Daten ihr ins Ohr und jagte Akazumi erneut einen Schauer über den Rücken.

“Hör mir gut zu, Liebes. Wenn ich noch einmal höre oder sehe, dass du deinen Auftrag aus den Augen verlierst, bringe ich dich höchstpersönlich um. Vielleicht lernst du so, was ein wahrer Mörder alles kann.”

So kalt wie Darens ganzer Körper zu sein schien, waren auch seine drohenden Worte von denen Akazumi wusste, dass er sie wahr machen würde.

Erleichtert atmete sie auf, als Daren sich wieder von ihr löste und entfernte.

“Eigentlich war ich hier, um dich zu warnen. Hinter dem Püppchen sind noch andere her. Du solltest dich besonders vor dem mit der schwarzen Rüstung in Acht nehmen. Er ist immer in ihrer Nähe, bring ihn um wenn er stört. Für seinen Kopf zahle ich auch extra.”

Ohne Akazumi eines weiteren Blickes zu würdigen, lief Daren zum Fenster, durch das er geschickt schlüpfte, nachdem er es geöffnet hatte. Er verschwand in die kalte Nacht und ließ Akazumi alleine zurück. Doch die Angst, die er ihr bereitet hatte, blieb und ließ die Gänsehaut auf ihrem Körper nicht weichen.

Yuki und der Fuchs

Es war später Abend, als Akazumi auf einem Dach des Hauptquartiers der Roshigumi saß. Sie beobachtete das Quartier ganz genau, denn nachdem sie Erenya den ganzen Tag beobachtet hatte, wollte sie heute wenigstens einmal Saito sehen. Schließlich hatte sie sich die letzten Wochen nur auf ihre Arbeit konzentriert, denn sie hing an ihrem Leben.

“Wie langweilig…”, flüsterte sie leise und beobachtete weiterhin den ruhigen Grund und Boden.

Seitdem Erenya und ihre Freundin das Quartier verlassen hatten, hatte Akazumi nichts aufregendes mehr gesehen. Das Dreiergespann der Roshigumi hatte etwas trainiert, wobei der Muskelprotz den Kleinen mit viel Freude triezte. An sich war das alles dennoch langweilig, denn es hatte nichts mit Saito oder Erenya zu tun.

Doch plötzlich ging alles Schlag auf Schlag, als ein Schrei durch die Dunkelheit hallte und die Männer sich vor einem verschlossenen Tor versammelten, das zu einem Bereich führte, der Akazumi fremd war.

Nun doch neugierig auf das was diesen Schrei verlauten lassen hatte, folgte sie leise und heimlich den Männern der Roshigumi.

“Was ist los?”

“Es lässt sich nicht öffnen!”

So schnell und panisch wie die Männer sprachen, konnte das Ninjamädchen nicht ausmachen, wer genau gesprochen hatte. Hinzu kamen die Stimmen von der anderen Seite des Tores, die ihre Neugier nur noch mehr weckten.

“Verdammt! Was ist mit ihm passiert?!”

Vorsichtig näherte Akazumi sich dem Bereich, an dem wohl gerade etwas Unglaubliches geschehen war. Sie konnte förmlich die Gefahr, die von den Räumlichkeiten ausging, spüren, doch statt zu fliehen, wollte sie mehr und mehr von dieser Gefahr sehen.

“Toshi! Sannan-kun! Lasst ihn nicht entkommen!”

Sie war nicht die Einzige, die Kondous Befehl vernahm, doch anders als sie, wollten die Krieger nun nicht länger tatenlos zusehen, weswegen sie durch Tür brachen und sich aufteilten.

Sie zogen dahin, die Krieger und unter ihnen war auch ihr geliebter Saito, weswegen sie hoffte, dass er lebend wieder da raus kam. Denn die Geräusche innerhalb des Gebäudes verhießen nichts Gutes.

Und das weißhaarige Etwas, dass einem Mensch ähnlich sah, allen Anschein nach aber keiner war, verstärkte dieses Gefühl bei dem Ninjamädchen.

Zu allem entschlossen zog Akazumi eines ihrer Stäbchen und machte sich bereit es im äußersten Notfall zu werfen und ihrem Saito, der noch lebte, zu retten.

Doch gerade, als dieses Ding Ibuki angriff, und sein Ende scheinbar gekommen war, erledigte Hijikata Toshizou das Monster und die Aufregung ebbte ab.

Behände steckte Akazumi ihr Stäbchen wieder weg und sprang von dem Dach auf die andere Seite der Mauer. Es war besser zu gehen, bevor die Männer sie bemerkten, denn Fakt war, dass ihre Sinne nun geschärfter als zuvor waren.

‘Was war das nur für ein Ding?’, fragte sie sich, als sie das Quartier verließ.

Das Ninjamädchen konnte nicht abstreiten, dass sie ein schlechtes Gefühl bezüglich dieses Erlebnisses hatte.
 

In die tiefste Ecke eines Busches hatte sich zitternd ein kleiner Fuchs zurück gezogen, als er den Schrei des seltsamen Wesens vernommen hatte.

Der Fuchs war in unmittelbarer Nähe des Geschehens gewesen und hatte aus seinem sicheren Versteck heraus alles beobachten können. Auch der Fuchs fragte sich, was für ein Wesen das gewesen war. Allerdings war er auch nicht wirklich scharf darauf, noch mehr von diesen Dingern zu erleben.

Es gab somit nur eine Lösung für das rotbraune Geschöpf. Und es war eine Entscheidung, die ihm wirklich leicht gefallen war. Vorsichtig wagte sich der Fuchs aus seinem Versteck, als auch die letzten Männer den Ort des Geschehens verlassen hatten. Scheinbar war es nun an der Zeit diesen einst so sicheren Tempel zu verlassen und sich ein neues Heim zu suchen.
 

Anderorts in Kyoto ruhte Yuki sich gerade in ihrem Zimmer aus. Den ganzen Tag über hatte sie nach Arbeit gesucht, doch niemand wollte einen weiblichen Söldner einstellen. Unter den Menschen galten Frauen eben als das schwache Geschlecht, das bevorzugt zu Haushaltsgegenständen, statt zum Schwert, greifen sollte.

Der Gedanke, dass sie hier nur als Frau, als niederes Objekt, und nicht als Kriegerin gesehen wurde, entlockte ihr ein leises Seufzen. Doch die fehlende Arbeit war nicht das einzige Problem, was sie hatte. Noch immer waren ihr auch die Erzengel auf den Fersen und sie waren bereit sie auszuschalten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis man sie fand.

‘Was mache ich nur, wenn ich Erenya gefunden hab und sie mich dann aufspüren. Wenn ich unterliege war alles umsonst.’

Schon jetzt malte sich Yuki die schlimmsten Szenarien aus. Selbst wenn ihr jemand gesagt hätte, dass es unmöglich war sie in dieser Stadt zu finden, hätte es sie nicht beruhigt. Vielleicht lag es daran, dass nicht viele wussten, wozu ihre Verfolger wirklich fähig waren.

Langsam stand Yuki von ihrem Bett auf und stellte sich vor dem Spiegel. In letzter Zeit hatte sie sich nicht oft in dem reflektierenden Ding angesehen, denn der Anblick, der sich ihr bot wenn sie den Yukata auszog, machte sie traurig.

Sanft strich sie sich den Stoff des Yukatas von ihrem Oberkörper und breitete ihre Flügel aus. Schlaff hing der rechte Flügel, den sie sich bei der Flucht gebrochen hatte und der bis heute nicht richtig verheilt war, herab. Sie gab sich alle Mühe ihn etwas ausgebreitet nach oben zu halten, doch noch immer durchzog sie dieser unbeschreibliche Schmerz, den sie nicht überwinden konnte.

Doch sie empfand nicht wegen dem zerstörten Flügel soviel Trauer. Es lag viel mehr an der pechschwarzen Farbe, die ihre einst schneeweißen Flügel nun hatten. Sie war kein Schneeengel mehr, sondern ein Gefallener, wie Koji. Aber anders als er durfte sie nicht in Frieden leben. Ihr war der Tod bestimmt und das nur, weil sie einem hilflosen Mädchen helfen wollte.

‘War es das wert?’

Es war nicht das erste Mal, dass sie an der Richtigkeit ihrer tat zweifelte. Meist überkam sie dieser Gedanke, wenn sie über die schwarzen Federn ihrer Flügel strich. Wehmütig sachte sie dann an ihr schönes weißes Gefieder zurück. Doch genauso schnell wie sich die Zweifel erhoben, kämpfte die Vernunft sie mit guten Argumenten nieder.

‘Na und, dann sind sie halt schwarz. Deswegen bist du keine schlechte Person. Du bist immer noch die Yuki von damals und auch die Einzige, die Erenya in Sicherheit bringen kann.’

Um die negativen Gedanken verschwinden zu lassen, verbarg Yuki ihre Flügel wieder und zog den Stoff des Yukatas wieder über ihre Schultern.

Sie wusste, dass es nun besser war sich hinzulegen, denn je müder sie wurde, desto negativer wurden auch ihre Gedanken. Am nächsten Tag würde es ihr wieder besser gehen, denn dann hatte sie auch neue Kraft, um weiter nach einer Lösung für ihre Probleme zu suchen.
 

Es war einer dieser Herbsttage, an denen der Wind die kalte Luft aus den Westen in den Osten nach Japan trug. An solchen Tagen erzählte der Wind die schönsten Geschichten aus weit entfernten Ländern. Doch nur wenige hörten ihm zu. Eine von jenen, die meist zuhörte, war Mizu, die früh das Haus verlassen hatte und nun auf ihrem Weg zu einer Brücke war, unter der sich ein kleiner Fluss entlang schlängelte.

Behände und schnell lief die Kriegerstochter durch die leeren Gassen und Straßen. Sie hatte es wirklich eilig und hoffte, dass sie pünktlich ankam. Doch noch bevor sie ihren Fuß auf den hölzernen Boden der Brücke gesetzt hatte, sah sie auch schon den Samurai der Roshigumi, mit dem sie sich verabredet hatte.

“Du bist wirklich pünktlich”, erklärte der Krieger und lächelte Mizu verspielt an.

Die Kriegerstochter war erleichtert, dass der junge Krieger gekommen war und ging näher zu ihm, um sein katzenartiges Lächeln in der aufgehenden Sonne bewundern zu können. Doch sie sah mehr als dieses Lächeln, denn sie erkannte auch die schwachen Augenringe und wusste, dass er in der Nacht nicht viel geschlafen hatte.

“Du siehst müde aus. Ist irgendwas passiert?”, fragte das Mädchen nun direkt und wandte ihren Blick auf den Fluss.

“Nichts was dich interessieren sollte.”

Mit nur wenigen Worten erklärte Souji, dass sie besser nicht weiter nachfragen sollte, weil es mit der Gruppe zu tun hatte und nicht mit ihr.

“Du wolltest mit mir reden. Worum geht es?”

Nun war es Souji, der zum Befrager wurde und Interesse an Mizu und ihren Vorhaben hatte. Vorsichtig sah Mizu zu dem Jungen auf, dessen grüne Augen sie wie die eines verspielten Raubtieres ansahen.

“Ich will… Ich will wissen, warum du so skrupellos töten kannst. Warum es dir scheinbar egal ist für wen du tötest und ob du auch unschuldige wie mich umbringen würdest.”

Mizu hatte lange mit sich gerungen, ob sie Souji das fragen sollte, doch die Art wie er sein Schwert führte, gab ihr zu denken. Sie wusste wie schwer es war sein Gewissen wieder zu finden, wenn man einmal gnadenlos getötet hatte. Und genauso wusste sie, wie schnell man dazu neigte alles und jeden, der einem im Weg stand, auszuschalten.

“Ich will Kondou-san nützlich sein. Und egal wer es ist, ich werde jeden ausschalten, der sich der Roshigumi in den Weg stellt. Selbst wenn du es bist.”

Kalt kamen Souji die Worte über die Lippen und schnürten Mizu die Kehle zu. Sie hatte gehofft, dass er nicht ganz so zielfixiert war und sie ausschalten würde, wenn er es musste. Doch gleichzeitig wusste sie auch, was sie dann von dieser Freundschaft erwarten konnte.

“Dann hoffe ich für dich, dass wenn ich wieder zum Schwert greifen sollte, ich nicht dein Feind bin.”

Enttäuscht wandte sich das Mädchen von dem Samurai ab, während sie ihre fast schon drohenden Worte aussprach. Doch sie kam nicht weit, denn sie spürte die warme Hand des Kriegers, die ihr Handgelenk umfasste.

“Solltest du nicht wegen mir zum Schwert greifen, hoffe ich doch, dass du überlebst. Es würde mir immerhin viel bedeuten, wenn du durch meine Hand stirbst.”

Erschrocken weiteten sich Mizus Augen, als sie sich der Bedeutung dieser Worte bewusst wurde, und er ihre Hand wieder losließ.

Verunsichert stand das Kriegermädchen einfach nur da, hin und her gerissen von dem was sie tun sollte und dem was sie gerade wollte. Doch sie fing sich wieder und lächelte sanft.

“So leicht lasse ich mich von niemanden umbringen. Auch von dir nicht. Dennoch, bei dir würde sich mein Körper freuen, wenn er sich mit deinem Schwert vereint.”

Es waren die letzten Worte, die Mizu heute an Souji richten wollte. Trotzdem drehte sie sich noch einmal zu ihm um und konnte diesen weichen, liebevollen Blick sehen, der sie erröten ließ.
 

Yuki war schon seit dem frühen Morgen auf den Beinen und suchte erneut nach Arbeit, der sie auch nachgehen konnte. Doch wie schon am vergangenen Tag fand sie nichts. Yuki hatte nur noch eine Möglichkeit.

Gezielt, ohne auf die Blicke der anderen zu achten, lief Yuki in Richtung Shimabara. Das Rotlichtviertel war die letzte Chance, die Yuki noch hatte, denn dort gab es genug Mädchen die von Betrunken bedroht wurden. Sicherlich nahm man dort jede Hilfe mit Kusshand an, selbst wenn sie von einer bewaffneten Frau kam.

“Ich sagte, lasst mich in Ruhe!”

Laut hallte die Stimme eines Mädchens über die Straße und Yuki spürte bereits, dass eine Kämpferin wirklich von Nöten war. Die Weißhaarige zögerte nicht lange und lief dahin, wo sie die Stimme hörte.

Weit musste sie auch nicht laufen, denn schnell sah sie die blonde Geiko, die lauthals versuchte sich drei halbtrunkene Männer vom Leib zu halten.

“Ich sagte, dass ihr mich in Ruhe lassen sollt. Ihr werdet es sonst bereuen!”

Yuki wusste, dass sie handeln musste, denn die Männer lachten nur über die Worte der Geiko, die sie wütend und bedrohlich ansah.

“Ich stehe auf wilde Kätzchen die einen ausländischen Stil haben. Die verkaufen sich besser. Sei ein braves Mädchen und wehr dich nicht so, sonst müssen wir dir unnötig wehtun.”

Immer noch lachend liefen die Männer auf die zierliche Geiko zu, die etwas zurückwich und ihre rechte Hand hinter ihren Körper schob.

‘Da muss ich eingreifen!’

Immer näher kamen die Männer dem Mädchen und zogen ihre Schwerter, um sie noch mehr unter Druck zu setzen. Yuki wusste, dass sie sofort eingreifen musste, weswegen sie auf die Männer zuging und ihr Schwert zog.

“Lasst die Geiko in Ruhe!”

Ruhig aber ernst sprach Yuki die Worte aus und zog die Aufmerksamkeit der Männer auf sich. Obwohl die Männer erst mit einer anderen Person gerechnet hatten, erweichte ihr erschrockener Blick, als sie die zierliche Gestalt des gefallenen Schneeengels sahen.

“Das ist sie? Die gefürchtete schwerttragende Geiko? Wie erbärmlich. Sie muss nur mal mit einem richtigen Mann kämpfen um zu spüren, wo ihr Platz ist.”

Lachend gab der Mittlere der drei Männer seinen Freunden ein Zeichen, was wohl bedeutete, dass er sich um die Neu hinzugekommene kümmern würde.

Nur zu deutlich war zu erkennen, dass er sie unterschätzte, weswegen sie ihm noch mehr eine Lektion erteilen wollte. Bereit für ihren Kampf ging Yuki in Kampfposition und fixierte den Rônin, auf dessen Bewegungen sie jederzeit passend reagieren wollte.

So wie Yuki es sich gedacht hatte, war auch dieser Rônin kampftechnisch eher weniger bewandert in der hohen Kampfkunst, weswegen er schon nach wenigen Sekunden bewusstlos am Boden lag. Nun musste sie sich nur noch um die anderen Männer kümmern und hoffen, dass diese sich noch nicht an der Geiko vergriffen hatten, doch als sie aufsah, bemerkte sie, dass ihre Sorgen unbegründet waren.

Vollkommen unbeschadet stand die blonde Geiko mit gezogenem Kodachi vor den Männern, die sich jammernd am Boden krümmten.

“Ihr Idioten! Ich bin die schwerttragende Geiko!”, brummte sie erzürnt und trat einen der Rônin in die Rippe.

Doch sie hielt sich nicht lange bei ihnen auf und sah zu Yuki, die sich aus ihrer unnötigerweise eingemischt hatte.

“Und nun zu dir! Weißt du wie gefährlich das war? Dir hätte was passieren können. Kleine Mädchen sollten nicht mit spitzen Schwertern spielen.”

Es gab zwei Dinge, die Yuki nun nicht glauben konnte. Zum einen, dass die Blonde wirklich Kampferfahren genug war um zwei Männer auszuschalten und zum anderen, dass sie so große Töne schwang.

“Ich spiele sich nicht. Ich bin eine erfahrene Söldnerin die nach Arbeit sucht.”, erklärte Yuki und steckte ihr Schwert wieder weg.

Sie versuchte äußerlich ruhig zu bleiben, doch die Worte der Geiko hatten sie in ihrer Ehre verletzt, auch wenn diese das wohl eher unabsichtlich getan hatte.

“Eine Söldnerin also… Du bist sicher nicht von hier, denn in diesem Land ist es nicht üblich, dass Frauen ein Schwert benutzen.”

Das was die Geiko ihr erzählte, war für Yuki nicht mehr neu. Im Grunde war die Tatsache auch Schuld daran, dass niemand, zumindest kein Mann ihr Arbeit geben wollte.

“Dann sind wir uns ja nicht unähnlich. Ihr tragt immerhin auch ein Schwert. Ich frage mich aber was ihr seid, Kriegerin oder Geiko.”

So wie Yuki, verstaute auch die Geiko ihr Kodachi wieder und ließ sie erneut wie eine Dame erscheinen, die nur zur Unterhaltung gut war.

Da sie alle Angelegenheiten hier geklärt hatte, wollte sie sich nun wieder wichtigeren Aufgaben zuwenden, weswegen sie schweigend an Yuki vorbei lief.

“Warte! Alleine können Sie sicher nicht auf die ganzen Geikos achten! Erlaubt mir hier zu arbeiten und euch zu unterstützen.”

Wider ihrer Natur blieb die Geiko stehen und drehte sich zu dem Engel um. Ernst fixierte sie das Mädchen, das ihrem Blick standhielt und damit deutlich machte, dass sie nicht zurückweichen würde. Sie hatte einen Ausdruck in den Augen welcher der Geiko vertraut war, denn damals hatte sie die Ausbilderin der Maikos mit demselben Blick angesehen und um Arbeit gebeten. Dieser Blick war der Grund, warum sie wusste, wie ernst es Yuki war.

“Ein Fuchs! Fangt ihn!”

Gerade als die Geikos etwas zu Yuki sagen wollte, hallte die Stimme ihrer Arbeitsgeberin durch die verwinkelten Gassen und es dauerte auch nicht lange, bis ein Fuchs mit einem Brötchen im Maul an dem Mädchen vorbei lief.

“Nun ja, wenn du mir hilfst den listigen Fuchs zu fangen, werde ich dir helfen hier eine Arbeit zu bekommen.”

Ein Lächeln glitt über das Gesicht der kämpferischen Geiko, die Yuki zur Fuchsjagd einlud. Es war ein Lächeln, das der Weißhaarigen sagte, dass sie akzeptiert wurde, weswegen sie nickte. Dieser Fuchs war ihre Chance doch noch etwas Geld zu verdienen.
 

Seufzend stützte sich Lhikan mit den Ellenbogen auf dem Tresen ab. Obwohl Erenya heute wieder im Laden aushalf, hatten erst wenige Kunden seinen Laden besucht. Heute war absolut nichts los und nicht einmal der rothaarige Krieger der Roshigumi besuchte sie heute.

“Ich glaube, du kannst heute früher Schluss machen”, sagte der Händler und sah zu Erenya, die gerade die Regale anständig einräumte.

Schweigend nickte die Schwarzhaarige, ließt aber nicht von ihrer derzeitigen Aufgabe ab. Sie wollte diese noch zu Ende bringen, bevor sie etwas Neues anfing oder Feierabend machte. Vertieft in ihre Arbeit bemerkte sie nicht einmal, wie ein Schönling den Laden betrat und sie mit seinen eisblauen Augen fixierte.

“Einen schönen guten Tag! Kann ich ihnen helfen?”

Nun doch recht aktiv wegen dem potentiellen Kunden, richtete sich Lhikan auf und ging auf den Mann im blauen Yukata zu. Er erkannte den Mann und ahnte, dass dieser wegen seiner Angestellten gekommen war, doch er hoffte, dass er sich irrte und endlich ein paar Yen in die Kasse kamen.

“Ich würde gerne mit dem himmlischen Wesen da drüben sprechen”, gab der Gefallene zu verstehen, ohne dass er seine eisigen Augen von Erenya abwandte.

Leise seufzte Lhikan und nickte. Der Mann konnte nicht schlecht sein, immerhin hatte er Erenya das Seidenband geschenkt, das sie immer im Haar trug.

“Erenya, ich bin im Lager!”

Der Händler wusste, dass er stören würde, weswegen er in die Richtung des Lagers lief.

“NEIN!”

Erschrocken fuhr Lhikan zusammen und drehte sich zu Erenya und dem Kunden.

Obwohl dieser Erenya nicht einmal berührte, geschweige denn ihr sonderlich nahe stand, hockte die Schwarzhaarige am Boden, als hätte er sie geschlagen und sie könnte sich mit ihrer gehockten Haltung vor weiteren Schlägen beschützen.

“Was ist los?”

Eilig lief Lhikan zu dem Mädchen und wollte sie in den Arm nehmen, doch der Fremde stellte sich ihm mit ernsten Blick in den Weg.

“Fass sie jetzt nicht an! Sonst bereust du es!”

Wie erstarrt blieb Lhikan vor dem Schönling stehen, der seinen Blick zu Erenya wandte, die wie Espenlaub zitterte und schrie.

“Tut mir nicht weh! Lasst mich… ich… Ich habe euch das nicht…”

Mit geweiteten Augen sah Erenya in die Leere und gebärde sich gegen die Luft auf, als würden dort blutdurstige Rônin stehen, die sie bedrohten.

“Wer bedroht dich?”, fragte der Gefallene und sah Erenya, deren Haare immer grauer zu werden schienen, an.

“Weiße Dämonen… rote Augen… Keine Menschen mehr…”

Leicht verengten sich die Augen des Mannes zu kleinen Schlitzen. Er kannte viele Wesen, die in anderer, nicht menschlicher Form, weißes Haar bekamen. Dazu gehörten auch die Dämonen des Landes, die sich selbst als Onis bezeichneten.

“Wie viele Hörner haben sie?”, fragte er gezielt nach, um mehr über das zu erfahren, was sie sah.

“Keine… Geschaffen… durch rotes Wasser…”

Weißer und weißer wurden Erenya Haare, während sie sprach. Doch nichts von dem was sie sagte, ergab für den Fremden, oder für Lhikan, Sinn. Rotes Wasser konnte blutgetränktes Wasser sein, oder flüssige, rote Farbe. Was genau sie meinte, wussten beide Männer nicht. Eines war aber sicher, ihre Worte kündigten eine unheilvolle Gefahr an.

“Was redet sie da?”, fragte Lhikan, dem auch die Veränderung an Erenya nicht unbemerkt blieb.

“Und was passiert mit ihr?”

Panik machte sich in Lhikan breit, denn er wollte nicht verantworten, dass Erenya etwas passierte.

“Shht! Sie ist nicht wieder in der Gegenwart!”

Böse sah der Fremde den Händler an, der sofort still wurde. Die Gewissheit, dass dieser Mann nicht böse war, war geschwunden, doch er schien mehr über Erenyas derzeitigen Zustand zu wissen.

“Shinsengumi… heißt… die Gefahr…”

Kaum, dass Erenya ihre letzten Worte gesprochen hatte und ihre Haare schneeweiß geworden waren, fiel das Mädchen vorne über und begab sich in die Welt der gegenwärtigen Träume.
 

Grummelnd lief Heisuke durch die Straßen Shimabaras und ließ seinen Blick suchend durch die Gegend schweifen. Zusammen mit Shinpachi war er hergekommen, um der schwerttragenden Geiko eine Trainingseinheit zu geben, doch irgendwo zwischen Eingang und seinem aktuellen Standpunkt hatte sich der große Muskelprotz weggeschlichen.

Ein Seufzer kam über die Lippen des Kurzen, der seine rechte Hand auf sein braunes Haar legte und es sich nachdenklich durchwuschelte.

‘Wo kann Shinpatsu-san nur hingegangen sein? Hier in Shimabara finde ich ihn doch nie.’

Zweifelnd sah Heisuke erneut über die weite Straße und zu den Holzbauten, die den Geikos, Maikos und später am Abend auch die Gäste beherbergten.

“Fangt diesen Fuchs!”

Verwundert drehte sich Heisuke um, als er die Stimme einer Frau hinter sich hörte, doch alles was er nur noch sah und spürte, war rotbrauner Pelz. Erschrocken wich Heisuke zurück, verlor aber das Gleichgewicht und fiel auf den harten Boden.

“Ist ihnen was passiert?”

Noch leicht benommen von diesem “Angriff” sah Heisuke zu einem Mädchen auf, dessen weißes Haar ihr strähnig über die Augen hing. Der junge Krieger blickte verstört zu dem Mädchen auf, dessen Augen vor seinem Inneren sich plötzlich rot verfärbte.

“Rasetsu…”, flüsterte er wie paralysiert, schüttelte aber den Kopf, denn es war unmöglich, dass eines dieser Wesen geflohen war.

“Nein. Alles okay. Ich war nur etwas überrascht”, antwortete er schließlich und stand wieder vom Boden auf.

Erst jetzt, wo er wieder auf dem Boden stand, sah er sich das Mädchen genauer an und bemerkte das Schwert, das um ihrer Hüfte hing.

“Warum jagst du den Fuchs?”, fragte er schließlich, verwundert wegen dem Aussehen des Mädchens.

“Wie es scheint, hat der Fuchs etwas Brot geklaut und wenn ich ihn fange, steigen meine Chance auf eine Arbeit.”

Nachdenklich sah Heisuke hinter sich, in die Richtung, wo wohl der Fuchs hingelaufen war. Er hatte nun die Wahl zwischen der Suche nach seinem Freund und der Hilfestellung einer Bewohnerin Kyotos.

Kurz wägte der Samurai ab, womit er wohl mehr Erfolg haben würde und traf schließlich seine Entscheidung.

“Okay, ich helfe dir. Wenn wir uns aufteilen, finden wir den Fuchs garantiert.”

Dankbar nickte das Mädchen und lächelte das Mitglied der Roshigumi an. Sie freute sich und hoffte, dass sie den gerissenen Dieb finden würden, denn sie brauchte die Arbeit.
 

Auf der Suche nach dem Fuchs sah Heisuke in jeden Winkel, in dem sich ein kleiner rotbrauner Fuchs verstecken konnte, doch bislang war seine Suche erfolglos.

Aufgeben stand aber nicht zur Debatte, denn weit konnte der Fuchs nicht gekommen sein.

Seufzend sah sich der Junge um und lief weiter über die leere Straße, vorbei an den Schuppen, wo Instrumente und andere Sachen gelagert wurden. Niemand war ihm auf seinem Weg entgegen gekommen und überall war es totenstill. Zumindest solange, bis er an einer offen stehenden Tür vorbeikam, die zum Lager der Kimonos führte.

“Hihi, wie schön!”

Leise drang ein Kichern an sein Ohr, das gefolgt war von einem Rumpeln. Fragend sah Heisuke zu dem Lager und verstand, dass die Tür eigentlich verschlossen sein sollte.

“Wie schön! Ob das mir passt? Wie ziehen die Menschen das nur an? Vielleicht so?”

Lauschend stand Heisuke an der Tür und versuchte herauszufinden, was da drinnen vor sich ging. Doch alles was er hörte, war die Stimme eines Mädchens, die vergnügt lachte.

‘Eine Geiko? Nein, wie sie spricht, bezweifle ich es. Aber wer kann es sein?’

Vorsichtig lugte Heisuke durch den Spalt der Tür, doch es war finster und außer einem beweglichen Berg konnte er nichts sehen.

‘Vielleicht der Fuchs… Aber nein, Füchse können nicht reden.’

Heisuke verstand, dass er keine andere Wahl hatte. Er musste die Tür öffnen um zu sehen, was hier vor sich ging.

Ohne zu zögern, griff Heisuke zum Türöffner und schob die Tür weiter auf, so dass genug Licht hinein schien und er das rotbraunhaarige Mädchen sehen konnte, dass ihm mit dem Rücken zugewandt, in einen Berg bunter Stoffe saß.

“Hihi. Der ist ja schön!”

Glücklich darüber, dass sie scheinbar etwas gefunden hatte, drehte sich das Mädchen zu dem Krieger um, der sah, dass sie sich einen Obi um ihre Oberweite gebunden hatte. Erst jetzt erkannte der Junge, dass sie bis auf diesen Obi nackt zwischen den ganzen Stoffen saß.

Knallrot wandte sich der junge Krieger um und räusperte sich, um sich für das Mädchen bemerkbar zu machen.

“Entschuldige, aber der Obi ist falsch gebunden. Außerdem solltest du erst einen Kimono anziehen, bevor du den Obi bindest.”

Fragend sah das Mädchen mit den braunen Augen zu Heisuke auf und sah sich wieder an. Eigentlich fand sie sich so ja recht hübsch, aber er als Mensch hatte sicher mehr Ahnung als sie, weswegen sie den Obi abwickelte und in einen der Kimonos schlüpfte.

“Und was mache ich mit meinem Schwanz?”, fragte das Mädchen, als sie den störenden und unbequemen Teil der Kleidung bemerkte.

Verwundert drehte sich Heisuke zu dem Mädchen um und bemerkte erst jetzt die buschige Ausbeulung unter dem Kimono, weswegen er sich das Mädchen genauer ansah. Er verstand auch nicht, wie er das übersehen konnte, aber aus ihrem Haar ragten zwei rotbraune Öhrchen.

Kaum, dass Heisuke die Ohren wahr genommen hatte, schlug er die Tür vor sich wieder zu und lehnte seinen Kopf gegen das braune Holz. Hatte er da wirklich Öhrchen gesehen?

“Hast du den Fuchs gefunden?”

Fast so, als hätte man ihn bei einer Straftat ertappt, fuhr Heisuke zusammen, als er Yukis Stimme hinter sich hörte. Langsam drehte er sich zu dem Mädchen um, die ihren Bereich scheinbar schon vollkommen abgesucht hatte.

“Nur ein… Mädchen mit Ohren…”, stotterte er und zeigte auf die Holztür.

Zu spät merkte er, was er da gesagt hatte, weswegen er auf das schallende Gelächter wartete. Doch Yuki schwieg und ging zur Tür, die sie mit Schwung aufschob.

Verstohlen sah Heisuke an der Weißhaarigen vorbei, doch außer den verstreuten Kimonos war nichts zu sehen.

‘Träume ich schon mit offenen Augen?’, fragte sich der junge Krieger, der sich bis eben sicher gewesen war, dass er dieses rotbraunhaarige Mädchen wirklich gesehen hatte.

“Da bist du ja!”

Langsam lief Yuki in den Raum zu einem Kimonoberg, der leicht zu zittern schien. Vorsichtig griff sie mit ihren zierlichen Händen hinein und zig das rotbraune Füchslein aus dem kostbaren Stoffhaufen.

“Du hast alle ganz schön auf trab gehalten und nun auch noch den armen Krieger verwirrt”, erklärte Yuki und strich dem Fuchs sanft über den Kopf.

Sie liebte Tiere und der Fuchs spürte das, denn er zitterte nicht mehr, als er einige Sekunden lang auf Yukis Armen war.

Ungläubig beobachtete Heisuke das Mädchen, das mit dem Fuchs auf ihn zukam und schließlich vor ihm stehen bleib. Fragend sah der Braunhaarige zu dem Mädchen, das ihn mit ernsten Gesichtsausdruck ansah.

“Und nun entschuldige dich bei dem Krieger.”

Wie, als hätte der Fuchs sie verstanden, hob dieser seinen Kopf und leckte Heisuke sanft über die Wange.

Obwohl es ein Fuchs war, der ihm entschuldigend die Wange ableckte, konnte Heisuke nicht anders als zu erröten.

“Braves Mädchen”, flüsterte Yuki und nahm den Fuchs wieder richtig in den Arm.

“Danke für deine Hilfe. Ich werde den Damen hier nun sagen, dass sie sich keine Sorgen mehr machen brauchen.”

Vorsichtig, weil sie ja den Fuchs im Arm hatte, verbeugte Yuki sich und lief aus dem Lager an Heisuke vorbei.

Schweigend sah Heisuke dem Mädchen und ihrer etwas seltsamen Wegbegleitung nach. Er hatte zwar keine finanzielle Danksagung oder dergleichen erwartet, aber irgendwie war ihm dieser Abschied viel zu schnell und mysteriös vorgekommen.
 

Schweigend lief Yuki mit dem Fuchs auf dem Arm die Straßen entlang. Sie dachte darüber nach, ob sie den Fuchs wirklich zu den Frauen bringen sollte, denn ihr war nicht klar, was diese dann mit dem kleinen Tierchen machen würden. Noch dazu war dies ja kein normaler Fuchs. Andererseits brauchte sie dingend Arbeit.

Stumm sah sie zu dem Fuchsmädchen, dass es sich auf ihrem Arm bequem gemacht hatte und sich schnurrend wie eine Katze an sie kuschelte.

“Also gut. Ich geh zu der Geiko und bitte sie darum dir nichts zu tun. Du musst aber versprechen, dass du nicht mehr klaust. Klauen ist schlecht.”

Sanft kraulte der Engel dem Fuchs unter dem Kinn, der das sichtlich genoss und auf ihre Worte hin leicht nickte. Yukis Ansage war klar verständlich für das rotbraune Fellknäuel. Und wie konnte man nein sagen, wenn man mit soviel Liebe und Hingabe gekrault wurde?

“Wenn du Bastard die Regeln so gut kennst, warum hältst du sie nicht ein?”

Abrupt blieb Yuki stehen, als sie die kalte vertraute Stimme eins ehemaligen Verbündeten wahrnahm. Langsam richtete sich ihr Blick auf das Dach, wo einer der Erzengel stand, der sie verfolgt hatte. Doch anders als vor einigen Tagen, wo sie unbewaffnet gewesen war, hatte sie heute keine Angst, weswegen sie sich ihrem Feind zuwandte.

“Lange nicht gesehen, Asmodius.”

Mit einer sehr deutlichen Bewegung machte Yuki der Füchsin klar, dass es besser war, wenn sie von ihrem Arm sprang, denn unter keinen Umständen wollte sie, dass ihr etwas passierte.

Die Füchsin verstand das und sprang von ihrem Arm. Dennoch wich das Weibchen nicht von Yukis Seite und fixierte ebenfalls Asmodius, der sein Schwert zog.

“Dieses Mal wird niemand dich retten. Du kannst deiner Strafe nicht mehr entgehen.”

Obwohl Yuki nicht wusste, wie gut ihre Chancen gegen einen Erzengel standen, wollte sie nicht kampflos aufgeben. Entschlossen zog sie Kojis Schwert und machte Asmodius klar, dass sie bis zu ihrem letzten Atemzug kämpfen würde.
 

Ein rauer Wind wehte über die Straße auf der sich Yuki und der Erzengel Angesicht in Angesicht standen.

“Zeig was du kannst, Bastard!”

Mit ganzer Kraft stieß sich Asmodius vom Boden ab und lief auf Yuki zu. Sofort ging das Mädchen in Verteidigungsposition und fixierte ihre Füße fest auf den Boden. Da Yuki wusste, wie stark die Erzengel waren, setzte sie alles daran nach seinen ersten Angriff nicht gleich in die Knie zu gehen.

Sie hatte Glück, denn Asmodius zögerte nicht sie mit voller Kraft anzugreifen und zuzuschlagen.

Rechtzeitig blockte sie mit Kojis Schwert seinen Hieb ab und stemmte sich gegen ihren Angreifer.

“Du bist wirklich eine kämpferische Amazone. Aber das wird dir nicht helfen!”

Kaum, dass Asmodius das gesagt hatte, entflammte die Klinge seines Schwertes. Bisher hatte Yuki nur durch Hörensagen von diesen Flammen gehört. Es war heiliges Feuer, das alles auslöschte, was mit ihm in Berührung kam. Yuki musste nur einen falschen Schritt machen, und sie war Geschichte.

“Und dir wird das heilige Feuer nicht helfen. Du wirst nie heiß genug sein um mich zu verbrennen!”

Angetrieben von ihrem Überlebenswillen, stemmte sich Yuki mehr gegen Asmodius und stieß ihn schließlich weit von sich weg. Es war ihre Chance. Da der Erzengel sich erst noch fassen musste, konnte sie die Gelegenheit beim Schopf packen und einen Gegenangriff wagen. Blitzschnell holte sie mit ihrem Schwert aus und ließ einen kalten Wind auf Asmodius zustürmen. Der von diesem ergriffen wurde.

Schützend hob er seine Arme und stemmte sich mit aller Kraft gegen diesen eisigen Wind. Doch selbst sein flammendes Schwert konnte nichts gegen diesen Angriff unternehmen.

Langsamer und kleiner loderte die Schwertflamme, die stark damit zu kämpfen hatte der Kälte zu widerstehen. Doch seine Flügel vereisten in jeder Sekunde mehr.

Mit entsetzen bemerkte der Erzengel, dass er nun wohl nicht mehr fliegen würde. Ein Ausweichen in die Luft war damit unmöglich.

“Jiahhh!!!”

Von Yukis Geschrei wieder in die Gegenwart geholt, sah er auf, doch alles was er spürte war die Klinge der Gefallenen, die über seine Brust schnitt und einen brennenden Schmerz hinterließ.

Fassungslos griff er zu seiner Brust und sah auf seine Blutverschmierte Hand, die verdeutlichte, was eben geschehen war.

“Das war ein Fehler… Du Bastard!”

Wütend sah Asmodius zu Yuki und legte mehr Kraft in sein Schwert, das noch mächtiger aufloderte. Er spürte die Kraft, die in ihm anstieg und er wusste, dass sie ausreichen würde, um dieses eisige Blag zu beseitigen.
 

Als Yuki Asmodius ansah, wusste sie, dass er es ernst meinte und sie war nicht scharf darauf von seinen Flammen gekitzelt zu werden. Sie musste also genug Abstand zwischen sich und dem Erzengel bewahren.

“Grüß die Dämonen der Hölle…”, zischte Asmodius und holte mit seinem Flammenschwert aus.

Heiß lodernd rasten seine Flammen auf Yuki zu, die geschockt, aber dennoch rechtzeitig auswich. Doch sie spürte die Hitze der mordhungrigen Flammen, die ihr entgegen schlugen und sie auslöschen wollten. Abstand zu halten war also auch keine Lösung, das wurde ihr klar. Alles was sie tun konnte war auszuweichen und ihr Leben so ein paar Minuten zu verlängern.

‘Nur wie lange halte ich das aus?’, fragte sich der Schneeengel und wich ein weiteres Mal Asmodius Flammen aus.

Ihr musste schnell was einfallen, denn lange würde sie bei dem Tempo, das der Erzengel an den Tag legte, nicht mithalten können.

“Meine Flammen sollen dich Bastard verschlingen!”

Wieder und wieder schlug Asmodius mit seinem Schwer zu und versuchte mit seinen bedrohlichen Flammen den Schneeengel zu treffen. Er ließ sich nicht einmal anmerken, wie beeindruckt er davon war, dass sie seinen Schlägen ausweichen konnte. Immerhin war sie der Feind und mit Feinden sympathisierte man nicht.
 

Sich aufmerksam umsehend, lief Chia durch die dunkelsten Gassen in Shimabara und suchte nach dem diebischen Fuchs. Von der Kriegerin die ihr helfen sollte, hatte sie auch nicht mehr gesehen, weswegen sie glaubte, dass diese bereits aufgegeben hatte und nach Hause gegangen war.

‘Die meisten tragen ihre Schwerter doch nur wie billigen Modeschmuck’, dachte die Geiko und sah unter der Erhebung eines kleinen Vorratschuppens.

So langsam fragte sie sich, wohin der Fuchs verschwunden war, denn weit konnte er mit dem Laib Brot nicht gekommen sein. Sicher saß er hier irgendwo und genoss seine Beute, bevor er weitere Diebstähle plante.

“Spüre die Flammen der Hölle!”

Erschrocken sah Chia auf, als sie die tiefe, hasserfüllte Stimme eines Mannes hörte. Der bedrohliche Unterton blieb ihr dabei nicht verborgen, weswegen sie zu ihrem Kodachi griff und in die Richtung lief, in der sie die Stimmen gehört hatte.

Weit kam sie aber nicht, denn durch einer kleinen Seitengasse sah sie den Mann, dem die Stimme gehörte und der eine ihre bekannte Weißhaarige Frau mit einem Flammenschwert angriff.

‘Sein Schwert steht in Flammen! Wie zum Teufel kann das sein?’

Vorsichtig und leise lief Chia durch die kleine Seitengasse und näherte sich dem Geschehen, von dem sie etwas Abstand bewahren wollte. Hier waren schließlich ihr unbekannte Kräfte am Werk und da wollte sie ihr Leben nicht leichtsinnig wegwerfen.
 

Schwer atmend und Kojis Schwert fest umklammernd, stand Yuki vor dem Erzengel, der scheinbar noch nicht einmal ins Schwitzen gekommen war und seinen nächsten Angriff vorbereitete.

Lange würde sie nicht mehr durchhalten, soviel war ihr klar, denn ihre Reaktionszeit wurde immer langsamer.

‘Ich muss ihn doch irgendwie besiegen können…’, dachte sich der Schneeengel und wich zurück, als ihr erneut ein paar Höllenflammen entgegen kamen.

Jedoch verlor sie das Gleichgewicht weil sie unglücklich auf den Boden aufgekommen war und ging auf die Knie.

‘Aufstehen, sofort!’, mahnte sich die Gefallene, die wusste, dass Asmodius erneut mit dem Schwert ausholte.

Er würden diesen schwachen Moment ausnutzen und sie vernichten, immerhin war das seine Aufgabe.

“Argh! Du verdammtes Mistvieh!”

Erschrocken sah Yuki auf, als sie Asmodius Schmerzensschreie hörte. Und dort sah sie die Füchsin, die sich in seiner Nase festgebissen hatte und ihm die Sicht auf Yuki versperrte.

Das war sie, ihre letzte Chance das Steuer herumzureißen und zu gewinnen.

Fest umklammerte Yuki ihr Schwert und erhob sich vom Boden. Sie durfte nicht länger zögern, keinen einzigen Augenblick lang.

So schnell Yuki konnte, lief sie los und erhob ihr Schwert mit dem sie auf den Erzengel zur Hölle schicken wollte.

Doch bevor sie ihm nahe genug kam, riss er sich die Füchsin aus dem Gesicht, wodurch sich seine blutige Nase offenbarte.

‘Bin ich zu langsam gewesen?’

Ein kurzer zweifelnder Gedanke durchfuhr Yuki, als sie sah, dass die Ablenkung der Füchsin nicht ausgereicht hatte.

‘Nein! Ich muss es riskieren!’

Ohne weiter zu zweifeln, oder stehen zu bleiben, lief Yuki schneller auf Asmodius zu, der sie nun bemerkte und den Fuchs fallen ließ.

Blitzschnell hob er sein Schwert und ließ es auf Yuki niedersausen, die sich ihm Schritt für Schritt näherte und ihr Schwert gegen ihn erhoben ließ.
 

Chias Augen weiteten sich, als sie zu dem Kampfgeschehen sah. Beide Kämpfer standen sich Angesicht in Angesicht gegenüber, doch nur einer hatte gewonnen, denn das Geräusch von aufeinanderprallenden Klingen war ausgeblieben.

“Du… Ausgeburt…”

Würgend sprach der Kämpfer mit dem Flammenschwert, das bis zum letzten Funken erloschen war, die Worte für seine Gegnerin aus.

“Stirb endlich!”, wisperte Yuki und drehte ihre Schwertklinge, die sich in sein Inneres gebohrt hatte.

Erneut würgte der Mann, doch dieses Mal spuckte er Blut, das auf Yukis Wange tropfte. Obwohl er wusste, dass er verloren hatte, lächelte er und sah zu der Kriegerin.

“Die Anderen… werden… dich beseitigen…”, keuchte er bevor er gequält aufstöhnte und seine Beine ihm den Dienst versagten.

“Sollen sie kommen… ich werde um jeden Atemzug kämpfen!”

Grob stieß das Mädchen den Mann von sich und zog ihr Schwert aus seinem leblosen Körper, der wie ein Stück geschlachtetes Vieh zu Boden fiel.

Mit ein paar Bewegungen schüttelte das Mädchen das Blut von ihrer Klinge und ließ sie wieder in die Schwertscheide gleiten, ehe sie sich dem Fuchs zuwandte.

“Danke für deine Hilfe…”, flüsterte sie leise und bückte sich zu dem Tier, das sofort auf sie zutapste und ihr auf die Schulter sprang.

“Ihr seid wirklich ein gutes Team. Frau Söldnerin, ihr bekommt von mir euren ersten Auftrag!”

Erschrocken fuhr Yuki zusammen, als sie die Stimme der schwerttragenden Geiko vernahm. Ihr Blick wandte sich in die Richtung, aus der ihre Stimme gekommen war und wo die blonde Geiko immer noch in ihrem sicheren Versteck stand.

Yuki verstand, dass sie alles mit angesehen hatte und dass die Geschehnisse hier nur schwer zu erklären sein würden.
 

Yukis Blick war gen Himmel gerichtet, als sie mit dem Fuchs auf dem Arm durch die verwinkelten Wege des Tempels lief, in dem die Roshigumi stationiert war.

“Was diese Geiko wohl mit der Roshigumi zu tun hat?”

Fragend sah Yuki zu der Füchsin, die ihr Schnäuzchen rümpfte, als wollte sie damit sagen, dass sie es auch nicht wusste. Leise seufzte Yuki. Nun hatte sie zwar eine Aufgabe, die ihr Geld brachte, aber sie hätte nie gedacht, dass es sie wieder hier her verschlagen würde.

“Vielleicht treffe ich ja Kondou-san oder Hijikata-san. Dann kann ich sie fragen wie ihre Suche nach Erenya läuft.”

Sanft strich Yuki über das rotbraune Fell der Füchsin, wobei sie ihre Worte mehr ans sich selbst gerichtet hatte.

“Es scheint so, dass dir unsere leitenden Forschungen am Ochimizu nicht gefallen.”

Yuki hielt in ihren Schritten inne, als sie die Stimme eines Mannes hörte. Suchend ließ sie ihren Blick durch die Gasse streifen und schließlich den kleinen Krieger und einen Mann mit Glatze.

“Ja. Ich verstehe unsere Situation. Aber dennoch will ich nicht, dass meine Freunde diese Medizin nehmen!”

Schutzsuchend drückte sich Yuki an die Holzfassade eines Gebäudes und sah um die Ecke, wo beide Männer über irgendeine ihr unbekannte Medizin sprachen.

“Wie auch immer, es ist auch ein Fakt, dass unzählige Leben mit Hilfe der Medizin gerettet werden können.”

Konzentriert lauschte Yuki auf die Worte. Sie wusste nicht warum, doch der glatzköpfige Mann löste in ihr ein gewisses Unbehagen aus. Etwas an diesem Mann ließ ihr Inneres erzittern. Sie wusste nur nicht was es war.

“Leben retten? Eine Medizin, die Menschen in Monster verwandelt?”

Yuki wurde hellhöriger, als der Krieger das Wort Monster aussprach. Die Füchsin hingegen zuckte auf ihrem Arm zusammen, so als ob sie ahnte, wovon die beiden sprachen. Wusste sie etwas?

“Die Kraft die man durch das Ochimizu erhält, ist eine Lüge. Es mag vielleicht keine wahre Kraft sein und es ist vielleicht eine Lüge, aber solange du es besitzt, kannst du die beschützen, die du liebst.”

Obwohl der Schneeengel nicht verstand wovon die Männer da sprachen, hatte sie immer mehr ein ungutes Gefühl.

‘Eine Medizin, die einem irreale Macht verleiht… und einen in ein Monster verwandelt… Das klingt wie ein Pakt mit dem Teufel.’

Vorsichtig sah Yuki hinter ihrem Versteck hervor und bemerkte, wie das Mitglied der Roshigumi sein Schwert zog und auf den älteren Mann richtete.

“Wenn die Kraft, die du suchst uns Schaden bringen kann… Werde ich sie auf der Stelle umbringen! Jeder hat seine eigenen Gründe, Ideen und bestreben! Es ist nett, wenn sie die Dinge direkt aussprechen. Aber wenn sie es nicht können… Wenn zwei Dickköpfe aufeinander treffen, ist der Kampf die einzige Möglichkeit. Das ist, was ich denke. Dennoch, wenn es möglich ist…”

Yukis Atem stockte. Sie verstand, was der Kleinere sagte, auch wenn seine Art sich zu artikulieren nicht die Geschickteste war.

