Zum Inhalt der Seite

Unsere Ewigkeit

Doch nichts muss ewig sein
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Einsame Ewigkeit

Es war bereits Abends und die Straßen wurden immer leerer, ruhiger, leiser. Ich mochte diese Atmosphäre nicht. Ich mochte den Lärm und den Krach, wenn die Pferde liefen und die Menschen so viel zu erzählen hatten. Dann achtete niemand auf mich, jeder war mit sich selbst, oder seinem Liebsten beschäftigt. Ich dagegen versteckte mich im Schatten einer Gasse und beobachtete die Menschen.

Viele gingen schnell, hatten es eilig und wollten keine Zeit verlieren. Andere gingen langsam, schauten sich Schmuck, Kleider und was noch so alles an den Ständen verkauft wurde an und lachten. Doch lachten sie nur, wenn sie nicht allein waren. Vielleicht war dies der Grund, weshalb ich mich nicht daran erinnern konnte, wann ich das letzte mal gelacht hatte. Ich war zu lange alleine gewesen. Auch einen Namen hatte ich nicht mehr. Ich wollte auch mich nicht mehr erinnern. Das Leben, in dem man einen Namen hatte, gehörte nicht mir.
 

Einmal, da hatte ich gelächelt, aus Glück, aus purer, einfacher Freude. Es war gar nicht so lange her. Gerade mal ein paar Wochen.
 

Ich saß in einer Gasse und hatte seit Tagen nichts mehr gegessen. Wenn dies so weiter gegangen wäre, wäre ich wohl bald verhungert.

Doch dann kam er, schaute zu mir herab und fing an zu lächeln. Und ging.

Irgendwie war es doch schade, denn es war ein so einzigartiges Lächeln gewesen. Ich blieb sitzen, in der Hoffnung er würde wiederkommen und er tat es. Schon nach kurzer Zeit kam er zurück, in meine Richtung. Wieder lächelte er. Er hockte sich vor mich und legte mir einen Leib Brot auf meine Beine. Ungläubig hatte ich ihn angesehen, doch er lächelte nur, sagte kein Wort. Ich schwieg, traute mich nicht etwas zu sagen.

Lange betrachtete ich ihn, so kam es mir vor. Er trug ein sehr nobles Gewand, vermutlich war er einer der Reichen, vielleicht sogar ein Adliger. Doch wunderte es mich, denn was machte ein solcher Mensch ausgerechnet im Armenviertel? Dort, wo Krankheit und Leid an der Tagesordnung standen.

Plötzlich, ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen war, stand er auf und ging, ließ mich in meiner kleinen Gasse zurück. In Einsamkeit.

Doch das Brot auf meinem Schoß zeigte, dass ich nicht geträumt hatte. Jemand hatte mich beachtet, mir etwas geschenkt. Er hatte mir gezeigt, dass es auch Menschen gab, die sich um andere sorgten, sich um sie kümmerten. Jemanden der mir einen Leib Brot und ein Lächeln schenkte.

Ich war glücklich, wenn es auch nur ein kurzer Moment war, ich war glücklich. Ich spürte, wie sich mein Mund bewegte und ich anfing zu lächeln. Einfach so, nichts konnte ich dagegen machen.
 

Dieser Mann hatte mir, dass ich doch noch irgendwie am Leben war. Jahre hatte ich auf der Straße gelebt, tue es noch immer, doch nie hatte ich mich gefühlt wie ein Lebewesen. Ich war eine Puppe, welche man zwar sehen und spüren konnte, doch sie lebte nicht. Sie fühlte nichts.

Ein einfaches Lächeln hatte mich aus der schwärzesten Dunkelheit gezogen, dabei waren es nur einige Sekunden gewesen, in denen ich dieses einfache Lächeln bewundern konnte.

