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Kill this Killing Man I

Zurück ins Leben
von

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Man stirbt nur einmal

Killing man

Jack Savoretti
 

If I said I was sorry

would you forget the things I've done?

I don't know why I even worry;

I don't believe in anyone.

'cos in my sleep I'm still running

from the demons and the ghosts

that in the night I hear coming

they're coming back for what I stole

'cos I am a killing man

I am, I am a killing man.
 

Some believe in the devil,

but who are they to know?

How dare they give a face to evil,

when they're the ones loving the show?

They don't know that I am a killing man,

I am, yes I am,

just another man,

doing what is said and told

just like you my friend, we all sell our souls

please don't make it hard

when I come around for you,

it's not personal, it's just what I do,

'cos I am a killing man, I am, yes I am a killing man
 

There will be a moment in time

when I find the strength to take a stand.

And I will look into my stone cold eyes

and I will kill the killing man,

'cos I will kill this killing man
 


 

1) Man stirbt nur einmal
 

„Und was soll ich jetzt tun?”, fragte Sam heiser.

„Bitte Sam, hör auf mit dem Wahnsinn. Geh zurück nach Stanford. Wir haben soviel verloren. Zuviel! Steig aus bevor es dich auch noch das Leben kostet”, antwortete Dean, „und pass auf mein Baby auf.” Er kämpfte mit den Tränen.

„Ich schaffe das nicht!” Auch Sam versuchte seine Tränen zu unterdrücken. Sie waren soweit gekommen und jetzt sollte es so enden?

„Doch Sammy, du kannst das. Bitte tu es für mich", fuhr Dean fort und blinzelte, „es wird mir helfen, wenn ich weiß, dass du aus der Schusslinie bist."

„Aber, wie soll ich ruhig studieren, wenn ich weiß, dass du für mich in die Hölle gegangen bist?"

„Sammy, bitte. Hör auf!"

Sam nickte und versuchte die Tränen runter zu schlucken. Er wollte stark sein, wenigstens dieses eine Mal stark sein, für Dean! Aber er war sich nur zu sicher, dass er nicht nach Stanford zurückkehren würde. Nicht solange er wusste, dass Dean in der Hölle war und Lilith lebte.
 

Dann begann die Uhr zu schlagen, langsam und unerbittlich.

Zwölf Mal. Die Brüder starrten sich an, mit Tränen, die jetzt nicht mehr zurückgehalten werden konnten, in ihren Augen.

Sam blickte seinen Bruder an als hätte er ihn noch nie gesehen, als wollte er sich sein Bild für immer einprägen. Die Tränen liefern ihm über die Wangen.

Dean versuchte zu lächeln.

„Es tut mir leid Dean", ertönte plötzlich Rubys Stimme. „Das wünsche ich nicht mal meinem schlimmsten Feind."

Dean nickte nur.

Hinter ihm ertönte ein Knurren und Gebell. Er drehte sich langsam um.

Der Hund fletschte geifernd seine Zähne.

„Höllenhund!", stellte Dean fest.

Sam sah sich suchend um: „Wo?"

„Dort", Dean sah zu dem Vieh und auch Ruby starrte das Monster an.

Dann kam Bewegung in die Drei. Sie stürzten in das nächste Zimmer und schlossen die Tür. Während Sam und Ruby sich gegen die Tür lehnten, streute Dean Grabesstaub vor die Tür um gleich darauf dasselbe vor dem Fenster zu wiederholen. Der Hund knurrte kehlig und schien mit voller Wucht immer wieder gegen die Tür zu springen. Doch plötzlich herrschte Stille. Verdächtige Stille.

„Gib mir den Dolch, vielleicht kann ich ihn bekämpfen", forderte Ruby Sam auf.

„Was?" Sam verstand nicht was sie wollte.

„Komm schon, der Grabesstaub wird nicht ewig halten!"

Dean starrte sie verwundert an während Sam langsam den Dolch zog um ihn Ruby entgegen zu strecken.

„Warte!", rief Dean plötzlich und Sam drehte sich verdutzt zu ihm um.

„Willst du wirklich sterben?", fragte Ruby fassungslos.

„Sam, das ist nicht Ruby! Das ist NICHT Ruby!", keuchte Dean.

Sam wollte ihr den Dolch zwischen die Rippen rammen, doch er wurde gegen eine Wand geschleudert. Der Dolch entglitt seinen Händen und landete in unerreichbarer Ferne.

Eine weitere Handbewegung von ihr schleuderte Dean auf den Tisch.

Er keuchte, versuchte sich aufzurichten. Nichts. Eine starke Kraft hielt ihn auf den Tisch gepresst.

„Wie lange bist du schon in ihr?", fragte er.

„Nicht lange, aber ich mag es", flötete sie jetzt mit einer völlig anderen Stimme. „Es fühlt sich so erwachsen an. So toll." Sie blickte an sich herab und als sie ihren Kopf wieder hob waren ihre Augen weiß. Sie drehte ihren Kopf ruckartig von links nach rechts und das Knacken der Wirbel jagte den Winchesters einen Schauer über den Rücken.

„Wo ist Ruby?", fragte Sam.

„Oh, sie war so ein böses Mädchen", erklärte sie süffisant, "deshalb hab ich sie ganz, ganz weit weg geschickt."

„Ich hätte es eher sehen sollen", knurrte Dean, „aber für mich seht ihr alle gleich aus."

Sie ignorierte ihn einfach.

Langsam wandte sie ihren Kopf zu Sam.

„Hallo Sam. Ich wollte dich schon so lange mal kennen lernen." Sie ging zu ihm hinüber, umfasste sein Kinn und drehte seinen Kopf zu sich. Dann küsste sie ihn.

„Deine Lippen sind sooo weich!"

Er wand sich schaudernd aus ihrem Klammergriff.

Dean starrte angewidert zu den Beiden.

„Okay, du hast mich. Lass meinen Bruder gehen!", forderte der Jüngere.

„Du Dummchen! Wenn du verhandeln willst, solltest du auch etwas anbieten, das ich haben will. So etwas hast du aber nicht!"

Sam starrte sie nur an.

„Also das ist dein großer Plan, hah?" Dean wand sich immer noch auf dem Tisch, auf dem er gefangen war gefangen war. „Du willst mich in die Hölle schleifen, Sam töten und was dann? Dann wirst du die Oberschlampe?" Dean wollte ein letztes Mal cool rüberkommen um seine Schmerzen und Angst zu verdrängen. Sich selbst konnte er es ja eingestehen. Ja er hatte eine Scheißangst. Außerdem war seine Haltung auf dem Tisch alles andere als bequem und auch das schwang in seiner Stimme mit.

„Ich muss keinem Hundefutter antworten", flötete sie und drehte sich zur Tür.

Dean biss die Zähne zusammen. Er ahnte was jetzt kommen sollte.

Sam starrte zu seinem Bruder dann folgte er genau wie Dean ihren Bewegungen.

„Hol ihn dir, Junge!", sagte sie lächelnd und öffnete die Tür.

Die Winchesters wechselten einen letzten entsetzten Blick.
 

Der wütend knurrende Höllenhund schoss an ihr vorbei auf Dean zu.

Dean biss die Zähne zusammen und knurrte vor Schmerzen als das Vieh sich in seinem Oberschenkel verbiss und ihn vom Tisch zog. Es zerfleischte sein halbes Bein. Dann rissen die messerscharfen Krallen Deans Schulter auf.

„NEIN! Lass es aufhören!", brüllte Sam und musste doch weiter mit ansehen, wie Dean sich vor Schmerzen auf dem Boden wand.

Lilith lachte nur vergnügt.

„LASS ES AUFHÖREN!", schrie Sam wieder und wieder, doch Lilith lachte weiter und Dean schrie vor Schmerzen. Er warf sich auf den Bauch, mit dem Erfolg, dass jetzt auch seine andere Schulter zerfetzt wurde.

Das Vieh schien Spaß daran zu haben, ihn zu quälen.

"Lass es aufhören!", brüllte Sam noch einmal.

Der ältere Winchester warf sich wieder auf den Rücken. Dean konnte nicht aufhören zu schreien, so sehr quälten die Schmerzen seinen ganzen Körper. Seine Muskeln verkrampften immer mehr. Er spürte wie das Ende nahte.

Plötzlich drehte Lilith sich um. Ihre Augen wurden groß.

Aus ihrem Rücken ragte der Schaft eines Messers. Bobby stand hinter ihr und starrte sie wutentbrannt an.

Riesige Krallen zerfleischten unterdessen Deans Brustkorb, aus dem sofort im Rhythmus seines Herzschlages das Blut hervorquoll, dann gruben sie sich tief in seinen Bauch.
 

Sam fühlte den Druck auf seinem Körper schwinden. Er sprang zu dem Dolch, packte ihn und rammte ihn Lilith ins Herz.

Sie starb mit erschrocken aufgerissenen Augen, völlig überrascht.

Flackernd.

Sam sah schon nicht mehr wie Rubys ehemalige Körperhülle zu Boden ging, er war sofort zu seinem Bruder gestürzt.

Dean lag mit weit aufgerissenen Augen reglos auf dem Boden. Sam tastete nach dem Puls, aber er fand ihn nicht.

Nichts!

Dean war tot!

Bobby hatte den Dolch aus Rubys Körper gezogen und sich dann neben Sam gehockt.

Mit Tränen in den Augen und unfähig ein Wort zu sprechen starrten sie sich über den Körper des Blonden an, bevor ihre Blicke wieder auf den geschundenen Körper fielen.
 

Schwarzer Rauch schwebte in das Zimmer. Er verharrte eine Weile über den Männern und fuhr dann in den Körper der an der Tür lag.

Ruby sog gierig Luft in ihre Lungen und richtete sich auf.
 

Sie erhob sich, ging zu den Männern hinüber und ließ sich neben Sam wieder in die Hocke sinken.

„Wenn er auch nur eine kleine Chance haben soll, müsst ihr ihn hier wegbringen. Holt Decken und das Auto!", sagte sie mit mühsam beherrschter Stimme und hielt ihre Hände über Dean. In gleich bleibender Höhe ließ sie sie über den geschundenen Körper gleiten.

„Ruby? ... Was?", fragte Sam völlig verwirrt.

„Wer sonst!", blaffte sie. „Los! Verschwindet! Holt das Auto! Ich versuche was ich kann."

„Aber...!", wandte jetzt auch Bobby ein.

„GEHT!"

Die Beiden erhoben sich und hasteten mehr als nur hektisch aus dem Raum. Die Dämonin klang, als wüsste sie was sie zu tun hätte.

Ruby konzentrierte sich. Sie ließ ihre Hände weiter über den zerfetzen Körper des Blonden gleiten. Dann legte sie ihm eine Hand auf die Stirn und eine auf sein Herz. Sie schloss ihre Augen.

Tonlos bewegte sich ihr Mund.

Dean zuckte zusammen. Fiel aber wieder auf den Boden zurück.

Die Dämonin murmelte weiterhin leise Worte und hielt die Augen geschlossen. Dann presste sie ihre Lippen auf seinen Mund und zwang Luft in seine zusammengefallenen Lungen.
 

Ein Stöhnen entrang sich ihrem Mund als sie sich wieder aufrichtete.

Sie sah aus als müsste sie höllische Schmerzen leiden.

Dann entspannte sie sich langsam.

Gerade rechtzeitig um zu Sam zu blicken, der wieder in den Raum gestürzt kam.

Sie erhob sich und schwankte leicht als sie sich vor Deans Kopf stellte und wieder in die Hocke ging. Ihre Hände presste sie an seine Schläfen. Sie sah blass und sehr mitgenommen aus. Doch Sam hatte nur Augen für seinen Bruder.

„Lebt er?", fragte der Jüngere ängstlich.

„Ihr müsst euch beeilen. Ich habe für ihn getan was ich konnte, aber er muss sofort zu einem Arzt. Ich weiß nicht ob er das hier überlebt", sagte sie leise aber eindringlich, „Ich weiß nicht mal wie lange er durchhält und ob es bis in ein Krankenhaus reichen wird", sie schüttelte den Kopf. „Der Höllenhund hat verdammt gute Arbeit geleistet."

Sam wickelte den Körper seines Bruders in eine Decke und hob ihn vorsichtig an.

„Und du?" fragte er bevor er ging.

„Ich räume hier auf und dann werde ich euch schon finden! Los jetzt!"
 

Sam stürzte los.

So schnell, wie es die Sorge um seinen Bruder zuließ, rannte er zum Impala.

Bobby saß hinter dem Steuer und wartete mit laufendem Motor.

Hastig und doch so vorsichtig wie nur möglich quetschte sich Sam mit dem leblosen Bündel in seinen Armen auf die Rückbank und noch bevor er die Tür schließen konnte raste der Impala die Straße hinunter.

Emergency Room

Bobby trieb den Impala mit halsbrecherischer Geschwindigkeit über die nächtlichen Straßen.

‚Gut, dass Dean nicht mitbekommt wie der Alte sein Baby behandelt’, überlegte Sam und schaute auf seinen Bruder. Der hatte immer noch kein Lebenszeichen von sich gegeben. Sein Kopf hing zur Seite und Blut tropfte aus seinem Mund.

Eigentlich begrüßte Sam diese Tatsache. So konnte Dean daran wenigstens nicht daran ersticken. Aber bekam er so auch Luft? Sam schob seine Schulter etwas vor und lehnte Deans Kopf dagegen. Der Jüngere starrte in das Gesicht seines Bruders, so als könnte er nur mit seinem Blick Dean dazu zwingen die Augen aufzuschlagen damit er ihm sagen könnte, dass alles wieder gut werden würde, so wie er es immer getan hatte. Nur war er sich hier gar nicht sicher, dass es auch diesmal so kommen würde.

Sam versuchte die Tränen wegzublinzeln, die sich in seinen Augen sammelten.
 

Mit einem letzten abenteuerlichen Schlenker, bei dem Bobby den Wagen nur mit viel Glück davon abhalten konnte, über den Bordstein ins Grünzeug zu rumpeln, bog er auf den Parkplatz der Klinik ein.

Anhalten, die Tür aufreißen und aussteigen war bei dem Älteren eins.

Auch Sam hatte seine Tür schon geöffnet und ließ sich jetzt von Bobby helfen, Deans Körper aus dem Impala zu hieven. Er hielt ihn vorsichtig auf den Armen, Bobby breitete die Decke wieder über den geschundenen Körper und schon eilten sie so schnell wie nur möglich in das Gebäude.
 

Schwester Angelina saß hinter der Anmeldung und blätterte in einem Boulevardblatt. Sie informierte sich gerade über das neueste Liebesleben von Britney Spears als die Tür, mehr als nur energisch, aufgetreten wurde.

„Wir haben hier einen Notfall!", polterte Bobby.

Die so rüde in ihrem Wissensdrang unterbrochene Schwester schaute indigniert auf und musterte die ziemlich abgerissenen, dreckigen Gestalten von denen der Jüngere etwas Schweres unter der Decke trug.

‚Brachten die etwa einen angefahrenen Köter hier rein?’, Sie rümpfte die Nase. Das Vieh tropfte auf den Fußboden!!!

„Wird das jetzt was?", fauchte Bobby mit all seiner Autorität und Schwester Angelina starrte ihn erschrocken an, um dann endlich zur Sprechanlage zu greifen und ein empörtes: „Herr Professor, hier ist jemand, der meint einen Notfall zu haben", ins Mikrophon zu säuseln.

Bobby war mehr als stinksauer ob dieser Behandlung, starrte sie nieder und versuchte erst gar nicht seine sonst so stoische Ruhe zur Schau zu stellen. Die hatte er nicht! In seinem Bauch grummelte jede Menge Wut und er wusste nicht wie er dieses Gefühl im Zaum halten sollte. Er wollte nur seine Jungs wohlbehalten zurück. Beide! Und Beide so, wie er sie kannte. Denn wenn Dean starb würde Sam sich das nie verzeihen, genauso wenig wie er selbst und Sam würde auch nicht mehr Derselbe sein, wenn er seinen Bruder wirklich verlieren sollte. Nicht nur Dean wäre dann gestorben sondern auch ein Teil von Sam und ein Teil von ihm selbst. Bobby mochte die Jungs viel zu sehr, um darüber auch nur nachdenken zu wollen.

Die Schwester rümpfte verstimmt ihr schön operiertes Näschen als sie den Blick des Älteren sah und setzte sich wieder.
 

Der Professor, ein netter dunkelhaariger Mann Mitte vierzig, kam durch die Schwingtüren am anderen Ende der Empfangshalle, gefolgt von einer Liege, die von einem jungen Pfleger geschoben wurde.

„Was haben wir denn hier?", fragte der Professor ruhig und musterte nun seinerseits die Jäger.

Sam legte seinen Bruder mit einem leisen und doch deutlich erleichterten Seufzen auf die Liege.

„Er ist von irgendwas angefallen worden", informierte er dabei. „Wir wissen nicht was, wir haben ihn so gefunden."

„Dann wollen wir mal", lächelte der Professor, lüftete die Decke, die auch Deans Gesicht bedeckte, holte tief Luft und wurde blass.

Vor sich sah er einen jungen Mann, dessen Bauch und Brust aufgerissen und blutgetränkt waren. Außerdem hatte er tiefe Wunden an Beinen und Schultern.

'Dieser Mensch konnte nicht mehr leben!', dachte er.

Energisch streckte der Professor die Hand nach Deans Hals aus und machte sich darauf gefasst, den Männern, die ihn so hoffnungsvoll anschauten, die traurige, aber unausweichliche Nachricht vom Tod ihres Freundes zu machen. Er tastete nach dem Puls und keuchte noch einmal und fast noch entsetzter als zuvor, als er einen unregelmäßigen und sehr schwachen, aber doch vorhandenen Puls fand.

„Sofort in den OP!", wies er den Pfleger an. „Schwester Angelina, trommeln Sie auf der Stelle das Team zusammen. Dann kümmern Sie sich um alles Weitere und geben Sie den Herren einen Kaffee!"

Im Hinausgehen streifte sein Blick die Uhr. Es war kurz nach halb eins. Er seufzte noch einmal und ging sich umziehen. Nicht ohne jedoch Sam und Bobby einen aufmunternden Blick zuzuwerfen.
 

Schwester Angelina hatte das Team in Windeseile alarmiert und besann sich dann ihrer schwesterlichen Pflichten. Sie brachte den beiden erschöpften Männern frisch gekochten Kaffee und komplimentierte sie auf die nicht wirklich bequemen Sitzbänke im Wartezimmer.

Prof. Dr. Smith bereitete, zusammen mit einer Schwester, Dean zur OP vor, als das Team grün maskiert und mit hoch erhobenen Händen den Raum betrat. Synchron bekamen die Vier zuerst große Augen und wurden dann recht blass hinter ihren Schutzbrillen.

„Ich eß’ nie wieder Hackbraten!", keuchte die Anästhesistin, Kim Chang.

„Das ist doch vergebliche Liebesmüh. Der macht keine fünf Minuten mehr", empörte sich Jason Nolan, „und dafür musste ich aus'm Bett?"

„Da stimme ich dir zu", ließ sich jetzt auch Bonny Kulman hören, „der hat sich ja mal richtig hübsch zurichten lassen!", grinste sie.

Professor Smith schaute streng in die Runde, sagte jedoch noch nichts.

„Wieso lebt der eigentlich noch?", fragte Jason.

„Gute Frage", antwortete Bonnie sarkastisch.

„Also ich bitte um etwas mehr Respekt meine Damen und Herren. Sie haben hier einen Menschen vor sich und er hat es bis hierher geschafft. Wie auch immer. Damit zeichnet er sich durch wesentlich mehr Lebenswille aus als die meisten von ihnen!", beendete der Chefarzt Dr. Smith diesen unschönen Disput. Er wusste, dass sich seine Ärzte so abreagierten und er wusste, dass sie das brauchten, aber er wollte das heute nicht hören.

„Der hat doch eh keine Chance", erklärte der grün maskierte Jason trocken, „Ich wette, der schafft keine 48 Stunden mehr."

„Eine Woche", schaltete sich jetzt auch Marschall Stern ein.

„Ich schließe mich Jason an", ließ Bonnie verlauten.

„Es reicht, wir haben hier zu arbeiten!", fuhr Dr. Smith erneut dazwischen. Er war frustriert. ‚Warum hatten sie ihm ausgerechnet heute einen so... hoffnungslosen Fall auf den Tisch gelegt?’ Er wusste nicht ob er dieses zerfetzte Etwas wirklich noch als Menschen bezeichnen sollte. Er hatte die Form eines Menschen und er war jung und sah sogar gut aus, aber... Verdammt! Wieso lebte der überhaupt noch? Jason hatte ja Recht! Da durfte doch kaum noch Blut drin sein und auch sonst, diese Verletzungen überlebte man nicht. Keine 5 Minuten! Aber der hier lebte noch!?! Klar, jetzt hielten die Maschinen ihn am Leben aber er hätte es gar nicht bis hierher schaffen dürfen. Nicht hierher und nicht auf seinen Tisch. Nicht heute!'

Der Chefarzt atmete tief durch. Zwang sich, diese Gedanken zu verdrängen. Er war Arzt. Er hatte einen Eid geschworen Menschen zu helfen. Egal wie sie aussahen und was sie hatten. Also!
 

„Und ich denke er schafft es!", meldete sich Kim plötzlich leise zu Wort.

Der Professor war überrascht. Und dankbar. Das waren genau die Worte, die er jetzt brauchte.

„Danke, Miss Chang, ich stimme Ihnen zu", er atmete tief durch, "Okay, fangen wir an. Auf meinem Tisch stirbt niemand. Nicht heute! Nicht am 1. Geburtstag meiner Tochter. Also los meine Herren. Erfüllen sie diese Vorgabe!"
 

„Jeder einen Hunderter?", fragte Jason in die Stille im OP.

Alle, selbst Dr. Smith, nickten.
 

„Absaugen!", konzentriert machte sich der Chefarzt daran die immer wieder an neuen Stellen sprudelnden Blutungen zu stoppen.

Ein Gedanke drängte aus seinem Unterbewusstsein an die Oberfläche und wurde von einer plötzlich wie ein Springbrunnen sprudelnden Arterie wieder verdrängt. Sonst hätte sich der Arzt wahrscheinlich ernstlich gefragt, warum die Adern so schön nacheinander aufplatzten.
 

Unterdessen hatte Schwester Angelina die Krankenkarte, die Sam ihr gereicht hatte, geprüft und für gut befunden und reichte den beiden Männern die inzwischen 4. Tasse Kaffee.

Sam gratulierte sich in Gedanken dazu, nach dem Tod ihres Vaters darauf bestanden zu haben, eine Krankenversicherung für sich und Dean abzuschließen und pünktlich jeden Monat darauf gedrängt zu haben, dass diese auch bezahlt wurde. Und Dean hatte ihm jeden Monat den Betrag gegeben auch wenn Sam oft nicht wusste, woher der stammte.
 

Die Sonne war schon komplett über den Horizont gestiegen. Sie strahlte über einen wolkenlos blauen Himmel und versprach einen herrlichen, warmen Maitag.

Bobby beendete seine Wanderungen von einer Tür des Empfangsraumes zur anderen und setzte sich neben Sam.

Der junge Winchester hatte den Kaffeebecher zwischen seinen Beinen platziert und versuchte wach zu bleiben. Ein Unterfangen, das ihm nicht annähernd gelang. Mit gleichmäßiger Regelmäßigkeit fiel ihm sein Kopf auf die Brust und wurde jedes Mal wieder nach oben gerissen.

„Leg dich hin, Sam!", sagte Bobby leise und wischte sich mit der Hand über das müde, stoppelige Gesicht.

Der Angesprochene schüttelte stur den Kopf.

Keine viertel Stunde später rollte er sich auf drei unbequemen Stühlen zusammen und war eingeschlafen noch bevor er richtig lag.

Schwester Joanna hatte Schwester Angelina an der Anmeldung abgelöst und bedachte, wesentlich pflichtbewusster als ihre Kollegin, Sam augenblicklich mit einer Decke und fragte im selben Atemzug den Älteren, ob er noch einen Kaffee wünschte. Wünschte er nicht. In seinem Bauch gluckerte es schon verdächtig.

Bobby hatte seinen Kopf an die Wand hinter sich gelehnt und sein Baseball-Cap weit ins Gesicht gezogen. Auch er döste vor sich hin.

Die Empfangshalle füllte sich langsam und die Jäger wurden immer wieder skeptisch gemustert, doch das bekamen Beide nicht mit, oder wollten es nicht mitbekommen.

„Mr. Flechter?", Prof. Dr. Smith kam durch die Tür und schaute sich suchend um.

Sam sprang so schnell auf, dass sein Kreislauf keine Zeit hatte sich auf die so abrupt veränderte Stellung einzustellen. Er torkelte auf den Chefarzt zu.

Vor ihm angekommen rieb er sich über das müde Gesicht, blinzelte ein paar Mal und sah den Arzt dann fragend an. Fragend und hoffnungsvoll und immer noch leicht schwankend.

Bobby war ebenfalls auf den Beinen und fasste Sam am Arm, bis dieser wieder sicher stand.

„Bitte folgen sie mir in mein Büro", sagte der Arzt kryptisch.

Die Männer gaben sich geschlagen und trotteten mit hängenden Schultern hinter dem Arzt her.
 

In seinem Büro komplimentierte er die Jäger in die Sessel und setzte sich dann hinter seinen Schreibtisch.

Sam hockte auf der Kante und war kurz davor dem Arzt an die Gurgel zu gehen, oder ihn zumindest zu exorzieren.

„Wir haben ihren Bruder operiert. Er lebt", fügte er schnell hinzu als er Sams Unruhe bemerkte und lächelte, als er sah wie schnell der Jüngere sich wenigstens etwas entspannte.

„Wir haben für ihn getan, was wir konnten. Wir haben hoffentlich alle Blutungen stoppen und seine inneren Verletzungen behandeln können. Aber für diese großflächigen Hautverletzungen haben wir hier nicht die Möglichkeiten, die andere Kliniken haben. Wir werden ihn noch für 24 Stunden überwachen und wenn sein Zustand stabil bleibt, werden wir ihn an die Uni-Klinik nach Indianapolis überstellen."

„Kann ich zu ihm?", fragte Sam leise aber drängend.

„Sie dürfen kurz zu ihm. Ein paar Minuten", bremste er Sams Aufsprung, „Er steht noch unter den Nachwirkungen der Narkose. Und danach fahren sie nach Hause oder in ein Motel oder wo auch immer Sie ein Bett finden, und schlafen sich aus!", fuhr er fort und setzte nachdrücklicher hinzu: „Ich werd Sie nicht eher wieder zu ihm lassen bis Sie nicht etwas ausgeschlafener sind!"

Auch Bobby brummelte zustimmend.

Tief in seinem Inneren wusste Sam, dass der Arzt Recht hatte, aber eigentlich wollte er hier nicht weg. Er wollte Dean nicht alleine lassen.

„Kommen sie. Ich bringe sie zu ihm", forderte der Professor leise und erhob sich.

Sam taumelte hinter ihm her und wäre vermutlich gestürzt, wenn Bobby ihn nicht gestützt hatte.

„Der Arzt hat Recht, Sam. Du kannst ihm so nicht helfen. Er würde sich nur um dich sorgen."

„Aber..." Der Winchester wusste nur zu gut, wie Recht Bobby hatte. Er war ja kaum noch in der Lage aufrecht zu stehen.

Der Arzt blieb vor einer Tür stehen und sah die beiden Männer eindringlich an: „Nur ein paar Minuten! Er braucht die Ruhe."

Beide nickten.

Der Feind in mir

Dann öffnete der Arzt die Tür und Sam und Bobby keuchten erschrocken und hielten gleich darauf gleichzeitig die Luft an. Die Ärzte hatten über Dean eine Art undurchsichtiges Sauerstoffzelt aufgebaut. Nur der Kopf und die Unterarme schauten daraus hervor. Vorsichtig, so als hätten sie Angst den Blonden zu stören, traten die Jäger ins Zimmer. Überall um Dean herum standen Maschinen, die piepsende Geräusche von sich gaben oder über deren Monitore irgendwelche Linien und Kurven zuckten.

Sam ging zu dem Menschen in dem Bett.

Das…. Das war NICHT Dean! Das…. Das sah aus wie eine Porzellanpuppe. Bleich, mit geschlossenen Augen und blutleeren Lippen lag er da. Nur die Maschinen verrieten, dass er lebte und Sam war sich mit einem Mal noch nicht mal sicher, ob die ihm nicht einfach was vormachen wollten.

Er versuchte gar nicht erst seine Tränen zurückzuhalten.

Bobby hielt sich im Hintergrund, bereit den jungen Winchester aufzufangen, sollte der einfach umkippen. Aber auch er musste sich immer wieder sagen, dass das in dem Bett Dean war. Dean, der ihn mit seinen dummen Sprüchen zur Weißglut bringen konnte. Dean, der für seinen Bruder alles tun würde. Dean, der immer wieder, egal wie verzwickt die Lage auch war, einen Ausweg fand, der immer Optimist geblieben war.

Optimist! Das war das Stichwort. Ja, Bobby wollte optimistisch sein. Dean würde leben!
 

Sam nahm die Hand seines noch tief schlafenden Bruders in seine. Sie war kalt und zitterte leicht.

Der Jüngere ließ seinen Handrücken über Deans Wange gleiten. Ja, sein Bruder fror!

Professor Smith sah den fragenden Blick und nickte.

„Das sind die Nachwirkungen der Narkose. Außerdem hat er sehr viel Blut verloren und sein Kreislauf war zusammengebrochen. Wir haben ihn auf eine Wärmedecke gelegt um das auszugleichen."

Sam nickte unbewusst.

„Du musst leben Dean, hörst du? Ich kann das nicht alleine", bettelte er leise, „Also untersteh dich, dich einfach vom Acker machen zu wollen!", ein kurzes Lächeln huschte über Sams Gesicht.
 

„Ich muss sie jetzt bitten zu gehen", sagte der Chefarzt und machte eine auffordernde Geste Richtung Gang.

Nur schwer konnte sich Sam von seinem Bruder losreißen, doch Bobby schob ihn mit sanfter Gewalt aus dem Zimmer. Kaum waren sie über die Schwelle als sich Sams Wille praktisch in Luft auflöste. Er konnte nicht mehr. Er wollte nur bei Dean bleiben, doch da war er regelrecht rausgeflogen und er war zu müde um protestieren zu können. Also ließ er sich, wie eine Marionette, von Bobby bewegen.

Er wurde aus dem Krankenhaus bugsiert und in den Impala gesetzt, und war eingeschlafen bevor Bobby den Parkplatz verlassen hatte.

Der Ältere schaute kurz zu Sam hinüber und ein Lächeln huschte über seine müden Züge. Sam brauchte dringend etwas Schlaf, er hatte ja schon befürchtet, dass er ihm einfach zusammenklappen, oder noch viel schlimmer, durchdrehen würde. Was ja auch in Anbetracht ihrer Situation nicht wirklich verwunderlich gewesen wäre.

Er bog bei dem ersten Motel ein, das er fand und orderte für sie ein Doppelzimmer, dann weckte er Sam und ging voraus in ihr Zimmer. Sam folgte ihm im Halbschlaf.

Bobby bewegte ihn mit sanfter Gewalt dazu, sich bis auf Shorts und T-Shirt auszuziehen und ließ ihn dann in eins der Betten kriechen, wo er auch sofort wieder einschlief.

Eine kleine Ewigkeit später, die Sonne versank schon wieder am Horizont, war Sam so ausgeruht, dass sich sein Magen ob der schmählichen Vernachlässigung der letzten Tage Gehör verschaffen konnte.

Immer noch müde wälzte sich der Winchester auf den Rücken. Er streckte sich ausgiebig.

Dean, der Langschläfer, war auch schon auf und stand unter der Dusche…. Dean????

Sam saß aufrecht in seinem Bett.

Dean!!!!

Dean war im Krankenhaus!
 

Und dann kam Bobby aus dem Bad.

„Hey", grüßte er, „wenn du fertig bist können wir was essen gehen und dann zu Dean fahren."

Sam nickte nur und war schon auf dem Weg unter die Dusche.
 

Schweigend saßen sie in dem schäbigen Diner und während Sam lustlos aber wenigstens hungrig an einer Pizza kaute, schaufelte sich Bobby Rührei und Würstchen in den Bauch.

Und auch ohne Worte waren sie sich einig, dass sie diese Nacht bei Dean verbringen würden. Dann müssten sie weiter sehen. Aber hatte der Arzt nicht gesagt, dass Dean nach Indianapolis überstellt werden sollte?

„Was ist eigentlich mit deinem Wagen?", fragte Sam plötzlich.

„Ich denke, den wird Ruby schon zu mir zurückbringen, oder?"

„Du traust ihr?"

„Ich weiß nicht, aber sie hat irgendwas mit Dean gemacht, sonst wäre er nie lebend im Krankenhaus angekommen."

„Ja, ich weiß. Aber ich dachte du wärst da eher wie Dean. Er mochte sie nie!"

„Ich traue ihr, aber das heißt nicht, dass ich sie mögen muss, oder?"

„Hm!" Da hatte er auch wieder Recht.

„Lass uns fahren", sagte Bobby und schaute auf seinen, blicklos durch das Fenster starrenden Freund.

Gedankenverloren nickte Sam und rutschte aus der Bank während der Ältere sich daran machte ihr Frühstück, oder besser Abendbrot, zu bezahlen und dann Sam zum Impala folgte. Ohne auch nur darüber nachzudenken blieb der auf der Beifahrerseite stehen.

Bobby lächelte. Doch gleich darauf wurde er wieder ernst. Diese Beiden durften nicht getrennt werden. Nur zusammen waren sie unschlagbar. Einzeln wäre wohl jeder von ihnen eine Gefahr für die Menschheit. Sie brauchten einander. Sie hielten sich gegenseitig auf dem richtigen Weg.

Er schloss den Impala auf, rutschte hinter das Lenkrad und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Sam sich auf dem Beifahrersitz zusammenfaltete. Dann startete er, Deans Baby erwachte mit dem üblichen Grollen zum Leben, und sie rollten langsam vom Parkplatz.

Für Sam war es so natürlich, dass er neben Dean auf dem Beifahrersitz über die Straßen glitt, dass er sich für einen Augenblick dem trügerischen Gefühl von Sicherheit und Normalität hingab. Das Fehlen der lauten Musik ignorierte er bewusst. Sein Bruder saß neben ihm und alles war so wie es immer sein sollte. Doch dann kam die erste Ampel und der Impala wurde so ganz anders zum Stehen gebracht und die Seifenblase zerplatzte.

Sam seufzte und ließ seinen Kopf gegen die Seitenscheibe sinken.
 

Kurz glitten die Gedanken des Älteren zu dem erschreckenden Szenario, dass es Dean nicht schaffen und Sam alleine zurückbleiben würde. Wie genau das dann aussah wollte er sich gar nicht erst ausmalen. Entweder würde Sam durchdrehen und allem Übernatürlichen den Kampf ansagen, ohne Rücksicht auf sich, oder er würde durchdrehen und für die Menschheit eine wesentlich größere Gefahr darstellen als es die Dämonen je sein konnten. Erschreckender Gedanke, aber bei dem Waffenarsenal, das die Beiden im Kofferraum des Impalas versteckt hatten, ein sehr Reales, oder er würde einfach aufgeben und langsam zugrunde gehen.

Bobby schüttelte energisch den Kopf. Keines dieser Horrorszenarien wollte er wirklich wahr werden sehen.

Sam seinerseits ertappte sich gerade bei ähnlichen Gedanken und schob sie, allerdings ohne Kopfschütteln, dafür ebenso energisch, zur Seite.

Dean musste leben.

Lilith die kleine Oberschlampe war tot und Dean somit frei!

Dean musste einfach leben.
 

Bobby bremste vor dem Krankenhaus und stieg aus.

Verwundert schaute er auf den jungen Winchester.

Es dauerte etwas bis Sam so weit wieder in der Realität war, dass er registrierte, wo er war, seine Reaktionszeit war auch schon mal besser gewesen, und er mit einem Sprung aus dem Impala und auf dem Weg ins Krankenhaus war.

In der Eingangstür riss er fast eine ältere Dame um, die das Pech hatte zur selben Zeit den gleichen Türflügel aufmachen zu wollen, wie der junge Winchester. Sie hatte ihre Hand gerade um den Türgriff geschlossen, als die Tür so stürmisch von ihr weg gezogen wurde, dass sie stark um ihr Gleichgewicht kämpfen musste, diesen Kampf verlor und Sam in die Arme fiel.

Geistesgegenwärtig fing der sie auf, nuschelte etwas Unverständliches, stellte sie wieder ab und verschwand, wie ein 100-Meter-Läufer auf Rekordjagd, durch die nächste Schwingtür.

Sie holte entsetzt Luft und wollte empört lospoltern. Allein, ihr fehlten die Worte. Und außerdem hatte ihre Schimpftriade jeglichen Bezug verloren. Die Flügel der Schwingtür pendelten langsam aus.

Dass einige der noch im Wartebereich sitzenden Personen sich das Lachen verbeißen mussten, entging ihr zum Glück, denn sie hatte sich während der Zeit, in der sie darauf wartete, dass man ihr sagte, dass ihre Enkelin doch im Krankenhaus verbleiben musste, weil man eine Gehirnerschütterung nicht gänzlich ausschließen konnte, reichlich unbeliebt gemacht, das heißt, sie hatte ordentlich genervt!

Die Kleine war, unter ihrer Aufsicht, auf einen Baum geklettert und samt morschem Ast wieder zu Boden gestürzt und hatte dann das leckere Mittagessen, Hähnchensandwiches und Schokopudding als Nachtisch, wieder erbrochen.

Jetzt riss auch noch Bobby ihr die Tür erneut aus der sich gerade wieder um den Griff schließen wollenden Hand und das Kichern im Raum wurde etwas deutlicher.

Ungeachtete des feindseligen Gesichtes dieser Dame und ohne seine stoische Ruhe zu verlieren schritt der Jäger an ihr vorbei und war kurz darauf ebenfalls hinter besagter Schwingtür verschwunden. Er lief dem Chefarzt in die Arme, der ihn informierte und sich gleich zu ihnen gesellen wollte.
 

Bobby betrat nun ebenfalls das Krankenzimmer und lächelte als er Sam am Bett seines Bruders sitzen sah, dessen Hand haltend, als hätte er nie etwas anderes getan.

„Dr. Smith will auch gleich kommen", informierte er ihn leise und betrachtete dann das blasse Gesicht des Älteren. Der sah immer noch so zerbrechlich aus, schon fast kindlich und so gar nicht wie der Mann, der Geistern und Dämonen das Fürchten lehrte.

Bobby postierte sich am Fenster und harrte der Dinge die da kommen sollten.

Plötzlich wurde ein Piepsen unregelmäßig und hektisch.

Sam und Bobby brauchten eine Weile um den Ton zuordnen zu können: Es war Deans Herzschlag!

Dann wurde der Blonde unruhig. Man konnte deutlich erkennen, dass seine Augen unter den geschlossen Lidern hektisch hin- und her huschten.

„Dean?" Sam rutschte näher an ihn heran.
 

Ein penetrantes, unrhythmisches Piepsen drängte sich in sein Bewusstsein. Was war das? Und wo war er? Er lag. Seine Schultern schmerzten und von Brust und Bauch ging ebenfalls ein dumpfer Schmerz aus, genau wie von seinen Beinen.

Alles fühlte sich so unwirklich an.

Und plötzlich fiel ihm alles wieder ein!

Der Höllenhund! Lilith!

Er war gestorben. Er musste in der Hölle sein!

Aber warum tat ihm dann sein Körper weh? Hatte er in der Hölle einen Körper? Oder gaukelten sie ihm nur vor einen zu haben? Er wollte seine Augen öffnen aber seine Lider waren schwerer als Blei. Hatte sie ihm...?

Er bekam Panik.

Er versuchte sich auf seine Atmung zu konzentrieren. Doch er konnte es nicht. Hatte er überhaupt noch Kontrolle über irgendetwas?

Er ballte die Hände zu Fäusten.
 

Sam japste als sich Deans Hand plötzlich mit einer Kraft um seine schloss, die er ihm gar nicht zugetraut hatte, jedenfalls nicht in diesem Zustand.

„Dean?"

Doch der Blonde reagierte immer noch nicht.

Er warf den Kopf von einer Seite zur anderen.
 

Verzweifelt versuchte er Luft zu holen, doch er bekam keine. Er hatte das Gefühl zu ersticken.

„Dean? Es ist okay! Bitte beruhige dich!" wisperte Etwas? Jemand in seinem Bewusstsein.

Wer?

„Dean, es ist alles in Ordnung. Du brauchst keine Angst zu haben. Du lebst! Bitte, beruhige dich!", flüsterte die Stimme in ihm.

LILITH!

Wer sonst?

Lilith war IN ihm!

Oh Gott! Er war gestorben. Der Höllenhund hatte ihn geholt. Und Lilith war in seinem Bewusstsein, in seiner Seele, in ihm!

Er riss die Augen auf.
 

Ein weißer Raum. Er lag in einem Bett und neben ihm...?

‚SAM?’

Sammy saß neben seinem Bett!

Sammy? Sein Sammy?

Er hatte noch immer das Gefühl zu ersticken. Warum bekam er denn keine Luft? Warum konnte er nicht atmen?

Er verkrampfte sich immer mehr.

„Es ist Sam, Dean! Bitte, du bist im Krankenhaus. Du warst... Du bist sehr schwer verletzt. Bitte Dean! Hör auf, lass es einfach geschehen. Du wirst beatmet! Hör auf! Du machst es nur noch schlimmer! Bitte Dean!", wisperte die Stimme in ihm.

Er war besessen! Er hatte einen Dämon in sich!

Er starrte Sam an, versuchte etwas zu sagen, doch er konnte nicht. Irgendwas war in seinem Hals, behinderte ihn. Machte ihn stumm.

‚Sammy! Hilf mir!’ flehten seine Augen.
 

„Dean?", der Jüngere versuchte auf sich aufmerksam zu machen.

Große, dunkelgrüne Augen fixierten ihn. Sam lächelte.

„Hey! Ich hätte nicht gedacht, dass du wach wirst. Es ist alles in Ordnung, Dean. Du lebst!", lächelte der Brünette und strich seinem Bruder sanft mit dem Handrücken über Stirn und Wange.

‚Verdammt noch mal! Sammy! Ich bin besessen! Begreifst du das denn nicht? Exorzier mich, BITTE!’ flehte Dean seinen kleinen Bruder an. Doch der reagierte nicht.

‚Sammy!’ War das überhaupt sein kleiner Bruder?
 

Deans Blick wurde immer panischer. Er versuchte sich zu befreien. Seine Hände, er hatte sich von Sams losgerissen, fuhren immer wieder über das raue Laken. Er wollte weg. Seine Fersen stemmten sich in die Matratze und ganz langsam drückte er sich weiter nach oben.

Sam versuchte ihn zu beruhigen, versuchte wieder Deans Hand zu greifen, doch der Blonde entwand sie ihm immer wieder.

Dr. Smith betrat den Raum: „Was...?", er starrte ungläubig auf seinen Patienten. Wieso war der wach?

Sofort griff er in einen Schrank und förderte eine kleine Flasche und aus einer Schublade eine Spritze zu Tage. Er zog die Kanüle auf und trat an das Bett.

Mit einem geübten Griff fasste er den Arm seines Patienten und injizierte die klare Flüssigkeit in den Zugang an Deans Hand.

Keine Minute später entspannte der sich wieder. Sein Herzschlag wurde gleichmäßiger und mit einem letzten verzweifelten Blick zu Sam schlossen sich die grünen Augen wieder.

Nur Fliegen ist schöner

„Das... Ich hätte nie gedacht, dass er erwachen könnte." Dr. Smith entfernte kopfschüttelnd das Zelt über Deans Körper. „Eigentlich ist es völlig unmöglich bei der Dosis von Schmerz- und Beruhigungsmitteln, die er bekommt, wach zu werden!"

Sam japste erschrocken als er diese riesigen Wunden sah. ‚Wunden? Eigentlich ist Deans Körper eine einzige Wunde’, stellte er entsetzt fest.

Eine Schwester kam ins Zimmer geeilt und half dem Arzt, Dean wieder richtig hinzulegen. Dann versorgten sie die Wunden, die abermals zu bluten angefangen hatten und stellten, als sie damit fertig waren, das Zelt erneut über ihn und verschlossen es so steril wie möglich.
 

„Soweit scheint alles in Ordnung zu sein. Wir warten noch bis morgen früh. Wenn er bis dahin stabil bleibt, steht einer Verlegung nach Indianapolis nichts mehr im Weg", erklärte der Chefarzt.

Er nickte den Männern noch einmal aufmunternd zu und war wirklich glücklich, dass dieser so hoffnungslos scheinende Fall wohl doch ein zufriedenstellendes Ende nehmen würde.

Er lächelte noch immer als er wieder in den Gang hinaus trat und ihm Jason Nolan über den Weg lief.

„Er lebt und er war gerade wach!", noch härter konnte er den jungen Arzt mit Sicherheit nicht erschüttern!

Jason starrte seinen Professor entsetzt wütend an und zuckte dann nur fassungslos die Schultern. Damit hatte niemand rechnen können! Dieser Typ war einfach nur gemein. Er hätte sterben MÜSSEN! Vom rein medizinischen Standpunkt aus hatte der kein Recht mehr zum Leben. Aber was war schon der medizinische Standpunkt. Tief in seinem Inneren musste er ja zugeben, dass er sich freute, sich so nachhaltig geirrt zu haben. Auch wenn ihn das einen Hunderter kostete!

Sam saß wieder am Bett seines großen Bruders und wurde von Gewissensbissen geplagt. Einerseits war er froh und sogar glücklich, Dean war wach gewesen. Aber die Zweifel blieben. Hatte Dean einfach nur Schmerzen gehabt? Hatte er ihm etwas mitteilen wollen? Etwas, das er einfach nicht verstehen konnte? Etwas, das vielleicht wichtig für sie, wichtig für ihn gewesen war? Sam wusste es nicht und er konnte sich auch nicht denken, was es sein könnte. Oder war Dean in seinen Albträumen gefangen gewesen? In der Angst doch in der Hölle gelandet zu sein? Aber seine Augen waren klar gewesen. Er hatte ihn doch erkannt, oder? Dean hatte ihn doch erkannt!?!

Sam rieb sich über die Nase. Verflucht! Dean wusste nicht, dass Lilith tot und er nicht gestorben und in der Hölle gelandet war! Und er, Sam, hatte es nicht verstanden ihm das zu sagen! Er war so ein Idiot! Jetzt wo Dean ihn brauchte versagte er!

Sam könnte sich ohrfeigen für seine Blödheit!

Er umfasste Deans Hand mit seinen, stellte die Ellenbogen auf die Matratze und legte seine Wange gegen Deans Handrücken. Er würde diesen Platz nicht wieder verlassen. Er würde hier an Deans Seite bleiben bis der wieder gesund war!

Bobby auf seinem Wachposten holte tief Luft. Auch er grübelte über Deans Panikattacke und deren Ursprung.
 

Dunkelheit senkte sich über das Zimmer, aber keiner der Jäger löste sich von seinem Platz um das Deckenlicht einzuschalten. So lag der Raum in der schummerigen Beleuchtung der Monitore.

Dann öffnete sich die Tür, eine Schwester betätigte noch während sie durch die Tür ging den Lichtschalter und erschrak als sie sich unerwartet zwei, verwirrt ins Licht blinzelnden, Männern gegenüber sah.

„Ich will nur nach seinen Werten sehen”, entschuldigte sie sich. Und über Sams Gesicht huschte ein Lächeln.

Die Schwester kam alle zwei Stunden wieder und brachte ab ihrem zweiten Besuch jeweils zwei Becher Kaffee für die beiden stummen Wächter mit.

Sie lächelte sie an als sie ihnen die Becher gab. Hatte sie doch längst in ihren Augen lesen können, dass sie sich auf keinen Fall von der Seite des Patienten vertreiben lassen würden. Sie mochte solche Angehörigen. Die Meisten waren nur zu gerne bereit das Krankenhaus zu verlassen und warteten oft regelrecht darauf, aus dem Zimmer geschickt zu werden.

„Sie sollten schlafen gehen. Er wird ihnen nicht weglaufen”, versuchte sie es trotzdem und erntete zu ihrer inneren Freude von beiden Männern nur ein stures Kopfschütteln.
 

Die Nacht verging und Professor Dr. Smith betrat Deans Zimmer. Er warf einen zufriedenen Blick auf die Monitore. Dieser Patient war nicht gestorben.

Der Arzt lächelte.

„Wir haben Indianapolis vor einer halben Stunde angerufen, der Hubschrauber müsste jeden Augenblick hier sein. Dort wird er sofort noch einmal operiert. Sie haben da ein neuartiges Verfahren entwickelt um so großflächige Wunden fast ohne Narbenbildung wieder heilen zu können.”

„Danke, Doktor. Vielen Dank!” Sam versuchte die Tränen, die sich in seine Augen geschlichen hatten wegzublinzeln.

„Gern geschehen. Und passen Sie gut auf sich und ihn auf”, erwiderte der Arzt. „Hören sie? Sein Taxi!”, lächelte er und deutete nach oben.

Das Flappen eines Hubschraubers war leise in der Ferne zu vernehmen und es kam immer näher.

Sofort stürmten zwei junge Ärzte, es waren Jason Nolan, der immer noch zumindest enttäuscht war, dass er einen Hunderter verloren hatte, und Marshall Stern, der seine Chancen auf den Jackpot steigen sah und zufrieden grinste, in den Raum. Sam wich zu Bobby ans Fenster zurück. Er wollte niemanden behindern, der Dean half.

Die Ärzte bereiteten Dean für den Transport vor.
 

Zwei Sanitäter betraten mit einer Trage den Raum.

„Wie sieht’s aus?”, fragte der eine.

„Sie können ihn sofort mitnehmen”, antwortete Marshall.

„Kann ich mitfliegen?”, wandte sich Sam an den anderen orange Gekleideten und erntete einen skeptischen Blick.

„Er ist mein Bruder. Ich hab nur noch ihn!”, presste der Brünette zwischen den Zähnen hindurch. Der Sanitäter nickte.

„Danke!”
 

Wenig später marschierte Sam neben Bobby in den Empfangsbereich. Das Krankenhaus hatte keinen eigenen Hubschrauberlandeplatz, aber der Parkplatz vor der Klinik war groß genug für solche Aktionen. Also mussten sie noch ein letztes Mal hier durch.

„Ich komme mit dem Impala nach”, verabschiedete sich der Ältere und Sam gab seinem Impuls nach und umarmte ihm.

„Pass auf euch auf!”, forderte Bobby dann heiser.

„Das muss ich. Dean hat Flugangst.”

Bobby schob den Jungen von sich und starrte ihn mit großen Augen an. Dann verzog sich sein Mund zu einem Lächeln: „Ich glaube nicht, dass er das merken wird.”

„Bei ihm weiß man nie!”, grinste Sam.

Bobby wollte sich gerade zum Gehen wenden, als Dr. Smith noch einmal zu ihnen trat.

Eine ältere Dame hatte sich, kaum dass sie des Chefarztes ansichtig wurde, erhoben, war auf ihn zugeeilt: „Professor!”, und wurde ignoriert.
 

„Nochmals alles Gute!”, wünschte der Arzt Sam und schüttelte ihm die Hand.

„Danke, Doktor. Für Alles!”

Die ältere Dame erkannte in dem Lulatsch, der ihr den Professor vor der Nase weggeschnappt hatte, den Trottel, der sie gestern auf so unzüchtige Art zum Gespött der hier Wartenden gemacht hatte, lief rot an und zeterte los. Sie war hier schließlich zahlender Angehöriger und der Typ sah nicht so aus als hätte er überhaupt Geld. Was wollte der hier? Und außerdem verlangte sie jetzt endlich zu erfahren, wann sie ihre Enkelin denn nun wieder mit nach Hause nehmen konnte.

Doch auch das prallte unbeachtet an den drei Männern ab.

Dann kamen die Sanitäter mit dem Blonden durch die Schwingtür. Sam straffe sich und schüttelte Dr. Smith nochmals die Hand.

Er warf einen Blick auf seinen Bruder. Sie hatte ihn so gut es ging ... verschnürt. Ein anderes Wort wollte sich Sam bei Deans Anblick einfach nicht erschließen, und er ging ihnen voraus zur Tür und hielt sie auf.

Auch die zeternde Dame warf einen Blick auf den Blonden und verschluckte sich fast an ihren Worten. Mit offenem Mund starrte die auf die Prozession.

Bobby folgte den Sanitätern, klopfte Sam noch mal auf die Schulter und wandte sich dann wortlos dem Impala zu.

„So, jetzt zu Ihnen. Was kann ich für Sie tun?”, wandte sich der Chefarzt an die Dame, die noch immer recht dämlich aussah, wie sie so mit offenem Mund vor ihm stand.
 

Sam kletterte in den Hubschrauber und wurde angewiesen sich anzuschnallen. Gleich darauf erhob sich das Ungetüm in die Lüfte.

Der Hubschrauber flog eine Kurve, dann senkte sich die Nase und schon waren sie auf dem Weg nach Indianapolis.
 

Sein Schädel dröhnte als er zu sich kam. Ein immer gleich bleibendes, rhythmisches Flap, flap, flap.

Oh Mann, was hatte er denn gestern Abend gesoffen? Konnte Sam nicht einmal seinen brüderlichen Pflichten nachkommen und ihn davon abhalten so viel Alkohol in sich hinein zu schütten?

Er versuchte erst gar nicht seine Augen zu öffnen. Wenn sein Kopf jetzt schon so dröhnte konnte das nur noch schlimmer werden. Er wollte sich auf die Seite drehen... Wollte...

Er konnte sich nicht bewegen!!!

„SAAMMM!” schrie... wollte er schreien, aber er bekam keinen Ton heraus. Etwas in seinem Hals verhinderte, dass er sprechen konnte.

So langsam machte sich Angst in ihm breit. Sein Herz begann hektischer zu schlagen. Er zerrte wie verrückt um seine Hand zu befreien.

Und dann kam die Erinnerung zurück. Die Erinnerung an den Höllenhund und an Lilith. Und die Schmerzen setzten ein.

Er kniff die Augen noch fester zusammen und versuchte gegen die Schmerzen zu atmen. Atmen half immer. Doch er bekam keine Luft.

Sein Herz raste und er versuchte immer verzweifelter an den dringend benötigten Sauerstoff zu kommen. Es half nichts.

Er spürte immer deutlicher das Ding in seinem Hals. Das musste schuld sein, dass er keine Luft bekam! Wieder zerrte er an seiner Hand.

Und er riss sie los.

Zielsicher griff seine Hand nach dem Ding in seinem Hals und er zog.

„Dean! NICHT!” brüllte Sam und wollte zu seinem Bruder. Doch der Sicherheitsgurt hielt ihn zurück.

Hektisch versuchte er ihn zu lösen und rutschte immer wieder von der Schnalle ab.

Auch der Sanitäter wollte nach Deans Hand greifen.
 

„Dean, bitte beruhige dich. Du bist am Leben. Bitte, das hier ist nur zu deinem Besten. Du bist sehr schwer verletzt. Bitte Dean!”, versuchte die Stimme in ihm ihn zu beruhigen.

Lilith! Lilith, die kleine Schlampe war immer noch in ihm.