“Ich möchte niemanden töten wenn ich es nicht muss. Ich denke, es wäre großartig, wenn ich niemals jemanden töten müsste.”

‘Aber ich werde es tun, wenn sie meine Freunde oder Unschuldige mit ihrer Medizin verletzten’, beendete Yuki den Satz in Gedanken und ließ sich die Hauswand runter gleiten, als sich der ältere Mann verabschiedete und in ihre Richtung lief. Sie fragte sich, wo die Roshigumi hineingeraten war und was der Fuchs wusste, der immer noch an ihren Körper gekuschelt war, zitterte.
 

Einige Tage waren vergangen und Mizu erledigte wie sonst auch ihre Arbeit im Tempel gewissenhaft. Das musste sie auch tun, denn jetzt wo es Erenya wieder schlechter ging und man nicht mit ihr reden konnte, musste sie die Aufgaben für zwei erledigen.

“Serizawa-san!”

Unwillkürlich zuckte Mizu zusammen, als sie Kondous Stimme hörte. Selten hatte sie das Oberhaupt der Roshigumi so aufgebracht gehört. Der Brünette war klar, dass etwas auf ihrer Reise vorgefallen sein musste, weswegen sie sich vom Boden, den sie gerade schrubbte, erhob. Da sie wusste, dass Souji ebenfalls mit auf Reisen gegangen war, hoffte sie, dass es ihm gut ging und dass er sich nicht wieder zu irgendwas Dummen verleiten lassen hatte.

Schnell lief sie zu der Gruppe, in deren Gesichter sie aber bereits die ganze Wahrheit erkennen konnte.

“Sannan-san, ist etwas passiert?”, fragte Hijikata, der die schlechten Nachrichten ebenfalls aus den Gesichtern sein Männer heraus lesen konnte.

Der Einzige, der keine finstere Miene hatte, war Souji, der fast schon zufrieden mit sich zu sein schien und grinste.

“Es gab einen Kampf mit unbewaffneten Sumoringern in Osaka…”

‘Einen Kampf?’

Fast zeitgleich dachte Mizu die Worte, die Hijikata laut aussprach.

“Serizawa-san und Okita-kun… sie haben die Ringer ausgeschaltet.”

Geschockt hielt sich Mizu die Hände an den Mund, um keinen Schrei ihres Entsetzens entfliehen zu lassen. Ihr Blick haftete aber auf Souji, der bei der Erinnerung daran noch zufriedener vor sich hinlächelte.

Ein Kuss geschenkt in der Nacht

Nachdem die Männer sich zu einem ernsten Gespräch versammelt hatten um über die Geschehnisse in Osaka zu reden, hatte Mizu ihren Eimer in unmittelbarer Nähe von ihnen getragen und angefangen den Boden zu putzen.

“Wenn ich Serizawa-san nur nicht aus den Augen gelassen hätte…”, brummte Kondou, der sich die Schuld für die Vorkommnisse auf der Reise gab.

Mizu konnte sich aber nicht vorstellen, dass mehr Aufmerksamkeit auf das zweite Oberhaupt der Roshigumi, wirklich den Vorfall hätte abwenden können.

Vor Mizus innerem Auge blitzte das Bild des alten Mannes auf, der auf der einen Seite so großväterlich wirkte, aber im inneren so verdorben wie fauliges Obst war.

“Eure Ausreden sind mir egal!”

Erschrocken zuckte Mizu zusammen, als der sonst so ruhige Hijikata seine Stimme erhob und seinen Unmut breit machte.

“Warum zum Teufel habt ihr eure Schwerter gegen unbewaffnete Männer gezogen?!”

Es war deutlich zu hören, dass Hijikata genug von den fadenscheinigen Ausreden seiner Männer hatte und nun die Wahrheit wissen wollte.

“Dann werde ich meinen Bauch aufschlitzen, dafür, dass ich vom Weg eines Kämpfers abgekommen bin.”

Mizus Augen weiteten sich, als sie Soujis Stimme hörte und den kalten Unterton in seinen Worten bemerkte. Er war wirklich bereit zu sterben und für sein Vergehen zu büßen, wenn Hijikata es forderte.

Zitternd erhob sich Mizu vom Boden und suchte Halt an einem Holzpfeiler. Ein grausiger Schmerz durchzog ihr Herz, das mit einem Mal langsamer zu schlagen schien. Innerlich flehte sie aber Hijikata an, dass er von Souji nicht den Seppuku forderte.

“Deinen Bauch aufschlitzen wird diese Angelegenheit nicht lösen!”

Erleichtert ließ sich Mizu an dem Holzpfeiler wieder zu Boden gleiten. Sie wusste, was Hijikatas Worte bedeuteten und sie war froh, dass Souji nicht sterben musste.
 

Der Nachmittag verstrich und Mizu hatte, als die Sonne unterging, alle Arbeiten erledigt. Müde lief die Brünette zum Tor, das ihr den Weg in die Freiheit weisen würde, sobald sie es durchquert hatte.

“Geht es Eri-chan gut?”

Mizu war noch nicht einmal richtig aus dem Tor raus, als sie Haradas Stimme vernahm. Fragend sah sie neben sich, wo der großgewachsene Krieger an der Mauer gelehnt stand. Das Mädchen verstand, dass der Krieger scheinbar hier auf sie gewartet hatte um sie nach Erenyas Befinden zu fragen.

“Ihr geht es gut… Aber…”

Kurz hielt Mizu inne und sah zu Boden. Sie überlegte, wie sie dem Krieger erklären sollte, was mit ihrer Freundin und Mitbewohnerin war.

“Lhikan sagte, dass sie kein Mensch ist. Und scheinbar ist gerade ihre nicht-menschliche Seite erwacht. Sie schläft nicht, sie isst nicht… Sie starrt einfach nur auf dieses Schwert das in der Ecke steht und schweigt.”

Mit wenigen Worten beschrieb Mizu den Zustand, in dem Erenya sich wieder befand. Alles war wie am Anfang. Sie konnten sie nicht einmal berühren, ohne dass sie kalt ihre Stimme erhob und sie mit ihren leeren amethystfarbenen Augen ansah.

“Was ist passiert?”

Ernst fixierten Haradas goldbraunen Augen das Mädchen, das ihm nur einen traurigen, mitleidigen Blick schenkte.

“Harada-kun…”, flüsterte sie leise und seufzte innerlich.

Sie wusste um die Gefühle des Kriegers. Und sie ahnte, dass Erenya ähnlich wie er empfand.

‘Haben sie überhaupt eine Zukunft… wenn Erenya doch kein Mensch ist?’, fragte sich die Brünette ohne ihren Blick von dem Krieger zu nehmen.

Sollte sie sagen was sie dachte? Sollte sie ihm zu verstehen geben, dass er seine Gefühle für Erenya besser unterdrückte? Würde das ihrer Freundin helfen? Oder wäre es der schlimmste Verrat, den sie an dem Puppenmädchen begehen konnte?

“Aufwiedersehen!”

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, lief Mizu los. Sie musste weg, bevor sie einen Fehler beging und beiden das Herz brach. Auch, wenn sie befürchtete, dass die beiden einander in der Zukunft verletzen würden.
 

Die Sonne war vollends untergegangen, als Daren ein Lokal in Shimabara betrat und bei einem Schälchen Sake und gutem Essen entspannen wollte.

Langsam ließ der Oni seinen Blick durch das Lokal streifen, in dem bereits angetrunkene Krieger ihre trockenen Kehlen mit Sake und Schnäpsen befeuchteten. Es war ein gewohntes Bild, das sich ihm hier bot. Zumindest fast, denn in der Menge erkannte er einen blonden Schopf, der wie der Mond am Abendhimmel hervorstach.

Ruhig lief Daren dahin, wo der ihm Bekannte saß und genehmigte sich den freien Platz, dem der Mann den Rücken zugewandt hatte.

“Was treibt dich in die Hauptstadt, Kazama?”, fragte er ruhig, wissend, dass der Blonde seine Stimme trotz des Tumults nur zu deutlich hörte.

“Tze… Dasselbe könnte ich dich fragen. Spielst du wieder deine Spielchen mit den Menschen?”

Ein Grinsen huschte über Darens Gesicht, als Kazama ihn nun eine Frage stellte, statt seine zu beantworten. Das konnte nur bedeuten, dass der Bekannte etwas zu verbergen hatte. Aber ihm konnte das auch egal sein, denn obwohl sie einander kannten und auch recht gut miteinander auskamen, waren ihre Ziele und Hoffnungen von Grund auf verschieden.

“Nein. Ich bin hier, weil ich etwas suche, dass das lästige Geflügel verloren hat.”

Leicht verzog Kazama das Gesicht, als Daren von den Engeln anfing. Er wusste, wie groß die Abneigung gegenüber des Federviehs war und auch, dass der alte Freund alles versuchen würde um sie auszulöschen. Ihm hingegen war das Geflügel egal, solange es ihn in Ruhe ließ.

“Und was haben sie verloren?”, fragte er schließlich und nippte an seinem Schälchen Sake.

Es war nicht so, dass er es wirklich wissen wollte. Vielmehr wollte er abschätzen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war den Engeln über den Weg zu laufen.

“Ihr letztes Püppchen…”

Ein breites Grinsen lag auf Darens Gesicht, als er die Worte aussprach. Er spürte, dass Kazama in seiner Bewegung inne hielt und sich der wahren Bedeutung seiner Antwort bewusst wurde.

Zufrieden sah der Oni auf den Sake, der vor ihm auf den Tisch platziert wurde.

“Ich dachte, das sehende Geschlecht sei ausgestorben”, antwortete Kazama schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit des Schweigens.

Kurz dachte Daren darüber nach was er sagen sollte. Er hoffte, dass er den Kühlen von seinem Plan überzeugen konnte, denn er wollte nicht, dass dieser sich ihm in den Weg stellte.

“Nicht ganz. Sie ist die Letzte ihres Geschlechts und wurde von einem Schneeengel aus ihrem goldenen Käfig befreit. Stell dir die Macht und die Möglichkeiten vor, die wir bekommen, wenn wir sie als Erstes finden. Weder Menschen noch Engel können unser Volk dann noch dezimieren”, erklärte er und sah mit leuchtenden Augen zur Decke.

Er sah dieses Utopia förmlich vor sich. Und es war zum greifen nahe. Das musste selbst Kazama Chikage, der mächtigste Oni des Westens, erkennen.

“Tze…”

Es war ein leiser, verächtlicher Laut, der Darens Hoffnung auf eine Zusammenarbeit zunichte machte.

“Bist du etwa anderer Meinung, Kazama?”, fragte er deswegen und wandte seinen Kopf leicht zu ihm um.

“Wenn du ihr ‘Püppchen’ benutzt, bist du nicht besser als das, was du hasst. Onis sind nicht dazu bestimmt sich offen mit Menschen oder Geflügel anzulegen. Die Ruhe unserer Heimat… das ist unsere Bestimmung.”

Wütend über Kazamas Worte sprang Daren auf und wandte sich nun gänzlich zu dem Blonden um.

“Und der Yukimura-Clan?! Hast du vergessen, was die Menschen mit den stärksten Onis des Ostens gemacht haben? Wir können nie in Frieden leben, wenn weder Menschen noch Engel ihn uns lassen!”

Hass spiegelte sich mit jedem Wort, das Daren sprach, in seinen Augen wider. Selbst wenn Kazama diesen erbärmlichen Würmern vergeben hatte, er würde das nie tun.

“Der Untergang des Yukimura-Clans war in der Tat ein Verlust und sollte sich nicht mehr wiederholen. Zumindest werde ich dafür sorgen, dass meinem Clan nicht dasselbe widerfährt.”

Ruhig erhob sich Kazama von seinem Platz, als er das letzte Sakeschälchen gelehrt hatte, und wandte sich dem Gehen zu. Er hatte keine Lust sich länger mit Daren über dessen größenwahnsinnigen Ideen zu unterhalten.

“Du willst einfach so gehen ohne über meinen Plan nachzudenken?”

Kazama hörte die wütenden Worte, die ihm Daren nachrief. Doch er lief nicht einfach weiter und ignorierte ihn, so wie er es eigentlich geplant hatte. Er blieb stehen und sah den Oni aus seinen roten Augen heraus ernst an.

“Ich muss nicht darüber nachdenken. Es ist offensichtlich, dass dein Plan zum Scheitern verurteilt ist. Und wenn du nicht aufpasst, Kurokage, wird dieses ‘Püppchen’ dein Untergang sein.”

Ohne ein weiteres Wort, verließ Kazama das Lokal und ließ Daren wütend mit seinen Plänen alleine zurück.

‘Du wirst schon sehen, Kazama… Ich werde nicht versagen!’
 

Ein Seufzen kam über Mizus Lippen, als sie nach Hause kam und Erenya, wie am Morgen, auf ihrem Futon saß und das Schwert in der Ecke anstarrte.

Mizu erkannte, dass das Mädchen sich wohl während ihrer Abwesenheit keinen Zentimeter bewegt hatte.

“Erenya?”

Vorsichtig näherte sich die Kriegerstochter dem Mädchen, das puppenhaft weiter zu dem Schwert starrte, aber nicht auf sie reagierte.

“Harada-kun hat nach dir gefragt. Ich glaube er macht sich Sorgen um dich. Soll ich ihn zum Abendessen einladen?”

Schritt für Schritt kam Mizu dem Mädchen näher, das nun doch auf ihre Worte reagierte und sie ansah.

“Harada-kun?”, fragte sie leise, aber vollkommen emotionslos.

“Ja genau. Harada-kun von der Roshigumi. Du scheinst ihm viel zu bedeuten, Eri-chan.”

Da Erenya scheinbar auf Harada reagierte, hoffte Mizu, dass sie der Puppe mehr Worte entlockte, wenn sie über den Krieger sprach. Doch ihre Hoffnungen wurden zerschlagen, als Erenya ihren Blick wieder zu dem Schwert wandt.

“Harada-kun…”, flüsterte Erenya noch mal leise, ehe sie wieder für den restlichen Abend schwieg.
 

Obwohl Erenya in ihrem Futon lag, konnte sie nicht schlafen. Stumm starrte sie bis zum Morgengrauen an die Holzdecke.

“Harada-kun…”

Leise kam ihr der Name des Kriegers über die Lippen, als sie sich erhob und aus ihrem Futon stieg.

Sie wusste nicht, warum sie tat was sie eben machte. Sie folgte einfach nur ihrem Instinkt und ging zu dem Schwert, das in der Ecke stand.

Ohne zu zögern griff sie zu dem Kampfgerät, das sich so vertraut in ihren Händen anfühlte. In ihrem Inneren keimte die Gewissheit auf, dass sie diese Waffe schon einmal geführt hatte. Sie hatte damit ihr Leben vor dem Bösen dieser Welt gerettet. Das Blut das sie beschworen hatte, leuchtete vor ihren Augen auf. Sie sah es förmlich noch an der Klinge kleben.

“Harada-kun…”, flüsterte sie, als sie mit dem Schwert in der Hand langsam zum Ausgang lief.

Sie hörte nicht einmal, wie das scharfe Metall über den hölzernen Boden kratzte, als sie ihr sicheres Heim und Mizu verließ.
 

Wie aus einem schlechten Alptraum schreckte Mizu plötzlich hoch und sah sich verschlafen in ihrem Zimmer um. Sie überlegte, was sie geträumt hatte, dass ihr Herz nun so schnell schlug, das sie glaubte, dass es sich nicht mehr beruhigen wollte.

Als sie sich aber nicht erinnerte, atmete sie ruhig aus und schloss kurz die Augen, um ihren Herzschlag kontrolliert herunterbringen zu können.

“Es ist ziemlich frisch…”, flüsterte sie leise, als ihr ein kalter Wind um den leicht bedeckten Körper wehte.

Suchend sah sich Mizu in dem Zimmer um, denn dieser Luftzug war nicht normal. Schnell bemerkte sie auch, was diesen seltsamen Umstand herbeigeführt hatte.

Speerangelweit stand die Tür offen und ließ Mizu nun endgültig wach werden.

Angst erfüllt sah die Brünette neben sich, doch der Futon neben ihr war leer.

‘Erenya!’

Wie ein Stromschlag durchfuhr es Mizu. Ihre Mitbewohnerin war verschwunden.

Sofort sprang sie auf und lief zur Tür. Sie hoffte, dass das Mädchen wie schon einmal einfach nur auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses war. Ihr wäre auch egal, wie das Mädchen es darauf geschafft hätte. Sie wollte einfach nur wissen, dass sie noch hier war.

Suchend sah Mizu zu dem Dach, doch nirgends war auch nur eine Spur von Erenya zu sehen.

Mit einer gewissen Panik drehte sich Mizu wieder um und sah sich die Wohnung genauer an. Vielleicht fand sie ja einen Hinweis auf Erenyas Verbleib. Doch sie fand nichts, nicht einmal das Schwert, das seit Erenyas Ankunft in der Ecke gestanden hatte.
 

Schwer atmend lief Lhikan durch die Straßen Kyotos. Recht früh am Morgen war Mizu kreidebleich zu ihm gekommen und hatte ihm von Erenyas Verschwinden berichtet. Da er ihr erzählt hatte, was er von dem Mädchen erfahren hatte, wussten sie, dass sie das Mädchen unbedingt finden mussten, bevor ein Unheil passierte.
 

“Was ist mit Erenya passiert? Was hast du gemacht?”

Kreidebleich sah Lhikan den Mann im hellblauen Yukata an. Dieser Hielt Erenya, die nach vorne gekippt war und immer noch schneeweißes Haar hatte, fest in seinen Armen.

“Ihr Menschen seid so armselig. Ich habe nichts mit ihr gemacht. Was du eben gesehen hast, war ihre Gabe.”

Ernst fixierten die eisblauen Augen den Händler, der nicht so richtig wusste, was er tun sollte.

“Erenya kommt nicht aus dieser Welt. Sie ist kein Mensch… und diese weißen Haare sind der Beweis dafür.”

Vorsichtig hob der Gefallene das Mädchen an und brachte es in die Richtung des Lagers.

“Was meinst du mit ‘Sie ist kein Mensch’? Was ist sie dann? Ein Oni? Ein Monster? Eine Hexe?”

Lhikans Stimme überschlug sich, als er aufzählte was er alles an nicht-menschlichen Wesen kannte. Seine Worte brachten sogar den Mann dazu stehen zu bleiben und sich zu ihm zu drehen, wobei er von ihm einen Blick erntete, der ihn hätte töten können, wenn so etwas möglich gewesen wäre.

“Wenn du es noch einmal wagst, diesen Engel einen Oni oder ein Monster zu nennen, dann möge Gott deiner verdorben, menschlichen Seele gnädig sein.”

Aus den Worten des Gefallenen hatte Lhikan die Kälte gespürt, was ihm verriet, dass dieser Mann wohl auch von Erenyas Art war. Zumindest erklärte er sich so, woher er soviel über das Mädchen wusste.

“Ach, eins noch… Sollten ihre Haare weiß bleiben… zögert nicht sie umzubringen. Denn dann ist sie das gefährlichste Wesen, was ihr je zu Gesicht bekommen habt.”
 

Noch immer fröstelte es Lhikan, wenn er an die Worte des Schönlings dachte. Er und Mizu waren deswegen froh gewesen, als Erenyas Haar wieder eine schwarze Farbe angenommen hatte. Doch nun, wo sie verschwunden war, konnte sie jederzeit zu einer Gefahr für sich oder andere werden.

“Andere dazu zu zwingen dir Geld zu leihen ist unentschuldbar.”

Lhikan sah auf, als er eine ihm bekannte Stimme hörte. Schnell sah er auch den Ursprung, dank einer Menschenmenge, die sich vor einem Laden versammelt hatte.

Mal wieder war es die Roshigumi oder vielmehr ihr Anführer Serizawa, der mit einer Verhaftung für Aufsehen sorgte.

“Er macht daraus eine Show.”

Lhikan ließ seinen Blick durch die Menschenmassen gleiten, wo er zwei Mitglieder der Roshigumi erblickte.

‘Vielleicht… wenn dieser Harada nach Erenya sucht…’, dachte er und überlegte einen Augenblick.

“Hey, ihr beiden! Ich hab eine Nachricht für euren Freund Harada!”

Fragend sahen Saito Hajime und Nagakura Shinpachi zu dem Händler auf, der sich ihnen näherte.
 

Summend lief das Fuchsmädchen in ihrer Menschenform und von Yuki in einen Yukata eingekleidet, durch die verwinkelten Wege des Tempels, den sie einst ihre Heimat genannt hatte.

Auf ihrem Arm trug sie eine Tüte, die sie von dem Schneeengel bekommen hatte. Darin waren Bestellungen, die die Roshigumi in Shimabara gemacht hatte und sie hatte die Ehre sie ausliefern zu dürfen und vielleicht dem freundlichen, jungen Krieger wieder begegnen zu können.

Glücklich umklammerte das Fuchsmädchen die Tüte, als sie plötzlich Krach hörte, der sie zusammenfahren ließ. Vor Schrecke verwandelte sie sich wieder in die Füchsin und ließ die Tüte mit der Bestellung fallen.

“Niu?”

Neugierig, was nun wieder in ihrem alten Heim passiert war, lief die Füchsin über geheime Wege zu dem Ort des Geschehens, wo sie auch schon Ibuki am Boden sah.

Vorsichtig näherte sie sich ihm, doch sie hielt inne, als sie das weißhaarige Wesen bemerkte, dass Ibuki ansah und sich bereit machte ihn anzufallen.

“Was war das?!”

“Es kam von draußen!”

Ängstlich zog sich die Kitsune in die Büsche zurück, als sie die Stimmen der anderen Männer vernahm. Doch nicht nur sie entschied, dass ein Rückzug das Klügste war. Auch dieses blutrünstige Wesen floh über die Dächer und wurde damit zu einer Bedrohung für ganz Kyoto.

‘Yuki ist da draußen!’

Mit Schrecken wurde dem Fuchsmädchen bewusst, dass Yuki irgendwo da draußen war und nach diesem Mädchen suchte. Sie musste den Engel finden und ihn vor diesem Wesen warnen, bevor etwas passierte.

Ohne länger zu zögern, lief die Füchsin aus ihrem Versteck und lief in die Richtung Innenstadt, wo sie bereits Yukis Fährte witterte.
 

Suchend sah sich Yuki auf der Straße um. Durch Koji, der sie am Tage aufgesucht hatte, hatte sie erfahren, dass Erenya vor wenigen Tagen eine Vision erhalten hatte. Wenn sie nun SO, alleine durch die Straßen Kyotos, in ihrer puppenhaften Art, umherlief, war es gefährlich. Sie musste das Mädchen also schnell finden.

“NIU!!!”

Yuki fuhr zusammen, als sie die Stimme der Füchsin hinter sich hörte. Sie war so in Gedanken gewesen, dass sie mit dem Fuchsmädchen nicht gerechnet hatte, zumal sie eigentlich eine Lieferung machen wollte. Es musste also irgendwas passiert sein.

“Natsu? Was ist los?”, fragte sie deswegen, als sie die Arme ausbreitete, in die das Fuchsmädchen erleichtert sprang.

“Niu Niu… Niu… Niu Niu Niu… Niu…”

Fast schon panisch berichtete die Füchsin was sie gesehen hatte, wobei sie Yuki, deren Augen sich weiteten, genau im Auge behielt.

“Noch so eines dieser Monster? Bist du dir absolut sicher, Natsu?”

Schon am Tag zuvor hatte Yuki von dem Fuchsmädchen erfahren, was sie einst aus ihrer Heimat vertrieben hatte. Sie war entsetzt gewesen, doch noch mehr entsetzte sie jetzt, dass das erste Monster für die Roshigumi keine Warnung gewesen war.

‘Hat Erenya diese Wesen gesehen?’

Wie von selbst keimte dieser Gedanke auf, denn ihr Informant, der gefallene Engel Koji, hatte sehr detailliert über Erenyas Vision berichtet.

“Komm mit. Wir müssen das Monster ausschalten, bevor jemand zu Schaden kommt”, wisperte die Gefallene und ließ die Füchsin wieder auf den Boden.

Sie konnte einfach nicht zulassen, dass so ein gefährliches Monster die Straßen unsicher machte. Noch dazu, wenn Erenya auf diesen wandelte.

Mit der Hand auf ihrem Schwert, lief Yuki in die Richtung aus der Natsu gekommen war. Vielleicht war dieses Wesen doch noch in der Nähe der Roshigumi.
 

Müde ließ sich Koji am Fluss nieder. Sie Sonne war bereits untergegangen und auch ihm schwanden langsam die Kräfte, nachdem er den ganzen Tag über nach dem Puppenmädchen gesucht hatte.

Ihm war im Laufe des Tages der Händler begegnet, der ihm nur widerwillig, aber doch sehr aufgebracht, berichtet hatte, dass Erenya mit einem Schwert verschwunden war.

Nachdenklich sah der gefallene Engel auf den Fluss. Ihre Lage sah alles andere als gut aus, denn das Schwert, das er meinte, war mit großer Wahrscheinlichkeit das von Yuki. Da war sich der Gefallene ziemlich sicher.

‘Was hat sie dazu gebracht ihren Aufenthaltsort zu verlassen?”

Hochkonzentriert sah der Krieger auf das Wasser und versuchte eine Antwort auf seine Frage zu finden. Es war aber schwer eine zu finden, wenn man nicht wusste, was in dem Kopf einer Puppe vor sich ging.

‘Ob sie zurück in den Himmel will? … Nein, darauf wurde sie sicher nicht erzogen. Wie ich den Alten kenne, hat er höchstens ihren Überlebenswillen geprägt…’

In seinen Gedanken versunken schloss Koji seine eisblauen Augen. Er hoffte, dass er so eine Antwort auf seine Frage fand, denn so konnte er das Mädchen vielleicht schneller finden und vor dem schlimmsten bewahren.

“Ryunosuke! Du verdammtes Monster!”

Ungewöhnlich laut drangen die Stimmen zweier aufgebrachter Männer an Kojis Ohr.

Alarmiert durch das Wort “Monster”, sprach der Gefallene vom Boden auf und lief mit gezogenem Schwert dahin, wo die Stimmen herkamen.

Erst wenige Meter von den Männer und einem weißhaarigen Etwas erkannte er, dass seine Befürchtungen vollkommen übertrieben gewesen waren.

“Heisuke!”

Von seinem sicheren Posten aus beobachtete Koji die Geschehnisse und stellte schnell fest, dass dies hier keine gewöhnliche Rangelei war. Besonders jetzt, wo es dunkel war, sah er glühend roten Augen des Monsters, der sich auf unmenschlichste Weise bewegte.

‘Weiße Dämonen… rote Augen… keine Hörner… Das ist wie in Erenyas Vision!”

Obwohl es nicht das erste Mal gewesen war, dass er die Vision eines Sehers mit erlebt hatte, waren ihm die Worte der Puppe deutlich in Erinnerung geblieben.

Dieses Wesen was er sah und was der kleine Krieger scheinbar nicht töten wollte, hatte das Puppenmädchen gesehen.

‘Idioten!’

Fest umklammerte Koji sein Schwert und setzte sich in Bewegung. Er war bereit dieses Wesen auszuschalten, wenn die beiden Männer dazu nicht in der Lage waren.

Doch obwohl Koji diesen Entschluss schnell gefasst hatte, war es zu spät.

Das weißhaarige Wesen rappelte sich wieder auf und floh, indem es runter zum Flussbett und schließlich in das fließende Gewässer sprang.

‘Verdammt!’

Wütend darüber, dass er nicht eher reagiert hatte, wandte sich Koji von den beiden Männern ab. Es machte einfach keinen Sinn, diesem Ding zu folgen. Das einzige, was er und auch die anderen beiden hoffen konnten, war dass dieses Ding vorerst niemanden angriff.
 

Viel zu schnell war die Nacht vergangen und genauso schnell war er späte Nachmittag angebrochen.

Müde von ihrer Suche in der Nacht, stand Mizu im Hof von Yagis Tempel und fegte das Laub zusammen.

“Ihr habt sie also auch nicht gefunden…”

Seufzend schüttelte Mizu den Kopf und sah zu Harada, der sich zu ihr gesellt hatte.

Trotz seiner Aufgaben hatte der junge Krieger am Tag zuvor nicht gezögert und sich an der Suche nach dem vermissten Mädchen beteiligt.

“Wo kann sie nur sein?”

Nachdenklich sah der Krieger zu Boden und seufzte leise. Es war einer dieser Momente, in denen er sich wünschte mehr über Erenya zu wissen. Alles was er aber wusste, war, dass dieses Schwert was sie wohl gerade bei sich trug, nicht ihres war.

“Hijikata-san!!!”

Fragend sahen Mizu und Harada auf, als Yamazaki den Gang entlang kam und eines der naheliegenden Zimmer öffnete.

Da dort vor wenigen Stunden noch eine Besprechung stattgefunden hatte, befand sich der Kommandant noch darin, um einige Kleinigkeiten zu klären.

“Yamazaki… Was ist los?”

Ruhig aber ernst sah der Kommandant den Inspektor der Roshigumi an und wartete, was dieser zu sagen hatte.

“Shimada und ich waren in der Stadt und haben uns wegen des Rasetsu umgehört. Niemand hat auch nur einen Mann mit weißem Haar gesehen… Aber…”

Der Akupunkteur stockte, denn noch immer gefror ihm das Blut in den Adern, wenn er daran dachte, was er erfahren hatte.

“Aber was? Sag schon, Yamazaki!”, forderte Hijikata.

Er wollte über alles, was in Kyoto passierte genauestens informiert werden.

“In der Stadt wurden an vier verschiedenen Orten männliche Leichen entdeckt. Alle sind auf dieselbe Art und Weise abgeschlachtet wurden. Und alle waren erfahrene und begabte Schwertkämpfer.”

Kaum, dass Hijikata das hörte, weiteten sich seine Augen. Doch er war nicht der einzige Zuhörer, der durch Yamazakis Worte alarmiert wurde.

Ernst sahen sich Mizu und Harada an, wobei beide hofften, dass dies nur ein unglücklicher Zufall war.

“Wie weit sind diese Orte von einander entfernt?”

Die Neugier des Kommandanten war geweckt, denn er musste seine Männer auf die zusätzliche Gefahr vorbereiten.

“Zwei der Orte befinden sich hier in der Nähe, der dritte ist im Norden… der vierte aber… ist am anderen Ende der Stadt. Shimada ist auf den Weg dahin und versucht mehr darüber in Erfahrung zu bringen.”

Hijikata verstand nun, was Yamazaki so aufgebracht hatte. Es war nicht die Tatsache, dass die Männer abgeschlachtet wurden, obwohl sie wohl gute Kämpfer gewesen waren. Es war vielmehr die Tatsache, dass alle vier Orte so weit von einander entfernt waren und alles dennoch auf denselben Täter hinwies.

“Gibt es Augenzeugen?”

Ernst sah Hijikata seinen Inspektor an, der schwach nickte. Gleich würde er mehr erfahren, auch wenn Yamazakis Blick verriet, dass seine Worte unglaubwürdig klingen würden.

“Eine alte Frau… sie sagte… Ein menschlich aussehendes Wesen mit Flügeln sei vom Tatort weggeflogen.”

Nur zu deutlich hatte Mizu die Worte des Mannes vernommen. Ihre Hoffnung, ihre Wünsche… das alles war umsonst gewesen. Denn das Schlimmste vom Schlimmsten war eingetroffen.
 

Aufmerksam sahen sich die Männer der Roshigumi auf ihrem Rundgang durch Kyoto um und lauschten jedem Geräusch, das unpassend durch die gewohnten Laute drang.

Unter ihnen war auch Harada, der anders als seine Freunde nicht darauf hoffte auf den Rasetsu zu treffen. Irgendwo da draußen war seine Erenya, die wahrscheinlich gegen irgendwelche Rônin oder andere Kreaturen kämpfte und sie aufs brutalste hinrichtete. Er musste sie einfach finden, bevor seine Freunde, vor allem Souji oder Saito, es taten. Nur dann konnte er sie beschützen und vielleicht zur Vernunft bringen.

“Oi, Sano!”

Unmerklich zuckte Harada zusammen, als sein Freund Shinpachi ihn ansprach. Vorsichtig drehte er sich zu diesem und sah in dessen besorgtes Gesicht. Scheinbar spürte sein bester Freund was in ihm vorging.

‘Sollte ich es Shinpachi erzählen?’

In der Regel erzählten sich die beiden Männer alles. Sie waren schließlich auch die besten Kumpels. Doch konnte er dem liebenswürdigen Riesen seine Sorgen anvertrauen?

Harada war unsicher und Shinpachi spürte das, weswegen er lächelnd zu seinem Freund ging und ihm sanft die Hand auf die Schulter legte.

“Wird schon. Du wirst deine Kleine finden. Das ist immerhin die Aufgabe eines richtigen Mannes, nicht wahr?”

Für einen Augenblick lang fragte sich Harada, was Shinpachi da redete. Doch dunkel erinnerte er sich daran, dass er durch Shinpachi von Erenyas verschwinden erfahren hatte. Kurz darauf war er ja auch schon aufgebrochen und hatte mit der Suche begonnen. Wie konnte sein bester Freund da also nicht wissen, wie er dieses eine Mädchen empfand.

“Danke. Und ja. Als Mann ist es meine Aufgabe sie zu finden und sicher zurück zu ihren Freunden zu bringen.”

Wieder so selbstbewusst wie eh und je, lächelte Harada den Muskelprotz an, der ihm sanft und zufrieden auf die Schulter klopfte.
 

“W-Was ist das für ein Ding! Lauft!”

Nicht weit von Harada und Shinpachi durchschnitt ein Schrei die Stille der Nacht.

Kaum, dass sie den Schrei gehört hatten, waren beide Männer in Alarmbereitschaft. Sie mussten schnell handeln. Allerdings war die Frage, was sie vor Ort erwartete.

“Shinpachi! Hol schnell Verstärkung. Sollte es das Wesen sein, das diese Krieger ermordet hat, schaffen wir es zu zweit nicht.”

Ernst sah Shinpachi seinen Freund an, dessen Blick ihm verriet, dass er wirklich alleine zum Ort des Geschehens wollte.

“Saito und Souji sollten in der Nähe sein!”, erklärte der sanftmütige Riese und wandte sich von ihm ab.

Was auch immer Harada vor hatte, er musste ihm vertrauen… nein… er konnte es. Er wusste, dass sein bester Freund noch leben würde, wenn er mit der Verstärkung ankam.
 

So schnell Harada laufen konnte, war er in die Richtung geeilt, aus der er den Schrei des Mannes gehört hatte. Er musste schnell handeln, denn die angeforderte Verstärkung hatte ihm nur ein kleines Zeitfenster gegeben. Wenn er jetzt wirklich vor dem Männer mordenden Wesen stand und es wirklich Erenya war, dann hatte er nicht viel Zeit sie zur Vernunft zu bringen.

Atemlos bog Harada um die Ecke und sah auch schon wie ein Mann mit gezücktem Schwert auf ihn zugelaufen kam.

“Lass mich in Ruhe, du Monster!”, keuchte er und sah sich panisch um.

Es waren seine letzten Worte, denn eine Fontäne aus dunkelrotem Blut entstieg seinem Körper und als dieser leblos zu Boden fiel, offenbarte er die Sicht auf einen kleinen zierlichen Körper, auf dessen Rücken vier schneeweiße Flügel thronten.
 

Ein seichter Wind kam auf und schob die Wolken, die den Mond bedeckten und der Nacht kaum Licht gestattete, beiseite.

Das erste was die Strahlen des Mondes berührten, war das rot befleckte, weiße Haar, das in verklebten Strähnen sanft das ruhige, emotionslose Gesicht des Puppenmädchens umspielte.

Orange und leer leuchteten ihre Augen, wie die Morgenröte auf und fixierten den Speerkämpfer, der den Ort des Geschehens betreten hatte.

“Erenya…”, hauchte Harada fassungslos.

Obwohl das Bild des zerlumpten Mädchens sich vollkommen von seiner Erinnerung unterschied, wusste er, dass er endlich sein gesuchtes Mädchen gefunden hatte.

“Harada-kun…”

Leise und kalt kam der Name des Speerkämpfers über ihre blassen Lippen, so dass der Krieger glaubte, dass sie ihn erkannt hatte, weswegen seinem entsetzten Gesichtsausdruck ein Lächeln wich.

“Genau, ich bin da. Komm her, Eri-chan… Ich bringe dich nach Hause.”

Vorsichtig streckte der Krieger seine Hand nach dem Mädchen aus. Doch sie machte keine Anstalten, dass sie diese ergreifen würde.

Langsam und mit puppenhafter Eleganz, hob das Mädchen ihr Schwert und schüttelte das Blut, welches an der weißen Klinge klebte, ab.

“Harada-kun…”

Erneut sprach sie den Namen des Kriegers aus, der vor ihr stand. Doch dieses Mal verstand Harada, dass sie den Namen nicht sagte, weil sie ihn erkannt hatte.

Sie erkannte ihn nicht. Für sie war er gerade nur ein bewaffneter Mann. Einer ohne Namen, ohne Gesicht.

Langsam aber bedrohlich ging sie auf den Rotschopf zu, wobei die Klinge des Schwertes über den Boden schliff.

Harada verstand, dass es keinen anderen Weg gab. Er musste gegen Erenya kämpfen und gewinnen, wenn er sie retten wollte.
 

Fest umklammerte Harada seinen Speer, während er Erenya keine Sekunde aus den Augen ließ. Er kannte ihren Kampfstil nicht und wusste somit gar nicht, wie er in diesem Kampf vorgehen sollte. Noch dazu hatte Erenya schon eine gute handvoll erfahrener Kämpfer ausgeschaltet und war augenscheinlich unverletzt aus diesen Kämpfen hervor gegangen.

Nur ihr Abendyukata hin in spärlichen Fetzen an ihrem Körper runter und bedeckte ihre weiblichen Geschlechtsmerkmale.

“Harada-kun…”

Wieder und wieder sprach sie seinen Namen aus, als sie auf die Leichen vor ihr trat, um sich ihm zu nähern.

Er wusste, dass er nicht mehr zögern durfte. Er musste sie auf Abstand halten und auf sie einreden. Vielleicht kam sie dann zur Vernunft und beendete diesen Irrsinn.

Mit Schwung holte Harada mit seinem Speer aus und griff Erenya ganz offen an. Doch trotz ihrer Puppenart reagierte sie blitzschnell und stieß sich von dem Fleischberg unter ihren Füßen ab und erhob sich in den Himmel.

Langsam und mit schlagenden Flügeln ließ sie sich wieder sinken und kam auf dem Griff seines Speeres zum stehen.

“Harada-kun…”, flüsterte sie und hob ihr Schwert, bereit für einen Angriff gegen den Krieger.

“Ich bin es, Eri-chan! Sieh mich an, ich bin der, dessen Namen du die ganze Zeit sagst.”

Harada hatte das Gefühl, dass seine Worte sie nicht erreichten. Das Mädchen hielt nicht in ihrer Bewegung inne und holte mit dem Schwert aus.

Nur weil er seinen Speer losließ, konnte er ihrem Angriff ausweichen und darunter wegtauchen. Der weißhaarige Engel jedoch blieb stumm in der Luft schweben und fixierte ihn auch weiterhin.

‘Was soll ich nur tun?’

Zweifelnd, ob das was er tat wirklich das Richtige war, zog Harada sein Schwert und suchte Schutz hinter einem kleinen Holzlager. Er brauchte Zeit, denn irgendwie musste er dieses Mädchen doch retten können.
 

Vorsichtig kam Erenya wieder auf dem kalten Boden auf. Sie wusste, wo dieser Krieger war und es war an der Zeit ihn zu beseitigen, denn dann konnte er niemanden mehr was Böses tun.

Langsam lief sie auf das Holzlager zu, hinter dem sich der Krieger versteckte und sich wohl in Sicherheit wog. Doch solange er lebte, war er nirgends sicher, denn sie würde jeden Waffenträger auf der Welt beseitigen und so ihr Leben beschützen.

“Eri-chan! Komm wieder zu Sinnen! Du kannst mich doch nicht aus deinen Erinnerungen gelöscht haben.”

Wie schon zuvor sprach der Krieger sie an als würde er sie wirklich schon lange kennen. Doch das konnte nicht sein, denn er sah wie jeder andere Krieger aus. Er war einer von vielen, ein Gesichtsloser.

“Erinnerst du dich nicht mehr daran wo wir uns zum ersten Mal gesehen haben? Es war im Tempel unter dem Kirschbaum bei dem Teich.”

Erenya hielt in ihrer Bewegung inne. Da war etwas, ein Bild, eine Erinnerung an diesen toten Baum. Irgendjemand hatte ihr gesagt, dass er im Frühling schöner sei, weil er dann erwachte. Sie erinnerte sich an die kalte Rinde und an die eigene Kälte. Und schließlich spürte sie wieder diese Lebenswärme an ihren Fingern. Sie hatte jemanden berührt, der diese Wärme ausgestrahlt hatte.

“So warm…”, flüsterte sie leise und hielt sich den Kopf, in dem sich ein brennender Schmerz breit machte.

Gleichzeitig signalisierten ihre Worte Harada, dass die Erinnerung an ihr erstes Treffen irgendwas ausgelöst hatte.

Er musste nur weitermachen und hoffen, dass Erenya wieder in ihre Welt trat.

“Den Tag darauf haben wir uns wieder gesehen. Du hast mir an diesem Tag gedankt. Wir haben das erste Mal richtig miteinander gesprochen.”

Durch seine Deckung bemerkte Harada nicht, wie Erenya ihren Kopf schüttelte, so als ob sie versuchte sich von diesen Erinnerungen zu lösen. Und scheinbar hatte sie damit auch Erfolg, denn sie setzte ihren Weg wieder fort und lief auf das Holzlager zu.

Langsam hob sie ihr Schwert, als sie näher kam und sich darauf vorbereitete, Harada das Lebenslicht auszulöschen.

Nur weil das Licht des Mondes sich an der Klinge des Schwertes reflektierte und sein Licht so auf den Boden vor Harada bündelte, bemerkte dieser Erenyas Angriff und wich im letzten Augenblick aus.
 

Fast schon fassungslos sah Harada wie die Klinge Erenyas in den Boden schnitt, wo er vor wenigen Sekunden noch gehockt hatte. Doch er konnte nicht aufgeben. Einen Moment lang hatte sie definitiv gezögert.

“Erinnerst du dich an unsere Gespräche? Du hast mir von deiner Heimat erzählt. Von dem Kirschbaum den deine Eltern gepflanzt haben und unter dem du manchmal eingeschlafen bist. Und ich habe dir erzählt, wie wir einen Schirmherren bekommen haben. Weißt du das noch, Eri-chan?”

Wie in Zeitlupe drehte sich Erenya zu dem Krieger um. Sie hörte seine Worte, sie erinnerte sich auch daran, doch sie hielt in ihrem Tun nicht inne.

Wieder hob sie ihr Schwert und ließ es auf Harada niedersausen, der erneut auswich. Er wollte nicht kämpfen, nicht gegen seine Eri-chan.

“Ich weiß nun, dass du kein Mensch bist, Eri-chan. Ich wusste schon immer, dass du nicht von hier bist. Aber das hat mich nie daran gehindert dich besser kennenlernen zu wollen, oder dir nahe zu sein. Wir haben zusammen gekocht, für Mizu-chan. Dir ist das Gemüse angebrannt.”

Ein zweites Mal hielt Erenya in ihrer Bewegung inne. Sie erinnerte sich daran, wie Mizu das verbrannte Gemüse aß und schließlich darüber gelacht hatte.

“Wegen deiner Kochkünste wird Harada-kun dich nicht lieben.”

Die Erinnerung an Mizus Worte durchzogen die Puppe wie einen Blitz.

Wie, als würde sie erwachen, weiteten sich ihre Augen. Dieses Herzklopfen, das sie in Haradas Nähe immer verspürte, vernahm sie deutlich in ihrer Brust.

“Harada-kun… Ich…”

Verwirrt hielt sich das Mädchen ihren Kopf. Alles drehte sich. Sie verbrannte innerlich. Und es gab nur noch einen Gedanken, der sich in ihrem Kopf erhob.

“Harada-kun…”, keuchte sie schwer atmend.

Ernst sah der Krieger sie an. Er spürte ihre innere Zerrissenheit und wusste, dass es nur noch wenig brauchte, um Erenya wieder zur Vernunft zu bringen. Die Frage war nur was.

“Hara… da… kun…”

Leicht kniff Harada die Augen zusammen, als er sah, wie sich etwas Glänzendes über Erenyas Wange schlängelte und eine feuchte Spur hinterließ. Es waren Tränen.

“Ich liebe dich…”

Nur zu deutlich vernahm Harada ihre Worte. Und er wusste nun genau, was er tun musste. Denn er konnte es nicht ertragen wenn eine Frau weinte, schon gar nicht, wenn es Erenya war.

Sich seiner Sache sicher, erhob sich Harada und ließ sein Schwert fallen. Er würde es nicht brauchen. Soviel stand fest.

Schnell lief der Krieger auf Erenya zu, die das bemerkte und mit Tränen verschmierten Gesicht ihr Schwert erhob. Harada war immer noch ein Krieger und sie musste ihr Leben beschützen.

Zitternd stand sie mit erhobenem Schwert da und immer näher kam ihr der Krieger.

‘Schlag zu!’

Wie ein Blitz durchfuhr sie der Gedanke und als der Mann sie fast erreicht hatte, stieß sie zu.
 

Sanft legten sich die kräftigen Arme Haradas um Erenya. Er spürte kalte Metall ihres Schwertes, als er sie dicht an sich heran zog und seine Lippen auf ihre legte.

Fest drückte er das Mädchen an sich, als er sie küsste und sie mit dieser Berührung alle Schmerzen der Vergangenheit vergessen ließ.

Er ließ seine Wärme in sie strömen und schenkte ihr ein zweites Mal neues Leben.

Minuten verstrichen, in denen er Erenya einfach nur im Arm hielt und sie küsste, während ihre Tränen versiegten und sie diese zärtliche Geste erwiderte.

Stück für Stück wurden ihre weißen Haare wieder schwarz und ihre leeren orangfarbenen Augen nahmen wieder diesen amethystfarbenen Glanz an, den er an ihr so liebte.
 

Schwer atmend lief Koji durch die Straßen Kyotos. Irgendwo hier musste Erenya doch sein. Er musste sie schnell finden, denn die Neuigkeiten von den abgeschlachteten Kriegern zog bereits seine Kreise.

Sowohl er als auch Yuki wussten, dass dies nur Erenya gewesen sein konnte. Sie mussten das Mädchen dringend an weiteren Morden hindern. Wenn es nötig war, mussten sie das Engelchen auslöschen.

Keuchend blieb Koji inmitten auf der Straße stehen. Er wollte kurz verschnaufen denn erschöpft brachte er niemanden etwas.

“AHHHH!!!”

Koji zuckte zusammen als der Schrei einer Frau durch die Nacht hallte.

Unsicher sah der Gefallene auf. Irgendwo in seiner Nähe war eine Frau in Nöten. Er war unschlüssig, ob er ihr helfen sollte oder sich lieber weiter auf die Suche nach Erenya machte.

‘Verdammt! Was wäre ich für ein Mann, wenn ich nichts unternehme.’

Vorsichtig sah sich Koji auf der Straße um. Niemand sah ihn. Er war hier ganz alleine.

Behände warf er sich den Yukata von den Schultern und breitete seine schwarzen Flügel aus. Zielsicher hob er vom Boden ab und flog in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Doch als er auf einem naheliegenden Dach landete, bemerkte er, dass sein Eingreifen unnötig war.

Unter ihm befanden sich zwei Mitglieder der Roshigumi. Und ihnen zu Füßen lag das weißhaarige Wesen, das ihnen einen Tag zuvor entkommen war.

“Ryunosuke, ich habe den Weg des Kriegers gewählt. Ich werde jeden umbringen, der gegen meine Überzeugungen ist. Also werde ich töten, töten und weiter töten… Aber…”

Leicht sah der kleine Krieger gen Himmel. Koji sah, dass in seinen reinen, klaren Augen ein trauriger Schimmer lag.

“… werde ich mich jemals daran gewöhnen…?”

Ein kalter Schauer fuhr über den Rücken des gefallenen Engels. Er erinnerte sich daran, dass er sich vor vielen Jahren dieselbe Frage gestellt hatte.

Die Identität der Gegenwart

Vorsichtig löste Harada seine Lippen von Erenyas. Sie war nun wieder das Mädchen, dass er kennen und lieben gelernt hatte.

“Ha-Harada-kun…”

Fragend sah der Krieger zu dem Mädchen, das zitternd auf das Schwert in ihren Händen sah. Noch immer drückte er es mit seinem linken Arm an seine Seite, doch das konnte das Mädchen nicht sehen.

Entschuldigend, weil er ihr den ersten Kuss gestohlen hatte, küsste er sie auf die Stirn und strich ihr sanft eine schwarze Strähne aus dem Gesicht.

“Keine Sorge. Nun wird alles gut.”

Obwohl er sie noch etwas im Arm halten wollte, löste er sich von dem Engel, um ihr zu zeigen, dass sie ihn wirklich nicht verletzt hatte.

Erleichtert ließ Erenya das Schwert fallen, als sie das sah. Harada lebte, und das nur, weil er sie so stark ins Schwanken gebracht hatte. Auch wenn sie sich nicht mehr vollständig an ihre Taten erinnerte, wusste sie, dass sie etwas Schreckliches getan hatte.

“OI! SANO! IST ALLES OKAY!”

Innerlich fluchte Harada, als er Shinpachis laute Stimme vernahm. Er wusste, dass er seinen Freunden nun Rede und Antwort stehen musste. Und gerade bei dem Hijikata treuen Saito würde das ein Problem werden. Noch dazu konnte er nicht einfach behaupten, dass er Erenya hier gefunden hatte, denn noch immer waren ihre vier schneeweißen Flügel deutlich zu sehen.