Ich schaute in den Himmel, zum Mond. Er war so hell, so dass die Sterne um ihn herum verschwanden. Eine Wolke verdeckte ihn langsam, es sah aus, als würde sie ihn verschlingen. Vielleicht würde ich eines Tages doch noch von diesem Ort abhauen können. Vielleicht kommt irgendwann einer, der mir aus diesem Dreck heraus helfen konnte, in dem ich saß. Ich hatte meine Hoffnung, die ich schon seit langem verloren geglaubt hatte, wiedergefunden. Und sie fühlte sich stärker an, als in meinen Erinnerungen.
 

Ich hörte Schritte und sah zur Seite. Ein Frau kam, schaute zu mir runter, ekelte sich und ging weiter. Deshalb mochte ich die Nächte nicht. Menschen die vorbei kamen, bemerkten mich, ekelten sich vor mir, hassten mich. Hatten Angst ich sei Krank. Aber was konnte ich schon machen, ohne Eltern, ohne Familie, ohne Geld. Keine Freunde, keine Bekannten, es gab niemanden, der mich hier heraus holen würde, oder es wollte.

Langsam stand ich auf, meine Beine waren vom sitzen ganz taub geworden. Nun fingen sie an zu kribbeln. Dieses Gefühl war eines von denen, die mich daran erinnerten, dass ich lebte. Mir sagte, dass mein Körper noch am Leben war. Etwas, das mich doch noch von Puppen unterschied. Schmerzen. Natürlich gab es auch schöne Gefühle, nicht nur Schmerzen, doch wie sollte ich die spüren? Hunger gehörte sicher nicht dazu. Es ist überhaupt kein schönes Gefühl, wenn man am verhungern ist, wenn man weiß, dass man sterben wird, falls man nicht bald etwas isst. Vermutlich ist es sogar eine der schlimmsten Todesarten.

Bis jetzt war ich dem Tod zwar immer entgangen, doch mehr oder weniger durch Glück. Hier und da fand ich etwas im Müll, auf der Straße, schaffte es etwas zu stehlen oder ich hatte nach Wochen genug Geld gespart, um mir Etwas zu kaufen. Auch wenn man es nicht glauben konnte, manche Menschen, meist Kinder, warfen mir etwas Geld zu. Doch es war mir Peinlich. Ich war doch selbst noch fast ein Kind. Mit siebzehn Jahren zählte man zwar schon zu den Erwachsenen, man arbeitet, doch jung war man dennoch. Aber andererseits freute es mich dann wieder, dass Kinder so an andere dachten. Möglicherweise erging es Menschen wie mir in hundert oder zweihundert Jahren anders.

Langsam ging ich die Straßen entlang. Hier und da fuhr noch eine Kutsche, doch sehr selten. Genau wie auch am Tag. Besonders im Armenviertel gab es so gut wie niemanden der eine Kutsche, geschweige denn eine Pferd oder einen Esel besaß. Alle gingen zu Fuß.
 

Nach einer langen Zeit kam ich in einem Park. Dort verbrachte ich im Winter oft die Nächte. Unter den Bäumen kam weniger Schnee hin und die Blätter wärmten einen. So dachten viele, die keinen anderen, wärmeren Unterschlupf hatten. Doch auch wenn wir dort nicht alleine waren, so waren wir es im geistigen Sinne dennoch. Keiner traute sich an Jemand anderen heran, er könnte ja krank sein. Vielleicht sogar etwas tödliches, wie die Pest.

Die Pest. Diese Krankheit war schon seit geraumer Zeit hier in der Stadt. Viele Bettler hatten sie, so hielt auch ich mich von den anderen fern und bis jetzt war ich verschont geblieben. Doch lange würde es wohl nicht mehr dauern, dann würde auch ich erkranken. Auf der Straße ließ es sich einfach nicht vermeiden. Vor Jahren war ich einmal krank geworden und hatte es überlebt, aber soviel Glück würde ich wohl kein zweites mal haben.

Erschöpft ließ ich mich unter einem Baum fallen. Ich war einfach zu schwach, um weit zu laufen. Ich hatte kein Fett, geschweige denn Muskeln. Da war meine Haut, darunter gleich die Knochen.