Wenn die Angst besessen zu sein und die Schmerzen sein Denken nicht so nachhaltig ausgeschaltet hätten, wäre ihm die Absurdität dieses Gedanken bewusst geworden. Lilith und beruhigen passten einfach nicht zusammen! Doch das Einzige, was ihm bewusst wurde war, dass Sam ihn nicht verstanden hatte. Er hatte ihn nicht exorziert!

Dean riss die Augen auf und suchte seinen Bruder. Kurz trafen sich ihre Blicke und Sam erkannte das verzweifelte Betteln in Deans Augen. Doch er verstand einfach nicht, was der ihm sagen wollte. Deans Blick wurde wieder unfokussiert und verlor sich in der Ferne. Er versuchte immer verzweifelter sich zu befreien. Die Wunden an seinen Schultern rissen wieder auf, doch er fühlte den Schmerz nicht. Er presste seine Füße gegen die Matratze und versuchte sich nach oben zu stemmen.
 

In dem Moment geriet der Hubschrauber in ein Luftloch und sackte ruckartig ein Stück nach unten. Dann hatte der Pilot sein Fluggerät abgefangen und mit einem leichten Ruckeln beruhigte sich der Flug wieder.
 

Dean spürte das Absacken und das Ruckeln, genauso wie damals, als er in einem…

ER FLOG! SIE HATTEN IHN IN EIN FLUGZEUG GESCHAFFT!

Jetzt schlug die Panik wie ein Tsunami über ihm zusammen.

Deans Körper bäumte sich auf, er schlug wild um sich und versuchte sich zu befreien.

Nichts half.

Panik und Schmerzen wurden immer schlimmer und raubten ihm die Sinne. Und endlich verschluckte ihn die erlösende Dunkelheit.
 

Der Patient bäumte sich noch einmal auf, verkrampfte sich total und brach dann einfach zusammen.

Endlich konnte der Sanitäter ihn bändigen und auch Sam hatte sich von seinem Gurt befreit.

„Hinsetzen!", wurde er angefahren.

„Aber…"

„Hinsetzen!"

Sam ließ sich zurück auf sein Hinterteil fallen während der Sanitäter Dean erneut fixierte. Dann legte er einen neuen Zugang und verband die Wunden. Jetzt leuchtete er in Deans Augen und machte ein besorgtes Gesicht.

„Was ist mit meinem Bruder?", wollte Sam wissen, doch der Mann schüttelte nur den Kopf und verabreichte dem Bewusstlosen eine weitere Injektion.
 

Kurze Zeit später landete der Helikopter auf dem Dach der Uniklinik von Indianapolis.

Der Rotor drehte sich noch als die Tür aufgerissen und das Flugobjekt von einem weiteren Arzt geentert wurde.

Schnell waren die letzten Halterungen von Deans Trage gelöst und der Blonde aus den Hubschrauber und auf eine Liege gepackt. Im Laufschritt entführten sie ihn zum Fahrstuhl.

Sam stand ziemlich verlassen auf dem Dach und kam sich reichlich überflüssig vor. Der zweite Sanitäter war jetzt ebenfalls aus dem Helikopter geklettert und trat zu Sam.

„Kommen Sie, ich bring Sie in den Wartebereich. Mehr können Sie jetzt eh nicht mehr tun."

Sam nickte und ließ sich einfach mitnehmen.

Während Du schliefst

Der junge Winchester stand etwas verloren vor der Empfangstheke und schaute sich um.

Hier war wohl ein etwas kreativerer Geist am Werk gewesen als in den Krankenhäusern, die er bis jetzt so kannte. Die Wände waren cremeweiß gestrichen und ein karmesinfarbener breiter Streifen zog sich um den Raum. Genau dieser Streifen fand sich in gleicher Breite aber um ein vielfaches heller an dem Empfangstresen wieder. An den Wänden verteilt hingen einige Kunstdrucke und die beiden Fernseher zeigten Trickfilme. Stumm zwar, aber Tom und Jerry waren auch ohne Worte zu verstehen.

Überall verteilt standen teilweise recht riesige Pflanzen, in hübschen Arrangements zusammengestellt - und echt!

Sam suchte nach einem Platz, der ihn vor allzu neugierigen Blicken verbergen würde und wollte diesen gerade ansteuern, als er von einer Schwester angesprochen wurde: „Mr. Fletcher? Wir brauchen noch einige Angaben bezüglich Ihrer Krankenversicherung."

Sam nickte und folgte ihr.
 

Endlich waren die Formalitäten erledigt und der Winchester drehte sich wieder suchend zum Warteraum um. Ganz zu seiner Freude war der von ihm auserkorene Platz noch frei. Die übrigen Patienten hatten wohl Angst hinter dem ausladenden Blumenkübel einfach übersehen zu werden.

Sam wollte übersehen werden!
 

Er saß auf seinem Stuhl, die Beine leicht gespreizt aufgestellt, die Ellenbogen auf die Knie gestellt, und ließ den Kopf hängen.

Er starrte jetzt schon seit gefühlten Ewigkeiten auf den Fußboden vor sich, ohne ihn zu sehen.

‚Was würde jetzt werden?` Immer wieder kreiste diese Frage durch sein Hirn. Eigentlich hing alles davon ab, ob Dean wieder gesund werden würde. Und dann? Nach Azazels Tod war in der Hölle der schon sprichwörtliche Teufel los gewesen, zumindest wenn Sam sich recht an das erinnerte, was Ruby erzählt hatte. Die Dämonen wussten nicht wer und wie und das hatte sich Lilith zunutze gemacht. Jetzt war auch Lilith tot. Wer würde ihr folgen? Zur Abwechslung könnten sich die Dämonen in ihren Grabenkämpfen um die Herrschaft ja auch mal selbst vernichten.

Sam lächelte. Der Gedanke hatte was und wenn es in der Hölle wirklich mal dazu käme, würde es ihnen ihr Leben erleichtern, ein kleines bisschen zumindest.

Und was würde werden, wenn Dean doch nicht überlebte? Würde er alleine weitermachen können? Würde er Deans letzten Wunsch erfüllen und wieder zur Uni gehen können?

Er blinzelte die Tränen, die in seinen Augen standen energisch weg und verbot sich solche Gedanken. Dean lebte und es gab keine Alternative, als die, dass er wieder gesund werden würde!
 

Ein älterer Mann mit Schirmmütze betrat den Warteraum und schaute sich suchend um.

Die Schwester musterte ihn und wollte gerade zu ihm gehen und fragen, ob sie helfen könne als der Mann sich in Bewegung setzte.

Bobby hatte Sam noch nicht gefunden, aber so wie er ihn einschätzte, und so wie er sich selbst seinen Platz suchen würde, konnte Sam nur hinter den Pflanzen hocken und…. Richtig.

Bobby ließ sich neben Sam auf den Stuhl fallen. Der junge Winchester sah ihn an und er konnte die ganze Verzweiflung dieser Situation in seinen Augen sehen.

„Ruh dich aus, du wirst deine Kräfte noch brauchen!", forderte er leise und richtete den Brünetten auf, so dass der mit dem Kopf an der Wand lehnte.

Sam ließ es geschehen und schloss mit einem tiefen Seufzen gehorsam die Augen.

„Mr. Fletcher?"

Bobby musste sich ein Lachen verkneifen, so schnell wie Sam neben der Schwester stand. Sie schaute ganz erschrocken.

„Dr. Bagley erwartet sie, ich bringe sie hin", sagte die Schwester.

Sam schaute sie aus großen, brauen Welpenaugen an und hoffte, ihr wenigstens ein Wort über Deans Zustand entlocken zu können, doch sie ließ sich nicht erweichen und führte die Jäger zu den Fahrstühlen und in der obersten Etage die Gänge entlang. Dann klopfte sie an einer Tür und trat ein.

„Dr. Bagley? Hier sind die Angehörigen von Mr. Fletcher", meldete sie die Beiden an und zog sich dann leise zurück.

„Sie sind?", fragte der Arzt und erhob sich von seinem Platz hinter dem Schreibtisch.

„James Fletcher, Deacon ist mein Bruder. Und das", er deutete auf Bobby, „ist ein guter Freund von uns. Wir waren gemeinsam unterwegs als es passierte."

Sam warf einen kurzen Blick zu dem Älteren, doch der nickte nur.

„Setzen sie sich", forderte der Arzt sie, mit einer einladenden Geste auf die beiden Stühle vor seinem Tisch, auf.

Sam sah sich kurz um. Das Büro ähnelte dem von Dr. Smith. Es war nicht so groß und auch nicht so komfortabel eingerichtet, aber auch hier standen jede Menge medizinische Bücher herum.

„Wir haben Deacon operiert. Soweit wir sagen können hat er die OP gut überstanden. Er wird gerade in sein Zimmer gebracht. Bis heute Abend wird er noch unter dem Einfluss der Narkose stehen und dann müssen wir weiter sehen", erklärte er vage.

„Was heißt 'soweit sie sagen können'?", hakte Sam sofort nach.

Der Arzt schwieg eine Weile mit ernster Miene: „Er lag im Koma als er hier ankam. Alles andere wird sich ergeben."

Sam und Bobby tauschten einen kurzen Blick. ‚Was ist passiert?’ fragte der Ältere stumm und Sam schloss kurz die Augen. Er würde es später erklären.

„Kann ich…. Können wir ihn sehen?", wollte Sam mit halb erstickter Stimme wissen und der Arzt nickte, erhob sich von seinem Stuhl und bat die Jäger aus seinem Büro. Dann übernahm er die Führung und blieb endlich vor einer Tür stehen.

Sam fragte sich inzwischen ernstlich, ob er hier je wieder herausfinden würde, dann öffnete sich die Tür und jeder Gedanke dieses Haus wieder verlassen zu wollen wurde in die undurchdringlichen Untiefen seines Unterbewusstseins verbannt.

Dean sah, wenn das überhaupt noch ging, noch fahler aus. Sie hatten wieder dieses verhasste Zelt über ihm aufgebaut, das außer seinem Kopf und den Unterarmen alles verdeckte, an allen nur möglichen Stellen kamen Kabel und Schläuche aus diesem Zelt und über die Monitore neben ihm zuckten grüne Linien oder blinkten grüne Zahlen. Ein leises Piepsen war zu hören.

Der Winchester holte sich einen Stuhl an das Bett, setzte sich, nahm Deans Hand in seine und verbannt alles Andere aus seinem Bewusstsein.
 

Bobby betrachtete die Jungs mit einem Lächeln. Sie hatten wahnsinniges Glück gehabt. Egal wie man es drehte oder wendete und so wenig Dean auch gerade er selbst war, so schlimm wie er aussah, er würde es wieder werden. Und er und Sam würden wieder durchs Land ziehen und das so ziemlich beste Jägerduo sein, das er je hatte kennen lernen dürfen.

„Wird…", er musste sich räuspern, seine Stimme klang brüchiger als sie sollte.

„Wird der Junge noch mal verlegt oder bleibt er in diesem Zimmer?", fragte er dann den Arzt.

„Er bleibt hier", bestätigte Dr. Bagley und verabschiedete sich.

Bobby fuhr sich über sein müdes Gesicht: „Ich such uns mal ein Motel und löse dich dann ab."

„Ich geh hier nicht weg!", der Blick mit dem Sam den Älteren musterte war eine Mischung zwischen Wut und Entschlossenheit.

„Du kannst ihm nicht helfen, wenn du hier zusammenklappst! Willst du, dass er aus dem Koma erwacht und sich sofort Sorgen um DICH macht, nur weil du total fertig aussiehst?"

„Aber…."

„Nichts ABER, Sam! Du bist es ihm schuldig, dass du auf dich achtest. Mehr als sonst auf dich achtest, SAM! Denn sonst macht er das für dich!"

Der Winchester schaute beschämt zu Boden. Bobby hatte Recht. Wie immer! Dean würde durchdrehen wenn ihm jetzt hier was passieren würde und er würde sich Sorgen machen, wenn er aufwacht und Sam hing wie ein Schluck Spucke in der Kurve. Aber er wollte hier nicht weg. Dean hatte immer auf ihn aufgepasst, und jetzt war es an ihm, auf seinen großen Bruder aufzupassen. Dean war der Hölle so knapp entkommen, sie hatten das Schlimmste gerade noch abwenden können.

Sam holte tief Luft und blickte wieder auf.

Bobby war weg.

Bobby war weg?

Bobby war weg!

Er hatte ihn nicht gehen hören!

Sam schaute wieder in Deans blasses Gesicht.

„Du darfst nicht gehen. Du kannst mich hier nicht alleine lassen! Hörst du? Komm zurück. Bitte Dean!" Tränen sammelten sich in seinen Augen und er hatte weder Kraft noch Lust diese Tränen zurück zu halten. Er hatte es so lange versucht. Jetzt ging es nicht mehr. Und es war ihm egal, wer ihn so sah.

Sam weinte. Er weinte bis der schlimmste Kummer aus seinem Körper geschwemmt war, bis er keine Tränen mehr hatte.

Seine laufende Nase wischte er an seinem Hemdsärmel ab, die Tränen trockneten auf seinen Wangen.
 

Eine junge Schwester kam immer wieder mal ins Zimmer. Sie hatte große braue Augen, die jedes Mal wieder warm über die beiden Männer huschten, kurze dunkelbraune Haare und eine Stupsnase.

Wortlos stellte sie ihm einen Kaffee auf den kleinen Nachttisch am Bett und lächelte warm, als sie den Becher bei ihrem nächsten Kontrollgang leer vorfand.

Leise und unauffällig kontrollierte sie die Werte des Patienten.

Sie wollte den Mann, der neben dem Bett saß so wenig wie möglich stören. Aber eigentlich war Sam ganz froh über diese Unterbrechungen und er half der Schwester so gut es ging, Dean von einer auf die andere Seite zu drehen und seinen Rücken mit Babyöl einzureiben.

„Warum?", fragte er nur kurz.

„Das hilft gegen das Wundliegen."
 

Die Tür öffnete sich und die Schritte, die herein kamen waren vertraut und doch anders als sonst. Sam schaute auf.

Bobby war wieder da.

Der Winchester blinzelte. Draußen war es schon wieder hell.

Sam hatte nur vage mitbekommen, dass es dunkel geworden war, aber ihm war es sowieso egal. Tageszeiten interessierten ihn kaum. Immer wieder hatte er seine Gedanken treiben lassen. Immer andere Begebenheiten waren ihm eingefallen und immer wieder war eins ganz deutlich geworden. Dean! Dean wie er sich um ihn gekümmert hatte, wie er ihn beschützt hatte, wie er ihm Radfahren und Schwimmen beigebracht hatte, wie er ihm bei den Hausaufgaben geholfen hatte. Nie hatte Dean sich beschwert. Meistens hatte er ihm alles ruhig erklärt. Nur die brennendsten Fragen hatte er ihm nicht beantworten wollen. Die Fragen nach Mom und ihrem Leben. Die Fragen danach warum Dad schon wieder weg war, und Sam könnte sich heute ohrfeigen, dass er es nicht hatte gut sein lassen könnten damals, dass er immer wieder nachbohren musste.

Dean hatte ihn schützen wollen, so wie er es immer getan hatte und so wie er es noch heute tat.

Wieder traten Tränen in Sams Augen. Dabei hatte er doch gedacht, er hätte keine mehr.

Bobby legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Geh schlafen, Junge!", forderte er leise und seine Stimme duldete keinen Widerspruch.

Sam nickte. Er stand auf und streckte seine verkrampften Glieder. Dann ließ er sich von dem Älteren den Weg zum Motel erklären und schlurfte aus dem Raum.

Er fuhr zum Motel, aß ein paar Bagel, die Bobby fertig belegt auf dem Tisch, unter Zellophan verpackt, für ihn hingestellt hatte. Dann duschte er kurz und kroch ins Bett.
 

Bobby hatte es sich derweil auf dem Stuhl neben dem Bett so bequem wie möglich gemacht. Er beherrschte sich und nahm Deans Hand nicht in seine, noch nicht, wahrscheinlich. Er liebte den Jungen wie seinen eigenen, er liebte die Beiden wie seine eigenen Kinder und wenn er je welche gehabt hätte, dann konnte er sich nur wünschen, dass sie so geworden wären wie die Winchester-Jungs. Obwohl, nein, er hätte sich ein normales Leben für seine Kinder gewünscht.

Er betrachtete Deans blasses Gesicht und fragte sich wieder einmal, warum gerade diese Jungs so eine schwere Bürde tragen mussten. Warum das Schicksal so brutal mit ihnen umsprang.
 

Die Sonne zog unbeirrt ihre Bahn.

Nachmittags kam Sam halbwegs ausgeruht und mit einem Berg Papier zurück ins Krankenhaus.

Bobby räumte sofort seinen Platz am Bett und machte es sich in einem der beiden Sessel, die zusammen mit einem Tischchen in einer Ecke am Fenster standen, bequem.

„Was hast du da?”, fragte er nachdem er Sam eine Weile beobachtet hatte.

„Ich hab im Internet recherchiert, was es alles über Koma und Komapatienten gibt, und wie man ihnen helfen kann. Und was man bei seinen Verletzungen beachten muss. Hab mir einiges ausgedruckt. Hier hab ich ja Zeit”, Sam klang viel zu beherrscht fand der Ältere, aber er sagte nichts dazu.

„Was hast du rausgefunden?”

„Koma ist nicht gleich Koma, und die Patienten können durchaus reagieren. Wenn auch nicht sichtbar.”

Bobby brummelte etwas Unverständliches und versank wieder in seinen eigenen Gedanken. Er hoffte nur, dass Dean bald wieder aufwachen würde. Denn wenn Sam so weiter machte wie er jetzt schon angefangen hatte, würde er selbst bald durchdrehen.

Und plötzlich konnte er Deans manchmal sehr übereilte Art ganz gut verstehen. Wenn Sam immer so war, dann musste man sich ja irgendwie abreagieren.

Ein fairer Tausch

Routine breitete sich aus und Bobby war - noch nicht – durchgedreht. Noch nicht. Doch jeder Morgen brachte eine, wenn auch meistens stumme, Diskussion und der Ältere wusste nicht wie lange er das noch durchhalten würde. War Sam immer so? Wenn ja, wie konnte Dean das Tag für Tag ertragen? Wieso war der dabei noch nicht durchgedreht? Bobby bewunderte den Blonden immer mehr. Oder lag es vielleicht auch daran, dass sich Sam und Bobby einfach zu ähnlich waren? Er wollte es nicht wirklich wissen.

Dean lag jetzt seit fast zwei Wochen im Koma und an seinem Zustand hatte sich nichts verändert. Oder besser: nicht viel verändert. Einige Schläuche waren entfernt worden, aber lange nicht genug. Er wurde immer noch beatmet und künstlich ernährt. Und immer noch tropfte Infusion in seine Adern und in einigen Wunden steckten auch noch Drainageschläuche.

Sam fuhr - nie freiwillig - täglich nach dem Frühstück ins Motel und kam zum Lunch wieder. Dann hielten die Jäger gemeinsam Wache. Jeder auf seine Art. Bobby meistens schweigend, vor sich hin brütend und Sam las sich durch immer mehr medizinische Fachartikel. Und wenn das noch ein paar Wochen so weiter ging, würde er seinen medizinischen Abschluss machen können, vermutete zumindest der Ältere.

Sam aß zu wenig, schlief zu wenig und wenn Bobby nicht wäre, würde er das Zimmer vermutlich gar nicht verlassen. Doch der Ältere zwang ihn jeden Tag zu seiner Pause.

Bobby selbst wäre eigentlich gerne mal nach Hause gefahren, einfach um auf seinem Schrottplatz nach den Rechten zu sehen. Doch er wusste ganz genau, dass Sam sich dann noch mehr vernachlässigen würde und das wollte er weder Sam, noch sich und schon gar nicht Dean antun. Irgendwann musste der Blonde ja mal wieder aufwachen. Schließlich gab es nichts, das den von seiner Aufgabe, seiner selbst gewählten Aufgabe auf Sammy aufzupassen, abhalten konnte. Schon gar nicht so ein Höllenhund.

Der Ältere schaute auf die Uhr. Sein Zeitgefühl hatte ihn nicht getäuscht. Sam musste jeden Augenblick durch die Tür treten. Und da war er schon.

Leise öffnete der Brünette die Tür.

„Hallo Bobby”, Sam ließ seinen Blick über seinen Bruder und die Monitore gleiten. Dann ließ er sich auf seinem Stuhl nieder und begann sich durch den nächsten Stapel Papier zu lesen.

Der Ältere musterte skeptisch den Monitor, der Deans Herzschlag anzeigte. ‚War der nicht eben noch viel ruhiger gewesen?' Er kratzte sich am Kopf und rückte dann seine Mütze wieder zurecht.

‚Sam hatte doch erzählt, dass Komapatienten durchaus auf ihre Umgebung reagieren konnten, war das Deans Art? Sprach Dean auf Sams Anwesenheit an? Ich muss das auf jeden Fall im Auge behalten!’
 

Der Tag verlief so ereignislos wie die Tage vorher. Schwestern kamen und gingen und der Berg Papier neben Sam wanderte von rechts nach links.

Nachts fuhr Bobby ins Motel und morgens, nachdem er Sam Frühstück hingestellt hatte, wieder ins Krankenhaus.

Am Nachmittag wartete er sehnsüchtig auf Sams Kommen. Immer wieder kontrollierte er den Monitor.

Deans Herz schlug ruhig und gleichmäßig.

Dann trat Sam durch die Tür.

„Hey”, grüßte der leise, ließ seinen Blick über Dean und die Monitore schweifen und setzte sich auf seinen Platz um weiter Medizin zu studieren – wie es außer Bobby auch die Schwestern inzwischen offiziell nannten.

Deans Herz schlug eindeutig schneller!

Der Ältere stand auf.

„Ich komm gleich wieder”, brummelte er nur und verließ das Zimmer. Er wollte sich erst eine Bestätigung holen bevor er Sam darauf aufmerksam machte.

Er suchte nach Dr. Bagley.

„Doktor!” Endlich hatte er ihn gefunden.

„Kann ich kurz mit Ihnen über Deacon reden? Kann es sein, dass er auf seinen Bruder reagiert?”, platzte er heraus.

„Wie kommen Sie darauf?”

„Wenn Jamie den Raum betritt schlägt sein Herz schneller.”

„Sind Sie sicher?”

„Ich bin mir sicher. Die waren ihr Leben lang aufeinander angewiesen. Sie hängen so sehr aneinander. Wenn Deacon auf jemanden reagiert, dann auf seinen Bruder”, erklärte der Jäger.

„Das würde ich mir gern ansehen”, meinte der Arzt.

„Klar. Jamie kommt immer so gegen vier Uhr nachmittags wieder.”

Der Arzt nickte und Bobby kehrte auf seinen Posten zurück. Nicht ohne jedoch für sich und Sam einen Kaffee geholt zu haben.
 

Sam wunderte sich schon etwas, als er am nächsten Tag das Krankenzimmer betrat und Bobby zusammen mit Dr. Bagley im Zimmer wartend antraf. Sofort rutschte sein Herz tiefer und sein Magen ballte sich zu einem Klumpen zusammen. ‚Was war mit Dean?’ Sein Blick huschte über die blinkenden Linien und Zahlen, aber nichts schien sich verändert zu haben.

„Was?”, brachte er krächzend heraus.

„Nichts, Jamie! Nichts Schlimmes!”, versuchte Bobby ihn sofort zu beruhigen. Doch Sams Augen suchten die des Arztes und flehten ihn regelrecht an, ihm zu sagen, dass nichts passiert war.

„Ihr Bruder reagiert auf Sie”, erklärte der Arzt endlich.

„Wie?” Sam war irritiert.

„Wenn du den Raum betrittst erhöht sich sein Herzschlag”, setzte jetzt auch Bobby zu einer Erklärung an.

„Aber...?”

„Ich hab es vorgestern bemerkt und gestern genauso.”

„Und was heißt das jetzt?”

„Reden Sie weiter mit ihm, erzählen Sie ihm, was um ihn passiert. Er reagiert auf Sie. Das ist ein großer Schritt nach vorn”, stellte der Arzt fest und verließ den Raum.

Sam ließ sich mit einem leisen Keuchen auf seinen Stuhl fallen. ‚Dean reagierte auf ihn.’ Ein Lächeln breitete sich auf seinen müden Zügen aus.
 

Wieder vergingen einige Tage ohne weitere Veränderungen.

Sam wühlte sich weiterhin durch seine Blätter. Er musste doch schon bald seinen Doktor machen können, überlegte Bobby und döste dann weiter vor sich hin, als es plötzlich klopfte.

Beide Jäger schreckten hoch. Eine Schwester konnte es nicht sein. Die platzten so ins Zimmer.

Die Tür öffnete sich und eine junge, blonde Frau betrat das Zimmer.

„Hallo Ruby”, grüßte Sam ein wenig unterkühlt.

„Sam, Bobby.” Sie nickte den Männern zu. Dann ließ sie ihren Blick auf das fahle Wesen im Bett gleiten, von dem immer noch nur Kopf und Unterarme aus dem Gestell über ihm ragten.

„Was willst du hier?”, fragte der Jüngere und musterte die Frau, bevor er aufstand und sich schon fast schützend vor seinem Bruder aufbaute.
 

Ruby sah ebenfalls müde und blass aus. Ihre Haare hingen strähnig um ihren Kopf. Dunkle Ringe hatten sich tief unter ihren Augen eingegraben. Sie sah alt aus. Alt und fertig. Zum ersten Mal vielleicht so alt, wie sie wirklich war, überlegte Sam.

„Ich wollte nach ihm sehen”, sie deutete auf den Bewusstlosen. „Ich wollte dir etwas bringen.”

Sie schwenkte Bobbys Autoschlüssel vor seiner Nase. „Und ich brauche etwas.”

„Was ist mit dir? Ich dachte Dämonen würden den besetzten Körper immer gut aussehen lassen können. Aber du siehst nur noch abgewrackt aus!”, überging Sam ihren letzten Satz kalt.

„Es war nicht leicht”, sagte sie leise, „ich werde es euch später vielleicht erklären können, aber jetzt bin ich gekommen, weil ich etwas brauche.” Sie ging nicht auf Sams Lästereien ein.

„Was willst du?”, fragte Sam wieder. Er misstraute ihr. Sie hatte ihn belogen, sie hatte ihm gesagt, dass sie Deans Leben retten könnte. Und Dean, dass es keinen Weg gab ihn zu retten. Und sie hatte ihnen verschwiegen wer Deans Vertrag hielt. Sie hatte es ihnen verschwiegen bis es fast zu spät gewesen war. Er musterte die Dämonin kalt.

„Ich will den Dolch. Meinen Dolch. Ich brauche ihn.”

Bobby ließ seinen Blick ebenfalls über die Frau gleiten. Dann stand er auf.

„Komm mit. Er ist im Impala! Brauchst du Hilfe?”

„Du willst ihr unsere einzige wirkliche Waffe gegen die Dämonen geben?” Sam vertrat ihm den Weg.

„Ja ich will ihr den Dolch geben. Er gehört ihr!”

Sam zuckte vor dem entschlossenen Blick des Älteren zurück. Dann drehte er sich wortlos um und setzte sich wieder an Deans Seite. Was war nur in Bobby gefahren. Wie konnte er Ruby nur vertrauen? Sam schüttelte den Kopf.
 

Er starrte Bobby finster an, als der wiederkam: „Toll, jetzt sind wie wieder genauso hilflos wie zuvor”, fauchte er.

„Wir haben vorher ohne den Colt und ohne den Dolch gelebt und das Übernatürliche bekämpft. Warum sollen wir das jetzt nicht auch wieder können und der Dolch gehört nun mal ihr! Also wenn sie ihn braucht...”

„Es war aber leichter mit”, Sam war sauer und wandte sich von dem Älteren ab.
 

Die Tage schlichen dahin und wieder machte die Routine es einfacher, nicht über das nachdenken zu müssen, was vielleicht passieren könnte. Was wenn Dean nicht wieder aufwachte? Wie lange wollten sie noch hier sitzen? Sie konnten den Blonden ja noch nicht mal mitnehmen. Er wurde immer noch beatmet.

Sam verdrängte die Gedanken. Noch waren Deans Wunden nicht verheilt. Noch würde er sich über Nichts Gedanken machen müssen. Noch war es egal, alles egal. Er würde hier sitzen und wenn es Jahre dauern sollte. Auch Sam konnte auf stur schalten wenn er das wollte.
 

Es klopfte und die Jäger blickten zur Tür.

Wieder war es Ruby. Und diesmal sah sie noch schlechter aus. Sie bewegte sich eckig, ihre Kleidung war schmutzig und teilweise zerrissen. Sie hatte einige Schrammen an den Händen und im Gesicht. Sie war noch blasser als bei ihrem letzten Besuch und ihre Augen glänzten fiebrig.

„Wo warst du?”, fragte Sam entgegen seines Vorhabens, nicht wieder mit der Dämonin zu reden.

„Ich war in der Hölle. Ich wollte mich da mal umsehen. Jetzt, nach Lilith’s Tod, ist dort im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle los. Sie bekämpfen sich gegenseitig. Es gibt keine Allianzen mehr. Niemand vertraut einem Anderen. Jede Familie versucht sich einen neuen, ranghohen Platz zu erobern. Und die, die oben waren, wollen oben bleiben oder noch höher hinauf. Als Azazel starb herrschte auch kurz dieses Chaos, aber Lilith hat es schnell verstanden alle auf ihre Seite zu ziehen. Jetzt gibt es keinen solchen Dämon, keinen der das Charisma hätte. Sie werden sich noch eine Weile nur um ihre eigenen Probleme kümmern müssen.” Bei ihren Worten griff sie in ihren Bund und holte etwas hervor.

Sam spannte sich. Die Neuigkeiten, die sie gebracht hatte waren gut, wenn sie nicht gelogen hatte.

Ruby lächelte müde, als sie Sams Reaktion sah. Dann zog sie das Etwas aus ihrem Bund und hielt es Bobby hin.

„Er ist kaputt. Aber wir haben ihn ja schon einmal wieder reparieren können!”, erklärte sie erschöpft.

„Der Colt?” Sams Augen wurden groß als die Dämonin Bobby die Waffe hinhielt.

„Der Colt!” Ruby schwankte leicht.

„Woher?”, wollte Sam wissen.

„Lilith hatte ihn. Ich war mir fast sicher, dass sie ihn nicht würde vernichten können. Er war das Symbol ihres Triumphes.” Wieder verzog sie schmerzhaft das Gesicht.

„Ich bring dich ins Motel!” Bobby stand auf.

„Wenn du mir den Pick-up leihst, würde mir das reichen. Es verwirrt die Menschen wenn ich am hellerlichten Tag einfach so erscheine.”

Bobby nickte und kramte in seiner Hosentasche. „Ich komme mit runter und zeig dir wo er steht.”
 

„Ist das ... War das wirklich der Colt?”, fragte Sam ungläubig als Bobby bald darauf wieder ins Zimmer trat. Er hatte die Waffe hier nicht näher untersuchen wollen. Nicht im Krankenhaus wo jeden Augenblick eine Schwester ins Zimmer kommen konnte.

Außerdem war die Polizei schon zwei Mal da gewesen und hatte sich nach Dean erkundigt. Sie wollten den Angriff auf ihn aufklären und hatten verständlicherweise noch jede Menge Fragen.

Sie würden Dean so schnell wie möglich hier rausholen müssen, wenn er erst einmal aufgewacht war.

„Ja”, unterbrach der Ältere Sams Gedanken, „es ist der Colt.”

Der Winchester schüttelte den Kopf. Warum hatte Ruby ihnen den wiedergebracht? War sie vielleicht doch nicht so schlimm? Nicht so hinterhältig?
 

Ruby hatte sich ein eigenes Zimmer genommen und als sie zwei Tage später wieder in Deans Zimmer kam sah sie wesentlich besser aus. Ihre Wunden waren größtenteils verheilt und sie sah ausgeruhter aus. Aber immer noch nicht so, wie die Jäger sie in Erinnerung hatten.

‚Was ist mit ihr?’, fragte Sam sich nicht zum ersten und wohl auch nicht zum letzten Mal.
 

„Wie geht es ihm?”, wollte Ruby dann auch ohne Umschweife wissen und zeigte auf den Blonden.

„Soweit ganz gut. Seine Wunden heilen. Damit sind die Ärzte zufrieden.”

„Aber?”, hakte sie nach. Sie hatte Sams Unzufriedenheit gehört.

„Er liegt im Koma und niemand kann wirklich erklären, warum er nicht wach wird. Sie meinen es sei eine Schutzreaktion seines Körpers nach den Schmerzen. Und vielleicht hätte er immer noch Angst, dass es wieder so weh tun könnte“, der Winchester schnaubte, „Als ob Dean schon mal Angst vor Schmerzen gehabt hätte!”

„Jeder Mensch hat Angst davor. Aber Dean wird sie dir nie zeigen. Er nimmt sie hin, so wie er alles hinnimmt”, erwiderte Bobby traurig.

Kontakt

Langsam trat Ruby an das Bett.

„Ich will was versuchen”, sagte sie und stellte sich an das Kopfende.

Abwartend blickte sie auf Sam und der wusste nicht warum, aber schließlich nickte er, die Dämonin trotzdem misstrauisch beobachtend. Vorsichtig legte sie ihre Hände, wie sie es schon einmal gemacht hatte, an Deans Schläfen. Sie schloss die Augen und spannte sich merklich.

„Was wird das?”, fragte Sam wütend, doch die Frau antwortete nicht. Bobby hielte den Jungen zurück. Vielleicht konnte sie Dean wirklich helfen.

Ihre Lippen formten lautlose Worte. Dann holte sie tief Luft und spannte sich noch mehr an.

Immer tiefer versank sie in der Schwärze von Deans Bewusstsein.
 

Sie stolperte durch das Dunkel. Weich und gedämpft und ohne, dass sie einen Ton hören konnte. Immer weiter bewegte sie sich vorwärts um nach ihm zu suchen. Irgendwo musste er doch sein.

Plötzlich lichtete sich das Dunkel und sie ging auf das langsam heller werdende Licht zu.

Vorsichtig und sich nach Deckung umschauend bewegte sie auf die Helligkeit zu. Sie wusste nicht wo sie war und schon gar nicht, was in Deans Kopf so vor sich ging. Wer wusste schon, was hier noch kommen konnte?

Vor sich sah sie die Umrisse von Bäumen.

Bäume?

Sie wanderte durch ein Wäldchen. Die Luft roch würzig wie nach einem Frühlingsregen. Doch die Sonne schien warm. Der Boden federte ihre Schritte ab.

Sie trat aus dem Schatten der Bäume und sah einen See vor sich. Der Wind kräuselte das Wasser zu kleinen Wellen und auch das Gras wogte sanft. In der Nähe des Ufers standen ein paar Bänke und Tische.

An einer der Bänke stand ein Kinderwagen.

Eine blonde junge Frau hatte eine Decke auf dem Boden ausgebreitet und verteilte jetzt Schüsseln und Teller darauf. Immer wieder schaute sie zu dem kleinen, ebenfalls blonden Jungen, der am Ufer spielte. Er hatte ein Papierschiffchen dabei, das lustig über die Wellen hüpfte. Das hatte er gestern Abend mit seinem Dad gebaut. Er quietschte vor Vergnügen als es wieder eine Welle nahm und langsam vom Wind auf den See getrieben wurde.

Ruby schaute völlig gebannt auf diese friedliche Szene.

Die Frau lächelte. Dann wanderte ihr Blick zu dem Kinderwagen.

„Es geht ihm gut!”, sagte der blonde Mann, der auf der Bank saß und lächelte ebenfalls. Sein Haar war kurz geschnitten. Er trug Jeans und eine Lederjacke und hatte seine Hände in den Taschen vergraben.

Mit leuchtenden Augen beobachtete er den kleinen Jungen am See und warf immer wieder mal einen wachsamen Blick zu dem Bündel im Wagen.

Ruby hatte ihn bis jetzt überhaupt nicht bemerkt. Langsam ging sie über das weiche, satt grüne Gras auf ihn zu.

„Hier hast du dich verkrochen”, sprach sie ihn an, als sie neben der Bank stehen blieb, „es ist schön hier!”

„Ist es”, bestätigte er ihr nickend.

„Trotzdem solltest du endlich mit mir mitkommen!”, forderte sie ihn auf.

„Nein! Und jetzt verschwinde hier!” Seine Brauen zogen sich wütend zusammen. „Du gehörst hier nicht her!”

„Kommst du?”, fragte die junge Frau und der Blonde erhob sich. Er ließ Ruby einfach stehen und ging zur Decke hinüber. Nicht jedoch ohne das Bündel Mensch vorsichtig aus dem Wagen zu heben und es mitzunehmen. Vorsichtig ließ er sich auf der Decke nieder, den Kleinen immer noch im Arm haltend.

Die junge Frau reichte ihm eine Flasche und er begann den Kleinen zu füttern.

„Komm essen, Dean!”, rief sie in Richtung See und wickelte ein Sandwich aus.

„Gleich, Mom!”, antwortete eine helle Kinderstimme und Ruby kam sich vor wie ein Eindringling. Sie hatte hier wirklich nichts zu suchen.

Doch sie musste bleiben! Also setzte sie sich auf die Bank und wartete.

Der Blonde fütterte das Baby und die Frau reichte dem kleinen Dean sein Sandwich.

Der kleine Mann gähnte herzhaft.

„Wir müssen los!”, wandte sie sich bedauernd an den großen Blonden.

„Ich weiß”, erwiderte er.

„Bist du morgen wieder hier?”, wollte sie wissen, als alles wieder eingepackt und im unteren Fach des Kinderwagens verstaut war.

„Wo soll ich sonst sein?”, lächelte der Blonde.

Die Frau schob den Kinderwagen die holprige, sandige Strecke bis zum Wald. Sie wusste, dass er nicht mitkommen würde und dann winkte sie ihm noch einmal zu bevor sie unter den Bäumen verschwand.
 

Er ließ sich auf der Bank neben Ruby nieder, so viel Platz wie nur möglich zwischen ihnen lassend.

„Du musst mit mir kommen, Dean!”

„Ich will nicht! Hier ist es so friedlich! Ich will nicht zurück!”

„Du musst mit mir kommen, Dean. Sam wartet auf dich. Er ist fast wahnsinnig vor Angst!”

„Auf mich wartet die Hölle! Ich bin gestorben! Der Höllenhund hat mich geholt, falls du dich erinnerst.” Endlich sah er sie an und in seinen grünen Augen war Wut zu lesen. Nichts als Wut. „Du hast es ja nicht für nötig gehalten uns zu sagen, WER meinen Vertrag hält. DU hast mich dem Höllenhund zum Fraß vorgeworfen!”

„Du bist nicht gestorben, Dean. Du lebst.”

„Du lügst”, fauchte er.

„Dean, ich lüge nicht! Du liegst im Koma, aber du lebst und Sam sitzt Tag für Tag an deinem Bett und macht sich Sorgen!”

„Du lügst! Du willst mich nur quälen! Geh!”

„Dean, bitte! Ich lüge nicht. Lilith ist tot und du lebst.”

„Wie kann Lilith tot sein?”, ihm kamen erste Zweifel. ‚Was wenn Ruby recht hatte?’ „Nein! Lilith lebt! Du lügst! Dämonen lügen immer! Ich bleibe hier und du verschwindest endlich!”

„Wenn Lilith leben würde, wäre ich dann hier? Sie hat mich aus meinem Körper gejagt. Sie hat mich in die Hölle verbannt. Aber sie ist tot und ich bin wieder da. Bitte Dean, komm zurück”, flehte sie ihn an.

„Geh!”, forderte er nur und wandte sich wieder von ihr ab.
 

Ruby stand auf und zog sich zurück. Sie würde es wohl noch einmal versuchen müssen. Warum musste Dean auch so ein Sturkopf sein? Okay wenn er nicht so stur wäre, würde er wahrscheinlich schon lange nicht mehr leben. Aber sie hoffte, dass sie die ersten Zweifel säen konnte.
 

Sie torkelte als sie die Hände von Deans Schläfen nahm.

Bobby eilte zu ihr und stützte sie. Vorsichtig führte er sie zu einem Stuhl.

Sam musterte die Dämonin. Sie sah wieder schlechter aus als vorhin, als sie gekommen war. Was war mit ihr? Und was hatte sie mit Dean gemacht?

„Was hast du mit ihm gemacht?”, fragte er ungehalten, als Ruby ihre Augen wieder öffnete.

„Ich habe ihn gesucht und ich habe versucht ihm zu erklären, dass er zurückkommen soll. Aber er will mir nicht glauben.”

„Du hast mit Dean gesprochen?”

„Ich habe mit ihm gesprochen!”

„Wie? Wie hast du das gemacht? Warst du in ihm? Wie geht es ihm? Wo ist er?”, bohrte Sam sofort nach.

„Es geht ihm gut und er hat sich einen hübschen Platz aus seiner Erinnerung gesucht”, sie schüttelte den Kopf. Sie würde nicht mehr verraten. Es waren Deans Erinnerungen und sie hatte kein Recht diese Privatsphäre zu stören. Sie würde auch nicht wollen, dass jemand ihre privatesten Erinnerungen offenbaren würde, obwohl das in der Hölle oft genug passiert, und immer wieder gegen sie verwendet worden war.

Sie holte tief Luft. Sie war wirklich froh aus der Hölle entkommen zu sein. Und sie war mehr als froh, dass Lilith tot war, dass Sam sie getötet hatte. Wenn die kleine Schlampe noch leben würde wäre nicht nur Dean ihren Quälereien ausgeliefert.

„Wo ist Dean?”, knurrte Sam erneut.

„Ich werde es dir nicht sagen Sam. Also lass die Fragerei.”

„Aber....”

„Nichts aber!”

Bobby hatte der Szene schmunzelnd zugesehen.

„Lass sie Sam, Dean geht es gut, das reicht mir!”

„Aber warum kommt er dann nicht zurück?”

„Er wird kommen, wenn er soweit ist. Er würde sich zu Tode langweilen, wenn er jetzt aufwachen würde. Er darf sich noch nicht bewegen, die Wunde in seinem Bauch hat sich gerade erst geschlossen. Und die ganzen Schläuche an ihm? Er hätte ständig was zu quengeln. Vielleicht ist es sogar besser so”, stellte Bobby schulterzuckend fest.

Sam knurrte nur als Antwort. Aber im Stillen musste er Bobby Recht geben. Dean durfte sich noch nicht bewegen. Den letzten Drainageschlauch hatten sie heute Morgen erst gezogen und dieses blöde „Zelt” hatten sie erst gestern gegen eine normale Decke getauscht. Gut, dass sein Bruder nicht mitbekommen hatte, wie sie ihn verpackt hatten. Ja er wäre unausstehlich, wenn er hier liegen würde und bei Bewusstsein wäre.

Trotzdem wollte er ihn wieder haben! Und das besser gestern als morgen!
 

Als eine Schwester das Zimmer betrat nutzte Ruby diese Abwechslung um sich zu verabschieden. Bobby folgte ihr, auch wenn er nur Kaffee holen wollte und Sam betätigte sich auf Aushilfs-Krankenpfleger und unterstützte die Schwester als sie Deans Rücken mit Babyöl einrieb und ihn mit Hilfe von Decken und Kissen in eine andere Position brachte, nicht, dass er sich noch wund lag.
 

Wieder vergingen ein paar Tage und nichts schien sich verändert zu haben.

Nichts außer dem Wetter. Es goss in Strömen. Aber wenigstens war die frühsommerliche Wärme geblieben. So war es nicht ganz so unangenehm bis auf die Haut durchnässt zu werden.

Sam hatte Ruby auf dem Parkplatz getroffen und war mit ihr ins Krankenhaus gerannt. Trotzdem sahen die Beiden aus wie begossene Pudel.

Der junge Winchester musterte seine Begleiterin aufmerksam. Die Dämonin sah immer noch schlecht aus. Was war mit ihr? Sie hätte sich doch schon lange erholt haben müssen! Oder hatte Lilith etwas mit ihr gemacht, wovon sie sich nicht erholen konnte?

Es konnte ja schlecht an dem menschlichen Wirt liegen, oder? Aber den hätte sie doch bestimmt ausgetauscht, wenn der ihr hinderlich geworden wäre? Sam konnte sich einfach keinen Reim auf Rubys krankes Aussehen machen, aber fragen wollte er sie auch nicht.
 

„Ich will noch mal versuchen ob ich zu Dean durchdringen kann”, erklärte sie leise und trat wieder an Deans Bett. Wie schon beim letzten Mal legte sie ihre Hände an seine Schläfen und schloss die Augen.

Diesmal ließ Sam es ohne Vorbehalte geschehen.
 

Wieder stand sie in vollkommener Schwärze und wieder stolperte sie mehr schlecht als recht vorwärts, bis sie den schmalen Streifen Grau erblickte, auf den sie zugehen konnte. Und wieder wanderte Ruby durch das Wäldchen. Diesmal wusste sie allerdings was sie erwartete. Und sie ließ sich Zeit.

Wie erwartet traf sie die Vier auf der Decke sitzend. Das hieß Mary saß auf der Decke und ließ ihren Blick über den See schweifen. Dean, der große Dean lag auf der Decke und schlief. Sein kleines Ich dicht an ihn gekuschelt, seinen Arm als Kopfkissen nutzend und Sammy fest umklammert lagen sie in den Armen des Großen. Mary schaute immer wieder zu diesem friedlichen Bild und wünschte sich, dass John sie so sehen, dass sie John etwas von diesem Frieden für die folgenden Jahre mitgeben könnte.
 

Ruby setzte sich wieder auf die Bank und ließ ihren Blick ebenfalls über den See schweifen. Für die Frau und ihre Kinder schien sie unsichtbar zu sein. Oder schützte Deans Unterbewusstsein diese friedliche Szene? Wollte er das Glück dieser, seiner Familie so lange schützen wie es nur ging? Ruby wartete. Irgendwann würde der Blonde wohl aufwachen und die Frau gehen müssen.
 

Nach einer Weile regten sich die Kinder und auch der Blonde erwachte.

Mary hatte inzwischen schon alles zusammengepackt.

Dean, der große Dean legte den kleinen Sammy vorsichtig in seine Wagen. Sein Blick hatte Ruby gestreift, doch er ignorierte sie. Er half Mary die Decke zusammenzulegen.

„Bist du morgen wieder hier?”, fragte ihn der Kleine mit großen, leuchtenden Augen.

„Klar, bin ich” antwortete der Blonde lächelnd.
 

Ruby fühlte wie diese Worte Zweifel in ihr auslösten. Hatte sie sich nicht richtig ausgedrückt? Hatte sie Deans Ängste nicht zerstreuen können? Hatte sie nicht die richtigen Worte gefunden um ihm zu erklären, was wirklich passiert war?
 

„Dann bis morgen” verabschiedete sich Mary, schob den Kinderwagen auf den Weg und verschwand gleich darauf im Wald.
 

„Warum hier?”, wollte Ruby wissen, als er sich zu ihr auf die Bank gesetzt hatte, die Hände in seinen Jackentaschen vergraben.

„Mom war in diesem Sommer oft mit uns hier. Wir haben Picknick gemacht und Schiffe schwimmen lassen oder Stöcke ins Wasser geworfen. Im Herbst haben wir Pilze gesammelt und zum Trocknen aufgehängt. Es war perfekt”, er starrte blicklos auf den See. „Es war ihr letzter Sommer. – Unser letzter Sommer”

Dean zog die Nase hoch.

„Komm mit zurück Dean.”

„Mir gefällt es hier! Ich will hier nicht weg!”

„Du musst Dean! Du musst gehen. Du kannst sie nicht beschützen! Du kannst sie nicht ewig hier und in dieser Zeit festhalten. Erinnerungen verblassen auch, wenn man sie ständig benutzt. Und Sam wartet auf dich. Er braucht dich!”

Er schaute sie an, Tränen in den Augen. Dann holte er tief Luft und nickte.

„Du bist gekommen um mich zu holen. Warum so? Warum kommst du in Rubys Körper? Ich hab mich schon gefragt, wann ich in die Hölle muss und warum du so lange gewartet hast, Lilith!”
 

„Ich bin nicht Lilith! Lilith ist tot!”

„Du lügst!”

Ruby stand auf und überbrückte mit wenigen Schritten die Distanz zwischen ihnen.

„Es wird dir nichts geschehen”, sagte sie leise als sie seinen skeptischen Blick sah und legte ihm beide Hände an die Schläfen. „Schließ die Augen!”, forderte sie.

Er blickte sie noch eine Weile an. Jetzt würden die Schmerzen kommen. Jetzt würde sie die Illusion zerreißen an die er sich so lange geklammert hatte. Jetzt würde sie ihm die Hölle zeigen, so wie sie war. Jetzt war also seine Schonfrist vorbei.

Er holte erneut tief Luft, irgendwann musste es ja beginnen, dann folgte er ihrer Anweisung.

Ein Fenster zur Welt

Im Krankenzimmer öffnete Ruby ihre Augen. Doch sie waren weder grau, wie die Augen ihres menschlichen Körpers normalerweise, noch schwarz. Sie waren milchig trüb.

Sam japste nach Luft und wollte zu ihr. Bobby hielt ihn mit einer kurzen Handbewegung zurück.

Ihre Augen richteten sich auf Sam. Es war fast als würde sie ihn von oben bis unten scannen, dann machte sie dasselbe mit Bobby.

Die Jäger fühlten sich mehr als unwohl dabei.

Zuletzt ließ sie ihren Blick durch das Zimmer und über die Geräte wandern um danach über Deans Körper zu gleiten und auf seinem Gesicht ruhen zu bleiben.

Dann schloss sie die Augen wieder.
 

Dean, der immer noch auf der Bank saß hatte genau diese Bilder in seinem Kopf. Er hatte Sams erschöpftes Gesicht gesehen, hatte gesehen, dass der sich mal wieder rasieren müsste und auch, was viel schlimmer war, wie mager er geworden war. Von den Augenringen ganz zu schweigen. Und Bobby? Er war auch kein viel schönerer Anblick gewesen. Aber am meisten hatte ihn sein eigener Anblick erschreckt. Totenbleich mit eingefallenen Wangen und an tausend Maschinen angeschlossen. Er sah, dass er beatmet wurde und er sah die Infusionsflüssigkeit in seine Vene tropfen.

„Du lebst, Dean. Du hast den Angriff des Höllenhundes überlebt. Jetzt komm zurück!”

Der Blonde schien sie gar nicht gehört zu haben. Er starrte weiter auf den See ohne sich zu rühren.

„Wie lange?”, platzte es plötzlich aus ihm heraus.

„Vier Wochen.”

Er nickte und schwieg wieder.

„Ich will hier nicht weg”, sagte er irgendwann in die Stille.

„Komm zurück Dean, du wirst gebraucht. Das hier ist nicht die Wirklichkeit!”

Dean zuckte mit den Schultern.

„Ich werde nicht noch einmal kommen”, sagte sie leise.

Hilflos schüttelte Dean den Kopf.

„Leb wohl, Dean!”

Stur blieb er sitzen als Ruby sich erhob und denselben Weg in den Wald benutzte wie schon Mary mit den Kindern vor ihr.

Unter den Bäumen schaute sie sich noch einmal um. Der Blonde hockte immer noch auf der Bank. Die Hände in den Taschen und den Blick stur auf den See gerichtet.
 

Die Jäger beobachteten Ruby aufmerksam. Schien sie doch wirklich helfen zu wollen?!

Sie löste ihren Griff von Deans Schläfen.

Wieder taumelte sie, konnte sich diesmal aber schneller fangen. Sie machte jedoch keine Anstalten, ihren Platz neben Dean zu verlassen.

Mit einem verbissenen Gesichtsausdruck schob sie dem Blonden ihren Daumen zwischen die Zähne und drückte seine Kiefer weiter auseinander.

Ihre andere Hand legte sie auf Deans Augen und begann erneut tonlose Worte zu murmeln.

Plötzlich bäumte sich der Körper unter ihr auf. Eine schwarze Wolke entwich seinem Mund.

Sam und Bobby rissen erschrocken die Augen auf.

Die Wolke verweilte kurz im Raum, dann drang sie in Ruby ein. Kurz straffte sich ihr Körper, doch gleich darauf fiel er wieder in sich zusammen.

Die junge Frau ließ von Dean ab. Ihre Augen weiteten sich panisch. Sie japste mit schmerzverzerrtem Gesicht nach Luft und brach zitternd zusammen.
 

Sam eilte zu ihr und half ihr auf die Beine. Mit sanfter Gewalt bugsierte er sie in einen der Sessel.

Nach einigen Augenblicken öffnete sie ihren Augen.

„Was war das?”, fragte Sam barsch. „Was war in Dean? Was ...?”
 

„Dean wäre gestorben. Seine Verletzungen waren viel zu schwer, als dass er sie hätte überleben können. Der Höllenhund hatte ganze Arbeit geleistet. Also hab ich mich geteilt und ihn mit meiner dämonischen Kraft am Leben erhalten bis ihr im Krankenhaus ward”, flüsterte sie erschöpft.

„Du hast...?”, erschrocken brach Bobby ab.
 

„Deswegen siehst du so schlecht aus? Aber du warst in der Hölle, wie...?”, japste Sam.

„Sie sind in Panik. Sie haben ihren Anführer verloren. Sonst wäre ich wahrscheinlich nicht mal mit meinen kompletten Kräften ungeschoren davon gekommen. Aber so konnte ich es selbst geschwächt wagen”, sie holte tief Luft. „Es ist nicht einfach und es werden auch wieder schwerere Zeiten kommen. Ihr braucht den Colt. Und ihr braucht Dean. Ich musste etwas tun. Außerdem stehe ich auf eurer Seite. Wie oft soll ich das denn noch sagen?”

Bobby brummelte etwas Unverständliches in seinen Bart und schüttelte den Kopf.

„Warum hast du dir erst jetzt deinen Rest wieder geholt?”, wollte der Winchester, immer noch skeptisch, wissen.

„Davor war kaum Gelegenheit. Außerdem hätte Dean meine Hilfe noch brauchen können. Jetzt kann er selbst mit seinen Verletzungen fertig werden.”

„Aber warum wacht er nicht auf?”

„Es liegt an ihm. Er muss zurückkommen wollen. Aber er bezweifelt noch immer, dass er lebt und dass Lilith tot ist. Ich weiß nicht, ob ich ihn überzeugen konnte.”

„Was hast Du getan? Vorhin, dein Blick, diese... Musterung... es fühlte sich eigenartig an.”

„Das was ich gesehen habe, hat er gesehen. Ich habe ihm gezeigt wie es hier aussieht und was mit ihm geschehen ist. Ich hoffe er glaubt mir. Ich hoffe es reicht aus.”
 

Die Sonne stieg über dem See auf und der Mann auf der Bank schaute blicklos zum anderen Ufer. Als die Sonnenstrahlen ihn erreichten und wärmten, streckte er seine verspannten Muskeln.

Er hörte wie der kleine Dean durch das Gras zum Ufer tobte und wie Mary den Kinderwagen durch den Sand schob. Er erhob sich um ihr zu helfen.

Sie breiteten die Decke aus, ließen sich darauf nieder und schauten wortlos auf den See.

Der Tag verging wie immer, in einer fröhlich gelösten Stimmung.
 

Sie packten gemeinsam zusammen. Mary legte die Decke in das untere Fach des Kinderwagens.