“Uns geht es gut.”

Kurz und knapp antwortete Harada auf Shinpachis Fragen und wandte sich zu seinen Gefährten um. Dabei konnte er nicht verhindern, dass seine Freunde das Mädchen sahen, vor dem das blutbeschmierte Schwert lag.

“Ah, dieses Monster war also Mizu-chans Freundin. Was machen wir nun mit ihr, Hajime-kun?”

Mit einem verspielten, katzenartigen Grinsen sah Souji, der zusammen mit Saito als Verstärkung angerückt war, zu dem Linkshänder.

Dieser fixierte, mit seinem gewohnt ernsten Blick, das Mädchen, das sich schutzsuchend an Harada klammerte. Auch sie und Mizu hatten von den Gerüchten über die Roshigumi gehört und sie fürchtete nun, dass sie im Bezug auf die anderen Männer hier, wahr waren.

“Wir bringen sie ins Hauptquartier. Sie ist eine Verbrecherin und darf nicht weiter auf freien Fuß bleiben.”

Harada verärgerte, was er da von Saito hörte. Es stimmte schon, dass sie das Männer-Mordende Monster außer Gefecht setzen sollten, aber aus der Sicht des Speerkämpfers, stellte Erenya nun keine Gefahr mehr dar.

“Niemals! Ich werde Eri-chan zu Mizu zurückbringen. Sie ist keine Gefahr für andere mehr.”

Schützend platzierte sich Harada vor dem Mädchen und sah zu seinen Freunden, deren Gesichtsausdrücke von Verwunderung bis hin zur Belustigung alle Formen annahmen.

“Harada, du bist emotional involviert und nicht in der Lage die richtige Entscheidung zu treffen. Shinpachi… Halte ihn fest, während ich Erenya fessele.”

Schweigend nickte Shinpachi wegen Saitos Befehl und setzte sich in Bewegung.

Erenya sah, und spürte, wie der Krieger seinen Körper anspannte und sich bereit machte, ihre Freiheit mit seinen Fäusten zu verteidigen. Sie verstand aber, dass dies nicht richtig war. Freunde und Kameraden sollten nicht gegeneinander kämpfen.

‘Sag es ihnen!’

Wie ein Schrei hallte die Stimme in Erenyas Kopf wider. Sie hatte sie schon einmal gehört, damals, als sie Harada vor Koji beschützt hatte.

‘Was sagen?’

Das Mädchen war verwirrt und drückte sich sanft an Harada. Tief sog sie seinen Duft ein, der sie fast schon wie selbstverständlich beruhigte.

‘Sag ihnen, was du weißt und was nicht.’

Geschockt öffnete Erenya ihre Augen und sah zu den drei Männern, die bereit waren, sie mit Gewalt von Harada zu entfernen.

‘Was ich weiß und was nicht?’

Immer noch wusste Erenya nicht, was die Stimme meinte, doch sie ahnte, dass dies der einzige Weg war, um die Freundschaft der Männer zu retten.

“Wartet!”

Wie von selbst kamen ihr die Worte über die Lippen, als sie sich wehmütig von Harada löste und aus seiner schützenden Deckung trat.

“Ich werde mich für meine Taten bei der Roshigumi verantworten. Allerdings… kann ich es noch nicht heute. Ich muss erst zu Mizu und Lhikan. Bitte, Saito-kun, Okita-kun. Ich…”

Erenya kämpfte mit den Worten. Sie wusste nicht, wie sie sagen sollte, was ihr auf dem Herzen lag und ob es die Männer verstehen würden.

“Ich bin kein Mensch, wie ihr sicher seht. Ich weiß aber nicht wieso. Genauso wenig weiß ich, wo meine Heimat ist. Ich habe keine Erinnerung an meine Vergangenheit. Nur diese Bilder von meinem Garten und dem Kirschbaum der in voller Blüte steht, sind in meinem Kopf. Ich weiß nicht einmal mehr genau, wie ich nach Kyoto gekommen bin. Ich erinnere mich nur an ein Mädchen mit weißen Flügeln, dessen Schwert ich bei mir trage. Es gibt so vieles, das ich nicht weiß. Warum ich angegriffen wurde, oder wer dieser Mugen Koji ist. Bitte… gebt mir ein paar Tage Zeit, damit ich diese Antworten finden kann.”

Erenya wusste, was sie da sagte und ernst fixierte sie Saito, der ihr schweigend zugehört hatte. Und auch jetzt schwieg er, was Erenya verunsicherte.

“Sieben Tage. Danach stellst du dich der Roshigumi. Ich werde Hijikata-san Bericht erstatten. Harada, Shinpachi, bringt sie zu ihrer Freundin.”

Kühl wandte sich Saito von Erenya ab und lief aus der Gasse. Nur Souji blieb, der leise seufzte.

“Hajime-kun ist zu weich”, wisperte er und fixierte Erenya mit einem raubtierartigen Lächeln.

“Solltest du in der Zeit noch einmal Amok laufen, werde ich dich umbringen.”

Erenya lief ein kalter Schauer über den Rücken, als sie die Worte Soujis vernahm. Sie war froh, als er endlich ging und sie sich entspannt in Haradas Arme fallen lassen konnte.
 

Ein Tag war seitdem zweiten Massaker, das von dem geflügelten Wesen veranstaltet wurde, vergangen. Dank ihrer aufmerksamen Beobachtungsgabe, war Akazumi auch nicht entgangen, dass es sich bei dem geflügelten Wesen um Erenya gehandelt hatte. Gut genug hatte sie immerhin das Gespräch von Saito und Hijikata belauscht.

Obwohl es bereits Abend und es für das Ninjamädchen nicht mehr nötig war das Hauptquartier zu bewachen, verweilte sie auf ihrem Platz auf dem Dach und sah in den Sternen übersäten Himmel.

Ein leises Seufzen kam über die Lippen des Mädchens, dass sich allmählich wirklich fragte, was Daren mit Erenya wollte. Mit großer Sicherheit war sie nicht einmal sein Typ. Er war definitiv auch nicht ihrer, denn sie stand viel mehr auf den Speerkämpfer.

‘Ob Daren ahnt, dass sie kein Mensch ist? Was hat er vor?’

Akazumi konnte nicht abstreiten, dass sie etwas misstrauisch gegenüber ihrem dubiosen Auftragsgeber war. Doch wenn sie leben wollte, musste sie ihm Erenya auf dem Silbertablett servieren.

‘Die Frage ist nur wie? In sieben Tagen steht sie unter dem Schutz der Roshigumi. Wie soll ich das nur Daren erklären?’

Nachdenklich verschränkte sie die Arme. Es fiel ihr schon schwer zu glauben, dass dieses Mädchen kein Mensch war. Aber Saito hatte es gesehen. Demnach konnte sie ihm glauben.

“Ibuki!”

Erschrocken fuhr das Ninjamädchen zusammen, als sie die Stimmen der Roshigumi die Nacht durchschnitten.

Sofort richtete sie sich auf und lief in die Richtung, aus der die Stimmen kamen. Sie war froh, dass sie nun schon lange genug das Hauptquartier bewachte, denn so kannte sie jeden Winkel.

“Bist du unverletzt?”

Akazumi hielt in ihren Bewegungen inne, als sie merkte, wie nahe sie nun schon am Ort des Geschehens war. Suchend ließ sie ihren Blick durch die naheliegende Umgebung schweifen und sah schließlich einen Mann mit weißem Haar auf dem Boden liegen.

‘Schon wieder?’

Verwundert ging das Ninjamädchen in Deckung und lauschte den Männern. Sie wollte nun endlich wissen, was das für Dinger waren, die in regelmäßigen Abständen versuchten aus der Roshigumi zu fliehen.

‘Die vermehren sich wie die Ratten… Was machen die Männer hier nur? Die bringen meinen Saito in Gefahr!’

Obwohl Akazumi gerne mehr von den Geschehnissen hier erfahren hätte, erhob sie sich als die Lage etwas ruhiger wurde. Sie hatte bald ihr Treffen mit Daren und sie wollte unter keinen Umständen zu spät kommen.
 

Wie schon bei ihrem ersten Treffen, war der Treffpunkt eine kleine, dunkle abgelegene Gasse in Kyoto. Akazumi wusste, wie gefährlich es war sich hier mit einem Mann von Darens Kaliber zu treffen.

Wenn ihm etwas nicht passte, konnte er sie ganz schnell verschwinden lassen, ohne dass es irgendwelche Zeugen dafür gab. Sie war Darens Gnade vollkommen ausgeliefert.

“Schön, dass du pünktlich bist, Akazumi. Was gibt es, das du so dringend sagen willst? Ich hoffe, es ist keine Zeitverschwendung.”

Ernst sah Daren, der Gerade den Treffpunkt betrat, dass Ninjamädchen an, das schwer schluckte.

Seine Blicke waren so kalt und erbarmungslos. Er machte ihr schon jetzt deutlich, dass sie hier sterben würde, wenn sie keine Interessanten Informationen hatte.

“Es geht um das Mädchen. Ich habe bei der Roshigumi einige interessante Informationen erhalten. Vor erst… Möchte ich aber eines wissen. Warum ist dir das Mädchen so wichtig?”

Verstimmt verzog Daren das Gesicht, als Akazumi doch tatsächlich nach seinen Plänen fragte. Er verabscheute Marionetten, die er brauchte und die zu viele Fragen stellten.

“Private Gründe. Und wenn ich Hals über Kopf in sie verliebt wäre, es würde dich nichts angehen.”

Verächtlich schnaufte Akazumi aus. Sie kannte Männer wie Daren. Männer wie Daren waren unfähig zu lieben. Wenn sie etwas wollten, dann nahmen sie es sich, um ihre größenwahnsinnigen Pläne zu erfüllen.

“Dann hast du einen seltsamen Frauengeschmack. Denn das Mädchen ist kein Mensch. Du hast sicher auch von den Kriegern gehört, die von einem geflügelten Wesen abgeschlachtet wurden. Das war das Mädchen.”

Gelangweilt von Akazumis Ausführungen, verschränkte Daren die Arme und ließ ein müdes Gähnen erklingen.

“Und nun erzähl mir etwas, dass ich noch nicht weiß.”

Akazumis Augen weiteten sich, als sie Darens Worte hörte. Er hatte es also gewusst. Und wahrscheinlich wusste er auch schon, dass dieses Mädchen kein Mensch war.

‘Das ist also der Grund…’, dachte sie, denn sie glaubte nun zu wissen, warum er so hinter Erenya her war.

“Die Roshigumi weiß nun, dass sie nicht menschlich ist. In sieben Tagen wird sie sich den Männern stellen. Sie wird dann zu einer Gefangenen der Roshigumi.”

Nun war Daren doch interessiert, denn endlich sagte Akazumi Dinge, die ihn wirklich interessierten.

Für seine Pläne wäre es alles andere als gut, wenn Erenya der Roshigumi in die Fänge fiel. Sicher, er könnte das Mädchen dann rausholen, aber dazu würde er ein gewisses Mindestmaß an Gewalt aufbringen müssen.

“Ach, und noch was…. Es ist vielleicht nicht wichtig für dich, aber in letzter Zeit sehe ich so seltsame Wesen bei der Roshigumi. Sie haben schneeweißes Haar und rot glühende Augen. Und scheinbar kann die Roshigumi sie nicht kontrollieren.”

Diese Fakten waren für Daren nun doch noch interessant. Er kannte nur zwei Arten von Wesen, die weiße Haare hatten. Aber er bezweifelte, dass die Wesen die Akazumi meinte Engel oder Onis waren. Noch dazu hatten Engel orange und Onis gelbe Augen. Sie konnten es also unmöglich sein.

“Also, was willst du nun machen?”, fragte Akazumi und sah den Schwarzhaarigen fragend an.

“Du wirst mir helfen sie zu schnappen, bevor sie zur Roshigumi kommt.”

Daren hatte einen Plan und er wollte Akazumi benutzen, um ihn zu erfüllen. Schließlich brauchte er einen Sündenbock.
 

Vier Tage waren nun seit den Vorfällen um Erenya vergangen und Mizu putzte wie öfter im Hauptquartier der Roshigumi. Wie üblich konnte das Mädchen den Kriegern lauschen, die lauthals über ihre Probleme diskutierten.

Leise murrte sie, als Shinpachi über den Namen beschwerte, den die Bewohner Kyotos ihnen gaben. “Die Wölfe von Mibu”, hatte man sie getauft, wodurch deutlich wurde, dass vor allem die führenden Personen keine Männer waren, die von Samurais abstammten. Doch das betraf einen Großteil der Krieger hier. Und im Prinzip waren die Männer hier auch Wölfe. Wild, ungezähmt und herrenlos.

“Shinpachi-san, du bist anfällig genug um dir so etwas zu Herzen zu nehmen?”

Fast schon spottend antworte Souji dem Muskelpaket, das sich besonders lautstark über ihren neuen Spitznamen aufregte.

“Nicht nur ich tue das. Heisuke scheint deprimiert zu sein.”

Ein leises Seufzen kam über Mizus Lippen, als von den jüngeren Mitgliedern gesprochen wurde, die von der ganzen Situation scheinbar alles andere als angetan war.

‘Natürlich sind sie nicht begeistert. Sie sind mit der Ambition hergekommen, dass sie Helden werden und diese Stadt beschützen können. Und nun war es diese Stadt, oder viel mehr ihre Bewohner, die die Roshigumi wie Aussätzige behandelte. Wie Rônin, die genug Ehre besaßen, dass man sie beleidigen konnte.’

“Es ist so leichter herumzugehen, also was ist das Problem? Richtig, Hajime-kun?”

Erneut seufzte Mizu und schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, ob Souji einfach nur zuviel positiv dachte, oder ob er das Ganze nicht ernst genug nahm. Für sie stand jedenfalls fest, dass die Roshigumi nicht mehr viel zu lachen hätte, wenn sie weiterhin die Köpfe gefallener Rônin zur Schau stellten und Serizawa in seinem Tun keinen Einhalt geboten.
 

Mizu war froh, als sie endlich die Hälfte der Hausarbeit hinter sich hatte und nun eine Pause machen konnte.

Hungrig machte sie es sich auf der Veranda bequem und packte ihre Reisbällchen aus. Gedankenverloren biss sie in eines der Reisbällchen und sah zu dem kahlen Kirschbaum neben den kleinen Teich. Wie gerne hätte sie Erenya einen Kirschbaum im Frühling gezeigt.

“Hier.”

Leicht zuckte Mizu zusammen, als ihre Wange von einer warmen Brise berührt wurde. Fragend sah sie auf, wo sie in Haradas sanft lächelndes Gesicht sah.

“Was gibt es, Harada-kun?”

Mizu war klar, dass Harada sie nicht ohne Grund aufgesucht und angesprochen hatte. Dem Mann, der Erenya gefunden hatte, lag etwas auf dem Herzen.

“Eri-chan hat dir sicher schon erzählt was passiert ist. Ich wollte mit dir darüber reden. Ich bitte dich, bring sie von hier weg. Raus aus Kyoto.”

Die Kriegerstochter schluckte schwer, als Harada gleich mit den ernsten Dingen begann.

“Was soll das, Harada-kun? Willst du der Freundin einer Verbrecherin Hinweise zur Flucht geben?”

Ertappt zuckte der Speerkämpfer zusammen, als er Soujis Stimme hörte. Vorsichtig drehten er und Mizu sich zu der Stelle, woher sie gekommen war und bemerkte nun den zufrieden grinsenden Krieger, der nicht weit entfernt von ihnen stand.

Es war wieder eine typische Aktion Von Souji, dessen Taten Mizu immer weniger nachvollziehen konnte.

“Souji! Halt dich da raus!”

Fast schon erbost darüber, dass sein Kollege ihn und die Brünette belauscht hatte, giftete Harada den unwesentlich Jüngeren an.

“Wovor hast du Angst, Harada-kun? Erenya wird nicht lange genug bei uns bleiben. Ihr kann also nichts passieren.”

Fragend sah Mizu zu dem Speerkämpfer, der leise seufzte. Sie wusste nun also, dass er ihr gerade dasselbe hatte sagen wollen, wenn sie seine Aufforderung, Erenyas zur Flucht zu verhelfen, nicht angenommen hätte.

“Harada-san, was meint er damit?”

Sie wollte nun wissen, was das zu bedeuten hatte. Warum Erenya nicht lange genug bei der Roshigumi bleiben würde?

“Hijikata-san hat nach jemanden schicken lassen, der uns vor einiger Zeit beauftragt hatte ein Mädchen zu finden. Er hat keinen Zweifel, dass sie das gesuchte Mädchen ist und er ist froh, wenn wir diesen Auftrag erfüllt haben. Sicherlich wird uns das auch eine positive Reputation innerhalb der Bevölkerung bringen.”

Obwohl Mizu die Antwort von Harada gefordert hatte, war es wieder Souji, der ihre Frage mit einem grinsen beantwortete. Harada hätte es ganz sicher nicht ganz so provokativ wie der junge Samurai formuliert, aber nun kannte die Kriegerstochter immerhin die Wahrheit.

Doch es war eine Wahrheit, die ihr ganz und gar nicht gefiel.

“Ihr verkauft Erenya für eine positivere Reputation?!”

Ungläubig sah Mizu die beiden Männer an, während Souji nur selig grinste und sich für die nächste Provokation bereit machte. Harada hingegen sah nur gen Boden.

“Das ist doch ein Scherz! Ihr gebt Erenya doch nicht einfach so an eine Person, von der ihr nicht wisst, was sie mit ihr vor hat! Das könnt ihr nicht machen!!!”

Entsetzt machte Mizu ihren Frust darüber breit, was Erenya bevorstand, wenn sie sich erst den Männern der Roshigumi übergab.

“Das ist kein Scherz. Wir haben den Auftrag angenommen, haben Erenya nun gefunden und nun bekommen wir unseren Lohn für die Arbeit.”

Leise kicherte Souji. Er fand es süß, wie Mizu sich über so was aufregen konnte, weswegen er sie noch etwas mehr reizte und provozierte.

Und Mizu ging ihm in seine Falle. Wütend erhob sie sich und stapfte auf den Krieger zu, dem sie ins Gewissen reden wollte.

“Ihr wollt Erenya wirklich einer wildfremden Person übergeben? Ihr seid so kaltherzig, dass euch egal ist, was diese Person plant? Was wenn sie Erenya umbringen will? Seid ihr denn wirklich so treu euren Auftraggebern gegenüber, dass ihr deren Tun einfach hinnehmt und nicht hinterfragt?”

Zornig fixierte Mizu ihren Gegenüber, der ihrem Blick standhielt und weiterhin ihr niedliches, wütendes Gesicht betrachtete.

“Man nennt euch die Wölfe von Mibu, aber wisst ihr, was ihr wirklich seid? Ihr seid nur räudige Hunde, die ihren Herrchen die Hand ablecken wenn sie nach fetter Beute riecht.”

Wie schon einmal holte Mizu mit der Hand aus und ließ sie auf Soujis Wange zurasen. Doch anders als beim letzten Mal, packte Souji ihre Hand und hinderte sie an ihren Angriff.

Das Lächeln in Soujis Gesicht war verschwunden und einem ernsten, fast schon tödlichen Ausdruck gewichen.

“Auch Hunde können beißen, wenn ihre niederen Instinkte geweckt werden und man sie zu sehr ärgert. Dann beißen sie auch die Hand, die sie füttert.”

Fest hielt Souji Mizus Hand umklammert und zog sie mit sanfter Gewalt zu seinen Lippen, die sich vorsichtig auf Mizus Handinnenfläche drückten und sie liebkosten.

Unwillkürlich errötete Mizu, denn trotz seiner fast schon bedrohlichen Worte, hatte Soujis Handlung etwas Zärtliches, Liebevolles.

“Solltest du die Roshigumi noch einmal beleidigen, Mizu-chan, töte ich dich.”

Ein kalter Schauer durchzog Mizu, als Souji ihre Hand wieder losließ und an ihr vorbei lief. Ihre Wut war verraucht, doch die Verwirrtheit, die Souji ihr immer wieder bereitete, blieb auch dieses Mal.
 

So schnell wie die Sonne aufgegangen war, hatte sie die Welt des kleinen Japans auch wieder verlassen. Es war schon längst Schlafenszeit, doch in einem Haus in Kyoto brannte noch ein schwaches Licht. Es war Mizus Unterkunft, in der sie mit ihrer Freundin Erenya und Lhikan dem Händler an einem Tisch saß.

Ernst sahen sie und der Händler das Mädchen an, das stumm auf ihren Becher Tee sah.

“Nun weißt du es, Erenya. Willst du dich wirklich der Roshigumi stellen?”, fragt Mizu die ihr alles erklärt hatte.

Nachdenklich sah Erenya weiterhin auf den Becher, der noch etwas Dampf absonderte. Es passte ihr wirklich nicht, dass sie gleich nach ihrer Festnahme mit jemand mitgehen sollte, den sie nicht kannte, doch sie hatte es versprochen.

“Ja! Ich muss die Verantwortung für meine Taten übernehmen. Das habe ich Saito-kun so gesehen versprochen, als er mir diese sieben Tage gewährt hat.”

Seufzend ließ Mizu ihren Kopf auf den Tisch sinken. Gerade fand sie dieses aufkeimende Pflichtbewusstsein bei Erenya anstrengend. Sie an ihrer Stelle hätte alles Geld zusammen gekratzt und wäre heimlich im Schutz der Dunkelheit verschwunden.

“Lhikan! Jetzt bring sie bitte zur Vernunft”, murmelte Mizu leise und sah den Händler an, der gerade einen Schluck von dem Tee nahm.

Er schien selbst darüber nachzudenken, wie sie Erenya von einer Flucht überzeugen konnte. Zwar hatte Erenya nun noch drei Tage Zeit Koji zu finden und zu erfahren wer sie wirklich war, doch die Frage war, was es genau ihrer Situation ändern würde.

“Mizu hat Recht. Du solltest fliehen, solange dir noch Zeit bleibt. Diese ganze Sache ist kein Spiel Eri-chan. Solange wir nicht wissen, was für eine Person es ist, die die Roshigumi nach dir suchen lassen hat, werden wir dich ihnen nicht überlassen.”

Ein leises Seufzen entwich Erenya, als sich nun auch noch Lhikan auf Mizus Seite stellte. Irgendwo tief in ihr drin wusste sie ja, dass die beiden Recht hatten, aber aus irgendeinem Grund weigerte sie sich, auf diesen Rat zu hören. Es war so etwas wie eine Gewissheit, dass sie tun musste, was sie eben tun wollte.

“Mizu, Lhikan… Ihr vertraut mir doch, oder? Dann bitte vertraut mir besonders jetzt.”

Schweigend sahen Lhikan und Mizu das Puppenmädchen an. In ihren lilafarbenen Augen blitzte Entschlossenheit auf und obwohl der Händler und seine langjährige Freundin nicht wussten was Erenya plante, konnten sie nicht anders, als ihrer Bitte nachzugehen.
 

“Schön dass du gekommen bist, Yuki. Wer ist die Schönheit an deiner Seite?”

Charmant lächelte Koji seine alte Freundin an, als sie pünktlich zu ihrem vereinbarten Treffpunkt erschienen war.

Dafür, dass der Winter näher rückte, war heute wieder einer der schönen warmen Tage. Koji genoss diese Zeit, denn so konnte er ein letztes Mal Yuki und andere hübsche Mädchen in wunderschönen Yukatas bewundern.

“Koji!”

Leicht zuckte der Gefallene, als Yuki seinen Namen so ernst, fast schon erbost aussprach. Er fragte sich, was er nun wieder falsch gemacht hatte, dass Yuki scheinbar verstimmt war.

“Hör auf Natsu anzubaggern. Sie weiß noch nicht, wie man gefallenes Geflügel wie dich zurückweißt.”

Sanft schmunzelte Koji wegen Yukis Aussage, denn sie war wirklich niedlich, wenn dieser kleine Hauch von Eifersucht in der Luft lag.

“Ach Yuki. Keine Sorge. Selbst wenn sie hübsch ist, in meinen Träumen sehe ich doch nur dich.”

Charmant lächelte Koji den ehemaligen Schneeengel an, der leicht errötete, ihn aber immer noch böse fixierte.

“Da sind sie wieder, die Mibu-Wölfe.”

Verwundert sahen Yuki und Koji auf, als die Stimmen der Bewohner auf der Straße lauter wurden und sie von weitem die hellblauen Mäntel der Roshigumi sahen.

“Seit sie den Kopf ausgestellt haben, hat sich ihr Ruf verschlechtert. Ich finde diese Rônin mehr als bedenklich…”, wisperte Koji und verzog leicht das Gesicht.

Das er der Roshigumi seit einem Kampf mit diesem Harada nicht viel abgewinnen konnte, war nur zu deutlich zu spüren.

“Einige von ihnen haben aber ein reines Herz. Dennoch… Das Schicksal ist grausam, dass diese Männer soviel mit den Monstern zu tun haben. Ob sie Kraft genug haben um das durchzustehen?”

Ein kurzer Blick zu Yuki verriet dem Schönling, dass seine alte Jugendfreundin wirklich um die Roshigumi besorgt war. Auch wenn er es nicht nachvollziehen konnte, legte er einen Arm um ihre zierlichen Schultern und zog sie sanft an sich.

“Keine Sorgen. Sie können daran nur wachsen”, flüsterte er leise und beugte sich zu dem Haupt des Schneeengels, das er mit einem sanften Kuss bedachte.

Ihm blieb nicht verborgen, dass Yuki sich ganz leicht an ihn drückte und einen Moment lang ihrer Weiblichkeit nachgab.

“Wo ist eigentlich deine Freundin?”

Erschrocken sah Yuki sich um, als Koji merkte, dass Natsu verschwunden war. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie sich die Kitsune von ihnen entfernt hatte.
 

Mit einem verwundert fragenden Gesichtsausdruck sah Heisuke auf das Mädchen, das urplötzlich von einem Dach gesprungen und vor der patrouillierenden Gruppe der Roshigumi gelandet war.

Ganz genau betrachtete Heisuke das Mädchen. Irgendwo hatte er sie schon einmal gesehen. Die Frage war nur wo.

“Gefunden!!!”, verkündete das Mädchen stolz und umarmte Heisuke, der nun mehr als überrumpelt war.

Aus dem Augenwinkel heraus sah er auch schon Shinpachis breites Grinsen, das nur noch breiter wurde, als das Mädchen ihn plötzlich euphorisch küsste.

Überfordert wegen der Situation und wegen Shinpachi der sich sicher gerade ein paar spottende Bemerkungen ausdachte, drückte Heisuke die Fremde von sich und sah sie etwas genauer an.

“Wer ist denn deine kleine Freundin, Heisuke?”

Wie Heisuke es geahnt hatte, war Shinpachi nach diesem Erlebnis um keinen dummen Spruch verlegen. Und egal was Heisuke nun sagen würde, der Muskelprotz würde ihm nicht glauben. Viel mehr noch, er würde sicher Sano von diesem ihm überaus peinlichen Moment erzählen. Wenn das geschah, war er dem Älteren hilflos ausgeliefert.

“Oi! Shinpatsu-san… ich kenne sie nicht!”

Obwohl er wusste, dass er vergeblich war sich zu erklären, hatte Heisuke entschieden doch einen kleinen verzweifelten Versuch zu unternehmen.

“Hast du mich vergessen, Krieger-san? Wir haben uns in Shimabara kennengelernt. Du hast mir mit der Kleidung geholfen.”

Kaum, dass das Mädchen diese Worte ausgesprochen hatte, wünschte sich Heisuke, dass der Boden unter seinen Füßen sich auftun und ihn verschlucken würde. Er wollte auch nicht das breiter werdende Grinsen Shinpachis sehen. Für ihn war diese Situation ein gefundenes Fressen auf Kosten des Kleineren.

“Ich hätte dich nie für so einen gehalten, Heisuke”, stichelte Shinpachi breit grinsend.

Er wusste ja, dass Heisuke nicht so einer war, aber es machte Spaß, den Kleinen damit aufzuziehen. Das war so gesehen die Rache für den gestohlenen Fisch vom Frühstück.

“Shinpatsu-san! So ist das nicht!”

Erneut versuchte Heisuke, der um jedes Wort rang, sich zu verteidigen. Doch er kam nicht weit, denn schon hörte er die Stimme des Mädchens, dass er eindeutig noch aus Shimabara kannte.

“NATSU!”
 

Schwer atmend stützte sich Koji mit den Händen an den Knien ab, als Yuki endlich zum Stillstand gekommen war, weil sie ihre Freundin gefunden hatte. Er war dieses Gerenne einfach nicht mehr gewohnt, denn Menschenfrauen rannten nicht.

“Was hast du nun schon wieder gemacht, Natsu?”

Fragend sah Yuki zu dem Mädchen, das leicht bedrückt zu Boden sah. Sie wusste, dass sie etwas falsch gemacht hatte, denn Yuki schimpfte nur, wenn sie Fehler machte.

“Ich habe Krieger-san vom letzten Mal gesehen und wollte ihm Hallo sagen. Aber er scheint mich vergessen zu haben”, flüsterte Natsu und sah traurig zu Heisuke, der immer noch überfordert mit der Situation war.

Auch Yuki sah nun zu dem jungen Krieger und seufzte leise. Auch sie kannte den jungen Krieger und konnte es Natsu nicht verübeln, dass sie ihn, als Bekannten, einfach begrüßen wollte. Ihr blieb aber auch nicht verborgen, wie rot Heisuke im Gesicht war und ahnte, dass Natsu ihn mit ihrer Kitsune-Art vollständig in Verlegenheit gebracht hatte.

“Schau dir den armen Krieger-san an, Natsu. Was hast du nur gemacht, dass er so verlegen ist? Entschuldige dich bei ihm?”

Immer noch bedrückt sah Natsu zu Boden. Aus ihrer Sicht hatte sie nichts falsch gemacht. Sie hatte den jungen Mann immerhin nur begrüßt. Aber wenn sie Heisuke damit wehgetan hatte, musste sie sich wohl wirklich entschuldigen.

Langsam näherte sich Natsu wieder dem Jungen, den sie mit einem entschuldigenden Blick fixiert hatte. Vorsichtig ging sie auf die Zehenspitzen und hob sich so höher, damit sie sanft und entschuldigend über Heisukes Wange lecken konnte.

“Natsu!”

Fas schon verzweifelt seufzte Yuki auf, als Natsu sie auf ihre vollkommen natürliche Art entschuldigte. Sanft griff sie nach der Hand des Mädchens und zog sie von Heisuke weg. Sie mussten schleunigst weg, denn ihr fehlte jegliche Ausrede, warum das Mädchen die Wange des Kriegers ableckte.

“Koji! Komm!”

Leise seufzte Koji auf, denn er war gerade erst zum Luft holen gekommen. Kurz verbeugte er sich vor den Mibu-Wölfen, ehe er Yuki nachlief, die bereits um die Ecke in eine Seitengasse gebogen war.

Zurück blieben nur die Männer der Roshigumi. Shinpachi, dessen Blick sich nun zu Heisuke wandte, weil er ihn weiter mit dieser Begegnung aufziehen wollte, hielt aber inne, als er sah wie sein erröteter Freund sich die Wange, über die das Mädchen geleckt hatte, hielt. Er empfand es nun doch besser, nicht all zu sehr auf den Gefühlen des Jungen herumzureiten.
 

Mit ihrem Holzschwert auf den Schultern lief Chia gerade den Weg zu dem kleinen Trainingsgelände, das sich im Hauptquartier der Roshigumi befand, entlang. Es war ein seltsames Gefühl, dass sie nun hier war, obwohl die Männer am Anfang über sie gelacht hatten. Doch noch seltsamer war, dass Sannan sie persönlich eingeladen hatte, um mit den Männern zu trainieren.

‘Wenn der Sadist mich hereingelegt hat, mach ich aus ihm einen Masochisten’, brummte Chia in Gedanken und ging weiter zu dem Trainingsgelände.

Schon von weitem hörte sie die Stimmen der Krieger, die mit Schweiß und Anstrengung alles gaben um ihre Leben auch in Zukunft verteidigen zu können.

“Stell dein rechtes nach vorne. Stell das linke Bein zurück.”

Chia war froh, als sie endlich beim Trainingsgelände angekommen war. Die Männer trainierten bereits, was ihr deutlich machte, dass sie schon zu spät war.

Sicherlich würde das Ärger geben, soviel stand fest.

‘Vielleicht bekomme ich den Mädchenbonus…’, dachte sie und grinste leicht, als sie zusah, wie Saito dem unerfahrenen Ibuki die Basishaltung zeigte.

Die ganze Szene erinnerte sie irgendwie an ihre Anfänge als sie noch genauso unbeholfen war.

“Wenn du jemanden angreifst, musst du es nur mit deinem Daumen kontrollieren.”

Langsam lief Chia auf die Männer zu und wurde schließlich bemerkt.

“Du bist spät.”

Kaum, dass Chia auch nur ansatzweise nahe war, hatte Saito sie bemerkt und auf ihre Verspätung angesprochen. Irgendwie hatte Chia das ja geahnt und eigentlich gab es keine Entschuldigung für ihr Verhalten.

“Tut mir leid. Ich musste vorher noch ein paar Dinge arrangieren. Es ist aber alles geklärt.”

Obwohl Chia nun damit gerechnet hatte, dass sie Ärger bekommen würde, nickte Saito verständnisvoll und machte neben Ibuki Platz. Die Geiko verstand sofort, was sie tun sollte, weswegen sie ihr Holzschwert von der Schulter nahm und in die Grundstellung ging, die auch Ibuki angenommen hatte. Doch anders als bei dem Anfänger, musste Saito ihre Haltung nicht korrigieren, was deutlich zeigte, dass sie bereits Erfahrung hatte.

“Schwing das Schwert 1.000 Mal, Ibuki. Du 500 Mal, Chia-chan.”

Beleidigt verzog Chia das Gesicht, als sie hörte, wie oft sie in dieser Grundstellung das Schwert schwingen sollte. Sie verstand zwar, dass dies nur aus Rücksicht auf ihre Weiblichkeit geschah, aber als Kriegerin wollte sie keine Sonderbehandlung.

“1.000 Meintest du, Saito-kun?”

Charmant lächelte die Geiko den Linkshänder an, der sofort verstand, was sie ihm eigentlich sagen wollte. Stumm nickte er nur, um seines Zeichens klar zu machen, dass er verstanden hatte.
 

Abgelegen von den Trainierenden, stand Sannan, dessen beobachtende Blicke besonders der blonden Geiko galten. Er war irgendwie froh, dass das Mädchen seiner Einladung gefolgt war und nun mit Hilfe von Saito und der Roshigumi ihre Fähigkeiten verbessern wollte.

Ein Lächeln lag auf dem Gesicht des Kommandanten, als er diesen ernsten, entschlossenen Gesichtsausdruck sah. Ihm war klar, dass dieses Mädchen nicht aufgeben würde, selbst wenn ein Shinigami persönlich vor ihr stehen würde.

“Die flirtet mit meinem Saito!!!”

Verwundert sah Sannan auf, als er eine weibliche Stimme hörte, die aus unmittelbarer Nähe kam. Er war sich sicher, dass irgendjemand sich über ihm befand.

Und schließlich nachdem er sich etwas von seinem Beobachtungspunkt entfernte, sah er zu dem schwarz-maskierten Mädchen hoch. Schon allein durch ihren Kleidungsstil wusste Sannan, dass sie nicht hier war um eine Bitte an die Roshigumi schicken wollte.

“Ein Spion?!”

Ernst fixierte er das Ninjamädchen, das ihn noch nicht bemerkt hatte, weil sie zu sehr auf Chia und Saito fixiert war.

Kurz nahm der Brillenträger seinen Blick von der Schwarzgekleideten und sah zu Saito, der Chias Haltung leicht korrigierte und ganz nah an ihr stand.

“Fass sie nicht an, Saito… Sie will dich nur verführen.”

Wütend klang die Stimme des Ninjamädchens, das scheinbar einen Narren an dem Linkshänder gefressen hatte. Sannan wusste zwar nicht wieso, aber er hatte das Gefühl, dass dieses Mädchen in irgendeiner Weise eine Bedrohung darstellte, zumindest für diesen Moment.

Ganz genau sah er zu dem Mädchen, das langsam einen Gegenstand aus ihrem Ärmel in die Hand gleiten ließ.

‘Direkt angreifen wird sie nicht. Sie fühlt sich auf ihrem Standpunkt sicher. Das wird sie beibehalten. Also wird sie…’

Kaum, dass Sannan verstand, was die Fremde vor hatte, setzte er sich in Bewegung und lief auf Saito und Chia zu.

“Wie ich sehe bist du meiner Einladung gefolgt, Chia-chan.”

Als Chia Sannans Stimme hörte, hielt sie kurz in ihrer Bewegung inne und sah zu dem Brillenträger auf, der Lächelnd auf sie zu kam und erst direkt vor ihr stehen blieb.

“Bin ich. Nur fällt es mir schwer Saito-kuns Anweisungen zu folgen, wenn du im Weg stehst. Oder…”

Sanft formten sich Chias schmale Lippen zu einem Lächeln, das dem von Sannan fast schon Konkurrenz machte.

“… bist du masochistisch genug, dass du erneut von mir geschlagen werden willst?”

Fest umklammerte Chia ihr Holzschwert und erhob es etwas, um ihren Worten mehr Ausdruck zu verleihen. Doch Sannan zeigte sich unbeeindruckt und griff nach dem auf sich gerichteten Schwert.

Schon ein wenig verwundert darüber, sah Chia den Kommandanten an, der sie an sich heranzog und die Arme um sich legte.

“Ich kann dich auch mitnehmen und dir privat zeigen, wie sadistisch oder masochistisch ich bin”, flüsterte er und legte eine Hand auf den Hinterkopf der errötenden Geiko.

“Sannan-san… Wir würden gerne weitertrainieren.”

Lächelnd löste sich Sannan von Chia, als Saito ihn ernst an das gerade stattfindende Training erinnerte.

Einsichtig nickte er und sah Saito mit einem entschuldigenden Blick an.

“Pass gut auf Chia-chan auf, Saito-kun.”

Genauso unerwartet wie der Brillenträger gekommen war, ging er wieder, doch sein Blick war leicht gen Himmel gewandt. Er sah zu dem klaren Blau, was Chia ein leichtes Lächeln abrang.

‘Mit diesem Blick würde er seine Feinde mehr verängstigen als mit seinem diabolischen Lächeln’, dachte die Geiko und ging wieder in die Angriffsposition, die Saito ihr gezeigt hatte.
 

Deprimiert saß Akazumi auf ihren üblichen Beobachtungsposten und starrte zu der Tür, die zu Saitos geheiligten Schlafbereich führte. Schon oft war sie im Geiste durch diese Tür gegangen und hatte sich neben den Linkshänder gelegt und ihm beim Schlafen zugesehen.

Leider würde dies wohl aber ein Traum bleiben, denn es gab keine Chance, dass sie sich Saito offenbaren konnte. Zumindest nicht jetzt, wo sie nur auf ein Zeichen von Daren wartete, um ihren Teil des Auftrages zu erfüllen.

‘Nur noch zwei bis drei Tage… Dann liefert sich das Mädchen aus und ich werde Saito nicht mehr sehen’, seufzte das Ninjamädchen in Gedanken und starrte zu der Tür.

‘Bitte, Saito. Komm raus. Zeig dich mir!’

So, als könnte Saito ihre Gedanken hören, flehte das Mädchen darum, dass ihr Geliebter sein Zimmer wieder verließ und sie sein göttliches Antlitz weiter bewundern konnte.

“Du brauchst nicht zu erwarten, dass Saito-kun vor dem Abendessen oder seiner nächsten Aufgabe das Zimmer verlässt. Er wird nun sein Schwert polieren.”

Erschrocken zuckte Akazumi zusammen, als sie plötzlich diese kalte Stimme vernahm, die eindeutig sie angesprochen hatte.

‘Unmöglich…’

Langsam und vorsichtig sah Akazumi von dem Dach runter in den Hof, wo der brilletragende Kommandant der Roshigumi stand und sie ernst fixierte. Es gab keinen Zweifel mehr. Man hatte sie entdeckt. Die Frage war nun, was sie tun sollte.

“Wer bist du? Und was machst du hier?”

Direkt wie immer kam Sannan auf den Punkt. Weiterhin durchbohrte sein Blick das Ninjamädchen, von dem er nicht wusste, was sie tun würde.

Sie hingegen wusste, was tun würde, wenn sie sich als Feind offenbarte, denn seine Hand lag Kampfbereit auf dem Griff seines Katanas.

“Du hast sie also auch entdeckt, Sannan-san.”

Kalter Schweiß brach bei Akazumi aus, als sie eine weibliche Stimme unmittelbar neben sich hörte.

Fassungslos sah das Ninjamädchen neben sich, wo die Geiko mit gezogenem Kodachi stand und dieses auf sie gerichtet hatte.

“Wie habt ihr…?”

Für Akazumi war es absolut unklar, wie das sein konnte. Sie war immer vorsichtig gewesen und nun hatten sie gleich zwei Menschen entdeckt.

“Parfüm, egal wie stark oder schwach es ist, rieche ich zehn Meilen entgegen den Wind. Leider hat Sannan-san mich vorhin daran gehindert dich weiter zu provozieren, damit du dich verrätst.”

Stumm lauschte Sannan der Erklärung der Geiko und musste schmunzeln. Er hatte sie vor dem geplanten Angriff des Ninjamädchens beschützen wollen, weil er gedacht hatte, dass diese nichts von der drohenden Gefahr bemerkt hatte. Doch in Wahrheit hatte Chia Akazumi provoziert, damit auch die anderen Krieger ihren Spion bemerkten.

“Du wirst von Mal zu Mal interessanter, Chia-chan.”

Lächelnd zog nun auch Sannan sein Schwert. Nun war er sich sicher, dass die Spionin nicht entkommen konnte, denn das Dach war von Chia abgeriegelt, wogegen er den Boden zur Fluchtmöglichkeit abdeckte.

“Also, wer bist du? Und was willst du hier?”

In die Enge getrieben, sah Akazumi von dem Kommandanten zu der Geiko, die beide bereit waren einzugreifen, wenn sie auch nur eine Bewegung machte. Allerdings durfte und konnte sie auch nicht verraten wer sie war und was sie machte.

“Dein Ruf ist viel zu gut. Ich habe schon lange nicht mehr so einen stümperhaften Ninja gesehen.”

Ein kalter Schauer lief Akazumi über den Rücken, als sie Darens Stimme vernahm. Suchend schweifte ihr Blick über das Dach und schließlich entdeckte sie den Schwarzhaarigen hinter Chia, deren Augen sich angsterfüllt weiteten.

“Chia-chan! Verdammt! Wer bist du? Ein Freund von dem Mädchen?”

Selbst Sannan, der vom Boden aus das ganze Dach im Blick hatte, hatte den Mann nicht bemerkt, der Chia packte und ihr sein Schwert an die Kehle hielt.

“Freund? Nein. Vielmehr bin ich ihr Auftragsgeber und bald der Grund für den Untergang von euch Menschen und dem Geflügel. Wenn du nicht willst, dass dieser Geiko was passiert, dann solltest du mein Fußvolk gehen lassen.”

Obwohl es eine gewisse Entfernung zwischen Daren und Sannan gab, bemerkte der Brillenträger, dass der Mann es ernst meinte und er durfte keinesfalls Chias Leben gefährden.

Seufzend steckte er sein Schwert wieder weg, was Akazumi als ihre Chance wahrnahm und sie zur Flucht über den Hof nutzte.

“Weise Entscheidung. Nutzt diese geschenkte Zeit klug. Viel werdet ihr davon nicht mehr haben.”

Grinsend ließ Daren seine Geisel los, die sofort ihr Schwert schwang und versuchte ihren Geiselnehmer zu treffen, doch so schnell wie er aufgetaucht war, war Daren auch schon wieder verschwunden.
 

“Warum dieses Lächeln?”

Neckend drang Haradas Stimme zu Ibuki vor, der gerade an die Maiko dachte, die im Sturm sein herz erobert hatte.

“Hä?”, fragte er verwirrt nach, denn er selbst hatte nicht bemerkt wie sich ein Lächeln auf seinem Gesicht abgezeichnet hatte.

“Hast du an die Maiko von damals gedacht?”

Fast schon überrascht von Haradas unfassbarer Auffassungsgabe, errötete Ibuki und stritt ab, dass der Krieger mit seiner Vermutung richtig lag. Schnell hatte er sich auch eine Ausrede zurechtgelegt, die nicht einmal er glaubte, weil sie ein halbes Zugeständnis war. Noch dazu konnte er Harada nichts vormachen, denn in Sachen Frauen und Liebe schien er der Experte der Roshigumi zu sein.

“Was willst du machen?”

Ibuki wusste nicht, woher diese Frage so plötzlich kam. So wirklich hatte er noch nie darüber nachgedacht, weswegen er Harada nur sagen konnte, dass er es selbst nicht wirklich wusste.

“Nun, denk gut darüber nach!”

Mit einem sanften, aber schmerzvollen Klaps bedachte Harada den Jüngeren, ehe er zum Fluss sah, der leicht im Sonnenlicht glitzerte.

Und obwohl er eigentlich gut gelaunt war, verfinsterte sich seine Miene plötzlich, als er eine bekannte, weibliche Silhouette wahrnahm.

“Geht schon mal vor, ich komme gleich nach!”, verkündete Harada und löste sich, trotz seiner Pflicht aus der Einheit.

Schnell lief der Krieger zu dem Flussbett, wo er Erenya stehen und ins Wasser starren sah. Er machte sich Sorgen um das Mädchen, denn bald würde sie der Roshigumi ausgeliefert werden und ihre Freiheit verlieren.

“Eri-chan?”, flüsterte er leise um sich dem Mädchen bemerkbar zu machen.

Doch obwohl sie ihn gehört hatte, sah sie ihn nicht an. Sie sah einfach nur in ihr Spiegelbild.

“Bald ist meine Zeit abgelaufen. Und ich weiß immer noch nichts über mich. Selbst wenn ich mein eigenes Spiegelbild sehe, erkenne ich nur eine fremde Frau, über deren Leben ich nichts weiß. Wie sah ich als Kind aus? Wie waren Mama und Papa… Ich weiß nichts von alledem. Es fühlt sich an… als hätte ich plötzlich angefangen zu existieren.”

Schweigend hörte Harada dem Mädchen zu. Auch er wusste so gut wie nichts über das Mädchen, das einen wichtigen Platz in seinem Leben eingenommen hatte. Doch ihre Vergangenheit war für die Gegenwart nicht wichtig. Zumindest nicht für ihn.

“Dann… Schaffe dir doch jetzt Erinnerungen, die du in der Zukunft nicht vergisst. Ich meine, es ersetzt nicht deine Vergangenheit, aber ist das hier und jetzt nicht viel wichtiger? In kürzester Zeit hast du so viele Menschen getroffen, du hast Freundschaften geschlossen und einfach gelebt. Was könnte die Vergangenheit daran ändern? Du wirst für mich und für andere immer die Eri-chan bleiben, die nicht kochen kann, die sich für ihre Freunde einsetzt und gerne mal ein Mysterium ist.”

Lächelnd sah Harada zu Erenya, die von ihrem Spiegelbild aufsah und den Krieger mit ihren amethystfarbenen Augen ansah.

“Würdest du die Erenya der Vergangenheit mögen?”

Ernst sah das Mädchen zu dem Krieger, der sich nun ganz zu ihr drehte und ihr sanft eine Hand auf die Wange legte.

“Wer weiß. Ich weiß aber, dass ich die Erenya der Gegenwart mehr als nur mag.”

Ein leichter roter Schimmer legte sich auf Erenyas Wange, als sie ihr erstes und wohl schönstes Liebesgeständnis von dem Krieger erhielt, der über diese kurze Zeit, die sie sich kannten, soviel Menschlichkeit in ihr geweckt hatte.

Der Schmerz der Vergangenheit

Leise seufzte Mizu, als sie neben Erenya herlief. Sie hatte beschlossen das Mädchen zur Roshigumi zu begleiten, denn irgendwie wurde sie das dumpfe Gefühl nicht los, dass ihr sonst etwas passierte.

„Es ist unnötig, dass du mitkommst.“

Erneut äußerte Erenya, dass sie alleine ganz gut zurecht kam, doch irgendwie glaubte Mizu ihr nicht. Noch dazu trug das Puppenmädchen wieder das Schwert bei sich, was nur sie heben konnte. Sollte sie also angegriffen werden, bestand die Gefahr, dass sie wieder zum geflügelten Männermordenden Wesen mutieren würde. Sie wollte also nur auf Nummer sicher gehen.

„Du willst ja nur verschwinden, damit du dich nicht verabschieden musst. Das kann ich nicht zulassen.“

Entsetzt wegen Mizus Worten, blieb Erenya stehen und sah die Kriegerstochter an, die einfach weiter lief und sie nicht einmal eines Blickes würdigte.

'Woher weiß sie das?'

Erenya konnte nicht wissen, dass Mizu diesen Satz nur als Ausrede verwendet hatte, damit sie endlich akzeptierte, dass sie bis zur Roshigumi nicht von ihrer Seite weichen würde.

'Ob Harada-san auch Gedanken lesen kann? Oder besitzt nur Mizu diese Gabe?'

Noch immer verwundert darüber, dass Mizu scheinbar ihre Gedanken gelesen hatte, lief sie auf ihre Freundin zu, die bereits weiter gelaufen war.
 

Schweigend lief Mizu neben ihrer Freundin weiter. Sie waren schon so gut wie vor den Toren des Hauptquartiers der Roshigumi und noch immer war Erenya fest entschlossen sich auszuliefern.

Abrupt blieb das Samuraimädchen stehen und sah zu Erenya, die verwundert über ihr Tun ebenfalls inne hielt und sich zu ihrer Freundin umwandte.