Müde schloss ich meine Augen, musste an den Mann mit dem Lächeln denken. An die Frau, die sich geekelt hatte. An all die Menschen, die an mir vorbei gegangen waren und nicht Tag für Tag um ihn Leben kämpfen mussten, auch wenn es sich hier im Armenviertel wohl nicht sehr von dem meinem unterschied.

Mir tat mein Kopf weh. Womöglich hatte mich doch irgendeine Krankheit erwischt. Dass ich den ganzen Tag nichts essen wollte, hing wohl damit zusammen.

Unerwartet hörte ich etwas vor mir rascheln. Mühsam öffnete ich meine Augen, doch sehr weit gelang es mir nicht. Doch ich erkannte, dass etwas vor mir stand, möglicherweise ein Mensch. Die Größe und Statur ließen auf einen Mann schließen, doch was tat er. Der verwischte Schatten wurde größer, kam offenbar näher. Langsam nahm ich die Person wahr, welche vom mir hockte. Der Mann mit dem Lächeln, jedoch lächelte er nicht. Was war los? Er war so nah. Ich konnte nicht klar denken.

Die Wolken machten langsam Platz für den Mond und es wurde etwas heller. Ich erschrak. Diese Augen, in die ich nun schaute, konnten nicht menschlich sein. Noch nie hatte ich solche Augen gesehen. Was war er? Ein Dämon?

Vielleicht der Tod. Vielleicht war nun meine Zeit gekommen, und vor Wochen hatte er mir mit dem Lächeln und dem Brot gezeigt, dass es bald so war. So abwegig dieser Gedanke auch war, in diesem Moment erschien er mir logisch.

Ich entspannte meine Glieder, sowieso war ich zu kraftlos, um sie lange anzuspannen. Meine Augen fielen mir wieder zu, doch ich spürte, wie er mich berührte.

Dann, ein stechender Schmerz zog sich durch meinen ganzen Körper und hinterließ eine Taubheit in meinen Händen und Füßen. Der Körper des Mannes drückte mich gegen den Baum, an den ich mich zuvor angelehnt hatte. Die Rinde von diesem war rauh und zerkratze meinen Rücken.

Nach endloser Zeit, so erschien es mir, ließ der Schmerz nach, doch die Taubheit blieb. Schließlich ebbte auch der letzte Rest meines Bewusstsein ab und nichts mehr.
 

Ich hatte das Gefühl mein gesamter Körper würde zerrissen, alles schmerzte und brannte. Selbst das Denken tat weh, so kam es mir vor. Wenn sich so das Sterben anfühlte, so konnte ich verstehen, weshalb die Menschen Angst davor hatten.

Aber ich starb nicht, es ging immer weiter.

Letztendlich wachte ich auf, sah mich benommen um und zu mir runter. Ich trug nicht meine zerrissenen alten Kleider, im Gegenteil, ich trug ein dunkelgraues, langärmliges Oberteil und eine gleichfarbige Hose. Sie sahen teuer aus, wenn sie auch nicht gefärbt waren. Nach mehrmaligem Umsehen wusste ich, dass ich nicht mehr im Armenviertel sein konnte. Ein Bett, vielleicht aus Schafwolle, Vorhänge am Fenster – sie sahen aus wie Seide –, sogar ein Teppich lag auf dem Boden. Auch das Holz schien allein schon sehr viel zu kosten, so akkurat war es geschliffen.

Trotzdem stimmte etwas nicht, ich hatte Hunger, fühlte mich nicht schwach oder krank. Es ging mir gut.

Allmählich erinnerte ich mich an den Park, was dort geschehen war und an die Augen. Sie waren rot gewesen, erinnerten an Blut. War dieser Mann also wirklich ein Dämon, der mich mitgenommen hatte? Aber warum hatte er dies getan und mich nicht getötet?

Ich schreckte hoch. Knarrend öffnete sich die Tür und tatsächlich, der Mann trat herein, kam auf mich zu und setzte sich neben mich auf das Bett. Fassungslos sah ich zu, was er tat. Elegant hob er seinen Arm und biss sich in sein Handgelenk, so tief, dass es blutete. So sah ich sie auch, diese spitzen Zähne. Dann roch ich es, das Blut. Noch nie hatte ich Blut so deutlich wahrnehmen können, geschweige denn irgendetwas anderen. Es war so intensiv.