Plötzlich stellte sie sich vor Dean. Verwundert hob er die Augenbraue.

„Ich muss mit dir reden!”, stellte sie ernst fest.

„Was....?”

„Wie lange willst du das hier... Wie lange willst du uns hier noch festhalten?”

Der Blonde schüttelte verwirrt den Kopf.

„Es ist eine Illusion Dean. Dein Traum vom Glück! Deine Erinnerung. Aber auch eine Erinnerung verblasst wenn man sie zu oft benutzt. Du kannst uns nicht schützen, nur weil du uns an diesen Tag, an diese Tage bindest, und du kannst Sam nicht schützen. Er braucht dich. Er braucht dich in seiner, in eurer Welt, nicht hier! Hier wird alles so bleiben wie es ist, aber nur wenn du loslassen kannst. Lass es nicht zu einem Albtraum mutieren... Bitte Schatz!”, sie legte ihre Hand an seine Wange und er schmiegte sich dagegen, wollte ihre Berührung spüren so lange es ging.

Tränen brannten in seinen Augen.

„Ich will dich nicht verlieren, Mom!”, krächzte er heiser.

„Du wirst mich nicht verlieren. Ich bin immer bei dir. Hier.” Sie legte eine Hand auf sein Herz. „Hier und ich bin einer der Engel, die über dich wachen. Ich liebe dich, Dean!”

„Ich liebe dich auch, Mom!”

„Dann lass uns gehen!”

Er nickte und zog schniefend die Nase hoch. Danach umarmte er sie so fest als wollte er sie nie wieder loslassen und Mary erwiderte seine Umarmung. Sie hielt ihren Großen fest. Ihren Jungen.

Dean vergrub sein Gesicht an ihrer Schulter. Seine Tränen durchnässten ihre Strickjacke und ihr Kleid, aber er konnte sie nicht zurückhalten.

„Einen Tag noch”, nuschelte er. „Einen einzigen perfekten Tag!”

Sie löste sich von ihm und blickte ihm ins Gesicht. Sanft wischte sie mit ihren Daumen die Tränen von seinen Wangen.

„Einen Tag!”, nickte sie und umarmte ihn wieder.

Tief sog Dean ihren Duft in seine Lungen. Nie wollte er ihn vergessen.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich voneinander lösten.

Dean ging wieder zu seiner Bank und ließ sich darauf fallen.

„Bis morgen!”, lachend winkte der kleine Dean und flitzte dann hinter seiner Mom her.

Der Blonde nickte und ließ seinen Blick über den See gleiten. Hatte Mom Recht? Konnten Erinnerungen verblassen wenn man sie zu oft benutzte? Würde diese Erinnerung verblassen? Würde sie vergehen? Kritisch musterte er den Sonnenuntergang. Hatten sich die Farben schon verändert? Waren sie blasser geworden? Ruby hatte fast dasselbe gesagt. Aber sie war ein Dämon und Mom nicht. Mom war ... Er glaubte nicht an einen Himmel, aber er hatte gesehen, wie Molly ins Licht gegangen war. Genau da sollte seine Mom auch sein. Im Licht.

Grummelnd schüttelte er den Kopf. Er würde sich nicht darüber den Kopf zerbrechen! Er hatte noch einen Tag und den würde er genießen!
 

Nur das sanfte Nachtlicht erhellte den Raum. Bobby und Ruby hatten sich auf den Weg ins Motel gemacht. Etwas eher heute, aber die Dämonin brauchte Ruhe. Das Zusammenflicken ihres dämonischen Körpers brauchte Zeit und Kraft, hatte sie erklärte und war schwankend aufgestanden. Der Ältere hatte sie gestützt und sich bereit erklärt sie ins Motel zu bringen. Sam war damit zufrieden. Er hätte sie auf keinen Fall begleitet. Er wollte hier nicht weg. Schlimm genug, dass Bobby darauf bestand, dass er jeden Vormittag ins Motel fuhr und schlief. Nein, er hätte Ruby nicht begleitet.

Er wusste nicht, was er von ihr halten sollte: 'Stand sie wirklich auf ihrer Seite, auf der Seite der Jäger? Oder wollte sie sie in eine Falle locken? Aber warum brachte sie dann den Colt wieder? War das überhaupt der Colt?' Sam hatte ihn sich immer noch nicht angesehen. Er hatte Wichtigeres im Kopf. Viel Wichtigeres. Aber Bobby hatte ihn in den Händen gehalten und geprüft. Bobby meinte es wäre der echte. Und Sam vertraute Bobby.
 

Vorsichtig, fast schon zärtlich strich Sam über den Arm seines Bruders, über seine Hand.

Dean machte immer noch keine Anstalten wieder aufwachen zu wollen. Ruby hatte gesagt, er müsse von selbst kommen wollen. Was hatte das zu bedeuten? Von selbst? Was wenn sein großer Bruder nicht wiederkommen wollte? Was wenn er einfach weiter im Koma lag und irgendwo in seiner Welt weiterlebte? Was war seine Welt. Wo hatte Ruby ihn gesehen? Wie hatte sie ihn gefunden?

Sie hatte ihm ihre Hände an die Schläfen gelegt!

Wie ferngesteuert erhob sich Sam und trat neben Dean. Er legte ihm seine Hände an die Schläfen und versuchte sich zu konzentrieren. Er schloss die Augen und dachte nur noch an Dean, nur noch daran, dass er ihn erreichen müsse. Dass er ihn finden müsse.

Doch nichts passierte. So sehr sich Sam auch anstrengte, er konnte Dean nicht erreichen.

Hatte Ruby ihnen etwas vorgemacht? Hatte sie sie betrogen? Mal wieder hintergangen?

Sam holte tief Luft und versuchte es noch einmal. Er hatte doch Dämonenblut in sich! Er musste seinen Bruder erreichen können!

Nichts!

Nichts, nichts und wieder nichts!

Sam war frustriert. Er verkniff sich den Impuls Dean in die Seite zu knuffen.

„Verdammt Dean!”, fluchte er stattdessen vor sich hin und schluckte die Tränen, die sich in seinen Augen stauten, herunter. Er zog die Nase hoch und ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen.

Dann nahm er Deans Hand in seine, stützte seine Ellenbogen wieder auf der Matratze ab und legte seine Wange gegen Deans Hand. Reglos verharrte er so.
 

Die Sonne war schon wieder aufgegangen und begann den Raum zu erhellen.

Eine Schwester betrat das Zimmer. Sam half ihr Deans Verbände zu entfernen. Die Wunden sahen schon richtig gut aus. Alles heilte und an einigen Stellen hatte sich der Schorf schon gelöst und darunter kam neue, rosige Haut zum Vorschein. Sam lächelte. So wie es aussah würde Dean wirklich kaum Narben davon tragen. Dieses neue Gewebe schien gut zu funktionieren.

Sam half der Schwester seinen Bruder zu waschen und seinen Rücken mit Babyöl einzureiben. Kritisch musterte er die hintere Ansicht des Blonden. Trotz aller Pflege hatte der inzwischen leichte Druckstellen am Rücken. Und Sam konnte nur hoffen, dass der Sturkopf endlich aufwachen würde, bevor er sich wirklich wund lag. Dann hätten sie ein Problem.
 

Die eine tiefe Wunde im Bauch des älteren Winchester brach immer wieder auf. Bisher hatte sie sich allen Versuchten widersetzt, sich schließen zu lassen. Dabei war sie zuerst so toll verheilt. Klar, Deans Bauch war immer noch dick verschorft, aber diese eine kleine Stelle blutete immer wieder.

Gemeinsam verbanden sie die Wunden. Die Schwester verteilte Wundsalbe und Sam deckte alles mit einer dicken Schicht Mull ab. Dann wickelte sie, so gut es ging, die Binden um den Körper, den Sam liebevoll und doch fest in seinen Armen hielt.

Zu guter Letzt betteten sie ihn wieder in leichter Seitenlage in die Kissen.

„Danke!”, lächelte die Schwester, warf noch einen kontrollierenden Blick auf die Monitore und verließ dann den Raum.

Sam plumpste zurück auf seinen Stuhl.

„Komm zurück Dean, bitte!”, flehte er leise und rieb sich müde über die Augen.

Klar, Bobby schickte ihn zwar jeden Tag ins Motel zum Schlafen, doch war es das wenigste was Sam da tat – schlafen. Er durchforstete das Internet nach immer neuen Methoden Dean zu helfen. Er musste doch inzwischen schon ganze Wälder durch seinen Drucker gejagt haben. Vielleicht hätte er ja Medizin studieren sollen? Das hätte ihnen jedenfalls mehr geholfen als sein angefangenes Jura-Studium!

Sam war verzweifelt! Und ein Blick auf das blasse, immer schmaler werdende Gesicht seines Bruders tat sein Übriges um seine Laune nicht besser werden zu lassen.

Was gaben die Dean da? Womit fütterten sie ihn? Es war jedenfalls nicht genug!

Sam lächelte als sich ein Bild von Schokoriegeln in der Infusion vor seine Augen schob. Vielleicht sollte er Dean mal einen Schokoriegel vor die Nase halten?

Ein perfekter Tag

9) Ein perfekter Tag
 

Die Sonne ging über dem See auf.

Ein junger Mann saß auf einer Bank. Seine Hände hatte er in den Taschen seiner Lederjacke vergraben. Er schaute ruhig auf das Wasser hinaus. Wind raschelte in den Blättern der Bäume und ein paar Schmetterlinge gaukelten in der leichten Brise. Es versprach ein sonniger, warmer Tag zu werden.

Dean lächelte. Es würde ein sonniger, warmer Tag werden. Er lauschte den Vögeln und sah den Schmetterlingen zu.

Die Sonne stieg höher und die Temperaturen ebenfalls.

Der Blonde überlegte, dass er schon ewig nicht mehr schwimmen war. Er schaute auf den See, der einladend schimmerte. Er wandte sich zum Wald um und schaute dann zur Sonne. Sie würden noch nicht kommen.

Er stand auf, entledigte sich seiner Kleidung. Dann ging er langsam zum See. Kurz blieb er am Ufer stehen. Das Wasser leckte immer wieder an seinen Füßen. Es war ganz schön kalt, fand er. Aber bange machen galt nicht. Ohne ein weiteres Zögern ging er weiter ins Wasser. Als es seine Hüften umspülte tauchte er mit einem Hechtsprung ganz hinein. Er tauchte wieder auf und schüttelte kurz den Kopf um das Wasser aus den Augen zu bekommen. Dann kraulte er mit ruhigen Zügen auf den See hinaus. An einer sonnigen Stelle hielt er an und legte sich auf den Rücken. Gemächlich ließ er sich treiben.

Nach einer Weile drehte er sich wieder um und schwamm mit ruhigen weit ausgreifenden Zügen noch ein paar Bahnen hin und her und machte sich dann wieder auf den Weg zum Ufer.

Gerade als er aus dem Wasser kam, schob die junge blonde Frau den Kinderwagen auf die Bank zu, auf der Deans Sachen lagen. Er schüttelte sich noch einmal das Wasser aus den Haaren und ging weiter auf sie zu. Eine feine Gänsehaut überzog seinen Körper als der Wind leise über die Wassertropfen strich. Sie lächelte ihn an: „Sieht so aus als könntest du ein Handtuch brauchen“, stellte sie lachend fest und griff in den Korb unter dem Wagen. Sie reichte ihm ein großes weiches Handtuch und rubbelte ihm dann den Rücken trocken. Er schloss die Augen und genoss dieses Gefühl.

„Hallo”, grüßte sie als er sich wieder zu ihr umdrehte, ihr das Handtuch aus den Händen nahm und sich weiter abtrocknete.

„Hallo, ihr drei!”, lächelte er sie an.

„Bringst du mir schwimmen bei?“, fragte der kleine Blonde und Dean nickte lächelnd und schaute zu, wie sich der Kleine sofort seiner Schuhe entledigte.

„Jetzt sofort?“, wollte der große Dean wissen und der Kleine nickte aufgeregt. Der Große zuckte mit den Schultern. Sein Blick suchte Marys. Sie nickte.

„Okay“, sagte Dean zu dem Kleinen, ließ sein Handtuch fallen und half ihm beim Ausziehen. Gemeinsam gingen sie zurück zum See und Mary breitete lächelnd die Decke aus und ließ sich darauf nieder. Gut, dass sie heute Morgen eine zweite Garnitur für ihren Jungen eingepackt hatte.

Dean und sein jüngeres Pendant waren inzwischen am Ufer angekommen und der Kleine ging ohne Zögern ins Wasser. 'War ich schon immer so unerschrocken?' fragte sich der Große unweigerlich. Er hob sie Schultern. 'Musste wohl so gewesen sein.'

Er drehte sich zu seinem jüngeren Ich um und wurde mit einer Ladung Wasser empfangen. Wasserschlacht. Warum nicht. Dean grinste und gab sich Mühe den Kleinen auch hin und wieder zu treffen. Endlich hatten sie genug.

„Hast du denn jetzt noch Kraft zum Schwimmen?“, fragte er den Kleinen als der dann neben ihm stand und ihn an sein Versprechen erinnerte.

„Klar“, nickte der Kleine eifrig.

Dean zeigte ihm wie man Arme und Beine zu bewegen hatte und nahm ihn dann mit ins tiefere Wasser. Er legte eine Hand unter die Brust des Kleinen und hielt ihn so über Wasser. Und der Kleinere ruderte wie wild mit Armen und Beinen. Irgendwie erinnerte ihn das an Sam. Der war auch immer so hektisch gewesen.

„Langsam“ versuchte er den kleinen Dean zu bremsen. 'Eigentlich war das hier falsch', schoss es ihm plötzlich durch den Kopf. Dad hatte ihm schwimmen beigebracht. Begann sich die Erinnerung schon zu verändern? Begann er die Erinnerung zu verändern? Unwirsch schüttelte er den Kopf. Diese Erinnerung würde sich nicht verändern. Er würde heute hier verschwinden. Und der kleine Junge in seinen Armen würde diese Erinnerungen nie haben, der war er selbst und er konnte sich ja wohl nicht selbst so das Schwimmen beibringen.

In dem Augenblick schluckte der Kleine Wasser und Dean hob ihn automatisch hoch, hielt ihn fest und klopfte ihm sanft auf den Rücken.

„W-weiter sch-schwimmen“ forderte der Kleine bald darauf mit blauen Lippen.

„Ich denke wir sollten erstmal zurück zu deiner Mom gehen. Die fühlt sich sonst noch einsam. Und du solltest deinen Dad fragt, ob er dir das Schwimmen beibringt“, erklärte der Große und trug den Kleinen aus dem Wasser. Sofort war Mary mit Handtüchern zur Stelle und rubbelte erst den Kleinen trocken und setzte ihn auf die Decke. Danach half sie auch dem Großen sich den Rücken abzutrocknen.

Wenig später saßen sie einträchtig, die Jungs noch immer in Handtücher eingemummelt, auf der Decke und tranken Kakao und Kaffee, der in den Tassen dampfte.

Doch schon bald wurde es dem Kleineren zu langweilig. „Spielst du mit mir fangen?“, fragte er den Großen und der sah keinen Grund ihm das zu verweigern. Also schlüpften sie wieder in ihre Sachen und schon tobten sie über die Wiese.
 

„Baust du mit mir eine Sandburg?”, wollte der kleine Dean wissen, als er sich japsend gegen den Großen geworfen und diesen mit umgerissen hatte. Schließlich war er ja schon stark!

„Klar”, lächelte der Große. Er hatte noch nie eine Sandburg gebaut, aber was sollte es. Es war ein perfekter Tag und an einem perfekten Tag würde er auch eine tolle Sandburg bauen können.

Also krempelte er seine und Deans Hosen bis zu den Knien hoch und lief mit dem Kleinen zum Ufer.

„Machst du mir auch ein Schiff?”, wollte der Kleine wissen und hielt ihm ein dickes Stück Rinde und ein paar Stöckchen hin.

Dean nickte: „Wo soll deine Burg denn stehen?“

„Weiß nicht“, überlegte der Kleine.

„Dann lass und mal den richtigen Platz suchen gehen.“

Der Kleine nickte und so marschierten sie am Ufer entlang.

Endlich hatten sie einen Bauplatz gefunden, der den beiden kritischen Baumeistern zusagte.

Dean machte aus dem Rindenstück ein Schiffchen und als er sich sein Werk besah musste er lächeln. Dad hatte ihm, als die Erinnerung noch Wirklichkeit war, ein solches Schiffchen gebaut.

Sie ließen das Boot zu Wasser und der Kleine freute sich riesig als es auch wirklich schwamm.

„Ich bin ein Entdecker und das ist eine unbekannte Insel“, erklärte der Junge und schob das Schiffchen an den Strand. Doch immer wieder wurde es von zurücklaufenden Wellen auf den See gezogen.

„Wir brauchen einen Hafen!“, stellte der Kleine fest, also bauten sie noch einen Hafen.

Dann begannen sie ihre Burgbaupläne zu verwirklichen. Sie gruben einen breiten Burggraben und bauten eine hohe Sandburg mit vielen Türmen und einer Brücke über dem Graben.
 

Dann rief Mary sie zum Kaffee und die Männer ließen sich mit roten Wangen und leuchtenden Augen auf der Decke nieder.

Dean, der Ältere, fütterte den kleinen Sam, wiegte ihn in seinen Armen bis er schlief und legte ihn dann vorsichtig wieder auf die Decke.

Auch der kleine Dean gähnte.

Der Große streckte sich auf der Decke aus, stützte jedoch seinen Ellenbogen auf und legte den Kopf in die Hand. Der Kleinere kuschelte sich an den Großen und legte seine Arme schützend um Sammy.

Der große Blonde lächelte. Ja, er hatte seinen kleinen Bruder schon immer geliebt und beschützen wollen.
 

Aber auch ein perfekter Tag ging einmal zu Ende. Die Sonne senkte sich zum Horizont und Mary war heute schon viel länger geblieben als sonst.

Der Blonde half seiner Mom alles wieder einzupacken.

Zum Abschied umarmte er sie fest.

„Sag Sam, dass ich ihn liebe”, trug Mary ihm auf und Dean spürte einen Stich der Eifersucht in seiner Brust. ‚Was soll das?’ schimpfte er sich in Gedanken. ‚Ich hab Mom vier Jahre haben dürfen, Sam nur sechs Monate!’

Seine Mom musste die Eifersucht wohl trotzdem deutlich in seinen Augen gesehen haben, sie wuschelte ihm durch sein Haar und lachte: „Du wirst immer mein Großer bleiben. Ich liebe dich, Dean. Ich habe mit dir einige der schönsten Momente meines Lebens erleben dürfen. Dass kann uns keiner nehmen.”

Dean schämte sich noch ein wenig mehr. Doch auch dieses Gefühl schmolz unter Marys Lachen.

Sie umarmte ihn fest und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.

„Wir sehen uns, Schatz”, dann drehte sie sich um und schob den Kinderwagen wieder zum Waldrand.

Der kleine Dean rannte lachend um sie herum.
 

Dean setzte sich auf die Bank und hielt sein Gesicht, mit geschlossenen Augen, der untergehenden Sonne entgegen. Er wartete bis sie fast ganz hinter dem Horizont versunken war, dann stand er auf. Noch einmal ließ er seinen Blick über diese friedliche Idylle schweifen. Er holte tief Luft und machte sich auf den Weg zum Waldrand.

Er hatte Mom versprochen in seine Welt zurückzukehren und er würde sein Versprechen halten, egal wie schwer ihm das fiel. Egal ob er nicht wirklich daran glaubte in seine Welt zurückkehren zu können. Er war immer noch der Meinung, dass er in die Hölle gehen würde. Aber er hatte es ja so gewollt. Er hatte diesen Pakt geschlossen und jetzt musste er ihn auch erfüllen.

Dean betrat den Wald. Das Laub des letzten Jahres verschluckte seine Schritte.

Er drehte sich noch einmal zum See um. Doch er hatte seine Entscheidung getroffen. Er würde diesen Ort verlassen. Egal wie ungern er das tat. Er dachte nicht länger darüber nach. Er hatte zu oft das tun müssen, was er nicht wollte. Er hatte etwas entschieden und nichts würde ihn von diesem Weg abbringen.

Dean ging durch den Wald, hinein in die Dunkelheit.
 

Es war später Nachmittag. Sam saß wie immer am Bett seines Bruders und hielt dessen Hand. Ruby und Bobby hatten sich am Tisch niedergelassen und schwiegen vor sich hin.

Plötzlich änderte sich das Piepsen eines Monitors. Es wurde hektischer und unrhythmischer.

Die Drei sahen erschrocken auf. Schauten sich an und wieder auf Dean. Sein Herzschlag hatte sich geändert.

Und dann bäumte sich der Körper in dem Bett auf.

Dean hatte die Augen fest zusammengekniffen und kämpfte um Luft.

„Dean? Dean!”, Sam war aufgesprungen und hielt immer noch die Hand seines Bruders, „Dean! Du bist immer noch intubiert. Bitte versuch ruhig zu bleiben, du wirst beatmet. Gleich kommt Hilfe! Dean, bitte!”

Ruby war kaum, dass Dean sich im Bett geregt hatte, aufgesprungen, auf den Gang hinaus gelaufen und hielt den ersten Pfleger fest, den sie zu Gesicht bekam. „Wir brauchen Hilfe!”, fuhr sie den erschrockenen Mann an. Der nickte, machte sich los und flitze davon.

„Hey...!” brüllte die Blonde ihm hinterher. Doch der Pfleger war schon weg.

Sie ging zurück ins Zimmer, in dem Dean immer noch nach Luft japste, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Sam drückte ihn sanft zurück, strich ihm beruhigend mit der Hand über die Stirn und versuchte noch immer, ihn auch mit Worten zu beruhigen. Gerade wollte Ruby die Tür hinter sich schließen als die energisch wieder aufgedrückt wurde. Dr. Bagley betrat den Raum, gefolgt von einer Schwester.

„Mr. Fletcher, bitte bleiben sie ruhig. Wir werden sie jetzt von dem Tubus befreien, okay?”, versuchte der Arzt zu erklären.

Dean hatte seine Augen inzwischen geöffnet und versuchte zu nicken.
 

Keine Minute später war er das Ding in seinem Hals endlich los und konnte seine Lungen endlich wieder selbstständig mit Sauerstoff füllen. Der Arzt wollte ihn noch etwas fragen, wurde aber von Sam rigoros zur Seite gedrängelt.

Dean lächelte als er das besorgte Gesicht seines kleinen Bruders über sich sah.

„Soll... Mom... liebt...” flüsterte er kaum hörbar. Dann schloss er seine Augen wieder. Er war erschöpft und so müde, als hätte er wochenlang nicht geschlafen. Sein Kopf rutschte zur Seite und gleich darauf verkündeten seine ruhigen, gleichmäßigen Atemzüge, dass er eingeschlafen war.
 

Der Arzt kontrollierte Deans Werte, brummte zufrieden und verließ, nachdem er dem Blonden eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht gedrückt hatte, mit der Schwester im Schlepptau das Zimmer.

Bobby musterte den blonden Winchester, brummelte ebenfalls etwas Unverständliches und setzte sich wieder auf seinen Stuhl. Ruby ließ sich neben ihn fallen. Auch sie strahlte vor Freude.

Nur Sams Stirn war gerunzelt. Er setzte sich auf seinen Stuhl neben dem Bett, ergriff wieder Deans Hand und grübelte über dessen Worte nach.

Was wollte sein Bruder ihm damit sagen? Wie kam er jetzt auf Mom? Hatte er ihn überhaupt richtig verstanden? Verdammt! Warum musste sein Bruder auch gleich wieder einschlafen? Hatte der nicht lange genug faul rumgelegen?

vermischte Realitäten

„Hallo Dean!“

Er kannte die Stimme. Aber wer? Wo war sie?

„Suchst du mich?“

Die Stimme war direkt hinter ihm. Er drehte sich um. Vor ihm war ein Wesen mit einer abstoßenden Fratze und weißen Augen.

„Hallo Lilith!“

„Wir haben schon so lange auf dich gewartet. Ich freu mich, dass du endlich da bist.“

„Ich nicht.“

„Warum so pessimistisch Dean? Wir werden viel Spaß haben.“

„Das befürchte ich“, grummelte er.

Sie fasste sein Handgelenk und führte ihn ein paar Schritte weiter. Er versuchte sich umzusehen, doch alles war grau. Er fühlte sich wie im dichtesten Nebel. Der Klumpen in seinem Magen wurde immer größer und plötzlich schlugen seine Instinkte Alarm. Vor ihm war etwas. Etwas was ihm nicht gefallen würde.

Lilith blieb stehen und drehte sich zu ihm um: Ich hab eine Überraschung für dich!“

Alles in ihm sagte ihm, dass er die nicht mögen würde. Und richtig. Plötzlich stieß sie ihm ihre Hände vor die Brust. Er verlor das Gleichgewicht, ruderte mit den Armen und stürzte nach hinten.
 

Dean keuchte in seine Maske. Seine Augen jagten unter seinen geschlossenen Lidern hin und her.

„Dean?”, versuchte Sam seinen Bruder zu erreichen.

Ein Wimmern entrang sich Deans Kehle.

„Dean? Bitte. Du bist in Sicherheit”, versuchte es der Jüngere wieder. Irgendwie musste er seinen Bruder doch wecken können. Doch nichts. Der Blonde reagierte nicht auf Sam. Seine Albträume hatten ihn fest im Griff.

Der Jüngere furchte seine Stirn und suchte verzweifelt einen Weg um ihm zu helfen, um ihn zu erreichen, doch es fiel ihm nichts ein. Er konnte nur hilflos mit ansehen, wie Dean immer tiefer in einem Strudel aus Angst und Schmerz versank, denn das las er auf seinem Gesicht und ihm blieb nichts anderes übrig, als nur immer wieder den Schweiß von seiner Brust und Stirn zu wischen und er betete inständig, dass Dean schnell einen Weg da raus finden würde.
 

Ruby war mit Bobby zurück ins Motel gefahren. Jetzt, nachdem Dean aus dem Koma erwacht war, konnte sie sich Ruhe gönnen. Sie hatte immer noch mit ihrer Teilung zu kämpfen. Sie hatte ja gewusst, dass das ein schwieriger Prozess sein würde, aber dass es so langwierig war hätte sie sich nie träumen lassen. Doch egal wie lange es noch dauern würde, und wie schmerzhaft es für sie war, ihrer Meinung nach hatte es sich mehr als gelohnt. Letztendlich hatte sie doch noch helfen können Dean zu retten, auch wenn es absolut nicht auf die Art war, wie sie sich gedacht hatte. Aber sie hatten ihr Ziel erreicht. Dean lebte und Lilith war tot. Jetzt hieß es abwarten bis der Blonde wieder auf den Beinen war und wie sich die Lage in der Hölle entwickeln würde. Dann würden sie weitersehen.
 

Dean wachte an diesem Tag nicht wieder auf. Und er schlief unruhig genug um Sam in seiner Angst zu bestätigen, dass er Albträume hatte. Immer wieder versuchte er Dean zu wecken. Doch nichts, der reagierte einfach nicht auf ihn.
 

Er fiel und fiel und versank immer tiefer in einer schwarz-roten Masse. Um sich herum hörte er Stimmen. Er verstand nicht was sie sagten, aber sie klangen bedrohlich. Hin und wieder erhaschte er einen Blick auf eine hässlich verzerrte Fratze. Plötzlich landete er hart. Unter ihm schrie jemand. Er fühlte er etwas Festes unter seinen Füßen. Fest und doch nachgiebig. Aber er konnte immer noch kaum mehr sehen als die sprichwörtliche Hand vor Augen. Er ließ sich auf Knie und Hände fallen. Unter sich hörte er ein Stöhnen. Er tastete, fühlte zerrissenen Stoff, Haut und tastete weiter. Ein Hals ein Gesicht. Erschrocken japste er nach Luft. Er stand auf einem Menschen. Er verlor den Halt, kippte nach hinten. Doch kaum rappelte er sich wieder auf, fühlten seine Hände einen weiteren Menschen unter sich und er fühlte, wie er in diese Masse aus Menschen gezogen wurde als sollte er ein Teil dieses furchterregenden Teppichs werden.

Er schrie. Er wollte weg. Panik fraß sich rasend schnell durch seinen Körper. Er kämpfte sich auf die Füße und rannte. Rannte und versuchte zu verdrängen worüber er rannte, versuchte die Schmerzensschreie unter sich zu überhören. Er rannte so schnell er konnte, so schnell es die Körper unter ihm zuließen.
 

Völlig außer Atem und mit zitternden Knien kam er an einem Felsen zum Halten. Er hatte diesen Teppich hinter sich gelassen, hatte verhindern können in diese Masse hineingezogen zu werden. Jetzt hoffte er auf etwas Ruhe, hoffte, dass er sich hier wieder sammeln und dann langsam herausfinden konnte wo er war. Vielleicht fand er ja einen Ausweg. Er lehnte seinen Kopf an den Stein und schloss die Augen.
 

Dean japste erschrocken und riss die Augen auf. Verdammt er war eingeschlafen. Er war in der Hölle und von Dämonen umzingelt und war eingeschlafen...

Grelles Licht brannte sich in seine Netzhäute und ließ ihn die Augen schnell wieder schließen.

Wieso hell? Wo war er hier?

Irgendetwas lag auf seinem Gesicht und bei jedem Atemzug spannten Brust und Bauch. Er versuchte das Ding von seinem Gesicht zu wischen und war entsetzt, dass er seinen Arm nicht bewegen konnte. Hatten sie ihn gekriegt? Hatten sie ihn irgendwo angekettet? Vorsichtig blinzelte er jetzt. Nachdem seine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten konnte er Details erkennen. Verwirrt und panisch huschten seine Blicke durch den Raum. Hier stimmte doch etwas nicht! Über ihm strahlte eine Neonröhre und eine Atemmaske verdeckte einen Großteil der Sicht. War das ein neuer Trick von Lilith? Etwas Neues um ihn zu quälen? Sie hatte bestimmt in seinen Gedanken gelesen, dass er Krankenhäuser hasste.

Er versuchte sich aufzurichten und musste erschrocken feststellen, dass ihm auch zu dieser einfachen Bewegung die Kraft fehlte. Was war passiert? Was hatte sie mit ihm gemacht? Wo war er überhaupt?

Er lag in einem Bett mit Maschinen um sich herum, doch sein Gehirn weigerte sich ihm einen Bezug dazu anzubieten.
 

Sam saß in seinen Grübeleien versunken, als Deans Bewegungen ihn aufschrecken ließen.

„Dean!?“, rief er leise aber bestimmt. „Bleib liegen.“

„Sammy? Wieso? Was...was ist passiert? Wo bin ich?“ keuchte der Blonde tonlos in seine Maske bis Sam ihm half das Teil von seinem Gesicht zu nehmen.

„Du bist im Krankenhaus“, erklärte der Jüngere.

„Warum?“ Dean ließ sich zurück in die Kissen drücken, er hatte eh keine andere Chance, und schaute seinen Bruder noch verwirrter an. Er war viel zu schwach um sich zu wehren. Aber warum?!?

„Der Höllenhund, Lilith?“, hakte Sam vorsichtig nach.

Der Blonde runzelte die Stirn. Der Höllenhund hatte ihn geholt und Lilith? Lilith hatte ihn in einen Abgrund gestoßen und er war auf einem Menschenteppich gelandet. Er war gerannt als wäre der Teufel hinter ihm her und hatte einen Ausweg finden wollen. Waren das hier nur Trugbilder? Wollte die kleine Dämonenschlampe ihn damit quälen?

„Was ist passiert, Sammy?“, nuschelte Dean und versuchte die Situation einzuordnen, versuchte die Augen offen zu halten. Er musste doch wissen was mit seinem kleinen Bruder war. Warum sah der so fertig aus?

„Sammy?“, fragte er noch einmal als er nicht sofort eine Antwort bekam.

„Du bist im Krankenhaus. Wir waren in New…“, mehr von Sams Monolog bekam Dean nicht mit. Ihm waren die Augen endgültig wieder zugefallen und sein Kopf rutschte zur Seite.

Seine ruhigen Atemzüge informierten Sam, dass er wieder eingeschlafen war.
 

Besorgt setzte der Jüngere seinem Bruder die Atemmaske wieder auf’s Gesicht. Dann setzte er sich zurück auf seinen Stuhl, nahm Deans Hand in seine und versank in seinen Grübeleien.

‚Was wenn Dean wirklich unter Amnesie litt? Was wenn er sich an gar nichts mehr erinnern konnte, wenn sein komplettes Leben weg war? Aber er hatte ihn ja erkannt! Vielleicht war nur der Angriff des Höllenhundes weg, so wie Dr. Bagley gesagt hatte.' Er würde warten müssen, bis Dean mal länger wach war, solange zumindest bis er mit ihm richtig reden konnte. Er würde sich weiter in Geduld üben müssen!
 

Der nächste Morgen kam mit polizeilicher Verstärkung.

Captain Elliott, Sam schätzte ihn auf Mitte vierzig, hatte stechende, hellgraue, kleine Schweineäuglein, Halbglatze und war etwas übergewichtig, aber gut in Form. Sein Gesicht leuchtete ungesund rot. Er hatte hellblonde, schon fast weißliche Haare, schmale, eher nicht vorhandene Lippen, eine Knubbelnase und einen fetten Goldring mit grünen Steinen am rechten Ringfinger. Unecht!

Der andere, Officer Jose Gomez, noch keine dreißig, klein, schlank, dunkelhaarig. Der typische, unauffällige Mexikaner. Er sah freundlich aus, nett und Sam war sich sicher, wenn sie sich auf andere Weise kennen gelernt hätten, hätten sie sich zumindest sympathisch sein können.

Die beiden Polizisten waren kurz davor Sam bis aufs Blut zu reizen.

Irgendeine schusselige Schwester, Sam hatte die im Verdacht, die gestern mitgeholfen hatte, Dean von dem Ding in seinem Hals zu befreien, hatte wohl den Cops erzählt, dass der Patient aus dem Koma erwacht sei und die hatten nichts Besseres zu tun, als im Krankenhaus aufzulaufen und Sam mit Fragen zu bombardieren. Dabei konnte er ihnen über den Angriff auf Dean nicht mehr sagen als er schon ihren Kollegen erzählt hatte und der Patient schlief, und war entgegen jeder Hoffnung von Seiten der Uniformierten auch nicht einfach so zu wecken.

Der Winchester war kurz davor zu explodieren als Dr. Bagley zur Visite ins Zimmer kam und sofort von den beiden in blau gekleideten Herren mit Fragen zugepflastert wurde. Und der Arzt versuchte gar nicht erst sich ein Grinsen zu verkneifen.

„Meine Herren“, begann er wie ein Oberschullehrer, „der Patient liegt seit vier Wochen im Koma. Dieser Zustand, verbunden mit den schweren Verletzungen, hat seinen Körper so sehr geschwächt, dass es mich nicht wundern würde, wenn er die nächsten zwei Wochen mehr oder weniger durch schlafen würde. Und… Es ist völlig unmöglich eine Prognose darüber zu erstellen, wann und wenn für wie lange Mr. Deacon Flechter das nächste Mal aufwachen wird.“

Die Polizisten wollten protestieren.

„Sie können gerne im Flur warten. Ich denke der junge Mann hier“, dabei deutete er auf Sam, „wird sie informieren, wenn sein Bruder wach ist, obwohl ich selbst dann noch bezweifle, dass er ihnen ihre Fragen beantworten kann. Ein Koma ruft immer eine mindestens leichte Verwirrtheit hervor und bei dieser Art und Schwere seiner Verletzungen würde es mich nicht wundern, wenn er nicht mindestens unter einer kongraden, also einer Amnesie leidet, die sich auf das Ereignis beschränkt, die sie hervorgerufen hat, und sich an den Überfall nicht mehr erinnern kann.“

Inzwischen grinste auch Sam breit.

„Mein Kollege wird warten!“, erklärte der Captain und seinem Kollegen fiel die Kinnlade auf die Brust.

„Draußen“, wies Sam ihm die Tür.

Dr. Bagley untersuchte Dean eingehend.

„Danke!“, sagte Sam leise, als der Arzt wieder gehen wollte.

„Nichts zu danken. Ich mag den Captain nicht. Der führt sich auf als wären immer alle gegen ihn.“

„Vielleicht sind das ja auch alle“, antwortete Sam leise.

„Inzwischen ja!“

Der Arzt verließ das Zimmer und Sam kehrte zu seinen Grübeleien zurück.

Was würden sie jetzt tun? Könnte, sollte er vielleicht doch noch nach Stanford gehen? Zurück an die Uni? Aber was würde dann mit Dean? Dean würde auf keinen Fall studieren. Was sollte er auch für ein Fach wählen? Soweit er wusste war Dean nie besonders gut in der Schule gewesen und außerdem hasste er jedes Buch fast persönlich.

Okay, Sam war sich zwar sicher, dass sein Bruder nicht so doof war wie er sich immer wieder selbst hinstellte, aber zum Studieren wäre er dann wohl doch nicht intelligent genug. Dabei fiel Sam ein, dass er nie ein Zeugnis seines Bruders zu Gesicht bekommen hatte. Er wusste nur, dass ihr Dad, der trotz allem Wert auf Bildung gelegt hatte, oft genug auf Deans Einstellung zur Schule geschimpft und sich regelmäßig über die immer wiederkehrenden Beschwerden der Lehrer, dass sein Ältester im Unterricht immer wieder schlafen würde, aufgeregt hatte. Nur in Sport war der Blonde, Sams Wissen nach, ein Ass gewesen. Aber das war ja auch kein Wunder. Nicht bei Dads Drill, den sie eigentlich täglich über sich ergehen lassen mussten.
 

Doch dann schreckte ihn Deans Winseln aus seinen Gedanken. Wieder warf der seinen Kopf von einer Seite auf die andere und keuchte.

Dean hatte Albträume!

Seine Fäuste ballten sich bis die Knöchel weiß hervortraten. Er zuckte immer wieder, dann begann er um sich zu schlagen, kraftlos.
 

Wieder hörte er Stimmen um sich herum. Und er sah die Fratzen. Sie waren näher als beim letzten Mal. Irgendwie sahen sie aus wie Ruby oder der Cop, der ihn wegen seines kaputten Rücklichtes angehalten hatte. Und dann erkannte er Lilith.

„Glaubst du wirklich uns hier entkommen zu können?“, fragte sie und eine Handbewegung von ihr nagelte ihn an den Felsen. Ein Fingerschnippen nur und schon schlossen sich eiserne Ringe um seine Hand- und Fußgelenke.

„Spielt mit ihm, Kinder!“, forderte sie, und schon stürzten die Dämonen auf ihn zu, schlugen ihre Krallen in seinen Körper. Er zerrte an seinen Fesseln, doch sie hielten ihn wo er war, an einen Felsen genagelt. Die Dämonen lachten und rissen mehr und mehr aus seinem Körper. Er schrie. Schrie bis er keine Lunge mehr hatte, in der er Luft zum Schreien sammeln könnte, bis er keinen Körper hatte, den sie zerreißen konnten. Und der Schmerz war allgegenwärtig.
 

Sam klingelte nach der Schwester und bat diese dann, darum, Dean zu helfen. Sie kontrollierte dessen Werte, um kurz danach einen Arzt zu holen.

Dr. Bagley kam und gab Dean sofort ein Beruhigungsmittel.

„Ihm geht es gleich besser“, versprach der Arzt und Sam wollte ihm glauben, schon allein um Deans Willen.

Sam löste Deans Finger langsam aus dem Laken und bot ihm seine Hand als Ersatz dafür. Sofort krallte sich der Blonde wieder fest. Sam drückte nun seinerseits zu: „Du bist nicht allein, Dean. Bitte komm zurück“, flehte er leise und lehnte seine Wange gegen die Hand des Blonden.

Meine eigene Hölle

Als Bobby den Raum betrat sah er einen blassen Dean, nicht dass der nicht vorher schon blass gewesen wäre, aber jetzt war er fast so weiß wie das Laken auf dem er lag, schlafend, und ein Häufchen Elend, das ihn doch noch leicht an Sam erinnerte, wie der neben dem Bett saß. Was war hier passiert?

„Sam?“, fragte er vorsichtig. Er wollte ihn nicht erschrecken, schon alleine weil er Angst hatte, dass der Angesprochene dann vom Stuhl fiel. Doch es kam überhaupt keine Reaktion.

Bobby wollte gerade noch mal nachfragen, als Sam den Kopf hob und ihn anschaute und die Befürchtungen des Älteren noch verstärkte.

„Was ist passiert?“, wollte er wissen und überprüfte hastig die Monitore, die den Blonden überwachten.

„Dean war wach“, sagte Sam schwach und bevor Bobby fragen konnte, was daran so schlimm wäre, fuhr er fort: „Er hat Albträume und ist jedes Mal total verwirrt, wenn er wach ist. Ich weiß nicht, wie ich ihm helfen kann. Ich fürchte ich dringe nicht zu ihm durch. Bevor ich ihm erklären kann, wo er ist, ist er schon wieder eingeschlafen und schlägt sich mit irgendwas rum.“ Sam war immer leiser geworden.

„Aber er schläft doch ganz ruhig“, stellte Bobby jetzt die Tatsachen fest, die er sah.

„Sie haben ihm Beruhigungsmittel gegeben. Ich weiß nicht wie die wirken, aber seitdem schläft er.“

„Das solltest du auch tun“, versuchte es Bobby so ruhig wie möglich und stellte sich schon mal auf die Diskussion ein, die unweigerlich kommen würde.

„Ich geh hier nicht weg!“

Und da war sie schon!

„Sam, du kannst ihm nicht helfen wenn du hier zusammenklappst“, erklärte Bobby mit seiner stoischen Ruhe, die begann, Sam in den Wahnsinn zu treiben.

„Ich klappe hier nicht zusammen!“, knurrte er durch zusammengebissene Zähne.

„Doch Sam. Meinst du ich weiß nicht, dass du im Motel alles Andere tust aber kaum schläfst? Verdammt Junge. Dean braucht all seine Kraft um wieder auf die Beine zu kommen und du weißt, was passiert wenn er dich hier so sieht.“

„Ich bin erwachsen! Dean muss sich um mich keine Sorgen machen!“

„Das tut er aber! Du bist sein kleiner Bruder. Er hat sein Leben lang auf dich aufgepasst und sich um dich gesorgt. Meinst du, das wird er je einstellen?“

Sam starrte Bobby nur böse an. Es missfiel ihm, dass Bobby Recht hatte.

„Aber ich will hier bleiben“, sagte er resigniert und wusste, dass Bobby wusste, dass er wusste, dass er den Kampf verloren gab.

„Geh Sam. Ich ruf dich an, wenn sich was ergibt.“

Sam nickte und strich seinem Bruder noch einmal sanft über die Wange: „Halt durch Dean! Ich brauch dich doch!“, flehte er dann leise und trottete mit hängenden Ohren aus dem Raum.
 

Der Jäger setzte sich an Deans Bett und betrachtete den Schlafenden besorgt. 'Was war nur mit Dean. Es sollte ihm doch so langsam besser gehen, aber stattdessen wurde es eher schlimmer. Deans Schlüsselbeine zeichneten sich immer deutlicher unter seinem T-Shirt ab und wenn die Schwester ihn umbettete konnte er auch dessen hervorstehende Hüftknochen sehen. Wenn er nicht bald richtig zu sich kommen würde, konnten sie hier bald „Gerippchen Unsterblich“ besuchen.'
 

Das Erste, das er spürte war sein Körper und der Nachhall der Schmerzen. Er war wieder ganz! Aber er wusste nicht, ob er sich darüber freuen sollte. Seine Schultergelenke schmerzten und er versuchte seine Arme an den Körper zu ziehen. Es ging nicht. Natürlich ging es nicht!

Vor sich hörte er ein leises Kichern. Er hob den Kopf. Er wollte es nicht, aber irgendwann musste er sich ihr ja stellen. Warum sollte er warten? Sie würde ihn sowieso wieder quälen und je eher sie das tat umso schneller würde er wieder Ruhe haben, desto früher könnte er zurück zu Sam!

„Hallo Dean!“, lächelte sie ihn mit einem boshaften Funkeln in ihren Augen. „Was hältst du von Sightseeing?“

„Nicht viel.“

„Ich will dir dein neues Zuhause zeigen“, erklärte sie ungerührt.

Dean wollte es nicht sehen. Er wollte zu Sam, aber das konnte und durfte nie wieder Wirklichkeit werden. Nur noch in seinem Träumen würde er Sammy sehen können. Dann, wenn sie seine Seele so sehr malträtiert haben würde, dass sich sein Geist aus der Wirklichkeit flüchtete.

Lilith machte eine Handbewegung und Dean fühlte wie sich eine Kette um seinen Hals legte. Bei der nächsten Handbewegung verschwanden seine Fesseln und er landete hart vor ihr auf den Knien.

'Warum musste es immer nur ein kurzer Wink sein? Konnte sich die kleine Mistkröte nicht mal mehr anstrengen müssen?' Er taumelte auf die Füße und hatte keine Zeit mehr sich über irgendetwas Gedanken zu machen, außer darüber hinter ihr her zu kommen und den Abstand zu ihr so zu halten, dass die Kette sich nicht spannen konnte.

Frommer Wunsch!

Er hatte beide Hände in sein Halsband gekrallt und versuchte verzweifelt das Teil daran zu hindern sich noch fester zuzuziehen.

Sie wurde immer schneller, er stolperte immer häufiger und irgendwann gab er es auf, sich wieder erheben zu wollen. Er ließ sich mitschleifen. Er krampfte seine Hände um die Kette und schickte ein Stoßgebet gen Himmel, was für eine Ironie in der Hölle, dass seine Muskeln noch eine Weile standhalten würden, dass er sich noch eine Weile dagegen wehren konnte erwürgt zu werden.

Sie schlug Haken, raste um Ecken und er fühlte wie sein Körper immer wieder gegen harten Kanten schlug, wie Knochen brachen und immer stärkere Schmerzen durch ihn hindurch rasten. Wieso hatte seine Seele eigentlich einen Körper, wieso hatte er Knochen, die brechen konnten? Und wieso spielte er ihr Spiel eigentlich mit?

Er nahm seine Hände von der Kette und ließ sich ziehen, darauf hoffend, dass sie ihm möglichst schnell die Luftzufuhr abschnüren würde, dass er möglichst bald zu Sammy konnte. Seinem Sammy!

Und dann verlor er sich in der Dunkelheit. Endlich …
 

„Dean!“, Bobby versuchte seinen Jungen zu wecken, versuchte irgendwie zu ihm durchzudringen.

Doch nichts.

Deans Hände huschten ruhelos über Laken und Decke. Immer wieder zuckte er zusammen, winselte leise aber so schmerzerfüllt, dass es dem Jäger jedes Mal einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. Dean warf sich von einer Seite auf die andere und jetzt fragte sich auch Bobby woher er die Kraft dafür nahm.

Dann bäumte sich der Körper auf. Der Blonde schien keine Luft mehr zu bekommen.

„Dean! Bitte Dean, komm zu dir. Bitte. Dean ATME!“, flehte Bobby, doch nichts. Deans Sauerstoffsättigung ging rapide in den Keller.

Der Ältere drosch verzweifelt auf den Knopf um Hilfe zu holen.
 

Keine Minute später kamen Dr. Bagley und eine Schwester ins Zimmer gestürmt.

Ein kurzer Blick auf die Anzeigen genügte dem Arzt: „Mr. Fletcher? Bitte beruhigen sie sich! Mr. Fletcher?“

Nichts! Deans Körper kämpfte immer noch verzweifelt um Sauerstoff.

„Wir müssen intubieren!“, erklärte der Arzt. „Bitte halten sie ihn ruhig“, wandte er sich gleich darauf an Bobby und dieser drückte Deans Schulter mit festem Griff in die Matratze. Doch der Blonde war nicht so einfach zu bändigen. Erst als die Schwester ihre Hände an seine Wangen legte und ihn festhielt konnte der Arzt den Tubus in Deans Rachen schieben. Aber auch das dauerte noch quälend lange und Dean winselte immer wieder so herzzerreißend, dass sich selbst der Arzt und die Schwester betroffen anschauten und schlucken mussten.

Endlich saß der Tubus. Erleichtert atmete der Arzt auf.

Und im selben Moment ließ Deans Widerstand nach. Kraftlos brach er zusammen.

„Gott sein Dank“, atmete der Arzt durch, „ich hatte schon befürchtet, dass wir einen Luftröhrenschnitt machen müssten.“ Zufrieden beobachtete er wie der Sauerstoffsättigung wieder in die Höhe ging.

„Wenn die Infusion durch ist klingeln sie bitte sofort“, bat die Schwester Bobby und stellte diese höher ein.

„Doppelte Kalorienzufuhr“, forderte der Arzt nach einem letzten Blick auf Dean und die Schwester nickte.

„Wann schlafen sie eigentlich?“, wollte Bobby von Dr. Bagley wissen.

„Immer wenn sie mich nicht brauchen“, lachte der.

„Den Verdacht hatte ich auch schon“, nickte der Jäger. „Danke!“

„Das ist meine Aufgabe.“

„Das mag sein, aber sie haben eben mindestens zwei Leben gerettet. Sein Bruder würde ohne ihn auch vor die Hunde gehen.“

„Gern geschehen“, lächelte der Arzt, „ich frage mich nur, warum er sich plötzlich so verkrampft hat.“

Bobby schüttelte den Kopf, obwohl er sich fast denken konnte, was Dean dazu getrieben hatte. Er wünschte sich und den Winchesters nichts sehnlicher, als dass Dean endlich richtig wach werden würde.

„Ich seh’ nachher noch mal nach ihm“, sagte der Arzt leise und verließ das Zimmer.

„Wie geht es ihm, Doktor?“, wurde er auf dem Gang von einem ehrlich interessierten Officer Gomez abgefangen.

„Er wird ihnen nicht weglaufen, allerdings auch nichts sagen können. Wir mussten wieder intubieren“, antwortete der Arzt distanziert.

„Das tut mir leid“, erwiderte der Officer leise. „Ich stehe nicht hier, weil ich Spaß daran habe, sondern weil mein Vorgesetzter es so will. Ich hab eigentlich keine Lust Menschen zu belästigen nur weil sich mein Boss einbildet er hätte gesuchte Verbrecher gefunden. Und dann gegenüber jedem vernünftigen Argument taub ist.“ Gomez zuckte bedauernd mit den Schultern. „Er will unbedingt höher aufsteigen und macht sich überall nur unbeliebt. Eigentlich warten wir darauf, dass er in Pension geht. Aber das dauert wohl noch.“ Wieder hob er die Schultern. „Es tut mir leid, wenn ich sie belästigen muss.“

Der Arzt nickte nur und schob sich an dem Officer vorbei.

Bobby hatte das Gespräch ebenfalls gehört. Nachdenklich legte er den Kopf schief. So übel schien Gomez gar nicht zu sein. Trotzdem sollten sie Dean hier so schnell wie möglich rausholen. Obwohl diese Option jetzt wieder weiter in die Ferne gerückt war. Er würde das Ganze mit Ruby im Motel besprechen. Und wenn sie sich dann mit Sam kurzschloss, sollten sie einen vernünftigen Plan zustande kriegen. Hier war es jedenfalls nicht sicher darüber zu reden.
 

Dean blinzelte vorsichtig in den hellen Raum. 'Sammy?' Er schaute sich um und wurde enttäuscht. 'Wieso sitzt Bobby an meinem Bett?' Er wollte tief Luft holen und ihn fragen. Doch er konnte nicht. Etwas Hartes steckte in seinem Hals. Etwas, das ihn nicht wirklich störte. Es war nur unangenehm.

Dann hatte Bobby bemerkt, dass Dean wach war.

„Hey, Junge“, lächelte er ihn an, „du hast uns vorhin ziemlich erschreckt. Du hast einfach aufgehört zu atmen. Ich habe mir verdammte Sorgen um dich gemacht. Wenn Sam das erfährt wird er keinen Schritt mehr von deiner Seite weichen.“

Dean schaute ihn mit großen Augen traurig an, er hatte sich auf Sam gefreut und war jetzt doch enttäuscht. Er freute sich ja, dass Bobby hier war, aber er hätte lieber Sammy gesehen. Konnte Lilith jetzt auch schon sein Unterbewusstsein manipulieren? Aber wenn, dann würde die ihm doch Sammy zeigen und ihn dann irgendwie brutal sterben lassen um ihn zu quälen, oder?

Er schaute fragend zu dem Älteren und hoffte, dass Bobby ihn richtig interpretieren konnte, doch er konnte es nicht.

„Sam kommt in knapp zwei Stunden und du solltest zusehen, dass du wieder gesund wirst. Sam dreht fast durch.“

Der Blonde blinzelte. Ihm fielen die Augen wieder zu und er driftete zurück in die Dunkelheit. Er versuchte noch wach zu bleiben, nur noch ein bisschen. Er wollte noch nicht wieder zurück. Doch die Dunkelheit zog ihn mit aller Macht an.
 

Bobby lächelte als er sah, dass Dean wieder einschlief und hoffte dass er ruhig schlafen konnte. Dann informierte er die Schwester, dass die Infusion leer war und Dean bekam einen neuen Beutel angehängt.
 

Gleich darauf kam Sam wieder. Geschockt starrte er auf seinen Bruder. „Was ist?“, fragte er panisch.

„Er hat sich plötzlich so verkrampft, dass er keine Luft mehr bekam. Ich weiß nicht, was er hatte. Er hatte Albträume. Du hast Recht. Er war kurz wach und ziemlich enttäuscht, dass du nicht hier warst.“

Sam holte tief Luft.

„Du wirst auch weiterhin jeden Tag ins Motel fahren und schlafen. Außerdem musst du nach Ruby sehen!“, unterbrach Bobby bevor Sam etwas sagen konnte.

„Warum machst du das nicht!“, fauchte der Jüngere.

„Ich werde es auch tun, aber ich denke wir sollten sie beide besuchen!“ Er schaute Sam tief in die Augen und so langsam schien der zu begreifen und nickte ernst. Dann ließ er sich wieder auf den Stuhl neben dem Bett sinken, nahm Deans Hand in seine und grübelte vor sich hin. Was war nur geschehen? Was passierte mit Dean und wie konnte er ihm helfen?

Die Wahrheit und andere Probleme

Er war wieder ganz.

Lachen dröhnte in seinen Ohren. Er wollte, dass es aufhörte, wollte sich die Ohren zuhalten. Doch er konnte seine Arme nicht bewegen. Er schaute sich um. Er hing wieder mit weit gespreizten Armen und Beinen in Ketten. Grobe Haken waren durch seine Muskeln getrieben worden und zerrten daran. Um ihn herum waren jede Menge Dämonen versammelt und schienen zu warten. Worauf? Er vermutete mal, dass sie ihm weitere Schmerzen zufügen wollten. Direkt neben ihm erkannte er Lilith. Er schloss gequält seine Augen.