„Hör endlich auf! Hör auf die Tapfere zu spielen und flieh! Noch kannst du es. Flieh und lebe in der Freiheit, die du verlieren würdest, wenn wir durch dieses Tor gegangen sind.“

Ernst sah Mizu ihre Freundin an. Es war die letzte Chance die sie hatte, um Erenya von einer Flucht zu überzeugen. Zielsicher griff Mizu in ihren Yukata und zog ein kleines rotes Säckchen raus, das sie Erenya entgegen hielt.

„Nimm das und flieh aus Kyoto. Damit könntest du es bis nach Edo oder noch weiter schaffen.“

Stumm sah Erenya auf das Säckchen. Sie musste keine Hellseherin sein um zu wissen, dass sich genug Geld für eine Flucht darin befand. Sicherlich hatten Mizu und Lhikan das für sie zusammen gekratzt um ihr zu helfen. Doch selbst wenn sie eine Flucht geplant hätte, sie hätte es nicht annehmen können.

„Nein... Alles was gerade passiert und noch passieren wird, ist Schicksal. Sich dagegen aufzulehnen, würde bedeuten, dass man einem grausamen Ende entgegensieht.“

Ohne Mizu oder dem Säckchen weiter Beachtung zu schenken, wandte sich Erenya von ihr ab und lief weiter zu dem Tor, das mit jedem Schritt näher kam.

„Warte!“

Verzweifelt rief Mizu nach ihrer Freundin, doch sie ging unaufhaltsam weiter.

„Schicksal... Damit solltest du dich eigentlich bestens auskennen, sehender Engel.“

Erenya sah auf, als sie eine bekannte, kalte Stimme von einer Person vernahm, die am Tor auf sie zu warten schien. Sie brauchte nicht lange um zu erkennen, dass der Mann mit den roten Augen derselbe war, den sie vor einiger Zeit in Shimabara getroffen hatte.

Und wie schon bei ihrer ersten Begegnung erzitterte sie vor Angst.

„Wer bist du? Hat die Roshigumi dich als Begrüßungskomitee geschickt?“

Schnell war Mizu zu Erenya gelaufen und hatte sich schützend vor das Mädchen gestellt. Auch wenn sie unbewaffnet war, wollte sie ihre Freunde beschützen, egal was passierte.

„Als ob ich mich solchen Barbaren anschließen würde. Ich nur hier, um das Püppchen abzufangen. Und du stehst mir gerade im Weg.“

Genervt durch Mizus eingreifen zog Daren sein Schwert, das seit Monaten unbenutzt um seiner Hüfte hing. Er hasste es dieses Spielzeug zu benutzen, denn es waren immer die anderen, die sich daran verletzten. Und heute sollte es Erenyas lästige Begleitung sein.

„Nicht!!!“

Leicht zuckte Mizu zusammen, als eine Stimme ertönte und sie einen stechenden Schmerz im linken Arm verspürte. Fragend sah sich die Kriegerstochter um und entdeckte eine schwarz gekleidete Person, die auf dem Tor saß.

„Ein Todesengel?“, wisperte Mizu, deren Beine ihr nicht mehr gehorchen wollten.

Wie zwei Strohhalme knickten sie ein und beförderten die Samuraitochter auf die Knie.

„Was mischst du dich ein, Akazumi?“

Wütend darüber, dass nicht er der Grund war, warum seine Gegnerin zusammenbrach, sah Daren zu dem Ninjamädchen, dass ihn ernst fixierte.

„Wir müssen kein unnötiges Blut vor den Toren der Roshigumi vergießen. Schnapp dir das Mädchen und lass uns verschwinden!“

Murrend steckte Daren sein Schwert wieder in die Scheide zurück und wandte sich Erenya zu, die ihr Schwert fest umklammerte und ihm die scharfe Klinge entgegen hielt.

Nun musste er vorsichtig sein, denn wenn er einen falschen Schritt wagte, würde die Angst ihren Überlebenswillen aktivieren. Sie dann noch lebend zu bekommen, war unmöglich.

„Akazumi, leg sie schlafen.“

Ohne ein weiteres Wort verstand Akazumi, was ihr Auftraggeber von ihr verlangte, weswegen sie drei Stäbchen unter ihrer Maske hervorzog und sie auf Erenya warf.

Verängstigt hob der Engel das Schwert und schwang es, um die Geschosse abzuwehren, doch es war vergebens, denn bis auf ein Stäbchen, das an der Klinge abprallte, rammten sich alle in ihre Brust und ließen das Schlafmittel in ihre Venen eindringen.

Nur ein Atemzug verging, ehe Erenya das Schwert fallen ließ und müde in Darens Arme fiel.

Gelähmt lag Mizu am Boden und musste hilflos mit ansehen, wie ihre Freundin vor den Toren der Roshigumi verschleppt wurde.
 

Obwohl es noch früh am Morgen war, hatte sich Yuki der ehemalige Schneeengel auf dem Weg zur Roshigumi gemacht. Die Männer der Gruppe hatten sie darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie wohl ihre gesuchte Person gefunden hatten und sie ihr heute überreichen würden.

Glücklich sah sie auf ihren Brief, auf dem in einer feinen und gut leserlichen Handschrift alle nötigen Informationen geschrieben standen. Am Abend zuvor, als die Inspektoren der Roshigumi sie gefunden und ihr den Brief überreicht hatten, war Yuki zu Koji gegangen, um ihm ihren Sieg unter die Nase reiben zu können.

Und nun saß er mit Natsu in ihrem Gasthaus und wartete darauf, dass sie mit Erenya wiederkam.

'Ich frage mich, wer mir gerade mehr leid tut. Koji weil er Natsu so wild und neugierig ist, oder Natsu, weil Koji so ein Romeo ist. Ich weiß es einfach nicht.'

Seufzend steckte Yuki ihren Brief wieder ein und lief etwas schneller in die Richtung des Hauptquartiers. Sie wollte Erenya so schnell es ging wieder in ihre Arme schließen.

'Morgen können wir dann wieder aufbrechen... Ob ich Koji darum bitte mitzukommen? Er bekommt sicher Ärger, wenn er Erenya nicht in die Finger bekommt. Und da er sie nicht mitnehmen will, weil ich gewonnen habe... Er bekommt garantiert Ärger.'

Ein leises Seufzen kam über Yukis Lippen, als sie an ihre Heimat dachte und an den alten Mann, der sich als ihr Gott bezeichnete und versuchte der einzig Wahre zu sein. Sie fragte sich immer noch, wie die Engel allesamt so dumm sein konnten, dass sie nicht verstanden, dass er nur halb so mächtig war, wie er behauptete. Doch mit guten Ausflüchten konnte man selbst dem dümmsten Schaf Dreck als Gras verkaufen.

'Ich versteh immer noch nicht, warum ihm Onis so ein Dorn im Auge sind. Der Grund für die Notwendigkeit sie auszurotten, bleibt mir immer noch verborgen. Vielleicht ist meine Denkweise aber einfach zu grau...“

Zu grau. Das beschrieb wohl in der Tat Yukis Denkweise. Sie dachte nicht an dieses allgegenwärtige „Onis sind böse, die Engel die Guten.“. Im Gegenteil, sie zweifelte daran, wie „gut“ die Obrigkeit war, wenn sie unschuldige Seher einsperrten, friedliebende Onis auslöschten und selbstständig denkende Engel ihrer weißen Flügel beraubte, um sie mit einem grässlichen Schwarz zu stigmatisieren.

„Hilfe...“

Von einem leisen und schwachen Hilferuf aus ihren Gedanken gerissen, sah sich Yuki um und erkannte ein Mädchen, dass sich mit aller Kraft und ziemlich steif zum Tor der Roshigumi schleifte. Äußerlich schien sie nicht verletzt zu sein, denn sie zog keine Blutspur hinter sich her, was schon einmal ein positives Zeichen war. Dennoch fand Yuki ihre Situation bedenklich und konnte nicht anders, als zu ihr zu laufen.

„Ist alles okay? Kann ich dir irgendwie helfen?“

Langsam bückte sich Yuki zu der Fremden hinunter. Sie musste vorsichtig sein, denn wer wusste schon, ob dieses Mädchen wirklich verletzt war und nicht nur so tat. Andererseits hätte sie sich für ihr Schauspiel dann sicher einen anderen Ort gesucht.

„Ich... muss zur... Roshigumi... M-Meine Freundin... wurde entführt.“

Yukis Augen weiteten sich, als sie hörte, was das Mädchen da sagte. Ihr war klar, dass man in diesem Fall schnell handeln musste und da sie sowieso auf dem Weg zu der Truppe war, konnte sie dem Mädchen helfen.

„Keine Sorge, ich bringe dich zu ihnen“, erklärte der Engel und nahm die Verletzte Huckepack.

„Erenya... Ich muss sie aus den Fängen... dieses Mannes befreien.“

Fast hätte Yuki das Mädchen fallen gelassen, als sie hörte, dass diese den Namen des Püppchens gesagt hatte. Sie verstand sofort, und ohne weitere Worte, dass ihr Schicksal nun mit der Fremden und der Roshigumi verknüpft war. Doch noch mehr verstand sie, dass ihr der Sieg für diesen Moment durch die Finger geglitten war.
 

Seufzend saß Akazumi, ganz unüblich in einem lilafarbenen Yukata gekleidet, vor einem kleinen Restaurant in Osaka. Es waren nun schon einige Tage vergangen, seit sie ihren Auftrag ausgeführt und Daren nun das Objekt seiner Begierde hatte. Doch scheinbar hatte dieser noch nicht vor, sie aus ihrer Pflicht zu entbinden, indem er sie bezahlte.

In Kyoto sie sich auch nicht mehr blicken lassen, denn wenn das Mädchen von den Entführern berichtete, gab es mindestens einen Mann, der dann wusste warum sie bei der Roshigumi herumgeschlichen war. Demnach war es zu gefährlich.

„Was mache ich nur?“, wisperte Akazumi und sah zum Himmel.

Sie wusste nicht, was sie tun sollte und ob sie jemals Geld von Daren erwarten konnte. Es war einfach ein ungutes Gefühl, was sie erfasst hatte, denn noch immer wusste Akazumi nicht, was Daren wirklich plante.

„Mutter wäre das nie passiert“, seufzte sie leise und erhob sich von der Bank.

Sie musste einfach auf andere Gedanken kommen, weswegen sie sich durch eine kleine Gruppe von Menschen kämpfte, um auf die Einkaufsstraße zu gelangen.

Doch weit kam das Ninjamädchen nicht, denn ihr Blick fiel auf ein kleines Schaufenster, in dem drei Schwerter ausgestellt waren. Sofort blieb sie stehen und sah auf die Mordwaffen, deren scharfen Klingen bläulich schimmerten.

'Warum erinnern mich diese Schwerter nur an Saito?'

Sehnsüchtig sah das Mädchen auf die Waffen und stellte sich vor, wie ihr Schwarm sie in der Hand halten würde. Sie war sich sicher, dass es kein Schwert auf der Welt gab, das diesen Mann nicht wunderschön und stark wirken ließ.

„Obwohl diese Schwerter schön sind, und man anhand des Schliffs erkennen kann, dass der Schmied sein Handwerk versteht, sind das nicht die besten Schwerter, die sie bekommen können.“

Erschrocken weiteten sich die Augen des Ninjamädchens. Denn von allen Orten hatte sie nicht damit gerechnet, ihm hier zu begegnen. Saito Hajime von der Roshigumi.

„Ich hatte nicht vor eines dieser Schwerter zu kaufen. Sie... haben mich nur an jemanden erinnert, den ich sehr gerne hab“, flüstert Akazumi kaum hörbar.

Aber sie traute sich nicht, den Krieger anzusehen, denn noch nie war sie ihm wirklich so nahe gewesen wie jetzt. Und vor allem hatte sie noch nie mit ihm gesprochen.

„Ist er der Grund, warum Sie so traurig sind?“

Die Gelockte schluckte schwer, denn Saito war nur einer von vielen Gründen, warum sie traurig war.

„Es ist mehr als das...“

Ihre Worte klangen wie ein kleines Geständnis, was selbst Akazumi überraschte, denn bisher entwickelte sich das Gespräch ganz anders, als sie es erwartet hatte.

„Wenn Sie wollen, können Sie es mir erzählen.“

Fast schon überrascht, sah Akazumi zu Saito auf. Er war so anders als sie es sich immer vorgestellt hatte. Doch warum? Sie war immerhin nur eine Fremde für ihn.

'Denk nicht darüber nach, das ist deine Chance, nutze sie!', ermahnte sie sich in ihren Gedanken und rang sich ein zierliches Lächeln ab.

„Zum Dank möchte sie Sie zum Essen einladen.“

Es war für Akazumi die wohl einzige Möglichkeit, mehr Zeit mit ihrem Liebsten zu verbringen. Ein Essen als Dankeschön für sein offenes Ohr kam da wie gerufen.
 

Bewundernd sah Akazumi Saito an, der sich gerade einen Bissen Reis in den Mund steckte. Obwohl der Krieger sich alles hätte bestellen können, blieb er bei Reis mit etwas gebratenen Fisch und Gemüse.

'Er ist so höflich. Das liebe ich an ihm', dachte das Ninjamädchen mit einem hauchzarten roten Schimmer auf ihren Wangen.

Dieser blieb jedoch von Saito vollkommen unbemerkt.

„Sie wollten sich den Kummer von der Seele reden.“

Akazumi zuckte leicht zusammen, als Saito die Stille plötzlich durchbrach. Eigentlich hätte sie ihn gerne weiter beobachtet, doch da er den Grund ihres Kummers wissen wollte, konnte sie ihn ja nicht ewig an schweigen.

„Mein Kummer hängt mit meiner Mutter zusammen. Sie hatte einen etwas untypischen Beruf, aber den hatte jede Frau in unserer Familie. Sogar ich übe nun diesen Beruf aus und folge den Regeln, die mich meine Mutter gelehrt hatte, bevor sie ermordet wurde. Jeden einzelnen Tag lebe ich nach diesen Regeln und versuche meine Arbeit mit besten Gewissen auszuführen, doch in letzter Zeit fällt es mir immer schwerer.“

Kurz hielt Akazumi inne und blickte auf ihren Becher Tee, der vor ihr stand. Selbst heute noch hörte sie die Stimme ihrer Mutter so deutlich in ihrem Kopf, dass sie glaubte, ihr Geist wäre immer noch bei ihr, um sie auf ihre Fehler hinzuweisen. Immer hatte sie schon einige ihrer Regeln gebrochen.

'Regel 1: Sei immer vorbereitet. Regel 5: Lass dich nie erwischen. Regel 8: Zweifel nie an deinem Auftraggeber. Regel 9: Hinterfrage nie das Tun deines Auftraggebers.'

In Gedanken zählte Akazumi alle Regeln auf, die sie schon gebrochen oder zumindest nicht zu ganzer Vollständigkeit eingehalten hatte.

'Regel 20: Bring Augenzeugen um.'

Ein Seufzen schlich sich über die Lippen des schönen Mädchens, was Saito aufblicken ließ. Schon anhand des Seufzers bemerkte er, wie groß der Kummer des Mädchens war.

„Ich habe viele dieser Regeln gebrochen. Einige gewollt, andere ungewollt. Aber vor allem zweifel ich an meinen Auftraggeber. Ich hab das Gefühl, dass sein Tun falsch ist, aber meine Regeln besagen, dass ich weder an ihn zweifeln noch ihn hinterfragen darf. Und irgendwie ist dieser Auftraggeber auch so etwas wie der Feind meines Geliebten. Mir ist es nun unmöglich ihn wieder zusehen.“

Obwohl Akazumi immer davon geträumt hatte, mit Saito zu reden und ihm ihre Liebe zu gestehen, konnte sie das nun nicht mehr tun. Sicher hatten sie bereits von dem gelähmten Mädchen eine Beschreibung von Daren, der mit der Hilfe eines Ninjamädchens Erenya entführt hatte, erzählt. Sie musste also schweigen, egal ob sie wollte oder nicht.

„Wie ist deine Mutter gestorben?“

Verblüfft zog Akazumi eine Augenbraue hoch, als sie Saitos Frage vernahm. Eigentlich hatte sie auf einen guten Rat gehofft und nicht darauf, dass er etwas belangloses über ihre Mutter wissen wollte.

„Sie hat sich mit etwas unmenschliches angelegt. Ursprünglich stamme ich aus einem kleinen Dorf im Norden. In der Nähe des Dorfes gab es einen Wald, in dem sich tief verborgen ein weiteres Dorf befand. Allerdings lebten dort unmenschliche Kreaturen, vor denen die anderen sich fürchteten. Dabei haben sich die Kreaturen nie blicken lassen, oder uns etwas angetan. Im Gegenteil, ich habe mich im Wald verlaufen und einer der jüngeren hat mir den Weg zurück in mein Dorf gewiesen.

Jedoch war die Angst der Bewohner meines Dorfes so groß, dass sie meine Eltern baten diese Kreaturen auszulöschen. Obwohl meine Eltern bedenken bezüglich dieses Auftrags hatten, schmiedeten sie einen Plan. Wochenlang haben sie das andere Dorf beobachtet und fanden so raus, wer die, ich nenne sie mal Herrscher, waren. Meine Eltern glaubten, dass sie nur die Herrscher und ihre Familie ausschalten mussten, damit die anderen Dorfbewohner freiwillig den Wald verließen. Sie informierten unsere Dorfbewohner über ihren Plan und vollbrachten ihr Werk im Schutze der Dunkelheit.

Wie geplant verließen die Wesen wirklich den Wald und wir hatten jahrelang Ruhe und eine Angstlose Zeit. Bis der Terror anfing. Menschen, die den nahegelegten Wald betraten, verließen ihn nicht mehr lebend. Selbst der Erkundungstrupp verschwand spurlos. Die Dorfbewohner glaubten, dass es die wütenden Geister der ermordeten Wesen waren, weswegen sie meine Eltern verantwortlich dafür machten. Sie versprachen deswegen, dass sie sich um die Sache kümmern würden, und gingen in den Wald. Doch auch sie kamen nicht mehr wieder. Ich bekam Angst und lief selbst in den Wald, dahin, wo das Dorf der Wesen sich befunden hatte. Ich wollte die Geister der Verstorbenen bitten, meinen Eltern zu verzeihen und sie mir wieder zu geben. Doch es war zu spät. Ich fand beide Händchen haltend an einem Baum hängend. Und nicht nur sie hingen da, auch der Suchtrupp hing dort.“

Akazumi spürte, wie sich ihre Kehle mit jeden weiteren Wort zuschnürte. Die Erinnerungen an diese Vergangenheit, schmerzte sie noch heute. Doch es war noch lange nicht das Ende ihrer Geschichte.

„Sie haben sich also selbst umgebracht?“, fragte Saito schließlich nach und sah das Mädchen an, das nur den Kopf schüttelte.

„Nein. Der Suchtrupp hatte eine Verletzung an der Brust. Nur meine Eltern nicht. Sie waren betäubt und lebendig aufgehangen wurden. Ich hatte damals zwei feine Kratzer an ihren Körpern gefunden. Solche Kratzer würden reichen, um ein Gift oder Betäubungsmittel zu injizieren. Besonders bei uns im Norden ist das ein beliebter Weg sich Feinde vom Hals zu schaffen.“

Fest umklammerte das Ninjamädchen ihren Becher Tee und biss sich leicht auf die Unterlippe. Eigentlich hatte sie nun schon zu viel gesagt, doch Saito blieb vollkommen ausdruckslos.

„Und was haben Sie dann gemacht?“

Das Herz der Gelockten machte einen kleinen Hüpfer, als Saito nun noch mehr wissen wollte. Sie hatte nicht so einem Interesse von seiner Seite gerechnet.

„Ich bin zurück zum Dorf gelaufen und wollte ihnen erzählen, was ich gesehen habe, doch kaum, dass ich einen Schritt aus dem Wald getan habe, sah ich die Flammen, die das Dorf fraßen. Noch heute höre ich die Schreie jener, die bei lebendigen Leib verbrannten. Und ich konnte nichts dagegen tun. Stattdessen lief ich zurück in den Wald, dahin wo meine Eltern hingen und versteckte mich dort. Als ich am nächsten Morgen dort erwachte und mich wegschleichen wollte, sah ich ihn. Eines dieser unmenschlichen Wesen. Er sah mit seinen gelben Augen zufrieden auf sein blutgetränktes Schwert. Selbst an seinem weißen Haar klebte es. Vor Angst verkroch ich mich ins Gebüsch, doch er bemerkte mich und sah in meine Richtung, so dass ich dieses eine weiße Hörnchen auf seiner Stirn sehen konnte und erkannte, wie jung er eigentlich war.

Er blieb einfach stehen und starrte mit diesem teuflischen Grinsen in meine Richtung, ehe er sich abwandte und verschwand.“

Akazumi konnte gar nicht sagen, wie sehr sie unter diesen Erinnerungen litt. Doch gleichzeitig hatte sie dem Krieger nicht die ganze Wahrheit erzählt.

„Jetzt sind wir quitt...“

Das waren die letzten Worte des einhörnigen Onis gewesen, die er an sie gewandt hatte. Doch bis heute verstand sie nicht, inwiefern sie quitt waren.

„Meine Eltern sind also gestorben, weil sie die an mich vererbten Regeln eingehalten haben. Hätten sie den Auftrag nicht angenommen und das Herrschergeschlecht ausgeschaltet, würden sie heute noch leben.“

Das Ninjamädchen war sich sicher, dass ihre Worte der Wahrheit entsprachen, denn wenn ihre Eltern nicht gehandelt hätten, wären die Onis geblieben und die Dorfbewohner hätten den Wald weiter gemieden.

„Das bezweifle ich. Deine Eltern waren sich der Gefahr zu sterben bewusst. Die Regeln erinnerten sie jedes Mal aufs neue daran. Wie ein Hund zu leben, bedeutet auch wie einer zu sterben. Selbst wenn deine Eltern den Auftrag nicht angenommen hätten, so wäre den Bewohnern ein anderer Weg eingefallen, um diese ungeliebten Wesen zu vertreiben. Und das wiederum hätte auch zum Untergang des Dorfes geführt.“

Da Saito nun genug gehört hatte und es Zeit war, zum Gasthaus zurück zu gehen, erhob er sich von seinem Platz und ging in Richtung Ausgang. Doch neben Akazumi blieb er stehen und zog zwei Stäbchen unter seinem Yukata hervor.

„Entscheide, ob du weiter kämpfen willst um deine Ehre zu behalten, oder ob du lieber in die Arme eines Mannes fliehen willst, der keinerlei romantisches Interesse an dir hat.“

Behutsam legte Saito die zwei Stäbchen, die er einst gefunden hatte, neben Akazumi hin und verließ das Lokal. Akazumi hingegen starrte fassungslos auf jene Stäbchen, die sie einst in der Hand gehalten hatte. Mit dieser kleinen, fast schon unbedeutend wirkenden Geste, hatte Saito ihr drei Dinge klar gemacht.

Erstens, er wusste, dass sie ihn beobachtet und auch beschützt hatte. Zweitens, er würde sie beschützen, wenn sie die Seiten wechselte, und drittens, er hatte keinerlei Gefühle für sie.
 

Zielsicher betrat Daren einen Gasthof in Osaka und spähte durch die Menge trinkender Menschen, die sich hier angesammelt hatten. Doch nach kurzer Zeit verweilte sein Blick auf der Person, die ihn mit einer Nachricht herbeizitiert hatte.

Er musste gestehen, dass es ihn überrascht hatte von seinem mürrischen Freund zu hören, nachdem er so deutlich klar gemacht hatte, dass er sich nicht an seinem Plan beteiligen wollte. Die Frage war nun also, was er von ihm wollte.

Langsam ging Daren auf den Oni zu, der, wie nicht anders zu erwarten, stoisch gelassen seinen Sake genoss.

„Es ist selten, dass du darum bittest jemanden zu sehen, Kazama“, begrüßte Daren seinen alten Freund und ließ sich neben ihn nieder.

Wie sein Nachbar, würdigte Kazama den anderen Oni keines Blickes. Er akzeptierte einfach seine vorlaute Anwesenheit und nippte weiter an seinem Sake.

„Keine Begrüßung? Dabei wolltest du mich doch so dringend sprechen.“

Daren verwunderte es, dass Kazama ihn anschwieg und keine Anstalten machte, mit ihm zu reden. Er fragte sich sogar, ob er den starken Oni des Westens verärgert hatte, immerhin war es einfacher ihn zu verstimmen, als ihn und seine Gedanken zu verstehen.

„Amagiri meinte, ich solle noch einmal mit dir wegen deiner Pläne sprechen. Wir wissen aber beide, dass es sinnlos ist und du sowieso machen wirst was du willst.“

Erst nach einer gefühlten Ewigkeit durchbrach Kazama das Schweigen zwischen ihnen. Doch trotz seiner Andeutung, wofür dieses Treffen sein sollte, verstand es Daren nicht.

Schließlich hatte Kazama selbst bemerkt, dass er sich seinen Plan nicht ausreden lassen würde. Nicht jetzt, wo er schon soweit gekommen war.

„Typisch Amagiri... Aber es wäre ohnehin schon zu spät. Ich habe das Püppchen bereits in meiner Hand. Ich muss ihr nur noch das hier einverleiben und dann werde ich die Menschen und Engel ausrotten.“

Triumphierend hielt Daren ein kleines Fläschchen mit einer dickflüssig grau wirkenden Flüssigkeit hoch und zeigte sie Kazama, ehe er sie wieder sicher verstaute.

„Zweimal... dir wurde zweimal das Leben geschenkt und du wirst es so einfach weg. Dir ist schon bewusst, dass dein Clan endgültig ausstirbt wenn du vom Antlitz dieser Welt verschwindest, oder?“

Nur aus dem Augenwinkel heraus bedachte Kazama seinen Freund mit einem ernsten Blick. Es war deutlich, dass er noch immer noch viel von Darens Plan hielt. Und wahrscheinlich würde sich das auch in nächster Zeit nicht ändern.

„Du spielst mit diesem Leben. Hat sich dein Rachedurst nicht gestillt, als du die Ninjas, die deine Familie ermordet haben, aufgeknüpft und ihr Dorf niedergebrannt hast? Warum willst du dich nun auch noch mit den Engeln und der gesamten Menschheit anlegen?“

Kazama konnte Darens Hass nicht nachvollziehen. Er hätte ihn in seiner Heimat, wo er in Frieden leben konnte, jederzeit willkommen geheißen. Doch Daren kam blind vor Rachegelüsten nicht einmal auf die Idee um Asyl zu bitten.

„Du weißt nicht was passiert ist, nachdem mein Clan das Dorf verlassen hatte. Wir wollten zu euch in den Westen weil wir wussten, dass der starke Kazama-Clan uns Schutz gewähren würde. Unterwegs wurden wir aber von den Engeln angegriffen. Dieses grausame Geflügel, dass im Namen ihres Gottes handelt, hat meinen gesamten Clan abgeschlachtet. Das sollen sie mir büßen, jeder einzelne von ihnen. Genauso wie die Menschen“, zischte Daren und ballte seine Hände zu Fäusten.

Schon aus seinen Worten hörte Kazama den reinen Hass heraus. Doch noch immer gab es eine Sache die ihm unklar war.

„Und das Ninjamädchen? Sie stammte doch auch aus dem Menschendorf. Warum hast du sie leben gelassen? Und warum lässt sie, die dich beseitigen will, wenn sie erst einmal erfährt wer und was du wirklich bist, für dich arbeiten?“

In der Regel wäre es Kazama egal gewesen, was andere Onis machten, aber Daren spielte doch schon sehr offensichtlich mit seinem Leben.

„Sie wird mir nichts tun. Denn bevor sie erfährt wer ich bin, wird sie sterben. Sie wird also nicht einmal die Chance bekommen auch nur einen Funken der Wahrheit zu begreifen.“

Seufzend erhob sich Kazama von seinem Platz und ging Richtung Tür. Er hatte genug gehört. Daren würde von seinem Kamikaze-plan nicht abkommen.

„Oi! Kazama! Meinst du immer noch, dass mein Plan scheitern wird? Ich hab nun immerhin das Püppchen.“

Wie schon bei ihrem ersten Treffen blieb Kazama stehen und wandte sich zu Daren, der ihn siegessicher angrinste.

„Grüß deine Ahnen von mir“, brummte er nur und verließ das Lokal und Daren, der sich seiner Sache viel zu sicher war, um Kazamas Worte zu verstehen.
 

Zielsicher lief Mizu in einen Haori und Hakama gekleidet in die Richtung Shimabaras. Nur zu deutlich nahm sie die Blicke ihrer Mitmenschen wahr, die auf dem Schwert um ihrer zierlichen Hüfte ruhten. Es war kein gewöhnlicher Anblick, dass ein Mädchen mit einem Schwert durch die Straßen zog. Erst als sie sich in Shimabara befand, schenkte ihr niemand mehr auch nur einen Blick.

Mizu war froh darüber, denn jetzt war sie im Revier der schwerttragenden Geiko. Hier konnte ihr so schnell nichts mehr passieren.

„Hallo, Mi-chan. Wie lange ist es her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben?“

Abrupt blieb Mizu stehen, als sie die Stimme der Geiko hörte, die hier in Shimabara bekannter als der edelste Sake war.

„Ich habe gehört, dass du das Schwert niedergelegt hast, aber das waren scheinbar nur Gerüchte. Immerhin sehe ich doch, wie du deinen treuen Freund bei dir trägst.“

Lächelnd wandte sich die Kriegerstochter zu der Stelle um, wo Chia lässig an der Wand eines Hauses, in einer Seitengasse, gelehnt stand.

Sie kannte sie die Geiko, die sich abgesehen von ihrem länger gewordenen blonden Haar, kaum verändert hatte.

„Das waren keine Gerüchte. Gewisse Umstände haben mich aber dazu gezwungen, wieder zum Schwert zu greifen.“

Das Lächeln in Mizus Gesicht war geschwunden, so dass Chia erkannte, dass ihre Freundin aus der Vergangenheit ein Problem hatte. Ihr Gesichtsausdruck sprach immerhin eine deutliche Sprache.

„Und was willst du dann hier in meinem Revier, Mi-chan?“

Der blonden Geiko war klar, dass etwas nicht stimmen konnte, wenn Mizus Weg in das von ihr so verhasste Rotlichtviertel führte.

„Ich will dich um einen Gefallen bitten. Oder viel mehr um deine Hilfe.“

Chia wurde ernster, als sie die Worte des Samuraimädchens hörte. Selbst in der Vergangenheit hatte sie nie um Hilfe gebeten und nun war sie hier und forderte, ihren Stolz und Ehre vergessend, einen Gefallen.

„Eine sehr wichtige Freundin von mir wurde entführt. Alleine werde ich sie aber nicht retten können. Leih mit bitte deine Kampfkraft, Chia.“

Schweigend sah die Geiko ihre Freundin aus alten Tagen an. Sie meinte das ganze mehr als nur ernst. Mizu musste demnach also auf einen Gegner getroffen sein, der ihrer Kraft widerstehen und ihrer Technik etwas entgegenzusetzen hatte.

„Damals als wir jünger waren und in unserer kleinen Waisengruppe durch Japan gereist sind, hast du uns ein ums andere Mal das Leben gerettet. Und heute willst du wieder jemanden retten. Du wirst dich wohl wirklich nie ändern, Mi-chan. Was wäre ich also für ein Mensch, wenn ich dir jetzt den Rücken zuwenden würde? Ich denke es ist an der Zeit, dass ich einen Teil meiner Lebensschuld an dir zurückzahle“, erwiderte Chia und zog ihr Kodachi mitsamt der Schwerthülle unter dem Obi hervor.

Wie ein richtiger Samurai zog sie die Klinge etwas aus der Scheide und hielt es Mizu entgegen. Die Kriegerstochter verstand, was ihre Kampfgefährtin wollte und hob ebenfalls ihr Schwert, dass sie etwas aus der Scheide gezogen hatte, hoch und kreuzte es mit Chias Klinge.

Es war die Art und Weise, wie richtige Krieger sich ein Versprechen gaben. Ein Versprechen, dass sie niemals brechen würden, selbst wenn es ihren Tode bedeutete.
 

Obwohl sie kaum noch zu Atem kam, lief Natsu so schnell sie konnte durch die verwinkelten Wege des Hauptquartiers der Roshigumi.

Fest umklammert hielt sie einen Brief von Yuki in der Hand. Sie musste ihn unbedingt Kondou Isami oder Hijikata Toshizou bringen, doch keiner von beiden war hier zu finden. Ihre Zimmer waren leer und das Hauptquartier war ungewöhnlich ruhig.

'Ob die Monster sie gefressen haben?'

Wie aus dem Nichts keimte dieser Gedanke auf und ließ Natsu in ihren Schritten langsamer werden, bis sie schließlich stehen blieb.

„Kann das wirklich sein? Sind die starken Krieger dieser Gefahr wirklich unterlegen?“

Leicht hob das Fuchsmädchen ihren Kopf und schnupperte. Doch alles war wie sonst auch. Sie roch Schweiß, Essen und eine kleine dezente Note von Blut. Das bewies eindeutig, dass diese Monster kein Blutbad verursacht hatten.

Die Frage war nun, wo dann die Krieger und vor allem die Empfänger des Briefes waren.

„Oi! Was machst du hier?“

Obwohl die Stimme für Natsu eher unerwartet erklang, zuckte Natsu nicht zusammen. Sie hatte den Mann, der sich ihr langsam näherte, bereits schon von weitem gehört.

Lächelnd drehte sie sich zu dem jüngsten Mitglied der Roshigumi um, denn sie kannte ihn und wusste, dass sie vor ihm keine Angst haben musste.

„Krieger-san! Ein Glück, dass ich dich hier treffe.“

Freudig lief Natsu auf den Krieger zu, der schlagartig errötete, als er das Mädchen wieder erkannte.

Glücklich darüber, dass ihr Lieblingskrieger noch lebte, umarmte Natsu ihn überschwänglich, ließ aber anders als letztes Mal, das Kitsune-typische Begrüßungsküsschen aus. Immerhin hatte Yuki ihr erklärt, dass Menschen so etwas nicht taten.

„I-Ich freute mich auch, dich wieder zusehen. Aber was machst du hier?“

Erneut stellte Heisuke die Frage aller Fragen und drückte das Fuchsmädchen sanft von sich weg.

Schon etwas traurig darüber, dass der Krieger ihre Umarmung nicht erwiderte, ging sie wieder dahin zurück, wo sie gestanden hatte und hob den Brief, den sie vor Freude fallen gelassen hatte, vom Boden auf.

„Yuki-san hat mich gebeten dieses Bittschreiben an den Oberkommandanten Kondou Isami oder an den Kommandanten Hijikata Toshizou zu überbringen. Es geht um das Mädchen, dass vor den Toren eures Hauptquartiers entführt wurde. Sie kennt den Gegner und bittet die Roshigumi um jede Hilfe die sie geben können.“

Das Lächeln in Natsus Gesicht war verschwunden. Ernst sah sie Heisuke an, der einen kurzen Moment nachdachte, bis ihm einfiel, wovon sie sprach.

„Das ist schlecht... Nur Sano-san und ich sind, vom festen Kern der Roshigumi, hier geblieben. Die anderen sind in Osaka und kommen wohl erst in ein paar Tagen wieder. Ich kann ihnen aber den Brief geben, wenn sie wieder zurück sind.“

Leicht verzog Natsu das Gesicht, als sie hörte, dass die Gesuchten nicht vor Ort waren. Yuki hatte ihr deutlich klar gemacht, dass dieser Brief unter allen Umständen zu einen der beiden Männer musste. Doch sie konnte auch nicht hier bleiben und warten.

„Du kannst mir vertrauen“, erklärte Heisuke, als er merkte, wie das Fuchsmädchen zögerte.

Er wollte ihr deutlich machen, dass sie ihren Auftrag erfüllen konnte, wenn sie ihm dieses eine Mal einfach nur ihr Vertrauen schenkte.

Kurz zögerte das Mädchen, doch schließlich entschied sie, dass dies wohl der beste Weg war, den Brief an jemanden zu senden, der gerade nicht vor Ort war.

„Danke Krieger-san.“

Lächelnd überreichte Natsu dem jungen Krieger das wichtige Dokument, der es sofort sicher verstaute.

„Nenn mich Heisuke, das macht hier jeder.“

Heisuke war froh, dass das Mädchen wieder lächelte. Irgendwie machte dieses Lächeln sie schließlich viel niedlicher. Sie gefiel ihm wegen ihrer unbekümmerten Art und er hoffte, dass er sie noch öfter sehen würde, was er deutlich machte, indem er ihr seinen Namen nannte.
 

Einige Tage waren vergangen und Mizu hatte immer noch keine Spur von Erenya oder ihren Entführern gefunden. Selbst Chia, die sich in Shimabara umhörte, hatte noch keine neuen Hinweise für sie. Ihre einzige Chance war nun die Roshigumi, die Harada damit beauftragt hatte, das Mädchen zu finden.

Deswegen suchte die Kriegerin nun nach dem Speerkämpfer, der sich hier irgendwo aufhalten sollte.

„Das Mädchen arbeitet im Rotlichtviertel. Selbst wenn du eine Familie mit ihr gründen willst, wird es ein Vermögen kosten sie freizukaufen. Wenn du dich aber damit abgefunden hast ihr Gast zu bleiben, musst du ein Auge zudrücken, wenn sie andere Männer beglückt. So oder so, wird es eine Menge Entschlossenheit kosten.“

Laut und deutlich vernahm Mizu die Stimme Haradas, und sah um die Ecke, wo er zusammen mit Ibuki auf einer Treppe saß und scheinbar ein ungestörtes Männergespräch führte. Da Mizu wusste, was Ibuki für eine unentschlossene Person war, wollte sie jetzt nicht stören und hockte sich auf den Boden, um dem Gespräch weiter lauschen zu können.

„Halbherzige Gefühle und Handlungen werden nur dafür sorgen, dass die junge Dame weint.“

Leise seufzte Mizu, denn was Harada da sagte, bedeutete, dass es wohl für Ibuki keine Chance gab, dem Mädchen, das er liebte, nahe zu sein, wenn er nicht entschlossen genug war, sich für einen Weg zu entscheiden. Doch im Prinzip traf das gleiche auch auf Harada zu.
 

„Du kannst rauskommen, Mizu-chan.“

Mizu erhob sich nach einiger Zeit, als Harada sie direkt angesprochen hatte. Irgendwie war ihr klar gewesen, dass der Krieger sie schon längst bemerkt hatte.

„Ich wollte nicht lauschen, aber ich habe nach dir gesucht, um mit dir zu reden, Harada-kun.“

Langsam kam Mizu um die Ecke und bemerkte, dass Ibuki nicht mehr bei dem Krieger war. Sie hatte nicht wahr genommen, wie dieser gegangen, geschweige den wie viel Zeit bereits vergangen war.

„Ist schon okay. Hast du eine Spur von ihr gefunden?“

Seufzend schüttelte Mizu mit dem Kopf und ging zu dem Krieger, der immer noch auf den Stufen saß und in den Sternenhimmel sah. Aus dem Augenwinkel heraus hatte er aber Mizus stumme Verneinung erkannt.

Das Samuraimädchen musste ihn nun nicht einmal mehr fragen, ob er das Engelchen gefunden hatte. Schon allein das er dieselbe Frage gestellte hatte, die sie fragen wollte, sprach Bände.

„Sag, Harada-kun... Wenn wir Erenya gefunden haben, was machst du dann? Verlässt du mit ihr Kyoto und kehrst der Roshigumi den Rücken, oder kämpfst du darum, dass sie hier in deiner Nähe bleibt, obwohl sie für ihre Mitmenschen zu einer Gefahr werden könnte?“

Fast schon ein wenig verwundert sah Harada das Mädchen an, das ihn nun in Ibukis Rolle drängte.

„Du weißt schon, dass du einen Weg wählen musst, oder? Sonst verletzt du Erenya, wenn du unentschlossen bleibst.“

Harada konnte nicht anders, als bei Mizus Worten zu lachen. Sie hatte ihm nun genau die Standpauke gehalten, die er vor wenigen Sekunden noch Ibuki gegeben hatte. Und er wusste, dass sie Recht hatte.

„Ich weiß. Doch für mich ist erst einmal wichtig, dass wir Erenya finden. Danach kann ich überlegen, wen von uns beiden ich zu etwas zwinge, was er nicht will.“

Tief seufzte Mizu auf. Sie glaubte in seinen Worten bereits eine Antwort erfahren zu haben. Wie Erenya sie bekommen würde, stand allerdings noch in den Sternen geschrieben, denn sie wussten nicht einmal wo sie war.
 

Spärlich beleuchteten der Mond und die Sterne die Straßen Kyotos, die zu so einer späten Stunde wie üblich von keinem nüchternen Mann mehr begangen wurden.

Nur Mizu, die ein langes Gespräch mit Harada geführt hatte, war die Ausnahme und kämpfte sich durch die Dunkelheit in die Richtung ihres Wohngebietes vor. Sie spürte trotz ihrer Männerkleidung, dass der kalte Winter immer näher rückte.

Kurz blieb die Schwertkämpferin stehen und sah in den sternenklaren Himmel.

'Ob Erenya jemals Schnee gesehen hat? Ob sie ihn je sehen wird, wenn sie Kyoto wieder verlässt?'

Zum ersten Mal wurde Mizu richtig bewusst, wie sehr sie Erenya und ihre etwas kindlichen Neigungen vermissen würde, wenn sie nicht mehr hier war. Sie konnte ihr dann nicht mehr das Kochen beibringen, oder ihr das winterliche Kyoto zeigen.

'Sie gehört hier aber nicht her...', ermahnte sich Mizu in Gedanken und seufzte leise.

Durch die Roshigumi hatte sie immerhin von Erenyas Geschichte erfahren, die zum Teil auch die von Yuki war. Der Engel mit dem weißen Haar hatte ihr zusätzlich erklärt, dass das Püppchen nur dort leben konnte, wo jegliche menschlichen und himmlischen Einflüsse nicht hinreichten. Erst dann würde Erenya nie wieder zu einer Puppe werden.

'Ich muss sie finden!'

Wie von selbst fand Mizus Hand ihren Weg zum Griff ihres Katanas, dass in seiner Schwertscheide ruhte. Sie hoffte eigentlich, dass diese Waffe nicht zum Einsatz kommen würde, doch um Erenya Freiheit und ihre Zukunft, würde sie kämpfen.

„Blut!“

Mizu zuckte zusammen, als ein Geheul aus der Nacht sie aus ihren Gedanken riss.

Suchend schweifte ihr Blick durch die Gegend, bis sie schließlich bei einem Hausdach inne hielt, auf dem eine Gestalt hockte, die sie mit ihren blutroten Augen fixierte.

„Blut...“

Erneut ertönte das Geheul, doch anders als beim ersten mal, glich es nun einem bedrohlichen brummen.

'Was ist das für ein Ding?'

Mit ihrer Hand auf dem Schwertgriff, wich Mizu langsam zurück. Sie befürchtete, dass es nur eine hektische Bewegung brauchte, damit dieses Ding sie angriff. Doch sollte es angreifen, konnte sie ihr Schwert ziehen und würde ihm den Rest geben.
 

Mizu wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, in der das Wesen sie unbeirrt angestarrt und beobachtet hatte, wie sie sich Schritt für Schritt von ihm entfernte.

'Ganz ruhig bleiben...', ermahnte sich Mizu immer wieder, auch wenn das knurren des Wesens vor ihr, ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagte.

Unablässig sah Mizu das Wesen an, dass sich plötzlich erhob und mit schier unmenschlicher Kraft vom Dach sprang. Blitzschnell war es verschwunden, wodurch Mizu es vollkommen aus den Augen verloren hatte.

Erst als sie einen warmen Luftzug, gefolgt von einer nassen Flüssigkeit an ihrem Nacken spürte, wusste sie, wo dieses Ding war.

So schnell sie konnte, wandte sich das Samuraimädchen um und zog inmitten dieser Bewegung ihr Schwert, so dass sie dem Ding hinter sich, den Bauch aufschlitzte.

Nur durch diesen Schlag wurde das Wesen zurückgeschleudert, kam aber schon nach wenigen Sekunden wieder auf die Beine.

Zum ersten Mal in dieser Nacht erkannte Mizu das weiße Haar, dass diesen Mann schmückte, der einst ein Mensch gewesen war.

'Saiki?'

Nur zu gut wusste das Mädchen, wer hier vor ihr stand. Immerhin hatte sie ihn oft genug in der Roshigumi gesehen. Doch er sah so verändert aus, dass sie es nicht glauben konnte. Irgend etwas seltsames musste ihm widerfahren sein.
 

Lachend griff sich Saiki an die tiefe Wunde, die ihm Mizu bereitet hatte und sah auf das Blut an seiner Hand. Er spürte keinen Schmerz, außer ein leichtes Kribbeln, als sich die Verletzung, unbemerkt von Mizu, schloss und einen unbändigen Hunger, den es vor Sonnenaufgang zu stillen galt. Und vor ihm stand auch schon die erste große Blutkonserve. Noch dazu roch dieser Mensch so verführerisch anders, als er es in Erinnerung hatte.

Ohne darüber nachzudenken, dass dieser Mensch ein Schwert bei sich hatte, und es ihn erneut verletzen konnte, lief Saiki auf das Mädchen zu und setzte zum Sprung an, durch den es seine Beute zu Boden ringen wollte.

Doch sein Angriff ging ins Leere, denn das Mädchen war ausgewichen, so dass er seinen Sprung nur abfedern konnte, indem er auf allen Vieren landete.

Knurrend wandte sich Saiki zu dem Mädchen, dass ihn ernst fixierte und sich bereit zum Kampf machte. Doch es würde ein aussichtsloser Kampf für sie werden, denn sie hatte durch das ganze Blut nicht bemerkt, wie sich seine Verletzung verschlossen hatte. Und das würde auch mit jedem Kratzer passieren, egal wie tief er war. Im Gegensatz zu ihr, war er schließlich unverwundbar.
 

Mizu spürte, wie ihre natürliche Angst in ihr hoch kroch. Sie sagte ihr, dass sie fliehen musste, doch gleichzeitig, erklärte ihr der Verstand, dass sie ihm nicht den Rücken zuwenden sollte. Dieser Saiki, der hier vor ihr stand, war nicht mehr die jämmerliche Gestalt eines Kriegers, den sie bei der Roshigumi getroffen hatte. Er war schneller und auch viel wilder.

'Was ist nur mit ihm passiert?'

Fester umklammerte Mizu ihr Schwert und begann mit der Klinge kleine, unscheinbare Kreise zu zeichnen. Sie hatte diese Technik irgendwann bei der Roshigumi aufgeschnappt und war nun der Meinung, dass es der beste Zeitpunkt war um sie gegen Saiki einzusetzen.

'Dann mal los!'

Entschlossen dazu ihren Gegner auszuschalten, stieß sich Mizu vom Boden ab und lief auf das unbewaffnete Wesen zu, dass nicht einmal vor hatte in eine Verteidigungsposition zu wechseln. Im Gegenteil. Wie Mizu, setzte es sich nun auf allen Vieren in Bewegung und lief wie ein wildes Tier auf seine anvisierte Beute zu.

'Perfekt!', dachte sich das Samuraimädchen und holte mit dem Schwert aus.

Saiki hingegen machte immer noch keine Anstalten auszuweichen. Geblendet von seinem Hunger merkte er nicht einmal, dass Mizu bereit war ihm den Kopf von den Schultern zu schlagen.

„Papa“

Wie der Schuss aus einer westlichen Waffe, erschallte die Stimme eines kleinen Kindes in Mizus Gedanken. Ihr war die Stimme nur nur zu gut vertraut, denn sie war der Grund, warum sie trotz ihrer Kampfbegabung von dem Weg eines Samurais abgewichen war.

Schließlich war sie es gewesen, die auf ihrer Reise nach Kyoto einem Kind seinen Vater genommen hatte. Nie wieder wollte sie eine Familie zerstören, nur um selbst zu überleben.

'Was wenn Saiki Frau und Kind hat?`'

Von diesem Gedanken erfasst, hielt Mizu in ihrer Bewegung inne und wurde von Saiki zu Boden gerissen.
 

Warm und feucht schlug Saikis Atem gegen Mizus Hals, als sich dieser auf sie hockte und den Geruch ihres Blutes einzog. Schon der Gedanken daran, seine Zähne gleich in diesen weichen, zierlichen Hals zu rammen und dann die rote Köstlichkeit zu ernten, ließ ihm das Wasser im Munde zusammen laufen.

Mizu hingegen fühlte sich machtlos gegenüber ihm. Sie wollte nicht sterben, doch gleichzeitig wollte sie ihn auch nicht umbringen, denn sie wusste ja nicht, ob er Frau und Kind hatte. Niemals würde sie es sich verzeihen, wenn sie erneut eine Familie entzweite.

'Was soll ich tun?'

Angewidert von dem ekelhaften Geruch, der ihr durch Saikis Atem ins Gesicht schlug, hob Mizu ihre linke Hand und versuchte den Mann von sich zu drücken. Doch er war viel zu stark und hatte sich mit seinem gesamten Gewicht auf ihren Körper verlagert.

'Es ist aus... gegen ihn kann ich nicht gewinnen.'

Obwohl Mizu wegen Erenya wieder zum Schwert gegriffen hatte, bereute sie es nun, denn sicher wäre das alles nie passiert, wenn sie den Engel damals nicht gefunden hätte. Sie hätte dann niemals bei der Roshigumi nach Arbeit gesucht und Souji kennengelernt. Niemals hätte sie sich wieder mit Chia getroffen und vor allem wäre sie nie in diese Lage gekommen.

'War das vielleicht mein Fehler?', fragte sich Mizu, als sich Saikis spitzen Zähne in ihren Hals bohrten.

Nur einen kurzen Moment spürte sie den stechenden Schmerz, der aber genauso schnell verflog wie ihre Zweifel.