Es war, als würde sich langsam ein Schleier in meinem Kopf bilden und meine Gedanken vernebeln. Ich hatte Hunger und das, was ich jetzt wollte, war genau vor mir. Gezielt bewegte ich mich nach vorne und wollte nach der Hand greifen, doch der Mann zog sie weg. Zaghaft kam ich ihm näher und nachdem ich seine Brust berührte bekam ich, wonach ich verlangte.

Später, nachdem mein Hunger gestillt war, wurde ich wieder müde, legte mich wieder auf das Bett, spürte wie mein Kopf gestreichelt wurde. In diesem Moment fühlte ich mich geborgen, doch eines machte mir Angst. Was hatte er aus mir gemacht? Ich hatte nach seinem Blut gebettelt. Ungewollt, voller Verlangen. Hatte mich von meinem Hunger und der Gier steuern lassen.

Der Mann hielt plötzlich inne. Er ging durch den Raum, langsam, und öffnete eine Tür. Ich hörte wie Stoff aneinander rieb, etwas hartes auf Holz traf und die Tür wieder geschlossen wurde. Langsam kam er zurück zu mir, legte mir eine Decke über meinen Körper und strich mir ein weiteres mal durch meine Haare. Ich tat, als würde ich schlafen.
 

Schlussendlich verließ er ruhig das Zimmer und ließ mich dort schlafen. Er hatte kein einziges Wort gesagt.

Neue Ewigkeit

Es war bereits am dämmern, als ich wieder aufwachte. Vorsichtig stand ich auf und ging zu einem der großen Fenster. Die ebenso großen Vorhänge waren zugezogen und ließen kaum Licht durch. Vermutlich waren sie doch nicht aus Seide, wie ich vorher vermutet hatte.

Unsicher zog ich einen Vorhang zur Seite. Die wenigen Sonnenstrahlen, die noch über den Horizont hinweg strahlten, leuchteten in mein Gesicht. Sofort riss ich den Vorhang wieder vor das Fenster und hielt mir mit meinen Armen die Augen zu. Es war wie ein schrecklich schmerzender Stich, direkt in die Augen. Schwankend ließ ich mich auf den Boden fallen und kauerte mich an die Wand neben dem Fenster.

Nach einer Weile, meine Augen hatten aufgehört zu brennen, richtete ich mich wieder auf und schaute ein weiteres mal aus dem Fenster. Die Sonnenstrahlen waren verschwunden, nur am Horizont war der Himmel noch rötlich gefärbt.

Erschöpft sackte ich wieder zu Boden.

Schlagartig fiel mir wieder alles ein. Der Mann, der mich von seinem Blut hatte trinken lassen und das Gefühl es aus seinem Körper zu saugen, der Geschmack und die Erregung wenn es den Hals hinunter floss. Alleine der Gedanke ließ meinen Körper erschaudern.

Langsam wurde mir klar, was passiert war. Mir war längst bewusst, was mit mir geschehen war. Doch wer würde das schon einfach so hinnehmen, ich glaubte nicht an diese Geschichten, ich wollte nicht glauben, dass ich nun ein Monster war. Es war einfach nicht möglich.
 

Ich musste lange vor dem Fenster gesessen haben, denn plötzlich schien mir das Mondlicht ins Gesicht. Mutlos stand ich ein weiteres mal auf, schaute schweigend aus dem Fenster. Es war beunruhigend wie sehr sich ein Leben in so kurzer Zeit verändern konnte. Ich wusste nicht wie lange ich geschlafen hatte, aber ich vermutete, dass bereits etwa ein Tag vergangen war, seit er mich gebissen hatte, mir mein Leben genommen hatte.

Niedergeschlagen seufzte ich und schaute mich einmal richtig in dem Zimmer um. Nichts hatte sich verändert, da war das Bett, der Teppich, die Vorhänge und ein kleiner, unaufälliger Schrank. Mein Blick blieb an der Tür hängen. Ob sie verschlossen war?