„Willst du wieder zu deinem Sammy? Oh, das kannst du bald, Dean. Bald kannst du wieder dahin und er wird dir sagen, was du so gerne hören willst, doch du wirst ihn hassen lernen, denn was immer er behauptet ist gelogen. Ruby ist hier in der Hölle. Nicht mal weit weg. Ich bin nicht gestorben. Ich bin unsterblich und du kannst es auch sein. Schließ dich uns an Dean und deine Qualen werden vorbei sein.“

„Leck mich!“

„Du wirst es bereuen“, sagte sie nur, „und früher oder später brechen alle. Wir können warten.“

Plötzlich fühlte er feinen Nebel um sich herum. Feuchtigkeit. Sein Körper schrie förmlich nach Wasser. Doch es war nicht diese erhoffte Feuchtigkeit. Das Zeug legte sich auf seinen Körper und schon spürte er wie es sich durch seine Haut fraß. Er schrie, zerrte an seinen Fesseln. Die Eisen schnitten sich immer tiefer in seine Gelenke. Doch er konnte sich nicht befreien.

Langsam löste ihn diese Säure auf.

„Sammy“, keuchte er bevor er sich in den Schmerzen verlor.
 

Bobby war schon vor Stunden gegangen und Sam wusste, dass er sich jetzt mit Ruby zusammengesetzt hatte um einen Fluchtplan für Dean zu erstellen. Einen Entführungsplan traf es wohl eher. Hoffentlich brauchten sie den noch.

Dean war wieder unruhig geworden. Er warf seinen Kopf erneut hin und her. Seine Finger krallten sich in das Laken.

Sam strich immer wieder beruhigen über Deans Arm und hoffte es würde helfen.

Der Blonde bäumte sich auf und verkrampfte sich so total, dass Sam schon den Arzt rufen wollte. Dann fiel Dean in sich zusammen. Er lag wieder ruhig.

Sam beobachtete ihn aufmerksam. Wartete. Wenn er mit seinen Vermutungen Recht hatte würde Dean gleich aufwachen.

Er hatte Recht! Leider hatte er Recht!

Der Blonde blinzelte ins Licht.

„Dean!“

Sofort drehte der den Kopf zu dem Sprecher und versuchte zu lächeln. 'Sammy!'

„Dean! Bitte hör mir zu. Es ist wichtig!“

Der Liegende blinzelte, dann nickte er.

„Dean, du bist im Krankenhaus. Du bist nicht gestorben. Lilith ist tot!“, beschwor ihn Sam.

Trauer legte sich über Deans Augen. Er schüttelte den Kopf. 'Hör auf damit Sammy.'

„Dean, bitte. Ich sage die Wahrheit!“

'Hör auf. Ich weiß, dass ich tot bin und ich weiß nicht wie oft ich noch hierher darf. Bitte! Lass uns was Schöneres machen. Ich will nicht mehr hier rumliegen.'

„Dean, bitte. Ruby hat dich gerettet.“

Der Blonde schüttelte traurig den Kopf. 'Bitte Sammy. Hör auf! Ich weiß wo ich bin und Ruby ist auch hier!' Dann fielen ihm die Augen zu und sein Kopf rutschte zur Seite.

„DEAN! Nein!“ Sam war kurz davor mit dem Kopf gegen eine Wand zu rennen. Wieder hatte er es nicht geschafft seinen Bruder davon zu überzeugen, dass er lebte.
 

Leise klopfte es an der Tür und ohne auf Sams Aufforderung zu warten kam Gomez herein. Zwei Becher Kaffee in der Hand.

„Sie kommen zu spät!“, sagte Sam mit einem mehr als ironischen Unterton in der Stimme.

„Ich wollte nicht zu ihm“, antwortete der Officer leise, „wir sind nämlich nicht alle so.“ Er hielt Sam einen Becher hin.

„Danke.“ Sam trank einen Schluck. Er drehte sich wieder zu seinem Bruder und nahm Deans Hand in seine.

„Er sieht schlecht aus. Schlechter als vor zwei Tagen, als er aufgewacht ist“, stellte Gomez leise fest.

Sam schien ihn nicht zu hören.

„Du darfst mich nicht allein lassen, hörst du? Du musst kämpfen“, murmelte er immer wieder.

Der Officer warf noch einen Blick auf die Brüder und betete dafür, dass alles gut werden würde. Genauso leise wie er gekommen war verließ er den Raum wieder.
 

Dean wachte in dieser Nacht nicht noch einmal auf und Sam war fast froh darüber. Dafür wartete er sehnsüchtig auf Bobby. Er musste unbedingt mit ihm reden.

Endlich kam der Ältere.

„Wie geht es ihm?“, wollte der auch sofort wissen.

„Irgendetwas frisst ihn auf“, erklärte Sam.

„Wie kommst du darauf?“

„Die Albträume, er hat sie immer kurz bevor er aufwacht. Ich hab versucht mit ihm zu reden, hab versucht ihm zu erklären, dass er lebt. Aber er glaubt mir nicht.“

„Du meinst, er denkt, dass der Hund ihn geholt und er in der Hölle gefangen ist?“

„Ich befürchte es. Und das frisst ihn auf. Schau ihn dir doch an. Er wird immer schwächer. Er stirbt wenn wir nichts tun!“ In Sams Augen standen Tränen.

„Aber was?“

„Wir müssen einen Weg finden! Es darf nicht sein, dass er den Höllenhund überlebt hat und dann im Krankenhaus stirbt.“

„Und wie willst du ihm begreiflich machen, dass er wirklich noch lebt. Wenn er dir schon so nicht glaubt? Die Traumwurzel kannst du dann auch vergessen. Sie beruht auch auf dem Prinzip Glauben“, Bobby schaute Sam in die Augen und der schüttelte den Kopf. Die Tränen liefen über seine Wangen.

„Was hälst du davon, dass wir, wenn wir bis morgen nichts finden, den Arzt bitten, dass er ihn wieder ins Koma versetzt?“, überlegte Bobby.

„Aber...“

„Ich denke, so könnten sie ihn erstmal wieder aufbauen. Und wir können uns einen Weg überlegen, wie wir ihm erklären können, was Wirklichkeit ist und was Traum.“

„Okay!“ Sam holte tief Luft und nickte. Bobby hatte Recht, wieder einmal. „Ich fahre ins Motel und suche nach einem Weg. Dann kann ich gleich noch bei Ruby vorbei gehen.“

Bobby legte den Kopf schief: „Ich hatte schon befürchtet, dass ich dich hier rausschleifen müsste.“

„Ich kann ihm hier genauso viel oder wenig helfen wie woanders. Hoffen wir nur, er wacht nicht zu oft auf, bis wir eine Lösung haben“, sagte Sam und ging.

Der Ältere schüttelte den Kopf. 'Was war denn das jetzt?'

Er starrte auf die Tür. Sam hatte seine Gefühle so komplett verschlossen, wie es eigentlich sonst nur Dean machen würde.
 

Kaum im Motel angekommen klopfte Sam auch schon bei Ruby.

„Hat Bobby dir schon erzählt, was wir uns für Deans Auszug aus dem Krankenhaus überlegt haben?“, wollte die Dämonin wissen, kaum dass Sam ihr Zimmer betreten hatte. Er musterte sie aufmerksam: Ruby sah schon wesentlich besser aus als bei ihrem letzten Treffen, noch immer nicht wie das blühende Leben, aber besser. Wenn er das doch auch von Dean sagen könnte.

Sam schüttelte den Kopf, zuckte mit den Schultern und schaute sie traurig an: „Den Leichensack.“

Ruby musterte ihn aufmerksam. 'So langsam sollte Sam jetzt wohl doch endlich anfangen zu lächeln, oder?'

„Du meinst das mit dem Leichensack jetzt ernst?“, hakte sie dann nach.

Sam nickte.

„Aber er ist doch wach?“

„Der Arzt musste ihn gestern wieder intubieren, weil er sich so sehr verkrampft hatte, dass er keine Luft mehr bekam. Er hat Albträume. Ich glaube die fressen ihn auf. Er… Ich weiß nicht. Ich glaube er denkt, dass er in der Hölle ist. Ich hab versucht ihm zu erklären, das Lilith tot ist, aber er glaubt mir nicht. Er magert immer mehr ab. Ich hab Angst, dass er sich einfach auflöst.“ Tränen schimmerten in Sams Augen.

„Wenn wir keinen Weg finden ihm zu helfen wollen wir den Arzt bitten ihn wieder ins Koma zu versetzen.“

Sam drehte sich zur Tür. Er flüchtete schon fast aus ihrem Zimmer, aber Ruby hatte die Tränen, die jetzt endgültig über seine Wangen liefen, trotzdem gesehen.
 

Die Fahrstuhltüren öffneten sich und Sam und Ruby traten in den Gang um zu Dean zu gehen. Sam hatte Ruby gebeten ihn zu begleiten. Vielleicht konnte sie Dean ja helfen, obwohl sie Beide keinen Plan hatten, hoffte er doch, dass Ruby seinen Bruder vielleicht erreichen konnte.

Der Winchester schaute sich verdutzt um. Gomez war nicht da, aber sein Stuhl stand noch im Gang, also würde er sie wohl doch noch mit seiner Anwesenheit beehren.

Sie betraten den Raum und ließen Beide den Blick über den Patienten gleiten. Sam seufzte traurig und setzte sich sofort zu ihm ans Bett.

Ruby betrachtete den Blonden aufmerksam. Er sah schlecht aus, schlechter als zu dem Zeitpunkt, als sie ihn verlassen, aber doch noch besser als sie ihn sich nach Sams Bericht vorgestellt hatte.

„Bis jetzt ist er noch nicht wieder wach geworden“, berichtete Bobby kurz. „Habt ihr denn schon eine Idee wie wir ihm helfen können?“

„Soweit ich sehen kann ist nichts IN ihm. Aber ihr habt Recht, irgendetwas frisst ihn auf. Wir sollten möglichst bald handeln“, sagte Ruby und die Männer nickten.
 

Plötzlich verkrampfte sich Dean.

„Bitte nicht!“, flehte Sam. „Bitte nicht schon wieder!“
 

Langsam kam er zu sich. Er war wieder ganz. Welch Wunder’, dachte er sarkastisch.

Er hing immer noch in Ketten. Doch diesmal nicht waagerecht sondern senkrecht. Zumindest wenn er danach ging wie sein Gewicht an seinen Handgelenken zerrte. Er konnte auch die Haken in seinem Fleisch spüren und die Schmerzen, die pochend davon ausgingen. Und er roch den Schwefel, fühlte die Anwesenheit der Dämonen um sich herum als würde er sie sehen. Er hielt die Augen geschlossen und versuchte sich so ruhig wie möglich zu verhalten. Er wusste, dass sie, sobald er sich rühren würde, wieder über ihn herfielen, aber er war noch nicht soweit. Er wollte noch ein bisschen Ruhe. Nur noch ein paar Minuten.

Und dann bekam er einen Schlag in die Hüfte.

Stöhnend riss er den Kopf hoch.

Ihr Lachen dröhnte in seinen Ohren.

Dann kam einer der Dämonen auf ihn zu. Böse grinsend funkelte er ihn an. Dann drückte er ihm seine Krallen in den Oberarm und riss ihm die Haut auf.

Dean biss die Zähne zusammen und versuchte nicht zu schreien.

Nach und nach kamen immer mehr Dämonen und rissen ihm immer mehr Haut auf. Er blutete aus zahllosen Wunden und es wurde immer schwerer die Schreie zu unterdrücken.

Und dann stand der Dämon vor ihm, der diese Runde eingeläutet hatte.

„Na. Lust auf mehr?“, wollte der wissen.

Dean biss die Zähne zusammen und starrte durch den Dämon hindurch, als wäre er gar nicht da , wie er es nur konnte und versuchte sich auf Sam zu konzentrieren. Doch er hatte kaum Zeit einen Gedanken zu fassen, schon spürte er die Krallen in seinem Bauch, spürte wie die Eingeweide aus seinem Körper gerissen wurden und schrie. Schrie bis ihm ein weiterer Dämon die Kehle zerfetzte. Er zerrte an seinen Fesseln, scheuerte sich die Gelenke blutig.

Sie zerfetzten seine Muskeln, rissen ihm das Herz aus dem Körper und er war verdammt dazu trotzdem weiter zu leben und alles über sich ergehen zu lassen. Jeden einzelnen Schmerz zu spüren.

Bis es nichts mehr gab was sie zerreißen konnten und ihn endlich die ersehnte Dunkelheit in sich aufnahm.
 

Dean warf den Kopf in den Nacken. Immer wieder drückte er den Rücken durch und seine Zähne gruben sich tief in das Mundstück, das den Beatmungsschlauch schützte. Rastlos kratzen seine Nägel über das Laken und immer wieder schlug er um sich.

Ruby hatte sich abgewandt. Sie war sich sicher, dass Dean von der Hölle phantasierte, aber sie wollte ihn nicht so leiden sehen, sie wollte niemanden so leiden sehen. Sie schluckte schmerzhaft und die Bilder, die sie tief in sich vergraben gehofft hatte, kamen wieder hoch. Bilder, die ihr ihr eigenes Schicksal zeigten. Die ihr nur zu deutlich vor Augen führten, wie sie zu einem Dämon geworden, gemacht worden war.

Dann endlich lag Dean ruhig. Und wie Sam voraus gesagt hatte erwachte er bald darauf.

Die grünen Augen, immer noch dunkel vor Schmerz, irrten im Raum umher und fanden Sam. Fast sofort schlich sich ein Leuchten hinein.

„Dean!“, lächelte Sam, obwohl ihm eher zum Heulen zu Mute war.

„Bitte Dean. Du musst mir jetzt gut zuhören. Du musst mir glauben!“

Dean wollte seinem Bruder sagen, dass es nichts zu sagen gab, dass er wusste, was passiert war und dass er es verdiente. Er wollte ihm sagen, dass es okay wäre, solange Sam am Leben war. Doch Sams ernster, flehender Blick hielt ihn davon ab. Und wenn sein kleiner Bruder dachte es würde ihm helfen, wollte er ihm diesen Gefallen tun. Dean nickte.

„Dean! Lilith ist tot.“

Dean schüttelte den Kopf und blinzelte.

„Bitte, bleib wach und hör mir zu!“, Sam wurde wütend und laut und nicht nur Dean starrte ihn erschrocken an.

„Du lebst. Lilith ist tot und Ruby hat dir geholfen. Sie hat dafür gesorgt, dass du es bis ins Krankenhaus geschafft hast!“

Wieder schüttelte der Blonde den Kopf.

„Dean! Sieh mich an!“, forderte der Jüngere. Und der Blonde nickte ob der rüden Anrede und blinzelte dann müde.

Sam winkte Ruby neben sich: „Und jetzt sie sie an! Es ist Ruby!“

Weit aufgerissene grünen Augen huschten verstört von Sam zu Ruby, und als Bobby neben die Beiden getreten war, zu Bobby, zu Ruby, zu Sam, zu Ruby, zu Sam.

'Sie hat gesagt, du bist in der Hölle!'

„Ich bin hier Dean. Sie lügt. Abgesehen davon ist sie tot und in der Hölle ist die Hölle los.

Wortwörtlich!“, sagte Ruby leise. Sie hatte seinen Gedanken gehört. So laut als hätte er geschrien.

Dean schloss die Augen. Er war erschöpft. Das war einfach zuviel für ihn.

Gleich darauf schlief er wieder.

Freiheit

Ruby starrte immer noch wie gebannt auf den Blonden. Sie fühlte sich unbehaglich. Sein Blick war regelrecht durch sie hindurch gegangen. Sie hatte sich gefühlt als könnte er bis auf ihre Knochen schauen oder in ihre schwarze Seele.

„Ruby?“ Sams drängende Stimme riss sie aus ihrer Starre. Einen Moment schaute sie ihn noch fragend an, dann streckte sie sich, schluckte und wandte sich zu Tür.

„Du hattest Recht, aber ich kann ihm nicht helfen, nicht mehr“, sie hob bedauernd die Schultern und flüchtete regelrecht aus dem Zimmer.

Deans Blick hatte sie bis in die tiefsten Tiefen ihres Seins erschüttert und sie wusste, dass er sie erkannt hatte, dass er sie auch erkannt hätte, wenn sie einen anderen Körper benutzt hätte. Sie war einfach noch nicht wieder bereit, für solche Offenbarungen.

Sie rannte fast zum Fahrstuhl und atmete erst erleichtert auf als sich die Türen hinter ihr geschlossen hatten. Im Augenwinkel hatte sie gesehen, dass Gomez noch nicht wieder auf seinem Platz saß.
 

Sam und Bobby schauten sich verwundert an. Was war im Ruby gefahren? Dean hatte sie mehr als skeptisch gemustert und sie war erschreckend blass geworden.
 

„Soll ich mit dem Arzt reden oder willst du?“, wollte Bobby nach einer Weile wissen.

„Ich will noch abwarten. Ich will es ihm selbst sagen. Ich will ihn noch einmal aufwachen sehen.“

„Aber du weißt, dass er immer schwächer wird, dass es ihn fertig macht. Du hast Recht damit, dass ihn etwas auffrisst und ich habe einfach Angst, dass er stirbt wenn wir noch länger warten“, sagte Bobby besorgt.

„Ich weiß und ich überlege hin und her. Ich würde ihn lieber gestern als heute wieder abschießen lassen“, Sam holte tief Luft, „aber mit Ruby, da war etwas und sie hat es auch gespürt. Und vielleicht war es genau das, was ihm da raus hilft.“ Sam stand auf und ging zum Fenster. Er sah müde aus, noch müder als sonst schon. Lange starrte er auf das angrenzende Gebäude ohne es wirklich zu sehen. Dann drehte er sich zu Bobby um: „Ich werde jetzt mit dem Arzt reden und ihm die Lage erklären. Und ich werde ihn bitten Dean ins Koma zu versetzen sobald ich es ihm dann sage. Ich möchte Dean diese eine Chance einfach geben. Vielleicht schafft er es doch selbst. Wir würden uns ewig Vorwürfe machen wenn wir ihm diese Chance verbauen.“ Dann setzte sich der Brünette wieder an das Bett seines Bruders, nahm ganz selbstverständlich dessen Hand und lehnte seine Wange dagegen. Bewegungslos verharrte er so und schien doch eine stumme Zwiesprache mit dem Schlafenden zu halten.
 

Energisch stand Sam auf. Bobby erschrak regelrecht als der Stuhl so lautstark über den Boden geschoben wurde. Bevor er jedoch zu einer Frage ansetzen konnte war Sam schon aus dem Raum verschwunden. Immer noch irritiert ließ der Jäger seinen Blick über die Monitore und Dean schweifen, konnte aber keine Veränderung feststellen, was in diesem Fall schon fast erfreulich war, und atmete erleichtert auf.

Mit fragender Miene schaute er Sam entgegen, der, mit Dr. Bagley im Schlepptau, das Zimmer wieder betrat.

„Sie haben Recht. Seine Werte verschlechtern sich kontinuierlich. Wir sollten nicht mehr allzu lange warten“, stellte er betrübt fest. „Als Erstes werden wir seine Kalorienzufuhr nochmals erhöhen, die Infusion ist fast durch. Sagen Sie mir bitte Bescheid, wenn Sie sich entschieden haben. Ich leite dann sofort alles Weitere ein.“ Er nickte den beiden Männern noch einmal traurig zu und verließ den Raum. Auch er konnte sich nicht erklären, was seinem Patienten so zusetze.
 

Etwas berührte ihn an der Schulter und er zuckte zusammen als sich die Krallen in sein Fleisch bohrten. Leise wimmernd zerrte er an seinen Fesseln. Aber die gaben nicht nach. Warum auch.

„Hallo Schatz. Aufwachen!“ forderte die Stimme und er verdrehte die Augen hinter geschlossenen Lidern.

„Kannst du nicht mal einen Anderen belästigen?“, knurrte er genervt. Die Pausen zwischen ihren Quälereien wurden auch immer kürzer. Er wollte nicht mehr. Er konnte nicht mehr.

„Ich komme gerade von Ruby und soll dich schön grüßen“, kicherte sie und drückte ihre Krallen tiefer in sein Fleisch.

Er stöhnte, wollte sie aber immer noch nicht anschauen. Seine Gedanken kreisten um Ruby. 'Da war was. Irgendetwas war da. Verdammt!' Hektisch überlegte er.

Ruby war bei Sam! Sam und Bobby waren im Krankenhaus in dem Zimmer in dem er immer erwachte wenn sie hier mit ihm fertig waren. Sollte Sam vielleicht wirklich Recht haben?

„Du bist tot!“, knurrte der Blonde und öffnete jetzt endlich seine Augen.

„Könnte ich dann hier stehen und soviel Spaß mit dir haben?“, schnurrte sie.

„Zeig mir Ruby! Dann kannst du mit mir machen was du willst!“

„Das tue ich eh.“

„Zeig mir Ruby!“

„Morgen vielleicht. Oder auch nicht“, schmollte sie.

„Zeig sie mir oder verzieh dich.“

„Ich will nicht!“

Der Blonde schloss die Augen und atmete tief durch. Er setzte alles auf eine Karte. Entweder er hatte Recht oder er würde sich ergeben.

„Du bist tot und ich lebe.“

„NEIN“, schrie sie doch ihre Stimme klang irgendwie … brüchig.

„Dann werde ich jetzt gehen.“

„Du kannst nicht gehen. Du bist in der Hölle und hier auf ewig angekettet. Du gehst nirgendwohin!“, kreischte sie.

„Leck mich!“ Dean schloss seine Augen wieder und ignorierte sie. Ignorierte die Schmerzen an seinen Hand- und Fußgelenken.

Immer wieder rammte sie ihre Krallen in seinen Körper. Doch er verschloss sich den Schmerzen und konzentrierte sich voll und ganz auf Sam.

Und plötzlich fühlte er sich frei. Er konnte seine Arme wieder bewegen und auch die Haken in seinem Fleisch waren nur noch eine dumpfe Erinnerung.

Er fiel.

Alles drehte sich um ihn, in ihm. Ihm wurde übel. Er würgte, doch irgendetwas schien ihm den Hals zu zuschnüren. 'War das doch nur ein Trick von Lilith. Wieder ein mieses Spiel um ihn zu quälen?'

Dann fühlte er Decken um sich und eine Matratze unter sich. Und er fühlte eine Hand, sie seine hielt. Und er fühlte die Wärme an seinem Handrücken, warm und weich. Das konnte nur Sams Wange sein und er fühlte und auch die Tränen die darüber liefen.
 

Immer wieder zuckte Dean zusammen, immer wieder versuchte er um sich zu schlagen. Sam war kurz davor den Arzt zu rufen. Er konnte es nicht mehr mit ansehen, wie sein Bruder sich quälte. Doch dann war plötzlich etwas anders.

Dean entspannte sich. Er entspannte sich so vollkommen, dass Sam befürchtete, dass er einfach aufgegeben hatte und gestorben war.

„Dean!“, flüsterte er ängstlich und so leise, dass er es selbst kaum hörte. Er wollte aufspringen und zu Dr. Bagley laufen. Sie mussten helfen, sie mussten Dean zurückholen.

Hastig stand er auf und prallte fast mit Bobby zusammen, der hinter ihm stand.

„Er lebt“, sagte der leise und seine Hand auf Sams Schulter drückte beruhigend zu.

Sam schaute ihn entsetzt an. Er begriff einfach nicht was Bobby da gesagt hatte und starrte entgeistert auf die über den Monitor zuckende Linie.

„Er lebt!“, wiederholte Bobby genauso leise wie zuvor und endlich verstand Sam, nickte und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.
 

Dean riss die Augen auf. Er verkrampfte sich und versuchte verzweifelt zu atmen. Er wollte Sam doch sagen, dass alles wieder gut werden würde. Dass er immer für Sam da sein würde, aber sein Hals war wie zugeschnürt.
 

„Dean!“, rief Sam, als er die Bewegungen fühlte. „Dean, bitte beruhige dich. Du lebst. Du bist intubiert. Bitte lass es einfach zu. Dean, ich…“

Der Blonde suchte die Augen seines Bruders und er las darin soviel Liebe und Wärme, dass ihm davon schon wieder ganz schlecht wurde. War Sam denn verrückt ihn mit so vielen Emotionen zu überschütten? Er wollte schlucken aber das verhinderte der blöde Tubus. Noch nicht einmal tief durchatmen konnte er.

‚Ich weiß Sammy. Ich bin ein Idiot, aber ich weiß, dass ich lebe. Ich hab es endlich begriffen’, versuchte er seinem Bruder zu sagen und fragte sich kurz, als der dessen Nicken sah, ob der jetzt auch noch Gedanken lesen könnte. Doch dann fielen ihm die Augen wieder zu und er hoffte nur, als er langsam in die Dunkelheit abglitt, dass er nicht wieder bei Lilith wach werden würde.
 

„Dean!“, brüllte Sam seinen Bruder an, „Dean, nicht! Bleib bei mir! Deacon!“

Elliott hatte gerade das Zimmer betreten. Und schaute Sam irritiert an.

Wieder wanderte sein Blick über die angeblichen Flechterjungs. Er hatte immer noch nicht herausgefunden, warum, aber mindestens der Blonde im Bett kam ihm wage bekannt vor. Dennoch wollte ihm einfach nicht einfallen wo er ihn schon mal gesehen hatte. In keiner der ihm zugänglichen Verbrecherdateien war er fündig geworden und doch bildete er sich ein, dass es ein Fahndungsfoto gewesen sein musste. Verdammt! Wenn ihm doch endlich die große Verhaftung gelingen würde, müssten sie ihn schließlich befördern und dann konnte er hier weg. Er hatte Indianapolis noch nie gemocht und die Kollegen hier mobbten ihn, da war er sich sicher. Und nicht nur die!
 

„Ich wusste es. Sie sind auf keinen Fall die, für die sie sich ausgeben! Sie haben sich fremde Identitäten gestohlen. Hiermit verhafte ich Sie wegen Identitätsdiebstahl. Auf dem Revier nehmen wir Ihre Fingerabdrücke und dann werden wir schon sehen, wer Sie sind. Und Ihren feinen Herrn Bruder, wenn er das denn überhaupt ist, werden wir auch mitnehmen.“ Elliott strahlte übers ganze Gesicht. Hatte er doch endlich das Haar in der Suppe gefunden. Konnte er doch endlich ein paar miese Verbrecher verhaften.

„Sie werden hier niemanden mitnehmen“, fuhr Dr. Bagley, der von einer Schwester informiert worden war, dass Elliott wohl mal wieder wilde Sau spielen wollte, und war sofort in das Zimmer von Elliotts derzeitigen Lieblingsfeinden geeilt, dazwischen, „und Sie werden meinen Patienten nicht weiter belästigen. Verschwinden Sie hier!“

Der Captain fasste Sam grob am Arm und wollte ihn vor sich her aus dem Zimmer schieben.

Sam machte sich gerade: „Und worauf beruht Ihr Vorwurf der Identitätsanmaßung?“ Er überragte den Captain um einen Kopf.

„Sie haben Ihren Bruder jedenfalls nicht Deacon genannt!“

„Wenn Sie mir richtig zugehört hätten, dann hätten Sie gehört, dass ich gesagt habe: Dean, nicht! Bleib bei mir Deacon!“

„Eben.“

„Sie wollen mir Identitätsdiebstahl unterstellen weil ich zu meinem Bruder Dean gesagt habe?“ Sam lächelte. „Das tue ich seit ich sprechen kann. Gut, am Anfang klang es wohl eher nach Di-en. Ich hatte, aus welchem Grund auch immer, totale Probleme mit seinem Namen und so ist daraus im Laufe der Zeit Dean geworden. Selbst unsere Eltern haben ihn so gerufen. Und er hat es gehasst.“ Sam setzte sich zurück an Deans Bett, nahm wieder seine Hand und strahlte mit jeder Faser seines Körpers die Ankündigung aus, hier nicht weg zu gehen.

„Haben Sie sich entschieden, was mit Ihrem Bruder passieren soll?“, fragte Dr. Bagley und schaute abwartend zu Sam.

„Ich bin mir nicht sicher, aber Koma wäre vielleicht übertrieben. Lassen wir ihn schlafen“, sagte Sam und der Arzt nickte.

„Und SIE verlassen jetzt diesen Raum!“, forderte Dr. Bagley mit seiner ganzen Autorität von Elliott und ging ebenfalls wieder an seine Arbeit, nachdem der Cop wutschnaubend das Zimmer verlassen und seinen Officer aufgefordert hatte, weiterhin Wache zu schieben und die Beiden ja nicht aus den Augen zu lassen.
 

Die nächsten Tage hätten so schön sein können, wenn, ja wenn Elliott sich nicht in den Kopf gesetzt hätte, dass von den drei Männern im Zimmer 837 wenigstens einer ein gesuchter Schwerstverbrecher sein musste. Also belästigte er Sam und Bobby zu allen möglichen, oder eher unmöglichen Zeiten und hoffte, sie würden sich verraten. Taten sie aber nicht und selbst Gomez konnte sich nur noch immer wieder mal für den Mist entschuldigen, den sein Chef da veranstaltete.

Dean schlief die meiste Zeit, traumlos, und er schien sich wirklich etwas zu erholen. Etwas! Zumindest sagte Dr. Bagley immer wieder, dass seine Werte besser wurden. Sam hatte eher den Eindruck, dass sein Bruder weiter abbaute, doch er wollte dem Arzt vertrauen.

Und so verbarrikadierte sich Sam hinter der Routine, die sich irgendwie doch wieder eingeschlichen hatte und betete, dass Dean möglichst schnell wieder zu sich kam, damit sie hier raus konnten, weg von Elliott. Er betete, dass Dean nicht gerade dann wach wurde wenn der Cop im Zimmer war, weil sein Bruder bis in die Haarspitzen mit Schmerzmitteln und wer weiß was noch, vollgepumpt war und somit bestimmt nicht klar denken konnte, aber noch war er Gott sein Dank intubiert. Und er betete, dass Dean noch möglichst lange schlief um die, trotz der Schmerzmittel, sicher starken Schmerzen die er haben musste nicht fühlen zu müssen, denn Deans Schulterblätter waren inzwischen wund gelegen, genau wie seine Hüften und die Wunde an seinem Bauch wollte sich auch nicht schließen.

Sam überdachte diese wirren Gedanken, schielte zu Decke und hätte sich am liebsten selbst eine gefeuert. Wie bitte schön sollte eine höhere Macht, so es sie denn gab, dieses konfuse Durcheinander erfüllen?

Verschwörungstheorien

Langsam stahl sich das Licht durch seine geschlossenen Lider. Er wollte die Augen noch nicht öffnen, es war so schon zu hell. Aber er wusste, das Sammy ihn erwartete und so wie der ihn immer anstrahlte, bekam er fast sofort ein schlechtes Gewissen ihn noch länger warten zu lassen.

Er musste sich zwingen nicht tief Luft zu holen und auch den Klos, der sich in seinem Hals bilden wollte nicht zu schlucken, es würde den unangenehmen Druck nur erhöhen und ihm wieder ein Gefühl der Panik bescheren. So ganz würde er sich wohl nie an den Tubus gewöhnen, auch wenn er genügend Beruhigungsmittel in seinem Kreislauf hatte und es ihn eigentlich nicht stören sollte.

Wenn er auch nur Anstalten machte nach dem Schlauch zu greifen, obwohl er nicht einmal die Kraft hatte, seine Hand auch nur die Hälfte des Weges absolvieren zu lassen, erklärte Sam immer wieder, dass der Arzt darauf bestand, dass der Tubus noch wichtig wäre. Wenigstens war er nie lange genug wach, um damit wirklich ein Problem zu bekommen. Wie lange lag er hier eigentlich schon rum? Sein Rücken war ein einziger unangenehmer, dumpfer Schmerz.

„Dean?“, hörte er Sam leise fragen und öffnete endlich die Augen. Sofort wurde er aus warm strahlenden, braunen Augen angelächelt und er wollte schon wieder schlucken.

Kurz löste sich Sams Blick von Dean und wanderte zur Tür. Der Ältere war Zeuge einer verblüffend schnellen Gefühlswandlung auf Sams Gesicht. Hatte er ihn gerade noch warm angestrahlt, spiegelte sein Gesicht jetzt Hass und Wut wider, um sich dann sofort wieder in warme Zuneigung zu verwandeln, als er wieder auf Dean ruhte.

Der Blonde schaute fragend.

Sam lächelte. Sie verstanden sich inzwischen wirklich wortlos. Dean hatte es geschafft sich Sam so weit zu öffnen, dass dieser jede Gefühlsregung erkennen konnte und Sam wünschte sich, dass das auch so bleiben würde, wenn Dean wieder ganz der Alte war. Aber das widersprach sich ja eigentlich schon im Ansatz. Der alte Dean zeigte keine Gefühle und ihm schon gar nicht.

„Elliott war gerade wieder nerven. Er hat mal wieder unseren Lebenslauf hoch und runter abgefragt. Ich weiß nicht wie oft der das noch wissen will. Ich hab das Ganze perfekt recherchiert. Da gibt es keine Ungereimtheiten. Ich hoffe einfach nur, dass wir dich hier bald rausbekommen.“ Der Dunkelhaarige holte tief Luft.

Dean kaute auf dem Tubus.

„Ich weiß, aber irgendwann bist du den ja auch wieder los. Oder?“

Der Blonde verdrehte die Augen.

„Der Arzt sagt es muss noch sein und ich will nicht auch noch erleben müssen, dass du so einfach aufhörst zu atmen. Bobby fand es furchtbar!“

Dean zog die Augenbrauen zusammen.

„Du hast vor knapp einer Woche einfach aufgehört zu atmen und uns oder zuerst mal Bobby wahnsinnig erschreckt.“

Dean blinzelte und guckte seinen Bruder dann an, als hätte er Zahnschmerzen.

„Jetzt mach dir nicht ins Hemd! Du hattest Albträume und dir macht nun wirklich keiner einen Vorwurf.“

Die Zahnschmerzen schienen sich zu verschlimmern.

„Nein, Dean. Es ist NICHT deine Schuld. Du hast mich zurückgeholt und ich kann verstehen, warum du den Pakt unbedingt erfüllen wolltest. Ich hätte genauso gehandelt, also ist es nicht deine Schuld. Ich hätte ja besser aufpassen und mich nicht von Jake erstechen lassen müssen!“, schnitt Sam seinem Bruder jeden Einwand ab. „Oder ich hätte wenigstens dieses blöde Messer nicht wegwerfen dürfen.“

Wieder blinzelte der Blonde müde und verdrehte dann die Augen nur um sie gleich fragend auf Sam zu richten.

„Dr. Bagley meint das liegt daran, dass du so lange im Koma gelegen hast. Deshalb bist du so müde und auch wegen der Beruhigungsmittel.“

Dean nickte noch schwach, schloss die Augen und war gleich darauf wieder eingeschlafen.

Sam ließ sich auf den Stuhl fallen.

Kurz danach erschien Dr. Bagley. Er kontrollierte Deans Werte.

„Wie lange muss der Tubus noch drin bleiben?“, wollte der Winchester wissen.

„Deswegen wollte ich mit Ihnen reden. Elliott will sich durch Ihren Bruder seine Beförderung verdienen. Ich weiß nicht warum oder wie er darauf kommt, dass sie was auf dem Kerbholz hätten, aber wenn er auch nur einen unbezahlten Strafzettel haben sollte, findet der den. Der wird ihn auseinander nehmen. Deshalb ist er noch intubiert. Rein vom medizinischen Standpunkt wäre es nicht mehr nötig. Reden Sie mit Ihren Bruder. Erklären Sie ihm worum es geht. Dann werden wir das Teil sobald wie möglich entfernen.“

Sam nickte ernst: „Danke Doktor.“

„Noch etwas und das muss unter uns bleiben. Es verstößt auf jeden Fall gegen meinen hypokratischen Eid, aber wenn Sie eine Möglichkeit haben ihn hier raus zu holen und ihn irgendwo anders zu versorgen, tun Sie es. Elliott wird Sie solange schikanieren bis Sie was Falsches sagen, bis er etwas hat und sei es noch so nichtig. Und ich kann ihn zwar immer wieder rauswerfen, aber das hier ist ein öffentliches Gebäude. Er wird immer wieder kommen.

„Okay, ich rede mit ihm. Wann kann er dann wieder selbstständig atmen?“

„Sobald Sie mir das Okay geben, befreien wir ihn davon.“

Sam nickte. Er ließ sich auf den Stuhl fallen. Darüber musste er erstmal nachdenken.

Dean versuchte sich zu drehen und verursachte bei Sam gleich einen doppelten Beinahe-Herzstillstand. Zum einen konnte sich der Jüngere nur zu gut an Deans Albträume erinnern und schaute jedes Mal wieder panisch auf, sobald der sich regte, zum anderen erschreckte ihn die Tatsache, dass der Blonde selbst zu dieser simplen Bewegung nicht genügend Kraft hatte. Er grübelte, wie es jetzt weiter gehen sollte, wie es weiter gehen konnte.
 

Das Licht war wesentlich angenehmer als Dean wieder wach wurde. Diesmal öffnete er sofort die Augen und suchte Sam.

„Hey du Schlafmütze“, wurde er lächelnd begrüßt und verdrehte die Augen.

„Du hast ja früher schon viel gepennt, aber jetzt ist nicht zu toppen.“

Der Blonde schloss die Augen.

„Schon gut, der Arzt meinte, das bleibt auch noch eine Weile so. Außerdem wäre es auch besser so.“

Deans Blick war ausdruckslos.

„Ich muss mit dir reden“, erklärte Sam und rückte ein ganzes Stück näher.

Dean kaute auf seinem Mundstück.

„Genau darum geht es. Dr. Bagley meint, er hätte den Tubus noch drin gelassen um dich, um uns zu schützen. Captain Elliott stellt uns nach. Vielleicht hat er mal ein Fahndungsfoto gesehen oder so was.“

Dean fixierte Sam und zog die Augenbrauen zusammen.

„Er hat nichts Konkretes in der Hand. Er feuert jedes Mal ins Blaue, aber wir müssen aufpassen und Dr. Bagley meinte bevor ich nicht mit dir gesprochen hätte und du Bescheid wüsstest wollte er den

Tubus drin lassen.“

Der Blonde legte den Kopf schief.

„Okay, jetzt weißt du Bescheid und willst ihn loswerden?“

Dean nickte.

„Kommt sofort“, lachte Sam und drückte den Knopf.

„Außerdem sollten wir dich hier rausholen, so schnell wie möglich, sagt er.“

Dean nickte heftig.

„Das war mir klar, dass du dem zustimmst.“

Wieder ein heftiges Nicken.

„Wir warten mal ab, wie sich das mit dir entwickelt, wenn du das Ding los bist.“

Schon wieder wurde Sam böse gemustert.

„Zwei oder drei Tage. Der Doc will noch mal alles kontrollieren. Außerdem hast du immer noch offene Wunden!“

Deans Blick wurde nicht wirklich freundlicher.

Das Eintreffen des Arztes enthob Sam jeder weiteren Antwort.

„Oh, Mr. Fletcher, Sie sind wach. Schön, dann können wir Ihnen ja zu einem Stückchen Selbständigkeit verhelfen.“ Sein Blick streifte Sam, der mit einem Nicken sein Einverständnis gab und die unausgesprochene Frage des Arztes bejahte. Dann sah er Dean heftig nicken und aus dem Lächeln wurde ein Lachen.

„Okay, versuchen Sie mal zu husten, wenn ich es Ihnen sage“, bat er.

Dean schaute dem Arzt direkt in die Augen.

Die Schwester hielt seinen Kopf fest.

„Okay, dann husten.“

Der Blonde gehorchte und aus dem Husten wurde ein Würgen und dann konnte er endlich selbstständig seine Lungen voll Luft pumpen und musste jetzt wirklich husten.

Der Doktor wartete bis Dean sich beruhigt hatte und legte ihm dann die Hand auf die Schulter: „Sie sollten heute noch keine langen Reden schwingen.“

Der Blonde grinste und nickte.

Sam wartete noch bis der Arzt das Zimmer wieder verlassen hatte und schob seinem Bruder den Arm vorsichtig unter den Rücken. Er richtete ihn ein Stück auf und hielt ihm die Tasse an die Lippen.

Dean trank gierig. Doch schon nach dem ersten Schluck verzog sich sein ganzes Gesicht. Angewidert blickte er zu Sam, der ihn breit angrinste.

„Tee!“ krächzte er empört und aus dem angewidert wurde schmerzhaft, sein Hals tat weh.
 

„Solange du hier auf krankes Huhn machst wirst du nichts anderes bekommen“, grinste Sam überlegen.

Dean seufzte und ergab sich seinem Schicksal.
 

Dr. Bagley hatte Feierabend. Schnell schaute er noch bei den Fletchers rein.

Dean schlief und seine Werte waren gut. Der Arzt nickte zufrieden.

„Sie haben mit Ihrem Bruder gesprochen?“, fragte er und Sam antwortete ebenfalls mit einem Nicken.

„Dann werden wir ihn morgen und übermorgen noch mal komplett durchchecken“, erklärte der Mediziner kurz und verließ das Zimmer wieder.
 

Elliott kam mal wieder ungefragt und laut polternd ins Zimmer, hochrot im Gesicht und Sam fragte sich, ob er wohl die Treppen genommen hätte und wann er endlich einen Herzinfarkt bekommen würde, und er schämte sich kein Bisschen bei dem Gedanken, schließlich war er, als die Klinke nach unten knallte, regelrecht zusammen gezuckt und selbst Bobby hatte sich aufrechter hingesetzt.

Dean war ebenfalls wach geworden. Müde blinzelte er zur Decke. Dann drehte er seinen Kopf langsam zu Sam. Sein Blick streifte den Polizisten.

„Hey!“, strahlte Sam und nahm ihm die Sauerstoffmaske ab, nachdem der da hinein genuschelt hatte. Ihn jetzt am Sprechen zu hindern wäre noch verdächtiger als alles was er sagen könnte.

„Jamie, was…“ nuschelte der Blonde verschlafen.

Bobbys Augen weiteten sich kurz. Wie gut war Dean? Er musste doch eigentlich völlig weggetreten sein und doch verwendete er den richtigen Namen!
 

„Du liegst im Krankenhaus“, erklärte Sam so ruhig er es konnte. Ihm war ein Stein vom Herzen gefallen und Elliott schnaufte enttäuscht.

„Warum?“

„Woran kannst du dich erinnern?“, fragte Sam leise und der Blonde schüttelte hilflos den Kopf.

„Wir waren angeln und du …“

„Sie müssen sich doch an irgendetwas erinnern können!“, polterte jetzt Elliott dazwischen.

Deans Augen zuckten erschrocken zu dem Sprecher. Dann wanderte sein Blick wieder zur Decke und wurde leer. ‚Der Cop will eine Show? Kann er haben!’, überlegte er.

„Wir wollten Tante Mave suchen. Aber sie wohnt nicht mehr da“, erzählte Dean leise und krächzend. Sein Blick weiterhin zur Decke gerichtet.

„Deacon, bitte du …“, begann der Jüngere wieder, doch Dean schien ihn nicht zu hören, oder nicht hören zu wollen.

„Wir waren angeln“, kam es wie von weit her. „Ich hatte ein paar Forellen und bin zum Lager zurück. Ich wollte das Essen vorbereiten. Beim Ausnehmen hab ich mich wohl ziemlich eingesaut. Plötzlich war da ein Rascheln. Ich hab das Gewehr genommen und bin nachsehen gegangen. Es war verdammt dunkel. Ich hab nichts gefunden, dachte noch, du wolltest mir einen Streich spielen.“ Kurz huschte Deans Blick zu Sam, bevor er sich wieder in der Ferne verlor und seine Stimme immer kratziger wurde.

„Ich bin zum Lager zurück, plötzlich… da stand… ein Bär…“ Der Blonde kniff die Augen zusammen. Seine Atmung wurde immer hektischer und flacher. Er drehte den Kopf zur Wand, seine Finger krallten sich ins Laken.

Sam brauchte eine Weile bis er begriff, was passiert war.

Das Gerät, das den Sauerstoffgehalt in Deans Blut kontrollierte begann hektisch zu piepsen.

Sam schob seine Hände unter Deans Rücken und zog ihn an sich. Er bettete den Kopf seines Bruders an seiner Schulter. Beruhigend strich er langsam über seinen Rücken und kraulte mit der anderen Hand Deans Nacken. Er fühlte wie sich sein Bruder immer mehr in seinen Armen verkrampfte und wie er begann zu zittern. Wie ein Fisch auf dem Trockenen japste er nach Luft.

„Es ist okay Dean, ganz ruhig atmen. Komm atme mit mir. Und ein – und aus – ein – und aus – ein – aus.“

Sam wurde immer langsamer und endlich passte sich auch Deans Atmung seinem Rhythmus an.

Vorsichtig nahm der Jüngere Deans Gesicht in seine Hände und hob es zu sich hoch. Tränen standen in dessen Augen und liefen seine Wangen herab. Sam wischte sie sanft mit seinen Daumen weg.

„Versuch zu schlafen, okay?“, fragte er leise und Dean nickte nach einer Weile immer noch ziemlich atemlos.

Sam drückte ihn wieder gegen seine Brust und strich ihm weiter beruhigend über den Rücken.

Endlich verstummte das Piepsen und der Blonde entspannte sich.

Dr. Bagley kam ins Zimmer gestürmt und wollte lospoltern. Sam schaute zu ihm und schüttelte mit einem flehenden Blick den Kopf.

„Die Schwester hat mich alarmiert. Was ist passiert?“, fragte der Arzt leise.

„Er wollte von Deacon wissen was passiert ist, woran er sich erinnern kann“, sagte Bobby.

„Er hat hyperventiliert“, erklärte Sam ruhig und ließ Dean in die Kissen gleiten. „Er schläft!“, sagte er dann leise und lächelte den Arzt an.

„Gut, dass Sie so schnell reagiert haben“, antwortete der Arzt erleichtert. „Hoffen wir, dass es die einzige Reaktion auf diese dämliche Idee war. Wie können Sie ihn so belasten? Er ist noch nicht in der Verfassung für solche Spielchen“, erklärte der Arzt ebenfalls leise aber wütend. Er ging zum Schrank bereitete eine Spritze vor und injizierte sie in den Zugang an Deans Hand. „Damit sollte er für eine Weile ruhig schlafen. Ich kann ihnen nur noch mal gratulieren, dass sie so schnell reagiert haben.“

„Er hat nicht zum ersten Mal hyperventiliert“, beruhigte Sam ihn.

„So, und jetzt zu Ihnen“, wandte sich Dr. Bagley an Elliott. „Sie verschwinden jetzt und ich will Sie die nächsten drei Tage hier nicht wieder sehen, oder Sie haben eine Dienstaufsichtsbeschwerde am Hals. Sie gefährden meine Patienten. Es ist schon schlimm genug wenn Sie die Angehörigen immer wieder belästigen, aber dass Sie das Leben meiner Patienten massiv in Gefahr bringen ist zuviel. Raus hier! Und zwar sofort!“, fauchte er und Elliott zog den Kopf zwischen die Schultern und verschwand aus dem Zimmer.

Vor der Tür hörten Sam und Bobby ihn allerdings noch eine ganze Weile mit dem Arzt streiten.
 

„Das war Wahnsinn!“, stelle Bobby fest. „Ich hätte nie gedacht, dass Dean so schnell reagiert.“

Sam lächelte und zupfte an der Decke, die über seinem Bruder lag. „Und ich wusste nicht, dass er auch auf Kommando hyperventilieren kann. Man hat der mich erschrocken!“, Sam schüttelte den Kopf und holte tief Luft, „lass ihn uns trotzdem so schnell wie möglich hier raus schaffen.“

Bobby nickte.

"Entführung aus dem Sarail"

Die nächsten zwei Tage war der Blonde regelrecht im Stress. Immer wieder kam ein Pfleger und holte ihn zu der einen oder anderen Untersuchung. Abends war Dean jedes Mal am Ende.

Trotzdem hatte Sam es geschafft ihm nachts, so leise dass selbst Dean Schwierigkeiten hatte alles sofort zu verstehen, ihre Entführungspläne zu erklären. Den Leichensack hatte der Blonde kategorisch abgelehnt. Er war dem Tod mal wieder ziemlich knapp von der Schippe gesprungen und der sicher geglaubten Hölle entgangen, obwohl er noch immer nicht so ganz verstand wie das alles zusammenhing. Aber das konnten sie bei Bobby in Ruhe besprechen.

Elliott war nach der Pleite nicht mehr aufgelaufen, was aber nicht hieß, dass er ihnen deswegen weniger nachstellte. Gomez hockte vor der Tür und machte ihnen auch keine Hoffnung darauf, dass Elliott so schnell aufgab. „Der will seine Beförderung auf eure Kosten“, hatte er bedauernd erklärt.
 

Deans Bauchverletzung war immer noch nicht verheilt und sie hatten ihn erneut zum Ultraschall

gefahren.

„Ultraschall? Ich bin doch nicht schwanger!“, hatte der sich empört, „oder Sammy?“

Sam lachte genauso breit wie die beiden Pfleger, als sie das Bett zum Aufzug schoben.

Gomez folgte ihnen wie jedes Mal und die Hoffnung, Dean im Bett zum Impala bringen zu können, zerplatzte wie eine Seifenblase. Deshalb beschlossen sie ihn am nächsten Morgen im Schmutzwäschecontainer aus dem Zimmer zu schleusen. Ruby wollte sich eine Schwestertracht besorgen und den Transport übernehmen. Sie war hier nicht bekannt und so waren weder Sam noch Bobby direkt involviert.
 

Der nächste Morgen kam und Sam ging. Schließlich war er um die Zeit ja eh nie da, aber Bobby stand Gewehr bei Fuß sozusagen.

Bald darauf erschien eine Schwester, in Vertretung wie sie sagte und begann das Bett neu zu beziehen.
 

Dean saß in Decken eingewickelt im Sessel, er blinzelte ein paar Mal und starrte auf die Schmutzwäschebox. Da sollte er rein? Das flaue Gefühl in seinem Magen wurde nicht weniger.

„Warum könnt ihr mich nicht einfach noch mal zum Schwangerschafts-Ultraschall oder so fahren?“, knütterte er.

„Solche Vollinvaliden wie du haben hier gar nichts zu sagen!“, grummelte Ruby. „Du bist ja noch nicht mal in der Lage eine Hand zu heben, also halt die Klappe und spiel mit!“

„Die Schwesterntracht macht dich auch nicht schöner!“, brummelte der Blonde resigniert.

„Dean, wir haben es doch schon mehrfach gesehen, wenn du zum Röntgen oder zu anderen Untersuchungen gebracht wirst dackelt Gomez hinter dir her“, versuchte Bobby zu schlichten.

„Ist ja schon gut!“ Dean verdrehte die Augen und ergab sich seinem Schicksal. „Dann macht endlich!“
 

Bobby und Ruby wickelten ihn aus seinen Decken und hoben ihn in den Container. Sie stopften etliche Laken um ihn herum.

„Bleib möglichst so, ja?“, bat Ruby und der Blonde grunzte etwas, das einer Zustimmung ziemlich ähnlich klang.

Sie breitete noch ein paar Laken über ihm aus und schob dann mit dem Container ihrer Wege. Dank ihrer Dämonenkräfte sah sie auch nicht angestrengter aus, als würde eine Schwester einen normalen Container vor sich herschieben.

„Schlaf, Deacon!“, sagte Bobby in den leeren Raum. „Ich hol mir nur einen Kaffee“, und folgte der Schwester.
 

Die Aufzugstüren glitten langsam auseinander und Elliott quetschte sich zwischen der Schwester mit dem Wäschecontainer und Bobby hindurch. Seinen Blick hatte er stur auf Gomez gerichtet. Er hatte sich noch einige neue Fakten über die Fletchers zusammen gesucht und die wollte er jetzt prüfen, denn er war immer mehr der Meinung, dass es sich bei dem Typen im Krankenzimmer nicht um einen Sohn des verunglückten Ehepaares Fletcher handelte. Er wusste noch nicht wer der Typ war, aber auch das würde er bald herausfinden. Er hatte schließlich schon einen Verdacht.

„Komm mit“, knurrte er seinen Untergebenen an und stürmte in das Zimmer.

„Ich will jetzt Antworten!“, erklärte er barsch. Und wartete ungeduldig auf eine Reaktion, die nicht kam.

„Ich rede mit Ihnen!“, bellte er noch lauter und zerrte jetzt die Decke ein wenig zur Seite. Irritiert starrte er einen Augenblick auf die Decken und Kissen, die unter der Decke zusammengerollt verborgen gewesen waren, und so einen schlafenden Menschen nahezu perfekt imitiert hatten. Fast sofort verwandelte sich seine Irritation in Wut und er stürmte zu den Fahrstühlen. Er hatte also doch Recht gehabt. Den Vogel würde er sich kaufen. Verletzung hin oder her, den würde er solange durch die Mangel drehen, bis er sang!

„Pass auf wo die aussteigen!“, fauchte er und rannte zur Treppe und diese ohne Rücksicht auf Verluste hinunter.
 

„Verdammt, das war Elliott“, knurrte Bobby als sich die Türen geschlossen hatten und der Fahrstuhl sich ruckelnd in Bewegung setzte. Ruby drückte willkürlich eine Taste und wartete darauf, dass sie hielten und raus konnten. Ihre Finger trommelten nervös auf dem Rand des Gefährts.

Dann glitten die Türen auseinander und sie brauchten einen Augenblick um sich zu orientieren. Sie waren im Keller gelandet. Hastig rumpelten sie die Wäschekarre samt ihres brisanten Inhaltes über die Schwelle. Dean stöhnte leise. Er fühlte sich ausgeliefert und hilflos. Sein Bauch schmerzte und er bekam kaum Luft. Er wollte hier raus!

„Scht!“, wurde er sofort von der Dämonin zurechtgewiesen.
 

Sie eilten so schnell wie möglich, ohne Verdacht zu erregen, durch den Gang. Vor einer Tür blieben sie stehen.

„Ich versteck ihn und du bringst die Karre weg“, meinte Ruby und wühlte sofort die Wäsche beiseite. Ohne ein Anzeichen der Anstrengung hob sie Dean aus dem Container und Bobby schob das Teil grinsend weiter den Gang hinunter. Er hatte Deans Reaktion wohl gesehen.

Der Blonde war knallrot angelaufen. Er schämte sich in Grund und Boden und wäre am liebsten verdampft.

Natürlich wusste Dean, dass ihm der Höllenhund nicht nur die Haut aufgeschrammt, sondern auch die darunter befindlichen Muskeln zerfetzt hatte. Das spürte er bei jeder Nichtbewegung, die er machte. Aber auf Hilfe angewiesen zu sein war schon ein Unding für einen Dean Winchester. Diese Art von Hilfe von einer Frau annehmen zu müssen war schlichtweg zuviel für seine Männlichkeit und da spielte es auch keine Rolle, dass er wusste, das Ruby ein Dämon und somit um ein Vielfaches stärker war als normale Menschen. Er gab ein jämmerliches Japsen von sich und ergab sich seinem Schicksal. Etwas anderes blieb ihm ja leider nicht übrig. Und wenn er dem Höllenhund noch einmal begegnen sollte, dann würde er ihn langsam krepieren lassen. Das schwor er sich. Das hier würde dieses Vieh büßen!

Ruby trug Dean in ein Zimmer, das sich als das Leichenschauhaus entpuppte, und setzte ihn in einer Ecke, an die Wand gelehnt ab. „Bleib sitzen“, forderte sie flüsternd.

Aber selbst das schien für ihn schon fast ein Ding der Unmöglichkeit.

Sie schaute kurz in den Gang. „Scheiße!“, fluchte sie und schloss die Tür so leise wie möglich.