'Nein... Ohne Erenya hätte ich doch niemals Souji kennengelernt. Sie hat mein Leben ein letztes Mal schöner gemacht.'

Fast schon so, als hätte sie mit ihrem Leben abgeschlossen, schloss Mizu ihre Augen und fokussierte ihre Gedanken auf Souji, der sie verspielt anlächelte.

„Solltest du nicht wegen mir zum Schwert greifen, hoffe ich doch, dass du überlebst. Es würde mir immerhin viel bedeuten, wenn du durch meine Hand stirbst.“

Wie vom Blitz getroffen, riss Mizu die Augen auf, als sie sich an Soujis Worte erinnerte, die ihr im Herzen soviel bedeuteten. Sie durfte nicht aufgeben. Ihr Leben gehörte schließlich Souji.

Obwohl Mizu spürte, wie ihre Kraft sie mit jedem weiten Tropfen Blut verließ, umgriff sie ihr Schwert, das sie immer noch in ihrer rechten Hand hielt, fester und machte sich bereit den Ballast von ihrem Körper abzuschütteln.

'Für Souji!'

Mit dem größten Schwung den sie aufbringen konnte, holte das Mädchen mit dem Knie aus und versenkte es in die empfindlichste Stelle, die sie bei einem Mann kannte. Überrascht und von einem starken Schmerz erfüllt, ließ Saiki von Mizu ab und bäumte sich auf, um sich so von ihrem Knie zu entfernen.

Diese Chance nutzte Mizu und holte mit ihrem Schwert aus, dessen Klinge tief in die Seite von Saikis Leib rammte.

Von der Wucht des Angriffes gepackt und noch geschwächt von dem Schmerz, wurde der Rônin von dem Mädchen in die Wand eines nahegelegenen Lagers geschleudert.

Ohne zu zögern stand Mizu auf und lief los, so schnell sie konnte. Noch einmal wollte sie keinen Kampf gegen diesen Mann riskieren, denn eine zweite Chance für ihre Flucht würde es mit Sicherheit nicht geben.

Sie drehte sich nicht einmal mehr um, sondern lief einfach weiter, bis sie die sichere Hauptstraße mit ihren hellen Lichtern erreicht hatte.

Sie lebte und selbst wenn sie diesen Kampf nicht gewonnen oder zu Ende gebracht hatte, war sie erleichtert, denn ihr Leben gehörte dem Schwert der Roshigumi.
 

Schwach streiften Erenyas Blicke in dem dunklen Raum umher, in dem sie bereits seit einigen Tagen gefangen war. Sie fragte sich, ob es Mizu gut ging, denn das letzte was sie von ihr gesehen hatte, war wie sie zu Boden gegangen war.

„Es ist so dunkel...“, wisperte Erenya und sah sich weiter im Raum um.

Nirgends war auch nur ein Lichtspalt zu sehen. Sie wusste nicht einmal, ob es Tag oder Nacht war. Ihr Zeitgefühl hatte sich dadurch vollkommen verabschiedet und konnte ihr nicht mehr weiterhelfen. Nur dieser unerträgliche Hunger verriet ihr, dass sie schon einige Tage in ihrem Gefängnis verbracht hatte.

'Was haben sie nur mit mir vor?'

Erenya konnte sich nicht vorstellen, warum sie hier war, nachdem man sie entführt hatte. Zumal sie nicht glaubte, dass dieser düstere Mann sie zurück in ihre eigentliche Heimat bringen wollte. Er plante irgendwas anderes und es behagte ihr gar nicht, dass sie nicht wusste, was er wollte.

'Ich muss hier weg... Mizu und Harada-kun machen sich sicher schon Sorgen um mich.'

Müde und schwach klammerte sich Erenya an der Wand hinter sich und erhob sich vom staubigen Boden.

„Du bist also endlich wach und versuchst schon zu fliehen? Das ist aber nicht nett. Euch Geflügel scheint man nicht einmal einfache Höflichkeitsfloskeln beizubringen.“

Erschrocken sah Erenya auf und versuchte auszumachen, woher diese Stimme kam. Doch außer einem paar gelb funkelnder Augen, dass langsam auf sie zukam, konnte sie nichts sehen.

„Keine Sorge, wenn du brav sagst, was ich hören will, werde ich dir nichts tun. Doch bevor du das kannst...“

Grob packten Erenya zwei Hände, die sie an den starken Körper ihres Entführers drückte, der deutlich machte, dass er sie nun nicht mehr loslassen würde. Gewaltsam zwang er das Engelchen dazu ihren Kopf zu heben, wodurch sie wie von selbst die bittere Flüssigkeit schluckte, die ihr eingeflößt wurde.

Erst als sie jeden Tropfen geschluckt hatte, ließ er sie los, wissend, dass sie nicht mehr fliehen würde, wenn das Mittel erst einmal wirkte. Und das war nur eine Frage von Sekunden.

„Und nun sage mir, Püppchen, was du siehst!“

Stille kehrte ein, und das Mädchen stand einfach nur da und starrte stumm in die Dunkelheit.

„Sag schon! Was siehst du?!“

Erzürnt darüber, dass sie ihm nicht sofort antwortete, sprach er erneut auf sie ein. Er wollte wissen, was seine Zukunft brachte, oder was seine Gegner gerade planten.

„Diese Welt... so viele Blumen... sie welken....“, wisperte das Puppenmädchen, dass dieses Blumenmeer nur zu deutlich vor sich sah.

„Eine einzige Blume bleibt... stark, mutig... mit erhobenen Haupt... Das prachtvollste Wesen dieser Welt...“

Nur zu deutlich sah Daren, wie eine Träne über Erenyas Wange glitt. Er wusste, wie er ihre Worte und diese eine Träne deuten musste. Diese Welt, gehörte ihm und er würde der mächtigste aller Onis werden, denn er würde über sie alle siegen.

Spuren eines Fadens

Yuki hatte jegliches Zeitgefühl dafür verloren, wie lange sie nun schon nach dem verschwundenen Püppchen suchten. Sie war erneut wie vom Erdboden verschluckt, doch dieses Mal war ein Oni der Grund dafür. Er wollte nicht, dass man sie fand, weswegen er jegliche Spuren gut verwischt hatte.

Und nun stand sie hier, inmitten einer begeisterten Meute von Männern, neben Koji, der wie die anderen um sich herum die Sumoringer anfeuerte.

„WOAH! Hast du das gesehen, Yuki?“

Verwundert sah der Schneeengel zu dem Gefallenen auf, dessen Gesicht von einem begeisterten Lächeln geziert wurde. Es erinnerte sie an damals, wo sie noch kleine Putten waren, deren einzige Aufgaben darin bestanden hatte niedlich zu sein und Träume zu haben. Schon damals hatte sich Koji leicht für solche Art der Unterhaltung begeistern können. Und immer dann, wenn er so einen Kampf sehen konnte, hatte er dieses Lächeln auf dem Gesicht, dass sie so sehr an ihm mochte.

Doch war es heute richtig, hier zu sein und den Kampfkolossen zuzusehen? Hatten sie dafür wirklich Zeit?

Ernst sah Yuki nach vorne, wo wieder ein Sumo die Matte begrüßte.

„Keine Sorge. Ab und zu eine Pause zu machen, sollte uns nun, wo wir keine Reinen mehr sind, erlaubt sein. Außerdem... Der Oni wird Erenya kein Haar krümmen. Da bin ich mir sicher. Wir werden sie finden, also genieße diesen einen, freien Tag etwas.“

Nachdenklich beobachtete Yuki, wie der eine Sumo seinen Kampf beendete, indem er scheinbar mit Leichtigkeit seinen Gegner aus dem Ring beförderte.

„Warum... muss ich mir dann so etwas an meinen freien Tag ansehen?“, fragte Yuki schließlich und sah wieder zu Koji, auf dessen Wangen sich ein roter Schimmer niederlegte.

„Aus zwei Gründen. Wobei nein, eigentlich sind es mehr. Zum einen will ich bei dir bleiben und dich beschützen, zum anderen will ich dieses Event sehen und...“

Koji hielt kurz inne und sah zu Yuki, die fast schon abwartend und zweifelnd eine Augenbraue hob, herb.

„Ich wollte, dass du heute die schönste Frau in meiner Gegenwart bist.“

Einen kurzen Moment konnte Yuki nicht glauben, was sie da von Koji hörte, doch sie fing sich schnell wieder, schließlich war das nur typisch für ihn, weswegen sie lauthals loslachte.

„Gut, dass du erst eine reine Männergesellschaft brauchst, um zu erkennen, dass ich auch eine attraktive Frau sein kann.“

Tief getroffen von Yukis Worten, griff sich Koji an die Brust, als hätte sie ihm eben einen Pfeil durchs Herz geschossen. Denn sie hatte sein Kompliment ganz anders verstanden, als es gemeint war. Gleichzeitig erkannte er aber auch, dass seine Wortwahl wohl alles andere als charmant gewesen war. Zumindest wenn man das ganze von ihrer aktuellen Lage betrachtete.

„Schon okay, Koji. Ich denke, ich weiß wie du das meintest.“

Es war Koji ein Rätsel, wie Yuki trotz seiner misslungenen Anmache ihn verstanden hatte, doch es beruhigte ihn zu sehen, dass sie lächelte.

„Ja, sie soll dort hinten bei einem ganz seltsamen Mann stehen. Da fragt man sich doch, ob er der Grund ist, warum sie in Lhikans Laden aufgehört hat.“

Verwundert, weil sie den Namen des Händlers gehört hatte, sah Yuki auf und blickte zu einer Gruppe Männer, die sich gerade angeregt unterhielten.

Durch Mizu, mit der sie nun engen Kontakt hielt, hatte sie erfahren, dass Erenya in der ganzen Zeit bei einem Händler namens Lhikan gearbeitet hatte, um ihre Lebenskosten zu decken.

„Der Typ ist unheimlich... Sein Name soll Daren sein und ich habe gehört, dass er alleine 10 Rônin besiegt hat, ohne auch nur sein Schwert zu ziehen.“

Kaum dass Yuki Darens Namen vernommen hatte, tippte sie einem der Männer vor sich auf die Schulter. Irgendwo hier war dieser Oni also und an seiner Seite war wohl Erenya, wenn sie es richtig verstanden hatte. Sie musste also schnell handeln, damit ihr das Püppchen nicht erneut durch die Finger ging.

„Entschuldigung, wo haben sie das Mädchen gesehen?!“

Ein wenig verwundert und genervt, dass jemand ihr Gespräch belauscht hatte, sahen die Männer zu Yuki und verwiesen schließlich auf die andere Seite des Kampfgeschehens, wo hinter der Menge ein Kirschbaum stand.

Sofort und ohne über irgendwelche Konsequenzen nachzudenken, drängelte sich Yuki aus der Menge und lief zu der gezeigten Stelle.

Doch dort war niemand mehr zu sehen. Suchend sah sich Yuki um, aber außer einer schneeweißen Feder am Boden, konnte sie nichts mehr von dem Mädchen sehen.
 

Drei Tage waren nun vergangen, seit Mizu von dem weißhaarigen Saiki angegriffen worden war und beinahe ihr Leben verloren hätte.

Seufzend sah die Samuraitochter auf den Berg mit Verbandszeug, der auf Lhikans Tresen lag und darauf wartete, von ihr bezahlt zu werden.

„Irgendwie hätte ich es mir ja denken können, dass du dich verletzt, sobald du wieder zum Schwert greifst. Was ist dieses Mal passiert?“, fragte Lhikan, der aus dem Lager kam und noch eine Salbe zum Verbandszeug legte.

Gedankenversunken zog Mizu ihren Geldbeutel unter dem Haori hervor und zählt noch verbliebenes Geld. Zwei Tage hatte sie immerhin im Bett, aufgrund des Blutverlustes, verbracht. Nicht einmal Lhikan hätte sie in den zwei Tagen aus ihrem Schlaf wecken können.

„Ein Krieger der Roshigumi hat mich angegriffen“, begann Mizu und sah zu Lhikan, der nur leise verächtlich aufschnaubte.

„Die schon wieder... Langsam habe ich genug von ihnen. Und keine Sumo-Schaukämpfe können meine Stimmung da noch heben.“

Da Mizu die letzten zwei Tage verschlafen hatte, wusste sie nicht von dem neusten „Skandal“, den sich Serizawa im Namen der Roshigumi geleistet hatte. Sonst hätte sie verstanden, was den Händler so verstimmte, wenn er auch nur den Namen der Mibu-Wölfe hörte.

„Wie dem auch sei... Etwas stimmt bei der Roshigumi nicht. Ich kannte diesen Krieger, aber als ich ihn vor mir sah, war er ganz anders. Sein Aussehen, sein Verhalten... das alles hatte etwas dämonisches an sich.“

Mizu versuchte sich daran zu erinnern, was sie bei dieser Begegnung von Saiki gedacht hatte, doch die passenden Worte waren ihr entfallen.

Schweigend lauschte Lhikan den Erläuterungen des Mädchens, dass ihm den Gegner von dem Abend recht detailliert beschrieb.

„Erenya hatte von diesem Wesen gesprochen. Rote Augen, weißes Haar. Ich kann mich genau daran erinnern.“

Ernst sah der Händler seine Freundin an, die immer noch dabei war ihr Geld zu zählen, damit sie ihre Ware bezahlen konnte.

„Meinst du sie hat das geahnt?“, fragte die Kriegerin schließlich und legte Lhikan eine handvoll Münzen auf den Tresen.

„Ich denke vielmehr, dass sie es gesehen hat. Wir dürfen nicht vergessen, dass Erenya kein Mensch ist. Wer weiß also schon, was für Fähigkeiten sie besitzt. Schließlich war auch sie es, die einige Rônin ausgeschaltet hat, ohne auch nur einen Kratzer zu bekommen.“

Noch während Lhikan sprach, zählte er das Geld, dass Mizu ihm hingelegt hatte und schob die Hälfte wieder zu ihr zurück. Er konnte ihr einfach nicht die volle Summe berechnen, dafür hatte er diesen Laden nicht eröffnet.

„Was wenn sie es wieder tut? Wenn sie wieder Amok läuft?“

Mit einem deprimierten Gesichtsausdruck packte Mizu ihr Verbandszeug in eine Tüte. Sie wollte sich eigentlich gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn Erenya wieder zu einer Puppe wurde, die überleben wollte.

„Du kannst dich darauf verlassen, dass Erenyas Entführer das wohl nicht zulassen wird, Mizu-chan.“

Erschrocken sah Mizu zur Eingangstür, als sie die ihr so vertraute und geliebte Stimme hörte. Er war momentan eigentlich der letzte Mensch, den sie in ihrer körperlichen Verfassung sehen wollte.

„Souji!“

Noch immer geschockt wegen seinem plötzlichen Erscheinen, drückte Mizu ihre Einkaufstüte an sich und flehte innerlich, dass er dort blieb wo er gerade stand. Sie wollte nicht, dass er den Verband an ihrem Hals sah oder die männliche Tracht bemerkte, die sie trug.

„Seit wann so vertraut, Mizu-chan? Erzähl mir lieber genauer, wer dich angegriffen hat.“

Langsam setzte sich Souji in Bewegung und ging näher auf das Mädchen zu, das immer noch flehte, dass er es nicht merkte. Doch die Tatsache, dass er wohl alles mit angehört hatte, sagte ihr, dass es vergebens war.

„Komm nicht näher!“

Schritt für Schritt, den Souji näher kam, wich Mizu zurück. Souji sollte nicht sehen, dass sie versagt hatte. Diese Schmach, nach all ihren Gesprächen, konnte sie einfach nicht ertragen.

„Die Roshigumi hat in meinem Laden nichts mehr zu suchen. Geh und lass meine Kunden in Frieden!“

So schnell er konnte, war Lhikan hinter seinem Tresen hervor geeilt und hatte sich zwischen Mizu und Souji gestellt um seine Freundin zu berühren.
 

Souji gefiel es gar nicht, dass der Händler sich nun in diese Angelegenheit einmischte. Er stand ihm gerade im wahrsten Sinne des Wortes im Weg. Und Männer, die ihm im Weg standen, mussten beseitigt werden, weswegen seine Hand wie von selbst ihren Weg zu seinem Schwertgriff fand.

„Du solltest zur Seite gehen. Das hier geht nur Mizu-chan und mich etwas an.“

Obwohl Lhikan merkte, dass es der Samurai ernst meinte, wich er keinen Zentimeter zurück. Wenn dieser Mann sinnlos Blut vergießen und damit den Ruf der Mibu-Wölfe schädigen wollte, dann sollte er es tun.

„Hört auf! Das ist nicht die richtige Zeit um sich zu streiten!“

Mit sanfter Gewalt schob Mizu den Händler zur Seite und offenbarte sich Souji, der nun auch ihre Verbände am Hals sehen konnte. Auch wenn sie nicht wollte, dass Souji es sah, konnte sie Lhikans Leben dafür nicht opfern.

Nur zu deutlich konnte sie sehen, wie seine Augen sich verengten, als er ihren sonst so unbefleckten Hals erblickte.

„Wer war das?“

Erneut stellte Souji die Frage, die Mizu bis dahin noch nicht beantwortet hatte.

„Saiki war es. Auch wenn seine Haare weiß und seine Augen rot waren... Ich bin mir ganz sicher, dass er es war.“

Leicht zuckte Mizu zusammen, als sie spürte, wie Souji sie vorsichtig an Hals berührte.

„Saiki also... Um ihn musst du dir keine Gedanken machen. Aber es ist wirklich erstaunlich.“

Betreten wich Mizu den Blicken Soujis aus. Sie ertrug es einfach nicht, dass er nun wusste, dass sie im Kampf gegen Saiki unterlegen gewesen war.

„Es ist erstaunlich, dass du überlebt hast.“

Verwundert sah Mizu wieder zu Souji auf. Sie war sich sicher, dass sie ganz deutlich gehört hatte, wie überrascht er war. Gleichzeitig spiegelte sich ein kleiner Funken von Respekt in seinen Worten wider. Sie fragte sich aber warum, denn immerhin war sie davon gelaufen um ihr Leben zu retten und hatte damit den Weg eines ehrvollen Kriegers verlassen.

„Sollte dir noch einmal so etwas passieren, dann merke dir folgendes. Das Herz ist selbst für solche Wesen eine Schwachstelle.“

Wie hypnotisiert sah Mizu Souji in die Augen und lauschte seinen Worten. Auch wenn sie nicht wusste, was er meinte, glaubte sie, dass er ihr helfen wollte, den vielleicht nächsten Kampf zu gewinnen, selbst wenn Saiki keine Gefahr mehr war.

„Pass gut auf dich auf, Mizu-chan. Dein Leben gehört schließlich meiner Klinge.“
 

Obwohl Yuki noch immer aufgebracht war, weil sie Erenya nicht gefunden hatte, arbeitete sie im Rotlichtviertel zum Schutz für die Maikos und Geikos. Es war ihre einzige Möglichkeit mit ihrem Können Geld zu verdienen, denn sie wusste nicht, wie lange sie noch in Kyoto verbleiben würde.

'Immerhin kann ich den Mädchen hier helfen, in dem ich sie schütze', dachte Yuki und lief in die Richtung eines Zimmer, wo einer der zwei leitenden Kräfte der Roshigumi gastierte.

Man hatte ihr gesagt, dass sie in regelmäßigen Abständen nach dem rechten sehen sollte, denn der Gast war bekannt dafür seinen Zorn nicht in Zaum halten zu können.

Und schnell verstand sie auch, dass dies nicht nur einfache Gerüchte waren. Denn sie war noch nicht einmal ansatzweise in der Nähe der Räumlichkeiten, als sie die Aufregung, die von anderen Gästen kam, spürte.

'Nur noch um die Ecke...'

Bereit im Notfall ihr Schwert greifen zu müssen, legte Yuki ihre Hand auf dem Schwertgriff und ging um die Ecke, wo sie auch schon ein paar verstimmte Männer sah.

„Was soll diese Unruhe?“

Als Yuki die Männer sah, blieb sie stehen und beobachte erst einmal die Szene, um die Situation besser einschätzen zu können.

„Hey! Ist das nicht Serizawa von den Mibu-Wölfen?“

Nun doch alarmiert legte Yuki ihre Hand auf den Schwertgriff. Sobald die Roshigumi bei anderen Samurai ins Spiel kam, dass wusste sie, wurde die Sache unangenehm.

„Und was wäre, wenn ich es bin? Denkt ihr, dass ihr mich töten könntet? Ich würde gerne sehen, wie ihr das versucht.“

Ein kalter Schauer lief Yuki über den Rücken, als die Stimme des Oberhauptes ertönte. Es war aber nicht Serizawas Stimme, die Yuki diesen Schauer beschwerte. Sie fühlte etwas dämonisches. Etwas, dass sie schon oft genug gespürt hatte, weswegen sie wusste, was es war.

„Ihr seid keine Herausforderung für ihn.“

Kalt, arrogant und vollkommen ruhig ertönte die Stimme eines Mannes, dessen blondes Haupt nur zu deutlich hervorstach und die Aufmerksamkeit seines Engels auf sich lenkte.

Wie paralysiert blieb Yuki stehen wo sie war und starrte auf den blonden Mann, der in kürzester Zeit die Lage mit seinem bloßen Erscheinen beruhigt hatte.

Sie nahm nicht einmal mehr wahr, dass die anderen Männer von einem Angestellten zu einem anderen Raum geleitet wurden.

„Du leidest an einer Krankheit, nicht wahr? Ein Großteil deines Körpers ist bereits nutzlos. Es ist ein Wunder, dass du noch stehen kannst.“

Obwohl es wohl das erste Mal war, dass der Blonde Serizawa gesehen hatte, wusste dieser sofort um seinen gesundheitlichen Zustand Bescheid. Er versetzte sogar das Oberhaupt der Roshigumi in Erstaunen.

„Ich habe jemanden gesehen, der von derselben Krankheit befallen war. Er war unfähig sich zu erinnern wer er war, oder wer die anderen um ihn herum waren. Er tolerierte die Schmerzen und starb. Nicht mehr lange und dich sollte dasselbe Schicksal ereilen.“

Langsam liefen Serizawa und der Fremde aneinander vorbei, obwohl sie sich noch inmitten des Gespräches befanden.

„Ich bin mir sehr bewusst, dass ich mich unter Schmerzen winden werden wenn ich sterbe. Eigentlich ist es das, was ich will.“

Ruhig und so, als hätte er vor dem Tod keine Angst haben, antwortete Serizawa auf die Bemerkung des Blonden, auf dessen Gesicht sich ein süffisantes Lächeln zeigte.

„Du bist wirklich interessant für einen niederen Menschen.“
 

Ernst fixierte Yuki den Blonden, als er sich ihr mit jedem Schritt näherte. Auch sein Blick haftete auf dem Mädchen. Denn er wusste genau, wer sie wirklich war.

Schweigend blieb der Mann vor Yuki stehen und beobachtete jede ihrer kampfbereiten Bewegungen. Er wusste, dass sie ihn erkannt hatte und was sie tun würde, wenn er ihr auch nur einen falschen Wink gab.

„Unnötig“, murrte er und fixierte den Engel weiterhin.

„Unnötig?“, fragte Yuki, indem sie seine Worte wiederholte.

Ruhig und gelassen hob der Blonde seine Hand und zeigte auf ihre Schwert, auf dessen Griff immer noch ihre Hand ruhte. Yuki verstand sofort was er sagen wollte und löste sich von ihrer Waffe.

„In letzter Zeit sieht man viele von deinem Schlag hier in Kyoto. Suchst du auch im Auftrag deines Herren nach dem entführten Engel?“

Ohne seine Mimik zu ändern, sah der Blonde den Schneeengel weiterhin an. Eigentlich ahnte er schon, dass dieses Mädchen nicht zu den hirnlosen Erzengeln gehörte, die jetzt schon mit ihm einen Kampf gesucht hätten.

„Ich suche zwar auch nach Erenya, aber nicht aus denselben Gründen wie die anderen. Ich wüsste aber nicht, was es dich angeht was ich suche und was nicht, Oni.“

Auch wenn Yuki ahnte, dass die Onis nicht alle schlecht waren, konnte sie nichts gegen ihr gewohntes Verhalten gegenüber diesen tun. Viel zu lange hatte sie diese wie minderwertigen Abschaum behandeln müssen, um nicht mit den schwarzen Flügeln gezeichnet zu werden.

„Gefallen und doch noch so arrogant. Ihr könnt einfach nicht aus eurer Haut gegenüber meines Gleichen. Dabei hätte ich dir gesagt, wo der gesuchte Engel ist.“

Da Yuki nicht viel von dem Oni zu erwarten hatte, war sie schon an ihm vorbeigegangen, doch sie hielt inne, als sie seine Worte hörte, die nur eines bedeuten konnten.

„Wo ist sie?“, fragte sie schließlich und bis sich leicht auf ihre Unterlippe.

Auf einmal war er wohl doch interessanter als Yuki es gedacht hatte. Er konnte nun über Leben und Tod entscheiden.

„Du findest sie in einer Hütte außerhalb Kyotos. In einem kleinen Wald neben einem Kirschbaum. Allerdings ist sie nicht alleine. Sie wird von einem Oni bewacht.“

Überrascht von dieser Information und der Tatsache, dass sie es von einem anderen Oni erfahren hatte, wandte sich Yuki wieder dahin, wo der Blonde stehen sollte. Doch so, als wäre er nie wirklich da gewesen, sah sie keine Spur von ihm. Sie spürte seine Anwesenheit aber noch immer so deutlich, als würde er neben ihr stehen.
 

Aufmerksam glitt Harada Sanosukes Blick über die fast leeren Straßen Kyotos. Noch immer hatte er nicht den Hauch einer Spur von Erenya gefunden, so dass er auch seine Patrouillen nutzte, um an Informationen zu kommen.

Doch leider war der späte Abend nicht die passendste Zeit um suspekte Personen zu belauschen. Noch dazu war er auch bei seinen Männern, die er nicht im Stich lassen wollte, wenn es wirklich hart auf hart kam.

„Du scheinst nicht ganz bei der Sache zu sein, Harada.“

Ertappt und ein wenig erschrocken sah Harada neben sich, wo er Yamazaki sah, der ihn mit seinem amethystfarbenen Augen fixierte. Er hatte nicht bemerkt, wie der Akkupunkteurssohn sich ihm und seiner Gruppe angeschlossen hatte.

„Scheint so. Ich mach mir wohl einfach zu viele Sorgen um Erenya. Besonders jetzt, wo wir von Yuki-chan die Wahrheit über sie erfahren haben. Der Mann der sie entführt hat, will ihr sicher nicht die Freiheit schenken.“

Ein leises Seufzen drang über Haradas Lippen, als er Yamazaki versuchte zu erklären, was ihn so sehr von seiner Pflicht ablenkte. Gleichzeitig erinnert er sich dadurch an Erenya, wie sie ihn emotionslos angesehen und wie eine Puppe, vollkommen leblos vor ihm gestanden hatte. Nie wieder wollte er sie so sehen. Vor allem dann nicht, wenn er wusste, dass es jemanden gab, der sie mit ihrer Gabe quälte.

„Wir werden sie finden. Solange sie noch hier in Kyoto ist, werden wir sie finden und retten.“

Ein leichtes Lächeln huschte über Haradas Lippen, als sein Kollege versuchte ihn aufzumuntern. Ihre einzige Hoffnung war, dass Erenya und ihr Entführer wirklich noch in Kyoto waren und sich bald in irgendeiner Weise der Öffentlichkeit offenbarte.
 

Ruhig war Haradas Patrouille vergangen und zusammen mit seinen Männern war der Samurai auf dem Weg zurück in ihrem Hauptquartier.

Sie waren vielleicht nur noch wenige Meter von dem Ort entfernt, den sie ihr derzeitiges zu Hause nannten und er freute sich schon darauf wieder ins warme zu kommen, wo er seine durchgefrorenen Glieder mit einem Becher Tee aufwärmen konnte.

„Harada!“

Verwundert sah Harada aus, als er spürte, wie Yamazaki mit einer nur zu einfach verständlichen Handbewegung zurück hielt. Und schnell verstand er auch, warum sein Gefährte wollte, dass er inne hielt.

Da stand sie nur, nur spärlich beleuchtet vom Licht der Sterne. Ihr Blick war undeutbar zum Tor des Hauptquartiers gewandt und doch hätte Harada schwören können, dass er ihre Traurigkeit nur zu deutlich sehen konnte.

„Erenya...“

Wie von selbst kam ihm der Name über die Lippen, als glaubte er unbewusst, dass sie es wirklich war. Sie musste es einfach sein, denn sein Herz klopfte genauso schnell wie in ihrer Gegenwart. Das musste das Mädchen sein, für das allein sein Herz so schnell schlug.

„Erenya!“

Erneut sprach er ihren Namen aus, dieses Mal aber lauter, so dass ihn auch das Mädchen hörte und sich zu beiden Männern umwandte.

'Sie ist es!'

Wie ein Blitz durchzog Harada dieser Gedanke, weswegen er nicht länger still stehen konnte und auf das Mädchen zuging, dass irritiert zurückwich.

„Eri-chan, bitte. Hab keine Angst vor mir. Ich bin es doch.“

Sanft lächelte der Krieger das Mädchen an, dass ihn so emotionslos ansah, wie sie es bei ihrer ersten Begegnung getan hatte. Und doch war ihre Körpersprache ganz anders als damals.

Er wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Sie war nicht mehr seine lebende Erenya, sondern die Puppe, die ihm gefährlich sein konnte.

„Wer sind sie?“

Monoton kamen ihr die Worte über die so vertrauten Lippen und versetzten Harada einen schmerzhaften Stich. Sie erkannte ihn nicht. Wieder einmal.

„Was hat er mit dir gemacht? Ich bin es, Harada Sanosuke von der Roshigumi.“

Ernst fixierte Harada das Mädchen, in dessen Augen er einen kleinen Funken von Vertrautheit aufkeimen sah. Er hoffte, dass sie sich nun an ihn erinnerte, oder sein Name wenigstens etwas in ihr auslöste.

„Ein Glück! Hier bist du!“

So schnell sie konnte, lief Akazumi zu dem Mädchen, dass sie bereits seit Stunden suchte. Heute hatte Daren ihr wieder einmal erlaubt, die Sonne zu genießen und das Ninjamädchen war ihr als Geleitschutz an die Seite gestellt wurden. Doch irgendwie hatte sie das Mädchen im Menschengetümmel verloren. Zum Glück hatte ihr Weg sie aber irgendwie zu den Toren der Roshigumi geführt, wo Erenya stand und Harada angesprochen wurde.

Sie darf sich nicht daran erinnern, was zuvor geschehen ist. Sonst verliert der Sehersaft seine Wirkung.“

Nun doch alarmiert, weil das Mädchen vor ihrer großen Liebe stand und Daren sie vor so etwas gewarnt hatte, lief Akazumi schneller zu ihr und legte sanft einen Arm um sie.

„Komm. Schnell weg von hier. Nicht das die Mibu-Wölfe dir noch ein Leid zufügen.“
 

Ungläubig sah Harada mit an, wie die Fremde seine Erenya von ihm wegzerrte. Fast schon aus einem verzweifelten Reflex heraus, hob Harada seine Hand und griff nach dem Arm des geliebten Mädchens, um sie festzuhalten.

„Warte!“

Stocksteif blieb das Mädchen stehen und gab auch dem ziehen und zerren Akazumis nicht mehr nach. Stumm und emotionslos sah sie den Rotschopf an, der darum betete, dass sie ihn erkannte und zu ihm zurückkam.

„Hören sie auf! Lassen sie meine Freundin los!“

Obwohl die Fremde versuchte die beiden voneinander zu trennen, ignorierte das Mädchen die Brünette.

„Harada-kun...“, wisperte das Mädchen leise und versuchte sich in den Augen des Samurais zu verlieren.

Sie spürte, dass sie dort etwas finden konnte, was sie wieder einmal verloren hatte. Er konnte ihr helfen es wieder zu finden. Sie spürte es.

„Lass sie los, du Barbar!“

Fast schon panisch drängte sich die Fremde zwischen Harada und dem Mädchen und löste die Verbindung, die beide bereit gewesen waren einzugehen. Sie musste es verhindern, um nicht vollends zu einer Schande ihrer Zunft zu werden.

„Komm mit. Dieser Mann ist kein Umgang für dich.“

Wie schon beim ersten Mal zog die Fremde das Mädchen von Harada weg. Doch anders als beim letzten Mal, lief sie los und zog das ihm so vertraute Mädchen in Windeseile weg.

„Yamazaki...“, wisperte Harada, ohne seinen Gefährten anzusehen, oder auch nur einen Muskel zu rühren.

„Ich werde sie finden“, erklärte der Brünette und entschwand wie ein Ninja geräuschlos in die Nacht.
 

Ein letztes Mal sah Akazumi hinter sich, um endlich sicher zu sein, dass ihnen niemand gefolgt war. Ohne länger zu zögern, zerrte das Ninjamädchen ihre Schutzbefohlene in eine Gasse und drückte sie gegen eine Wand.

„Hör zu...“, setzte sie ihre Standpauke an.

Das Mädchen musste immerhin lernen, dass sie nicht einfach so weglaufen durfte. Schließlich spielte der Engel auf diese Weise mit Akazumis Leben.

„Er ist nicht wer er scheint... Blut klebt an seiner Klinge... Das Blut eines Dorfes... Eine Überlebende besitzt sein Herz... Beide wissen es nicht... Ein tödliches Geheimnis... Sein Herz wird frei... Wenn sie sich seiner Art angleicht...“

Verwundert hielt Akazumi inne, als Erenya plötzlich zu sprechen begann. Wie eine Puppe sackte sie mit jedem Wort mehr zusammen, während das schwarz ihres Haares immer blasser wurde.

'Ist das...'

Nur durch Daren hatte sie erfahren, wie sich der Engel bei einer Vision verhielt. Doch noch nie hatte sie eine persönlich gesehen.

„Die Chance... zwei ausgestorbene Völker... Sie entrinnt in einem Bach... aus roten Wasser...“

Kleine Tränen kullerten Erenyas Wangen hinab, als sie weiter sprach. Es schien so, dass sie den emotionalen Schmerz jener spürte die sie sah, weswegen Akazumi nicht anders konnte als das Mädchen an sich zu drücken und ihr sanft über den Rücken zu streichen. Schließlich hatte sie sich selbe eine Person gewünscht, die das gemacht hätte, als sie sich als Kind Nacht für Nacht, einsam in den Schlaf geweint hatte.
 

Verträumt sah Mizu auf das Wasser des Flusses, dass im Licht der aufgehenden Sonne glitzerte. Es war selten, das sie so früh schon in der Öffentlichkeit war, aber heute gab es viele wichtige Dinge, die sie mit Yuki besprechen wollte. Zumindest hatte der ehemalige Engel angedeutet, dass sie wusste wo Erenya gefangen gehalten wurde.

„Du bist wirklich pünktlich.“

Ohne von der Schönheit der Natur wegzublicken und den Engel anzusehen, nickte Mizu. Es war doch selbstverständlich, dass sie pünktlich war, wenn es um etwas wichtiges ging.

„Du weißt also, wo Erenya steckt? Wie hast du das erfahren?“, fragte sie schließlich und wandte nun doch ihren Blick von dem Fluss ab.

Sie war wirklich darauf gespannt zu erfahren, woher die Weißhaarige das wusste, denn mir Sicherheit war Erenyas Entführer nicht zu ihr gekommen und hatte das geheime Versteck verraten.

„Ein Oni hat mir diesen Hinweis gegeben.“

Nun doch verwundert schenkte das Samuraimädchen dem Engel ihre endgültige Aufmerksamkeit.

Selbst ihr waren die Geschichten bekannt, dass Engel und Onis sich Spinnefeind waren, weswegen es sie überraschte, dass ein Oni ihr das gesagt haben sollte. Konnte man dieser Information denn noch vertrauen?“

„Keine Sorge.“

Ein Lächeln lag auf Yukis Gesicht, als sie die Bedenken Mizus aus ihrer Mimik heraus erkannte.

„Onis sind nicht so schlimm wie man sich erzählt. Sie sind sogar recht ehrlich. Die Zeiten, in denen sie Kriege gegen die Menschen führten, um deren Territorium klein zu halten, sind vorbei. Sie wollen nur noch in Frieden leben, abgeschieden von den Menschen und verborgen vor den Augen der Engel. Leider respektieren sowohl die Menschen als auch meine ehemaligen Brüder und Schwestern das nicht.“

Leise seufzte Yuki und setzte sich auf das Brückengeländer. Sie sah diesen verständnislosen Blick in Mizus Gesicht und wusste, dass sie wohl etwas mehr erzählen musste.

„Vergiss alles, was du aus den Geschichten über Engel weißt. Es sind alles Lügen, die ein paar meiner Brüder verbreitet haben. In meiner Heimat ist nichts so harmonisch und friedlich, wie man behauptet. Meine Heimat wird von einem Mann regiert, der behauptet allwissend und mächtig zu sein. Ich weiß immer noch nicht, wie er es auf den Thron geschafft hat, aber eigentlich erledigen nur wir, seine Engel, seine Aufgaben.

Dort zu leben ist die Hölle. Denn entweder man folgt ihm, oder man verzichtet auf sein paar weißer Flügel und wird zu einem geächteten. Engel ist es verboten selbstständig zu denken oder zu handeln. Wir sind nicht viel mehr als Puppen. Werkzeuge des alten Mannes, der sich selbst unseren Gott nennt.

Einige von uns sind mit diesem Zustand zufrieden und stellen ihn nicht in Frage, aber es gibt auch Engel wie mich. Wir zweifeln täglich an seinen Entscheidungen und fragen uns ständig, was für einen Groll er gegen die Onis hegt. Dennoch führen wir seine Aufträge aus. Wir tragen die Maske einer Puppe und legen sie nur im Schatten ab, geplagt von unserem schlechten Gewissen.

Viele Onis sind durch meine Hand gestorben. Viele Menschen habe ich manipuliert und in den Krieg geschickt. Soviel Blut klebt an meinen Händen...“, wisperte Yuki leise und sah in den heller werdenden Himmel.

„Nichts was ich tue, kann mich jemals wieder rein waschen. Aber bis zum Ende meines Lebens will ich wenigstens einmal das Richtige tun. Deswegen habe ich Erenya von dort weggeholt. Ich will sie in ein Dorf bringen, wo Onis, gefallene Engel, normale Engel und viele andere Wesen in Harmonie zusammen leben. Es ist ein kleines Utopia, geschaffen von dem Mann, der als erstes gegen unseren Gott rebellierte. Es ist sozusagen Erenyas wirkliche Heimat.“

Leicht lächelte Yuki als sie über das kleine Utopia sprach, dass weder die Menschen, noch die Onis oder die Puppen Gottes kannten. Nur jene, die dort lebten und die nicht wussten wohin, kannten diesen Ort. Denn es war die Zuflucht all jener, die keine Heimat hatten.

„Dann werden wir Erenya finden. Damit sie ihre richtige Heimat sehen kann. Sag mir wo ihr Entführer sie versteckt. Morgen früh treffen wir uns dann in unmittelbarer Nähe. Ich bringe kampfkräftige Unterstützung mit.“

Verwundert sah Yuki nun zu dem Mädchen, das sie kampfbereit ansah. Sie war sich unsicher, ob sie ihr etwas sagen sollte, denn wenn sie es tag, würde sie wieder einmal einen Menschen in den Kampf schicken.

„Keine Sorge. Ich werde kämpfen, weil ich es will, nicht weil ein Engel mich manipuliert hat. Ich möchte Erenya genauso helfen wie du, also verwehre mir diesen Wunsch bitte nicht.“

Kurz dachte Yuki darüber nach, ob sie das wirklich tun sollte, doch schließlich entschied sie, dass es wohl besser war. Denn selbst mit Kojis Hilfe, war es ungewiss, ob sie gegen Daren bestehen konnten.

„Also schön. Ich werde dir Natsu mit einer Botschaft vorbei schicken. Dort wird unser Treffpunkt stehen. Allerdings wird das nicht morgen sein. Du bist scheinbar verletzt und solltest dich noch etwas erholen. Aber keine Sorge, wir werde so schnell handeln, dass Daren nicht damit rechnet.“

Es war, als wollte das Schicksal Yukis Worte unterstreichen, als in der Ferne die Geräusche eines tobenden Kampfes den frühen Morgen begrüßten.
 

Ein heftiger Kampf hatte am Tor des Shogunats stattgefunden und siegreich waren Satsuma, Aizu und die Roshigumi aus diesem Kampf herausgekommen. Und endlich war es der Roshigumi auch gelungen, sich die Ehre zu verdienen, die ihnen gebührte. Als Zeichen dafür prankte nun ihr neuer Name „Shinsengumi“ vor den Toren ihres Hauptquartiers.

Staunend sah Akazumi auf dieses Schild. Sie hätte nicht geglaubt, dass sie zu ihrem letzten Besuch noch Zeuge von so einer Ehre werden würde.

„Neu geformte Gruppe...“, flüsterte sie leise und hob ihre Hand um über das Holzschild zu streichen.

Erst als sie die raue Faserung unter ihren Fingern spürte, wusste sie mit Sicherheit, dass dies hier kein Traum war.

„Saito-kun... Ihr habt es geschafft.“

Ein Lächeln trat auf ihre Lippen, als sich das Ninjamädchen bewusst wurde, was dieses Schild eigentlich bedeutete.

„Hast du eine Lösung für dein Problem gefunden?“

Erschrocken fuhr Akazumi zusammen, als sie neben sich plötzlich Saito Hajimes Stimme vernahm.

Es dauerte einige Zeit, bis sie sich von diesem Schreck erholte und ihre Stimme wieder fand.

„Im Prinzip löst es mein Problem mitnichten. Aber ich habe eine Entscheidung getroffen.“

Ernst sah Saito das Mädchen an und nickte schließlich. Er glaubte zu wissen, wofür sie sich entschieden hatte, weswegen er vorging und durch das Tor gehen wollte, um sie zu Hijikata zu bringen.

„Es mag sein, dass sein handeln falsch ist und ich weiß auch nicht, was in seinem Kopf vor sich geht. Aber ich bin die letzte Überlebende meiner Familie und will ihnen keine Schande bereiten. Deswegen, selbst wenn ich zum Feind der Shinsengumi werden sollte, werde ich meinen Auftraggeber folgen und dienen, auch wenn ich dabei sterbe. Meine Eltern haben das getan und ich will nach ihren Willen und ihren Regeln leben. Bis zu meinem letzten Atemzug.“

Schon ein wenig überrascht von der Antwort des Ninjamädchens, wandte sich Saito um, doch sie war bereits verschwunden, was ihm nur verdeutlichte, dass sie es ernst meinte. Und dieses Wissen gab ihm das Gefühl, dass sie sich von ihm verabschiedet hatte.
 

Enger zog Akazumi den Stoff ihres Yukatas an sich, während sie durch die leeren Gassen Kyotos lief. Obwohl das Wetter recht angenehm war, verspürte das Ninjamädchen eine Eiseskälte in ihrem Körper, die einfach nicht schwinden wollte. Sie hatte Saito nun endgültig von sich gestoßen und sich damit zu seinem Feind gemacht.

'Es tut mir leid, Saito-kun...', sagte sie sich immer wieder in ihren Gedanken, während sie einfach weiterlief, um so schnell wie möglich weg von dem Hauptquartier der ehemaligen Roshigumi zu kommen.

'Saito...'

Wieder und wieder kam ihr sein Name und sein Äußeres in den Sinn. Es ließ sie nicht los. Er verfolgte sie regelrecht, egal wie schnell sie auch zu laufen versuchte.

'Saito!'

Es war wie ein Aufschrei, der in ihrem Kopf erhallte, als sie mit jemanden zusammen stieß und zu Boden fiel.

Akazumi spürte den leichten Schmerz an ihrem Hinterteil, doch darum konnte sie sich nicht kümmern, schließlich hatte sie jemanden in ihrer Unachtsamkeit angerempelt.

„Die Jugend von heute ist wirklich sehr stürmisch.“

Erleichtert stellte das Ninjamädchen anhand der Stimme ihres Opfers fest, dass er nicht erbost über diesen Zusammenstoß war.

Schnell rappelte sich die Brünette auf und sammelte einige Blätter, die sich durch den Zusammenprall auf dem Boden verstreut hatten und wohl dem Mann gehörten.

„Es tut mir leid, ich war etwas in Gedanken und habe nicht aufgepasst. Bitte verzeihen Sie mir.“

Mit einem entschuldigenden Lächeln sah Akazumi auf und hielt dem Mann seine Blätter entgegen. Doch das Lächeln schwand genauso schnell, wie es gekommen war. Sie kannte den Mann, den sie angerempelt hatte, denn sie hatte ihn oft genug bei der Roshigumi gesehen. Yukimura Kodo, ein Doktor der westlichen Medizin, der irgendwelche ominösen Geschäfte mit der Roshigumi abwickelte.

„Ich danke ihnen für ihre Hilfe. Ich hoffe, sie haben sich nicht verletzt junge Dame.“

Sanft lächelnd hob der Mann seinen Arm und wollte seinen Dokumente entgegen nehmen. Doch so, als hätte das Schicksal es gewollt, fiel eine Phiole mit einer klaren roten Flüssigkeit aus seinem Ärmel und direkt vor Akazumis Beine.

Wie hypnotisiert starrte das Ninjamädchen auf die Phiole und hob sie vom Boden auf. Irgend etwas faszinierte sie daran, sie wusste nur nicht was.

„Was ist das?“, fragte sie ehrfürchtig und sah kurz zu dem Doktor auf, der scheinbar amüsiert grinste.

Doch aufgrund ihrer Faszination für diese Flüssigkeit, die fast schon zu leuchten schien, bemerkte sie es nicht.

„Das ist das Ochimizu. Eine Medizin, die aus dem Westen kommt und jenen, die es nehmen schier unmenschliche Fähigkeiten verleihen. Ungewöhnliche Kraft, schnelle Wundheilung, dass sind nur einige seiner Wirkungen.“

Yukimura machte keine Anstalten dem Mädchen das Mittel abzunehmen. Im Gegenteil, ihr Interesse schien ihn zu erfreuen, weswegen er ihr trotz seiner Schweigepflicht von der geheimen Wirkung des Mittels erzählte.

„Ein Wundermittel... Allerdings glaube ich, dass es da einen haken gibt. Solche wunderbaren Fähigkeiten müssen einfach negative Nachwirkungen haben.“

Misstrauisch begutachtete Akazumi die Phiole, als könnte sie nur durch genaueren Hinsehen den Haken an der Sache finden.

„Sicher hat auch diese Medizin noch einige Kinderkrankheiten. Aber ich bin sehr bemüht diese auszumerzen. Was Sie gerade in ihren Händen halten, ist mein neuster Versuch. Zusammen mit diesem Pulver, dürfte aber die größte Nebenwirkung ausgeschaltet sein, so dass sie eigentlich nicht mehr der Rede wert sind.“

Lächelnd zog Yukimura einen kleinen Kuvert mit einer großen Menge an kleinen dosierten Päckchen aus seinem Yukata und reichte es Akazumi.

„Kann man... damit wirklich stärker werden?“

Leise, fast schon so, als habe sie die Worte nicht aussprechen wollen, flüsterte Akazumi. Sie hielt gerade ein Wundermittel in der Hand. Der Gedanke, was sie damit nach ihrem derzeitigen Auftrag wagen konnte, ließ sie erzittern. Damit konnte sie es sicher mit dem Monster aufnehmen, dass ihre Familie und ihre Heimat zerstört hatte.

„Man erhält soviel Stärke, wie es der eigene Geist erlaubt“, wisperte Yukimura ihr zu und legte das Kuvert mit dem bereits dosierten Pulverpäckchen auf Akazumis Schoss.

Immer noch wie hypnotisiert, sah das Ninjamädchen auf die Phiole und merkte nicht einmal, wie Yukimura Kodo sie verließ.
 

Ruhig blickte Yuki über die fast unberührte Landschaft, die hinter den Toren Kyotos auf sie wartete. Irgendwo hier draußen war Erenya zusammen mit Daren und es würde nur noch wenige Stunden dauern, bis sie loszogen um das Puppenmädchen zu retten.

Doch bevor sie zur Tat schreiten konnten, brauchten sie einen Plan. Besonders von Nöten war der, weil Mizu mit einer Freundin mitkämpfen wollte und gegen einen Oni waren Menschen machtlos.

Selbst für sie und Koji würde der Kampf kein leichtes werden, auch wenn ihre Überlebenschancen höher waren als die eines Menschen.

„Nur noch wenige Stunden, Erenya. Halte nur noch ein bisschen durch“, wisperte der ehemalige Schneeengel und starrte in eine bestimmte Richtung, als würde sie Erenya dort sehen können.

„Du bist dir sicher, dass du sie finden wirst?“

Erschrocken fuhr Yuki zusammen und wandte sich um. Sie hatte nicht gehört, dass sich ihr jemand genähert hatte und doch stand sie nun vor ihr. Das Ninjamädchen, dass an Erenyas Entführung beteiligt war.

Genauestens sah Yuki das Mädchen vor sich an. Sie war durch und durch menschlich und doch war es ihr gelungen, sich lautlos an sie heranzuschleichen.

„Das kann ich leider nicht zulassen... Das Mädchen gehört nun meinem Auftraggeber. Und wenn du sie zurückerobern willst, musst du erst an mir vorbei.“

Kampfbereit zog das Ninjamädchen ein Kodachi, dass um ihrer Hüfte in einer schwarzen, mit Gold verzierten Scheide geruht hatte. In der Regel griff sie nie zu dieser Waffe, die das letzte Andenken ihrer Eltern war, doch die Umstände verlangten es. Heute war es ihre Wurfgeschosse die zum letzten Mittel wurden.