Vorsichtig versuchte ich sie zu öffnen und mit einem knarren bewegte sie sich. Sachte spähte ich durch den Spalt und sah einen langen Gang mit vielen weiteren Türen. Es würde ewig dauern, bis ich den Ausgang gefunden hätte, dachte ich und seufzte.

Doch noch im selbem Moment flammte wieder ein klein wenig Hoffnung in mir auf. Alles war dunkel. Hinter keiner der vielen Türen konnte ich auch nur einen Schimmer von Licht entdecken. Mir war bewusst, dass ich in solch einer Situation eigentlich nichts hätte sehen dürfen, aber ich machte mir lieber später Gedanken darum. Momentan war etwas anderes viel wichtiger. Ich hörte einen Moment auf zu atmen und versuchte etwas zu hören. Nichts. Absolute Stille.

Wenn dieser Mann wirklich das war, was ich dachte, dann hätte er mich schon längst bemerken müssen, doch niemand kam. Er war nicht da.

Es dauerte lange, bis ich die Tür fand, die nach Draußen führte. Nach einer viel zu langen Suche entdeckte ich eine Treppe nach unten. Von da aus fand ich schnell den Ausgang. Es war eine schwere, hölzerne Tür.

Entweder der Mann war sehr unvorsichtig oder er war sich sicher, dass nichts passieren würde, denn auch die Eingangstür war offen. Ich war mir sicher, dass Diebe gerade solch großen Häuser bevorzugten, besonders die, die nicht verschlossen waren. Ausserdem, so konnte ich doch fliehen, ihn verraten, dafür sorgen, dass die Menschen ihn jagten. Doch vermutlich machte er sich da keine Sorgen. Vielleicht wollte er auch, dass ich gehen konnte, wenn ich wollte, vielleicht wusste er sogar, dass ich gehen würde.

Die ganzen Gedanken hinweg wischend, öffnete ich die schwere Tür und trat ins Freie.
 

Langsam zog der Mond über die Stadt hinweg, während ich durch die einsamen Straßen schritt. Ich war gegangen, doch warum hatte ich dies gewollt? Es gab keinen Grund. Dieser Mann hatte mich gut behandelt, mich in einem weichen Bett schlafen lassen, mir sogar gute Kleidung gegeben. Ich spürte auch keine Angst vor ihm, im Gegenteil, ich fühlte mich zu ihm hingezogen. Warum also floh ich aus dem Haus?

Es war Furcht. Furcht vor dem, was mit mir geschehen war. Man hatte mir noch vor wenigen Tagen von einem Gerücht erzählt. Das Gerücht der Bestien, die sich Nachts auf die Jagt nach Menschenblut machten. Ich hatte gelacht. Geglaubt, dass es derartiges gab, hatte ich nie. Andere Sorgen hatten mich beschäftigt. Krankheiten, wie die Pest und Gefahren, wie der Hungertod. Wer hätte schon erwartet, dass so etwas passieren würde, dass so etwas überhaupt passieren könnte.

So stand ich nun, wieder alleine, auf der Straße, doch hatte sich alles verändert. Ich nahm Gerüche wahr, die niemals vorher da gewesen waren. Der Gestank des Mülls, der an den Seiten der Straßen vergammelte, war unerträglicher als jemals zuvor. Ich deutlich den Geruch von Lehm und Erde vernehmen. Blumen, Tiere und auch Menschen waren deutlich hervorstechend, wobei ich da noch keinem Menschen begegnet war.
 

Ich fand eine etwas sauberere Seitengasse und setzte mich dorthin, schaute die leere Wand gegenüber von mir an. Ich schloss meine Augen. In der Ferne hörte ich einen Vogel zwitschern. Hunde und Katzen. Eine Eule. Das Tapsen der Ratten, die sich im Müll ihr Essen suchten. Wind rauschte über die Dächer, Blätter prallten dabei an den Steinen ab. Jedes noch so leise Geräusch nahm ich wahr. Es war eine Symphonie aus den verschiedensten Geräuschen, manche hallten nach, andere verstummten mit einem Mal. Doch ein Geräusch störte, es passte nicht dazu, oder vielleicht doch, aber es stach zu sehr heraus. Es war am Anfang kaum zu hören gewesen, doch mit der Zeit wurde es immer lauter. Ein stumpfes, unregelmäßiges Pochen.