Hektisch sah sie sich nach ein paar Sachen um, fand die typische Bekleidung eines Pathologen und zog sich rasch um. Dann breitete sie einen schwarzen Leichensack auf einer Liege aus und hob Dean darauf.

„Es tut mir leid, ich hätte das gerne vermieden“, sagte sie, als sie dessen Unbehagen nur zu deutlich in seinem Gesicht lesen konnte, und sie klang wirklich ehrlich. Dann schloss sie sein schwarzes Gefängnis.

Wahllos öffnete sie eines der Fächer, zerrte den Toten darin heraus und schob Dean hinein. Mit einem leisen Zischen schloss sich die Tür.

Sie holte den Toten aus seinem Sack, suchte sich ein paar Geräte zusammen und breitete alles auf einem kleinen Tischchen aus.

Gerade rechtzeitig.

Die Tür wurde aufgerissen.

„Wer sind Sie?“, wurde sie von Elliott angefahren.

„Das Gleiche muss ich Sie fragen, und das mit der größeren Berechtigung. Sie platzen hier in meine Leichenhalle, stören mich bei meiner Arbeit, die ich wegen eines völlig verblödeten Assistenzarztes noch einmal machen darf, und brüllen hier rum! Wer sind Sie eigentlich?“, fauchte sie zurück.

„Wir suchen einen flüchtigen Verbrecher!“, knurrte Elliott.

„Tut mir leid, außer dem hier auf meiner Liege und den anderen, den ich heute schon unterm Messer hatte, hab ich hier noch niemanden gesehen, aber sie können gerne sie Kühlfächer durchsuchen, vielleicht liegt ja einer drin, der da nicht rein gehört“, sagte sie schnippisch. Währenddessen hatte sie die Trage in den angrenzenden, komplett gefliesten, Raum geschoben und setzte jetzt das Skalpell an der die Brust des Mannes schon verunzierenden Naht an.

Gomez schluckte. Er hatte einmal bei einer Autopsie dabei sein müssen und wollte dieses Erlebnis nicht wiederholen.

Sein Chef schien dazu auch keinen Drang zu verspüren. Ein paar wütende, ziemlich unfreundliche Worte in seinen Kragen brummelnd machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand aus dem Raum, Gomez im Schlepptau.
 

Die Kälte kroch immer tiefer in Deans Körper. Er versuchte das Zittern zu unterdrücken, doch es gelang ihm nicht.

Der Kälte folgte die Panik und auf seinem Körper bildete sich eine unangenehme Schweißschicht.

Ruby war ein Dämon! Was, wenn sie ihn hier eingesperrt und sich aus dem Staub gemacht hatte? Er würde hier sterben und da spielte es nun wirklich keine Rolle ob er eher erfror oder erstickte. Sammy würde ihn hier nie finden! Zumindest nicht bevor es zu spät war. Das Zittern wurde immer stärker, genau wie das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen.

Mühsam versuchte er seine Hand zu heben um wenigstens den Reißverschluss dieses vermaledeiten Sackes ein Stück zu öffnen.

Er brauchte gefühlte Ewigkeiten, bis er seine Hand endlich über seinen Kopf manövriert hatte und nach dem Reißverschluss tasten konnte. Natürlich war von Innen kein Griff zu erreichen. Warum auch. Tote brauchten schließlich nur sehr selten Luft zum Atmen!

Er keuchte frustriert und tastete weiter. Immer wieder versuchte er den Verschluss mit seinen Fingernägeln zu fassen zu kriegen.

Er schwitzte und fror gleichzeitig. Seine Zähne klapperten inzwischen laut vernehmlich. Sein Herz raste, seine Finger waren glitschig und rutschten immer wieder ab und er japste nach Luft. In seinem Kopf raste eine Endlosschleife: ‚Ich muss hier raus, ich muss hier raus, ich muss hier raus!’

Dann drang plötzlich das Zischen, mit dem sich die Tür zu seinem Gefängnis wieder öffnete, an sein Ohr.

In seiner Panik konnte er dieses Geräusch nicht zuordnen und zuckte deutlich sichtbar zusammen als sich plötzlich der Schlitten unter ihm bewegte.

„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Der Bulle wollte einfach nicht gehen“, entschuldigte sich Ruby leise und öffnete sofort den Leichensack. Dean pumpte hektisch nach Luft.

„Oh mein Gott, Dean du bist eiskalt. Verdammt!“

„Isssst ... ja ... aauuuch ... kein ... Wwwundder“, bibberte der Blonde.

„Muss dich trotzdem bitten in dem Sack zu bleiben. Ich weiß nicht, wo dieser dämliche Bulle rumrennt!“, bremste sie seine Bemühungen , sich doch irgendwie aus dem Sack zu pellen.

„Bitte ... nicht!“, keuchte er resigniert.

„Ich lass auch etwas offen“, versuchte sie ihn zu beruhigen und Dean verdrehte ergeben die Augen. Was sollte er auch sonst tun. Er versuchte die Arme vor seine Brust zu pressen um wenigstens etwas Wärme im Körper zu behalten.

Entschlossen zog Ruby den Reißverschluss ganz auf und hob Dean aus dem Sack.

„Was...?“

„Keine Angst, du darfst gleich wieder in deine Verpackung“, grinste sie und griff nach der Decke, die sie in einem Regal gesehen hatte. Sie breitete die in dem schwarzen Plasteteil aus, legte Dean wieder hinein, wickelte die Decke um ihn und ging zur Tür.

Nach einem Kontrollblick auf den Gang kam sie zurück. „Bereit diesen Ort zu verlassen?“

Er nickte und sie schloss den Reißverschluss. Dann schob sie die Liege schnell zum Fahrstuhl.

Dean versuchte so gut es ging sein Zittern zu unterdrücken und sich zu entspannen
 

Ruby schob ihn den Gang entlang zum nächsten Aufzug und hoffte, dass sie Elliott oder Gomez nicht noch mal über den Weg laufen würde.

Es schien ewig zu dauern, bis der Fahrstuhl da war, und noch mal solange bis sich die Türen öffneten. Sie schob die Liege hinein und war kurz davor aus der Haut, oder für einen Dämon wohl eher üblich, aus dem Körper zu fahren, bis sich die Türen wieder geschlossen hatten und ein leichtes Ruckeln ankündigte, dass sie jetzt endlich auf dem Weg zum Parkdeck waren. Sam würde wahrscheinlich schon vor Angst gestorben sein, so lange wie sie jetzt schon unterwegs waren, obwohl er eigentlich nicht wissen konnte, dass sie vor den Cops flüchten mussten.
 

„Ruby? Mein Gott, was ist passiert?“, stammelte Sam, als er die angebliche Schwester sah, die eine Leiche auf ihn zu schob, „Dean? Warum?“

Verschleppt

„Elliott hätte uns fast erwischt! Und der erste offene Raum, in den wir uns flüchten konnten, war die Pathologie. Aber da kam er auf seiner Suche auch rein und ich musste Dean in einem der Kühlfächer verstecken. Und dann wollte der Typ ewig nicht gehen. Ich hätte ihn am liebsten zur Hölle befördert“, erklärte sie aufgebracht und öffnete den schwarzen Sack etwas weiter. „Wir sollten sehen, dass wir ihn ins Auto und wieder warm bekommen. Er friert jämmerlich.“

„Bin noch da“, klinkte sich der Blonde ein und versuchte ein Grinsen.

Plötzlich schlug ganz in der Nähe eine Tür. Die Drei zucken zusammen und Sam und Ruby starrten sich kurz erschrocken an. Schnell öffnete Sam den Kofferraum und die Beiden fassten den Sack und beförderten ihn, ohne auf Deans fast lautlose Proteste zu hören, zwischen ihre Taschen.

„Verschwinde hier! Ich räum’ die Liege weg und wir treffen uns außerhalb der Stadt“, erklärte Ruby und rumpelte mit der Liege davon.

Sam fuhr gemächlich aus der Tiefgarage und Deans entrüstetes Keuchen verhallte ungehört in die Tiefen des Kofferraumes. Die Taschen stützten ihn einigermaßen und noch waren genügend Schmerzmittel in seinem Körper. Langsam dämmerte er weg.
 

Je weiter sich der Impala vom Krankenhaus und von Indianapolis entfernte um so mehr entspannte sich Sam. Seine Gedanken drehten sich nun fast nur noch um seinen Bruder hinter sich im Kofferraum, doch er traute sich einfach nicht ihn schon nach vorn zu holen. Er wusste nicht, was er von Elliotts Aktionen halten sollte. Was wusste der Cop und was hatte er seinen Kollegen erzählt? Was hatte er für Maßnahmen eingeleitet, nachdem er festgestellt hatte, dass Dean verschwunden war?

Und dann stand Ruby plötzlich am Straßenrand. Sam erschrak und stieg regelrecht auf die Bremsen.
 

„Fahr da vorne rein, dann können wir Dean endlich rauslassen“, sie deutete auf einen kleinen Waldweg.

Hinter einer kleinen Kurve hielt Sam an. Sofort sprang er aus dem Wagen und öffnete den Kofferraum. In Gedanken hörte er schon das Gemoser seines Bruders. Doch dann hielt er erschrocken die Luft an. Nichts! Außer dem Zwitschern der Vögel und dem Zirpen der Grillen drang kein Ton an sein Ohr.

„Dean?“, fragte Sam leise und stupste den schwarzen Sack vorsichtig an.

„DEAN!“

Immer noch keine Antwort.

„Holen wir ihn erstmal raus“, schlug Ruby vor. So langsam machte auch sie sich Sorgen. War Dean zu lange in der Kältekammer gewesen? Hatten sie den Leichensack zu weit zugemacht, so dass er keine Luft mehr bekommen hatte und erstickt war?

Sie hoben ihn samt des vermaledeiten Sackes aus dem Kofferraum. Kaum lag er auf dem Boden riss Sam das Teil auf. Deans Kopf war zur Seite gerutscht.

„Dean?“, Sam zog seinen Bruder an sich und sah erleichtert, dass dessen Lider flatterten. Was er allerdings weniger begeistert aufnahm, war sein wieder einsetzendes Zittern.

„Sammy?“ Es war nur ein Hauch der Sams Ohr streifte. Der Blonde klang so schwach.

„Alles wird gut, Dean. Wir fahren zu Bobby“, erklärte der Jüngere lächelnd.

„…so kalt…“, flüsterte Dean so leise, dass Sam ihn kaum verstand, und zitterte noch stärker.

Sam begann an Deans Armen und Rücken immer wieder fest auf und ab zu streichen um ein wenig Wärme in den Körper zu zwingen. Der Blonde ließ es geschehen. Er hatte nicht die Kraft sich zu wehren. Dass er es genoss würde er für nichts in der Welt zugeben. Und so wartete er gegen Sam gelehnt, seinen Kopf in dessen Halsbeuge, darauf, dass Sam sein Tun beendete und als der das dann tat, entrang sich seiner Kehle ein unzufriedenes Murren, welches Sam zu einem Lächeln hinriss.

„Ziehen wir dir erstmal diesen todschicken, hochmodischen Krankenhausfummel aus und wieder normale Sachen an. Was hältst du davon?“, fragte Sam eher rhetorisch und der Angesprochene schaute an sich herab und versuchte ein Nicken.

Sam zog seinen Bruder das Oberteil über den Kopf und beeilte sich ihn gleich wieder in T-Shirt und Hemd zu stecken und zog ihm zusätzlich noch einen Pullover über. Dean versuchte sich zwar, nur seines Egos wegen, gegen diese Kleidungsstück zu wehren, es war Mitte Juli und dementsprechend warm und die Sonne schien. Doch Sam spürte ihn immer noch unter seinen Händen zittern. Außerdem war Dean in seinem geschwächten Zustand kein ernstzunehmender Gegner. Sam grinste. Das würde er ihm lieber nicht sagen.

„Was?“, knurrte der Blonde als er Sams Lächeln sah, doch der schüttelte den Kopf.

„Ich freu mich einfach dich hier zu haben.“

Dean brummelte etwas Unverständliches und schaute leicht vorwurfsvoll zu Ruby, als Sam ihm an die Hose wollte.

„Bin mal schnell weg“, platzte sie hervor, als sie Deans Blick sah, wurde leicht rot und verschwand zwischen den Bäumen.
 

Die Brüder wechselten einen überraschten Blick. Sie hätten nie gedacht, dass ein Dämon rot werden konnte.

Schnell war Dean in Jeans verpackt und Sam sah ihm in die Augen.

„Komm, legen wir dich ins Auto“, sagte er und hob den Blonden hoch.

Dean ließ sich ins Auto setzten, doch als Sam ihn vorsichtig auf die Rückbank drücken wollte, protestierte er.

„Du solltest dich besser hinlegen“, stellte Sam besorgt fest.

„Lass mir doch wenigstens ein bisschen aufrechte Würde“, murrte er und Sam musterte ihn besorgt.

„Du solltest dich wirklich hinlegen“, stellte Ruby fest, die gerade hinter Sam auftauchte.

Deans herzerweichender Dackelblick ließ den Jüngeren dann doch zustimmen. Sein Bruder hatte ja Recht. Er hatte die ganze Zeit gelegten und seine Schulterblätter hatten wesentlich mehr als nur Druckstellen. Also nahm er die Decken, die Ruby ihm reichte und wickelte Dean gut darin ein, dann schloss er vorsichtig die Tür.

Beim Zurücksetzen sah er Deans zufriedenes Lächeln und er unterdrückte das flaue Gefühl in seinem Magen, das ihn davon zu überzeugen versuchte, dass Deans Lächeln nur Fassade war und es ihm immer noch beschissen ging, denn er wusste, dass er Recht hatte. Aber selbst bei Bobby würde es noch Tage wenn nicht gar Wochen dauern, bis Dean wieder halbwegs auf den Beinen war. Also wollte er ihm schon alleine deshalb seinen Willen lassen. Es würde noch hart genug für sie alle werden.
 

Immer wieder schaute Sam im Rückspiegel nach seinem Bruder und wenn der sich unbeobachtet fühlte verblasste sein Lächeln schnell. Auch das sah Sam.

„Willst du dich nicht doch hinlegen?“, fragte er deshalb immer wieder. Und Dean, den nur noch seine Sturheit aufrecht hielt, schüttelte jedes Mal den Kopf.
 

Von Deans Bauch strahlte der Schmerz in seinen Körper aus und jede Bodendelle machte ihn schlimmer. Doch der Blonde wollte sich nicht wieder hinlegen. Er wollte nicht schon wieder wie das hilflose Kind behandelt werden, wie das er sich fühlte. Er hatte endlich begriffen, dass er noch lebte und das wollte er mit all seinen Höhen und Tiefen genießen. Und dazu gehörte auch der Schmerz. Er konnte damit umgehen, er hatte schon Schlimmeres erlebt, und das war noch nicht mal lange her.

Die nächste harte Bodenwelle ließ ihn stöhnen.

Sam hatte es gehört und fragte besorgt nach: „Dean?“

„Mir geht’s gut“, knurrte der Blonde zwischen den Zähnen hindurch. Ihm war warm und kalt und er wollte aus den Decken raus, wollte in ein Bett und war sauer auf sich, dass er so schnell aufgab und kurz davor war wie ein kleines Kind nach seiner Schmusedecke zu brüllen. Er schloss die Augen, lehnte den Kopf an die kühle Seitenscheibe und versuchte tief durchzuatmen. Doch schon allein der Versuch wurde mit einem reißenden Schmerz bestraft.

Sams Blick hing öfter im Rückspiegel als auf der Straße. Dean sah immer schlechter aus. Aber Sam wusste auch wie stur sein Bruder war und so ließ er ihm seinen Willen und hoffte, dass das keine schwerwiegenden Auswirkungen haben würde.
 

Dean starrte blicklos nach draußen. Das vorbeihuschende Grün lullte ihn langsam ein, seine Sicht verschwamm immer mehr und der Schmerz war nur noch wie ein dumpfes Hintergrundgeräusch. Nichts was ihn wirklich störte. Er fühlte sich immer mehr als wäre er in Watte gepackt. Weit weg und ohne Sorgen.
 

Sie hatten etwas mehr als die Hälfte der Strecke zwischen Indianapolis und Bobbys Schrottplatz hinter sich gebracht als Sam auf einen Motelparkplatz fuhr. Er war der festen Überzeugung, dass sein Bruder ein Bett brauchte, auch wenn der sich die letzten Stunden über nicht mehr geäußert hatte und Sam hoffte einfach, dass Dean schlief. Einfach nur schlief.

Vorsichtig öffnete er die Autotür, schob seinen Arm durch den Spalt und drückte Dean in die Lehne als er merkte, dass der ihm entgegen zu fallen drohte. Sam war besorgt, sein Bruder strahlte eine unnatürliche Wärme aus.

„Dean?“, fragte er leise.

„Bin okay“, kam die leise aber prompte Antwort.

„Klar, bist du“, bestätigte Sam sarkastisch und Ruby hob fragend die Augenbraue.

Sie ging und orderte zwei Zimmer, um dann an einer Tür zu warten und sie für Sam geöffnet zu halten. Der legte seinen Bruder aufs Bett und schälte ihn sofort aus seiner Kleidung.

Der Verband um Deans Bauch war nach oben gerutscht, genau wie sein Shirt und der Bund seiner Jeans musste die ganze Zeit über die noch nicht verheilten Wunde gerieben haben. Wieso hatte er nichts gesagt? Das musste doch wehgetan haben.

„Verdammt Dean!“, knurrte Sam und zog ihm die Jeans aus.

Die Dämonin hatte derweil eine Schüssel heißes Wasser und Lappen und Handtuch geholt. Jetzt machte sich Sam daran, die Wunde zu säubern.

Deans Augen waren immer noch halb geöffnet und starr und trüb zur Zimmerdecke gerichtet. Seine Atmung ging abgehakt und er versuchte sich aus Sams Griff zu winden und der Jüngere war überrascht welche Kraft der Blonde in seine Bemühungen legte.

„Dean, bitte, wir müssen die Wunde versorgen. Ich bin gleich fertig, dann kannst du schlafen“, versuchte Sam seinen Bruder zu beruhigen.

„Gleich bekommst du noch was gegen die Schmerzen!“, versprach er.
 

Endlich waren sie fertig. Sam breitete mehrere Decken über den Blonden. „Schlaf“, forderte er leise und wartete bis Dean sich endlich etwas entspannte und die Augen schloss, dann ging er duschen.

Das heiße Wasser prasselte auf seinen Körper, doch die entspannende Wirkung, die es fast immer auf ihn hatte, blieb dieses Mal so konsequent aus, dass er sich fragte, ob er überhaupt den Wasserhahn aufgedreht hatte. Seine Gedanken wanderten wieder zu Dean und zu dessen Bauchverletzung. Wie konnten sie die nur dazu bringen endlich zu verheilen? Sam hatte heute, als er die Wunde gereinigt hatte, das Gefühl gehabt, dass irgendwas in der Wunde war. Das wollte er auf jeden Fall noch mal prüfen. Warum nur hatte er sich von seinem Bruder überzeugen lassen und ihn im Wagen nicht doch einfach hingelegt. Dean hätte nie die Kraft zum Hinsetzen gehabt. Aber wer weiß, ob im liegenden Zustand nicht genau dasselbe geschehen wäre. Außerdem sah Sam noch immer das glückliche Leuchten in Deans Augen vor sich, als er ihm seinen Wunsch erfüllt und ihn sitzend in Impala befördert hatte. Nein, so war es schon richtig gewesen. Dean würde es jetzt genauso schlecht gehen, wenn er gelegen hätte und er wäre obendrein noch deprimiert gewesen. Gab es das überhaupt? Dean und deprimiert? Sam hatte das noch nie bei seinem Bruder erlebt. Obwohl… vielleicht als ihr Dad gestorben und Dean sich erfolgreich eingeredet hatte, dass es seine Schuld war? Nein, da war er todtraurig und wütend gewesen, aber nicht deprimiert. Aber jetzt, jetzt war er deprimiert.

Sam spülte sich den Schaum vom Körper und stieg aus der Dusche. Müde tapste er zu seinem Bett. Immer ein wachsames Auge auf Dean.

Als Sam sich hinlegen wollte, sah er, dass sein Bruder wach war. Er setzte sich an Deans Bett.

„Kannst du nicht schlafen?“, fragte er leise.

„Geht schon“, sagte Dean, eher wie zu sich selbst. Er zuckte mit den Schultern und verzog das Gesicht vor Schmerzen.

„Willst du“, Sam brach ab und schlug sich mit der Hand vor die Stirn. „Entschuldige!“ Wie konnte er nur so unbedacht sein. Dean lag auf dem Rücken und seine Schultern und Hüfte waren wund gelegen. „Rechts oder links?“, wollte er also wissen.

Eine Weile herrschte Schweigen und Sam konnte im diffusen Licht mit dem die Straßenlaterne, das Zimmer beleuchtete, sehen wie es in seinem Bruder arbeitete.

„Dean, du hast dich immer um mich gekümmert. Jetzt bin ich mal dran.“

„Rechts“, sagte Dean endlich mit einem tiefen Seufzen. Es war ihm unendlich peinlich, dass er sich noch nicht mal drehen konnte. Er war doch der große Bruder. Er hatte sich um Sam zu kümmern und nicht umgekehrt. So funktionierte die Welt einfach nicht!

Der Jüngere knüllte eine Decke neben seinem Bruder zusammen, fasste sein Handgelenk und dessen Schulter und wollte ihn auf die Seite ziehen. Er fühlte die unnormale Wärme, die von Deans Körper ausging und dessen leichtes Zittern.

„Warte kurz“, sagte er und ging ins Bad.

Mit Tabletten und einem Glas Wasser kam er zurück, half Dean sich aufzusetzen, seinen Protest: „Mir geht’s gut“, überhörte er einfach, und schob ihm die Tabletten in den Mund.

„Du hast Fieber“, stellte er ruhig fest und hielt ihm das Glas an die Lippen. Als Dean die Tabletten geschluckt und das Wasser ausgetrunken hatte, legte er ihn auf die Seite, schob die zusammengerollte Decke so vor ihn, dass sie ihn hielt ohne die Wunde an seinem Bauch zu belasten und deckte ihn zu.

„Versuch zu schlafen. Morgen wird noch mal anstrengend.“

Dean murrte etwas Unverständliches und schloss die Augen. Sam legte sich ebenfalls hin und blickte noch eine ganze Weile auf seinen Bruder. Endlich entspannte der sich etwas. Sam lächelte und schlief ebenfalls ein.

Bei Bobby

Als Sam erwachte schlief Dean noch unruhig. Sein Fieber war weiter gestiegen, stellte der Jüngere nach einer kurzen Kontrolle besorgt fest.

Er packte das Wenige, das sie am Abend gebraucht hatten, zusammen und wollte gerade ihre Taschen zum Auto bringen als es klopfte.

„Hallo Ruby“, begrüßte er die Blonde, die vor der Tür stand.

„Wie geht es ihm?“

„Nicht gut. Er hat Fieber.“

„Schafft er es bis zu Bobby? Wir sollten nicht länger hier bleiben als nötig.“

„Ich weiß. Ich will nur unsere Taschen in den Impala packen. Dann weck ich ihn“, nickte Sam.
 

Gemeinsam zogen sie Dean dann an und diesmal legten sie ihn auf den Rücksitz.

Sam hatte spätestens hier mit Widerspruch gerechnet aber der kam nicht und die trüben, glasigen Augen machten ihm genauso viel Angst wie die Teilnahmslosigkeit mit der Dean alles über sich ergehen ließ. Sie breiteten noch einige Decken über ihn, dann startete Sam den Wagen.

Mit dem gewohnten Grollen erwachte er zum Leben und gleich darauf waren sie auf der Straße, unterwegs zu Bobby.
 

Sie jagten so schnell wie sie nur konnten, ohne Aufsehen zu erregen, die Straßen entlang.

Ruby drehte sich immer wieder um und ließ ihren Blick besorgt über den Kranken gleiten. Dean hielt die Augen geschlossen aber selbst Ruby sah, dass er nicht schlief.

Ein paar Mal hielten sie an und Sam flößte seinem Bruder Wasser ein. Dem Jüngeren fiel es zusehends schwerer, Dean zum Trinken zu bewegen, er war kaum noch ansprechbar und Sam seufzte erleichtert als sie endlich auf den Schrottplatz rollten.
 

Nachdem Sam vor dem Haus gehalten und den Motor ausgestellt hatte ließ er die Hände auf dem Lenkrad liegen und seine Stirn darauf fallen. Er konnte nicht mehr. Er war müde und vollkommen am Ende.

Dann hörte er das Stöhnen hinter sich, Deans Stöhnen, leise und erstickt, und er hievte sich aus seinem Sitz.
 

„Ich hab euch eure Zimmer fertig gemacht.“ Bobby wies ins Haus.

Der jüngere Winchester nickte und hob Dean aus dem Wagen auf seine Arme. Deans Kopf kippte gegen seine Brust.

Sam biss die Zähne zusammen und schluckte die Tränen herunter, die sich in seine Augen drängten.

Er trug den Blonden ins Haus und legte Dean zuerst auf den Küchentisch, Bobbys Schreibtisch war wie immer brechend voll: „Wir müssen noch nach seinen Wunden sehen.“

Der Tisch knarrte leise, protestierend. Bobby zuckte kurz mit den Schultern und ging dann heißes Wasser, Handtücher und Verbandszeug zu holen. Ruby und Sam entkleideten den Blonden bis auf die Shorts. Dann entfernten sie die Verbände.

Dean gab ein leisen Japsen von sich, als sie die letzte Schicht aus den Verletzungen lösten, einigen bluteten wieder. Ruby reinigte sie mit flinken Fingern und bestrich die Wundränder mit Salbe, dann verband sie sie, bis auf die sich hartnäckig nicht schließen wollenden Kratzer auf seinem Bauch, erneut.

„Kannst du mal nachschauen, ich glaube in der Wunde ist was“, bat Sam sie als sie sich Deans Bauch widmete. Sie nickte, tastete vorsichtig alles ab, dann zuckte sie mit den Schultern und schüttelte den Kopf: „Ich weiß nicht. Ich fühle nichts.“

Sam nickte hilflos. Und während er den Blonden von hinten hielt, verband Ruby auch diese Wunde, dann trug er ihn nach oben in sein Zimmer.
 

„Warte“, rief Ruby als Sam seinen Bruder hinlegen wollte. Sie war inzwischen zum Auto gelaufen und hatte die Decken geholt. Sam nickte und fasste seinen Bruder etwas fester, da er ihm aus dem Griff zu rutschen drohte.

Sie rollte die Decken zusammen und legte sie in Schlangenlinien auf die Matratze. Dann packten sie Dean so darauf, dass seine offenen Rückenwunden rundherum gut gepolstert waren. Und da der sich eh nicht drehen konnte bestand auch keine Gefahr, dass er die offenen Stellen noch weiter reizen könnte.

Sam holte sich einen Stuhl ans Bett und ließ sich darauf fallen.
 

Drei Tage später hockte er noch fast genauso am Bett seines Bruders.

Er hörte die Tür klappern, aber als er dann ein Räuspern vernahm zuckte er trotzdem zusammen.

„Du solltest mal 'ne Pause machen“, schlug der Ältere leise vor, „du sitzt hier fast seit ihr angekommen seid. Geh schlafen, Sam!“, versuchte er es wieder. Bis jetzt hatte er es nur einmal geschafft den Dunkelhaarigen für ein paar Stunden aufs Sofa zu kriegen. 'Der war ja im Krankenhaus einsichtiger!', überlegte Bobby und furchte die Stirn.

Müde rieb sich der Angesprochene über die Augen. Dann riss er seinen Blick von Dean los und starrte den Sprecher an. Langsam fokussierten sich seine Augen auf Bobby. Stur schüttelte er den Kopf.

„Sein Fieber ist weiter gestiegen“, sagte er leise, nahm das Tuch von Deans Stirn um es in eine Schüssel mit Wasser fallen zu lassen. Mit einer Hand tastete er neben seinem Stuhl herum, stieß einige leere Flaschen um bis er endlich eine noch halb volle fand. Er schraubte sie auf, schob Dean eine Hand unter seinen Rücken und richtete ihn vorsichtig auf. Dann hielt er die Flasche an die aufgesprungenen Lippen seines Bruders und redete beruhigend auf ihn ein.

Dean schluckte.

Gott sein Dank war er nicht bewusstlos, so dass Sam ihm immer wieder Flüssigkeit, abwechselnd Brühe oder mit Vitaminen angereichertes Mineralwasser, geben konnte, sonst hätten sie ihn schon lange wieder in ein Krankenhaus bringen müssen.
 

Dean schluckte ein paar Mal, dann drehte er den Kopf zur Seite und begann zu husten. So stark, dass er die Hälfte des eben Getrunkenen wieder mit auswürgte.

Erschöpft stellte Sam die Flasche ab. Er rieb seinen Bruder so gut es ging trocken, wischte ihm das Gesicht ab und ließ ihn wieder in die Kissen gleiten.
 

Bobby legte Sam eine Hand auf die Schulter und drückte beruhigend zu.

„Ich mach uns Kaffee und dann sehen wir weiter“, sagte er leise.

Dann tastete er kurz nach Deans Stirn und musste sich direkt zwingen, seine Hand nicht sofort erschrocken wieder zurückzuziehen. Dean verbrannte förmlich. Bobby drückte Sam das Fieberthermometer in die Hand. Dann sortierte er die leeren Energydrink-Flaschen aus und nahm die mit in die Küche. Die halb vollen, Sam schien die letzte Zeit nur noch tastend vorgegangen zu sein, stellte er wieder neben Sam.

Sie mussten sich dringend überlegen, wie sie Dean helfen konnten sonst würden sie hier bald zwei Pflegefälle haben. Hoffentlich kam Ruby bald wieder. Sie war gleich nachdem sie Dean ins Bett gelegt hatten mit einer vagen Äußerung bezüglich ihrer Pläne, aber der Zusage wieder zu kommen, gegangen.
 

Bobby kochte Kaffee und ging dann mit zwei vollen Tassen, in der für Sam nur halb soviel Milch wie üblich, wieder nach oben.

Sam hatte das Thermometer noch immer in der Hand.

„Sam?“, der Jäger hielt dem Jüngeren den Kaffee vor die Nase, Sam griff zu. Dann nahm er dem Winchester das Thermometer ab: 41,2!

Sie mussten unbedingt etwas tun.

Dean phantasierte schon wieder. Unruhig warf er den Kopf hin und her. Seine Nägel kratzten über das Laken.
 

Er rannte durch einen Gang. Hinter ihm wütete ein Feuer. Es war heiß. Heiß wie in der Hölle. Und er musste Sam finden. Er rannte weiter. Hinter jeder Tür die er öffnete wartete Feuer auf ihn. Ihm war heiß. Schweiß rann in Strömen über seinen Körper. Die letzte Tür. Er riss sie auf. Eine Explosion in seinem Rücken trieb ihn weiter in den Raum hinein und ließ ihn stolpern. Er stürzte. Er fiel. Alles drehte sich um ihn herum. Dann landete er auf weichem Sand. Die Sonne brannte heiß vom Himmel. Verwirrt schaute er sich um. Er war in der Wüste gelandet. Heiß, es war so heiß. Die Sonne brannte das letzte bisschen Flüssigkeit aus ihm heraus. Vor sich sah er Fußspuren. Sammy! Müde und kaum noch Herr seiner Sinne begann er ihnen zu folgen. Er musste zu Sam. Immer wieder stolperte er über seine eigenen Füße und stürzte.
 

Sie hatten Dean aufgerichtet und ihm Shorts und T-Shirt ausgezogen. Jetzt entfernte Sam die Verbände und Bobby ließ lauwarmes Wasser in die Wanne. Sie mussten seine Temperatur so schnell wie möglich runter kriegen.
 

In der Ferne hörte er das Rauschen des Meeres. Dort musste er hin. Da würde er Sammy finden. Da musste Sam sein. Die letzte Düne. Vor sich sah er das Meer. Kalt, verführerisch, Wasser.

Er versuchte sich aufzurichten und wollte die Düne hinab laufen. Er stolperte und mit einem lauten Poltern fiel er den Hang hinab, immer wieder überschlug er sich.
 

Ruby war zurück. Laut klopfend hatte sie ihr Kommen angekündigt.

„Komm rein!“, hatte Bobby gebrüllt und sie war sofort die Treppe hinauf gelaufen und stand jetzt vor Sam und Dean. Ein Blick huschte über den Körper des Blonden und sie sah sofort, wie schlecht es ihm ging.

„Seine Wunde eitert. Wir müssen etwas übersehen haben!“, erklärte Sam leise. „Und er verbrennt innerlich.“

Sie nickte nur und begann ihre Tasche auszupacken. Flaschen und Dosen kamen zum Vorschein.

„Was ist das?“, Sam war skeptisch.

„Ich war eine Heilerin, zu meiner Zeit. Ich kenne mich mit Kräutern aus. Das sind Öle und Salben, hauptsächlich Kamille, Thymian, Johanniskraut, Ringelblume etwas Wermut und noch einige andere. Kannst Du das in das Wasser schütten?“, sie hielt Bobby eine Flasche hin, „das hilft bei offenen Wunden.“

Der Jäger tat wie ihm geheißen.

“Leg ihn auf den Tisch, ich werde ihn mir noch mal anschauen“, sagte sie zu dem Jüngeren.

„Ich mach es selbst, aber du kannst ihn halten. Wir werden jede Hilfe brauchen können, auch wenn er so schwach ist“, wehrte Sam ab, „und du könntest mir Salzwasser holen. Ganz schwach zum desinfizieren.“

Ruby nickte und ging in die Küche.
 

Sie hatten einige Handtücher auf dem Tisch ausgebreitet und den Blonden darauf gelegt. Jetzt drückte Bobby Deans Hüften nach unten. Er lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht auf ihn, genau wie Ruby, die seine Schultern hielt.

Sam holte tief Luft, dann begann er Deans Bauch genauestens zu untersuchen. Irgendetwas musste da sein!

Und er fand etwas. Zu seinem Entsetzen und zu seiner Erleichterung fand er tatsächlich etwas. Sie hatten wohl bei der OP ein Stückchen OP-Tuch vergessen. Wie auch immer so ein kleines Stück zustande kam und wie auch immer es in der Wunde geblieben sein konnte. Vorsichtig arbeitete Sam sich vorwärts. Immer weiter schnitt er die Wunde auf.

Deans Puls raste und seine Atmung war hektisch und abgehakt. Immer wieder stöhnte er vor Schmerzen. Dann entspannte er sich. Sein Kopf fiel zur Seite.

Ruby und Bobby schauten sich erschrocken über den Deans Körper an.
 

Er war bei seinem Sturz auf einen Ast gefallen und der hatte sich in seinen Bauch gebohrt. Er musste so schnell wie möglich die Splitter wieder heraus bekommen. Sonst würde sich alles nur entzünden. Wieso hatte das eigentlich so gepoltert als er gefallen war?' Egal.' Er biss die Zähne zusammen und versuchte den Ast wieder los zu werden.
 

Langsam löste sich das Stück Stoff und er atmete erleichtert auf als er das Teil endlich ganz in seinen Händen hielt. Das Stück war vielleicht so breit wie ein Stift und halb so lang. Wie konnte so was solche Probleme bereiten?

Sam spülte die Wunde mit der Salzlösung gründlich aus und der Blonde hatte nicht mal mehr die Kraft sich zu wehren.
 

Er hatte die Holzstückchen aus der Wunde gepult. Jetzt kroch er zum Meer. Sollte das Salzwasser die Wunde säubern.

Immer wieder schöpfte er Wasser auf seinen Bauch und es raubte ihm jedes Mal die Luft, trieb ihm die Tränen in die Augen und sein Körper verkrampfte sich. Es brannte wie Teufel. Dann kroch er weiter. Weiter hinein in die Erfrischung verheißenden Fluten. Er ließ sich von der Kühle umspülen. Ihm war noch immer so furchtbar heiß.

Dean schloss die Augen und gab sich ganz dem Gefühl hin getragen zu werden.
 

Sam war mit seiner Arbeit endlich zufrieden und richtete sich auf. Er schwankte und zitterte. Tränen drängten in seine Augen.

Sofort stand Bobby hinter ihm und hielt ihn fest. Sam war kreidebleich und ihm war schlecht. Mehr als schlecht. Er stützte sich auf seinen Knien ab und atmete ein paar Mal tief durch. Endlich hörte die Welt auf sich um ihn zu drehen.

„Geht schon“, wehrte er die helfende Hände ab, die ihn stützen und zum Sofa geleiten wollten. Stattdessen hob er Dean in seine Arme und brachte ihn ins Bad. Dort ließ er ihn sanft in das lauwarme Wasser gleiten, das leicht bräunlich aussah und mit einem dünnen Ölfilm überzogen war. Es roch nach Wermut und Hustensaft.

Dean versuchte kurz und erfolglos um sich zu schlagen, dann ließ er sich fallen.

Sam hatte seinen Arm um ihn gelegt und hielt ihn sicher.

„Versuch nicht zu ertrinken“, scherzte Sam und ging schnell in Deans Zimmer. Ruby war gerade fertig damit Deans Bett neu zu beziehen, und er holte frische Sachen für seinen Bruder.

„Ich hoffe, das war's jetzt“, sagte Ruby leise und Sam nickte.

Plötzlich ließ ein leises Gurgeln ihn herumfahren. Hatte er jetzt schon Halluzinationen?

Dean! Schoss es ihm durch den Kopf. Und er stürzte wieder ins Bad.

Du musst was essen

Er fühlte sich so leicht, so schwerelos, umspült von dem Wasser. Keine Probleme, keine Sorgen. Doch plötzlich zog ihn etwas unter Wasser. Verzweifelt versuchte er sich nach oben zu kämpfen. Er wollte atmen, doch immer wieder drang Wasser in seine Lungen. Er hatte Angst, wollte um sich schlagen, wollte nach Sam rufen. Sam!
 

Sam fasste zu und zog seinen Bruder wieder aus dem Wasser. Er wollte sich selbst eine Ohrfeige verpassen, weil er Dean allein gelassen hatte. Jetzt hielt er ihn wieder sicher über Wasser.

Und als er meinte, dass Dean genug abgekühlt sei, wusch er ihm vorsichtig die Haare. Behutsam spülte er den Schaum aus.

Er holte ein Handtuch, fischte seinen Bruder aus der Wanne und rubbelte ihn trocken.

Nachdem Ruby seine Wunden mit Salbe bestrichen und vorsichtig mit Mull abgedeckt hatte, legten sie ihn wieder ins Bett.

Sam drängte ihn noch dazu etwas zu trinken und dann ließ er ihn schlafen.

„Dasselbe solltest du auch tun“, ertönte es hinter ihm und Sam zuckte erschrocken zusammen. Dann drehte er sich um: „Ruby, ich...“

„Nein, du solltest schlafen. Du bringst dich um und damit ist ihm auch nicht geholfen!“

'Verdammt, jetzt schlägt sie auch noch in dieselbe Kerbe wie schon Bobby vor ihr. Haben die zwei sich gegen mich verschworen?' Trotzdem nickte er. Sein Körper schrie nach Ruhe. Also ließ er sich mal wieder auf die altersschwache Couch verfrachten und zudecken und war eingeschlafen bevor er noch einen weiteren Gedanken fassen konnte.
 

Zwei Tage später hatte sich Deans Zustand, Sam seufzte, aber er musste sich eingestehen, dass es wirklich so war, verschlechtert. Seine offenen Wunden schienen Dank Rubys Salben und Tinkturen wirklich zu heilen und sein Fieber war gesunken, okay, nicht mehr so hoch, aber alles in allem? Dean war nur noch Haut und Knochen. Auf seinen Rippen konnte man perfekt Klavier spielen, die Hüftknochen und Schlüsselbeine traten deutlich hervor. Seine Wangen waren eingefallen und dunkelrote Augenringe hatten sich tief unter seinen Augen eingegraben. Es reichte einfach nicht, ihn mit Elektrolyten voll zu pumpen. Dean musste endlich wieder etwas essen. Aber Sam hatte keine Idee wie und was.

„Bin wieder da!“, tönte es durchs Haus und die Tür schlug zu. Bobby hatte für einen Freund ein Ersatzteil besorgt und auf dem Rückweg Kuchen mitgebracht.

Sam schaute kurz zu Ruby, sie nickte, dann ging er zu Bobby.
 

„Hey!“, grüßte der Ältere. „Willst du was vom Kuchen?“

Sam schüttelte den Kopf: „Wir müssen uns überlegen, was wir mit Dean machen. Seine Wunden scheinen zu heilen, aber wenn wir noch lange warten …“ Sam beendete seinen Satz nicht.

„In ein Krankenhaus können wir ihn aber auch nicht bringen. Elliott hat sein Verschwinden mit Sicherheit weiter gemeldet“, überlegte Bobby laut.

Sam nickte. Er lud sich ein Stück Kuchen auf den Teller und ging mit hängenden Schultern wieder nach oben.

Sam stellte den Kuchen auf den Nachttisch und setzte Dean auf.

„Komm schon großer Bruder. Du liebst doch Apfelkuchen“, und Sam begann ihn zu füttern.
 

Nach einer halben Ewigkeit stellte Sam den Teller zufrieden brummend auf den Nachttisch und wollte seinen Bruder wieder in die Waagerechte befördern. Dean hatte das ganze Stück Kuchen gegessen. Okay, geschluckt, Sam hatte seinem, Gott sei Dank nicht bewusstlosen, Bruder den Kuchen Krümel für Krümel in den Mund gestopft und ihn mit beständigem, ruhigem, abwärts gerichteten Streichen über seine Kehle, immer wieder zum Schlucken gebracht.

Er nahm die Decke von Dean und schüttelte sie aus. Dean zitterte und Sam ließ seine Hand besorgt über dessen Stirn gleiten. Das Fieber war erneut gestiegen. Leider so wie jeden Nachmittag und bis zum Abend würde es noch höher werden. Er hoffte nur nicht mehr so hoch wie vor zwei Tagen.

Plötzlich verkrampfte sich Deans Körper. Er schluckte wieder und wieder und begann schließlich zu würgen.

„Dean? DEAN?” Sam fasste die Schulter des Blonden. Der reagierte jedoch nicht. Nur das Würgen wurde immer stärker.

Sam sprang auf und nahm seinen Bruder in die Arme. Vorsichtig bettete er dessen Kopf an seiner Schulter. Das Würgen wurde schlimmer und schon begann der Blonde zu spucken.

Der Jüngere rannte ins Bad und hievte den Patienten vors Klo. Einen Eimer zu holen war ihm im Traum nicht eingefallen. Außerdem gab es hier oben keinen und bis er wieder bei Dean gewesen wäre, hätte der den Kuchen auf seinem Bett verteilt.

Deans Hüften hatte er zwischen seinen Knien eingeklemmt, eine Hand unter seine Brust gelegt, die andere lag unter dessen Stirn. Sam hoffte einfach, dass sein Bruder bald fertig sein würde. Sein Rücken brachte ihn um und seine Knie zitterten vor Anstrengung.

Der Körper in seinen Händen zitterte immer schlimmer und Sam betete, das Dean nichts in die Luftröhre bekam und wünschte sich noch ein weiteres Paar Hände um dem Kranken beruhigend über den Rücken streichen zu können.
 

Langsam schien sich der Blonde zu beruhigen.

Sam ließ ihn zu Boden gleiten. Dean rollte sich neben der Toilette zusammen und wimmerte leise.

Der Jüngere streckte seinen Rücken und schaute besorgt auf das Bündel am Boden. Dean hatte zuletzt nur noch Galle gespuckt.

Sam straffte sich. Er holte einen Becher Wasser, zog Dean wieder an sich und flößte ihm ein paar Tropfen ein.

„Ganz ruhig Dean, spuck es wieder aus, okay. Es wird gleich besser. Ja?”, redete er beruhigend auf ihn ein und hielt seinen Kopf wieder über die Toilette. Noch zwei, drei Mal brachte er seinen Bruder dazu sich den Mund auszuspülen.

Endlich war er zufrieden und befreite den Blonden von seiner Kleidung, die gleich in die Wäschetruhe flog. Er hob Dean in die Wanne und ließ warmes Wasser ein. Der Anblick dieses Häufchen Elends in seinem Arm zerriss ihm fast das Herz. Sein großer, ihn immer beschützender Bruder war nur noch ein mit Haut überspanntes Gerippe und die sonst so strahlend grünen Augen waren trübe Schlitze, die unfokussiert ins Leere gingen. Wenigstens war er bei Bewusstsein, irgendwie...
 

Mit einer Hand seinen Bruder festhaltend wusch er ihn vorsichtig, schäumte seinen Haare ein und spülte alles wieder aus. Sam grinste. Wenn er je ein Baby haben sollte, würde er das Baden problemlos übernehmen können.

Er hievte den Älteren aus der Wanne, hielt ihn fest an sich gedrückt und angelte nach dem Handtuch, das an der Tür hing. Er legte es um Deans Schultern und wickelte ihn warm darin ein. Gleich darauf rubbelte er ihm die Haare wieder trocken und brachte ihn zurück ins Bett.

Ruby hatte in der Zwischenzeit das Bett neu bezogen, Sam lächelte sie dankbar an. Er wickelte den Kranken aus dem Handtuch und nachdem Ruby seine Wunden wieder mit ihren Salben bestrichen hatte, zog er ihm frische Shorts und ein neues T-Shirt an und wickelte ihn wieder in die wärmende Decke. Dean zitterte schon wieder wie Espenlaub.
 

Noch einmal strich Sam die Decke glatt, sein Blick streifte Deans Gesicht und er stockte. So trübe wie Deans Augen auch waren, sie waren auf Sam gerichtet.

„Dean?“, fragte der Jüngere.

„Tut mir leid Sammy!“ Dean war kaum zu verstehen.

„Du musst dich nicht entschuldigen. Du musst nur wieder gesund werden! Hörst du? Du musst was essen.“

„Tut so weh“, hauchte er.

„Dein Magen?“

Dean nickte: „Und schlucken.“

„Wir finden einen Weg, das verspreche ich dir. Egal, wie lange es dauert, du wirst wieder gesund, Dean. Wir finden was, das du verträgst!“

„Es tut mir leid!“, dann schlossen sich seine Augen wieder und sein Kopf fiel zur Seite.

„Oh Gott Dean! Dean!“, Sam kämpfte gegen seine Tränen an. Er nahm Deans Hand in seine und strich mit der anderen sanft über dessen Wange. Er sah Deans Puls hart an seinem Hals pochen.

Sam ließ sich auf die Bettkante fallen. Müde rieb er sich die Augen mit Daumen und Zeigefinger.

„Eine Glucke könnte nicht aufopfernder sein. Du behandelst ihn wie ein Baby“, grummelte Ruby, aber es klang eher, als wollte sie ihre Sorgen verstecken. Sie konnte Sam nur zu gut verstehen. Sie konnte sich zwar kaum noch an ihre Geschwister erinnern, aber auch sie hatte einiges für Deans Leben getan und sie wollte nicht, dass das umsonst war.

„Dean ist kein Baby!”, knurrte er zurück. „Er ist mein Bruder und er hat sich immer um mich gekümmert. Jetzt braucht er mich.”

„Ja, aber so wie du dich benimmst, hältst du das nicht mehr lange durch. Du bist schlimmer als jemand der ein verwaistes Löwenbaby aufzieht. Das braucht nur alle vier Stunden seinen Milchbrei.“

Dann stutzte sie. Sam sah sie leicht versonnen an.

„Was?“, fragte sie spitz.

„Das ist vielleicht eine Idee“, überlegte der Brünette.

„WAS?“, Ruby wurde immer ungeduldiger. „Was ist eine Idee?“

Sam schüttelte den Kopf und stand auf.

„Bin gleich wieder da“, wandte er sich an Dean und rannte schon fast aus dem Zimmer und die Treppe nach unten.

Gleich darauf kam er wieder und schaute Ruby fragend an: „Kannst Du auf ihn aufpassen?“, und als sie nickte wandte er sich noch mal an den schlafenden Dean: „Bin gleich wieder da und benimm dich!“

Ruby verbiss sich ein Grinsen.
 

Sie wusch Dean den Schweiß vom Körper und versuchte ihn zum Trinken zu bewegen. Sie hatte aber auch nicht mehr Erfolg als Sam. Nach ein paar Schlucken drehte Dean den Kopf einfach wieder weg, dass er zu schwach war und seinen Kopf einfach nicht mehr in dieser Position halten konnte, obwohl sie ihn so gut es ging stützte, daran wollte sie einfach nicht glauben, und Ruby durfte ihm das Wasser, das er eigentlich hatte trinken sollen ebenfalls vom Körper wischen.

Sie konnte nur hoffen, dass Sam etwas finden würde, denn das worüber ihre Finger hier glitten hatte so gar keine Ähnlichkeit mehr mit dem was einmal Deans Körper gewesen war.
 

„Sam ist wieder da“, informierte sie den Kranken bald darauf und schüttelte über sich den Kopf. Verlegen lächelte sie. Sie mochte die drei Jäger. Am Anfang war es einfach nur so, dass die Feinde ihrer Feinde ihre Freunde sein müssten, sie hatte die Jäger akzeptiert. Doch inzwischen mochte sie sie wirklich.

Sie hörte die Männer in der Küche hantieren und dann kam Sam endlich nach oben. In der Hand eine Tasse mit komischem Aufsatz.

Sie trat vom Bett zurück und Sam nahm ihren Platz ein. Unendlich sanft schob er seine Hand unter Deans Kopf und Nacken. Er brachte ihn in eine leicht sitzende Position und rutschte hinter ihn. Mit derselben Sanftheit ließ er seinen Bruder gegen seine Brust gleiten und hielt ihn jetzt sicher im Arm. Er hielt Dean die Tasse an den Mund. Vorsichtig strich er über dessen Lippen. Fast sofort verbiss sich Dean regelrecht in dem Aufsatz und trank als wäre er am Verhungern, aber das war er wahrscheinlich auch.

„Hey, Dean, die Tasse ist wirklich leer. Lass los. Du bekommst nachher noch was“, Sam lächelte, seit Wochen das erst Mal, und sein Lächeln wurde noch breiter als der Blonde das Gefäß nur widerwillig frei gab.

Nur die Bissspuren auf dem Aufsatz beunruhigten ihn. Hatte Dean solchen Hunger, dass er sogar die Tasse auffuttern würde? Wusste er, dass das quasi seine letzte Chance war wieder gesund zu werden? Hatte er Angst er würde nichts mehr bekommen?
 

„Was hast du ihm da gegeben?“, wollte Ruby wissen, die ebenfalls lächelnd zugesehen hatte.

„Es ist Baby-Folgemilch. Mit Kakao und Traubenzucker“, sagte er flüsternd mit einem Seitenblick zu Dean. Ruby grinste breit.

„Erzähl ihm das nur nicht. Er bringt uns beide um.“
 

Rubys Grinsen wurde noch breiter und auch Sam lächelte weiter und selbst Bobby, der in der Tür stand, hatte ein Lächeln im Gesicht.

„Kannst du mal hier bleiben? Ich will Ruby zeigen was wir gemacht haben.“

Bobby nickte und versuchte unterdessen Dean noch etwas Flüssigkeit einzuflößen.
 

„Ich hoffe wirklich wir haben damit mehr Erfolg als mit unseren anderen Versuchen“, sagte sie leise und Sam konnte nur nicken. Sie hatten so ziemlich alles versucht, was ihnen eingefallen war. Hühnerbrühe und Fleisch, weiches Brot und was nicht noch alles. Das war jetzt wirklich der letzte Versuch. Wenn sie wieder scheitern sollten, würden sie Dean in ein Krankenhaus bringen müssen. Immer noch besser, ihn wieder aus den Krankenhaus zu entführen oder auch aus dem Gefängnis zu befreien, als ihn doch noch zu beerdigen. Und das wollte Keiner. Also zeigte er Ruby, was er da zusammengerührt hatte.
 

Von diesem Moment an wurde Dean alle zwei Stunden mit der Milch gefüttert. Bobby schüttelte immer wieder nur den Kopf, aber es schien zu helfen.

Sie teilten sich die Schichten, aber Sam hockte eigentlich die meiste Zeit an Deans Bett und wenn er wirklich schlafen musste, dann legte er sich auf das alte Sofa. Er war einfach keinen Meter aus dem Zimmer zu bekommen.
 

Dean schien es tatsächlich zu helfen. Er behielt alles bei sich. Die Wunden heilten immer besser, auch die Wunde an seinem Bauch schien sich endlich zu schließen, und sein Fieber sank.

Das einzige Problem, Dean kaute weiterhin auf den Aufsetzen herum und Sam befürchtete, dass er sich entweder die Zähne ruinieren oder ein Stück davon verschlucken könnte. 'Hatte er so großen Hunger? Aber eigentlich bekam er doch jetzt genug. Ober brauchte Dean mal wieder was Handfestes zwischen den Zähnen? Darauf würde er wohl noch ein ganze Weile warten müssen.'
 

Und trotzdem waren es die ruhigsten, zuversichtlichsten Tage seit über einem Jahr. Lilith war tot und Dean am Leben.

"Dreams are my Reality"

„Verdammt!“, knurrte Sam als er wieder in die Küche kam. „Heute Morgen hat er die letzte Schnabeltasse zerkaut und ohne diesen Aufsatz verteilt er die Hälfte auf seinem Shirt!“

„Kauf ihm 'ne Nuckelflasche!“

„Bobby!?“, fragte Sam schockiert.

„Der Gummi ist nicht so gefährlich. Außerdem geht mehr rein“, knurrte Bobby etwas gereizt. Er hatte seit über eineinhalb Tagen nicht mehr geschlafen, und das obwohl Sam ihm immer wieder gesagt hatte, dass er ins Bett gehen sollte.

Der Ältere hatte sich daran gemacht den Colt wieder funktionstüchtig zu bekommen. Er hatte es schon einmal geschafft, also musste es auch jetzt gehen und Ruby hatte ihm, wie schon beim letzten Mal, geholfen. Aber die Waffe funktionierte immer noch nicht, und ihn hatte der Ehrgeiz gepackt. 'Das musste doch gehen, verdammt!' Er wollte einfach nicht locker lassen.

„Ich will noch einkaufen fahren. Dann lege ich mich hin“, lenkte er ein und blies in seinen Kaffee.

„Ich kann doch auch fahren“, wehrte Sam ab, „dann könntest du sofort schlafen gehen.“

„Ich fahre.“ Bobby duldete keinen Widerspruch.

„Dann lass mich wenigstens mitkommen“, bat der Winchester und Bobby nickte. Er wusste selber nicht, warum er so grummelig war. Er liebte die Jungs, nichts wäre schlimmer als wenn einer von ihnen sterben würde und nichts wünschte er sich mehr, als dass Dean wieder gesund würde. Ach, er war einfach gereizt, dass das mit dem Colt nicht so wollte, wie er sich das gewünscht hatte.

„Okay“, grummelte er und gleich darauf machten sie sich auf den Weg.
 

Ruby platzte fast vor Lachen als Sam wieder ins Zimmer kam, er hielt zwei Nuckelflaschen in der Hand, doch sie versuchte sich zu beherrschen.

Sam warf ihr einen finsteren Blick zu. Das Glitzern in seinen Augen strafte den Rest seiner Miene jedoch Lügen: „Sag ihm das bloß nicht! Er erwürgt uns.“

Ruby nickte nur, immer noch grinsend. Sie überlegte sich, dass Dean zwar bei Bewusstsein war, aber doch zu abwesend, um das wirklich mitzubekommen, hoffte sie zumindest, und sie wusste, dass auch Sam darüber froh war.