„Du bist bereit für diesen Mann zu sterben? Mögen die Götter deiner Seele gnädig sein.“

Ruhig und fast wie in Zeitlupe, zog Yuki ihr Schwert aus der Scheide und fixierte das Ninjamädchen, deren Augen ihr verrieten, dass sie zu allem bereit war.

„Deine Götter können sich ihr Mitleid schenken!“

Mit ganzer Kraft stieß Akazumi sich vom Boden ab und lief auf Yuki zu, während sie mit ihrem Schwert ausholte. Sie hatte nichts mehr zu verlieren, außer ihrem Leben, das sie nun einsetzte um alle Eindringlinge und Verfolger von Daren fernzuhalten.
 

Erstaunt sah Yuki zu dem Mädchen, deren Bewegungen so schnell und lautlos waren wie es nur die Menschen weit im Norden einst konnten. Sie kannte nur eine handvoll Sterblicher, die zu dem fähig gewesen waren. Doch diese Sterblichen gab es nicht mehr. Ihre Heimat war ausgelöscht wurden.

'Keine zeit darüber nachzudenken, Yuki!', mahnte sich der Engel, der aus seiner kurzen starre erwacht war und nun in die Verteidigungspostion ging.

Es dauerte nicht einmal einen Augenschlag, als sie die Wucht des Kodachis von dem Mädchen spürte und sich bemühte, dem etwas entgegenzusetzen.

'Unmenschlich...', dachte Yuki, als sie wahrnahm, wie viel Kraft es sie kostete, um den Angriff zu parieren und keinen Millimeter zu weichen.

'Oder ist das die Kraft der menschlichen Verzweiflung?'

Yuki wusste nicht, wie ein Mensch so stark sein konnte, doch sie hatte nicht die Zeit, um darüber nachzudenken. Sie musste diesen Kampf beenden und damit Darens Gehilfin ausschalten.

Zu allem entschlossen, mobilisierte Yuki ihre gesamte Kraft und stieß das Ninjamädchen von sich, dass zurückwich indem sie über den Boden schlitterte.

Nun war es Yuki, die auf das Mädchen zulief und ihr Schwert auf dieses niedersausen ließ. Sie wusste, dass sie diesen Kampf jetzt beenden konnte, denn das Mädchen schien nicht mit diesen Gegenschlag gerechnet zu haben. Doch Yuki irrte sich.

Ernst sah Akazumi zu ihrer Gegner auf, die gerade ohne Deckung war, weswegen sie blitzschnell mit ihrem Kodachi ausholte und mit der Klinge tief in Yukis Bauch schnitt.
 

Blitzschnell, nachdem sie Yuki mit ihrem Schwert verletzt hatte, entfernte sich das Ninjamädchen von dem Engel, die sich fast schon ungläubig an den Bauch fasste und auf das Blut in ihrer Hand sah.

'Fall schon um!'; flehte Akazumi in Gedanken, machte sich aber bereit noch einen weiteren Treffer zu landen, um diesen Kampf endgültig zu beenden.

Zitternd sah Yuki auf das Blut in ihrer Hand. Sie war schon lange nicht mehr verletzt worden, weswegen sie dieser Schmerz kurz übermannte und die Wut in ihr auflodern ließ.

„Stirb!“

Nur zu deutlich hörte Yuki die Worte des Ninjamädchens, dass erneut auf sie zulief. Doch wie paralysiert starrte sie auf das Blut in ihrer Hand und ignorierte ihre Gegnerin, die mit jedem Schritt näher auf sie zukam.

„Ich soll sterben?!“

Ungläubig sah Akazumi auf Yukis Schwert, dass sie fast automatisch gehoben und den Todesschlag abgehalten hatte.

„Ich habe selbst viel Blut in meinem Leben vergossen. Viele von ihnen waren unschuldig, aber...“

Ernst sah Yuki zu dem Ninjamädchen auf, dass beim Anblick des Engels förmlich erstarrte. Yuki wusste auch wieso. Sie spürte die Veränderung, die man bei ihr nur in den Augen sah.

„... heute ist noch nicht der richtige Tag für meine Sünden zu büßen!“

Wütend fixierte der Schneeengel das Mädchen mit ihren nun orangfarbenen Augen.

Schnell merkte Akazumi, dass etwas nicht mit diesem Mädchen stimmte, denn auf einmal stieg ein kalter Nebel vom Boden auf und hüllte ihre Körper ein.

Obwohl die Weißhaarige sich kaum bewegt hatte, war die Veränderung in der Umgebung nur zu deutlich zu spüren.

„Was für ein Monster bist du?“

Immer noch übte das Ninjamädchen einen Druck gegen Yukis Klinge aus. Doch je mehr sie sich gegen sie stemmte, desto mehr zitterte sie. Yuki hingegen schien es nicht einmal Mühe zu bereiten.

„Monster? Ihr Menschen urteilt so lächerlich schnell nach dem äußeren!“, knurrte Yuki.

Sie hasste diese Vorurteile und Beleidigungen. Selbst sie, mit ihrer sonst so ruhigen Art, platzte da der Geduldsfaden.

Ohne weiter Rücksicht auf diesen Menschen zu nehmen, beschwor Yuki den kältesten aller Winde und rang auf diese Weise das Ninjamädchen zu Boden.
 

Zitternd krümmte sich Akazumi am Boden und hielt ihre Schwerthand, die förmlich vor Kälte erstarrt war. Schlagartig waren die milden Temperaturen gesunken und ließen das dünn bekleidete Ninjamädchen vor Kälte erzittern.

'Mein Schwert...'

Durch gefroren sah sich Akazumi nach ihrem Kodachi um und sah schließlich ihre Waffe etwas weiter von sich entfernt am Boden liegen.

„Nun beenden wir das!“

Ruhig aber dennoch wütend lief Yuki durch den frierenden Bodennebel auf Akazumi zu, die wusste, dass sie nicht genug Zeit hatte um ihr Schwert zu holen.

Vor Kälte zitternd schob das Ninjamädchen ihre Hand unter das Oberteil ihrer Kleidung. Nur leicht wärmte der Stoff ihre durchgefrorene Hand.

'Es muss reichen...'

Obwohl ihr Körper sich bereits der Kälte ergeben hatte, umklammerte Akazumi ihre letzte Hoffnung und sammelte alle Kraft, die sie noch aufzubringen hatte.

Und obwohl sich Yuki mit jedem Schritt näherte und die Klinge ihres Unterganges unaufhaltsam näher kam, wollte sie nicht aufgeben. Ihre Eltern hätten das auch nicht getan. Und sie würde es auch niemals tun.
 

Zusammengekauert hockte Akazumi vor Yuki, die wie vom Blitz getroffen stehen geblieben war. Ihr Schwert ruhte erhoben in ihren Händen und doch ga es keine Anzeichen, dass sie dieses Schwert weiter führen wollte.

'Geschafft!'

Akazumi wusste, dass sie dem tödlichen Schlag entronnen war. Denn sowohl der kalte Nebel ala auch der Wind schwanden und gaben ihrem Körper die Chance sich zu erwärmen.

Noch etwas steif erhob sich das Ninjamädchen und sah auf das Stäbchen in ihrer linken Hand. Langsam, fast synchron mit Yukis Körper, fiel ein einzelner roter Tropfen gen Boden und befeuchtete den gefrorenen Staub.

„Ja, beenden wir das...“, flüsterte Akazumi und zog ein weiteres Stäbchen aus ihrem Haar.

„Hier ist genug Gift dran, um einen Riesen zu töten. Ob Monster oder nicht, auch du kannst dich diesem giftigen Tod nicht verwehren.“

Ernst fixierte Akazumi ihre Gegnerin, die bewegungsunfähig am Boden lag. Sie musste nur noch dieses eine Stäbchen in ihren Körper rammen, um sich sicher zu sein, dass sie gewonnen hatte.

Mit diesem Ziel vor Augen hob sie ihre Hand und visierte Yukis freiliegenden Nacken an. Ein Wurf, dann war alles vorbei. Dann hatte sie ein Monster besiegt, auch ohne irgendwelche Wundermittel.

„Das lasse ich nicht zu!“

Wie ein Donner erhallte die Stimme eines Mannes. Wie ein Blitz durchfuhr etwas ihren Körper. Wie ein Brummen ertönte die Stimme der Vergangenheit.

Hast du dich verlaufen?“
 

Ungläubig starrten Akazumis geweiteten Augen auf die Phiole mit der roten Flüssigkeit, die bei ihrem Fall aus dem Haori gerutscht war. Nur ganz zart spürte sie den kalten Regen auf ihrer sterbenden Haut.

Sie hatte verloren. Ein letztes Mal hatte sie als Ninja versagt. Und dabei war der Sieg so nahe gewesen.

'Ob ich mit dem Wundermittel gewonnen hätte?'

Zögernd und schwach hob sie mit wirklich letzter Kraft ihre Hand und griff nach dem Mittel. Sie wusste, dass sie sterben würde, wenn sie jetzt nicht schnell handelte.

'Ich habe meinen Auftrag nicht beendet... Wäre Mama jedes Mittel Recht gewesen um einen Auftrag zu erfüllen? Erwartet sie das auch von mir?'

Unentschlossen sah Akazumi auf die Phiole. Dennoch hob sich wie von selbst ihr Daumen und schnipste den kleinen Stopfen weg.

Trinken und Leben, oder Sterben und Versagen. Sie hatte ihre Wahl getroffen und nur das versickernde Rot wusste, was sie gewählt hatte.
 

Müde saß Erenya mit geneigten Kopf auf ihrem Stuhl und sah sich Bilder vergangener und zukünftiger Zeiten an. Sie spürte die Schmerzen der Sterbenden und vergoss die Tränen der Trauernden. Selten waren es schöne Bilder die sie sah und fühlte. Gewalt, Hass, Zorn, Rache... Das alles waren Gefühle, die diese Welt überwiegend zu beherrschen schienen und die Daren erbosten.

„Das reicht! Nun sah mir endlich was ich wissen will!“

Erzürnt schlug Daren mit der Faust auf den Tisch, doch wie gewohnt zuckte Erenya nicht einmal zusammen.

„Ein Kampf... Zwei Tode. Ein Oni... und einer der nicht als solcher geboren wurde... Kirschblüte regnen auf sie hinab... und bittere Tränen. Wer hat gewonnen? Oder... Nein... es bleibt ein fragwürdiger Sieg.“

Verwundert hob Daren eine Augenbraue. Wie immer waren Erenyas Worte nicht ganz deutlich. Doch anders als bei ihrer ersten Vision, fragte er sich, ob sie wirklich von ihm sprach. Immerhin war er die einzige Blume, die im Garten der Zukunft blühen sollte.

Regen der Erinnerung

Es waren noch nicht einmal ein paar Stunden seit Erenyas letzter Vision vergangen, als Daren wieder die Ungeduld packte. Doch das Puppenmädchen schwieg behaglich weiter und starrte stumm aus dem Fenster.

„Jetzt rede schon! Was liegt in meiner Zukunft?!

Obwohl Daren wieder und wieder auf das Mädchen eingeredet hatte, starrte sie nur weiter aus dem Fenster, als hätte sie ihn nicht gehört.

„Verdammt! Wie hat das Geflügel sie nur zum sprechen gebracht? Wie haben sie sie immer das sehen lassen, was sie wollten?“

Daren blieb das ganze ein Rätsel. Er hatte nun zwar die wertvollste Waffe gegen die Engel, aber sie brachte ihm rein gar nichts, wenn sie keine nützliche Information gab.

„Der Garten ist wunderschön...“

Verwundert sah Daren zu dem Mädchen auf, das lächelnd aus dem Fenster blickte. Bisher hatte sie nur geschwiegen, außer wenn sich eine Vision ergeben hatte. Doch nun sprach sie, als hätte der Sehersaft jegliche Wirkung verloren.

„Garten?“

Etwas irritiert sah Daren aus dem Fenster zu dem auch Erenya raus sah. Doch außer ein paar Bäumen, die kahl den Winter begrüßen wollten, sah er nichts. Keine Blumen, kein Leben und keinen Garten.

„Red nicht so einen Schwachsinn, da ist nichts!“

Wütend erhob sich Daren von seinem Platz und ging auf Erenya zu, die er grob an der Schulter packte.

„Sehe sofort etwas, was mit mir zu tun hat!“, knurrte er das Puppenmächen an, dass ihren Kopf hob und ihn mit ihren lilafarbenen Augen fixierte, als wollte sie ihn hypnotisieren.

Und wie von selbst, stockte Darens Atem, als er in die Knie ging und sich in einen tranceartigen Zustand ergab.
 

Daren verstand die Welt nicht mehr, als er die Augen öffnete und sich in einem dichten Wald wiederfand. Bis vor wenigen Sekunden hatte er sich noch in seiner Hütte bei Erenya befunden, doch sowohl die Hütte als auch das Mädchen waren verschwunden.

„Wo zum Teufel bin ich hier?“

Langsam lief Daren los und ging tiefer in den Wald hinein. Er konnte sich nicht gegen dieses nostalgische Gefühl verwehren, dass in ihm aufstieg. Irgendwoher kannte er diesen Wald. Er wusste nur nicht mehr woher, bis er etwas hörte, was die Erinnerung in ihm wachrüttelte.

„Mama... Hilf mir...“

Vorsichtig näherte sich Daren dem Ort, wo die Stimme herkam und schließlich, als er durch das Dickicht stieß, sah er ein kleines Mädchen, das weinend am Boden hockte.

Ihm war diese Szene nicht unbekannt, denn er hatte sie schon einmal erlebt. Damals, wo seine Welt noch in Ordnung gewesen war.

„Mama...“

Schluchzend saß das Mädchen am Boden und rief nach der Person, die ihr bisher immer Schutz gewährt hatte.

'Das ist doch...'

Es war das erste Mal seit Jahren, dass Daren sich wieder an dieses Mädchen mit den braunen gelockten Haar erinnerte. Sie war damals die einzige gewesen, die ihn nicht als Monster bezeichnet hatte.

„Hast du dich verlaufen?“

Mit verheulten Augen sah das Mädchen zu dem Jungen auf, der sie mit seinen gelben Augen fixierte. Ernst sah er sie an und machte sich eigentlich auf einen entsetzten Aufschrei gefasst. Doch in ihrer Verzweiflung sprang das Mädchen auf und klammerte sich an den fremden, weißhaarigen Jungen.

Daren erinnerte sich wieder daran, wie sich sein Yukata mit den Tränen des Mädchens vollgezogen und seine Haut befeuchtet hatte. Doch es hatte ihn nicht gestört. Stattdessen hatte er seine Arme um die Fremde gelegt und sie tröstend an sich gedrückt.
 

Einige Zeit verweilten Darens jüngeres Ich und das Mädchen Arm in Arm. Erst als ihre Tränen versiegt waren, traute sich der junge Oni seine Stimme erneut zu erheben.

„Also, hast du dich verlaufen?“

Erneut fragte der Junge nach um zu erfahren was es mit den Tränen des Mädchens auf sich hatte. Noch immer mit feuchten Augen, sah das Mädchen zu ihm auf und nickte.

Sanft strich der junge Daren über das braune Haar des Mädchens. Noch nie war er einem Menschen so nahe gekommen wie jetzt. Bisher hatte er immer gedacht, dass sie furchterregende Kreaturen waren, die nur zerstören konnten. Doch in Wahrheit waren sie ihm und den anderen Onis nicht so unähnlich. Nur das Hörnchen auf der Stirn fehlte.

„Ich weiß nicht mehr wie ich nach Hause komme“, gestand das Mädchen leise und drückte sich an den Jungen, dessen Nähe ihr gerade Schutz garantierte.

„Ich habe Angst... die im Dorf sagen, dass hier im Wald gefährliche Monster leben.“

Oft genug hatten die Dorfbewohner das Mädchen gewarnt, doch sie hatte ihnen nicht geglaubt. Sie wollte mit eigenen Augen diese Monster sehen, die immer als so grausam beschrieben wurden.

„Monster? Nein. Hier gibt es keine Monster. Nur mein Volk und ich leben in diesem Wald und wir würden sicher keinem gefährlichen Monster erlauben hier zu wüten“, erklärte der junge Daren und lächelte das Mädchen aufmunternd an.

„Keine Monster?“, fragte sie noch einmal leise nach und holte sich durch Darens Kopf schütteln die Zusicherung dafür, dass es wirklich keine Monster gab.

„Komm mit, ich bringe dich nach Hause, Mädchen.“

Vorsichtig löste sich der junge Oni von dem Mädchen, dass ihm nun ein erleichtertes Lächeln schenkte.

„Mein Name ist Akazumi.“
 

Murrend griff sich der erwachsene Daren an den Kopf, als er erfuhr, wie das Mädchen hieß. Er hatte es vollkommen verdrängt.

'Das Mädchen hieß Akazumi. Das Ninjamädchen, dass ich verschont hatte war das Mädchen, dass ich zurück in ihr Dorf gebracht hatte. Was für ein seltsamer Zufall.“

Schweigend beobachtete Daren, wie sein kleines Ich das Mädchen an die Hand nahm und sie vorsichtig aber zielsicher aus den Wald führte.

'Was ist danach geschehen?'

Wie von einer fremden Macht gelenkt, setzte sich auch Daren in Bewegung und folgte den Kindern. Er wollte sich daran erinnern, was aus ihnen geworden war, denn es musste doch einen Grund geben, warum er sie am Leben gelassen hatte.
 

Scharf zog Yuki die Luft ein, als sie Kojis Hand auf ihrem Bauch spürte und zu sah, wie dieser ihre Verletzung heilte. In der Regel tat diese Heilung nicht weh, dennoch durchzog sie kurz der Schmerz, als der Rothaarige sie berührte.

„Wie viele Rônin würden wohl über dich lachen, wenn sie erfahren, dass der Frauenversteher diese heilenden Hände hat?“, stichelte Yuki leise und sah auf die warm glühenden Hände ihres Freundes.

Sie fand es immer noch ironisch, dass jemand wie Koji, der sich schon dutzende Frauenherzen gebrochen hatte und so ziemlich das war, was man sich unter einem richtigen Mann vorstellte, in die Riege der weibischen Heiler gehörte.

„Mach dich nur lustig. Jeder hat seine Bestimmung. Meine war es eben ein Heiler zu werden. Und wie man ja sieht, war das auch gut so. Immerhin konnte ich deswegen deine Verletzungen heilen und meine Bestimmung als Mann erfüllen. Also hat es auch seine guten Seiten.“

Zufrieden besaß sich Koji die verheilte Verletzung und löste seine Hände von Yukis Körper. Auch wenn sie etwas Blut verloren hatte und vielleicht noch schwach auf den Beinen war, würde das wieder werden. Dafür brauchte sie nur etwas Ruhe.

„Sag mal Koji... Wie war es damals, als du noch ein reiner Engel warst? Was hast du eigentlich genau gemacht? Warum bist du wirklich gefallen?“

Obwohl Yuki viele Gerüchte über Kojis Stigmatisierung gehört hatte, wollte sie es endlich von ihm wissen. Doch sein Gesichtsausdruck verriet ihr, wie ungern er darüber sprach oder nachdachte.

„Ich denke nicht gerade mit Freuden an diese Zeit zurück, aber... du bist die einzige, bei der ich denke, dass sie mir glaubt“, flüsterte Koji und setzte sich neben Yuki, die sich langsam wieder aufrichtete.

„Damals war ich, wie du sicher noch weißt, in der Gruppe der Heiler tätig. Doch schnell merkten die höheren Instanzen, dass ich auch ein recht empathisches Wesen besaß. Sie schickten mich also in die Welt der Menschen, wo ich die Worte unseren Herren verbreiten und vor allem die Menschen gegen die Onis aufhetzen sollte.

Damals bin ich den Befehlen, wie viele andere auch, stumm gefolgt. Immerhin haben sie es mir durchgehen lassen, dass ich der Damenwelt sowohl bei uns als auch bei den Menschen schöne Augen machte. Damals... gab es nichts das ich bereute, bis... ich diese Frau traf. Ihr Leben war alles andere als rosig und von Liebe geprägt. Doch jedes Mal wenn ich sie traf und mit ihr sprach, lächelte sie. Es war so, als konnte nicht ihrem Lächeln etwas anhaben. Und irgendwie schaffte sie es, mit Leben einzuhauchen.

Ich begann zu zweifeln, ob die Worte des Alten wirklich absolut waren und scheinbar habe ich diese zweifel zu deutlich demonstriert, als ich ihm seinen wichtigsten Schatz stehlen wollte. Nun ja, wie man sicher bemerkt, ist es mir nicht gelungen, weswegen ich zu einem Gefallenen wurde. Aber seitdem genieße ich mein Leben und Lächle, egal wie groß die Widrigkeiten sind. Das hat mir diese Frau damals beigebracht. Und seitdem reise ich durch die Welt, probiere die inländischen Delikatessen und genieße die hübschesten Frauen.“

Leise lachte Koji über seine letzten Worte, die Yuki aber nur ein leises Seufzen entlockte. Egal wie gut sie den Rotschopf auch kannte, sie konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, dass er so ein Weiberheld war.

„Na schön, aber wieso genau hast man dich damit beauftragt Erenya zu finden? Wenn du wieder einer der reinen wärst, könntest du dem Alten wieder diesen wertvollen stehlen wollen.“

Dieses Mal war es Koji, der leise seufzte. Innerhalb kürzester Zeit schwand sein Lächeln und zurück blieb der Ausdruck eines Mannes, den das Schicksal gebrochen hatte.

„Sie existiert nicht mehr...“, wisperte er leise und schloss die Augen.

Yuki verstand, dass es nun wohl besser war zu schweigen, denn die Erinnerungen schienen ihn zu schmerzen und nicht einmal seine heilenden Hände konnten diesen Schmerz lindern.

„Yuki-chan!“

Verwundert sah der Schneeengel auf, wo Mizu zusammen mit einem ihr sehr bekannten Mädchen auf sie zugelaufen kam. Und seltsamerweise wunderte sich Yuki nicht, dass es die Schwerttragende Geiko aus Shimabara war. Irgendwie hatte das Schicksal sie alle miteinander verbunden.
 

So schnell ihn seine Beine trugen, war Daren den beiden Kindern gefolgt. Doch irgendwie waren sei seinem Blick entschwunden, weswegen er hoffte, dass er beide am Waldrand wiedersehen würde. Er wollte unbedingt wissen, was danach geschehen war, denn seine Erinnerungen waren im Laufe der Zeit verschwommen.

Es dauerte bei seiner Geschwindigkeit nicht lange, bis er den Waldrand erreicht hatte, die Kinder blieben aber weiterhin verschwunden.

'Wo sind sie?'; fluchte der Oni innerlich und sah sich in der näheren Umgebung um.

Doch nirgends war auch nur eine Spur von ihnen zu sehen.

„Schnell komm mit! Der gutaussehende Prediger ist wieder da!“

Daren wurde hellhörig, als plötzlich das Gekicher zweier Frauen erklang. An sich interessierte ihn dieser Prediger nicht, doch eine stärkere Macht zwang ihn dazu sich dem Dorf und seinem Mittelpunkt zu näheren.

„Und so hört die Worte Gottes. Jenes Allmächtigen, der die Urgötter eures Landes schuf, damit sie euch behüten. In vielen meiner Träume spricht der Allmächtige zu mir und so kam er auch dieses Mal und schickte mich zu euch, um die Plage alles Guten zu beseitigen.“

Ein leiser verächtlicher Laut entwich Darens Lippen, als er die Worte des gut aussehenden Rotschopfes vernahm.

'Die einzige Plage die existiert seid ihr Geflügel.'

Dem Oni war bekannt, dass viele Engel verkleidet zu den Menschen kamen und dort die tückischen Aufträge ihres Herren ausführten. Das der Rotschopf ebenfalls zu ihnen gehörte, bezweifelte er nicht.

„In eurem Wald ist diese Plage ausgebrochen und mein Herr, der Allmächtige, weiß, dass nur ihr treuen Leute sie beseitigen könnt. Wenn nicht, werden sie eure Kinder fressen, euch eurer Leben berauben und das Dorf den Flammen opfern. Ich habe diese Bilder dank der Allmacht des Herren gesehen und konnte nicht anders als zu euch zu eilen und euch vor diesen Monstern zu warnen.

Sie werden sich als eures gleichen tarnen und wenn sie es nicht tun, werden sie euch ihre Freundlichkeit vorspielen. So wie vor einigen Tagen, als ein Abkömmling dieser Plage eines eurer Kinder aus dem Wald führte. Er war ein Späher, der die Lage für sie auskundschaften sollte. Wenn ihr Leben und dem Herrn weiter dienen wollt, müsst ihr diese Plage beseitigen.“

Darens Augen weiteten sich mit jedem Wort, dass der Prediger sprach, mehr. Er ahnte, was nun konnten würde, weswegen er sich von der Szene abwandte und zurück zum Wald lief. Er musste schnell zu seinem Volk, um es vor dem Angriff des Ninjapaares zu warnen.
 

Daren war verwundert, als er nur wenige Schritte gelaufen war und nun schon inmitten seines Dorfes stand. Die Sonne war bereits untergegangen und die Dunkelheit reicht dem Mond freundlich um Kooperation bittend die Hand.

'Was zum...'

Erst jetzt realisierte Daren, dass etwas ganz und gar nicht stimmen konnte. Eigentlich lag seine Heimat viel tiefer im Wald verborgen und er hätte weit aus mehr Schritte gehen müssen, um sie zu erreichen. Außerdem hatte er die Sonne nicht untergehen sehen. Bis vor wenigen Augenblicken war es noch helllichter Tag gewesen.

'Kann es sein?'

Nur langsam verstand der Oni, was hier los war und warum er die Kinder zuvor aus dem Blick verloren hatte. Und irgendwie hasste er sich dafür, dass seine Neugier ihn so geblendet hatte, dass ihm dieser Fakt einfach so entgangen war.

'Ich kann es nicht aufhalten... ich kann es mir nur ansehen. Aber wozu? Wozu soll ich diese Grausamkeit noch einmal miterleben?'

Wütend griff sich Daren an den Kopf und murrte leise. Er ahnte bereits, was er wohl als nächstes sehen würde, wenn er sich in Bewegung setzte und zum Haus seiner Eltern ging.

„Will ich das sehen? Ich weiß doch wie sie gestorben sind!“, knurrte er laut gen Himmel, als würde dort jemand sein, der ihm zuhörte.

Einen Augenblick lang verweilte Daren noch auf der Stelle, ehe er sich schließlich widerwillig in Bewegung setzte. Er wusste, dass er wohl keine andere Wahl hatte, als sich diesen Alptraum weiter anzusehen.
 

Er hatte das Haus seiner Eltern kaum betreten, als sich ein nostalgisches Gefühl in ihm breit machte. Es war Ewigkeiten her, seit er seinen Geburtsort betreten hatte. Die Zeit war so schnell vergangen, dass die Vergangenheit nur noch wie ein Traum erschien, aus dem er selbst heute noch nicht erwacht war.

Wissend, was passieren würde, schlug Daren den Weg zu seinem Zimmer ein, doch von einer unbekannten Macht aufgehalten, hielt er inne und sah wie hypnotisiert in die Richtung, wo das Zimmer seiner Eltern war.

'Ich war gar nicht in meinem Zimmer...'

Schlagartig erinnerte sich Daren wieder daran, was wirklich passiert war, weswegen er nun doch zum Zimmer seiner Eltern umlenkte.

'Ich wurde nicht einfach übersehen und deswegen verschont...'

Wilder klopfte Darens Herz, als er sich dem Zimmer näherte und schließlich die Tür aufstieß.

Dort sah er sie, die zwei Ninjas, die seinen Vater bereits zu Boden gerungen hatten und nun seine Mutter bedrohten, die ihn schützend im Arm hielt.

„Mach schnell...“, brummte der Man, der seine weibliche Begleiterin dazu aufforderte, auch die letzten beiden Mitglieder der Familie auszulöschen.

Leicht nickte die Frau und hob ihre Hand, die sie zielsicher bewegte. Nur wenige Augenblicke später löste sich die Mutter von ihrem Kind und fiel erstarrt zu Boden.

„Beeil dich!“, forderte der Mann nachhaltig, doch dieses Mal zögerte seine Frau und starrte auf den Jungen, der weinend an seiner Mutter rüttelte.

„Mama... Papa... wacht auf! Schickt diese Monster weg!“, klagte der Junge mit angsterfüllter Stimme.

Er ignorierte die Gefahr, die von der Ninjafrau ausging, die mir erhobenem Pfeil vor ihm stand und zum Wurf bereit war.

„Glaubst du das, was der Prediger sagte? Schau dir den Kleinen doch an. Er ist unserer kleinen Akazumi gar nicht so unähnlich. Können wir dieses Kind wirklich umbringen?“

Schweigend sah der männliche Ninja zu seiner Partnerin, die ihre Hand langsam sinken ließ.

„Dir ist klar, dass er uns auf ewig heimsuchen wird, wenn wir ihn nun am Leben lassen?“, fragte er nach einer Weile und sah zu dem Jungen, der sich weinend an den Busen seiner Mutter drückte.

„Er würde es doch zu Recht tun. Aber vielleicht verschont er dann unsere kleine Akazumi. Dann wären sie quitt und müssten einander nicht hassen.“

Immer noch nachdenklich sag der Mann zu dem Jungen, der schluchzte und weinte. Schließlich zog er sich seine Maske vom Gesicht und ging auf den Jungen zu, der verängstigt zu ihm aufblickte.

„Hör gut zu, Bengel. Und präge dir mein Gesicht gut ein. Solltest du überleben und zurückkommen, kannst du dich rächen an wen auch immer du willst. Das Mädchen namens Akazumi wirst du aber verschonen, verstanden?!“

Ernst, fast schon böse fixierte der Ninja den Jungen, der zaghaft nickte.

Er würde das Mädchen Akazumi verschonen, aber nicht weil diese Mörder es so wollten. Akazumi war seine Freundin und Freunde tötete man nicht.

„Braver Junge. Und nun lauf zu den anderen und verschwindet aus diesem Wald.“

Fast schon sanft und liebevoll tätschelte der Ninja den Kopf des Jungen, der noch immer schluchzte, aber erneut nickte.

Wie es der Mann von ihm verlangt hatte, lief er aus dem Haus seiner Eltern zu einem Mann im Dorf, der ein enger Vertrauter seiner Familie war.
 

Ruhig beobachtete Yuki von ihrer Position aus die Hütte, neben dem Kirschbaum. Sie wusste, dass sich darin befand schließlich hatten selbst Onis keine Notwendigkeit für Lügen. Sie waren nur noch einen Steinwurf von Erenya entfernt und doch musste sie allein schon wegen der Menschenmädchen vorsichtig sein.

„Wir sollten einfach rein stürmen, den Mistkerl überwältigen und ihm eine Lektion erteilen“, grummelte Chia, die das Warten leid war.

Sie war zum kämpfen hergekommen und nun um nun darauf zu warten, dass sich das Geflügel seiner Sache sicher wurde.

Leise seufzte Yuki und sah zu der Geiko, die kampfbereit ihr Kodachi zog und sich bereit machte auch ohne die anderen vorzustürmen.

„Warte...“

Rasch hob Koji die Hand und hielt die Geiko zurück, die wirklich zu allem bereit war.

„Wir gehen zusammen. Ich hab ein ungutes Gefühl dabei eine Dame alleine gehen zu lassen“, erklärte der gefallene Engel und erhob sich nun, wodurch er aus ihrem Versteck herausragte.

Ruhig trat Koji, dicht gefolgt von den drei Mädchen aus dem Versteck und lief vorsichtig auf die Hütte zu. Er spürte, dass etwas nicht stimmte, denn obwohl er Darens Aura nur zu deutlich wahrnahm und es diesem wohl nicht anders ergehen sollte, verhielt er sich ungewöhnlich ruhig.

„Dieser Oni muss sich seiner Sache wirklich sicher sein. Wir nähern uns ihm und er scheint da drinnen Däumchen drehend auf uns zu warten.“

Koji verstand den Grund für Yukis Gemurre nur zu gut, doch er glaubte, anders als sie, nicht daran, dass sich Daren seiner Sache so sicher war.
 

Mit Schwung trat Chia die Tür ein, als sie bemerkte, dass weder Koji noch Yuki vor hatten sie zu öffnen.

„Sie ist nun offen. Jetzt weiß er sicher, dass wir da sind, als können wir rein“, erklärte sie kühn und betrat die Hütte.

Zweifelnd sahen sich Yuki und Koji an, beschlossen aber der Geiko zu ihrer Sicherheit zu folgen.

„Also, wo ist dieser Oni?“

Suchend sah sich die Gruppe in dem kleinen Raum um. Und schließlich, bei einem Tisch an dem das gesuchte Püppchen saß, sahen sie auch ihn, zusammengesunken vor dem Mädchen hockend.

Langsam ging Koji auf den Oni und das Mädchen zu und besah sich beide ganz genau. Es dauerte aber nicht lange, bis er verstand, was genau los war.

„Deswegen hat er uns nicht bemerkt...“, nuschelte Koji und wandte sich zu seinen Begleiterinnen zu.

„Wir müssen warten. Momentan wäre es alles andere als gut, wenn wir auch nur einen von beiden berühren.“

Fragend sahen die Mädchen den Gefallenen an, der leise seufzte. Er wusste, dass er wohl sein gesamtes Wissen preis geben musste, wenn er wollte, dass sie seine Worte verstanden.

„Daren befindet sich gerade in einer von Erenyas Visionen. Wenn wir jetzt einen von beiden berühren, könnten wir ebenfalls in dieser Vision landen. Das Ende vom Lied wäre, dass es Erenyas Geist überlastet und ihn zerstören würde. Eine Person in ihrer geistigen Ebene ist noch unbedenklich, bei zwein wird es kritisch. Selbst den Geist eines starken, geübten Sehers, würde man schaden, wenn fünf Personen in ihn eindringen.“

Nachdenklich sahen die Mädchen zu Daren und Erenya, die er selbst jetzt, wo sie endlich hier waren, noch als Geisel hielt.

„Dann müssen wir sie nur aus dieser Vision wecken, oder? Ganz einfach. Wo ist da also das Problem?“

Vorsichtig setzte sich Chia in Bewegung und lief auf Erenya, die stumm und starr Daren ansah, zu. Doch bevor sie das Mädchen erreichen konnte, stellte sich Koji mit gezogener Waffe in den Weg und sah sie ernst an.

„Das ist unmöglich. Es gibt nur zwei Wege diese Vision zu beenden. Sie einfach enden zu lassen, oder Erenyas Geist in der Vision zu zerstören. Zweiteres würde sie allerdings umbringen. Wir können also nur abwarten und hoffen das Daren ihrem Geist keinen Schaden zufügt.“

Murrend wandte sich Chia ab und setzte sich auf einen Stuhl, den sie vom Tisch zu sich gezogen hatte. Ihr behagte es nicht auch nur eine Minute zu warten, aber sie wollte das Engelchen auch nicht umbringen. Dafür war sie nicht hergekommen.
 

Minuten verstrichen, in denen die Gruppe schweigend auf den Oni und das Engelchen sahen. Beide hatten noch keinen einzigen Muskel gerührt, so dass es schwer war einzuschätzen, was in Erenyas Vision gerade passierte.

„Sag mal, Koji-kun, woher weißt du eigentlich soviel über die Seher? Oder ist das auch dir bekannt gewesen, Yuki-chan?“

Fragend sah Mizu zu den beiden Engeln, die es lieber bevorzugt hätten weiter zu schweigen, doch scheinbar mussten sie den beiden Menschenmädchen rede und Antwort stehen.

„Mir war das selbst nicht bekannt. Und ich wundere mich ehrlich gesagt auch, woher Koji das weiß. In der Regel können nur jene das wissen, die öfter in der Nähe eines Seher sind. Also, Koji, woher beziehst du diese Informationen?“

Ein schmerzlicher Seufzer entwich Kojis Lippen, als nun auch Yuki ihn fixierte und Antworten forderte. Wie gerne hätte er diesen Teil seiner Vergangenheit weiter verdrängt? Wie gerne hätte er es einfach dabei belassen, dass Yuki eben nicht alles über ihn wusste?

„Ich habe das alles dank Luziel-sama erfahren. Sie war eine Seherin und ich habe sie kennengelernt, als man mich ihr persönlich als Diener unterstellte. Ich hatte viel von den Sehern gehört, von ihrer puppenartigen Erscheinung und war deswegen vollkommen überrascht, als Luziel-sama mich mit einem warmen aufrichtigen Lächeln begrüßt hatte.“

Kurz hielt Koji inne, als er die etwas erbosten Blicke Yukis auf sich spürte. Ihm war klar, dass auch ihr der Name Luziel ein Begriff war.

„Luziel ist also die Frau, der du dein Herz geschenkt hast?“, fragte Yuki und verschränkte die Arme.

Selbst Mizu, die Luziel nicht einmal kannte, verstand, dass sie wohl etwas besonderes gewesen sein musste, wenn Yuki schon so wütend reagierte. Die Frage war nur, warum es den Schneeengel so dermaßen verärgerte.

„Genau. Als ihr Wächter verbrachte ich, neben meiner eigentlichen Aufgabe, viel Zeit mit ihr. Ich habe viele ihrer Visionen gehört und ein paar Mal hat sie mir diese gezeigt. Ich sah, was sie quälte, was sie zum Weinen brachte und dieses Wissen brach mir fast schon das Herz. Und obwohl ich es kaum aushielt, war Luziel-sama so stark, dass sie hinterher immer lächeln konnte, trotz dieser grausigen Erinnerungen.“

„Moment! Ich will es nur besser verstehen. Seher können sich an ihre Visionen erinnern und diese Frau lächelte, obwohl sie das ganze Leid gesehen hat?“

Erschrocken zuckte Koji zusammen, als er Chia, die sich plötzlich in diese Unterhaltung einklinkte, vernahm.

„Nein. Eigentlich waren nur Luziel-sama und der allererste Seher in der Lage sich daran zu erinnern. Seher wechseln bei einer Vision in eine Art Schutzpersönlichkeit. Wenn sie aus dieser erwachen, haben sie jedes Bild ihrer Vision vergessen. Deswegen ist es auch so wichtig, dass jemand in ihrer Gegenwart ist und die Vision hören kann, damit sie nicht verloren geht. Luziel-sama hingegen wechselte nie zu dieser Schutzpersönlichkeit. Sie konnte auch auf Befehl Visionen empfangen. Deswegen galt sie als wertvollster Schatz und wurde Tag und Nacht bewacht. Sie war als eine der wenigen stark genug, um das Leid der Welt bewusst und unbewusst zu verarbeiten, nicht wie andere Seher, die trotz ihrer Schutzpersönlichkeit dem Wahnsinn verfielen oder starben.

Luziel-sama war anders. Einzigartig und ich hatte mich in sie verliebt, weswegen ich eine folgen schwere Entscheidung traf. Ohne über irgendwelche Konsequenzen nachzudenken, sammelte ich ein paar meiner treusten Freunde und plante den Diebstahl des wertvollsten Schatzes unserer Heimat.

Doch wie sind gescheitert und allesamt stigmatisiert auf die Erde verbannt worden.“

Ruhig hatten die Mädchen dem Gefallenen zugehört, der mit traurigen Blick aus dem Fenster sah und noch in den Gefühlen seiner traurigen Vergangenheit schwelgte.

„Und diese Luziel? Was ist mit ihr passiert?“, fragte Chia schließlich.

Wenn sie schon zum Warten verdammt waren, wollte sie wenigstens etwas unterhalten werden, auch wenn sie dafür den Geschichten des fedrigen Volkes lauschen musste.

„Ich weiß es nicht. Alles was ich erfahren habe ist, dass sie starb“, erklärte der Rotschopf fast schon wehmütig.

„Ermordet trifft es wohl eher.“

Verwundert sah Koji zu Yuki, die ruhig und gelassen auf ihrem Stuhl saß und scheinbar zu wissen schien, was mit seiner geliebten Luziel passiert war. Dem Schneeengel blieb auch nicht verborgen, dass man sie erwartungsvoll anstarrte, weswegen sie tief Luft holte, als würde das nun eine lange Geschichte werden.

„Ist ja gut. Ich hab davon über ein paar Ecken und Kanten erfahren. Luziel hatte wohl ihren Dienst als Seherin nur getan, weil man ihr versprochen hatte, dass sie ab und an ihre Tochter sehen dürfe. Doch man hat sie nur vertröstet, weil sie nicht wollten, dass ihr wertvoller Schatz von der Folterung der Tochter erfuhr, oder das sie rausbekam, dass man eine Puppe aus ihr machte. Irgendwann hielt es Luziel aber nicht mehr aus und schlich sich in den Garten ihrer Tochter. Allerdings verstieß sie damit gegen die ihr auferlegten Regeln und unterschrieb damit ihr Todesurteil. Man hatte sie entdeckt und vor den Augen der eigenen Tochter, die sie nicht einmal mehr als ihre Mutter erkannt hat, umgebracht.“

Mit jedem Wort das gesprochen wurde, weiteten sich Kojis Augen mehr. Bisher hatte er immer geglaubt, dass seine geliebte Luziel eines natürlichen Todes gestorben war. Doch die nun bittere Wahrheit schmerzte ihn noch mehr.

„Sie hatte eine Tochter? Lebt sie noch?“

Hoffnungsvoll sah Koji den Schneeengel an. Er hoffte, dass wenigstens ein Teil seiner Luziel noch lebte.

„Luziels Tochter ist die letzte Seherin. Demnach solltest du wissen, ob sie noch lebt, oder nicht“, erklärte Yuki und ließ ihren Blick dabei zu Erenya gleiten.

Jeder verstand, was der Schneeengel damit meinte, doch Koji war der einzige, der verstand, was dies für ihn bedeutete und dass man ihn erneut zu einer Marionette gemacht hatte.
 

Langsam war Daren seinem kleinen Ich nachgelaufen und hoffte, dass dieser Alptraum endlich enden würde, wenn er durch diese Tür ging. Kurz hielt er zweifelnd bei der Tür inne und starrte auf die Maserung, die ihn selbst heute noch so vertraut wie damals in seiner Kindheit war. Ungewohnt unruhig hob der Oni seine Hand und legte sie auf das Holz, dass sich unter seinen Fingern so real anfühlte.

'Was soll das? Ist das ein Traum? Ist das Realität? Was ist das hier?'

Zögernd schob Daren die Tür auf und verließ das Gebäude, welches sich wie ein Traumgebilde auflöste, als er vollständig hinaus getreten war.

Noch verwirrter als zuvor, sah sich Daren um, doch er stand hier auf einem offenen Feld, was ihn erkennen ließ, dass er nicht länger im Onidorf war.

„Baba-san, warum müssen wir weg? Wenn Mama und Papa aufwachen wird alles wieder gut.“

Erschrocken wandte sich Daren in die Richtung, aus der er eindeutig die Stimme seiner Vergangenheit und knarrende Wagenräder hörte. Und nicht unweit von ihm, kam eine Gruppe Onis in Menschengestalt auf ihm zu. Ihr weniges Hab und Gut hatten sie zu den Kindern und Alten in die Wagen gepackt, die sie nun über das offene Feld, dass nicht weit von ihrer Heimat entfernt war, zogen.

„Wir sind in unserer Heimat nicht mehr sicher, kleiner Oni-Prinz des Nordens. Wir gehen deswegen dahin, wo man uns Zuflucht und Schutz gewährt. Weit im Westen, liegt der mächtige Kazama-Clan. Niemand, nicht einmal die bösen Engel trauen sich in ihre Nähe.“

Mit aller Geduld, die der alte Diener von Darens Familie aufbringen konnte, erklärte er dem jungen Oni, was ihr Pläne waren. Er wollte den Jungen, der seit dem Morgen nur von seinen Eltern sprach und noch nicht verstand, dass diese nicht mehr unter ihnen weilten, etwas von diesen Gedanken ablenken.

„Baba-san! Sie sind hier!“

Unruhe machte sich unter den Reisenden breit und selbst Baba brauchte keine weiteren Worte hören, um zu wissen wieso. Er spürte die Gefahr nur zu deutlich.

„Nehmt euch die Kleinen und lauft! Sucht euch sichere Verstecke und schlagt euch bis zu Kazama-dono vor! Alle von uns können sie nicht umbringen!“

Ohne lange zu zögern, schnappte sich Baba den kleinen Daren und reichte ihn an einen jungen Mann weiter. Von der Panik um sich herum ergriffen, drückte sich der Junge Schutz suchend an den Mann, der sich orientierungslos in Bewegung setzte.

Schreie übertönten die Stille des offenen Feldes und wie der Duft eines aufblühenden Blumenmeeres, verteilte sich das feine Aroma sterbender Onis.

Fest drückte der junge Man Darens Kopf an seine Brust. Er wusste, dass die Abschlachtung begonnen hatte und er wollte nicht, dass der Junge es mit ansehen musste.
 

Fest drückte sich Daren an den jungen Mann, der sich mit ihm bis zu einem seicht fließenden Fluss am Wegrand vorgeschlagen hatte.

Sowohl der Duft des Blutes, als auch die Schreie waren verschwunden und gaben dem Jungen irgendwie ein Gefühl der Sicherheit.

„Ich habe Durst...“, nuschelte der Junge, als er lauschte und das monotone Rauschen des Flusses vernahm.

Es war fast so, als hätte das Rauschen die Arbeit der Sirenen übernommen, denn es lockte den Jungen, dessen Kehle immer trockener wurde, verführerisch an.

Unsicher sah sich der junge Mann um, nickte aber schließlich und ließ den Kleinen runter, der sofort zum Flussbett rannte und mit seinen Händen eine Schale formte, die er mit dem klaren Wasser füllte. Erst als seine kleinen Hände gefüllt waren, setzte er sie sich an die Lippen und stürzte das wohltuende Nass seine Kehle runter.

Ein zweites Mal hielt er seine Hände ins Wasser und füllte sie mit dem erfrischenden Lebenselixier, doch anders als beim ersten Mal, war das Wasser nicht mehr so rein. Hauchzart umspielte ein rosafarbener Schimmer die Flüssigkeit und ließ Daren in Ehrfurcht erstarren. Vorsichtig sag der Junge neben sich, wo ein kleines rotes Rinnsal, sich mit dem reinen Fluss vereinte.

„Ist das Wasser gut?“

Die Augen des Jungen weiteten sich, als ein Schatten neben ihm erschien, kaum dass die sanfte Stimme einer Frau erklungen war.

„Es ist kühl...“, nuschelte der Junge als Antwort und blickte zu der weißhaarigen Frau auf, die soeben in das rote Rinnsal neben ihm getreten war.

Ruhig bückte sie sich und ließ ihre zierliche Hand ins kühle Nass gleiten.

„Bringst du mich nun auch um, Engel-Tante?“, fragte er und sah in die traurig drein blickenden, blauen Augen der Engelsdame.

„Du bist ein schlauer Bursche. Wie alt bist du?“

Ohne das Kind neben sich anzusehen, zeichnete der weiße Engel mit seinen Fingern kleine Kreise ins Wasser.

„Ich werde schon sechs! Du hast aber meine Frage nicht beantwortet. Bringst du mich jetzt auch um?“

Abwartend sah Daren zu der Frau, die nachdenklich ins Wasser sah.

„Sechs also... Dann bist du ja schon groß genug, um für dich alleine sorgen zu können, oder?“, flüsterte der Engel gedankenverloren.

Daren verstand nicht ganz, was sie meinte und dennoch nickte er. Vieles hatte er von seinem Vater gelernt und einiges davon konnte er mit Sicherheit benutzen um auch auf eigenen Beinen stehen zu können.

„Pass auf dich auf, kleiner Oni. Wenn das Schicksal deinen Tod will, so wird es dich dahin führen. Durch meine Hand, ist er dir nicht bestimmt.“

Sanft wuschelte der weiße Engel Daren durchs Haar, der leicht angewidert das Gesicht verzog. Dennoch wandte er seinen Blick nicht von der Frau ab, die sich erhob und langsam in die Richtung ging, aus der Daren mit dem jungen Mann gekommen war.

„Warte, Engel-Tante! Wie heißt du?“

Daren wusste nicht wieso, aber ein Reflex zwang ihn dazu, den fremden Engel nach seinem Namen zu fragen. Dieser blieb auch stehen und sich noch einmal lächelnd zu ihm um.

„Ich trage den Namen des Schnees. Yuki.“

Staunend weiteten sich Darens Augen, als er sah, wie die Frau ihre schneeweißen Flügel ausbreite und sanft wie eine Schneeflocke gen Himmel flog.
 

Leise summend saß Natsu auf einer Stufe, die tiefer in das Hauptquartier der umbenannten Roshigumi führte. Leicht wippte das Fuchsmädchen mir ihren Beinen im Takt des Liedes, während sie darauf wartete, dass die von ihr geforderte Person erschien.

„Du bist es?“

Obwohl Natsu nur die Stimme des jungen Kriegers gehört hatte, schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Sie hatte zwar nicht mit ihm gerechnet, aber dennoch freute sie sich, dass der junge Krieger hier war.

„Heisuke-san! Es freut mich, dass wir uns wiedersehen, auch wenn ich eigentlich auf jemand anderen warte“, erklärte Natsu ohne den jungen Krieger anzusehen.

Sie befürchtete, dass sie dem Jungen wieder um den Hals fallen und das kein gutes Licht auf sie werfen würde, wenn der geforderte Krieger auftauchte.

„Du meinst Sano-san? Er ist auch hier.“

Verwundert sah Natsu zu den beiden Männern auf und erkannte, neben ihren Lieblingskrieger auch jenen, für den Yukis Botschaft war.

„Das ist also das niedliche Mädchen von dem Shinpachi mir erzählt hat? Du hast wirklich einen guten Fang gemacht Heisuke!“, lachte Harada und wuschelte seinem Freund durchs Haar.

Murrend wehrte sich Heisuke gegen die Berührung und entfernte sich von dem Krieger, der wie schon Shinpachi scherze auf seine Kosten machte.