Ich öffnete meine Augen. Etwas entfernt torkelte eine Person auf der Straße. Die Haare waren ordentlich und die Kleidung schien auch nicht die billigste zu sein. Ein Bürger, nicht aus dem schlechtesten Haus.

Je näher er kam, desto lauter wurde das Pochen. Nur langsam begriff ich, was das für ein Pochen war, welches mich so störte. Es war das Herz dieses Mannes, welches in einem unregelmäßigen Takt in seinem Körper klopfte. Es hörte sich ungesund an, so sollte ein Herz doch regelmäßiger pochen, soviel wusste ich. Interessiert blieb mein Blick bei dem Mann hängen, ich beobachtete ihn, bemerkte gar nicht, wie alles andere langsam ausgeblendet wurde. Das Pochen wurde immer lauter, ich hörte, wie das Blut durch seine Adern geschossen wurde, wie der Mann erschöpft ein- und ausatmete. Fasziniert blickte ich weiterhin zum Mann, nahm jedes Geräusch, jede winzige Bewegung von ihm wahr. Unbemerkt spannte ich meinen Körper an, das Rauschen des Blutes dröhnte schon fast in meinen Ohren.

Der Mann kam näher, zu nah, und mein Verstand setzte aus. Mit einer immensen Geschwindigkeit schnellte ich zu ihm und packte ihn, sodass er nach hinten umfiel. Ein gezielter Biss in den Hals und die köstliche Flüssigkeit gehörte mir. Gierig saugte und trank ich, beachtete nicht, wie das Pochen des Herzens immer schwächer wurde. Alles was es gab, war dieses warme Blut und es gehörte mir.
 

Viele Stunden saß ich dort auf der Straße, neben dem leblosen Körper und ich konnte meinen Blick nicht von ihm wenden. Zu sehr tat es mir weh, zu wissen, dass ich dies getan hatte, dass ich Schuld an dem Tod eines Menschen war. Eines unschuldigen Menschen, der wohl nur auf dem Weg zu seinem Heim war. Wer weiß, wer dort nun auf ihn wartete, sich Sorgen machte, gar schon Bekannte nach ihm befragte. Vielleicht hatte er Kinder, die nun in wenigen Stunden, wenn er gefunden war, um ihn weinten. Vielleicht hatte ich einer Familie die Lebensgrundlage geraubt, vielleicht würde die genau so enden wie ich.

Irgendwann hörte ich hinter mir langsame Schritte, nah genug, dass die Person sehen konnte, was vor mir lag. Doch sie blieben ruhig, schritten langsam auf mich zu, bis sie hinter verstummten und sich eine Hand auf meine Schulter legte.

„Steh auf“, sagte eine ernste, tiefe, aber sehr sanfte Stimme. Ich hatte sie noch nie gehört, an solch eine Stimme würde man sich erinnern. Sie wirkte beruhigend, doch bestimmend zugleich. Sofort tat ich wie mir geheißen, stand auf und drehte mich um. Ich war kaum überrascht, als ich das Gesicht des Mannes sah, der sich nun schon lange in meinem Kopf festgebrannt hatte. Seit ich ihn das erste mal gesehen hatte, als er mich angelächelt hatte, mir das Brot gegeben hatte, mich vor dem Tod rettete und mich von seinem Blut hatte trinken lassen. Seine roten Augen funkelten mich trocken an, nicht glücklich darüber, was ich getan hatte. Dennoch beruhigte mich der Blick ebenso wie er mich erschaudern ließ.