„Aber wenn’s funktioniert nehm’ ich selbst das in Kauf“, seufzte Sam. Immerhin sah Dean etwas besser aus als noch vor drei Tagen, bevor sie mit der Babynahrung angefangen hatten. Außerdem war es ja nicht so, dass sie nicht schon vorher so ziemlich alles versucht hätten, Dean zum Essen zu bewegen. Immer mit demselben Ergebnis: Sam musste seinen Bruder übers Klo halten und Ruby wechselte das Bettzeug. Erst diese letzten drei Tage behielt Dean das Essen im Magen und da war es Sam so ziemlich egal, wie es da rein kam.

Trotzdem war ihm nicht ganz wohl bei der Aktion. Er fühlte sich, als ob er seinen Bruder jetzt völlig demontieren würde.

Dean hatte diese Bedenken scheinbar nicht. Friedlich nuckelte er an der Pulle.

„Eigentlich sollten wir das fotografieren“, grinste Ruby.

„Besser nicht“, meinte Sam nur aus Sympathie für seinen Bruder und weil der für ihn fast gestorben wäre, denn Ruby hatte Recht. Es sah zu süß aus und es war zu verlockend, das im Bild festzuhalten.

Mit etwas Mühe entwendete Sam seinem Bruder die leere Flasche und erntete ob dieses Mundraubes ein höchst unwirsches Murren. Dann schob Sam dem Blonden die zweite Flasche unter und aus dem Murren wurde ein zufriedenes Grummeln und Dean machte die Flasche in Rekordzeit leer.

Entgegen Sams Annahme bekam Dean das Ganze jedoch sehr wohl mit und war im ersten Moment auch äußerst beleidigt darüber, doch er hatte auch registriert, dass er sämtliche andere Nahrung wieder auf dem selben Weg nach draußen befördert hatte, wie sie in seinen Körper gekommen war und es war noch demütigender gewesen, so hilflos in Sams Händen zu hängen. Außerdem war er sich sicher, dass es ewig dauern würde, wenn Sam ihn mit einem Löffel füttern würde, was auch nicht viel weniger entwürdigend wäre. Also tat Dean das, was er am besten konnte. Er ignorierte es und fand sich damit ab. Außerdem verschlief er eh die meiste Zeit. Und er hatte Hunger, auch wenn das nach so langer Zeit eigentlich komisch war, und es war ihm reichlich egal, wie etwas in seinen Magen kam.

Wenn er allerdings mal wach war und dann auch noch das Glück hatte ein paar Minuten allein gelassen worden zu sein, mühte er sich damit ab, sich wenigstens auf eine Seite drehen zu können, was ihm aber einfach nicht gelingen wollte. Immerhin schaffte er es irgendwann sich an der Nase kratzen zu können, sollte das denn mal nötig sein.
 

Inzwischen waren sie schon seit fast zwei Wochen bei Bobby. Dean schlief und Sam saß neben seinem Bett und surfte durch die Polizeicomputer.

„Er funktioniert wieder!“, verkündete Ruby ziemlich laut und freudestrahlend. Die Brüder zuckten synchron zusammen.

„Wer?“, fragte Sam während sein Bruder sich noch darum bemühte, die Augen offen zu halten.

„Der Colt. Er funktioniert wieder.“

Jetzt strahlte auch Sam: „Das ist die beste Nachricht seit Wochen.“

„Was?“, ließ sich jetzt auch Dean mit kratziger Stimme vernehmen.

„Du bist wach?“, wollte Sam strahlend wissen.

„Wenn ihr mich hier so unsanft weckt“, grummelte der Blonde, „dann könnt ihr mir auch sagen wer wieder funktioniert.“

„Der Colt.“

„Welcher Colt?“ Dean war wohl etwas begriffsstutzig.

„DER Colt. Ruby hat ihn aus der Hölle geholt und jetzt haben Bobby und sie es geschafft ihn noch mal zu reparieren.“

Dean lächelte: „Das wird uns die Arbeit erleichtern.“

„So schnell werdet ihr ihn vielleicht gar nicht brauchen“, schaltete sich Ruby ein.

„Warum?“

„Ich hab es Sam schon erzählt: In der Hölle ist die Hölle los. Seit Lilith’ Tod kämpfen sie um die Vorherrschaft. Auch wenn ich vermute, dass sie so langsam damit fertig sein werden.“

„So schnell? Es ist doch gerade zwei Monate her“, überlegte Sam.

„In der Hölle sind das keine zwei Monate. Da sind es zwanzig Jahre.“

Die Brüder schauten sich erschrocken an und Dean schluckte unbehaglich. Er wollte jetzt nicht eingehender darüber nachdenken, was ihn in der Hölle erwartet hätte.
 

„Du solltest was trinken“, schlug Sam vor und fasste Dean unter den Armen, um ihn aufzusetzen. Der sagte nichts. Gleichmütig ließ er das über sich ergehen und trank, als Sam ihm die Flasche an die Lippen hielt.

„Kannst du noch ’ne Weile sitzen bleiben?“, wollte der Jüngere dann wissen und Dean schloss die Augen und nickte. Um ihn drehte herum sich alles.

Sam musterte ihn besorgt. Er war noch blasser als sonst. Aber eigentlich war es nicht verwunderlich. Dean hatte die letzten zehn Wochen fast nur gelegen.

Er beeilte sich und kam gleich darauf mit einer Tasse Milch wieder.

Dean war froh als die Tasse leer war und Sam ihn wieder richtig ins Bett gelegt hatte. Er atmete ein paar Mal tief durch und bevor er sich versah, war er wieder eingeschlafen.

Sam hatte das leichte Zittern seines Bruders gespürt und wickelte ihn erneut in die wärmenden Decken. Dann holte er ein Fieberthermometer und musste feststellen, dass Deans Temperatur wieder gestiegen war. Er atmete tief durch und schaute besorgt auf den Schlafenden. Der kämpfte immer noch mit der Infektion seiner Bauchwunde.
 

Sam kam mit der Tasse und einigen leeren Flaschen in die Küche. Bobby stand an der Kaffeemaschine und löffelte braunes Pulver in die Filtertüte.

„Hast du mal wieder dafür gesorgt, dass die Waschmaschine voll wird?“, fragte der Ältere.

„Dean war wach. Er hat es so getrunken“, erklärte Sam erleichtert.

„Hoffentlich bleibt das auch so“, nuschelte Bobby.

„Wie war das mit dem Schwarzsehen?“, hakte Sam sofort nach.

„Hm!“
 

Leider hatte Bobby Recht, auch wenn ihm das überhaupt nicht Recht war.
 

Nach einer Weile, in der Sam gemütlich eine Tasse Kaffee getrunken und ein Stück Kuchen gegessen und mit Bobby darüber diskutiert hatte, wie viele Patronen sie für den Colt jetzt machen sollten, sie hatten sich auf 169 geeinigt, machte er noch einen langen Spaziergang. Dean ging es gut und er brauchte unbedingt Bewegung. Er musste mal den Kopf frei bekommen. Nachdem er dann auch noch duschen war, ging er wieder zu seinem Bruder.

„Gut, dass du kommst“, wurde er von Ruby empfangen.

„Was gibt’s?“, fragte er, doch die Dämonin brauchte ihm nichts sagen.
 

Sie liefen nun schon eine halbe Ewigkeit durch diesen Wald. Sam hatte herausgefunden, dass alle Vermissten hier gewandert waren. Aber bis jetzt hatten sie nichts gefunden.

„Verdammt, Sammy, hier ist nichts!“, knurrte Dean, er hatte die Nase so gestrichen voll von der Rumrennerei.

„Dean, bitte sie wa….“

„Sam?“, er drehte sich um seine Achse. Nichts. Er müsste doch mindestens den Lichtkegel von Sams Taschenlampe sehen. Wo war sein Bruder hin? Wer hatte ihn entführt?

„SAAAMMMM!“ Der Blonde warf sich im Bett hin und her. Er wollte sich drehen, doch dazu langte die Kraft nicht.
 

Sam war bei Deans Schrei zusammengezuckt, als hätte man ihn geschlagen und kaute nun entsetzt auf der Unterlippe herum. Wie konnte sich der Zustand seines Bruders binnen so weniger Stunden so verschlechtern?

Dean glühte und zuckte bei jeder Berührung mit einem schmerzerfüllten Fiepen zurück wie ein geprügelter Hund.

Ruby hielt Sam das feuchte Tuch hin: „Versuch du es mal. Bei Bobby und mir reagiert er so. Vielleicht kannst du mehr ausrichten.“

Sam nickte, redete leise, beruhigend auf den Fiebernden ein und begann Dean vorsichtig den Schweiß vom Körper zu waschen. Langsam beruhigte sich der Blonde etwas und entspannte sich letztendlich sogar.

Der Jüngere beendete sein Tun und setzte sich wieder auf seinen Platz neben dem Bett. Vorsichtig nahm er Deans Hand in seine. Sofort schlossen sich die Finger des Blonden wie ein Schraubstock.

„Smmy“, flüsterte er matt.

„Ich bin hier, Dean. Versuch zu schlafen.“

„Smmy!“
 

Sie hatten ihn auf etwas Hartem festgebunden. Er wusste nicht, worauf er lag und es war ihm auch egal. Er wollte nur in Ruhe gelassen werden. Doch das wiederum interessierte sie nicht. Es wurde immer heißer und heißer. Seine Unterlage schien zu glühen. Er wand sich in seinen Fesseln. Er versuchte sich zu befreien. Nichts. Die Fesseln schnitten nur noch tiefer in sein Fleisch.

Die Hitze drang durch seine Kleidung und wurde immer schlimmer. Er konnte spüren wie sich sein T-Shirt auflöste, wie seine Hose regelrecht von seinem Hintern schmorte. Und dann fraß sie sich durch seine Haut. Er fühlte, wie sich Blasen bildeten, wie die Haut aufplatzte.

„Hast du Schmerzen?“, fragte eine weibliche Stimme hinter ihm und er konnte nur nicken.

„Das tut mir leid“, flötete sie und noch bevor ihm der sarkastische Unterton in ihrer Stimme auffiel hatte sie ihre Hände an seine Schläfen gelegt. Ein stechender Schmerz explodierte in seinem Kopf. Er schrie. Und der Schmerz wurde immer noch stärker.

Seine Schreie wurden zu einem leisen Winseln. Er konnte nicht mehr. Er wollte nicht mehr. Er wünschte sich nur noch endlich in der erlösenden Dunkelheit abtauchen zu können.

„Ist dir warm, mein Kleiner?“, fragte die Stimme wieder.

Dean hatte noch nicht einmal mehr dir Kraft zu antworten, auch wenn er es gewollt hätte.

Das worauf er lag schien sich zu verflüssigen, schien in die Luft um ihn herum überzugehen. Alles um ihn herum glühte. Das Atmen wurde immer schwerer.
 

Deans Augen zuckten hektisch hinter seinen Lidern hin und her. Immer wieder krampften sich seine Nägel ins Laken.

Sam hatte Deans Hand schon vor einer Weile losgelassen und versuchte ihm mit kühlen, feuchten Tüchern Linderung zu verschaffen. Jetzt fasste er erneut die Hand seines Bruders, der fast sofort seine Nägel in Sams Handfläche krallte. Sam japste erschrocken.

Deans Brustkorb hob und senkte sich immer unrhythmischer und immer verzweifelter schnappte der Blonde nach Luft.

„Wir müssen doch etwas tun können, Ruby?“, bettelte Sam regelrecht und nahm die warmen Lappen von Deans Stirn. Er hatte ihn erst vor wenigen Augenblicken kalt darauf gelegt.

„Ich lass Wasser in die Wanne. Versuch du ihn zum Trinken zu bringen.“

Sam nickte und setzte sich auf den Bettrand. Dann hob er Dean vorsichtig an und legte einen Arm um ihn. Langsam flößte er ihm Wasser ein.
 

Etwas Kaltes rann seine Kehle hinab und verdampfte lange bevor es seinen Magen erreicht hatte.

„Ich bring die Linderung“ ertönte die Stimme plötzlich wieder und etwas fasste ihn am Arm. Er wollte nicht sehen wer es war. Er kannte die Stimme nicht. Aber selbst wenn er sie hätte sehen wollen, er war zu schwach um seine Augen zu öffnen. Die Hitze hatte seine Lider verklebt.

Er fühlte wie er hochgehoben wurde und zuckte zurück. Er wollte nicht noch mehr Schmerzen haben müssen. Er wollte sich der Hoffnung nicht hingeben, nur damit sie ihn wieder betrügen konnte.

Sie entfernte seine Kleidung, die Reste seiner Kleidung traf es wohl eher. Sie riss die Fetzen aus seinem verbrannten Fleisch.

Er winselte vor Schmerzen. Dann tauchte er in die Kälte ein.

Es war wie ein Schock. Er wollte weg, zurück in die Wärme.

Doch dann wurde die Hitze auf seiner Haut immer weiter in sein Inneres gedrängt. Er konnte wieder atmen.
 

Sam fuhr ihm immer wieder mit dem Waschlappen über das glühende Gesicht.

„Es wird gleich besser. Halt noch ein bisschen durch. Bitte Dean. Dir geht’s gleich besser“, redete er beruhigend auf den Fiebernden ein.

Dean blinzelte. Aus dunklen Augen schaute er zu Sam.

„Hey, großer Bruder“ begrüßte er ihn leise. Deans Mund verzog sich zu einem Lächeln bevor seine Lider sich wieder schlossen.

Sam hob ihn aus der Wanne und wickelte ihn in ein Handtuch mit dem er ihn zurück in sein Bett legte.

So lange Du bei mir bist

Immer wieder versuchten sie ihm wenigstens etwas Flüssigkeit zukommen zu lassen, doch er sträubte sich. Nur Sams Nähe konnte ihn etwas beruhigen.
 

Das Erste, das in sein Bewusstsein drang, waren die Schmerzen in seinen Armen und Beinen. Er stöhnte und versuchte sich zu bewegen. Sofort scheuerten die Eisenringe an seinen Gelenken die eben verkrusteten Wunden wieder auf. Warm lief das Blut über seine Gelenke.

Wieder entrang sich seiner Kehle ein Stöhnen.

Er öffnete die Augen.

Vor sich sah er ein diffuses Glühen. War er in der Hölle? Die Hitze strahlte bis zu ihm. Er hatte das Gefühl, dass er mit dem Gesicht nach unten hing, doch er wusste, dass es hier kein Oben oder Unten gab.

Er schloss die Augen wieder. Er wollte nicht sehen, was um ihn herum geschah. Sie würden ihn früh genug aus seinen Gedanken reißen.
 

„Sam“, keuchte Dean rau.

„Ich bin hier Dean. Komm schon, schau mich an. Bitte!“, flehte der Jüngere und wusch ihm wieder den Schweiß vom Körper, „Du musst kämpfen Dean. Bitte. Halt durch!“
 

Sie schwebten um ihn herum. Immer wieder spürte er so etwas wie einen Luftzug im Gesicht. Er versuchte sich ruhig zu verhalten, vielleicht ließen sie sich täuschen. Vielleicht ließen sie noch eine Weile von ihm ab?

„Du kannst uns nicht täuschen, Winchester. Du hast uns wieder zurück in die Hölle geschickt. Du und dein Bruder. Du hast uns wieder in ein Gefängnis aus Blut und brechenden Knochen verbannt. Jetzt werden wir dir zeigen wie es hier ist“, hallten ihre Stimmen in seinem Kopf wider. Und dann rammten sie ihm glühende Haken in seine Schultern, stießen sie in seine Hüften. Sein Körper bäumte sich unter den Schmerzen auf. Er biss die Zähne zusammen, er wollte nicht schreien. Doch seiner Kehle entrang sich ein schmerzerfülltes Knurren.

Er zerrte an seinen Fesseln.

Plötzlich pressten sie scharfe Krallen in seine Schläfen. Er hatte das Gefühl sein Kopf würde bald platzen. Dann zwangen sie ihm die Kiefer auseinander und schütteten etwas in seinen Mund. Er wollte es wieder ausspucken doch sie schütteten immer weiter, und wenn er nicht ersticken wollte, musste er schlucken. Wie flüssiges Metall rann es seinen Hals hinunter.

Er winselte und zerrte verzweifelt an den Ketten.

„Du magst es nicht?“, fragte eine Stimme mit gespieltem Mitleid.

Er wimmerte vor Schmerzen.

Ein Nicken von der Gestalt vor ihm und Krallen pressten sich in seine Schultern, in seine Hüften und hinderten ihn an jeglicher Bewegung.

Ein heißer Schmerz schoss durch seinen Körper. Die Gestalt vor ihm, zu der die Stimme von eben gehörte, riss ihm den Bauch auf. Immer tiefer drang sie in seine Eingeweide und dann konnte er fühlen wie das heiße Metall aus der Wunde wieder heraus floss.

Noch einmal bäumte sich sein Körper gepeinigt auf, dann verlor er sich endlich in der erlösenden Dunkelheit.
 

„Sam“, begann Ruby, „ich will was probieren. Versuch Dean mal in den Arm zu nehmen, bei Dir beruhigt er sich vielleicht“, fügte sie schnell hinzu als dessen skeptischer Blick sie streifte.

„Setzt dich zu ihm, vielleicht können wir ihm so sogar etwas einflößen.“

Sam zuckte mit den Schultern, ein Versuch war es wert, und kletterte ins Bett. Er setzte sich ans Kopfende, nahm Dean zwischen seine Beine, legte ihn auf seinen Bauch und einen Arm sichernd um ihn.

Der Blonde entspannte sich tatsächlich und wurde ruhiger.

Ruby lächelte. Dann lief sie in die Küche um gleich darauf mit zwei Flaschen wieder zu kommen. In einer war Tee in der anderen Deans Milchpaps.

Sam strich mit dem Nuckel vorsichtig über Deans Lippen. Er war sich nicht sicher, ob er wirklich darauf reagieren würde. Er tat es. Zu Sams und Rubys großer Zufriedenheit begann Dean selig an seiner Pulle zu nuckeln.

Ruby konnte nicht anders. Sie zog ihr Handy und machte mehrere Fotos.

„Spielst du mir die auf den Laptop?“, fragte Sam und strich seinen Bruder sanft über die kratzige Wange. Sie nickte. Sam reichte ihr die leere Flasche: „Machst du noch eine?“
 

Die Sonne stand schon wieder hoch am Himmel und Sam hatte sich nach einer langwierigen Diskussion mit Bobby widerwillig auf das alte Sofa gelegt und wollte eine Weile ruhen, er hatte eh nicht damit gerechnet, schlafen zu können. Und dann, als Dean wieder von irgendeiner Bedrohung für Sam phantasierte, war der Jüngere ohne lange nachzudenken in Deans Bett geklettert. Er hatte seinen Bruder an sich gezogen und ihm immer wieder beruhigende Worte ins Ohr geflüstert. Dean beruhigte sich tatsächlich und Sam fühlte sich binnen kürzester Zeit wie in einer zu heiß eingestellten Sauna. Trotzdem zog er die Decke fester über Dean und dann wanderten seine Gedanken über zwanzig Jahre zurück, als er von Albträumen geplagt zu seinen großen Bruder ins Bett gekrochen war und sich so fest an ihn geschmiegt hatte, dass der wahrscheinlich kaum Luft bekommen hatte.

Diese Erinnerungen beruhigten ihn immer noch.
 

Die nächsten Tage verbrachte Sam mehr oder weniger in Deans Bett. Dann endlich war das Fieber so weit gesunken, dass die drei Pflegenden erleichtert durchatmeten.
 

Dean blinzelte müde. Er fühlte sich als hätte ihn eine Horde Rachegeister durch die Mangel gedreht.

„Hey!“, wurde er von seinem Bruder begrüßt.

„Was?“, krächzte er und war über seine Stimme erschrocken.

„Du hattest einen Rückfall mit um die 41 Fieber und hast phantasiert. Ich hab mir wahnsinnige Sorgen gemacht Dean.“

„Tut mir leid!“

„Hör auf dich zu entschuldigen. Du kannst ja nichts dafür, dass sie dir ein Stück OP-Tuch vermacht haben.“

Dean hatte gar nicht richtig zugehört: „Aber wenn ich den blöden Pakt nicht…“

„Wenn du den blöden Pakt nicht geschlossen hättest, wäre ich jetzt tot. Außerdem hättest du den Pakt nicht schließen müssen, wenn ich besser auf mich aufgepasst, das blöde Messer aufgehoben oder Jake getötet hätte“, knurrte der Jüngere.

„Es ist nicht deine Schuld, Sam!“

„Deine aber auch nicht!“

Dean sagte nichts mehr. Er hätte auf Sam aufpassen müssen. Und wenn er das getan hätte, hätte der Gelbäugige Sam nicht entführen können und dann… Er holte tief Luft und sah zu seinem Bruder auf.

„Komm, ich bring dich ins Bad.“

Der Blonde nickte. Er fühlte sich durchgeschwitzt und ekelig.

Sam hob seinen Bruder aus dem Bett und trug ihn ins Bad. Dort setzte er ihn auf den Toilettendeckel und zog ihm das T-Shirt über den Kopf.

Es erschreckte Dean zutiefst, dass er nur auf Grund von Sammys starken Armen überhaupt aufrecht sitzen blieb.

„Das wird schon wieder“, versuchte Sam ihn aufzumuntern, als er Deans missmutiges Gesicht sah. Und wieder nickte Dean nur. Seine Schwäche hatte ihn bis in die tiefsten Tiefen seiner Seele erschüttert. ER war doch der große Bruder. ER musste sich um Sam kümmern und nicht umgekehrt. So funktionierte die Welt nicht. Nicht seine Welt. Wenn Sammy ihm auch dass noch wegnahm, was hatte er denn dann noch?

Dann entfernte der Jüngere vorsichtig Pflaster und Mull und Dean vergaß sein Entsetzen über seine Schwäche.

Unterhalb seines Nabels, ein Stückchen weiter links war noch dicker Schorf zu sehen und der größte Teil seines Bauches leuchtete rosig.

„Schön sitzen bleiben!“, grinste Sam seinen Bruder an und ließ Wasser in die Wanne.

Atemlos tastete Dean über die neue Haut. Es würden wohl keine Narben bleiben und wenn das Rot verblasst sein würde, gäbe es keine sichtbaren Erinnerungen an seinen Pakt. Aber er hätte es nicht überleben dürfen. Wie war es möglich, dass er hier saß? Ein eiskalter Schauer rann über seinen Rücken. Was war er?

Sam war zufrieden mit den Wunden. Sie heilten gut, endlich. Selbst die Druckstellen auf Deans Hüfte und Rücken heilten dank Rubys Kräuterpaste.

Aus den Augenwinkeln beobachtete er seinen Bruder, wie der seinen Bauch abtastete. Er hätte ihm diese Kraft nicht zugetraut, genauso wenig wie er darauf gewettet hätte, dass der Blonde so lange aufrecht sitzen bleiben würde.

Er gab reichlich von Rubys Kräuterbadezusatz ins Wasser. Dann ließ ihn ein erschrockenes Quicken von Seiten Deans herumfahren, gerade rechtzeitig, um ihn aufzufangen.

Der Blonde hielt seinen Blick auf die Fliesen gerichtet. Scham brannte auf seinen Wangen und fraß an seinem Selbstbewusstsein, wenn er denn überhaupt noch welches hatte. Wozu war er denn eigentlich noch nütze? Er konnte ja nicht mal sitzen bleiben! Verdammt! Und Sammys beruhigendes „Das wird schon wieder!“ würde auch nicht helfen, selbst wenn er es noch tagelang wiederholte!

Sam ignoriert Deans Befindlichkeit und pellte ihn aus seinen Shorts. Schnell entfernte er noch die letzten Verbände und setzte seinen Bruder in die Wanne.

„Die Quietsche-Ente hat heute frei“, neckte er, „aber ich bin gleich wieder da!“ und wuschelte dem Blonden durch das, inzwischen für Deans Verhältnisse ziemlich lange, Haar und verschwand.

Nicht jedoch ohne die Tür sperrangelweit offen zu lassen, um Dean im Blick behalten zu können.

Er holte Bettwäsche aus dem Schrank und bezog Deans Bett neu, immer mit einem Auge auf seinem Bruder. Vielleicht hätte er sich besser auf eine Sache konzentrieren sollen, dann hätte er den Bezug nicht drei Mal neu zuknöpfen müssen.

Bobby schaute kurz ins Zimmer.

„Kannst du für Dean was zu essen fertig machen?“, bat der Jüngere und der Hausherr verschwand lachend. Natürlich hatte er Sams hausfrauliche Fehlversuche gesehen.
 

Dean biss die Zähne so fest zusammen, dass es knirschte. Seine Arme und Beine zitterten vor Anstrengung, doch er konnte nicht verhindern, dass er immer tiefer ins Wasser rutschte. Aber er würde lieber ertrinken, als schon wieder nach Hilfe zu rufen. Sein Kontingent an „Ich-schrei-um-Hilfe-Gutscheinen“ war mindestens für die nächsten fünf Jahre aufgebraucht.

Und dann versagten seine Kräfte und er rutschte unter Wasser.
 

Sam holte noch Handtücher und frische Sachen für seinen Bruder und kam gerade noch passend ins Bad zurück, um einen total geschwächten Dean vor dem Ertrinken zu retten.

Kaum hatte er ihn wieder über die Wasseroberfläche befördert, drehte Dean sein Gesicht zur Wand. Er war frustriert. Er fühlte sich gedemütigt. Sein Körper gehorchte ihm nicht und er musste wie ein Kleinkind umsorgt werden. Ihm war zum Heulen!

Sam fasste Deans Kinn und zwang ihn, ihn anzusehen. Deans Blick wurde leer.

„Dean, nach dieser langen Zeit wäre niemand in der Lage sich auch nur halbwegs zu bewegen und du bist schon besser als die meisten Menschen. Außerdem hast du einen Höllenhundangriff überlebt. Das hat soweit ich weiß auch noch niemand.“

„Wie lange?“ fragte er rau, ohne Sam dabei jedoch anzusehen.

„Fast elf Wochen.“

Die Augen des Blonden wurden groß und er fixierte Sam jetzt doch: „Wie? Ich dürfte nicht mehr leben!“

„Das willst du nicht wissen.“

Dean starrte in die Augen seines Bruders: „WIE!“

„Ruby hat sich geteilt. Ein Teil von ihr war in dir. Sie hat dafür gesorgt, dass du bis ins Krankenhaus überlebt hast.“

Wieder wurden die grünen Augen leer. Sam hatte recht gehabt. Das wollte er nicht wissen. Und plötzlich fiel ihm die beruhigende Stimme wieder ein, die auf ihn eingeredet hatte, als er intubiert gewesen war. Sie war es gewesen. Ruby! Ein Dämon hatte ihm das Leben gerettet. Und das nicht zum ersten Mal.

Das war zuviel für ihn. Dean zog sich so komplett in sich zurück, dass Sam mit ihm machen konnte, was er wollte. Dagegen wehren hätte er sich ja eh nicht gekonnt.

Sam schäumte ihm die Haare ein, spülte sie vorsichtig wieder aus. Dann war Deans Gesicht dran. Der Jüngere verteilte großzügig Rasierschaum und rasierte ihn dann mit langsamen, vorsichtigen Bewegungen. Selbst als er über Deans Hals und Kehle fuhr blieben dessen Augen halb geschlossen und blicklos. Sam wusste nicht ob er sich jetzt über dieses Vertrauen freuen oder über die Teilnahmslosigkeit entsetzt sein sollte. Er entschied sich spontan für das Erste.

Zu guter Letzt wusch Sam ihn noch und ließ dann das Wasser wieder aus der Wanne während er ihn abspülte.

„Du solltest aus der Wanne wieder raus“, sagte der Jüngere und zog Dean an sich, um ihn in das weiche, große Handtuch wickeln zu können. Sanft rubbelte er ihn trocken und versorgte danach die Wunden.

Endlich wieder in Shorts und T-Shirt verpackt lehnte Sam ihn an die Kissen, die er am Kopfteil seines Bettes aufgestapelt hatte.

Deans Wangen brannten vor Scham. Er wollte nur noch schlafen. Abtauchen in die Dunkelheit, die ihm Zuflucht versprach, Schutz und Vergessen.

Krankengymnastik

„Hey“, forderte der Dunkelhaarige und legte seine Hand auf Deans Arm. „Komm schon Dean! Noch nicht schlafen!“

„Bin müde“, schnaufte der Angesprochene.

„Du musst noch was essen“, erklärte der Jüngere und wie aufs Stichwort kam Bobby mit einem Tablett ins Zimmer.

„Hey“, grüßte er nur und stellte das Tablett aufs Bett. Dann ließ er die Jungs wieder allein.

Sam nahm die Schale und probierte den Inhalt vorsichtig, ob er nicht zu heiß wäre.

Deans Wangen brannten schon wieder. Er wollte protestieren, aber selbst dazu fühlte er sich zu schwach.

„Was ist das?“, fragte er leise.

„Es hilft dir wieder zu Kräften zu kommen“, wich Sam einer Antwort aus.

Sam verfütterte den kompletten Inhalt der Schale an seinen Bruder, der sich seufzend in sein Schicksal ergab.

Nachdem Dean auch noch den warmen Kakao im Magen hatte, zog Sam ihn in seine Arme, um ihn dann, als die zusätzlichen Kissen wieder neben ihm lagen, schon schlafend auf dem Bett auszustrecken. Er breitete die Decken über ihm aus und brachte das Tablett zurück in die Küche.

„Er schläft“, erklärte der jüngere Winchester überflüssigerweise. Denn Bobby wusste nur zu gut, dass Sam nie von Deans Seite gewichen wäre, wäre der noch wach.

Mit großen Augen schaute der jüngere Winchester auf das Gläschen: „Das hab ich an Dean verfüttert?“, fragte er entsetzt und drehte das Beweisstück in seinen Händen - Babybrei. Und um ganz genau zu sein Kalbsfleisch mit Reis und Möhren. Sam schluckte.

„Die sollten wir entsorgen, BEVOR Dean wieder laufen kann“, überlegte er laut und grinste schuldbewusst. Dann warf er das Glas in den Müll.

„Wie bist du denn auf die Idee gekommen?“, wollte er jetzt doch wissen

„Ruby und ich waren gestern einkaufen und haben ewig hin und her überlegt, was wir deinem Bruder geben können wenn er mal von der Flaschennahrung weg soll.“

Sam starrte Bobby immer noch ungläubig an.

„Du weist genau was wir alles versucht haben und dass er uns alles wieder ausgekotzt hat.“

„Ja, schon, aber auf Babygläschen wäre ich nie gekommen.“

„War die Fortsetzung zu den Fläschchen“, lachte der Ältere.
 

Dean verschlief den Rest des Tages und die Nacht unruhig, und Sam wollte nicht von seiner Seite weichen, also hatte er es sich mal wieder auf dem Sofa so bequem gemacht, wie es seine Körpergröße zuließ.
 

„Hey, was hältst du davon, wenn wir anfangen, aus dir wieder einen selbstständigen Menschen zu machen?“, stichelte Sam am nächsten Tag und sah sofort, dass er sich besser anders hätte ausdrücken sollen. Dean drehte den Kopf zur Seite und wurde rot. Knallrot.

Der Jüngere schluckte und beschloss die Empfindlichkeit seines Bruders zu ignorieren. Sonst würden sie wohl Weihnachten noch hier sitzen, oder in Deans Fall liegen. Er schlug dessen Decke zurück und griff sich ein Bein und begann damit die Muskeln zu dehnen, die Fußspitze in Richtung Nase zu drücken.

Dean schnappte nach Luft als der Schmerz durch sein Bein jagte. Verdammt tat das weh!

„Ich dachte ich darf hier raus!“, konnte sich der Blonde trotzdem nicht zurückhalten.

„Dean, du kannst dich kaum bewegen!“

Der Blonde zog eine Schmollschnute und starrte beleidigt zur Decke.

„Okay!“, Sam seufzte. „Wenn du stehen kannst, darfst du hier raus, wenn nicht, machen wir es so wie ich es sage!“ Er trat neben das Bett und hob seinen Bruder heraus. Ihn sicher in seinen Armen haltend stellte er ihn auf die Füße. Sofort gaben Deans Beine nach und das erschrockene Japsen ließ Sam ihn schnell an sich ziehen.
 

Dean vergrub sein Gesicht an Sams Schulter und versuchte ruhig zu atmen. Ihm war schlecht, alles drehte sich und sein Essen hatte beschlossen seinen Körper sofort verlassen zu wollen. Er zitterte.

Sam hielt ihn noch eine Weile fest, dann legte er ihn wieder ins Bett.

„Also doch auf meine Art?“, konnte er sich nicht verkneifen zu fragen.

Dean nickte nur und starrte zur Decke während Sam sein Internetwissen in die Praxis umsetzte.

Der Blonde biss die Zähne zusammen und sagte kein Wort, doch ein Blick in seine nass glänzenden Augen verriet, wie groß seine Schmerzen dabei waren. Sam jedoch freute sich viel zu sehr darüber endlich mehr tun zu können, als nur Händchen zu halten, und war zu sehr darauf bedacht, dass er alles richtig machte. Deshalb vergaß er vollkommen auf Deans Reaktionen zu achten.

„Wenn’s knackt, hast du ihm was gebrochen.“

Sam zuckte zusammen, drückte erschrocken noch fester gegen Deans Ballen und starrte Ruby mit großen Augen an. Erst als der Blonde schmerzerfüllt keuchte ließ Sam ihn los.

„Tut mir leid“, stammelte er verlegen.

Dean knurrte und holte wieder Luft. Er hatte, als Sam den Druck noch mehr erhöht hatte, automatisch die Luft angehalten.

„Du könntest mal schauen, ob du was findest, womit Dean auch selbstständig arbeiten kann. Ich mach hier weiter“, schlug sie vor und Sam nickte und ging.

„Willst du 'ne Pause?“, fragte sie leise als sie in Deans Augen schaute. Der schüttelte den Kopf. Er wollte hier so schnell wie möglich wieder raus. Was waren da schon ein paar Schmerzen mehr?

Sie setzte sich neben ihn und begann seine Arme zu bearbeiten.

„Kann ich dich was fragen?“, begann sie leise und schaute ihm in die Augen.

Dean nickte.

„Im Krankenhaus, als du wach warst. Hast du mich erkannt?“

Wieder nickte der Blonde nur.

„Du kannst mich auch jetzt noch sehen. Mich als Dämon? Dieses hässlich schwaze ... Ding, das ich bin?“

Ruby fühlte sich unter den grünen, wissenden Augen fast nackt.

„Es tut mir leid“, sagte sie leise als Dean erneut nickte.

„Ich kann damit leben“, antwortete er.
 

„Warum?“, fragte Dean leise in die Stille hinein, die sich im Raum ausgebreitet hatte.

„Was warum?“, stellte Ruby sich unwissend.

„Warum hast du mich gerettet?“

„Sam braucht dich. Und außerdem bin ich der Meinung, niemand sollte das ertragen müssen, was dich in der Hölle erwartet hätte. Schon gar nicht freiwillig und nur weil du Menschen retten wolltest“, sagte sie leise und bearbeitete dann schweigend seinen Arm.

Die Stille in dem Raum wurde fast greifbar.

„Ich war eine Heilerin, zu meiner Zeit“, erzählte sie plötzlich, „Das war Anfang des 14. Jahrhunderts.“ Ruby lächelte verlegen.

Dean hatte eigentlich nicht mehr mit einer weiterführenden Erklärung gerechnet, jetzt schaute er sie aus großen Augen an und grinste: „Du siehst echt gut aus für dein Alter! So rein äußerlich, meine ich.“

„Ich habe versucht meine Familie zu retten. Die Reste meiner Familie“, lächelte sie, als sie in seinem Gesicht sah, dass er die Parallelen zu sich und seiner Lage erkannte. „Wir hatten die Pest im Dorf. Ich habe versucht Gutes zu bewirken. Aber Hass und Missgunst schürten überall die Angst. Und die schlug in Wut um. Ich habe einen Teil meiner Familie vor der Krankheit retten können, mit der Hilfe eines Paktes, von dem ich nicht mal wusste, dass es einer war, vor der Wut des Mobs konnte ich sie nicht retten. Sie wurden vor meinen Augen geschlagen und bei lebendigem Leibe verbrannt. Ich hab Rache geschworen, als sie das Holz um meine Füße aufgestapelt haben. Ich wollte es ihnen zehnfach zurückzahlen!“ Sie atmete tief durch bevor sie fortfuhr: „Ich bin in der Hölle gelandet und die Schmerzen, die Folter, die Demütigungen, die ich dort erdulden musste, waren fast unerträglich.

Und du? Du hast den Pakt geschlossen, um Sam wieder zu kriegen. Aber du hast auch so viele Dämonen in die Hölle zurück geschickt. Für dich wäre es noch unendlich viel schlimmer geworden, und sie hätten dich trotzdem zu einem der Ihren gemacht. Du hättest ihnen vielleicht länger widerstehen können als alle Anderen, aber zum Schluss hätten sie dich gebrochen. Du wärst ein Dämon geworden und sie hätten dich auf Sam gehetzt.“

„Aber du hast gesagt, dass es Jahrhunderte dauert, bis aus einem Menschen ein Dämon wird.“

„Jahrhunderte in der Hölle sind ein paar Jahre hier.“ Sie hatte sich inzwischen Deans anderen Arm vorgenommen.

Dean keuchte erschrocken bei der Information, die erst jetzt wirklich zu ihm durchdrang. Darüber hatte er sich nie Gedanken gemacht.

„Hast du deine Rache bekommen?“

„Nein. Ich konnte erst aus der Hölle fliehen als das Höllentor geöffnet worden war.“
 

Wieder legte sich das Schweigen über das Zimmer. Dean blinzelte immer häufiger. Sie lächelte.

Dann fasste sie ihn unter den Armen und richtete ihn auf.

„Du hast für jetzt genug gelitten“, stellte sie fest und zog ihm sein Shirt über den Kopf, seinen perplexen Blick bewusst ignorierend. Sie schob die Kissen zur Seite und drehte ihn auf den Bauch.

„Was?“, wollte er verdutzt wissen.

„Genieße es einfach!“

Diese Aussage half ihm auch nicht weiter.

Sie entfernte die Verbände, verteilte ein entspannend wirkendes Öl auf seinem Rücken und begann ihn zu massieren.

Dean brummelte zufrieden, entspannte sich und war bald darauf eingeschlafen.

Ruby lächelte und ließ ihre Hände über seine Hüften und dann wieder zu seinen Schultern gleiten und fand auch den kleinsten Knoten in seinen Muskeln.
 

Sam kam wieder ins Zimmer.

„Was?“, fragte er mit großen Augen.

„Er hat sich eine Erholung verdient. Du warst ziemlich brutal mit ihm, vorhin.“

„War ich?!“

„Ja, und bevor du anfängst zu meckern, ich weiß, er hat sich nicht beschwert.“

Sam zuckte mit den Schultern und die Dämonin beendete ihre Arbeit. Dann trug sie die Kräuterpaste dick auf die heilenden Wunden auf und half Sam, der sich abmühte, seinem Bruder das Shirt wieder überzuziehen.

„Was wird das?“, wollte sie wissen und deutete auf das Seil neben Sams Füßen. Sie hatten den Blonden wieder ordnungsgemäß verpackt und ließen ihn vorsichtig in die Kissen gleiten. Dean wachte nicht auf.

„Das wollte ich am Fußende festbinden und oben eine Schlinge reinmachen. Dann kann er sich selber in eine aufrechte Position ziehen“, erklärte er ihr.

„Wir könnten ihm noch zwei Wasserflaschen ins Bett packen, als Ersatzhanteln“, nickte sie.
 

Wenn Dean später diese Woche seines Lebens mit wenigen Worten hätte beschreiben sollen, dann wären ihm wohl nur solche wie Schmerzen und Frustration eingefallen. Sam und Ruby wechselten sich mit den Dehnübungen ab, und er selbst hatte die Hanteln und das Seil.

Es wurde jeden Tag besser, aber Dean ging es zu langsam. Er hasste sich dafür. Er hasste seinen Körper dafür, und so zog er sich immer weiter in sich zurück. Er ließ alles über sich ergehen, was nur die Aussicht auf Besserung bot.

Sam stellte ihn jeden Tag auf seine Füße und Dean sackte jeden Tag in sich zusammen. Selbst als er sich für ein paar Sekunden auf eigenen Beinen halten konnte, kippte er fast sofort gegen Sam weil sein Kreislauf immer noch streikte und sich alles um ihn herum drehte. Dabei saß er jetzt schon stundenweise im Bett.
 

Außerdem hatte Sam sich angewöhnt Dean, nachmittags mit nach unten zu nehmen und ihn für eine Weile in den Schaukelstuhl auf der Veranda zu setzen. Und der genoss die Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht, genauso wie er es genoss, abends mit den Anderen im Wohnzimmer vor dem Fernseher zu sitzen und ein Bier zu trinken, auch wenn er beim Film meistens einschlief und Sam ihn wieder nach oben tragen musste. Aber das hätte er eh tun müssen.
 

Die Idee mit der Schlinge hatte Dean mit voller Begeisterung angenommen, mit zu viel Begeisterung wie Sam fand, der daraufhin das Teil wenigstens nachts außerhalb von Deans Reichweite lagerte, nachdem er die fast blutig gescheuerten Hände seines Bruders zu Gesicht bekommen hatte.
 

Am Ende der Woche schaffte es Dean, zum Erstaunen aller, und zu seiner eigenen Frustration - er hatte mehr gewollt -, auf eigenen Füßen zu stehen und zwei oder drei Schritte zu laufen. Er konnte sich selbstständig im Bett drehen und hinsetzen und essen funktionierte auch schon wieder alleine.

Seine Betreuer waren zu Kartoffelbrei und Geflügel, wahlweise auch Fisch und Reis übergegangen.
 

Eine neue Woche begann und die beiden Jäger und Ruby saßen gemütlich in der Küche und frühstückten. Sam belegte ein paar Bagels für seinen Bruder, den er noch schlafend in seinem Bett wusste.

Plötzlich polterte es über ihnen.

Sam sprang von seinem Stuhl auf und knallte beim Losrennen mit dem Knie gegen das Tischbein, so dass die Tassen auf dem Tisch klirrten und ihr Inhalt bedenklich nah an den Rand schwappte. Er rieb sich kurz über die schmerzende Stelle, hinkte die Treppe hoch und sah seinen Bruder hilflos im Flur zwischen seinem Zimmer und dem Bad liegen.

„Verdammt Dean! Du sollst Bescheid sagen, wenn du was brauchst“, fauchte er. So langsam raubte ihm sein Bruder den letzten Nerv.

Dean verdrehte die Augen und schaute dann trotzig zu Sam. Der holte tief Luft und half dem Blonden ins Bad. Nachdem er ihn wieder ins Bett gepackt hatte holte er ihm sein Frühstück.

Erste Schritte

„Was hältst du von einer Runde ums Haus wenn du dein Frühstück aufgegessen hast?“, fragte Ruby und reichte ihm noch eine Tasse Kaffee. Dean strahlte und Sam knurrte unzufrieden und zog Ruby mit sich auf den Gang.

„Was soll das? Du verwöhnst ihn ja regelrecht!“, knurrte er sie an.

„Ich will dich einfach etwas entlasten, Sam. Ihr seid so voneinander anhängig. Das muss ja zu Reibereien führen.“

„Willst du was von ihm?“

„Sam, dein Bruder würde nie etwas mit mir anfangen, selbst wenn er mich anziehend finden würde. Er weiß was ich bin“, fügte sie noch schnell hinzu.
 

Während Ruby Dean nach unten half, ihn mehr trug, als dass er lief, räumte Sam das Geschirr weg und reagierte sich in seine freie Zeit damit ab, indem er im Internet surfte.

Sie stellte ihn am Fuß der Treppe auf seine eigenen Füße und legte den Kopf schief.

„Willst du ums Haus oder erstmal nur bis zum nächsten Auto?“ Aufmerksam musterte sie ihn.

Im Gegensatz zu Sam wusste sie, was Dean so verstörte. Aber solange es die Beiden nicht schafften miteinander zu reden, wollte sie sich auch nicht in deren Angelegenheiten mischen.

Der Blonde hatte bei ihrem zweiten Vorschlag leicht den Kopf geschüttelt und so stellte sie sich ihm gegenüber und begann rückwärts zu gehen. Ihre Arme zu Dean ausgestreckt, damit sie ihn auffangen könnte, sobald er strauchelte.

Langsam, Schritt für Schritt, folgte er ihr.

An jeder Ecke machten sie Halt und Ruby ließ ihn ausruhen. Sie drängte ihn zu nichts. Sie hatte das Warten gelernt. Und Dean war ihr dankbar dafür. Er konnte Sams Unruhe verstehen und er würde genauso ausrasten, wenn Sam nicht mit ihm reden würde, aber er konnte einfach nichts sagen, er wusste nicht wie. Wie sollte er erklären wie er sich fühlte? Wie sollte er Sam begreiflich machen, dass er sich so hilflos fühlte wie noch nie in seinem Leben? Das konnte er nicht! Ein Dean Winchester war nicht hilflos! Und erst recht nicht seinem kleiner Bruder gegenüber, für den er sein Leben lang der Starke war.
 

Ruby staunte immer wieder über Deans Willen und über seine Sturheit, mit der er bis an seine Grenzen ging und darüber hinaus.

Und schon stieß er sich wieder von der Wand ab. Sie half ihm auf und dann gingen sie weiter.

Die letzten Schritte stolperte Dean mehr, als dass er lief, aber er schlug ihre Hände immer wieder beiseite, wenn sie ihn halten wollte. Erst vor der Treppe ließ er sich in ihre Arme fallen.

Er zitterte und keuchte, sein Kreislauf streikte und ihm war schlecht.

Besorgt schaute sie in sein blasses Gesicht. Eine dünne Schweißschicht bedeckte seinen Körper.

„Willst du rein?“, wollte sie wissen, doch er schüttelte den Kopf. Sie trug ihn die Stufen zur Veranda hinauf und setzte ihn in den Stuhl. Dann holte sie ihm eine Decke und wickelte ihn darin ein. Es wäre nicht auszudenken, wenn er sich jetzt noch eine Erkältung einfangen würde.

„Lass mir etwas Zeit. Dann will ich's noch mal versuchen.“

Ruby nickte lächelnd und sobald sie außer Sichtweite war schüttelte sie den Kopf.

Sie holte ihm einen Kaffee, doch den musste sie selbst trinken, Dean war vor Erschöpfung eingeschlafen.
 

Sie ging zurück ins Haus zu Sam.

„Wonach suchst du?“, wollte sie wissen.

„Eigentlich surfe ich sinnlos durchs Netz. Ich hab die Polizeirechner abgesucht. Nachdem Elliott uns so vehement verfolgt hat, wollte ich wissen, ob etwas gegen uns eingeleitet wurde, aber ich konnte nichts finden. Ich denke wir sind raus aus der Sache. Und ... Es waren unbegründete Verdächtigungen und Elliott hat eine Abmahnung bekommen.“ Sam grinste sie an. „Gomez hat wohl die Aussage von Dr. Bagley bestätigt, dass Elliott uns ständig belästigt hat.“

„Gut“, nickte die Dämonin.

„Trotzdem wäre ich froh, wenn wir wieder auf der Straße wären.“

„Dean tut was er kann, eher mehr als er kann.“

Sam nickte: „Ich weiß. Aber trotzdem dauert es ewig.“

„Besser länger als wenn er dir noch mal zusammenklappt, weil er zuviel will.“

Sam schaute sie erschrocken an. Aber sie hatte Recht. Wenn Dean jetzt einen Rückfall kriegen würde, wäre er gar nicht mehr zu ertragen.

Er wandte sich wieder seinem Laptop zu und Ruby brachte die Tasse weg, um dann nach draußen zu gehen. Vorher setzte sie noch schnell eine neue Kanne Kaffee auf.

Bobby bastelte immer noch an einem Auto. Ruby konnte ihn sehen, als sie kurz aus dem Küchenfenster schaute.

Dean hatte schon, als sie bei ihrer vorherigen Runde an der Veranda Halt gemacht hatten, sehnsüchtig zu ihm hinüber geschaut. Sie ahnte, dass er dieses Mal zu dem Jäger wollte.
 

„Hey!“, grüßte Ruby lächelnd. Dean blinzelte sie an. Dann schob er die Decke zu Boden und stemmte sich hoch.

„Willst du wirklich schon wieder los?“

Er schaute sie aus großen, grünen Augen an und sie konnte die Entschlossenheit darin lesen. Sie nickte.

Wackelig stakste er bis zur Treppe und blieb davor stehen. Die Dinger machten ihm regelrecht Angst. Wortlos kam die Dämonin auf ihn zu und trug ihn die Stufen hinab. Unten angekommen stellte sie ihn wieder auf die eigenen Füße und sah sich erneut einem durchdringenden Blick ausgeliefert.

„Was?“, wollte sie wissen.

Doch er schüttelte nur den Kopf. Wieso fiel es ihm so leicht ihre Hilfe anzunehmen und wieso konnte er es von Sam nicht?

Er kannte die Antwort und wollte sie doch nicht wissen. Es war einfach unmöglich, dass er sich von Sam so helfen ließ! Völlig unmöglich.
 

Diesmal lief Ruby hinter ihm her. Wenn er nicht mehr konnte, brauchte er sich einfach nur fallen zu lassen. Sie würde ihn halten.

Er umrundete das Haus fast zur Hälfte, dann blieb er schwer atmend, an die Holzvertäfelung gelehnt, stehen. Wieder ging sein Blick zu Bobby, der halb im Motorraum eines Fords hing.

Ruby sah das Blitzen in seinen Augen und schon löste er sich von der Wand und tabste auf Bobby zu.

„Hey. Willst du mitmachen?“, fragte der Ältere als Dean neben ihm ankam und Ruby schüttelte hinter ihm entsetzt den Kopf.

„Was hat er?“, wollte der Blonde wissen.

„Zündung oder Einspritzung“, erklärte Bobby, „könntest du ihn mal starten und langsam Gas geben?“

Ruby atmete erleichtert aus und verdrehte die Augen, während Dean sich, am Auto festhaltend, zur Fahrertür bewegte und erleichtert in die Polster plumpste.

„Du kannst ihn doch hier nicht wirklich mitmachen lassen!“, grummelte sie, als der Motor vor ihnen aufheulte.

„Ich bin hier fast fertig und ihm tut es gut, wenn er wenigstens das Gefühl haben kann gebraucht zu werden.“

Sie zuckte mit den Schultern und nickte dann zustimmend. Bobby hatte ja Recht. Der Blonde strahlte förmlich über alle vier Backen.
 

Der Ältere drehte noch ein wenig an der Zündung. Dann schaltete Dean den Wagen aus. „Klingt für mich okay“, sagte er als er wieder vor der Motorhaube stand. Bobby nickte: „Danke!“
 

Der Blonde löste sich vom Wagen und ging langsam wieder in Richtung Haus.

„Überfordere ihn nicht!“, hielt Bobby sie zurück. Ihr gequältes Lächeln sprach Bände.
 

Ohne eine weitere Pause schaffte Dean es um’s Haus. Vor der Treppe ließ er sich dann aber zitternd in ihre Arme sinken. Er war blass. Die Haare klebten ihm an der Stirn.

„Es reicht“, sagte sie und zu ihrer Überraschung nickte er zustimmend.

Sie hob ihn in ihre Arme und trug ihn ins Haus. Müde ließ er den Kopf auf seine Brust sinken.

„Mein Gott, Dean! Was ist?“, fragte Sam erschrocken.

„Er ist nur müde“, beruhigte Ruby schnell und Dean hob den Kopf ein wenig und blinzelte Sam an.

Sofort nahm er ihr Dean ab und der Blonde kuschelte sich vertrauensvoll an Sams Schulter. Der Jüngere lächelte. Sein Bruder musste wirklich am Ende sein. Bei vollem Bewusstsein würde er sich diese Blöße nie geben.

„Lässt du Wasser ein“, bat er Ruby und sie lief voraus.
 

Er schälte Dean aus seiner Kleidung und setzte ihn in die Wanne.

Sofort begann der sich zu waschen. Er schäumte sich die Haare ein, tauchte ein paar Mal unter, um den Schaum wieder los zu werden und war froh, dass er beim letzten Mal wieder auftauchte. Seine Beine streikten zitternd.

Sam hob ihn aus der Wanne, rubbelte ihn trocken und half ihm in frische Sachen. Dann trug er ihn ins Bett.

Dean schaffte es noch sich auf den Bauch zu wühlen bevor er tief und fest eingeschlafen war. Sam schüttelte lächelnd den Kopf und deckte ihn zu.
 

Dean schlief und die drei Anderen hatten es sich vor dem Fernseher gemütlich gemacht. Die Sonne versank bereits wieder am Horizont. Sam hatte noch den halben Nachmittag das Internet durchkämmt aber kaum übernatürliche Aktivitäten gefunden. Jetzt schaute er mit den Anderen fern. Sie hatten sich auf einen Krimi geeinigt.
 

Dean knurrte immer wieder schmerzerfüllt, keuchte und warf sich unruhig von einer Seite auf die andere. Immer wieder zuckte er zusammen.

„SAMMY!“ Mit einem erstickten Aufschrei wachte er auf.

Verwirrt blinzelte er und sah sich um. Er saß in seinem Bett bei Bobby!

Erleichtert ließ er sich wieder fallen und versuchte bewusst ruhig ein und aus zu atmen. Doch die Angst fraß sich immer tiefer in sein Inneres.

Er versuchte sich zu erinnern, was er geträumt hatte, aber da war nichts. Leere. Nur diese Angst um Sam wurde immer größer.

Dean hielt es im Bett nicht mehr aus. Er wühlte sich aus den Decken und stand auf. Mit wackeligen Knien angelte er nach seiner Jeans und ließ sich erleichtert auf sein Bett fallen,um sie sich anzuziehen.

Dann stolperte er so schnell er konnte zur Treppe. Verdammt! Das Teil war er seit seinem Fast-Tod nicht mehr alleine herunter gegangen.

Wie ein gähnender Abgrund lauerte sie auf ihn.
 

Verdammt noch mal! Er hatte sich heute Vormittag ja noch nicht mal die vier Stufen von der Veranda getraut und da war Ruby neben ihm gewesen.

Und jetzt?

Er konnte hier oben stehen bleiben und wie ein verängstigtes Kleinkind um Hilfe schreien.

'Klar! Ein Dean Winchester brüllt verängstigt um Hilfe.

Ein Dean Winchester hat keine Angst. Schon gar nicht vor einer Treppe von der er genau sagen konnte wie und wo welche Stufe knarrte und welche nicht!'

Er gab sich einen Ruck und seine Hände krampften sich um die Geländer.

Vorsichtig Stufe für Stufe tastete er sich hinunter.

Schweiß lief ihm in die Augen und reizte sie zu Tränen.

Stolz kam in ihm auf, als er die Hälfte geschafft hatte

Und dann geschah es.

Vier Stufen vor Schluss.

Seine Knie gaben nach und er polterte nach unten.

Verdutzt landete er auf seinem Hinterteil.
 

Kaum war das Poltern verklungen, stürzte Sam auch schon aus dem Zimmer. Ruby und Bobby folgten.