„Das ist jetzt unwichtig, Sano-san! Sie ist sicher nicht hier, um dir zuzusehen, wie du dich über mich lustig machst!“, murrte Heisuke und richtete sich seine Frisur wieder.

„Genau! Ich habe eine ganz wichtige Nachricht für Harada Sanosuke von der Shinsengumi. Es geht um das Versteck von Erenyas Entführer.“

Kaum das Natsu den Namen des gesuchten Engels erwähnt hatte, schwand das Lächeln in Haradas Gesicht. Ernst sah er das Kitsunemädchen an, dass sich erhob und nun an Heisuke klammerte, als brauche sie seine Hilfe um stehen zu können.

„Wo ist sie?“, fragte Harada schließlich ohne Natsu aus den Augen zu lassen.

„Im Norden von Kyoto gibt es einen Wald. In diesem steht neben einem Kirschbaum eine Hütte. Dort soll sich laut Yukis Informationen Erenya und ihr Entführer befinden.“

Kaum, dass Natsus Stimme verklungen war und Harada alle wichtigen Informationen erhalten hatte, wandte er sich von dem jungen Krieger und der Kitsune ab, um schnell zu seinem Zimmer zu laufen.

„O-Oi! Sano-san, warte!“

Als Heisuke merkte, was er vor hatte, wollte er sofort seinem Freund nachlaufen, doch Natsu hielt ihn mit einem Lächeln fest.

„Nicht gehen, Heisuke-san. Yuki meint, dass ihr anderen nur im Weg wärt. Und deswegen bin ich hier. Ich soll euch... Wie hat Yuki es gleich genannt? Ah genau, ich soll euch beschäftigen und in Schach halten.“

Fest drückte sich Natsu den jungen Krieger, der schlagartig errötete. Sicher war Yukis Aufforderungen die anderen Mitglieder der Shinsengumi in Schatz zu halten anders gemeint gewesen, aber auf ihre Weise hatte das Fuchsmädchen doch Erfolg.
 

Stumm starrte Daren auf das Gras unter sich, das sich langsam auflöste. Wütend vergrub er seine Hände im Dreck und warf diesen in das Bild des brennenden Dorfes.

„Lass mich gehen! Lass mich gehen! Ich kann nicht mehr!“, schrie der gen Himmel gewandt, ohne überhaupt zu wissen, wen er da anschrie.

Brennt, ihr Ketzer!“

Fragend sah Daren auf, als er seine Stimme hörte, die wie ein Donner widerhallte. Es war ihm wohl vertraute Worte und doch konnte er sich nicht daran erinnern sie laut ausgesprochen zu haben.

Doch gerade eben hatte er sie klar und deutlich wahrgenommen. Und nicht unweit von sich entfernt, sah er sein Ebenbild, das sein blutgetränktes Schwert erhob und auf einen weiteren Dorfbewohner niedersausen ließ.

Sterbt, ihr Maden!“

Erneut erklang die Stimme von Darens Ebenbild, doch anders als beim ersten Mal, sah er deutlich, dass seine Lippen sich nicht bewegt hatten.

'Höre ich da meine Gedanken?', fragte sich der Oni.

Doch reichlich schnell wurde seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt.

Langsam wandte sich Daren zu dem Gestrüpp um, aus dem er ein knacksen vernommen hatte. Und dort sah er sie, Akazumi, die erstarrt vor Angst zurückwich.

Er wusste wie sich fühlen musste, immerhin hatte er genauso empfunden, als er erfahren hatte, dass man seine Landsleute ausgelöscht hatte. Sie sah ebenfalls alles, was sie an ihre Heimat erinnerte, in Flammen aufgehen.

'Akazumi...'

Schnell rappelte sich Daren auf, als das Ninjamädchen zurück in den Wald, zu seinem Heimatdorf lief.
 

Atemlos stand Daren in seinem Dorf. Das Unkraut überwucherte die selbst angelegten Felder der Bewohner und an den Türen und Wänden der Häuser klebte grünes Moos, dass sich wie eine Krankheit über das Dorf verbreitete.

Irgendwo am anderen Ende dieser zerfallenen Idylle, hingen die Mörder seiner Eltern. Und wahrscheinlich war irgendwo dort in der Nähe Akazumi, die schon die ersten Strahlen der Sonne sehnsüchtig erwartete.

'Gleich ist es soweit', dachte er und setzte sich in Bewegung.

Er erinnerte sich noch genau daran, wo er gestanden und Akazumi im Gebüsch gesehen hatte.

Langsam näherte sich Daren dem Standpunkt seines Ebenbildes und wie in seinen Erinnerungen, starrte dieses in seiner Oniform zum Gebüsch, wo Akazumi mit großer Sicherheit um ihr Leben bangte.

Und ich dachte schon, die Flammen haben dich gefressen, Kleines.“

Ein böses Grinsen zog sich über sein Gesicht, als er sich von ihr abwandte und langsamen Schrittes die alte Heimat verlassen wollte.

„Jetzt sind wir quitt“, sagte er, doch Daren hörte mehr als diese Worte und griff sich beschämt an den Kopf.

Genauso, wie deine Eltern es sich gewünscht habe.“

Fassungslos sank der echte Daren auf die Knie und starrte ins Gras, das immer dunkler wurde.

'So sehr habe ich mich also verändert... Ich hatte sie doch verschonen wollen, weil sie meine Freundin war... habe ich das wirklich... vergessen?'

Einen kurzen Augenblick lang blieb Darens Atem stehen. Sein Herz hörte auf zu schlagen, doch sein Bewusstsein kämpfte darum am Leben zu bleiben.

Es war ein kurzer Kampf, den Daren mit einem tiefen Atemzug, der ihn in die Wirklichkeit zurückbrachte, gewann.

„Willkommen zurück, Oni.“
 

Noch etwas geistesabwesend, sah Daren von einem Gesicht zum anderen. Er kannte diese Personen und er wusste auch, was sie hier von ihm wollte. Woher sie aber sein Versteck kannten, war ihm schleierhaft.

„Ich hoffe dir hat gefallen was du gesehen hast, Oni. Es werden die letzten Bilder deines Lebens gewesen sein!“, knurrte Koji und richtete sein Schwert auf den Oni, der noch kurz versuchte sich zu orientieren.

„Du bist es, Prediger. Welch Ironie, dass ausgerechnet du nun bei der Armee der Gefallenen bist.“

Ruhig erhob sich Daren und sah zu Erenya, die wieder apathisch aus dem Fenster sag,

„Du hast sie gegen meine Familie aufgehetzt, Prediger. Den letzten von uns, wirst du nicht auch noch bekommen!“

Wütend griff Daren zur Klinge von Kojis Schwert. Ihm war egal, dass er sich verletzte, denn die Schnitte würden sowieso heilen. Anders als die Verletzungen in seinem Herzen.

„Eher noch wird die Seherin sterben!“

Mit ganzer Kraft zog Daren an Kojis Schwert und schleuderte den Gefallenen gegen die Wand. Ohne Umschweife, schulterte er sich die Seherin auf und lief zur Tür, doch Yuki stellte sich ihm in den Weg, während die anderen beiden Mädchen ihn umzingelten.

„Lass Erenya los, dann verschonen wir dich!“

Obwohl es scheinbar keinen Ausweg gab, zumindest versuchte Yuki ihm das klar zu machen, zog Daren sein Schwert und richtete die Klinge auf Erenya.

„Vielleicht verschone ich ja euch... also lasst mich durch, oder ihr Blut wird dein weißes Haupt schmücken.“

Ruhig aber ernst sahen Yuki und Daren einander in die Augen. Der Oni meinte es ernst und der Schneeengel verstand das, denn in seinen Augen sah sie die Zeichen, die ihr sagten, dass er im Gegensatz zu ihnen, nichts mehr zu verlieren hatte.

Widerwillig ging Yuki ihm aus dem Weg und sah zu, wie er die Hütte vollkommen unbeschadet mit seiner Geisel verließ.

Die einzige Blume im Garten

Fassungslos sahen Chia und Mizu zu Yuki, die besorgt zu Koji ging, der sich langsam wieder aufrichtete.

„Warum, Yuki? Warum hast du ihn fliehen lassen?“ Mit schmerzverzerrten Gesicht sprach Koji das aus, was auch die beiden Mädchen gedacht hatten. Und kaum, dass die Frage ausgesprochen war, verfinsterte sich Yukis Blick.

„Weil er Erenya nicht mehr braucht. Er war bereit sie loszuwerden, denn er hat nichts mehr zu verlieren. Was immer er auch gesehen hat, er ahnt, dass es für ihn keine Zukunft gibt. Und doch greift er nach jedem Strohhalm, um das zu ändern. Selbst wenn er dafür Erenya opfern muss.“

Schweigend sahen sich die beiden Menschenmädchen an, die scheinbar verstanden, was in dem Oni vor sich ging. Im Prinzip verstand jeder, was er wohl in diesem Moment fühlte und dachte. Chia und Mizu hatten in ihrer Kindheit so gefühlt und Yuki und Koji, als sie dem Himmelsreich seinen Schatz gestohlen hatten.

„Dann sollten wir ihm nach. Im Gegensatz zu ihm haben wir was zu verlieren. Und dieses Mal lassen wir ihn nicht einfach zurück.“ Ernst nickte die Gruppe auf Mizus Worte hin. Nur Yuki schien abwesend, denn ihr Blick glitt suchend durch das Zimmer. Sie spürte etwas. Etwas Vertrautes und Schönes. Ja, es war hier. Und schließlich, als es ihr klar wurde, dass es hier war, fand sie es. Ihr Schwert.

Zielsicher lief sie auf die Ecke zu, in der es ruhte und streckte die Hand nach dem Griff aus. Sie war wieder vollständig, was ihr nur deutlich sagte, dass sie auch Erenya zurückerobern würden.
 

Noch immer hielt Daren Erenya auf seinen Schultern und lief, noch erschöpft von der mentalen Reise in seine Vergangenheit, ziellos durch den naheliegenden Wald. Mit jedem Schritt den er tat, wurde das Schwert in seiner Hand schwerer, bis er schließlich bei einer Lichtung mitsamt dem Puppenmädchen ins sterbende Gras fiel.

Kurz blieb er liegen und sah auf die braun werdenden Halme, die schon den kalten Winter ankündigten. Es würde wieder ein Winter werden, an dem er allein war. Ohne Eltern, ohne Freunde, ohne irgendwem.

„Sterben...“

Verwundert sah Daren zu dem Puppenmädchen auf, dass nun doch wieder die Stimme erhob und scheinbar eine Vision verkünden wollte. Es war ihm egal. Diese verfluchte Puppe hatte ihm erst klar gemacht, wie wertlos sein Leben aufgrund all seiner Fehler geworden war.

„Sei ruhig... Niemand will hören, was du siehst. Ersticke an deinen Worten.“ Hasserfüllt spuckte er dem Mädchen die Worte entgegen und erhob sich vom Boden. Sollten die Wölfe sie doch fressen. Er würde nun von hier verschwinden und sein Leben ordnen. Was aus dem Puppenmädchen wurde, war ihm egal.

„Der letzte Oni des Nordens... stirbt mit der Liebe im Arm... Ein letzter Atemzug... in der Heimat... vor dem ersten Schnee.“

Abrupt hielt Daren in seiner Bewegung inne, als das Mädchen ihre Vision verkündet hatte. Auch wenn es ihn nicht interessiert hatte, konnte Daren nicht anders, als zuzuhören. Dieses Mal waren ihre Worte immerhin eindeutig. Er würde sterben wenn er nichts unternahm.
 

„Wir kommen ihm näher! Ich kann ihn immer deutlicher spüren.“

Ernst nickte Yuki Koji zu. Sie wusste, was er meinte, denn auch sie fühlte den Oni mit seiner Präsenz immer deutlicher.

Ihre Schritte beschleunigten sich, denn viel Zeit hatten sie nicht mehr und da konnten sie auch nicht auf die zwei Menschenmädchen hinter sich achten.

„Wir gehen vor!“, rief Yuki ihnen zu und sah kurz nach hinten, um zu sehen, ob die Mädchen auch einverstanden waren. Sie glaubte ein Nicken von Beiden zu sehen, weswegen sie ein letztes Mal das Tempo erhöhte, bis sie schließlich zusammen mit Koji aus dem Sichtfeld der Mädchen verschwand.
 

Gerade rechtzeitig fanden Koji und Yuki die Lichtung, auf der Erenya und Daren sich befanden. Daren hatte Erenya vom Boden erhoben und seine rauen Hände um ihren dünnen Hals gelegt. Seine Wut konnten die beiden Engel deutlich in seinen gelben Augen sehen, die auf dem Puppenmädchen gerichtet waren, dessen weißes Haar ihr ins Gesicht hing.

„Stirb... Stirb endlich! Deine Existenz bringt nur Unglück!“

Vollkommen auf Erenya fixiert, die er mit aller Macht würgte, bemerkte Daren nicht, dass die zwei ihm zugelaufen kamen. Erst als eine Klinge auf ihn zuraste, ließ er von dem Puppenmädchen ab, dass zu Boden fiel und starr ins Gras sah.

„Fass sie nicht an!“ Bedrohlich funkelte Koji, der sich schützend vor Erenya gestellt hatte, den Oni an, der sich seufzend durchs weiße Haar strich.

„Prediger... Du schon wieder.“

Fragend hob Koji eine Augenbraue hoch. Prediger, so hatte man ihn schon lange nicht mehr genannt. Noch dazu konnte er sich nicht daran erinnern, diesem Oni schon einmal gegenüber gestanden zu haben. Doch scheinbar kannte Daren ihn, die Frage war nur woher?

„Wegen dir musste mein Volk sterben, Prediger.“

Vergessen waren Erenyas Worte. Vergessen war, dass der Tod seine Zukunft war. In diesem Moment gab es nur seinen Rachedurst den er stillen wollte.

Kampfbereit zog Daren sein Schwert ohne Koji auch nur einen Augenblick aus den Augen zu lassen. Er wollte heute ein für allemal mit seiner Vergangenheit abschließen.

„Heute wirst du sterben, Prediger!“

Ohne länger zu zögern, stieß sich der Oni vom Boden ab und lief auf den Gefallenen zu, der in die Verteidigungsposition wechselte und sich für einen Angriff der unmenschlicheren Art bereit machte. Onis und Menschen sahen sich zwar ähnlich, aber wenn es um die rein körperliche Stärke ging, waren sie so verschieden wie Tag und Nacht. Es war diese Regel, die Daren nur zu deutlich demonstrierte, als er sein Schwert niedersausen ließ und das Metall der Klingen geräuschvoll aufeinander prallte.

Verbissen und mit aller Kraft drückte Daren mit seinen Gewicht und der Kraft seines Schwungs gegen die Klinge des Gefallenen, der es wahrlich nicht leicht hatte gegen ihn stand zu halten.

„Yuki...“

Aus dem Augenwinkel heraus spähte der Gefallene zu dem Schneeengel, der vorsichtig eine Haarsträhne aus Erenyas Gesicht strich. Ihre Augen waren noch lilafarben.

„Bring sie weg!“, keuchte er und stieß nun mit aller Kraft Daren von sich weg. Dem Gefallenen war klar, dass er Yuki etwas zeit verschaffen musste, wenn sie das Mädchen retten wollten. Vor allem jetzt, da scheinbar er das Ziel des Onis war.

„Yuki?“ Obwohl der Oni gerade zu nächsten Angriff über gehen wollte, hielt er inne, als er den Namen des Schneeengels hörte. Wie erstarrt blieb er stehen mit seinem Blick auf das Mädchen gebannt, das neben Erenya hockte.

Sie hatte sich kein bisschen verändert und doch hatte sie etwas von dem Glanz ihrer Vergangenheit eingebüßt. Ihre Aura war fast identisch mit der des Predigers.

„Ich bin dein Gegner!“ Von der Stimme des Predigers seinen Gedanken gerissen, bemerkte Daren wie dieser zum Schlag ausholte. Im letzten Augenblick konnte er diesen abwehren, indem er sein Schwert schwang und die Klingen erneut aufeinander schlugen.
 

Mit aller Kraft, die Yuki aufbringen konnte, hob sie Erenyas Oberkörper etwas an und schleifte sie zu einem Baum, der weiter von den kämpfenden Männern entfernt war.

Besorgt sah sie zu dem Puppenmädchen, dass starr und leblos vor sich hinblickte und scheinbar keine Sekunde daran dachte, in was für einer Gefahr sie sich befand. Yuki hingegen wusste, es sehr genau, als sie zu Koji und dem Oni sah. Ihr langjähriger Freund war bereits in den stärkenden Kampfmodus gewechselt. Das erkannte sie an seinem weiß entfärbten Haar und den orange glühenden Augen. Doch noch immer hatte er Mühe dem Oni Paroli zu bieten. Dieser hatte immer noch seine menschliche Form und wich Koji genauso schnell uns grazil aus, wie er angriff.

„Warte hier auf mich, Erenya“, wisperte sie leise und erhob sich vom Boden. Es war eindeutig, dass Koji alleine chancenlos gegen den Oni war. Zu zweit konnten sie es aber vielleicht schaffen.

Langsam, mit der Hand auf dem Griff ihres Schwertes, näherte sich Yuki den Kämpfenden. Sie musste ruhig und besonnen bleiben. Und vor allem leise, denn selbst wenn es unrühmlich war, so konnten sie den Oni wohl nur mit unfairen Mitteln aufhalten.

„Da sind sie!“ Ein Schrei, jenen gleichend wie die der kampfwütigen Amazonen, schallte über das Schlachtfeld und ließ die Kämpfenden in ihrem tun inne halten.

Ungestüm und todesmutig lief die Geiko erhobenen Schwertes auf den Oni zu, der sie nur verwundert ansah. Fast schon zu spät realisierte er, dass dies ein Angriff war, weswegen sich ein feiner roter Schnitt über seine Wange zog, als er im letzten Augenblick ausgewichen war.

Fast schon ungläubig hob der Oni seine Hand und strich sich das rote Blut weg, dass er fassungslos ansah. Zu lange schon hatte seinen Körper kein Tropfen dieser roten Flüssigkeit verlassen. Es war seltsam, denn er verspürte keinen Schmerz, was vielleicht daran lag, dass dieser kleine Kratzer bereits verheilt war.

„Du...“, setzte er ungläubig an und starrte auf die Geiko, die bereits zum nächsten Schlag ausholte. „Du niederer Mensch!“
 

Chias Schwachpunkt war ihre Verteidigung. Mizu wusste das nur zu genau. Vor allem jetzt, da die Geiko dabei war einen Angriff auszuführen, war sie ohne Deckung. Der Oni war viel schneller als die Wächterin Shimabaras, weswegen Mizu entschied einzugreifen. So wie sie es auch in den guten alten Zeiten getan hatte.

Schützend hatte die Klinge von Mizus Schwert ihren Weg zwischen Darens Katana und Chias ungeschützter Seite gefunden.

„Pass auf was du sagst, Oni.“ Mit aller Kraft, die Mizu aufbringen konnte, stieß sie den Oni zurück, den Schmerz der noch von ihren Verletzungen herführte, ignorierend.

Überfordert sah sich der Oni nun um. Hier standen drei kampfbereite Gegner. Selbst er konnte nicht mehr leugnen, dass er nun etwas in Bedrängnis war.

'Zwei Menschenmädchen, scheinbar kampferfahren. Mit dem Blick eines Kriegers, der bereit ist zu sterben. Ein gefallener Prediger, der seine menschliche Form abgelegt hat. Zwar ist er kein Gegner für mich, aber... wenn der andere Engel sich noch einmischt...' Sein Blick glitt zu Yuki, die ihr Schwert bereits gezogen hatte und sich ihm und den anderen mit jedem Schritt näherte. 'Falsch... Sie wird sich einmischen... Vier gegen einen... Verdammtes Engelspack.' Er erkannte, dass er nun ein Problem hatte, zumindest wenn er diese Gestalt aufrecht erhielt. Es gab nur eine Chance für ihn.

„Hier spielt die Musik!“ Erneut erklang der Kampfschrei der Amazone aus Shimabara, die wieder zum Angriff blies. Doch dieses Mal war sie nicht alleine, denn auch die Samuraitochter und der ehemalige Prediger ergriffen die Initiative.

Behände wie eine Katze stieß sich Daren vom Boden ab und kam auf den drei gekreuzten Klingen, die für seinen Körper bestimmt waren zum stehen. Mit seinen gelben Augen fixierte er seine Gegner, die ihn anstarrten, als würden sie ein Monster sehen. Ihm waren diese Blicke vertraut. In seiner Kindheit, hatte er sie häufiger wegen seines Hörnchen in Verbindung mit den gelben Augen und den schneeweißen Haar ertragen müssen. Es waren diese Blicke, die ihn wütend machten. Doch heute, würde ihm diese Wut recht dienlich sein, denn sie gab ihm die Kraft, die er für seinen Sieg brauchte.

„Ihr Maden! Glaubt ihr wirklich, dass eure Klingen mir schaden können? Ein Kratzer wird verheilen, als hätte es ihn nie gegeben. Zu mehr werdet ihr somit nicht fähig sein.“ Erneut stieß sich Daren von dem Grund unter seinen Füßen ab, um sich dieses Mal von der Gruppe zu entfernen.

„Das trifft auf ihre Klingen zu, aber nicht auf meine!“

Er hatte sie diesen einen Augenblick nur vollkommen vergessen. Yuki, den Engel, der ihn, warum auch immer, in der Vergangenheit verschont hatte. Doch dieses Mal würde sie das nicht tun. Das verstand er nur zu deutlich, als er sich zu ihr umwandte und die Klinge ihrer himmlischen Waffe über seine Brust schnitt und dieser süßliche Schmerz ihn erfüllte. Doch dieses Mal ließ der Schmerz nicht nach, genauso wie die Blutung nicht stoppte.
 

Aufmerksam beobachtete Yuki den Oni, der sie fast schon mit einem leidgeplagten Gesicht ansah. Sie hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass er trotz seiner Verletzung so ruhig blieb. Er war der erste Gegner, den sie nicht einschätzen konnte, von dm ihr nicht klar war, was er als nächstes tun würde.

„Ich habe nicht vor gegen dich zu kämpfen...“

Trotz seiner Verletzung, die nicht zu verheilen schien, richtete sich der Oni auf und umklammerte sein Schwert. Seine Lage schien aussichtslos, immerhin hatte er es mit vier Gegnern zu tun, von denen einer ihn wirklich schwer verletzen konnte.

Suchend glitt sein Blick durch die Umgebung, während er Yuki weiterhin aufmerksam beobachtete. Irgendwas in seiner Umgebung musste ihm doch helfen lebend hier herauszukommen. Und schließlich fiel sein Blick auf etwas, dass ihn wirklich retten konnte.

Er wusste, dass er sich nun keinen Fehler erlauben durfte, sonst war er verloren. Ernst fixierte er Yuki und tarnte seine Pläne mit einem siegessicheren Lächeln.

„Ich habe nicht vor gegen dich zu kämpfen, aber wenn du es dir so sehr wünschst durch meine Klinge zu sterben...“ Yuki hatte seine Worte kaum vernommen und realisiert, als Daren sein Schwert erhob und zum Angriff auf den gefallenen Schneeengel ausholte.

Yuki fehlte die Zeit um ihre Waffe zu erheben und seinen Schlag zu parieren, weswegen ihr nur die Chance blieb sich unter seinen Schlag wegzuducken.

Er hatte darauf gehofft, weswegen er seine Chance wahrnahm und zu dem Baum lief, an dem Erenya gelehnt saß und stumm vor sich hinstarrte.

'Sie ist nur noch einen Schritt von mir entfernt!'
 

Mizu sah, was Daren vor hatte und stürmte sie schnell sie trotz ihrer noch nicht ganz so wiederhergestellten Kräfte zu Erenya. Ihr gelang es auch tatsächlich, schneller zu sein und sich zwischen den Oni und seiner Beute aufzubauen.

„Nur über meine Leiche!“, schrie die Kriegerstochter und erhob ihr Schwert. Sie war bereit Erenya zu beschützen. Noch einmal sollte dieser Oni nicht mit ihr fliehen können. Nicht, wenn sie es verhindern konnte.

„Dafür kann ich sorgen!“ Zu allem bereit, holte Daren aus. Zum Spielen hatte er keine Zeit.

Mit ganzer Kraft ließ er sein Schwert auf die Kriegerin niedersausen. Hinter sich hörte er schon die Verstärkung anrücken. Es musste also schnell gehen.

Konzentriert sah er auf das Mädchen vor sich, das ihre Waffe eisern umklammerte, ihn parierte und seiner Kraft dennoch leicht nachgab. Ihr schmerzverzerrtes Gesicht signalisierte ihm, wie viel Mühe sie hatte ihm stand zu halten. Er wusste, dass sie verlieren würde, genauso wie sie es wusste.

Wider aller Erwartungen, war sie doch nicht nicht bei vollen Kräften, dank des etwas erhöhten Blutverlustes, der ihr vor einigen Tagen widerfahren war. Wahrscheinlich war es an sich schon ein Wunder, dass sie noch stehen und kämpfen konnte, doch gegen Daren erkannte sie, wie niedrig ihre Grenze noch war.

Und schließlich gaben ihre Beine nach. Sie konnte seinem Angriff nicht länger stand halten. Von der gewaltigen Restwucht getroffen, wurde Mizu auf den Boden der grausamen Wahrheit zurückgeschleudert. Ihr fehlte die Kraft sich zu erheben, oder auch nur nach ihrem Schwert zu greifen, das nun vor Erenya lag.

'Ein Krieger gibt nicht auf...'

Obwohl ihre Sicht immer mehr verschwamm, kämpfte sie gegen ihre nahende Ohnmacht an und streckte ihre Hand nach der vertrauten Waffe aus. Und gerade, kaum dass ihre Fingerspitzen den Griff berührt hatten, nahm es jemand. Fragend und schwach sah sie auf und blickte in die leeren, orangefarbenen Augen der Puppe, bevor die Ohnmacht sie endgültig heimsuchte.
 

Entsetzen machte sich in Koji und Yuki breit, als sie sahen, wie Erenya sich mit Mizus Schwert vom Boden erhob. Deutlich sahen sie den orangefarbenen Schimmer ihrer Augen. Ihnen war klar, was für eine Gefahr nun auf sie zukam.

„Chia! Schnapp dir Mizu und verschwinde von hier!“

Sich ihrer Lage bewusst, gab Koji sofort die entscheidenden Befehle. Es war schon schwer genug für die Sicherheit zweier Menschen in Gegenwart eines Onis zu garantieren, doch sie jetzt noch vor dem Überlebenswillen der Puppe zu retten war unmöglich.

„NARG!“ Ein Schrei von Yuki forderte wieder Kojis gesamte Aufmerksamkeit. Mit Schmerz verzogenem Gesicht hielt sich der ehemalige Schneeengel die Schulter. Selbst von seiner Entfernung konnte er das rote Blut sehen, dass durch ihre Finger rann. Und Erenya, die ganz von Sinnen war, machte nicht einmal Andeutungen den Engel verschonen zu wollen. Sie sah nur das Schwert in Yukis Hand und deutete sie damit als eine potentielle Lebensgefahr.

„Yuki! Lass das Schwert fallen!“ So schnell er konnte, lief Koji auf seine Freundin zu, doch mit einem Mal versperrte ihm der Oni den Weg. Scheinbar hatte dieser erkannt, wie nützlich ihm dieser Umstand werden konnte. Solange die Puppe ihm alle anderen vom Leib hielt, konnte er sich um dieses Schandmaul, dass sich eins als Prediger bezeichnet hatte, kümmern.

„Geh mir aus dem Weg!“

Wütend über das Tun seines Gegners, holte Koji mit dem Schwert aus. Er musste Yuki sehen. Er musste sehen, ob sie das Schwert fallen gelassen hatte und Erenya damit los geworden war.

„Im Gegensatz zu Onis heilen eure Verletzungen nicht so schnell, Prediger!“

Seiner Aufmerksamkeit durch seiner Angst beraubt, konnte Koji nicht realisieren, wie Daren seinem Angriff ausgewichen war und dabei selbst den entscheidenden Schlag ausführte. Er spürte nur noch die scharfe Klinge, die seine Federrüstung durchdrang und ihn somit nicht mehr vor seiner Niederlage beschützen konnte.
 

Deutlich hatte Yuki die Aufforderung Kojis gehört. Doch noch einmal wollte sie dieses Schwert nicht aus der Hand geben, selbst wenn es bedeutete, dass sie Erenya dafür ausschalten musste. In diesem Zustand war das Puppenmädchen sowieso eine viel zu große Gefahr für ihre Außenwelt.

„Es tut mir leid, Erenya, aber unter diesen Umständen kann ich dich nicht am Leben lassen. Verzeih mir.“ Ihren Schmerz und die Verletzung vergessen, machte sich Yuki bereit es mit der Puppe, die sie nur starr ansah und bereits erneut das Schwert schwang, aufzunehmen.

Dieses Mal gelang es ihr aber, ihren Angriff abzuwehren, indem sie ihre Klinge als Barriere zwischen sich und Mizus Waffe schob.

Nur der Klang von aufeinanderprallenden Metall verriet den restlichen Umstehenden, mit welcher Kraft die Puppe angegriffen hatte und mit welcher sich Yuki gegen sie stemmen musste.

'Woher hat sie nur diese Stärke? Woher hat sie das kämpferische Können?'

Angestrengt versuchte der Schneeengel der Angriffstirade der Puppe standhalten zu können, doch im Gegensatz zu ihr, nahm sie die Müdigkeit wahr, dieser einseitige Kampf bei ihr hinterließ.

Die Puppe war einfach nicht lebendig genug, um so etwas wie Müdigkeit zu empfinden, oder auch auf die Signale ihres Körpers zu hören.

'Vielleicht kann ich das nutzen!' Es war Yukis einzige Chance, diese Puppe zu zerstören, bevor sie sie und viele andere Leben vernichtete. Doch vorerst musste sie kräftemäßig auf dieselbe Ebene kommen.

Sich ihrer Sache vollkommen sicher, stieß Yuki sich von Erenya ab und versuchte so genug Distanz zwischen der Puppe und sich zu bekommen. Doch schon jetzt setzte Erenya zum nächsten Angriff an und lief auf Yuki zu, die versuchte ihren Puls zu beruhigen und tief Luft holte. Nur auf ihr Gehör bauend, schloss der Schneeengel die Augen und mobilisierte alle verbliebenen Kräfte.

Wenige Schritte trennten sie von der Seherin, die ihre menschliche Waffe hob. Sie musste warten und sich gedulden, wenn sie gewinnen wollte. Wenn sie auch nur einen Moment zu früh auswich, war es um sie geschehen.

Fest umklammerte Yuki ihr wiedergewonnenes Schwert und lauschte dem trockenen Gras, das kaum hörbar unter den Füßen der Puppe knirschte.

'Gleich...', ermahnte sie sich und hob das Schwert. Gerade als Erenya nur noch eine Armlänge von ihr entfernt war, öffnete sie ihre orangefarbenen Augen und stürmte auf die Puppe zu.
 

Es war ein kurzer Schlagabtausch, bei dem das menschliche Auge nicht sehen konnte, wer den entscheidenden Treffer erhalten hatte. Bewegungslos standen sich die Puppe und Yuki Rücken an Rücken gegenüber. Ein kurzer Wind kam auf, umspielte beide Mädchen und schließlich mit einem blutigen Husten ging der Schneeengel in die Knie.

Vollkommen unbeteiligt und emotionslos wandte sich die Puppe zu der Besiegten um und ließ ihr menschliches Schwert fallen. Langsam ging sie auf die Gefallene zu, die regungslos am Boden lag und nur noch ihr Schwert umklammert hielt. Doch genau das war es, was die Puppe wollte. Das Schwert, das ihr schon einmal gute Dienste erwiesen hatte.

Grob zog die Puppe der Gefallenen das Schwert aus der Hand und schwang es, um zu bestätigen, dass es wieder dieses leichte vertraute Metall war, dass sie nun noch gegen die letzten Bedrohungen führen wollte.
 

Chia musste gestehen, dass sie selten so etwas wie Angst verspürte, aber im Angesicht der jetzigen Situation wurde ihr ganz anders. Vor ihr standen der Oni und das Puppenmädchen, die zeitgleich beide Engel ausgeschaltet und nun nur sie als Gegnerin vor sich hatten. Sie verstand nicht, was genau geschehen war, warum Yuki die Waffe gegen die Entführte erhoben und warum diesen den Engel ausgeschaltet hatte. Bis auf Daren standen sie doch alle auf derselben Seite, oder hatten sie sich in Erenya getäuscht?

„Hey du, Geiko... Für dieses Mal verschone ich dich. Dafür wirst du mir aber helfen, das Püppchen auszuschalten.“

Es kostete Chia einen kurzen Augenblick, um zu verstehen, was der Oni gesagt hatte und was diese Worte bedeuteten. Und gerade diese Worte machten es ihr nicht leichter, diese Situation zu verstehen.

„Aber...“ Gerade wollte die Geiko etwas sagen, doch da fiel Daren ihr ins Wort, um ihr klar zu machen in was für einer Situation sie sich wirklich befanden.

„Das Engelchen dreht durch. Sie wird ohne Rücksicht auf Verluste alles und jeden vernichten, der bewaffnet ist oder aus ihrer Sicht eine Bedrohung darstellt. Und das impliziert auch uns beide. Wenn du also nicht wie das Federvieh enden willst, arbeite mit mir zusammen und zögere nicht sie umzubringen, wenn du die Chance hast.“

Kurz sah Chia zu Daren, der sich bereits kampfbereit machte, denn das Püppchen ruhte sich nicht lange auf ihrem Sieg über Yuki aus und war bereits wenige Schritte in ihre Richtung vorangeschritten.

Ihr Blick war leer, kalt und die Geiko wusste nicht, was sie plante. Sie als Mensch hatte sicher nicht viele Chancen gegen einen Engel, doch mit dem Oni an ihrer Seite gab es Hoffnung. Nur aus diesem Grund entschied sie den Worten Darens zu glauben und ihm in diesem Kampf beizustehen.
 

Obwohl Erenya sich ihnen nur langsam näherte, stieß sich Daren vom Boden ab und lief auf sie zu.

Nur schwer konnte Chia seinen Bewegungen folgen, denn anders als bei einem gewöhnlichen Menschen waren seine Bewegungen schneller und wesentlich flüssiger. Doch es war nicht nur er. Auch das Püppchen schien um einiges schneller, sodass sich die Geiko fragte, wann sie das Schwert zu ihrer Verteidigung und wann zum Angriff erhoben hatte. Beide schienen sich in Sachen Aktion und Reaktion ebenbürtig zu sein, was kein Wunder war, denn beide waren keine Menschen.

Chia musste einsehen, dass ein Hinterhalt, oder die aktuelle Ablenkung ihre Chance war den Engel in die Knie zu zwingen.

Fest umklammerte sie ihr Kodachi und schlich sich so leise wie möglich hinter das Mädchen, während diese wieder und wieder zum Schlag ausholte um Daren zu bezwingen. Doch obwohl der Dämon verletzt war, hielt er die Stellung, damit die Geiko den entscheidenden Schlag ausführen konnte. Er musste solange durchhalten, damit ihre Chancen nicht verwirkt waren.

Scheinbar funktionierte seine Ablenkung, denn die Puppe bemerkte nicht, dass die Geiko bereits hinter ihr stand und das Kodachi erhob. Es war nur noch wenige Sekunden, die er ausharren musste.
 

Chia zögerte keinen Augenblick, als die Klinge ihres Kodachis über dem Engel schwebte. Zögern war das Letzte, was sie in so einer Situation tun durfte. Deswegen dachte sie keinen Augenblick darüber nach, als sie ihre Waffe auf die Puppe niedersausen lies. Sie spürte, wie das Fleisch unter der spitzen Klinge nachgab und in den Körper der Puppe eindrang. Mit aller Kraft zog sie die Klinge nach unten und schnitt von ihrer Schulter schräg über den Rücken.

Mit dem letzten Schwung, zog sie die Klinge aus ihrem Körper sah zu der zerrissenen Kleidung, die sich mit dem Blut des Engels vollsog. Sie hatte wirklich ganze Arbeit geleistet und doch stand Erenya noch aufrecht und schlug gnadenlos weiter auf Daren ein.

Erneut hob Chia das Kurzschwert. Wenn es die Puppe so wollte, dann würde sie eben noch tiefer in ihr Fleisch schneiden und solange zustechen, bis die Beine des Engels nachgaben und sie gewonnen hatten.

Wieder ließ sie ihre Klinge auf Erenyas ungeschützten Rücken niedersausen, doch mit einem Mal beförderte sie ein kräftiger Schlag zu Boden.
 

Daren sah, wie seine Mitstreiterin von den weißen Flügeln, die Erenya eben ausgebreitet hatte, zu Boden geschickt wurde. Er hielt dem Angriff des Püppchens stand und hoffte inständig, dass die Geiko wieder aufstehen würde. Doch sie tat es nicht. Scheinbar hatte der Schlag mit dem Flügel doch viel heftiger gesessen, als Daren es erwartet hatte. Nun gab es nur noch ihn und das Mädchen, das ihm seinen Tod vorausgesagt hatte.

Mit der Geiko hatte er wenigstens die Chance gehabt die Vision des Püppchens zu einer Lüge zu machen, doch so ganz alleine zweifelte sogar er daran jetzt noch zu überleben.

'Aufgeben steht hier gar nicht zur Debatte!' Obwohl er seine Lage kannte und wohl auch richtig eingeschätzt hatte, zwang ihn sein Stolz als Oni bis zum letzten Atemzug zu kämpfen.

Immer noch Erenyas Angriff stand haltend, stemmte sich Daren gegen die Kraft des Püppchens. In seinem Kopf ratterte es. Er musste weg, auf Abstand, doch jetzt da das Engelchen seine Flügel ausgebreitet hatte, war sie ihm von der Schnelligkeit her überlegen.

'Wenn ich es in den Wald schaffe vielleicht...'

Es war keiner seiner besten Pläne, aber es war immerhin einer. Das einzige woran er sich noch klammern konnte. Er musste sie nur auf Abstand halten und so schnell er konnte in den Wald laufen. Die Bäume würden sie dann daran hindern wirklich voranzukommen.

Mit letzter Kraft stieß er den Engel von sich und nutzte ihren Gegendruck dazu mit einem etwas größeren Sprung nach hinten etwas mehr Platz zwischen ihnen zu schaffen. Was er nicht bedacht hatte, war die Verletzung, die ihm Yuki zugefügt hatte. Kaum waren seine Füße auf dem Boden angekommen, durchzog ihn der schwächende Schmerz seiner Verletzung. Mit einem schmerzerfüllten Ausdruck auf seinem Gesicht gaben seine Beine nach, sodass er in die Knie gezwungen wurde.

'Mein Enge...'

Wie ein Blitz durchzog ihn der Gedanke, als er sah, wie das Püppchen sich ihm bereits wieder näherte. Aus einem unerklärlichen Grund kamen ihm wieder Kazamas Worte in den Sinn, woraufhin ein Lächeln über seine Lippen schlich. Der starke Oni des Westens hatte Recht behalten, wie immer.
 

Mit gesenkten Kopf erwartete Daren den tödlichen Schlag des Puppenmädchens. Ihm kamen die kurzen Sekunden wie endlich lange Minuten vor, in denen einfach nichts geschah. In denen er nur auf den grausamen, demütigenden Untergang seinerseits wartete. Gab es etwas, dass er bereute? Irgendwie war es eine lächerliche Frage, die ihm in den Sinn kam, doch er bereute in der Tat einige Dinge.

'Jetzt ist es zu spät diese Fehler zu erkennen...'

Ein Seufzen trat über seine Lippen. Er spürte sie bereits. Sie war nur noch eine Schwertlänge von ihm entfernt. Vor seinem inneren Auge sah er, wie sie das Schwert hob und auf ihn niedersausen ließ, doch...

Sein Ende blieb aus.

Verwundert sah er auf und erblickte langes weißes Haar, dass vom Luftzug des Schwertes leicht wehte.

'Ein Oni?' Daren konnte nicht abstreiten, dass er verwirrt war, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass ein Oni ihm zur Rettung eilen würde. Die Frage war nur, wer es war.

Kazama konnte er aufgrund der Haarlänge ausschließen, ebenso Amagiri, der sicher nicht hitzköpfig genug war um sich Kazamas Willen zu widersetzen. Der Einzige, den er hier aus der Nähe kannte, war Shiranui, aber der schießwütige Teufel hätte viel eher selbst zur Waffe gegriffen und ihn ausgeschaltet, bevor er dem Engelchen dieses Vergnügen gönnte. Noch dazu war die Person vor ihm nicht so gut gebräunt wie der Revolverheld, wodurch er wieder auf seine Ursprungsfrage, wer das war, zurück kam.

„Ist alles in Ordnung, Daren?“ Die Augen des Onis weiteten sich, als er die Stimme der Person erkannte, die ihn vor dem tödlichen Schlag gerettet hatte. Er konnte, nein er wollte es nicht glauben.

„Du lebst noch, Akazumi? Aber... Wie... Und warum siehst du so aus?“

Vorsichtig sah Akazumi über ihre Schulter, mit der sie den Schlag abgefangen hatte. Er sah ihre roten Augen. Rote Augen hatte kein Oni in seiner Oni-Form. Auch von Engeln war ihm eine andere Farbe vertrauter. Es gab nur eine künstliche Art von Wesen, die weißes Haar und rote Augen hatten.

„Lange Geschichte. Erst einmal erledige ich das Problem hier.“

Die Klinge Erenyas hatte sich wieder aus Akazumis Fleisch gelöst und zielte erneut auf die Person, die sich eingemischt hatte. Doch dieses Mal griff diese Person, die schlechte Imitation eines Onis, zu ihren Waffen, die sie in Form von Stäbchen aus ihrem Haar zog.
 

Keinen Zentimeter gab Akazumi nach, als Erenyas Schwert auf ihre Stäbchen traf. Sie hatte extra die guten aus Metall genommen, sodass ein Klirren erschallte.

Es war wirklich erstaunlich, wie gut das Wasser des alten Mannes wirkte. Nicht nur, dass all ihre Verletzungen vom Kampf gegen Yuki geheilt waren, sie hatte auch neue Stärke gewonnen, von der sie bisher immer nur hatte träumen können. Allerdings hatte sie ein Problem. Das Blut, dass hier bereits geflossen war, hatte einen verführerischen Duft und es kostete sie einiges an Selbstbeherrschung und Konzentration nicht durchzudrehen. Sie war einfach von der Angst beseelt, dass sie wie die anderen Wesen der Shinsengumi werden und dabei Darens Leben aufs Spiel setzen würde.

„Bist du verrückt? Mit deinem Essbesteck kannst du nicht gewinnen!“ Nur zu deutlich verstand sie Darens Einwand und musste sich eingestehen, dass er Recht hatte. Selbst ihre besten Stäbchen würden dem Druck des Püppchens nicht lange stand halten.

„Die Geiko hat sie vorhin verletzt... Wir müssen das als unsere Chance sehen.“

Durch Akazumi hatte Daren wieder die Hoffnung, dass sie etwas gegen den Engel tun konnten. Immerhin war das Ninjamädchen nun nicht mehr menschlich. Sie hatten also allemal bessere Chancen als eine Armee von Sterblichen.

„Ich bin nicht hergekommen, damit du nun den Kampf suchst, Daren! Verschwinde gefälligst von hier. Ich werde dir genug Zeit verschaffen!“ Mit aller Kraft, die sie ohne geeigneten Schwung aufbringen konnte, stieß sie das Püppchen zurück, das sofort wieder auf das Ninjamädchen und den Oni zulief.

Blitzschnell nutzte Akazumi die kurze Atempause und entriss dem ungläubig drein blickenden Daren sein Schwert, mit welchem sie erneut einen Angriff parierte.

„Geh!“

Unschlüssig darüber, wie er diese Situation deuten sollte, stand Daren wie versteinert da.

Das Mädchen, dass einst so etwas wie eine Freundin für ihn gewesen war, deren Eltern seine ermordet hatten, die sich an ihm, den Oni der Jahre später ihre Heimat vernichtet hatte, rächen wollte, war bereit für ihn zu sterben. Wie sollte er das verstehen? Sie sah doch seine Gestalt. Sie wusste, dass er es gewesen war und dennoch kämpfte sie um sein Leben.

„Rede ich so undeutlich? Verschwinde! Meine Verletzung heilt schnell, ich kann also dein Schutzschild sein!“

Eine Lüge. Daren wusste, dass sie log, denn die Klinge des Engels, die das Püppchen führte, besaß eine Macht, die nicht zuließ, dass sich eine Verletzung schloss.

Es war somit recht eindeutig, dass Akazumi sterben würde, wenn er wirklich ging.
 

Der Oni dachte nicht mehr groß nach, als er sich bückte und eines der metallenen Stäbchen aufhob. Er dachte gar nichts mehr, außer dass er Akazumi nicht sterben lassen wollte. Zusammen würden sie entkommen und überleben, weil sie gemeinsam stärker waren.

Ohne Erenyas Aufmerksamkeit zu sehr auf sich zu lenken, zog sich Daren zurück. Er wollte von den beiden Kämpfenden nicht bemerkt werden, was auch klappte, da sie viel zu sehr aufeinander fixiert waren.

Es war seine Chance, als er etwas weiter entfernt von den beiden stand und das Stäbchen fest umklammerte. Er musste es ihr in den Hals rammen. Auch wenn sie den Schmerz nicht wahrnehmen würde, vielleicht noch ein paar Schritte ging, wenn er richtig zielte, würde es sie umbringen.

Er hatte nur diesen einen Versuch.

Tief holte der Oni Luft und rannte schließlich auf die Kämpfenden zu. Mit jedem Schritt hob er das Stäbchen mehr und machte sich bereit diesem Spuk ein Ende zu bereiten.

Vier Armlängen, drei Armlängen. Er musste nur richtig zielen. Zwei Armlängen. Jetzt oder nie. Eine Armlänge. Er stach zu und sah mit an, wie das Schwert ihn ein letztes Mal verfehlte, ihm dafür aber auch die letzte Chance zunichte machte.
 

Ungläubig sah Daren auf den kopflosen Körper des Ninjamädchens, der in die Arme des Puppenmädchens fiel. Unbeeindruckt warf sie diesen zur Seite und fixierte wieder Daren, dessen Blick sich starr auf Akazumis Kopf richtete. Ihre Augen waren weit und entschuldigend aufgerissen. Wahrscheinlich hatte sie keinen Schmerz mehr verspürt.

Unfähig auf den Engel zu achten, griff Daren zu dem Kopf und hob ihn vom Boden auf, der sich mit ihrem Blut vollsog. Sie mussten weg, solange sie noch konnten.

Mechanisch erhob sich Daren und nahm nicht einmal mehr den Treffer wahr, den er am Rücken erlitt, als er sich umwand und einfach nur zu den Bäumen lief. Schneller, immer schneller, damit er so weit wie möglich von diesem teuflischen Püppchen wegkam. Dabei drückte er fest Akazumis Kopf an sich, als wolle er ihn schützen und das, obwohl ihm bewusst war, dass das Ninjamädchen tot war. Dennoch wollte er ihren Kopf weit wegtragen. Zu einem Ort, an dem niemand sie mehr finden würde. Wo sie glücklich werden könnten. Wo kein Püppchen Amok lief, weil es dort keine Krieger mehr gab. Er wollte zurück in ihr Paradies.
 

Emotionslos ließ Erenya ihren Blick über das Schlachtfeld gleiten. Alle die ihr gefährlich werden konnten waren besiegt. Nur um sicher zu gehen, dass sie wirklich außer Gefahr war, ging sie zu dem Mädchen, dass nicht durch ihre Hand gefallen war und kniete sich nieder. Vorsichtig und bereit ihr jederzeit den Gar auszumachen, wenn sie sich doch noch bewegte, strich sie ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Es war seltsam, denn irgendwoher kannte sie dieses Gesicht.

Schweigend starrte sie das Kriegermädchen an und suchte in ihren Erinnerungen, woher sie das Mädchen kannte. Langsam dämmerte es ihr. Sie hatten lange zusammen gewohnt. Das Mädchen hatte sich um sie gekümmert. Aber sie war nicht die einzige gewesen. Da waren noch mehr Erinnerungen von Menschen die sie gerettet und beschützt hatten.

Suchend streifte ihr Blick über die Lichtung und hielt bei der Geiko inne. Sie hatte sie vor Daren beschützt, damals in Shimabara. Und nun hatte sie diese niedergeschlagen.

Nicht unweit von ihr lag dieser Schönling, der sie und Harada angegriffen hatte. Sie kannte ihn nicht, aber die Tatsache, dass auch er hier war, erschien ihr so falsch. Und das führte dazu, dass ihr der Schneeengel ins Blickfeld geriet. Zumindest war er fast schneeweiß.

Fragend sah Erenya zu dem Schwert in ihrer Hand. Dieser Engel hatte es gehalten. Genau wie der Engel, der sie aus dem Himmel geholt hatte. Der Engel, dem sie diese Waffe hatte zurückbringen wollen. Konnte sie es sein? Wenn ja, warum hatten sie dann gegeneinander gekämpft? Warum hatte sie ihre Retterin getötet? Warum hatte sie der Geiko wehgetan und dem Ninjamädchen?

Erenya entfernte sich schwankend von Mizus Körper, ehe sie auf die Knie sank. Schon einmal war es beinahe passiert. Damals, als sie diesen Mann, der ihr so wichtig war, beinahe umgebracht hatte. Doch anders als damals, hatte sie es dieses Mal geschafft.

Wie bei ihrer Ankunft in dieser Welt, als sie diese zwei Männer umgebracht hatte. Wie vor einigen Wochen, als sie einem Dutzend Samurai ihres Lebens beraubt hatte. Dabei waren ihr diese Menschen egal gewesen. Sie hatte nie einen Gedanken daran verschwendet wer sie waren, ob sie ihr nur helfen wollte, so wie der Engel und die anderen, die nun vor ihr lagen.