Ich konnte meinen Blick einfach nicht abwenden. Zum ersten mal Hatte ich ihn so vor mir stehen, zum ersten Mal konnte ich ihn überhaupt richtig sehen. Er hatte schwarze Haare, bis zur Brust reichend, hinten mit einem Band zusammengebunden. Seine Kleidung war die eines reichen Adligen in dunkleren Farben gehalten.

„Komm mit“, befahl er ruhig, auch sein Blick wurde sanfter, kein Vorwurf war mehr zu erkennen und ich konnte nicht anders als zu gehorchen. Es war nicht so, dass ich unbedingt musste, nur was sollte ich sonst machen? Hier sitzen bleiben würde mich spätestens wenn die Menschen mich und den Mann fanden den Tot kosten. Ginge ich woanders hin, würde es den dortigen Menschen das Leben kosten, so wie diesen Mann. Ein weiteres Mal wollte ich solch eine schreckliche Tat nicht begehen.

Langsam schlich in dem Vampir mit gesenktem Kopf hinterher. Ich konnte nicht mehr, ich wollte mich nur noch verkriechen, vielleicht hätte ich doch dort sitzen bleiben sollen und darauf warten, dass man mich fand und hinrichtete. Ich sollte nicht mehr Leben, noch vor kurzem war in dem Tod so nahe gewesen und dennoch lief ich jetzt durch die Straßen, alles andere als Krank. Ich befand mich in einer komplett anderen Welt und der Mann, der nun vor mir her lief, hatte mich dorthin gebracht. Mir eine zweite Chance gegeben. Eine Chance auf ein neues Leben. Doch wollte ich dieses Leben denn wirklich haben? Das erste was ich in diesem neuen Leben tat, war es Menschen Leid zu bereiten und solch ein Leben wollte ich nicht führen.
 

Noch immer mit gesenktem Kopf ging ich durch die schwere Tür in das Haus. Der Vampir führte mich wieder in das Zimmer in dem ich aufgewacht war. Nichts hatte sich dort verändert.

Geschmeidig setzte er sich auf das Bett und schaute mich ausdruckslos an. Unsicher sah in zu ihm, wollte sehen was er machte. Erstaunen machte sich in mir breit. Er lächelte sanft, es war als wusste er genau, wie ich mich fühlte, was meine Gedanken waren, selbst meine tiefsten Geheimnisse schienen bei diesem Lächeln gelüftet. Langsam hob er seine Hand und hielt sie mir hin. Zögernd und sehr langsam ging ich zu ihm, hob nur sehr zaghaft meine eigene Hand. Gerne wollte ich die mir entgegen gestreckte Hand greifen, doch ich traute mich nicht. Ich wollte wieder weg, so sollte dies nicht sein, ich konnte noch nie jemandem mein Vertrauen schenken, ich wollte es nicht mehr. Angst machte sich in mir breit und ich wollte wieder zurückweichen, doch der Vampir griff meinen Arm und zog mich zu sich auf seinen Schoß. Seine kräftigen Arme hielten meinem Oberkörper fest, sie würden mich nicht wieder loslassen, sie beschützen mich vor allem, zumindest glaubte ich dies in jenem Moment. Ich war wie erstarrt, seine Wärme umgab mich, sein Atem strich an meiner Wange entlang.

Es war schwer, ruhig zu werden. Alle Gefühle, alle Erinnerungen, einfach alles was sich in mir angestaut hatte kam empor gekrochen und wollte hinaus. Ich konnte dies alles nicht mehr zurückhalten und mit einem kräftigem Schluchzer stieß ich alles heraus. Ich kauerte mich in den Armen des Vampirs zusammen, brauchte einfach seine Nähe und weinte. Weinte so lange, bis keine Tränen mehr kommen wollten, bis die Erschöpfung siegte und ich letztendlich einschlief.
 

Der Vampir hielt mich die ganze Zeit stumm in seinen Armen und gab mir die Nähe, die ich brauchte. Seinen Namen wusste ich noch immer nicht.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Rayne-Sunshine
2010-11-29T19:36:14+00:00 29.11.2010 20:36
stabile sach, gefällt mir gut.
schreib weiter^^


Zurück