„Dean!“, keuchte er entsetzt, als er seinen Bruder am Fuß der Treppe sitzen sah und war mit zwei Schritten bei ihm.

Er zog ihn hoch und packte ihn fest bei den Schultern.

„Was hast du dir dabei gedacht? Kannst du nicht rufen wenn du was brauchst?“, brüllte er seinen Bruder an und bedauerte es sofort als der erschrocken zusammenzuckte. Die Sorge um Dean hatte ihn lauter werden lassen, als er es gewollt hatte.

„Sammy“, krächzte der Blonde, und der Angesprochene hörte die Angst in Deans Stimme. Und als Dean dann den Kopf hob und ihm in die Augen schaute, sah Sam dass sein Bruder Angst um ihn hatte, nicht um sich selbst. Groß und dunkel waren Deans Augen.

„Dean, was ist?“, hakte er sanft nach. Der Blonde konnte aber nur den Kopf schütteln. Wie sollte er erklären, dass ihn ein irrwitziges Gefühl aus dem Bett und auf die Suche nach Sam getrieben hatte?

Sam schien den Widerstreit in Deans Gesicht lesen zu können. Er zog den Blonden an sich und hielt ihn fest.

Dean legte seinen Kopf an Sams Schulter und vergrub sein Gesicht in dessen Halsbeuge.

Endlich schien sich der Knoten in seinem Inneren aufzulösen.
 

Der jüngere Winchester spürte das Zittern und hielt ihn einfach nur fest. Was hatte den Blonden nur so leichtsinnig werden lassen? Obwohl leichtsinnig war er eigentlich immer. Nein, leichtsinnig war das falsche Wort. Dean kannte die Gefahren sehr genau, aber er stürmte trotzdem oft genug mit fliegenden Fahnen drauf los.
 

„Willst du ein Bier?“, fragte Sam, als sein Bruder ruhiger wurde. Der nickte dankbar und ließ sich widerstandslos zum Sessel schieben.

Die Anderen schauten ihm fragend hinterher, dann zuckten sie mit den Schultern. Dean würde reden wenn er das für richtig hielt. Und bis dahin hatte fragen keinen Sinn.
 

Natürlich redete Dean nicht über seinen Traum. Genauso wenig wie er über die anderen Träume sprach, die diesem folgten und in denen er durch sein Unvermögen Sam auf jede mögliche und unmögliche Art und Weise verlor.

Dean wurde noch verschlossener, wenn das denn überhaupt noch ging, und arbeitete noch verbissener, um wieder zu der Form zurück zu finden, die er vor der Höllenhund-Attacke hatte.

Die Drei schüttelten immer wieder nur den Kopf, doch jeder Versuch Dean dazu zu bringen, es etwas ruhiger angehen zu lassen, wurde mit einem Blick beantwortet, in dem so viel Trauer und ein Flehen um Hilfe lag, dass sie ihre Versuche nicht zu Ende führen wollten.

Sie konnten nicht verstehen was in Dean vorging, aber sie sahen, dass seine Hilflosigkeit ihn bald auffressen würde.

Alleingang

Zwei Wochen nachdem Dean die letzte Fieberattacke überstanden hatte wollte er zu seinem ersten Alleingang aufbrechen. Er hatte den kleinen Wald, etwa eine Meile hinter Bobbys Schrottplatz, im Sinn.

Nach dem Frühstück lief er los. Er sagte keinem, dass er weg wollte, geschweige denn wohin. Sie würden sich bemüßigt fühlen, ihn zu begleiten und das sollte nicht sein. Er wollte nicht, dass sie sahen wie schwach er noch war, wie wackelig auf den Beinen oder wie wenig Kondition er hatte. Ruby hatte ihm geholfen. Sie hatte ihm das Laufen wieder beigebracht und das fast wörtlich. Denn wenn er nur mit Sam geübt hätte, würde er immer noch auf allen Vieren krabbeln. Und jetzt wollte er endlich seinen ersten Alleingang starten. Sam würde ihn erschlagen, das wusste er. Erst erschlagen und dann in Watte packen. Dean begann bei der Vorstellung breit zu grinsen. Nein, Sam durfte nichts davon wissen. ER war der große Bruder und ER musste bereit sein, musste seinen kleinen Sammy schützen.

Er marschierte los.

Schnell wurde er langsamer.

Dean grinste als ihn das paradoxe an diesem Gedanken bewusst wurde.

Immer schwerfälliger wurden seine Schritte, und als er endlich den Waldrand erreicht hatte, keuchte er und der Schweiß rann ihm den Rücken herunter und in die Augen.

Noch zwei, drei Schritte in den Wald, dann sank er auf die Knie. Er stützte sich mit seinen Händen ab, doch die Arme konnten ihn nicht halten. Er kippte nach vorn. Keuchend ließ er sich zur Seite fallen. Kaum lag er auf dem weichen Moos, da war er auch schon eingeschlafen.
 

Ruby und Bobby saßen hinter dem Haus und machten die letzten der geplanten 169 Patronen. Zum ersten Mal seit Tagen hatten sie auch die Zeit dafür, denn Bobby war mit seinen Reparaturen fertig.

So saßen Jäger und Dämon friedlich beieinander und fertigen die Geschosse, die für alles und jeden tödlich sein sollten.
 

Sam kam vom Einkaufen wieder. Er trug die ersten Tüten ins Haus.

„Dean!“, brüllte er die Treppe hoch, „Du könntest mal helfen kommen!“

Als er mit den nächsten Tüten ins Haus kam war von oben immer noch keine Reaktion gekommen. Er lief die Treppe hoch und riss die Tür auf.

„Dean!“, brüllte er in das leere Zimmer. Verdutzt schaute er sich um.

In seine Verärgerung mischte sich Besorgnis. Er schaute im Bad nach und rannte dann wieder nach unten, aber auch dort war keine Spur von Dean zu sehen.

Sam stolperte nach draußen.

„Wo ist er?“, fragte er atemlos.

„Keine Ahnung.“ Bobby zuckte mit den Schultern.

„Verdammt! Ich könnt ihn doch nicht einfach so alleine lassen!“

„Warum nicht, Sam. Er ist erwachsen“, konterte Ruby.

„Was, wenn ihm was passiert? Er ist noch nicht wieder fit!“, wetterte Sam und zog sein Handy aus der Tasche. Er wählte Deans Nummer und konnte hören wie im Haus „Smoke on the water“ ertönte. Fluchend steckte er sein Telefon wieder weg und drehte eine Runde über den Schrottplatz. Aber er konnte Dean nirgends finden. Immer noch wütend und doch auch verunsichert räumte er die letzten Einkäufe weg. Dann half er bei den Patronen, obwohl er absolut nicht bei der Sache war – immer wieder schweiften seine Blicke, auf der Suche nach einem Lebenszeichen von Dean, über den Schrottplatz.

Bobby beobachtete seine beiden Helfer und versteckte das Grinsen, das immer stärker auf seinen Gesicht breit machen wollte, hinter seiner stoischen Ruhe. Ein Dämon, der half die einzige Waffe, die ihn töten konnte, mit Munition zu versorgen und ein Jäger, der sich immer wieder sagen lassen musste, wie er es richtig zu machen hatte. Bobby hatte den Dolch, den Ruby bei sich trug jetzt einfach mal ausgeklammert, da sie sich von dieser Waffe wohl nicht mehr trennen würde.

Ruby schob Sam jetzt endgültig zur Seite.

Bobby schüttelte den Kopf, stand auf und ging ins Haus. Er machte sich daran Essen zu kochen.
 

Das Essen kam gerade auf den Tisch als Dean zurückkam und fertig und verschwitzt in der Tür stand.

Wenigstens auf sein Gespür für Essen konnte man sich verlassen.

„Verdammt Dean! Sag das nächste Mal wo du hingehst. Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht!“, blaffte Sam den Blonden an und bekam natürlich keine Antwort. Keine gesprochene.
 

Dean musterte seinen Bruder mit diesem besorgten, müden Blick, mit dem er Sam in den letzten Tagen immer beobachtet hatte. So langsam wurde das dem Jüngeren unheimlich.

Der ältere Winchester ließ sich auf einen Stuhl fallen, aß etwas und verschwand dann nach oben, duschte und kroch wieder ins Bett. Er hoffte auf traumlosen Schlaf, aber selbst wenn ihn die Albträume wieder heimsuchen sollten, so schienen sie in der Helligkeit des Tages weniger schlimm zu sein.
 

Bobby räumte mit einem Kopfschütteln Deans halbvollen Teller weg. Besorgt starrte er darauf.

Der Junge aß zu wenig und schlief zu wenig, und wenn sie nicht verdammt aufpassten, würde er ihnen wieder umkippen. So langsam ging auch ihm Deans Schweigen auf die Nerven aber er konnte es akzeptieren. Er musste es akzeptieren, da Dean auf keinen Fall reden würde, wenn man ihn bedrängte.
 

Wieder erwachte Dean keuchend.

Diesmal war Sam nur erschossen worden.

Müde rieb er sich über die Augen. So langsam sollten diese Träume doch ihren Schrecken verloren haben, so oft wie der das jetzt schon geträumt hatte.

Er stand auf, schaufelte sich einige Hände kaltes Wasser ins Gesicht und ging nach unten.

Sam nervte das Internet, Ruby war nirgends zu sehen und Bobby schraubte an einem Buick, das hatte

'War der nicht mit allen Reparaturen fertig?' Dean gesellte sich zu ihm.

Schweigend arbeiteten die Männer.

Etwas später tauchte die Dämonin auch draußen auf und Dean ging zu ihr und fragte leise: „Trainierst du mit mir?“

„Was ist mit Sam?“

Dean schüttelte traurig den Kopf. Der fasste ihn mit Samthandschuhen an. Das würde nie etwas werden.

Ruby nickte. Es hatte schon seine Vorteile ein Dämon zu sein. Die Gedankenleserei war nur ein Teil davon.

So lieferten sie sich einen leichten Schlagabtausch, einfach um zu testen, wie weit Dean schon gehen konnte. Und wieder einmal war Ruby erschrocken, wie schwach der Blonde noch immer war. Schließlich kannte sie ihn von einigen Kämpfen nur zu gut.
 

Am nächsten Morgen machte sich Dean wieder auf den Weg zu dem kleinen Wäldchen. Gleich hinter dem Schrottplatz verfiel er in einen leichten Trab und war doch sehr zufrieden mit sich, als er dieses Tempo bis zum Wald durchhalten konnte. Er ließ sich an einen Baumstamm gelehnt langsam zu Boden gleiten und überlegte wie es jetzt weiter gehen sollte. Er kam nicht sehr weit, bis er wieder eingeschlafen war.

Wieder träumte er von Sam und auch wenn er diesmal aufwachte, ohne Sam sterben gesehen zu haben, so schnürte es ihm schon wieder die Luft ab. Seine Gedanken wanderten wieder zu seinem kleinen Bruder. Es rammte ihm immer wieder eine Faust in den Magen, wenn er Sammys vorwurfsvolle Blicke sah. Die Angst und die Sorgen in dessen Augen, und doch konnte er es ihm nicht erklären. Was sollte er ihm denn erzählen? Nein, er konnte nicht mit Sam reden. Weder über die Angst, die ihn Nacht für Nacht aus dem Schlaf riss, noch darüber, dass er sich hilflos fühlte. Und trotzdem würde er mit Sam reden müssen.

Er stemmte sich wieder in die Höhe und machte einen Rundgang durch den Wald. Ein paar umgestürzte Bäume, Hecken, Ranken. Das alles erinnerte ihn an die unzähligen Plätze, über die Dad sie gescheucht hatte.

Er grinste traurig und machte sich wieder auf den Rückweg.

Diesmal so schnell wie er nur konnte.
 

Schwer atmend kam er wieder am Haus an.

Sam belästigte das Internet, wann eigentlich nicht?
 

Der musste doch inzwischen schon von einem bis zum anderen Ende des WorldWideWeb gesurft sein, oder? Ob die extra für Sam immer wieder neue Seiten erfanden?

Dean grinste und ging duschen.

Als er damit fertig war, war auch das Essen fertig.

Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen und wartete.
 

Der Blonde hielt den Blick gesenkt. Als er Sam mit eisigem Blick in die Küche hatte kommen sehen, waren seine guten Vorsätze bezüglich Sam und Reden zu einem eisigen, verschlungenen Klumpen in seinem Bauch geworden und er wusste nicht, wie er anfangen sollte, also schwieg er, so wie er die ganzen Tage geschwiegen hatte.

Seine Augen wanderten zur Schüssel mit dem Kartoffelpüree und dann zu Sam. Der starrte stur auf seinen Teller. Er würde Dean nichts geben. Nicht so.
 

Bobby atmete tief durch und griff nach der Schüssel um sie Dean zu reichen.

„NEIN!“, donnerte Sam, und alle erstarrten.

„Wenn er was will soll er es sagen!“, bellte der jüngere Winchester. „Ein einfacher Satz, Dean. Vier Worte. 'Gib. Mir. Das. Püree.' Vielleicht noch ein 'Bitte' dazu. Das sollte doch wohl auch für einen Dean Winchester nicht zu schwer sein“, stichelte er von oben herab.

Der Blonde schaute seinen Bruder mit großen Augen an.

„Rede mit uns Dean und du kannst fast alles bekommen“, erklärte Sam immermnoch belehrend.

Dean holte Luft, fixierte seinen Bruder und alle konnten sehen, wie es in ihm arbeitete, konnten sehen, wie Wut, Trauer und Hilflosigkeit in seinen Augen um die Vorherrschaft kämpften. Dann biss er sich auf die Unterlippe und atmete wieder aus.

Er stand auf und verließ die Küche und die Drei am Tisch konnten anhand der knarrenden Stufen hören, dass der Blonde nach oben ging.

„Wie selbstherrlich bist du eigentlich? Wie verbohrt und blind gegenüber dem Menschen, den du dein ganzes Leben lang kennst?“, fragte Ruby mit unterdrückter Wut.

„Wieso? Er soll doch nur mit uns reden.“ Der Winchester wusste einfach nicht, was das jetzt sollte.

Er hatte endgültig die Schnauze voll von Deans Macken.

„Er kann es nicht, Sam“, sagte die Dämonin.

Der Angesprochene verdrehte die Augen. Jetzt schlug sich auch noch Ruby auf Deans Seite. Wo sollte das nur enden?

„Sam“, beschwor sie den Jüngeren regelrecht, „er war nie in seinem Leben so sehr auf Hilfe angewiesen. Nie war er sich seiner Kräfte, seines Körpers, so unsicher. Nie war er so schwach.

Und du musst ihm das nicht auch noch ständig unter die Nase reiben.“

„Aber ich ...“

„Nichts aber ich... Früher hättest du ihm die Schüssel gegeben, ohne dass er dich überhaupt hätte ansehen müssen. Und jetzt willst du den großen, starken Bruder raushängen lassen. Willst ihn zu Dingen zwingen, die er normal nie machen würde und die er auch von dir nie verlangt hat. Er war sein Leben lang der große Bruder. Sein Leben lang der, der sich um alles kümmern musste. Der, der alle Entscheidungen treffen musste. Er hat nie Hilfe bekommen. Er musste für dich da sein, er musste für euren Dad da sein, wenn der verletzt von einer Jagd wieder kam. Er hat funktioniert, sein Körper hat funktioniert und jetzt tut er das nicht mehr. Dein Bruder ist verzweifelt und hat Angst. Angst, dass er dich so nicht beschützen kann. Jede Nacht träumt er, dass du stirbst, weil er dich nicht schützen kann, weil er zu langsam ist. Und du streust immer noch Salz in diese Wunden!“

„Aber ich wusste nicht ... Hat er mit dir geredet?“

„Nein, ich bin ein Dämon und ich kann Gedanken lesen, auch wenn ich das nicht gerne tue, weil ich denke, dass jeder eine Privatsphäre verdient hat. Aber ich wollte wissen, was ihn auffrisst.“
 

„Aber was soll ich tun? Wie soll ich ihm helfen, wenn er nicht mit mir redet?“

„Tu was du denkst, hilf ihm hoch, gib ihm die Schüssel, sei da wenn er stolpert. Er hat nie gelernt zu fragen, Sam! Einfach weil er eh nie eine Antwort bekommen hätte!“

Bobby sagte nichts. Er hatte befürchtet, dass etwas in der Art Dean zu schaffen machen musste und Sam starrte inzwischen niedergeschlagen auf seinen Teller.
 

Ruby lud einen Teller voll und brachte ihn nach oben.

„Dean?“, fragte sie vorsichtig.

Der Angesprochene grummelte.

„Komm schon, du musst was essen.“ Sie fasste ihn vorsichtig an der Schulter und rüttelte ihn sanft.

Er blinzelte sie an und als er den Teller sah, setzte er sich auf.

„Sam tut es leid.“

Der Blonde zuckte mit den Schultern. Dann begann er zu essen.

Sie lächelte, als sie sah, wie sich der Teller leerte. Dann ließ sie ihn schlafen. Die mehr oder weniger durchwachten Nächte forderten ihren Tribut.
 

Am Nachmittag quälte sich Dean wieder zu dem Wäldchen.

Er hasste es. Er hatte diese sinnlose Rennerei noch nie gemocht. Egal ob er mit Sam oder Dad oder mit beiden trainiert hatte. Aber er wusste, dass er so am schnellsten wieder seine Kondition aufbauen konnte. Und er wusste, dass er die brauchen würde.

Er plante einige Hindernisse und begann das erste zu bauen. In den nächsten Tagen würde er die fertig machen.

Dann lief er zurück, um sich nach einer kurzen Verschnaufpause von Ruby verprügeln zu lassen.

Am Abend schlief er dann mit dem Bier in der Hand im Sessel vor dem Fernseher ein.

„Dean?“ Sam legte eine Hand auf Deans Arm.

„Hmpf.“

„Komm ins Bett Dean. Du brauchst deinen Schönheitsschlaf.“

Der Blonde blinzelte seinen Bruder an.

Sam hielt ihm die Hand hin und jubelte innerlich als Dean danach griff und sich von ihm in die Höhe ziehen ließ.

Hindernisse

Am nächsten Morgen verschwand Dean gleich nach dem Frühstück.

Er bastelte sich einen Parcours, wie ihn John nicht besser hätte aufbauen können.
 

Völlig am Ende seiner Kräfte stolperte er am Abend wieder auf den Hof.

Sam hatte bereits seit dem Mittagessen, zu dem der Blonde nicht erschienen war, Bobby und Ruby verrückt gemacht. Vor allem Ruby. Denn, da sie ja in der Lage war, Gedanken zu lesen, musste sie doch einfach wissen, was sein Bruder machte und wo der war. Doch die Dämonin benahm sich dämonisch. Sie sagte Sam nichts.

Und so war er heilfroh, als er Dean auf das Haus zustolpern sah.

„Dean?“ Er lief dem Blonden entgegen.

Der stolperte wieder und bevor er zu Boden stürzen konnte fing Sam ihn auf.

Er zog seinen Bruder in seine Arme und trug ihn in sein Zimmer. Mit dem Bewusstsein, dass Sam jetzt für ihn da war, ergab sich Dean seiner Erschöpfung und schlief in dessen Armen ein.

Und während Sam den Blonden vorsichtig auszog breitete sich ein wunderbar warmes Gefühl in seinem Körper aus. Dieses Vertrauen brachte Dean nur Wenigen entgegen. Wenn überhaupt.

Eine Hand unter Deans Kopf und eine unter seiner Schulter, ließ er ihn in die Kissen gleiten und deckte ihn zu.

Zufrieden schnuffelte der, drehte sich auf den Bauch und schlief weiter.

Sam lächelte. Ruby hatte Recht. Wenn er Dean einfach nahm wie er war, ließ der sich sogar helfen.

Sam war glücklich.

Er holte drei Bier und reichte den Beiden im Wohnzimmer je eine Flasche. Dann ließ er sich mit der dritten in den Sessel fallen und genoss den Film.

'Das Haus am See' Ruby musste einen sentimentalen Anfall gehabt haben, als sie den Film ausgesucht hatte. Bobby hatte sich hinter einem Buch versteckt und sagte nichts, und Sam grinste. Mit Dean wäre so was wohl kaum möglich, oder?

Nach dem Film, Ruby und Bobby waren schon im Bett, saß Sam wieder vor dem Laptop. Er hatte nach übernatürlichen Aktivitäten, oder genauer nach dämonischen gesucht, aber zu seiner großen Freude nichts wirklich Aufsehen erregendes gefunden. Und so grübelte er über das doch recht menschliche Verhalten der Dämonin nach. Ob so ein menschlicher Körper auch Ruhe forderte? Brauchten Dämonen Schlaf?

Plötzlich hörte er das Knarren der Treppe.

„Entschuldige...“ drang es leise an sein Ohr. Dean stand in der Tür.

„Du musst dich nicht entschuldigen.“

„Ich...“ begann der Blonde erneut.

„Dean, ich hab Scheiße bebaut. Ich … es tut mir leid.“

Der Blonde stand an den Türrahmen gelehnt und musterte seinen kleinen Bruder

„Christo“ sagte er plötzlich.

Sam lächelte ihn an.

„Du solltest das Internet auch mal in Ruhe lassen. Die sind mit Sicherheit schon völlig genervt von dir“, sagte er leise.

Sam riss die Augen auf. Das war das Längste das er von Dean seit Monaten gehört hatte.

„Geh ins Bett, Sammy!“

Der Angesprochene nickte, schloss den Laptop und folgte seinem Bruder nach oben.
 

Am nächsten Morgen kam Sam in die Küche. Er rieb sich müde die Augen. Nachdem er Dean ins Bett gebracht hatte, hatte er noch eine ganze Weile grübelnd wach gelegen. Er fragte sich immer noch, wie er an Dean herankommen konnte. Wie er seinen Bruder wieder zurückbekommen konnte. Dean hatte den ersten Schritt getan. Er war zu ihm gekommen. Er hatte mit ihm geredet. Jetzt war er wohl am Drücker.
 

Der Ältere saß am Küchentisch und löffelte irgendetwas aus einer Schüssel. Neben ihm stand ein Glas mit Kakao. - Kakao? Die Kaffeemaschine gurgelte und spuckte die letzten Tropfen fauchend in die Kanne. Der feine Duft hing in der Küche.

Sam holte sich auch eine Tasse aus dem Schrank über der Spüle und stellte sie neben die, die Dean sich schon neben die Kaffeemaschine gestellt hatte.

Sein Blick fiel auf die Gläser, die in der Spüle standen.

„Dean was...“, stotterte er. Er holte eins der Gläschen aus der Spüle und schaute darauf. Geflügel mit Erbsen und Kartoffeln.

„Du?“, stotterte der Jüngere.

„Ich hab die im Schrank gefunden, genau wie das Zeug.“ Er deutete auf seinen Drink.

„Das ist die … oh Gott, Dean!“ Sam schluckte erschrocken. Sie hatten die Babynahrung komplett vergessen gehabt. Verdammt! Die wollten sie doch vernichten bevor Dean wieder auf den Beinen war!

Der Blonde zuckte mit den Schultern: „So schlecht schmeckt es gar nicht.“

Sam schüttelte den Kopf und wurde rot.

„Wenn du“, begann er zögerlich, "wenn du wieder, wohin auch immer, verschwinden willst, kann ich mitkommen?"

Sam setzte sich zu ihm an den Tisch nachdem er die zwei Tassen mit dem heißen, braunen Gebräu gefüllt, eine Tasse mit viel Milch versaut, und die andere Tasse neben Dean gestellt hatte.

Dean nickte, wischte sich ungeduldig die Haare aus der Stirn und griff nach der Tasse. Er musterte Sam eine Weile über deren Rand und seine Augen fragten eindeutig, wie Sam das nur aushalten könne.

„Soll ich dich zum Friseur fahren?“, wollte der Jüngere daraufhin wissen und Dean schüttelte den Kopf, was ihm die langen Fransen wieder in die Augen hängen ließ.

Schweigend tranken sie ihren Kaffee und nachdem Dean den Rest seines Essens zur weiteren Verwertung seinem Magen zugeführt und den Tisch abgeräumt hatte, schaute er Sam auffordernd an.

Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum Wald.

Sam sagte nichts. Gemächlich lief er hinter seinem Bruder her und musste ein paar Mal tief durchatmen um sich den Schreck nicht anmerken zu lassen, als Dean sich keuchend an einen Baum lehnte. Der war in einem gemütlichen Tempo hierher gejoggt. Hatte ihn das so angestrengt?
 

Der Jüngere musterte den Parcours. Langsam ging er von Hindernis zu Hindernis und prüfte deren Festigkeit. Dann kam er zu seinem Bruder zurück, der sich inzwischen erholt hatte.

„Hast du das selber gebaut?“, Sam war ehrlich beeindruckt. Dean nickte.

„Wann?“, fragte der Jüngere mit großen Augen.

„Gestern und vorgestern.“

„Wow. Du musst am Ende gewesen sein.“

Dean sagte nichts mehr sondern begann das erste Hindernis in Angriff zu nehmen.

Sam schnappte nach Luft als er sah wie schwerfällig der Blonde über die Wand kroch. Er biss sich auf die Unterlippe und fixierte das Blätterdach, um nicht doch noch loszulaufen und seinem Bruder zu helfen.

Er beherrschte sich. So wie er sich bei jedem Hindernis beherrschte. Er ließ seinem Bruder den Vortritt und kam erst dann hinterher, wenn Dean keuchend vor dem nächsten stand.

Der Blonde war ihm äußerst dankbar, dass er weder ein Wort über seine miserablen Leistungen verlor, noch ihm über die Hindernisse half. Sam stand lediglich sichernd dahinter und musste mehr als einmal verstohlen die Tränen aus seinen Augen blinzeln.

Es war so ungerecht. Und wenn Lilith nicht schon tot wäre, würde er sie bis ans Ende der Welt jagen und sie qualvoll sterben lassen. Ihr Tod war für sie eh schon viel zu schnell gekommen.

Für Dean hatte es fast zu lange gedauert.

Sie schafften eine Runde, dann war Dean am Ende seiner Kräfte.

Gemeinsam ließen sie sich auf das weiche Moos fallen und warteten schweigend, an den Baum gelehnt, darauf, dass Deans Atem sich beruhigte und seine Beine aufhörten zu zittern.

Wieder wischte sich Dean die Haare aus der Stirn. Noch ein paar Wochen und er würde wie eine Kopie seines kleinen Bruders aussehen.
 

Gemütlich joggten sie zurück. Für Sam war es jedenfalls gemütlich.
 

Während Dean sich ein paar Hände kaltes Wasser ins Gesicht schaufelte, packte Sam seinen Teller voll, voller als Dean ihn sich selbst die letzten Tage gemacht hatte und wurde auch sofort mit einem verwunderten Blick des Blonden bedacht als der den Berg sah.

„Iss einfach“, sagte Sam leise.

Dean gehorchte.

Mehrfach schob Dean seinen Teller beiseite und immer wieder ließ ihn ein warnender Blick von Sam sich den Teller wieder heranziehen und weiter essen.

Hatte der Blonde beim Betreten der Küche noch verhalten gegähnt, fielen ihm jetzt schon fast die Augen zu und Sam hatte endlich ein Einsehen und nickte als der immer noch halb volle Teller wieder zur Tischmitte befördert wurde.

Dean stand auf und schlappte nach oben, wo er sich in sein Bett verkroch und sofort einschlief. Seine Reserven waren für diesen Morgen erschöpft.

Sam folgte ihm fast auf dem Fuße und breitete lächelnd die Decke über den Schlafenden. Dann leistete er den beiden Anderen beim Kaffee Gesellschaft.

„Was war das denn jetzt?“, wollte Bobby wissen.

Sam pustete in seine Tasse. Er hatte für sich beschlossen auf seinen Bruder zu achten, und zwar so lange, bis der wieder der alte morgenmuffelige, ungesunde Sachen in sich reinstopfende, ihn jederzeit besiegende, dumme Sprüche klopfende und zumindest auf den ersten Blick unüberlegt handelnde Dean war, den er sein Leben lang kannte.
 

Sam saß vor seinem Laptop, als Dean zwei Stunden später wieder nach unten kam. Er lehnte sich in die Tür und schaute seinem Bruder eine Weile schweigend zu. Wie konnte Sam nur so einen Spaß daran haben, tagelang zu surfen?

Sam sah auf. „Willst du noch mal los?“, fragte er und klappte, als Dean nickte, sofort seinen Rechner zu.

Wieder trabte der Dunkelhaarige gemütlich hinter seinem Bruder her und stellte sich, im Wald angekommen, sichernd an dessen Seite, und wieder verkniff er sich jede Bemerkung darüber, wie schwerfällig der Blonde doch war.
 

Am Abend trainierte Dean dann noch eine Runde mit Ruby und fiel bald darauf wie ein Stein ins Bett.

Leider schlief er nicht wie ein Stein. Mitten in der Nacht zerriss ein heiseres „Sam, NEIN!“ die Stille im Haus.

Dean saß aufrecht in seinem Bett und starrte mit Tränen in den Augen in die Dunkelheit. Er wusste, dass er geträumt hatte, so wie er es immer wusste, und trotzdem erschütterten ihn diese Träume jede Nacht wieder bis ins Mark.

Sam war von Deans Schrei aus dem Schlaf gerissen worden. Kurz schaute er sich orientierungslos um. Dann schlug er die Bettdecken zurück und rannte zu seinem Bruder.

Er setzte sich auf den Bettrand. „Es ist okay, Dean, ich bin ja da.“

Der Blonde war mit den Nerven am Ende. Jeden Tag powerte er sich bis zum letzten aus, nur um schlafen zu können, und um endlich wieder zu Kräften zu kommen, und jede Nacht kamen diese Träume.

Sam rieb ganz vorsichtig über Deans Rücken um ihn zu beruhigen.

Unverhofft kippte der Ältere gegen seinen Bruder. Er schniefte. Sein ganzer Körper zitterte.

Sam legte seine Arme um den Blonden.

„Was ist los Dean?“, wollte er leise wissen.

„Ich hab dich verloren ...Ich war zu langsam und du… du warst weg… hab dich gesucht… ewig… aber als ich … Als ich dich gefunden hatte… lagst du im Wald…“, wieder schniefte er und krallte sich an Sam fest, „du… dein Körper war total zerrissen und überall war Blut… Aber du hast noch gelebt und mich vorwurfsvoll angesehen… Und… und mir Vorwürfe gemacht, weil ich zu schwach gewesen war dich zu schützen... und…d ann wurden… deine Augen wurden plötzlich schwarz und du bist aufgestanden und hast mich ausgelacht…. Ich… du hast dich in einen Dämon verwandelt und weiter in den Wald gezeigt und als ich… als ich da ankam musste ich mit ansehen wie… wie sie dich zerrissen und… ich wollte dir helfen. Aber ich konnte nicht.“

„Es war nur ein Traum Dean, es wird nie passieren. Du wirst mich immer beschützen!“, stellte der Jüngere im Brustton der Überzeugung fest.

„Aber ich kann dich nicht schützen.“

„Doch Dean. Du wirst mich immer beschützen. Immer.“

Der Blonde zitterte immer schlimmer und immer wieder schniefte er heftig. Sam kroch mit unter die Decke und ließ sich dann, seinen Bruder mitziehend, in die Waagerechte fallen.

Dean fest in seinen Armen haltend hoffte er, dass sich der Ältere beruhigen und wieder einschlafen würde. Doch auch nachdem Dean aufgehört hatte zu zittern, konnte Sam spüren wie angespannt der noch war. Das war es dann wohl mit der Nachtruhe des Blonden.

Fortschritte und Abschiede

Die nächsten Wochen verliefen immer nach demselben Muster.

Jeden Morgen und nach dem Mittag machten sich die Brüder auf den Weg zum Wäldchen und Sam schauderte es immer noch, wenn er daran dachte, dass sich Dean, als sie das erste Mal eine zweite Runde dran gehangen hatten, nach dieser einfach nur auf dem Boden zusammengerollt hatte und vor Erschöpfung eingeschlafen war, bevor Sam auch nur zu ihm gehen konnte.

Inzwischen scheuchten sie sich gegenseitig morgens und nachmittags drei Runden über den Parcours und Ruby beschwerte sich abends beim Fernsehen immer öfter, dass sie ihre dämonischen Kräfte einsetzen musste um Dean in Schach zu halten.

Dean hatte die körperliche Form, die er vor dem Höllenhundangriff hatte fast wieder erreicht, und es waren mit Sicherheit die vier härtesten Wochen seines Lebens gewesen. Selbst der Drill eines John Winchester konnte es nicht mit Deans schlechtem Gewissen aufnehmen, das ihn zu immer härterem Training trieb.

Die Albträume waren weniger geworden, aber wenn sie kamen, erschreckten sie ihn nach wie vor bis in die tiefsten Tiefen seiner Seele.

Aber auch wenn der Blonde körperlich fast wieder soweit war wie vorher, so war er doch immer noch nicht der Alte. Die meiste Zeit schwieg er und schaute aus großen grünen, traurig stumpfen Augen in die Welt. Er konnte sich seine Schwäche einfach nicht verzeihen und die Albträume taten ein Übriges.
 

Sich die Haare trocken rubbelnd kam Dean die Treppe herunter. Ruby stand in der Tür. Sie hatte ihre Tasche umhängen.

„Ich verschwinde“, erklärte sie in die Stille.

Dean sah sie fragend an.

„Ich brauch mal wieder meine Ruhe, und ich denke ich bin euch lange genug auf den Geist gegangen. Der Colt funktioniert und du wirst mir langsam zu stark“, wandte sie sich mit den letzten Worten direkt an Dean.

Ein kurzes Lächeln huschte über dessen Gesicht.

„Danke!“, sagte er leise.

„Gern geschehen!“ Sie nickte ihm zu und nach einem kurzen Gruß zu den beiden anderen Jägern verschwand sie durch die Tür.

Der Blonde warf das Handtuch über die Sessellehne, wischte sich mit der inzwischen üblichen Handbewegung die Haare aus der Stirn, die ersten Fransen hingen ihm jetzt ständig in den Augen, und ließ sich in den Sessel plumpsen.

„Wenn du dich heute Abend nicht von Ruby verhauen lassen musst, könntest du mir bei einem Wagen helfen“, sagte Bobby in die Stille und lächelte als Dean sich sofort erhob.
 

Der Regen schlug an das Küchenfenster.

Sam hockte seit Stunden in unmöglicher Haltung am Tisch und starrte auf seinen Laptop. Er hatte die morgendliche Runde mit Dean gedreht und war immer noch verwundert, wie schnell der sich wieder zu seiner alten Form gearbeitet hatte. Auf der anderen Seite war Dean eigentlich schon immer fast hyperaktiv gewesen und hasste es, still zu sitzen.

Gestern hatte er bis spät in die Nacht hinein Bobby bei der Reparatur eines GMC geholfen und heute stand der Impala unter dem Unterstand. Dean machte eine Großinspektion und tauschte aus, was er für austauschenswert hielt.

Sams Hinweis vom heutigem Morgen, Bobby hätte doch so viel Bücher und er solle sich eins davon greifen und lesen, hatte der Blonde mit einem entrüsteten Schnauben beantwortet und Sam fragte sich mal wieder, warum sein Bruder Bücher eigentlich so hasste. Aber womöglich lag es ja einfach nur daran, dass man beim Lesen still auf seinem Hintern sitzen musste. Vielleicht sollte er Dean mal ein Hörbuch schenken? Damit konnte er dann durch die Gegend rennen und – lesen. Trotz allem meinte er sich aber auch daran zu erinnern, dass er Dean schon hatte lesen sehen. Zum Zeitvertreib lesen sehen. Er schüttelte den Kopf. Das musste er geträumt haben, oder?
 

„… machst du?“ ertönte Deans Stimme plötzlich neben Sams Ohr, und der sprang regelrecht von seinem Stuhl hoch und funkelte seinen Bruder böse an, während der sich ungerührt grinsend einen Kaffee eingoss.

„Ich schreib mich in Stanford ein!“, knurrte der Jüngere.

Deans Schultern sackten nach unten, die Tasse wurde mit einem lauten „Plock“ auf die Arbeitsplatte gestellt, Kaffee schwappte großzügig über den Rand und Dean war aus dem Haus gestürmt bevor Sam auch nur Luft holen konnte.

„DEAN“, rief er ihm unsinnigerweise trotzdem hinterher.

Natürlich kam Dean nicht zurück.

Sam schob seinen Laptop ein Stück zur Seite und knallte seine Stirn auf die Tischplatte. Wie konnte er nur so blöd sein. Dean hatte ihn in den letzten Tagen und Wochen vor seinem Tod zwar darum gebeten, dass er wieder studieren sollte, aber da war der davon ausgegangen, dass er in der Hölle sein würde. Und er wollte doch auch nicht mehr zurück. Warum hatte er denn dann jetzt so einen Scheiß erzählt? Er konnte sich doch denken wie Dean darauf reagieren würde. Dean wollte nicht alleine jagen, deshalb hatte er ihn damals aus Stanford geholt und er wollte nicht zurück, weil die Erinnerung an Jess trotz allem noch weh tat. Außerdem hatte er seinen Bruder gerade erst wieder bekommen. Nein er konnte genauso wenig ohne Dean sein, wie der ohne ihn.

„Was ist los?“, fragte Bobby plötzlich neben ihm. Sam war schon wieder versucht aufzuspringen. Er hatte ihn nicht reinkommen hören. Er hatte auch Dean nicht kommen gehört. Vielleicht sollte er sich mal sein Gehör untersuchen lassen?

„Ich bin ein Idiot“, stellte er resigniert fest.

„Wenn du es sagst, werd ich dir nicht widersprechen“, nickte Bobby. „Warum heute?“

„Ich such nach einem Fall für uns, ich denke wir müssen Beide hier mal raus. Nichts gegen deine Gesellschaft“, beeilte sich der Jüngere hinzuzufügen, als er Bobbys hochgezogene Augenbraue sah. „Aber als Dean mich eben gefragt hat, wollte ich ihn ärgern und hab gesagt, ich würde mich in Stanford einschreiben.“

„Sam!“

„Ja?“

„Du bist ein Idiot!“

Sam nickte.

„Ich werd dann mal Dean suchen und mich entschuldigen“, nuschelte der Jüngere und verließ fluchtartig die Küche. Er zog sich seine Jacke über und trat auf die Veranda. Dann rannte er durch den Regen zum Unterstand aber Dean war nicht da. ‚Verdammt!’ Der Impala stand mit offener Motorhaube und offenem Kofferraum da, aber von seinem Besitzer war weit und breit nichts zu sehen.

Er zog sich die Kapuze über den Kopf und begann seinen Bruder zu suchen.

Sam bog um eine weitere Ecke und blieb ruckartig stehen. Am Ende der Gasse, nur in T-Shirt und Jeans, stand der Blonde an ein ausgeschlachtetes Wrack gelehnt. Er starrte zu Boden. Der Regen lief in seine Augen und tropfte von seiner Nase. Er sah genau so aus, wie er sich fühlen musste.
 

Dean hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und einen Fuß gegen die verrostete Karosse gestellt. Es war ihm egal, ob er sich erkälten würde. Es war ihm sogar egal, ob er sterben würde. Er wollte ohne Sam nicht weiter jagen. Er wollte ohne Sam ja noch nicht einmal mehr weiter leben!

Aber was hatte er eigentlich erwartet. Er hatte Sam die Wochen vor seinem Tod bekniet, war ihm regelrecht auf die Nerven damit gegangen, dass er wieder zur Uni gehen sollte. Dass er aus dem Irrsinn aussteigen sollte und jetzt, wo Sam es wirklich wollte, konnte er es ihm doch nicht verwehren. Er hatte ihn schon einmal von der Uni weggeholt und das nur weil er nicht alleine jagen wollte. Dann war Jess gestorben und Sam bei ihm geblieben. Vielleicht sollte er seine Ausgangsbasis nach Stanford verlegen, so könnte er auf Sammy Acht geben und jagen gehen.
 

Sam ging langsam auf seinen Bruder zu.

„Dean, ich...“, Sam wusste nicht wie er anfangen sollte, „ich will nicht nach Stanford.“

Der Blonde starrte weiter auf den Boden. Hoffnung keimte in ihm auf, als er Sams Worte hörte. Aber das konnte nicht sein. Sam wollte dieses Leben nie. Und er war der Letzte der seinem kleinen Bruder einen Wunsch abschlagen konnte.

„Dean?“

„Wann“, fragte er also nur.

„Was wann?“

„Wann soll ich dich hinbringen?“

„Dean, ich will nicht nach Stanford! Solange du nicht mitkommst, werde ich diesen Gedanken nicht mal in Erwägung ziehen!“

„Sam! Du wolltest dieses Leben nie, also hör auf damit.“

„Wenn du willst, dass ich nach Stanford gehe musst du schon mit dahin ziehen und mit dem Jagen aufhören.“

„Wenn ich nicht mehr jagen soll, was soll ich denn da?“

„Du könntest dir eine Arbeit suchen.“

„Ich ... das ist nicht mein Leben, Sam. Sesshaft und ich. Das passt einfach nicht zusammen.“

„Dean, ich wollte mich nicht einschreiben.“

„Was dann?“, wollte Dean verwirrt wissen.

„Ich hab nach einem Fall für uns gesucht. Ich werde nicht nach Stanford gehen, also lassen wir das Thema, okay?“

Dean grummelte leise und hob endlich den Kopf um Sam anzusehen. Die Fransen seines Ponys hingen ihm in den Augen, Regentropfen liefen ihm an den Strähnen entlang und in die Augen hinein und er blinzelte. Er wollte, dass Sam glücklich war und er konnte sich nicht vorstellen, dass dieses Leben Sam glücklich machte.

„Bist du sicher?“, fragte er also und war sauer auf sich, dass er so unsicher klang.

„Ich bin mir sicher! Du wirst mich so schnell nicht los. Ich bin in den letzten drei Jahren nicht gegangen und ich werde jetzt erst recht nicht gehen.“

Der Blonde nickte: „Was hast du?“

„Noch nichts. Wie lange brauchst du noch?“

„Morgen Abend sollte ich fertig sein.“

„Dann geh ich mal weiter suchen und du solltest duschen gehen. Die letzten Wochen müssen wir nicht so schnell wiederholen.“

Der Blonde nickte ergeben.
 

Sam warf seinem Bruder noch einen abschätzenden Blick zu. Er war sich nicht sicher, ob er jetzt wirklich zu Dean durchgedrungen war, dann wandte er sich ab und ging zurück zum Haus.

Der Blonde starrte noch eine Weile auf den Boden, dann löste er sich von dem alten Auto und ging zurück zum Impala.

Er beendete seine angefangenen Arbeiten und dann folgte er seinem kleinen Bruder. Sam saß wieder vor seinem Laptop, stand aber sofort auf, als er Dean sah und holte ihm einen heißen Kaffee. Deans Hände schlossen sich ganz automatisch um die dampfende Tasse. Das Regenwasser in seinen Haaren tropfte ihm in den Nacken und lief seine Wirbelsäule hinunter. Es hinterließ eine Gänsehaut. Zu seinen Füßen bildeten sich Pfützen.
 

„Ich hab da vielleicht was“, erklärte Sam und Dean löste sich vom Türrahmen um sich hinter seinen Bruder zu stellen und ihm über die Schulter gucken zu können.

„Nix ist!“, wurde er sofort von dem Jüngeren angefahren und schaute ihn mit großen, verdutzten Augen an, blieb aber an seinem Platz.

„Du trinkst deinen Kaffee, dann gehst du duschen und dann erzähl ich dir, was ich hier habe.“

Zu Sams Überraschung nickte der Blonde nur und pustete in seine Tasse.
 

Dean kam gerade wieder in die Küche als Sam mit dem Aufwischen der Pfützen fertig war.

Der Blonde goss ihnen frischen Kaffee ein und setzte sich dann seinem kleinen Bruder gegenüber und schaute ihn skeptisch an.

„Ich hab in Portland mehrere komische Tote gefunden.“ Erwartungsvoll schaute Sam seinen Bruder an, doch der zog nur die Augenbraue in die Höhe.

„In den letzten sieben Wochen sind dort vier Menschen gestorben, die…“

Dean schnaubte und Sam sah ihn finster an.

„Nur vier in ganz Portland?“, grinste der Blonde.

„Vier, die merkwürdig waren!“

Dean grunzte und versenkte sich dann wieder in die Betrachtung seines Kaffees.

„Einer war völlig blutleer, ohne dass er jedoch eine Wunde aufwies, zwei sind plötzlich umgefallen und hatten sich laut Autopsie das Genick gebrochen und einer, ein Architekt, war mit zwei Maurern auf der Baustelle, plötzlich wurden seine Augen trüb und er stürzte eine Bautreppe hinab, Schädelbruch. Und alle waren bei der Autopsie wie ausgetrocknet“, beendete Sam seine Ausführungen und schaute erwartungsvoll zu seinem Bruder.

„Könnte was sein“, meinte der und trank noch einen Schluck Kaffee.

„Nehmen wir den Fall an?“, wollte der Jüngere wissen und Dean überlegte eine Weile und nickte dann.

„Wann wollt ihr los?“, hakte Bobby nun nach, der dem eher als Monolog geltenden Gespräch der Brüder zugehört hatte.

„Übermorgen früh“, ließ Dean sich jetzt verlauten.

„Brauchst du Hilfe?“, fragte Bobby und bekam ein Kopfschütteln als Antwort. Er atmete tief durch. Er mochte die Jungs wirklich und er freute sich immer wieder, wenn sie sich trafen, musste aber zugeben, dass er froh war, wenn er sein Haus wieder für sich haben würde.

Dann schaute er in den Kühlschrank und begann ein paar Steaks und Bratkartoffeln zu braten.

Zurück im Leben

Mit seiner Tasche über der Schulter kam Sam zum Impala und fand Dean damit beschäftigt, noch einmal ihr Waffenarsenal zu kontrollieren. Sein Blick fiel auf den unscheinbaren Seesack, in dem eine abgesicherte Zukunft versteckt war. Nichts ließ von Außen auf den Inhalt dieser Tasche schließen. Dean musste sie bei seiner Großinspektion aus den sicheren Tiefen der Rückbank gefördert haben.

Er stellte seine Tasche neben Deans in den Kofferraum und deutete dann auf den Seesack. Wenn Dean wollte, dass er wieder zur Uni gehen sollte, dann musste der sich wohl oder übel selbst einen Job suchen. Er würde nie ruhig in einem Hörsaal sitzen können, wenn er Dean auf der Jagd nach irgendwelchen mehr oder weniger bösartigen Kreaturen wusste.

„Was machen wir damit? Wir sollten es nicht unbedingt mitnehmen“, überlegte der Jüngere. Dean nickte nur, zuckte dann mit den Schultern und schüttelte den Kopf.

„Soll ich Bobby mal fragen, ob er es für uns aufbewahrt oder anlegt?“

Dean nickte.

Sam holte ein paar Bündel aus der Tasche und verteilte sie in den Tiefen ihrer Waffenkammer. Dann ging er mit der Tasche zu Bobby.

„Kannst du das für uns aufbewahren?“, wollte er wissen.

„Was ist das?“

„Dean wollte, dass ich wieder zur Uni gehe wenn er in der Hölle ist und na ja, wir hatten vier Wochen bevor … du weißt schon … einen Job in Reno. Da war zufällig ein Poker-Turnier. Dean hat es gewonnen.“

Wie viel ist das?“, fragte Bobby schon etwas atemlos. Der Seesack sah ziemlich gut gefüllt aus.

„Ich hab was raus genommen. Aber es sind noch 495.000 Dollar.“

Der Ältere schnappte erschrocken nach Luft.

„Das ist ...“

„Wenn wir uns mal zur Ruhe setzen wollen. Kannst Du es wegpacken? Sonst kommt Dean noch auf den dummen Gedanken mich doch zur Uni schicken zu wollen.“

Bobby, noch immer blass um die Nase, nickte nur.
 

Etwas unsicher schob Dean den Schlüssel ins Zündschloss. Sam faltete sich gerade neben ihm auf dem Beifahrersitz zusammen und schloss die Tür.

Der Ältere drehte den Schlüssel und sein Babe erwachte mit einem zufriedenen Grollen zum Leben. Der Blonde atmete tief durch. Irgendwie war das ein komisches Gefühl.

Noch einmal holte Dean tief Luft. Dann schüttelte er das Gefühl ab.

Mit durchdrehenden Reifen und schleuderndem Heck schoss der Impala vom Hof.

Willkommen im Leben!

Bobby schaute ihnen hinterher und ein Lächeln schlich sich in sein Gesicht. Die Jungs waren wieder da auch wenn Dean noch immer zu ruhig und in sich gekehrt war, aber das würde sich wieder geben. Er hatte bis jetzt alles überstanden und würde auch das überstehen, da war sich der Jäger sicher.
 

Sicher steuerte der Blonde sein Babe über die einsamen Straßen.

Er saß nach über vier Monaten zwar endlich wieder hinter dem Steuer eines, seines Autos und fühlte sich aber noch ein wenig unsicher. Doch das würde er Sammy natürlich nicht sagen, mal abgesehen davon, dass der ihm wahrscheinlich eh nicht zuhören würde. Der war schon wieder im Internet versunken. Irgendwann würde ihn das Ding einfach assimilieren und dann? Was sollte er dann tun? Gegen einen Computer konnte er ja wohl schlecht kämpfen und gegen so etwas Ungreifbares wie das Internet gleich gar nicht. Naja, aber er könnte die Kiste zerschlagen, und das würde er auch tun!

Sam war jedoch alles andere als komplett in den Tiefen des „www“ versunken. Immer wieder schaute er zu Dean. Doch der starrte konzentriert auf die Straße, und Sam wusste nicht so recht wie er ein Gespräch anfangen sollte. Zumal Dean sich in den letzten Wochen und Tagen ja immer nur zu möglichst kurzen Antworten hingerissen fühlte, wenn er denn überhaupt etwas sagte. Irgendetwas fraß noch an ihm, in ihm. Und dass jetzt noch nicht mal das Radio lief war wohl das beste Indiz dafür, oder?
 

Sie waren schon ein paar Stunden unterwegs, immer noch war außer dem Motor nichts weiter zu hören, als Sam die Stille einfach nicht mehr aushielt. Er griff zum Radio und schaltete es ein. Kansas sang gerade den Refrain von „Carry on my wayward son“. Dean holte tief Luft. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und dann streckte er die Hand aus und drehte etwas lauter. Sam hatte das Lächeln auf Deans Gesicht gesehen und sein eigenes Lächeln war eine genaue Kopie von Deans, als er sich wieder auf seine Recherche konzentrierte.
 

Sie betraten ihr Motelzimmer und verdrehten gleichzeitig die Augen. Wie wenig hatten sie Beide dieses Ambiente doch vermisst. Blumenbilder an den Wänden und Blümchenbezüge auf den Betten, wenigstens waren die Wände nicht auch noch mit Blümchen überzogen.

Dean hängte das „Bitte nicht stören“-Schild an die Tür, schloss diese und verriegelte sie gleich noch. Dann warf er seine Tasche vor das erste Bett und ließ sich gleich darauf fallen. Er blieb liegen wie er gelandet war: auf dem Bauch, die Schuhe noch an den Füßen und über den Rand des Bettes hängen lassend.

Er war müde, müde und erschöpft. Die Fahrerei hatte Spaß gemacht, keine Frage, aber sie hatte ihn so sehr mitgenommen wie noch nie in seinem Leben. Zehn Stunden still sitzen und konzentriert auf die Straße schauen, daran musste er sich doch erst wieder gewöhnen. Natürlich hatten sie Pausen gemacht, aber es ließ sich trotzdem nicht leugnen, er war fertig.
 

Sam hatte sofort seinen Rechner hochgefahren und sich in Internet eingeloggt.

Gestern hatte es einen weiteren Toten gegeben, und Sam wollte sich noch nähere Einzelheiten zusammensuchen. Vielleicht konnte er auch herausfinden, wo die junge Frau hingebracht worden war, so dass sie sich ihre Leiche noch anschauen konnten.

„Dean, ich hab ...“, begann er und schaute auf. Von seinem Bruder kam nur ein leises Schnarchen. Sam lächelte und stand auf.

Er zog Dean die Schuhe aus und drehte ihn dann auf den Rücken.

„Hm?“, grummelte der Blonde und öffnete kurz die Augen.

„Ich will’s dir nur etwas bequemer machen. Schlaf weiter“, erklärte Sam ruhig und Dean entspannte sich wieder.

Sam öffnete ihm die Hose und zog sie ihm herunter. Dann setzte er Dean auf, befreite ihn von seinem Hemd und schob seinen Bruder etwas weiter nach oben. Sanft ließ er ihn in die Kissen gleiten und deckte ihn zu.

Der Blonde schnauft kurz und schlief dann ruhig weiter.

Wärme breitete sich wieder einmal in Sam aus. Es war schön zu sehen, dass Dean, der Niemanden so dicht an sich heran ließ, ihm so sehr vertraute. Er zog noch einmal die Decke glatt und setzte sich dann wieder an seinen Laptop.

Der Jüngere hatte noch eine ganze Weile versucht mehr über die Toten herauszufinden und war erst weit nach Mitternacht ins Bett gekrochen. So war es nicht weiter verwunderlich, dass Dean an diesem Morgen vor seine Bruder auf den Beinen war.

Er ging duschen und machte sich dann auf die Suche nach Frühstück. Doch zuerst wollte er etwas anders erledigen.
 

Zwei Stunden später kam er wieder ins Zimmer und wurde von Sam, der gerade aus dem Bad kam, skeptisch gemustert.

„Wie lange hab ich geschlafen?“ wollte der Jüngere wissen.

„Lange genug.“

„Du siehst so anders aus“, stellte Sam grinsend fest. „Sei froh, dass ich dich reingelassen hab.“

Der Blonde schnaubte nur und breitete das Frühstück auf dem Tisch aus.

Sie setzten sich einander gegenüber und machten sich über die mitgebrachten Leckereien her.

Unbewusst strich sich Dean seine Haare aus der Stirn und Sam prustete los.

Der Blonde hielt inne. Als er sich bewusst wurde, was er getan hatte, lächelte er verlegen und griff nach seiner Kaffeetasse.

Es gab nichts mehr, dass er sich aus der Stirn streichen konnte. Er war beim Friseur gewesen und sah wieder so aus, wie ein Dean Winchester seiner Meinung nach auszusehen hatte.

Sam warf einen Blick in seinen Kaffee, wie üblich war viel Milch darin, und er lächelte. Irgendwann wäre Dean wieder ganz der Alte.
 

Schweigend frühstückten sie, für den Jüngeren war es fast unerträglich. Er wollte seine Neuigkeiten loswerden, aber er wollte auch, dass Dean danach fragte. Doch darauf würde er wohl bist zum jüngsten Tag warten können.

Dean war neugierig, aber er wusste auch, dass Sam irgendwann platzen würde, wenn er nicht von selbst loslegen würde. Also schwieg er, ihm war eh nicht nach reden.

Und richtig. Sam hatte kaum seinen ersten Schluck Kaffee getrunken als er begann.

„Vor zwei Tagen ist eine junge Frau, Stephanie Shaw, gestorben. Sie war mit ihrer Freundin Mittag essen und als sie wieder zurück ins Büro gingen lief sie an einer roten Ampel plötzlich los.“ Er schaute Dean fragend an, doch der schien ganz in die Betrachtung seines Kaffees versunken.