Sie war es gewesen, die sie alle ausgelöscht hatte.

„Ich habe... sie... umgebracht...“, wisperte sie leise und machte sich damit selbst klar, was für einen Fehler sie begangen hatte. „Ich habe...“

Bilder aus ihrer Vergangenheit fielen über sie herein. Bilder von unschuldigen Engeln, die sie umgebracht hatte. Bilder von Menschen des Mannes, der sie dafür hassen würde.

Aber er sollte sie nicht hassen, er durfte das nicht.

„Er wird auch nicht... wenn ich nach Hause gehe...“

Mechanisch lies sie das Schwert los. Sie brauchte es dort nicht, wo sie hin wollte.

Fernab von Menschen und Engeln. Dort wo der Baum ihrer Eltern stand. Die Blumenwiese. Ihre perfekte Puppenwelt.
 

Die Bäume der Lichtung verschwanden wie von Geisterhand und machten für ein buntes Meer aus Blumen Platz. Verdeckt wurden Yukis Schwert und die Körper die leblos am Boden lagen. Sie verschwanden aus Erenyas Blick und aus ihren Erinnerungen, als hätte es sie nie gegeben.

Ihre Fehler waren mit dem Blickkontakt auch aus ihren Gedanken verschwunden. In ihrer perfekten Welt gab es nur schöne Dinge. Kein Leid, keine Angst und auch keinen Tod.

„Ich bin Zuhause...“, wisperte das Mädchen leise und lächelte die irrealen Blumen an.
 

Der Schweiß rann von Haradas Stirn, als er durch den Wald hetzte und nach Erenya suchte. Die Hütte von der Natsu gesprochen hatte, hatte er leer vorgefunden, weswegen er nun tiefer in den Wald gelaufen war und überall lauschte. Er hoffte Stimmen oder Kampfgeräusche zu hören, doch alles blieb ruhig.

'Verdammt...' Schwer atmend hielt Harada inne und sah sich in seiner Umgebung um. Doch außer hochgewachsener Bäume sah er nichts in seine naheliegenden Umgebung.

'Ich muss sie finden...'

Obwohl er immer noch nicht ganz bei Kräften war, erhob sich Harada wieder und lief weiter. Doch er hielt plötzlich inne, als er aus nicht all zu weiter Ferne seinen Namen hörte. Erschrocken sah Harada auf und sah sich um, doch nirgendwo sah er jemanden und doch hörte er klar und deutlich, wie jemand seinen Namen rief.

„Harada-kun...“

Seichter Wind kam auf, als Harada erneut seinen Namen vernahm. Die Stimme ähnelte der Erenyas, aber sicher war er sich aufgrund des Raschelns der Blätter nicht.

„Harada-kun...“ Wieder erklang sein Name, doch dieses Mal klang die Stimme so nahe. Sie war hier irgendwo. Und es war eindeutig, dass sie nach ihm rief.

„Harada-kun...“ Erst jetzt bemerkte Harada, aus welcher Richtung die Stimme kam. Sofort setzte er sich in Bewegung und lief in die Richtung, aus der sie eindeutig zu kommen schien.

Er wusste nicht einmal woher er auf einmal diese Kräfte hatte. Aber alles was zählte war Erenya und dass es ihr gut ging.

„Keinen Schritt weiter, Krieger!“

Die Bäume waren einer Blumenwiese gewichen. Es schien nicht einmal fließende Übergänge zu geben. Sie waren plötzlich einfach verschwunden und selbst als er sich umwandte, waren sie nicht mehr zu sehen.

Er schien in einer vollkommen anderen Welt zu sein. Einer Welt, die ihm Erenya einst beschrieben hatte. Es war nun mehr als deutlich, dass Erenya hier war. Doch mit dem Wunsch nach ihrer Heimat, hatte sie das Ebenbild einer Frau zum Leben erweckt, die vor ihren Augen gestorben war. Und diese Frau versperrte Harada nun den Weg.

„Ich lasse nicht zu, dass du weiter zu ihr vordringst. Sie will dich nicht sehen!“

Ein seltsames Gefühl der Vertrautheit stieg in Harada auf, als er sich die Frau genauer ansah. Ihre Augen ähnelten denen Erenyas und doch waren ihre Gesichtszüge älter und viel markanter, weswegen Harada davon ausging, dass diese Frau das widerspiegelte, was Erenya selbst gerne wäre.

„Wenn sie mich nicht sehen wollte, hätte ihre Stimme mich nicht hier her geführt. Und du wirst mich nicht daran hindern Erenya zu finden!“ Klar und deutlich sprach Harada sein Vorhaben aus und animierte die fremde Frau dazu eine Sense in ihrer Hand erscheinen zu lassen. Sie wollte ihn mit Gewalt beseitigen wenn es sein musste, doch Harada hatte nie damit gerechnet so leicht zu Erenya zu gelangen, weswegen er seinen Speer fest umgriff und sich bereit machte alles abzuwehren, was sie ihm entgegenschleudern würde.
 

Wahrscheinlich hatte Harada bloß Glück gehabt, als die Fremde plötzlich vor ihm stand und er gerade rechtzeitig seinen Speer zur Abwehr erhoben hatte. Er sah nur noch, dass die Klinge der Sense knapp über ihm zum stehen kam und leicht zitterte, weil ihr eine Kraft entgegen wirkte, mit der sie nicht gerechnet hatte.

„Warum sollte sie dich sehen wollen? Dich, einen dummen Sterblichen, der rein gar nichts von ihr versteht?“

Harada hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass sie ihre Diskussion in so einem Moment fortführen wollte und er verstand auch nicht, was sie damit bezweckte.

Und dennoch, er wollte dieser Frau keine Antwort schuldig sein.

„Weil sie weiß, dass sie mir vertrauen kann. Und weil sie mir vertrauen kann bin ich auch hier!“

Kräftig stieß Harada die Frau von sich, die ihm aber nicht einen Atemzug lang ruhen lassen wollte und erneut angriff. Doch dieses Mal wich Harada einfach aus und nutzte die Verwunderung der Fremden, um tiefer in Erenyas Welt vorzudringen. Ihm war schließlich klar, dass ein Kampf nicht sonderlich vorteilhaft für ihn enden würde, weswegen Erenya zu finden seine oberste Priorität war.
 

„Weil sie weiß, dass sie mir vertrauen kann. Und weil sie mir vertrauen kann bin ich auch hier!“

Ihre Augenlider zuckten, als sie Haradas Stimme so klar und deutlich vernahm, als würde er persönlich neben ihr stehen. Doch er war noch weit von ihr entfernt und auch wenn sie wirklich immer darauf vertraut hatte, dass er sie suchen würde, durfte er nicht näher kommen. Er durfte ihre Schuld nicht sehen. Sie wollte sie nicht sehen, doch obwohl das Blumenmeer über jenen Fehlern wuchs, konnte sie diese nicht aus ihren Gedanken vertreiben.

'Mizu... schneeweiße Flügel... Glen Koji...' Ihr war jede Identität die unter den Blumen lag, auf eine gewisse Art und Weise vertraut und nicht einmal ihre geliebten Blumen konnten sie diese Identität vergessen lassen, weswegen einige in einem welkenden Braun vergingen.

„Komm nicht näher, Harada-kun... Du darfst sie nicht sehen...“

Angst ergriff die Puppe. Angst, die sie noch nie in ihrer Welt gespürt hatte, die ihre Blumen welken lies und ihnen allen Lebens beraubte.

„Komm nicht her... bitte...“ Ein leises Wimmern kam ihr über die Lippen. So sehr sich ihr Herz auch danach sehnte ihren Samurai zu sehen, sie konnte und wollte es in dieser Situation auch nicht.
 

Knapp entkam Harada einem weiteren Angriff der Frau hinter sich. Sie schien von Sekunde zu Sekunde schneller zu werden, oder viel mehr noch, stärker mit jeder Blume die verblühte.

Dem Samurai entfiel nicht, dass die Blumen unter seinen Füßen welk wurden und sich alle Farben in dieser harmonischen Welt zu einem leblosen Braun wandelten.

„Das ist alles deine Schuld!“, fluchte die Fremde, die erneut mit ganzer Kraft angriff. „Wenn sie dich nicht kennengelernt hätte, wäre all das nicht passiert. Dieser Ort wäre perfekt. Sie wäre weiterhin perfekt. Sie wüsste nichts von der Grausamkeit der Menschenwelt!“

Haarscharf verfehlte die Sensenklinge Harada, sodass nur ein paar unbedeutende Härchen dran glauben mussten.

Harada verstand nicht, was genau seine Schuld war. Alles was er sah, war das Erenyas Welt, ihre Heimat, die für sie gewohnt immer blühte, den Gesetzen der Zeit wich. Doch anders als die Fremde beunruhigte es ihn nicht. Er war mit diesem Prinzipien einfach vertraut, doch wahrscheinlich hatte es in Anbetracht der Tatsache, dass es Erenyas Welt war, noch eine tiefere Bedeutung. Er musste sich deswegen die Frage stellen, was gewesen wäre, wenn Erenya ihn nicht kennengelernt hätte. Doch egal wie er es drehte und wand, er war nicht der Einzige gewesen, der Einfluss auf Erenyas Leben hatte. Es war somit sinnlos sich solche Fragen zu stellen.

„Sie wäre als Puppe also perfekt? Das sehe ich anders! Lebewesen sind nicht dazu bestimmt stur irgendwelchen Befehlen zu folgen oder sich irgendeiner Bestimmung zu unterwerfen die andere für sie gewählt haben. Es mag zwar so etwas wie Perfektion nicht geben, aber gerade weil niemand perfekt ist, wird das Leben doch interessant.“

Um die Fremde wieder von sich loszubekommen, entschied Harada, selbst in den Angriff überzugehen. Gezielt holte er mit seinem Speer aus und warf diesen auf die Frau, die überrascht über diesen Angriff auswich.
 

„... aber gerade weil niemand perfekt ist, wird das Leben doch interessant.“

Haradas Stimme schien ihr immer näher zu kommen. Nichts konnte den Krieger aufhalten, nicht einmal die Wächterin, die Erenya aus einer Erinnerung heraus erschaffen hatte. Nicht einmal diese Wächterin war perfekt, weswegen sie wie damals leiden würde. Erenya hatte immer unter Schmerzen gelitten, wenn sie zu viel Persönlichkeit entwickelt hatte. Sie erinnerte sich an Stromschläge, an Feuer und Wasser und an die bedrückende Stille des provisorischen Grabes, in dem sie ihre Ängste und ihr Ich begraben hatte, weil sich niemand für Sie, Erenya, interessiert hatte. Alle hatten sie nur die Seherin gewollte. Alle, bis auf die Personen die sie umgebracht hatte und die nun unter dem sterbenden Blumenmeer lagen. Obwohl sie keine dieser Personen sah, erinnerte sie sich klar und deutlich an eben jene. Sie konnte sie nicht mehr vergessen, egal wie sehr sie es auch versuchte.
 

Mit einer recht schlecht ausgeführten Sprungrolle gelang es Harada erneut dem Angriff seiner Verfolgerin zu entkommen. Allerdings knickte ihm seine Hand, auf die er sich abgestützt hatte, weg, weswegen er unsanft zum liegen kam.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht sah Harada zu den verwelkten Blumen vor sich. Er konnte doch nicht unterliegen ohne Erenya gesehen zu haben. Selbst wenn seine Chancen nicht gut waren, er durfte nicht aufgeben.

Deutlich vernahm er die Schritte der Fremden hinter sich, die nun etwas langsamer auf ihn zuging, da er augenscheinlich nicht mehr fliehen konnte.

„Und nun verschwinde, damit Erenya und ihre Welt wieder blühen können!“ Mit seiner Hand am Griff des Katanas, war Harada bereit sich umzudrehen und den Angriff zu blocken, doch er hielt inne, als er etwas rosafarbenes durch das welke Braun des Blumenmeeres durchschimmern sah. Und obwohl er es selbst kaum glauben konnte, griff er zu diesem strahlenden Farbklecks und ergriff den grünen, hauchzart pulsierenden Stängel einer Blume, die entgegen all dem was ihre Artgenossen taten, weiterkämpfte.

„Du irrst dich!“ Gewand drehte sich Harada zu seiner Angreiferin, die bereits erbarmungslos ihre Sichel auf ihn niedersausen ließ. Er hingegen hielt ihr nur die Blume entgegen, wissend, dass dies ein Fehler sein würden, den er wohl auch mit seinem Leben bezahlen konnte. Doch er musste ihr unbedingt diese einzelne Blume zeigen.
 

Nur wenige Zentimeter hatte die Spitze der Sensenklinge über der Blume inne gehalten. Fassungslos starrte die Fremde auf diese Blume, die selbst jetzt, da Harada sie entwurzelt hatte, noch strahlender blühte. Sie kämpfte mir jeder Spore, egal wie schlecht ihre Lebensumstände auch wurden.

„Aber wie?“ Ihre Worte waren mehr ein Japsen als wirklich ausgesprochen.

„Ihre Welt ist zerstört... durch dich... Weil sie dir nicht die Wahrheit zeigen kann... Diese Blumen sind doch alle verdorben... warum die nicht?“

Harada bemerkte, dass die Hände der Fremden zitterten. Scheinbar hatte sie das nicht kommen sehen, oder auch nur ansatzweise erwartet.

„Diese Welt ist nicht zerstört. Sie lebt. Es ist nur natürlich, dass Blumen blühen und welken. Genauso ist es für uns Menschen, und sicher auch für Engel, natürlich Fehler zu machen. Nichts ist perfekt, aber solange wir durch unsere Fehler nicht sterben, haben wir die Möglichkeit aus ihnen zu lernen und sie wieder gut machen zu können.“

Als hätte sie aufgegeben, ließ die Fremde ihre Sense sinken, die sofort verschwand und dennoch wusste Harada, dass es noch nicht vorbei war.

„Und wenn man jemanden umgebracht hat? Wie soll man diesen Fehler wieder gut machen? Wie soll man jemanden das Leben wieder schenken?“

So langsam verstand Harada, was los war und warum er dieses Blumenmeer sah. Noch deutlicher verstand er auch, wer diese Frau vor ihm war und warum sie ihn von Erenya fernhalten wollte.

„Als Krieger kann ich dir darauf keine Antwort geben. Zumindest keine, die vielleicht passend für Erenya wäre. Sie kann versuchen diese Person zu vergessen und so tun, als hätte es sie nie gegeben. Oder aber sie lebt mit der Schuld, was sie entweder Stärker oder Schwächer macht. Ich kann nur soviel sagen, dass die erste Variante keine Ideallösung ist, denn weglaufen ist niemals der richtige Weg. Oder sieht ihre Welt für dich so aus, als hätte es funktioniert?“

Wie als wollte sie seine Worte überprüfen, sah sich die Fremde erneut um. Sie begann zu glauben, dass es doch nicht Haradas Schuld war, dass diese einst perfekte Welt sich nun den sterblichen Regeln unterwarf.

Vielleicht hatte sich diese Welt so verändert, weil Erenya das richtige, wahre Leben kennengelernt hatte und damit unfähig war ihre Augen davor zu verschließen.

„Du würdest auch an ihrer Seite bleiben, wenn sie ein Monster wäre?“

Ernst sah sie Harada an, in dessen Augen sie den Funken der Aufrichtigkeit erkannte. Egal was Erenya als Lebewesen und nicht als Puppe noch widerfahren würde, sie könnte den verzweifelten Engel ziehen lassen, jetzt da sie wusste dass jemand sich um sie kümmern würde.

„Ich akzeptiere sie mit all ihren Fehlern. Und es gibt nichts auf der Welt, was mich dazu bringen könnte, sie zu hassen.“

Ein Seufzen kam über die Lippen der Fremden, als sie seine Worte vernahm. Ihr wurde klar, warum dieser Mann Erenyas Herz erobert hatte. Und auch wenn es ungewohnt war, dass ihre Herrin und Schöpferin deswegen wohl andere Qualen als die körperlichen litt, verstand sie, dass es wohl zu Erenyas neuen Leben gehörte. Sie musste loslassen, genauso wie Erenya sich von den eingeflüsterten Lügen dieser perfekten Welt lösen musste. Erst dann würde sie wirklich leben und auch Erwachsen werden können.

„Pass gut auf sie auf, Harada Sanosuke.“
 

Die Welt die Erenya sichtbar gemacht hatte um ihre Fehler zu verbergen, verschwand als wäre sie ein Traum gewesen. Obwohl sich die Puppe panisch umsah, weil sie nicht die Leichen der Menschen darunter sehen wollte, wusste sie, dass es nur richtig so war.

Und zu ihrer Überraschung waren sie nicht tot. Durch ihre Welt hatte sie nicht bemerkt, wie sich Koji und auch Chia erhoben hatten und sich nun um die Anderen kümmerten. Zumindest hatte es für sie so den Anschein, denn trotz seiner Verletzung kämpfte sich Koji zu Yuki und nutzt einen Teil seiner Kraft, um ihre Blutung zu stoppen.

Chia hingegen war zu Mizu gegangen, die ebenfalls wieder zu sich kam, es aber doch schwerer hatte auf ihre Beine zu kommen. Erenya begriff, dass sie lebten und ihre Schuld wohl nur halb so groß war, wie sie es vermutet hatte.

„Ich hab dich endlich gefunden.“ Erschrocken sah Erenya auf, als sie die ihr so vertraute Stimme Haradas vernahm. Er lächelte sie an und das obwohl sie es wieder getan hatte. Sie war wieder zur Puppe geworden und hatte wahllos Lebewesen angegriffen. Und dennoch verzieh er ihr und schenkte ihr dieses warme, charmante Lächeln. Ihr war genauso wie ihm klar, dass er hätte sterben können. Genauso wie es wohl auch den anderen klar war. Und dennoch, sie hatten es auf sich genommen ihr zu helfen.

„Harada-kun...“ Seinen Namen auszusprechen hatte etwas erlösendes, sodass sie die Tränen nicht länger zurückhalten konnte und sich ihm fast schon in die Arme warf.
 

Es hatte einige Tage gedauert, bis Yuki und Koji vollständig genesen waren, sodass sich die Abreise immer wieder etwas verschoben hatte. Doch jetzt da die Shinsengumi mit eigenen Problemen zu kämpfen hatte, wollte der Schneeengel nicht länger deren Gastfreundschaft überbeanspruchen.

„Du willst wirklich hier bleiben, Natsu?“ Yuki war schon ein wenig traurig, dass die Kitsune und sie nun getrennte Wege gehen würden, denn auch wenn sie nur kurze Zeit zusammen gewesen waren, war ihr das Fuchsmädchen ans Herz gewachsen.

„Das ist meine Heimat. Außerdem muss jemand auf Heisuke-san aufpassen.“ Es brauchte keine weiteren Worte, damit Yuki verstand, dass Natsu einen Narren an dem Nesthäkchen der Shinsengumi gefressen hatte. Und wahrscheinlich würde es wohl in Zukunft der junge Krieger sein, der auf das Kitsunemädchen aufpassen würde.

„Yuki, lass uns gehen. Wir müssen das hier nicht länger hinauszögern.“

Yuki seufzte leise, denn wie immer drängelte Koji heftiger zum Aufbruch. Vielleicht lag es daran, dass er nur wenige persönliche Beziehungen mit den Menschen Kyotos geknüpft hatte.

Anders als Erenya, die schon einen Tag zuvor unter Tränen von Lhikan und Mizu verabschiedet hatte. Den schwersten Abschied hatte sich das Mädchen aber für die Abreise aufgehoben.

„Gib Erenya die Zeit die sie braucht, um sich von Harada-san zu verabschieden.“ Mahnend sah Yuki zu dem Gefallenen, der grummelnd die Arme verschränkte. Sie würde ihn doch im Auge behalten müssen, wenn sie nicht wollte, dass Erenya der angemessene Abschied verwehrt blieb.
 

„Und du hast gerade wirklich nichts zu tun? Ich meine, nachdem Nimi-san verschwunden ist.“ In Erenyas Stimme schwang Sorge mit, als sie sich endlich traute das Wort zu erheben, denn irgendwie mussten sie doch miteinander reden, jetzt da sie etwas weiter von Yuki und Koji entfernt standen und alle Ruhe der Welt hatten.

Dem Püppchen war die letzten Tage nicht entgangen, dass auch die Shinsengumi mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen hatten, weswegen sie ein schlechtes Gewissen hatte, dass sie Harada um diese letzten Minuten gebeten hatte.

„Ich will nicht sagen, dass Hijikata-san sehr erfreut war, aber er hat Verständnis dafür. Auch wenn er meist so böse guckt, ist er doch in der Lage die Gefühle anderer zu verstehen.“ Ein sanftes Lächeln lag auf Haradas Lippen, als er versuchte Erenyas Sympathien für Hijikata doch noch zu wecken. Dass dies nicht gerade erfolgreich war, konnte er an der Mimik des Mädchens sehen, das selbst nicht gerade freundliche Worte vom Kommandanten der Shinsengumi erhalten hatte.

„Du willst wirklich gehen?“ Auch wenn Harada verstand, dass er zu abrupt das Thema wechselte, konnte er nicht anders. Denn schließlich war dies der Augenblick, den er schon lange gefürchtet hatte.

„Ich muss. Auch wenn ich Kyoto, Mizu und Lhikan vermissen werde. Ich muss hier weg, dahin wo ich lernen kann, was es für mich bedeutet zu leben und dahin, wo ich keine Gefahr für jene bin, die mir am Herzen liegen.“

Harada merkte, dass sie bewusst vermied zu erwähnen, dass sie auch ihn vermissen würde. Der Abschied selbst fiel ihr schon schwer genug, dass sie nicht auch noch daran denken wollte, dass sie ihre erste Liebe wohl nie wiedersehen würde.

„Und mich wirst du nicht vermissen?“ Er konnte einfach nicht anders als zu fragen, selbst wenn Erenya die Antwort schmerzen würde. Aber sie musste diesen Schmerz dann nicht alleine ertragen.

„Nein.“ Es war eine Antwort, mit der Harada nicht gerechnet hatte und das Lächeln, dass sie ihm schenkte, war Zeuge davon, dass sie nicht log.

„Ich muss dich nicht vermissen, denn du bist die einzige Blume, die in meinem Garten blüht. Du bist mir damit näher als jeder andere.“ Ihre letzten Worte waren nur ein Flüstern und doch verstand Harada sie klar und deutlich. Auch wenn sie nicht log, zumindest nicht bewusst, so war dem Krieger doch klar, dass sie sich nach ihm sehnen würde.

„Harada-kun... ich habe eine Entscheidung getroffen.“ So aufrichtig und stark wie er sie noch nie erlebt hatte, wandte sich das Mädchen zu ihm und fixierte ihn ernst.

„Ich werde wiederkommen, wenn ich stark genug bin immer die schönste Blume in deinem Garten zu sein. Das ist mein Versprechen an dich.“

Ein rosafarbener Schimmer legte sich auf Haradas Wangen, als er sie hörte. Sie meinte es wirklich ernst, was sie umso deutlicher unterstrich, als sie sich ohne ein weiteres Wort von ihm abwandte. Jetzt und hier wollte sie die Saat legen, in dem sie diesen Abschied tapfer durchzog, ohne eine Berührung, die sie geschwächt und weinen lassen hätte.

Doch Harada konnte das nicht zulassen. Sie konnte wann anders stark sein, aber nicht jetzt.

Bevor sie gehen konnte, ergriff er sie und drehte sie zu sich, um ihr einen letzten zärtlichen Kuss zu geben.

„Ich werde auf diesen Tag warten...“, wisperte er ihr sanft ins Ohr, küsste ihr eine Träne weg und entließ sie mit ihrem gemeinsamen Versprechen in die Freiheit.

Flügel für die neue Welt

Erschöpft ließ sich Daren an einen Baum sinken. Sein Atem ging schwerer und er konnte schon kleine Atemwölkchen sehen. Er war ohne Rast und Pause bis hier her gelaufen und hatte nur nebenbei bemerkt, dass es kälter geworden war.

Sanft strich er über das brünett gewordene Haar des Mädchens und lächelte sie liebevoll an.

„Wir sind Zuhause“, flüsterte er leise und lehnte sich an den starken Stamm des Baumes.

Erst jetzt spürte er wieder den Schmerz seiner Verletzung, doch er wurde von der Erleichterung und Freude, dass er es mit ihr zurück geschafft hatte übertüncht.

„Zuhause...“, wisperte er erneut und schloss die Augen.

Er war müde, so unbeschreiblich müde, dass ihm nicht einmal die ersten Schneeflocken, die vom Himmel tanzten noch wach halten konnten. Immerhin durfte er nun schlafen und wenn er aufwachte, würde Akazumi in seinen Armen liegen und sie könnten ohne Hass und Rache ihre beiden Völker wiederbeleben. Gemeinsam, vereint für alle Ewigkeit in ihrem Paradies.
 

Die obersten seiner Erzengel und sein stärkster Seraphim hockten demütig vor dem Licht, dass schon einst Koji erblickt hatte, als er den Auftrag das Püppchen zurückzuholen bekommen hatte.

Für die Engel war es nur zu deutlich erkennbar, dass ihr Gott verstimmt war. Sie hatten jegliche Spur von Yuki und auch die von Koji verloren, sodass es ihnen unmöglich war, beide aufzuspüren. Damit war auch Erenya verloren.

„Es tut uns leid, Vater.“

Aufrichtig und synchron entschuldigten sich Gottes Kinder und erwarteten nun seine neuen Befehle. Ihnen war klar, dass sie ihre Pläne die Onis zu beseitigen nicht mehr verfolgen konnten, wenn sie keinen Seher mehr in ihren Reihen hatten. Doch ihr allmächtiger hatte bereits einen neuen Plan.

„Aber ihr Vater hat nichts getan!“, machte Gabriel seinen Einwand laut, zuckte aber zusammen, als die unhörbare Stimme ihn gebot zu schweigen.

Einen unendlich erscheinenden Augenblick lang herrschte Stille, bis schließlich Uriel das Wort erhob.

„Wir haben verstanden, Vater. Ich werde veranlassen, dass man dem Alten folgt und die Heimat der in Ungnade Gefallenen dem Erdboden gleich macht.“

„Und ich werde eine unserer Scharren an der Küste positionieren um die Königin der Hölle gebührend zu empfangen.“

Sofort erhob sich der Seraphim, verbeugte sich vor dem Licht und ging vor den anderen aus der Halle, um alles nötige für den Plan ihres Allmächtigen in die Wege zu leiten.
 

Sie hatte es sich an Deck gemütlich gemacht und sah in den Wolkenlosen Himmel. In Europa hatten zu ihrer Abreise dicke graue Wolken diese Schönheit bedeckt und so war sie froh, trotz kühler Luft unter diesem Himmel liegen zu können.

„Hoheit! Ihr erkältet euch, wenn ihr ohne euren Mantel hier draußen herumliegt.“

Ein murren kam über ihre Lippen, als sie die Stimme ihrer Freundin hörte, die besorgt über sie gebeugt stand und ihr damit die Strahlen der wärmenden Sonne stahl. Jeden anderen hätte sie für diesen Frevel zweigeteilt, doch bei Freunden machte sie da eine Ausnahme.

„So kalt ist es noch nicht, also verhalte dich nicht eine überfürsorgliche Glucke und leg dich zu mir. Etwas Sonne könnte deinem Gemüt auch nicht schaden, Mio.“

Ein freches Grinsen lag auf ihren Lippen, als sie ihrer rothaarigen Freundin auf ihre gewohnte Art und Weise noch anbot auch einmal eine Pause zu machen. Es nervte sie langsam, wie besorgt ihre Begleiterinnen waren. Immerhin war sie nicht irgendwer, sondern die Königin der Dämonen Europas. Diesen Titel trug sie nicht ohne Grund spazieren. Sie konnte ganz gut auf sich alleine aufpassen.

„Irgendwer muss doch auf dich aufpassen, wenn du mal wieder so nachlässig wirst. Das hier ist schließlich nicht einfach nur eine Reise zu unserem Vergnügen. Du solltest das ganze also etwas ernster nehmen.“

Es passte wirklich zu Mio immer nur das eigentliche Ziel vor Augen zu behalten und nicht einmal während ihrer Schifffahrt etwas ruhen zu können. Dabei konnten sie gerade nichts tun, außer sich zu gedulden und Kräfte zu sammeln.

„Hoheit... Mio-chan hat Recht.“

Erschrocken zuckte sie zusammen, als ihre zweite Begleiterin wie üblich aus dem Nichts hinter ihr auftauchte. Sie hasste es und obwohl sie wusste, dass die Ninja aus dem Osten nicht anders konnte als sich anzuschleichen, erschreckte sie sich jedes Mal aufs Neue.

„Jaja!. Eure Königin hat verstanden, dass sie kein Recht mehr auf Entspannung und etwas Spaß hat. Ich bin nur noch dazu gut, zu herrschen und dieses blöde Vampirelixier zurückzuholen.“

Ein leises Lachen kam über Mios Lippen, als sie die murrenden Einwände ihrer Königin hörte. Natürlich hatte sie auch ab und an eine Pause verdient und davon nahm sich ihre Hoheit reichlich, sodass ihre Worte mehr albern als wirklich ernst klangen. Aber so war sie nun einmal und Mio hatte sich daran gewöhnt, immerhin kannten sie sich seit ihrer Jugend.

„Ich bin gespannt wie deine Heimat ist, Chihiro. Und wie diese Dämonen aus deinem Land sind. Du hast so viele Geschichten über die menschlichen Krieger, diese Onis und die Kultur erzählt, dass ich nicht anders kann als es auch als kleine Abenteuerreise zu sehen.“

Lächelnd setzte sich die Königin auf und sah auf das weite Meer. Es schien so unglaublich weit zu sein und doch spürte sie in jeder Faser ihres Körpers, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sie den ersten Fuß auf dieses unbekannte Land setzen würde.

Es war ihr Abenteuer, nachdem sie sich schon solange gesehnt hatte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
So ihr lieben, hier habt ihr Kapitel 6.
Dieses Kapitel enthält viel Fanservice. Sehr viel Fanservice und geht mal ein bisschen von der Romantik weg. Es ist ein Yukipitel, was ich liebe.
Das Süße Füchschen wird nun im übrigen öfter vorkommen. Ich liebe sie, vor allem die Szene wo es zwischen den Kimonos sitzt, mit Obi um Oberweite. Harharhar. XDD
Die Mizu und Souji Szene war im übrigen nicht geplant X'D Am Ende ist sie aber so lang geworden. Genauso war der Kampf gegen Asmodius etwas anders geplant XDD Aber naja es läuft ja nie so wie man will.
Naja Kapitel 7 wird vorbereitet. Langsam nähern wir uns dem Ende, den Toten, den Kämpfen und was euch nicht noch alles erwartet. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ja, ich bin verrückt. Dieses Kapitel ist innerhalb von 2 Tagen entstanden.
Ich war wie besessen davon, deswegen, ist es so fix geworden.
Ich glaube jeder kann sich denken was mich genau an diesem Kapitel gefesselt hat. Ich liebe es einfach. Awwwwww Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und wieder einmal näheren wir uns dem Ende ein Stück mehr. Irgendwie war dieses Kapitel anstrengend. Wenn auch teilweise spannend. Ich mag ja persönlich die Szene mit Souji und Mizu. Ich bin mir aber immer noch nicht sicher, ob die beiden sich lieben oder hassen.
Was Heisuke und Natsu angeht. Ich hab mich so geärgert. Die Szene ist längst nicht so gut wie in meinem Kopf. Aber naja.
Freut euch auf Kapitel 9 das ich schon jetzt liebevoll das Akapitel nenne. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Endlich ist es geschafft, Kapitel 9.
Irgendwie bin ich froh, denn es hat mir wirklich viel Ärger bereitet. Vor allem die Kampfszene von Mizu. Die hat die Geschichte noch 4-5 Mal beim schreiben geändert, weswegen mich irgendwann die Lustlosigkeit überkam. Aber nun ist es geschafft.
Ich hoffe mal, das ist genug Drama für den Moment XDD Mal sehen was Kapitel 10 so bringen wird, das wird wohl aber erst später kommen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, nur noch 2 Kapitel und diese FF ist beendet. In den letzten tagen bin ich ungeahnt melancholisch geworden, als mir das richtig bewusst wurde. Irgendwie bin ich auch traurig, keine Ahnung wieso. VIelleicht weil mir viel an der FF lag. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Liebe Leser!
Ich habe es geschafft, endlich!
Zwar ist die Version noch ungebetat und ich werde noch einige Fehler rauskorrigieren, nachdem mein Beta drübergelesen hat, aber ich bin fertig.
Nun fehlt nur noch der Epilog.
Ich weiß, dass ich mich für dieses Ende so dermaßen hassen werdet, aber vielleicht tröstet es euch, dass ich im Nächsten Jahr mit "Vertrau mit deine Flügel an 2" anfangen werde. Allerdings wird die FF dann nicht mehr diesen Titel tragen XD
Ich hoffe das Kapitel gefällt euch dennoch und ihr empfindet es ebenso gelungen wie ich. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Vielen Dank an alle Leser dieser FF.
Ich hoffe ihr hattet Spaß daran und das ihr auch die Fortsetzung lesen werdet, sobald ich sie anfange und hochlade.
Vielen Dank an alle, die diese FF in ihrer Favoliste haben und auch an die Kommentatoren. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (38)
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Von: abgemeldet
2014-10-27T08:20:10+00:00 27.10.2014 09:20
Guten Morgen!
Here I am again. Und eine Serie, von der ich noch nie etwas gehört hätte. Aber das hält mich ja von nichts ab, wie man weiß.

Deine Kurzbeschreibung gefällt mir. Sie verrät genug, um den Leser schon einmal, ob Fandomfremd oder nicht, auf das vorzubereiten, was kommt, und erklärt auch genug, dass ich es kapiere. ;)
Nur mal am Rande: Es ist interessant, dass ausschließlich der Prolog Adult ist. Meistens sieht man nur, dass spätere Kapitel mal als adult gekennzeichnet sind.

Leicht bewegten sich die weißen Vorhänge im sanften Morgenwind, der erfrischend die letzten dunklen Schatten vertrieb.
Das ist ein sehr malerischer Einstieg, gefällt mir.

Die Sonne war, wie an jedem Tag schon aufgegangen, denn dort, wo dieser Ort war, ging die Sonne nie unter.
Hier sehe ich das Beschriebene als unlogisch, denn, wenn die Sonne nicht untergeht, kann sie auch nicht aufgehen. Oder? Vielleicht wäre es also stimmiger, du würdest "Die Sonne stand hoch am Himmel" oder dergleichen schreiben.

[...] doch gleichmäßig bewegte sich ihr flacher Brustkorb auf und ab.
Meiner bescheidenen Meinung nach klingt das ein wenig holprig. Darum wäre mein Vorschlag: "[...] doch bewegte sich ihr flacher Brustkorb gleichmäßig auf und ab."

Einstudiert schlug sie die Decke von ihrem Körper und stand wie ferngesteuert aus ihrem vertrauten Bett auf.
Das "Einstudiert" am Anfang soll doch eher eine Metapher sein, als eine Feststellung, oder? Jedenfalls fände ich "Wie einstudiert" hier stimmiger. Natürlich gäbe es dann das Problem, dass du auch "wie ferngesteuert" geschrieben hast. Vielleicht könnte man "beinahe ferngesteuert" einsetzen. Ich weiß es selbst nicht genau, aber als Vergleich wäre das, meiner Meinung nach, okay.

Perfekt würde er nie sein, denn sie trug die Flügel des Verrates auf ihrem Rücken.
Interessant. In meiner Vorstellung kriegt man für Verrat keine Flügel. Hm, natürlich weiß ich nicht, was in der Serie sonst so los ist, darum warte ich mal einfach ab, ob da noch eine Erklärung für folgen wird.

Sie waren Zeugen einer Strafe, die sie geistig gebrochen und zur gehorsamen Puppe gemacht hatte.
Dies hingegen finde ich wunderbar formuliert und sehr nachvollziehbar.

[...] zuckte sie zusammen und wandte sich zu der Ursache um.
Es wäre einfacher, würdest du "wandte sich der Ursache zu" einsetzen.

Etwas hat sie getroffen.
hatte

Durch die Blätter hindurch sah Yuki aber nicht, wie sie fiel, [...]
wohin sie fiel (?)

[...] für eure geschundenen Seelen.”, hauchte sie leise und sah die beiden an.
Den Punkt am Ende der wörtlichen Rede kannst du getrost löschen.

Nur noch das Geräusch der Schwertklinge, die über den Waldboden kratzte, hallte längere Zeit in der Umgebung wieder.
Wuah. *schüttel*

Sehr solider Prolog. Hat mir gut gefallen. Besonders die Lösung, wie du den Verlust des Katanas beschrieben hast. Anstelle von "Das Puppenmädchen schnappte sich das Katana" ein "Yuki hatte ihr Katana verloren". Finde ich sehr gut gelungen.
Außerdem beschreibst du auch die Regungen Erenyas sehr gut. Gefühle sind bei ihr eher fremder Natur, wie? Reue? Was ist das schon.
Ja, ich werde am Ball bleiben, denn nun interessiert es mich auch, wie es weitergeht.

Liebe Schreibziehergrüße,
abgemeldet
Antwort von:  Erenya
27.10.2014 16:25
Ja. also~ Vielen Dank natürlich für deine letzten zwei Kommis. Die haben mir den Alltag versüßt. XD hehehehe. Freut ich, dass du von Erenya noch nicht abgeschreckt bist. XD

Und ja, Erenya kennt Gefühle noch nicht. ebenso wie sie "Leben" nicht kennt. Weswegen bei ihr alles nicht metaphorisch einstudiert wirkt, sonst wirklich einstudiert ist.
Von:  _Natsu_
2013-11-23T15:43:22+00:00 23.11.2013 16:43
DAREN!!!! *mit dem Namen gar nimmer gerechnet hat XD*
*fünktchen Hoffnung, das eh bald erlischen wird* (;*△*;)
klar gleich nach dem ersten Abschnitt xDD wie grausam diese Welt doch ist~
*sich theatralisch an linke Brust fasst*
Antwort von:  Erenya
23.11.2013 18:45
Du hast echt nen Narren an ihm gefressen
Von:  _Natsu_
2013-11-23T15:40:37+00:00 23.11.2013 16:40
Fuwah~
Ich kanns net lassen, verzeih mir (*/ω\*)
Aber...ich liebe nach wie vor Daren, auch wenn er böse ist und awww~
Als er diesen Kratzer von Chia abbekommt, reagiert er genauso wie Kazama (ノ≧∀≦)ノ
Aber fies dass er wohl stirb T///T *klammert sich an dat Daren*
oh mein Gott .・゜゜・(/。\)・゜゜・.
Daren wollte Aka beschützen und und...sie stirbt T///T *pipi in Augen hat*
Nein!!! *sturzbäche heult*
Und gott, Harada ist ja so niedlich~ ÓÒ kümmert sich so süß um eri-chan und aww :3~
es ist doch noch jeder am Leben...abgesehen von Daren....*trauert um den verlust des Onis*
Von: abgemeldet
2013-06-25T17:42:10+00:00 25.06.2013 19:42
Also bei dem was Daren passiert ist hatte er wirklich allen Grund um Böse zu werden. Selbst Superman ist es in einer änlichen Situation schon so ergangen und tatsächlich hast du es geschaft Daren damit sogar ein kleinen wenig sympatisch rüber zu bringen.

Wie du diese Vorgeschichte noch mit den anderen Charaktere verknüpft hat war sehr gut gemacht. An sich jetzt nichts besonderes weil man sowas oft findet, aber es kommt eben drauf an obs gut geht oder nicht und ich fand das du alles sehr passend platziert und erklärt hast. Mir hat der ganze Background von vorne bis hinten gefallen.

Einzig etwas bemängel muss ich das Ende vom Kapitel. Es scheint mir irgendwie wieder so als ob sich Yuki und Freunde absolut keine Mühe dabei geben Erenya zu retten. Ich meine die sitzen einfach da und warten und erzählen sich Geschichten von früher bis Erenyas Vision vorbei ist. Warum? Warum haben sie nicht wenigstens ne Art Plan gemacht wie sie denn Erenya da am schnellsten und bestmöglich rauskriegen. Z.B. hätte Chia als Daren zu sich kam ihm erstmal einen Stuhl über den Kopf ziehen können. Yuki hätte dann Erenya schnell packen und aus der hütte holen können, während Mizu und Koji die Lage im Überblick behalten und wenn nötig Daren davon abzubringen an Erenya ranzukommen. Das wäre ne vernünftige Methode gewesen.

So wirkte es doch nun etwas stümperhaft. Es sei denn du magst Erenya nicht sonderlich und willst gar nicht das sie gerettet wird XD

Aber war mir halt nur so am Rande aufgefallen. Ansonstn wieder ein großartiges Kapitel. (Und ich fand die Szene noch sehr toll als Chia die Tür eintritt. Weiß auch nicht. Hatte irgendwie was ^^)
Antwort von:  Erenya
25.06.2013 19:44
Warum sie sich keine Mühe gegeben haben? Tjoa weil ich ein 12. Kapitel brauche xDDD und es noch zu nem heavy kampf kommen soll deswegen. XDDD
Von: abgemeldet
2013-06-18T08:08:10+00:00 18.06.2013 10:08
Mich wundert es nur das Akazumi wohl wirklich gegen Yuki gewonnen hätte. Dachte eigentlich das nen Mensch keine Chance gegen nen Engel hätte und auch Menschenwaffen denen nichts anhaben könnten.

Auch merkwürdig fand ich das Darean Akazumi mit Erenya draußen rumlaufen lies. Da ist die Chance das Erenya abhanden kommt doch ziemloch groß und vorallen das Akazumi sie wieder so schnell von Harada entreißen konnte. Ich hätte mir meine Geliebte in der Situation nicht so schnell wegnehmen lassen. Irgendwie hats den Eindruck gemacht als hätte er sich nicht so viel Mühe da gegeben. Zumal er doch Akazumi auch körperlich überlegen ist.

Das mit Erenya retten wird wohl jetzt auch nichts mehr wo ja Yuki und Mizu beide verletzt sind. Dann muss Chia das alleine regeln. Übrigens Schade das sie in dem Kapitel nicht vorkam. Vielleicht kann sie ja auch noch mit Akazumi zusammenkommen, die beiden wären sicher nen süßen Paar und passen auch ganz gut zusammen denke ich. Natürlich nur wenn Akazumi demnächst nicht noch stirbt oder so.

Zumindest wieder ein ganz tolles Kapitel.
Antwort von:  Erenya
18.06.2013 10:12
Yuki hat es glaube ich gedacht mit "menschliches Potential". Du weißt schon, Menschen neigen dazu in Notsituationen gerne mal übermenschliche Fähigkeiten zu entwickeln. XDD und Doch menschenwaffen können auch Engeln und onis was anhaben.

Tja Alleine kann er Erenya ja auch nicht draußen rumlaufen lassen der gute Daren und Fakt ist, Erenya braucht Licht.. Und Harada würde nie, glaube ich so vom Charakter her, seine hand gegen eine Frau erheben. Also auch nicht gegen Aka. und so ganz hat er sie ja nicht einfach ziehen lassen.

Ach wird schon XDD keine Sorge das Engelchen wird noch gerettet. Und ich lass die geiko doch nicht alleine Randale machen XDD
Von: abgemeldet
2013-06-11T08:16:00+00:00 11.06.2013 10:16
Der Hintergrund von Akazumi war echt hart und fands auch interssant das sie damals schon mal Daren begegnet ist. Sicher hat es ihr auch das Herz gebrochen als sie von Saito hörte das er kein Interesse an ihr hat. Aber bwie auch? Es gab ja keinerlei Interaktion zwischen den beiden bisher, sie hat ihn ja nur beobachtet, also war ja nichts anderes zu erwarten. Mal sehen wie sich das auf sie in den nächsten Kapitel auswirken wird.

Mizus Kampfszene war ganz gut, wobei sie doch eigentlich total außer Form sein müsste wenn sie das Schwert doch vor Jahren weggelegt hat. Vermute einfach mal das sie eben so viel Talent hat und immer gut mit nen Schwert umgehen kann.

Erenya kam wieder nur kurz vor, was bei dne letzten Kapitel ja fast immer so war. Irgendwie fange ich an sie als Hauptcharakter aus den Augen zu verlieren.


Natürlich war es mal wieder ein sehr gutes Kapitel und man merkt bei dir immer wie viel Mühe du dir gibst um alles möglichst perfekt zu machen.
Antwort von:  Erenya
11.06.2013 11:38
XD Ist doch gut. Sie ist ja nicht die einzige Protagonistin XDD Sie ist ja mehr das "leblose" Objekt, um das es sich dreht. Wirklich viel agiert hat sie bisher ja auch nicht.
Von:  _Natsu_
2013-06-10T18:37:48+00:00 10.06.2013 20:37
Souuu~~

Okay err
wie soll ich das sagen? XD"
'Ich mag Daren' klingt doof...naja es ist auch doof den Bösen zu mögen aber oh my XDDD
Ich mag die Bösen immer
bzw meistens xDDD oh gott schlag mich net XD
Aber...aber die Szene mit dem Mädchen, als er sie getröstet hatte....ich könnt ihn fressen XDDDD
*lacht*
und dann....dundundun
'DAFUQ?! Aka?! O.O" argh"

Oh my Koji's Geschichte ist irgendwie süß und nyaa~ T///T

Und wieder Daren (ja ich lese gerade, während ich schreibe, habe festgestellt, dass ich so alles mehr im überblick hab etc x333~)
Awn~ mir tut Daren Leid...
Oh gohoooooott T/////T *pipi in Augen hat* Klein Daren tut mir Leid, kein Wunder, dass er so einen Hass in sich trägt Q///Q
Du hast die Szene 'wudnervoll' beschrieben (blöd, das an so einer Stelle sagen' aber wie Daren sagt, dass diese Monster verschwinden sollen, die ja eigt Menschen sind und so und argh!!!
Der Vater ist irgendwie pervers...-.- erst bringt er darans Vater eiskalt um, und im nächsten Moment tätschelt er ihm 'sanft' den Kopf -.- *kick*

Oh my und das mit Koji verwirrt mich etwas ._.
besonders der letzte Satz >D
aber die Geschichte über Erenyas Mutter ist wirklich interessant ._."
obschon sie mir irgendwie vertraut vorkam XD vermutlich hast du sie mir erzählt :O" oder so
*drop*

Ah Yuki!
Yuki hat Daren verschont! *-*
Klein Daren awn x333~ ich stell ihn mir irgendwie zucker vor |D

Awn und natsu ist so süß naiv XDD

Daren irgendwie...tut er mir Leid ÓÒ
*schnief*
Antwort von:  Erenya
10.06.2013 20:52
Ich verrat nicht, das ich mit dm Kapitel Daren irgendeine sympathische Seite geben wollte.
Von:  _Natsu_
2013-06-08T10:06:44+00:00 08.06.2013 12:06
Nya endlich ein Kommi von mir x'D
wollte ihn dir eigt auch schon gestern schreiben, aber mir ist aufgefallen wie fail mein Deutsch war und dass ich ne konstruktive Kritik net abgeben könnte...
so round two, ladies 'nd gentlemen~

Fangen wir einfach beim Anfang des Kapitels an~
Du weißt bereits, dass ich Koji allein durch sein Fettnäppfchen anliebe x'D das Kapitel hat demnach für mich einen tollen Start gehabt, bei dem man gleich etwas schmunzeln musste.

Dann die Szene mit Mizu und Souji
Ich lieb souji da an |D wirklich sehr, er ist so besorgt um Mizu und zeigt es auf seiner ganz eigenen Art & Weise
alleine wie du ihn wiedergibst, könnte ich mich in ihn verlieben >//<"
gawd!

Nyan ich liebe Mondhäschen und dessen Auftritt, aber das weißt du ja bereits XDDD Mondhäschen ftw~
Find es auch toll, wie du ihn so darstellst ^^

Awn und dann die Szene als Harada eri wiederfindet T///T
So toll
und dann kommt aka...-.-
*murrt*
und zerstört alles
gosh! Lass beide doch glücklich werden ;///;"
Und dann bekommt sie auch noch dieses Ochimizu! groar!
*am rad dreht*
Ramm ihr das Katana ins Herz! XDDDDDDDDDDDDDDDD~~
Mroar!

wuuuut XDDDD *lacht*
Von: abgemeldet
2013-06-07T23:03:01+00:00 08.06.2013 01:03
Da hat Erenya aber Glück gehabt das sie, obwohl sie nen haufen Leute gnadenlos abgemetzelt hat, noch einmal 7 Tage Zeit bekommen hat um sich zu stellen. Keiner weiß doch was über sie. es hätte auch alles gelogen sein können und 7 Täre hätten locker gereicht um sich aus dem Staub zu machen...

... aber ich vermute mal sie haben sie Erlichkeit in Erenyas zuckersüßen und liebevollen Augen erkannt und wusten deshalb das sie nicht abhauen wird :)
Von:  Miss-Tony-Prime
2013-06-06T21:39:44+00:00 06.06.2013 23:39
bei der gischichte ist es klar warum daren so ein psycho ist XD

aber ich hoffe eri kommt bald nach hause :(
Antwort von:  Erenya
06.06.2013 23:43
Sympathisierst du nun mit dem Bösen? XDD Ich habe dich gewarnt.
Antwort von:  Miss-Tony-Prime
06.06.2013 23:46
nein, sterben soll er!!!!
aber ich versteh jetzt warum er so ist wie er ist
Antwort von:  Erenya
06.06.2013 23:47
Armer Daren ;____; hat keine Freunde X'D Naja man hat in dem kapitel nur an der Oberfläche gekratzt, wer weiß wie er sich noch durchschlagen musste.
Antwort von:  Miss-Tony-Prime
07.06.2013 07:52
ergal, sterben muss er *nick. nick* XD


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