„Ihre Freundin, Luise Vaunier, hat noch versucht sie aufzuhalten. Doch sie ging einfach weiter. Ein LKW bog um die Ecke und, naja er hat sie erfasst. Ihre Leiche wurde in die Pathologie gebracht. Sie war blind. Wir sollten nachher mal sehen, ob wir sie uns noch ansehen können. Danach sollten wir die Freundin besuchen. Vielleicht kann sie uns noch was Aufschlussreiches sagen“, beendete er seinen Bericht.

„Blind?“, hakte Dean kauend nach.

„Ja, genau wie der Architekt vor drei Wochen.“

„Kein Dämon“, sagte Dean.

„Warum nicht? Das könnte ihnen ähnlich sehen. Erst ängstigen und dann töten.“

„Die Angst war zu kurz.“

„Zu kurz?“

„Dämonen wollen sich an der Angst ihrer Opfer weiden. Die Frau war kurz vorher mit ihrer Freundin essen. Da war sie noch nicht blind. Sie muss es erst an der Ampel geworden sein.“

„Wie kommst du da drauf?“

„Naja, jemand der sein ganzes Leben blind ist hört einen LKW kommen. Der rennt nicht einfach so auf die Straße.“

Sam überlegte kurz, stimmte dann mit einem Nicken zu.

„Eine Hexe?“, fragte er.

„Ich denke, wir sollten uns erstmal die Leiche ansehen und mit der Freundin reden“, damit versenkte sich Dean wieder in die Betrachtung seines Kaffees.

Sam schaute seinen Bruder mit großen Augen an. So lange Sätze hatte der schon seit Ewigkeiten nicht mehr ausgesprochen.

Er nickte.
 

Der Impala parkte vor der städtischen Pathologie. Zwei junge Männer in schlichten, schwarzen Anzügen stiegen aus und rückten ihre Krawatten zurecht.

„Agent Sam Tyler und Deacon Caine, FBI“, stellte Sam sie vor, „wir würden uns gerne die Leiche von Stephanie Shaw ansehen.“

Der Pathologe ließ sich die Ausweise nochmals zeigen: „Die Polizei war doch schon hier.“

„Wir sind vom FBI. Der Fall unterliegt jetzt uns“, erklärte Sam mit Nachdruck.

Der Pathologe, K.C. Simmons stand auf dem Schildchen an seiner Brust, trottet ihnen mit missmutiger Miene voraus.

Im Kühlraum öffnete er eins der Fächer und zog die Bahre heraus.

Dean schauderte zusammen.

Der Jüngere beobachtete seinen Bruder aufmerksam. Dean hatte vor nicht allzu langer Zeit in eben so einem Sack gelegen. Das war damals bestimmt kein schönes Gefühl und die Erinnerung daran musste auch nicht sein.

„Haben sie einen Grund für diese plötzliche Erblindung gefunden?“, Sam hatte seinen Notizblock hervorgezogen und schaute jetzt gespannt auf den Pathologen.
 

„Nein, es gab keinen Grund dafür. Zumindest konnte ich nichts finden. Weder war der Sehnerv beschädigt noch habe ich ein anderes Problem finden können. Das Ganze ist einfach nur rätselhaft. Genau wie die Tatsache, dass sie kein Blut mehr in Körper hatte. Kein flüssiges Blut zumindest, und auch so ziemlich ausgetrocknet war. Aber sehen sie selbst.“ Dr. Simmons öffnete den schwarzen Leichensack. Sie sahen eine sehr mitgenommen brünette, junge Frau vor sich. Okay, sie war in einen LKW gerannt.

Dean wurde blass und schluckte hart als er das Geräusch des Reißverschlusses hörte. Er machte automatisch ein paar Schritte zurück.

Sam schaute seinen Bruder besorgt an und schüttelte dann den Kopf als er einen fragenden Blick des Pathologen auffing.

„Geht’s?“, fragte er den Blonden und Dean nickte nur, guckte aber immer noch verkniffen aus der Wäsche.

Der Jüngere holte tief Luft musterte seinen Bruder noch einmal und wandte sich dann wieder Dr. Simmons zu, der den Leichensack inzwischen weit genug geöffnet hatte.

„Sie sieht ganz normal aus, für einen Verkehrsunfall, meine ich“, stellte Sam fest und versuchte möglichst wenig und durch den Mund zu atmen.

Dean, der sich inzwischen wieder gefangen hatte, betrachtete sich die Frau ebenfalls eingehend.

„Keine Wunden, die den großen Blutverlust erklären würden“, pflichtete er seinem Bruder bei, nachdem er den Kopf der jungen Frau von links nach rechts gedreht hatte.

Die Brüder wechselten einen ihrer vielsagenden Blicke.

„Das ist der Punkt“, begann der dunkelhäutige Pathologe, „ich kann mir einfach nicht erklären, wie sie die ganze Flüssigkeit verloren haben könnte. Außerdem hat sie eigentlich kein Blut verloren. Es ist in ihren Adern, getrocknet. Sie sieht normal aus und doch ist sie fast ausgetrocknet.“

„Sie hatten schon andere, ähnliche Fälle?“, wollte Sam wissen, bevor der Mann noch völlig durchdrehte.

„Ja vor drei Wochen einen Architekten, der genauso aussah. Und dann waren da noch drei Fälle, die zwar äußerlich betrachtet nichts mit denen hier zu tun hatten, aber die Körper waren genauso ausgetrocknet wie dieser hier.“

„Können sie mir von den Akten Kopien machen?“, fragte Sam.

Der Pathologe nickte, beauftragte eine Schwester die gewünschten Akte fertig zu machen und war sichtlich froh diese beunruhigende Leiche wieder in ihr dunkles Kühlfach schieben zu können.
 

Kaum hatte Sam die Akten in den Händen verabschiedeten sie sich.

„Wohin?“, wollte der Blonde wissen.

„Luise Vaunier.“

Dean rutschte hinters Lenkrad und startete den Motor. Kurz genoss er das beruhigende Grollen dann legte er den Gang ein und brachte sie auf dem schnellsten Weg zur Wohnung von Miss Vaunier.

Fast erfolglose Recherchen

„Sam Tylor und Deacon Caine. Wir sind von FBI und haben noch einige Fragen zum Tod Ihrer Freundin an Sie“, stellte Sam sie auch hier vor.

„Fragen?“ Die junge Frau war etwas verwirrt.

„Ja, wenn es Ihnen möglich ist?“, wollte Sam mitfühlend wissen.

Dean sah sich in der Wohnung um. Die Küche war lediglich eine Kochecke, durch einen Tresen und einen Schrank vom Rest des Wohnzimmers getrennt. Das Zimmer war modern aber trotzdem gemütlich eingerichtet, Blumenbilder hingen an den Wänden.

„Die sind schön“, sagt der Blonde und deutete auf die Bilder. Sam sah verwundert zu seinem Bruder.

„Die hat Stephanie gemalt“, schniefte Louise und wies auf die Couch. „Kaffee?“, fragte sie, nur um etwas zu tun zu haben.

Die Brüder nickten.

Sie schob sich eine Strähne ihrer roten Haare hinter's Ohr und ging in die Küche. Sie nahm das Kaffeepulver aus dem Schrank und stellte die Dose mit Rosenmuster neben die Maschine. Dann holte sie eine Filtertüte, legte sie in den Filter und schaufelte Pulver in die Tüte. Sie schaltete die Maschine ein, atmete tief durch und ging wieder zu den Agenten. Mit einem hilflosen Schniefen ließ sie sich in den Sessel fallen. Sie rang ihre Hände und schüttelte immer wieder den Kopf.

„Was können Sie uns zum gestrigen Tag sagen?“, fragte Sam vorsichtig.

„Es war ein ganz normaler Tag. Wir wollten am Abend ins Theater.“ Tränen traten in ihre Augen.

Dean reichte ihr sein Taschentuch. Sie nahm es mit einem dankbaren Nicken und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Dann putzte sie sich geräuschvoll die Nase.

Sam schaute zu seinem Bruder und grinste als er sah wie der ein wenig angewidert die Augenbrauen zusammenzog.

„Sie wohnten zusammen?“, fuhr der Jüngere mit der Befragung fort.

„Ja, seit drei Monaten.“

„Kann ich mir das Zimmer von Stephanie Zimmer ansehen?“, wollte der Blonde wissen.

Louise, nickte. Sie erhob sich und ging in die Küche. Die Kaffeemaschine hatte eben mit einem letzten Röcheln angezeigt, dass sie fertig war, und ihre Arbeit eingestellt.

Die junge Frau deutete auf eine Tür leicht links: „Das ist Stephs Zimmer.“

Der Blonde nickte und überquerte mit schnellen Schritten den Flur.

Aufmerksam sah er sich in dem Zimmer um. Ein paar Fotos, eine Staffelei mit einem angefangenen Bild: Es sollte wohl ein gemischter Strauß mit Sonnenblumen werden. Er trat an das Bücherregal und ging die Titel durch. Auch hier gab es nichts Aufregendes.

Dean zog das EMF aus der Tasche aber auch das zeigte nichts an. Er nickte. Nichts anderes hatte er erwartet. Zum Schluss schaute er noch ein paar Briefe durch, die auf dem Schreibtisch lagen. Aber auch die gaben es keinen Hinweis auf Übernatürliches. Sie war eine ganz normale Frau gewesen.
 

Er ging zurück in die Wohnküche. Sam blickte zu Dean auf und der schüttelte nur den Kopf.

Nichts.

Dean setzte sich zu seinem Bruder auf die Couch und griff nach der Tasse, die zwei Katzen zierten.

Er nahm einen Schluck Kaffee. Dann sah er zu Sam.

„Können Sie uns sagen, was Ihre Freundin in den letzten Tagen gemacht hat?“, fragte Sam und trank ebenfalls noch einen Schluck.

„Nichts Besonderes. Wir waren arbeiten, haben eine neue Ausstellung besucht und waren im Theater.“

Dean schloss gequält die Augen und widmete sich mit seiner vollen Konzentration seinem Kaffee.

Sam sagte nichts.

„Gab es irgendetwas Ungewöhnliches in den letzten Tagen oder Wochen?“, wollte Sam wissen. Bis jetzt hatten sie nichts. Weniger als nichts. Gut sie hatten die Akten, aber die konnte er sich erst im Motel ansehen.

„Sie war vor zwei oder drei Wochen für zwei Tage verschwunden.“

„Sie war verschwunden?“

„Ja“, schniefte sie, „Und als sie wieder kam wusste sie nicht wo sie gewesen war und auch nicht, dass sie ganze zwei Tage weg war.“

„Ist so etwas früher schon vorgekommen?“, wollte Sam wissen.

„Nein, sie war sehr zuverlässig. Steph arbeitete im Kulturdezernat der Stadt. Deshalb bekommen wir die Karten umsonst. Sonst könnten wir uns das gar nicht leisten“, sie trank einen Schluck Kaffee und versuchte ihre Tränen zu unterdrücken. Wortlos starrte sie vor sich auf den Boden.

Plötzlich sah die Dean direkt an: „Vor ein paar Wochen waren wir auf der Ausstellung eines Bildhauers. Da sind wundervolle Statuen und Büsten. Der Mann ist wirklich ein Künstler. Er ...“, sie überlegte kurz, „Er hatte etwas Rätselhaftes, Ungreifbares. Steph fand ihn unheimlich. Dabei hatte sie sich länger mit ihm unterhalten. Sie wollte mehr über ihn erfahren. Aber ich weiß nicht, ob ihr das gelungen ist“, wieder zog sie die Nase hoch und Dean hielt ihr sein ohnehin schon vollgeschnieftes Taschentuch hin.

„Können Sie dieses Rätselhafte, Ungreifbare näher beschreiben?“, hakte Dean sofort nach.

„Nein, sie sagte nur, dass sie sich komisch gefühlt hätte in seiner Nähe. Und das er ihr nicht geheuer wäre.“

„Danke, Miss Vaunier. Wenn wir noch Fragen haben sollten, melden wir uns wieder bei Ihnen.“ Sam erhob sich und hielt ihr die Hand hin.

Der Blonde trank seinen Kaffee aus und ließ sein Taschentuch, das sie ihm wiedergegeben hatte, mit einem leicht angesäuerten Gesicht in seine Tasche gleiten. Dann reichte auch er ihr die Hand und verabschiedete sich ebenfalls.

„Du warst toll!“, sagte Sam als sie wieder im Auto saßen. Dean schaute ihn etwas verwirrt an.

„Lass uns ins Motel fahren. Ich will mir die Akten anschauen“, sagte Sam und sein Fahrer nickte.
 

Im Motel angekommen entsorgte Dean als erstes sein Taschentuch und wusch sich gründlich die Hände, nicht, dass er sich jetzt noch erkältete.

Sam grinste breit und begann sich in den Akten zu vertiefen, während Dean sich über ihre Waffentasche hermachte.

Arbeitsteilung im Hause Winchester.

„Holst du uns was zu essen?“, fragte Sam den Älteren als der die letzte Waffe, gereinigt und geölt, wieder in die Tasche schob, und Dean nickte sofort lächelnd und verschwand.

Sam beugte sich wieder über die Akte.
 

„Was haben wir?“, wollte der Blonde wissen und verteilte den Inhalt seiner Papiertüte auf dem Tisch. Sams Laptop lag unbenutzt auf dem Bett. Ein total ungewohnter Anblick. 'Ob das Teil sich jetzt vernachlässigt fühlt und Sam etwas antut, wenn er es wieder anfasst?' Dean grinste breit.

„Was ist?“, wollte Sam irritiert wissen, doch sein Bruder schüttelte nur den Kopf.

Sam schaute ihn noch einmal mit zusammengezogenen Brauen an, dann schüttelte auch er kurz den Kopf und trank einen Schluck Kaffee.

„Wir haben vier weitere Tote. Die Erste, Elisabeth Black, 43, sie starb von knapp neun Wochen an einem gebrochenen Genick, ohne dass es irgendwelche Anzeichen eines Unfalls oder andere Gewalteinwirkungen gab, genau wie bei Philip Samarah. Er war 36 und starb vor drei Wochen. Dann wären da noch Aaron Larson, 39 und plastischer Chirurg. Er brach während einer OP zusammen. Sonst hatte er nichts. Sein Tod war vor etwa sechs Wochen und eine Woche später starb der Architekt Trevor Freeman. Er ist genau wie Stephanie Shaw plötzlich erblindet und dann eine Bautreppe herunter gefallen. Die einzige Gemeinsamkeit, die auch ich bis jetzt feststellen konnte ist, dass sie alle innerlich stark ausgetrocknet waren und kein flüssiges Blut mehr in sich gehabt haben. Aber ich werd mir nachher noch das Internet vornehmen und noch mal im Polizeirechner nachschauen, was sie sonst noch ermittelt haben. “

'Pass nur auf, dass er nicht beißt', dachte Dean und schob sich einen Schokomuffin in den Mund.

Sam schüttelte den Kopf. Wie schaffte es Dean einen ganzen Muffin in seinen Mund zu schieben?

Das war anatomisch doch eigentlich unmöglich, oder? Und dass der dann auch noch Kaffee nachschüttete. Sam schluckte unweigerlich.

Nach dem Essen fuhr Sam seinen Rechner hoch, der, entgegen Deans Hoffnung, leider nicht biss, und begann sich in den Polizeirechner zu hacken.

Der Blonde zappte eine Weile durch die Kanäle.

Irgendwann bemerkte Sam, dass er nicht mehr durch ständige abrupte Klangwechsel gestört wurde, und Deans gleichmäßige Atemzüge verkündeten, dass er eingeschlafen war.

Sam lächelte und stand auf. Er streckte seinen Rücken, versuchte seine verspannte Schultermuskulatur ein wenig zu lockern, und ging zum Bett seines Bruders.

„Dean?“, er rüttelte ihn sanft an der Schulter.

„Hm?“

„Geh ins Bett“, forderte er leise.

„Hm.“ Der Blonde brauchte noch eine Weile bis er halbwegs wach war, dann trottete er ins Bad und gleich darauf wühlte er sich unter die Decken und schlief weiter.
 

Sam lächelte und schaltete den Fernseher aus. Gleich darauf ging auch er ins Bad und danach ins Bett.

Er lag noch eine ganze Weile wach und lauschte den gleichmäßigen Atemzügen seines Bruders. Sie waren wieder zusammen. Nur der Bruchteil einer Sekunde hatte darüber entschieden, dass er Dean behalten konnte. Wenn er darüber nachdachte, dass Dean jetzt in der Hölle hätte sein können, wie lange schon? Ruby hatte gesagt, dass ein Monat in der Hölle etwa zehn Jahre bedeutete. Das wären jetzt über vierzig Jahre. Vierzig Jahre voller Qualen! Konnte ein Mensch das durchhalten? Sam schüttelte den Kopf und drehte sich auf die Seite. Das Licht der Straßenlaterne, das durch den Spalt zwischen den Gardinen fiel, beleuchtete Deans Gesicht. Er sah so friedlich aus wenn er schlief und Sam hoffte, dass es so blieb. Seit sie von Bobby weg waren hatte Dean keinen Albtraum mehr gehabt, und er wollte ihn nicht wieder schreiend aufwachen sehen. Sein großer Bruder hatte schon zuviel Schlimmes erlebt, da musste das nicht auch noch in seinen Träumen sein.

Dean drehte sich auf den Rücken, brummelte etwas und schlief dann ruhig weiter. Sam musste schon wieder lächeln. Wie oft hatte er sich gewünscht ein eigenes Zimmer zu haben, wie oft? Und dann hatten sie bei Bobby getrennte Zimmer gehabt. Und etwas hatte Sam gefehlt.

Es waren die vertrauten Geräusche von Dean gewesen, die ihm gefehlt hatten. Jetzt waren sie wieder zusammen und alles war in Ordnung. Seine, Sams Welt war in Ordnung. Mit diesem Gedanken schlief er ein.
 

Er war am nächsten Morgen wieder als Erster auf. Dean hatte ruhig durchgeschlafen. Und Sam ließ ihn auch weiter in Ruhe.

Er ging ins Bad und holte dann Frühstück.
 

Sam hatte inzwischen schon alles auf dem Tisch ausgebreitet und sein Bruder schlief noch immer.

So langsam sollte er jetzt aber doch aufstehen, auch wenn Sam ihm jede Minute Schlaf gönnte, wusste er doch, dass Dean es nicht mochte, wenn sie Angehörige und Freunde befragen mussten. Doch gestern hatte er sich einfach toll geschlagen!

Sam ging zu Dean und hielt ihm aus sicherer Entfernung den Kaffee vor die Nase.

Und siehe da, Deans Nase rümpfte sich und er öffnete blinzelnd die Augen.

„Kaffee?“, fragte der Blonde verschlafen.

„Klar! Aber steh erstmal auf“, forderte Sam.

Dean schwang die Beine aus dem Bett, rieb sich die Augen und kam zum Tisch getapst.

„Was hast du?“, fragte er als er die zweite Tasse Coffein intus hatte.

„Ich hab mir die Akten angesehen. Nichts. Außer dass ich jetzt noch einige Namen von Freunden und Kollegen habe, nichts. Wir müssen noch mal los.“

Der Blonde verdrehte die Augen.

„Du wirst es überleben!“, tröstete Sam und der Angesprochene nickte ergeben.
 

Keine Stunde später standen sie in ihren schwarzen Anzügen und mit offizieller Miene vor einer Schönheitspraxis.

Dr. Aaron Larson, Dr. Eric Peters, Dr. Jonah Jackson stand auf einen goldenen Schild, das über einer Klingel prangte.

Sam drückte auf den Knopf. Die Sprechanlage schnarrte kurz, doch bevor Sam etwas sagen konnte wurde auch schon die Tür geöffnet.

Die Brüder warfen sich einen Blick zu und gingen nach oben.

Im ersten Stock war ein Zahnarzt. Der Blonde grinste schief: „Wenn der Scheiße gebaut hat kannst du gleich einen Stock höher gehen.“

Auch über Sams Gesicht huschte ein Lächeln.

An der Tür im zweiten Geschoss hing ein weiteres goldenes Schild.

Die Brüder traten ein.
 

„Hallo, ich bin Sam Tyler, FBI und das ist mein Partner Deacon Caine“, stellte Sam sie vor. „Wir haben noch Fragen zum Tod von Dr. Larson.“

Die Sprechstundenhilfe schniefte leise. Die Winchesters wechselten einen kurzen Blick und Dean büßte schon wieder ein Taschentuch ein. Sam sah noch, wie sein Bruder sich über den Tresen lehnte und zurückhaltend mit der jungen Frau flirtete und ging zum Aufenthaltsraum der Ärzte durch.

„Hallo, ich bin Sam Tylor, ich bin vom FBI und hätte noch einige Fragen zum Tod ihres Kollegen.“

„Wir sind Partner“, sagte Eric Peters.

„Okay, zum Tod ihres Partners“, lenkte er ein.

„Wir haben doch der Polizei schon alles erzählt“, knurrte jetzt Jonah Jackson.

„Das ist bestimmt richtig, Sir, aber wir sind nicht von der Polizei und ich wäre ihnen sehr verbunden, wenn sie es mir noch einmal erzählen würden.“

„Es gibt nur nichts zu erzählen. Wir haben ganz normal gearbeitet, sind abends mal ausgegangen. Wir haben hin und wieder einen getrunken, haben hin und wieder mit einer Frau geflirtet. Ein ganz normales Leben eben.“

Der Winchester nickte.

„Kennen sie eine Stephanie Shaw?“, wollte er wissen. Die Ärzte schüttelten den Kopf: „Wer soll das sein?“, wollte Eric Peters wissen. „Eine Patientin?“

Sam schüttelte den Kopf: „Sie starb vor drei Tagen und ihr Körper war genauso blutleer wie der ihres Partners. Wir ermitteln, ob es da Zusammenhänge gibt.“

„Nein, der Name sagt uns nichts“, bestätigte jetzt Jonah Jackson etwas ruhiger.

„Ist etwas Ungewöhnliches passiert bevor Dr. Larson gestorben ist?“

„Nein, nicht dass ich wüsste. Mir ist nichts aufgefallen“, zuckte Jackson mit den Schultern.

„Danke meine Herren, wenn ihnen sonst noch etwas einfällt, würden sie uns dann bitte anrufen?“, bat Sam und hielt jedem eine Karte hin. Die Ärzte nickten, nahmen die Karten und schüttelten dem Agenten die dargebotene Hand.
 

„Ich bin hier fertig. Wir können gehen“, deutete Sam seinem Bruder an.

Dean nickte. Er verabschiedete sich freundlich lächelnd von der jungen, blonden Sprechstundenhilfe und folgte seinem Bruder.

Eine Leiche zum Frühstück

Erwartungsvoll schaute Dean seinen kleinen Bruder an, der sich gerade neben ihm in den Sitz faltete, und startete den Impala.

„Nichts! Absolut nichts! Arrogante Halbgötter in weiß. Ich wusste doch warum ich Anwalt und nicht Arzt werden wollte“, knurrte der Jüngere.

„Vielleicht hättest du dich mit den richtigen Leuten unterhalten sollen“, grinste Dean und drehte die Musik lauter.

„Mit den richtigen Leuten, huh? Wer sind denn die richtigen Leute, Dean? Sag nicht, du meinst die kleine Blonde, mit der du da geflirtet hast?“, blaffte Sam, doch gegen AC/DC kam er nicht an. Er drehte die Musik leiser.

„Und was hast du von den richtigen Leuten erfahren?“, fragte er jetzt etwas beherrschter.

„Die Kleine, Cara, war in den guten Doktor verknallt. Sie haben immer wieder mal ein Wochenende zusammen verbracht. Leider hat der liebe Doktor es nicht so gesehen wie sie. Er wollte in die einflussreichen Kreise hinein heiraten und da konnte er doch nichts Offizielles mit einer Sprechstundenhilfe anfangen.

Sie hatten eins ihrer Wochenenden geplant, doch der gute Doktor kam nicht. Also ist sie wieder nach Hause gefahren und hat sich die Augen ausgeweint. Dann stand er plötzlich vor ihrer Tür. Reichlich verwirrt wohl. Er wollte sie zu ihrem Wochenende abholen, aber da war es schon Sonntagabend, verabredet waren sie am Freitag.“ Der Blonde drehte die Musik wieder lauter und Sam saß mit offenem Mund auf seinem Sitz und starrte seinen Bruder an.
 

Dean griff zu Sam hinüber, legte seine Hand unter dessen Kinn und schob es wieder nach oben.

„Bevor du mir die Sitze voll sabberst!“

Sam öffnete den Mund erneut, wusste nicht was er sagen sollte und presste seine Lippen schnell wieder aufeinander, bevor Dean sich eine weiteres Mal dazu veranlasst sah, ihm den Mund zu schließen.

Sie fuhren gleich darauf auf den Parkplatz eines Dinners und Dean ging hinein noch bevor Sam sich darüber wundern konnte, dass sein Bruder schon wieder Hunger hatte. 'So langsam wird Dean wieder Dean', ging es Sam durch den Kopf. Er lächelte und folgte seinem großen Bruder.

Der saß schon, mit zwei Tassen Kaffee und einem Teller voller Apfelkuchen vor sich auf dem Tisch in einer Bank und kaute auf allen vier Backen.

Der Jüngere setzte sich dazu.

„Leidest du schon wieder unter Zuckermangel oder mutierst du jetzt zum Hamster?“

„Huh!“, machte der Blonde mit vollem Mund. Sam grinste.

Dean schluckte: „Du wolltest noch jemanden befragen. Das steh ich sonst nicht durch.“

„Dabei hast du mehr rausbekommen als ich. Vielleicht solltest Du das jetzt immer machen.“

„Schlampe!“, knurrte der Ältere und warf seinem Bruder einen bösen Blick zu.

„Trottel!“, konterte Sam lachend und nahm sich auch ein Stück Kuchen.

„Zu wem willst du denn gleich noch?“, wollte Dean wissen.

Sam schaute auf seinen Notizblock. „Ich denke wir sollten uns die Boutiquebesitzerin vornehmen. Elisabeth Black. Laut Karte ist ihr Geschäft in einem Einkaufszentrum. Da könnten wir gleich noch unseren Bestand an eigenen Klamotten aufstocken. Wir haben reichlich wenig heile Kleidung in unseren Taschen.“

Dean seufzte und nickte dann ergeben. Aber dafür brauchte er noch mehr Zucker, und er griff nach einem weiteren Stück Kuchen und schob es sich in den Mund.

Nachdem er seinen zweiten Kaffee und das letzte Stück Kuchen vertilgt hatte, fühlte er sich stark genug für einen Einkaufsbummel und ergab er sich seinem Schicksal.
 

Die Herren vom FBI zogen so einige Blicke auf sich. Die sahen aber auch schnuckelig aus in ihren schwarzen Anzügen, doch sie schienen die Blicke noch nicht einmal zu bemerken. Der Größere lief vorneweg und der Kleinere folgte einen halben Schritt dahinter, seinen wachsamen Blick auf den Größeren gerichtet.

Sie betraten die Edelboutique und fast sofort kam eine junge dunkelhaarige Verkäuferin auf sie zu.

'Du willst nicht hier?', fragte Deans Blick und Sam schüttelte amüsiert den Kopf.

„Keine Angst“, grinste der Jüngere.

„Kann ich ihnen helfen?“, fragte die Verkäuferin ruhig.

„Wir sind Sam Tyler und Deacon Caine, FBI. Wir haben noch einige Fragen zu dem Tod von Misses Black“, begann der Größere.

„Miss Black“, verbesserte sie. „Sie bestand darauf Miss Black genannt zu werden.“

Sam nickte: „Miss Black.“

Dean musterte die Verkäuferin. Sie sah eher aus wie eine kleine graue Maus. Sie war hübsch, stellte er fest, aber sie sollte vielleicht ein bisschen mehr aus sich machen. Er begann sich in der Boutique umzusehen. Dessous, Seidenmorgenmäntel, Pyjamas und das alles in einer Preisklasse, die weit über Deans Verständnis hinausging. Nicht dass er nicht auch Frauen in toller Unterwäsche gerne anschaute, aber ohne Unterwäsche gefielen sie ihm noch viel besser. Dean grinste.

Er stellte sich wieder hinter seinen Bruder. Diesmal sollte ausschließlich der die Fragen stellen. Okay, das hatte Sam auch bei den letzten Hinterbliebenen gemacht, aber er hatte für heute echt genug von der ganzen Fragerei. Er wollte endlich auf was draufhauen.

„Wie war Miss Black?“, wollte Sam wissen.

„Nicht sehr freundlich. Sie war hochnäsig, arrogant und sie wollte immer Recht haben. Aber sie war auch eine gute Geschäftsfrau und … sie sah sehr gut aus“, fügte sie noch leise hinzu.

„Kann ich ihnen helfen?“, wollte eine resolute Stimme hinter ihnen wissen, die graue Maus zuckte zusammen und verschwand wieder zwischen den Regalen.

„Wer sind Sie?“, wollte Sam wissen.

„Das müsste ich wohl eher sie fragen. Sie halten meine Angestellte von der Arbeit ab!“, schnarrte die Frau, die sich hinter ihnen aufgebaut hatte.

Sam plusterte sich zu seiner vollen Größe auf, Dean tat es seinem Bruder gleich. Beide zückten ihre Ausweise: „Sam Tyler und das ist mein Partner Deacon Caine. Wir sind vom FBI und haben noch einige Fragen zum Tod von Miss Black.“

„Ich habe der Polizei schon alles gesagt“, antwortete sie kühl.

„Wir möchten trotzdem noch mit Ihnen reden.“

„Aber machen sie schnell, ich habe noch zu tun“, sagte sie schnippisch.

„Sie sind?“, blieb der Jüngere beharrlich.

„“Brithany Jonas, ich war ihre Freundin und Partnerin.“

„Was können Sie uns über Miss Black erzählen? Was hat sie in den letzten Wochen vor ihrem Tod gemacht? Hatte sie neue Freunde, musste sie eine Trennung verarbeiten? War sie krank? Ist irgendetwas Ungewöhnliches passiert?", ratterte Sam eine Latte von Fragen herunter.

Dean grinste.

„Ungewöhnliches?"

„Ja, etwas, das Ihnen an ihr vorher nicht aufgefallen ist“, erklärte Sam.

„Ich weiß nicht, was sie das anginge?“

„Antworten Sie einfach!“, ließ Dean sich jetzt hören. Er verdrehte genervt die Augen.

„Sie war irgendwie …“, sie holte Luft, „ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll. Es war als ob sie durchsichtiger würde, als ob sie sich auflösen würde und ihr Hund hat sie plötzlich nur noch angeknurrt. Sie hat ihn zu mir gebracht.“

Sam nickte und machte sich einige Notizen: „Haben sie vor diesem ‚Auflösen’, etwas Außergewöhnliches unternommen?“

„Nein! Wir waren bei einer Ausstellung und im Theater. Danach noch bei einem Empfang. Sie hatte sich nicht gut gefühlt und dann war sie drei Tage nicht zu erreichen. Wahrscheinlich hatte sie ihre Migräne. Ich hab sie in Ruhe gelassen. Sie war dann immer sehr gereizt. Danach war sie irgendwie nur noch halb anwesend und sehr fahrig.“

„In was für einer Ausstellung waren sie?“, wollte Sam wissen.

„Im Museum. Da stellt ein Bildhauer seine Werke aus. Sehr tolle Stücke.“

„Danke“, Sam steckte seinen Block wieder weg. „Das wär's erstmal.“

Er winkte Dean und gemeinsam verließen sie die Boutique.

„Hochnäsige Ziege!“, kommentierte Dean.

Sam lächelte: „Lass uns einkaufen gehen.“

Dean verdrehte die Augen und folgte seinem Bruder dann ergeben.
 

Sie saßen in einem Diner und schauten sich über das Essen auf ihren Tellern an. Sam hatte Kartoffelpüree, Gemüse und Hühnchen und Dean einen Burger, Chickenwings und Pommes. Neben Sams Teller stand ein Salat und bei seinem Bruder Kuchen.

„Macht das ganze einen Sinn für dich?“, fragte Sam und sein Bruder griff nach seinen Kaffee. Er trank einen Schluck und schüttelte dann den Kopf.

„Wir haben nichts, was die Fälle wirklich gemeinsam haben. Außer vielleicht, dass alle zwei Tage verschwunden waren, ich nehme die Migräne jetzt mal als 'verschwunden' an. Aber ich kenne nichts was seine Opfer erst verschwinden und dann wieder auf die Menschheit los lässt.“

Sam nickte nur und aß weiter.

„Ich hätte auf einen Vampir getippt, aber die Opfer hatten keine Verletzungen und das ist ja irgendwie völlig unmöglich, oder?“, überlegte Sam nach einer Weile an.

„Der würde seinen Opfern auch das Blut aussaugen und sie nicht austrocknen.“ Der Blonde starrte missmutig in seinen Kaffee. Noch nicht mal den Kuchen hatte er angerührt.

„Wir haben nichts“, stellte Sam fest und sein Bruder hob nur die Schultern.

„Wir werden wohl morgen noch mal los müssen und weitere Angehörige befragen.“

Der Blonde verdrehte schon wieder ergeben die Augen. Er schob seinen Teller zur Seite, er hatte keinen Appetit mehr.

Sie zahlten und kehrten in ihr Motel zurück.
 

Dort angekommen schleppten sie ihre Einkäufe ins Zimmer.

Dean hatte mindestens doppelt so viele Tüten wie sein Bruder. Aber er hatte auch im letzten Jahr auf alle derartigen Einkäufe dankend verzichtet. In der Hölle hätte er keine neuen Klamotten gebraucht. Der Höllenhund hatte dann noch das Seinige dazu getan, Deans Kleidung zu reduzieren. Jetzt hatte er Gott sei Dank erstmal wieder für eine Weile ausgesorgt. Er hasste einkaufen gehen
 

Sam blinzelte in den schmalen Streifen Sonne, der durch die nicht ganz zugezogenen Gardinen fiel. Er streckte sich ausgiebig und stand dann auf. Er warf einen kurzen Blick auf das andere Bett und lächelte. Dean hatte wohl den nächtlichen Kampf gegen die Decke verloren, sie lag quer über ihm und er versuchte immer wieder seine Füße in die Wärme zu bekommen. Sam drehte die Decke und breitete sie wieder richtig über ihm aus. Dankbar brummelte Dean und vergrub sich gleich noch ein Stück tiefer darunter während Sam ins Bad verschwand.
 

„Dean! Los raus aus den Federn. Die Sonne scheint und wir müssen einen Fall lösen!“ Sam hatte nicht nur sein morgentliches Ritual im Bad in der Zwischenzeit beendet, sondern auch noch Frühstück geholt.

Dean wollte keinen Fall lösen, er wollte schlafen! Er zog sich die Decke weiter über den Kopf.

„Los, komm schon, dein Kaffee wird kalt.“

„Hmpf.“ Kaffee klang schon mehr nach etwas Erstrebenswertem. Dean schälte sich aus den Decken, ließ die Füße zum Boden baumeln und rieb sich verschlafen die Augen.

„Ist kalt“, knurrte er und schauerte zusammen als er zum Tisch kam.

„Was hast du die Nacht gemacht, dass sich sogar deine Decke mit dir verzankt hatte?“, fragte Sam und fuhr den Laptop hoch.

Dean starrte ihn fragend an.

„Deine Decke lag quer über dir. Gut das wir noch Sommer haben, sonst hättest du jetzt 'ne richtige Erkältung“, informierte er seinen, auf Karpfen machenden, Bruder und überlegte kurz, sich für die Aktion im Auto zu rächen und jetzt seinerseits Deans Mund zu schließen. Er ließ es.

„Hmpf!“ Dean nahm sich seinen Kaffee und versenkte sich in Genuss seines dringend benötigten Koffeins.

Sam grinste. Die Normalität kehrte in ihren Alltag zurück.
 

„Verdammt!“, schimpfte Sam plötzlich. Dean saß auf einmal kerzengerade. Was hatte er denn jetzt schon wieder angestellt?

Sam hatte seinen Bruder erschrecken sehen: „Nicht du“, beeilte er sich zu sagen, „es gab schon wieder einen Toten.“

Dean sackte in sich zusammen. ‚Na toll! Neue Befragungen, die wieder zu nichts führen’, stöhnte er innerlich.

„Wir sollten die Hinterbliebenen befragen.“ Und schon streute Sam Salz in diese Wunde. Dean zog eine Schmollschnute.

„Vielleicht finden wir ja dieses Mal was raus“, versuchte der Jüngere seinen Bruder gnädig zu stimmen. Es schien nicht zu funktionieren, denn er musste mit ansehen, wie der Blonde seinen Muffin zur Seite schob.

„Du bekommst schon noch jemanden zum Verhauen, Dean!“, versuchte Sam ihn zu trösten, schien damit aber keinen Erfolg zu haben. Dean rutschte noch weiter in sich zusammen.
 

„Sie heißt Ava Hamilton. Sie bekam plötzlich keine Luft mehr und bei der Autopsie gab es wieder keinen Tropfen Blut in ihrem Kreislauf“, informierte Sam seinen Bruder sobald sie im Impala saßen.

„Könnte eine Art Vampir sein“, sagte Dean plötzlich. Sie standen an einer Ampel und warteten auf Grün.

„Hat Dad etwas in der Art in seinem Tagebuch erwähnt?“, wollte Sam wissen.

Der Blonde schüttelte den Kopf.

Kondolenzen und ein Museumsbesuch

„Das ist mein Fall!“, wurden sie von einem jungen, drahtigen Officer im Haus des Opfers empfangen. „Wer sind sie überhaupt?“

Die Winchesters zückten erneut ihre Ausweise.

„Wir wollen Ihnen Ihren Fall nicht wegnehmen“, erklärte Sam ruhig, „aber Sie werden verstehen, dass sich das FBI so langsam dafür zu interessieren beginnt. Ich schlage Ihnen vor, wir arbeiten zusammen. Sie sagen uns, was Sie haben und wir geben Ihnen unsere Ermittlungsergebnisse.“

Der Officer nickte gezwungenermaßen und sah dabei nicht glücklich aus.

Der Hausherr und Ehemann der Toten, Matt, brachte Kaffee und bat die Herren Platz zu nehmen. Er selbst setzte sich in einen Sessel, während sich Sam und Dean auf der Couch ihm gegenüber niederließen und den beiden Polizisten, Officer Daniels, der sie so unwirsch begrüßt hatte, und seinem Partner Officer Johnson die zweite Couch überließen.

„Ist Ihnen an Ihrer Frau etwas aufgefallen, in den letzten Tagen?“

„Nein, nichts.“

„Wirklich nichts?“, hakte Sam nach.

„Sie war irgendwie fahrig“, versuchte er zu erklären.

„Fahrig?“

Dean wechselte einen Blick mit Sam und erhob sich. Er wollte sich etwas im Haus umsehen. Sam nickte und wandte seine Aufmerksamkeit dann wieder dem verstörten Ehemann zu.

„Na ja, sie“, der Mann stockte, „sie wurde immer weniger. Irgendwie durchsichtig.“

„Durchsichtig? Was soll denn der Quatsch?“, platzte Officer Daniels dazwischen.

Sam warf ihm einen warnenden Blick zu.
 

Dean ging langsam die Treppe nach oben und schaute sich in den Zimmern um. Fotos in den Schränken, Bilder an den Wänden. Eine blaue Tagesdecke über dem Bett und ein großer, weißer Kleiderschrank, der eine Seite des Schlafzimmers für sich beanspruchte. Das hier war eine ganz normale Familie!

Er wollte gerade wieder nach unten gehen, als ihm ein kleines Mädchen aus einem der Zimmer hinterher gerannt kam.

„Hey!“ sagte er leise und fing sie auf, als sie über eine Falte im Teppich stolperte und fast gegen ihn gefallen wäre.

Sie machte sich von ihm los und schaute aus großen, braunen Augen zu ihm auf.

„Bringst du mich zu meiner Mom?“, fragte sie vertrauensvoll.

Der Blonde setzte sich auf die Treppe. Er schluckte und überlegte, wie er dem Kind jetzt am wenigsten schmerzhaft begreiflich machen konnte, dass das nicht ging.

„Deine Mom ist nicht mehr hier“, begann er.

„Dad sagt, sie ist bei den Engeln.“

„Ja, und da kannst du nicht hin.“

„Warum nicht?“

„Dann wäre dein Dad hier ganz alleine. Willst du ihn alleine lassen?“

Verwirrt schüttelte die Kleine den Kopf.

„Aber ich möchte doch zu meiner Mom!“

„Sie wird immer bei dir sein. Tief hier drin“, Dean nahm ihre kleine Hand in seine und legte sie auf ihr Herz. „und sie wird immer auf dich und deinen Dad aufpassen.“

„Wirklich?“

„Wirklich!“, erwiderte er ernst.

Sie schaute ihm in die Augen und holte ganz tief Luft. Dann nickte sie: „Okay“

„Wollen wir runter gehen?“

Sie nickte und schob ihre kleine Hand wieder in seine. Gemeinsam gingen sie in das Wohnzimmer und Dean wurde nicht nur von Sam fragend gemustert. Dann zuckte der Jüngere mit den Schultern. Sein Bruder und Kinder. Das war halt so. Dabei konnte er sich noch gut erinnern, dass er ihm unterstellt hatte, er könnte nicht mit Kindern umgehen. Wie hatte er sowas nur denken können. Dean hatte ihn großgezogen!

„Ich hab Durst!“, sagte die Kleine plötzlich und schaute ihren neuen Freund breit lächelnd an.

Ihr Vater wollte sofort aufspringen, aber Dean schüttelte den Kopf. Er konnte das übernehmen. Noch ein Grund sich um die Befragung zu drücken. Sammy würde ihn nachher schon über alles informieren.

„Was magst du?“, fragte er sie und ging mit ihr in die Küche.

„Kakao!“, erklärte sie und zeigte ihm auch gleich wo alles Nötige stand.
 

Dean reichte der Kleinen das Glas und setzte sich ihr gegenüber.

„Ich bin Maddy“, stellte sie sich vor, „und du?“

„Deacon“, erwiderte er. Dann schwiegen sie wieder.

„Dad ist so komisch“, sagte sie plötzlich. „Er möchte mich immer in seiner Nähe haben.“

„Dein Dad braucht dich jetzt. Er hat Angst, dass er dich auch noch verlieren könnte, so wie deine Mom“, sagte Dean leise und die Kleine schien einen Moment zu überlegen. Dann nickte sie.

Im selben Moment kamen die Männer aus dem Wohnzimmer. Maddy schaute zu Dean auf und der lächelte ihr aufmunternd zu. Sie rutschte von ihrem Stuhl und flitzte zu ihrem Vater um sich sofort von ihm auf dem Arm nehmen und knuddeln zu lassen.

„Vielen Dank Mr. Hamilton. Sollte Ihnen noch etwas einfallen, rufen Sie mich bitte an.“ Sam gab dem Mann seine Karten und verließ dann, gefolgt von Dean, das Haus.
 

„Mein Gott, ich hasse es!“, grummelte Sam neben dem Impala und sah sich einen spöttischen Blick

„Ich brauch einen Kaffee!“, erklärte er und stieg ein.

Dean warf seinem Bruder einen leicht spöttischen Blick zu, sagte aber nichts und startete den Wagen.
 

„Der Mann konnte uns auch nichts Neues erzählen. Seine Frau war vor ihrem Tod immer unscheinbarer geworden. Das ist ihm aber auch erst aufgefallen, als er jetzt darüber nachgedacht hatte. Sie hatten sich gestritten und seine Frau ist für ein paar Tage zu ihrer Schwester gefahren. Die hat zwar behauptet, sie wäre nicht da, aber da sie das nicht zum ersten Mal gemacht hatte, geht er davon aus, dass sie doch da war.“

Der Blonde schüttete den Kopf: „Also ist alles, was wir haben, eine wage Vermutung, dass alle wahrscheinlich für ein oder zwei Tage verschwunden waren bevor sie dann später gestorben sind.“

„Ja ungefähr eine bis maximal zwei Wochen bevor sie aus irgendeinem Grund keine Flüssigkeiten mehr in ihrem Körper hatten, scheinen alle verschwunden zu sein.“

Beide starrten in ihren Kaffee. Beide hatten keine Idee wie es weitergehen sollte und vor allem, womit sie es zu tun haben könnten.

„Steht irgendetwas in Dads Tagebuch?“, fragte Sam in die Stille.

Der Blonde schüttelte den Kopf. Er musste nicht erst nachsehen. Er kannte das Buch auswendig. Sam könnte ihn mitten in der Nacht wecken und ihn nach irgendeiner Stelle fragen und er würde sie ihm wortwörtlich wiedergeben können.

„Das hast du gestern schon gefragt.“

„Ja, aber vielleicht ... dir hätte ja was eingefallen sein können.“

„Nein, ist es nicht. Tut mir leid.“

„Wir sollten uns die Ausstellung dieses Bildhauers mal ansehen.“

„Muss das sein?“, wollte der Blonde wissen und er sah aus als hätte er mindestens drei vereiterte Zahnwurzeln. Es reichte doch wohl wenn er sich seit zwei Tagen mit trauernden Angehörigen herumschlagen musste, jetzt noch auf Kultur zu machen, war echt ein bisschen zuviel verlangt.

„Es ist die einzige Spur, die wir noch haben. Oder wir warten bis weitere Menschen sterben.“

Das saß!

Dean holte tief Luft und nickte dann: „Lass uns zu dieser Ausstellung gehen.“
 

Dean brauchte etwas um sich zu beruhigen, also nahm er ihre Waffentasche mit ins Zimmer und begann ihre Waffen auseinander zu nehmen und jedes auch noch so kleine Stäubchen von ihnen zu entfernen. Er wusste selbst nicht warum, aber es beruhigte ihn. Er musste nicht darüber nachdenken was er tat, er konnte die Gedanken einfach abschalten. Seine Finger kannten jeden Handgriff auswendig.

Sam schaute seinem Bruder kopfschüttelnd zu. Der machte daraus ja schon fast ein Ritual. Für ihn schien das wie ein Mantra zu wirken. Sam lächelte und fuhr seinen Laptop hoch.

Er bekam gar nicht mit wie Dean die Waffen wieder wegräumte und länger wegblieb als er eigentlich hätte wegbleiben dürfen, um die Waffen im Impala zu verstauen.

Er erschrak regelrecht als ein Pizzakarton auf dem Tisch landete und zwei Kaffee daneben gestellt wurden.

„Dir geht’s wieder gut?“, fragte der Jüngere und Dean legte den Kopf schief und zuckte dann mit den Schultern. Er wollte endlich wieder Action und nicht nur Hände schütteln. Und dass sie jetzt auch noch in ein Museum mussten, ging ihm so gehörig gegen den Strich, dass er Sam am liebsten alleine losgeschickt hätte. Doch sein kleiner Bruder war ja so unbeholfen, der würde sich glatt zwischen all den Statuen und was die Leute sonst noch so für Kunst hielten verlaufen.
 

Langsam gingen sie von einer Plastik zur anderen. Einige waren aus Holz geschlagen oder, Dean konnte es nicht anders sagen, aus Schrott geschweißt. Bei einer Figur konnte er ganz deutlich verschiedene Autoteile ausmachen. Gut, dass sein Babe nie zu so einem Schicksal verdammt sein würde! Viele waren aus rotem Ton. Schien so eine Art Markenzeichen dieses Künstlers zu sein, obwohl Dean das wenigstes von dem, was er bis jetzt gesehen hatte, als Kunst bezeichnen wollte.

Sie umrundeten den Schrottberg und der Blonde zuckte zusammen. Dahinter saß eine Frau auf einer Bank, der ein riesiger Hund den Arm abriss.

In seinem Schreck hatte er Sams Arm gepackt und der drehte sich nun ebenfalls zu der Frau um.

„Es ist nur eine Plastik“, beruhigte er seinen Bruder.

„Aber eine verdammt real aussehende!“, er schaute sich den Hund näher an und ein nicht zu unterdrückendes Zittern lief durch seinen Körper.

Sam zog seinen großen Bruder zum nächsten Ausstellungsstück. Und doch wanderten Deans Augen immer wieder zurück.

„Dean!“

Deans Kopf ruckte zu Sam, die Augen immer noch fast ängstlich geweitet.

„Dean?“, fragte Sam mit leicht besorgtem Unterton in der Stimme.

„Der ist verdammt ähnlich!“, krächzte der Blonde und jetzt sah auch Sam genauer hin. Dieser Hund konnte einem wirklich Angst machen, stellte er fest.

Noch einmal musterte er seinen Bruder eindringlich. Er wusste genau was Dean meinte.
 

Sie gingen weiter in den nächsten Raum. In der Mitte der einen Wand hing ein breiter schwerer Vorhang. Wieder gab es mehrere menschliche Figuren, von denen vor allem eine Sams Aufmerksamkeit auf sich zog. Er grübelte, woher er das Gesicht kannte, doch es wollte ihm nicht einfallen.

Der Blonde beobachtete unterdessen den Vorhang. Er stand mit gerunzelter Stirn davor.

Ha! Er hatte sich nicht geirrt. Der Vorhang hatte sich leicht bewegt.

Und auch Sam war wieder eingefallen, woher er dieses Gesicht kannte. Er hatte am Nachmittag, als Dean sich den Waffen gewidmet hatte, die Suchmaschine mit den wenigen Angaben gefüttert, die sie zusammengetragen hatten.

Erschreckenderweise hatte seine Suche etwas ergeben. Er hatte noch ein paar weitere Opfer gefunden. Unter anderem war da auch ein Foto dieses jungen Mannes dabei. Dieses Mannes und von der Frau, die gleich neben diesem stand. Sam hatte es für einen Moment die Sprache verschlagen. Bevor er seinem Bruder jedoch von seiner erschreckenden Entdeckung berichten konnte, stand Dean hinter ihm.

„Kannst du mal Schmiere stehen, ich will mir ansehen, was hinter dem Vorhang ist.“

Noch bevor Sam antworten konnte war der Blonde verschwunden, und ihm blieb nichts anderes übrig, als mit viel Interesse die ausgestellten Statuen zu betrachten. Er hatte Dean noch nichts von seiner Entdeckung am Nachmittag erzählt. Der regte sich schon genug über die inzwischen sechs Toten hier in Portland auf. Und Sam überlegte, ob sie jemals eine Routine darin bekommen würden. Ob sie jemals einem Toten gleichgültig gegenüber stehen würden. Das wäre dann wahrscheinlich der Moment an dem sie diesen Job an den Nagel hängen oder sich gleich erschießen sollten. Denn dann hätten sie wohl ihre Menschlichkeit verloren.
 

Dean hatte sich hinter den Vorhang geschlichen und ließ den Strahl seiner Taschenlampe durch den Raum schweifen. Er befand sich in einem weiteren Ausstellungsraum. Allerdings gab es hier keine Plastiken sondern Bilder zu bestaunen. Der Blonde schnaubte. Das war dann wohl wieder Sams Metier. Oder vielleicht das von Sarah. Wie es der wohl ging?

Vielleicht sollten sie doch mal einen Abstecher nach New York machen. Sam hatte Sarah gemocht und sie würde ihm bestimmt gut tun. Allerdings konnte sich der Blonde nicht so ganz vorstellen, dass sie auf seinen kleinen Bruder gewartet haben würde. Zu lange war ihr Zusammentreffen schon her. Schade eigentlich. Sammy könnte ein wenig Spaß vertragen. Aber auch er selbst hatte im letzten Jahr eher wie ein Mönch gelebt. Er hatte sich sein letztes Jahr so schön vorgestellt. Ein paar Dämonen jagen, Spaß haben. Doch dann hatten sich die Ereignisse regelrecht überschlagen. Er war nur noch damit beschäftigt gewesen, Bela zu jagen, Sam davon abzuhalten den Pakt irgendwie zu brechen und sich selbst damit umzubringen, und auch das Übernatürliche hatte ihnen kaum eine Minute zum Durchatmen gelassen.

Dean holte tief Luft. Das könnte er demnächst ändern, aber jetzt hatte er einen Job zu erledigen. Einen an dem Menschenleben hingen.

Er ließ den Strahl seiner Taschenlampe über die Gemälde wandern und schnaubte. Nichts was er sich an die Wand hängen würde.

Auf einem Bild war eine Frau zu sehen. Sie war sogar hübsch. Langes braunes Haar, große freundliche Augen. Aber da wo Mund und Nase sein sollten sah es aus als hätte jemand mit viel Terpentin versucht einen Fleck vom Bild zu wischen.

Er sah sich weiter um.

Die Bilder waren verstörend, selbst für ihn. Oder gerade für ihn, weil er wusste, dass das, was der Maler hier fabriziert hatte auch Wirklichkeit werden konnte. Menschen mit trüben und doch sehenden Augen, mit seelenlos entstellten Gesichtszügen, herzlos.

Er wollte hier nur noch raus.

Vorsichtig schaute er um den Vorhang, die Luft war rein.

Vincent Wetherworth

Ein Mann, der aufgrund seines Äußeren unschwer als der Herr über diese ganzen Plastiken zu erkennen war, kam auf Sam zu. In der Hand hielt er ein Glas Champagner. Eine ältere Dame stürzte auf den Mann zu und schüttelte ihm überschwänglich die Hand, was Sam Zeit gab sich die Erscheinung näher zu betrachten. Er hatte braunes, strubbeliges Haar, das unter einer Baskenmütze hervorstand, einen Drei-Tage Bart, braune Augen. Er trug einen Anzug und aus dem weit geöffneten Kragen schaute ein buntes Tuch hervor.

„Hallo, ich bin Vincent Wetherworth“, stellte er sich vor und reichte Sam die Hand. „Sie sehen aus wie einer der wenigen ehrlichen Besucher hier. Einer, der einfach nur Interesse an Kunst hat.“

„Ihre Werke sind“, Sam suchte nach einen Wort, das wenigstens ein Stückchen an der Wahrheit lag, „interessant.“

„Finden Sie?“

Sam verlor sich in den wissenden, kalten Augen. 'Konnte ein Mensch solche Augen haben?'

„Ja. Und teilweise verstörend“, die Worte waren heraus noch bevor der Winchester richtig wusste, was er da gesagt hatte. „Woher beziehen Sie die Ideen? Woher nehmen sie Ihre Modelle?“

„Inwieweit?“, fragte der Künstler und ging nicht auf Sams Frage ein.

„Na ja, diese zwei Figuren da sehen aus wie Menschen, die eines sehr seltsamen Todes gestorben sind.“ Sam schluckte. Wieso hatte er das denn jetzt gesagt? Er fühlte sich wie hypnotisiert. Die Welt um ihn herum verlor ihre Schärfe und alles war toll, alles war richtig. Und so ganz in einen Kokon aus Wohlfühlen eingewickelt bemerkte Sam das Aufblitzen in den dunklen Augen seines Gegenübers

nicht.

„Hab ich was verpasst?“, plötzlich war Dean da und die Wohlfühlblase bekam Risse. Sam schüttelte den Kopf.

„Wir haben uns gerade über die Plastiken unterhalten“, erklärte er seinem Bruder.

„Ach so.“ Dean verlor das Interesse.

„Sag mal, können wir gehen?“, wollte er dann von seinem Bruder wissen.

„Darf ich fragen wer sie sind?“, schaltete sich der Bildhauer noch mal ein.

„FBI. Wir ermitteln in mehreren Fällen, in denen es um verschwundene Kinder geht“, sagte Sam.

„Staatsbeamte! Ich hätte sie nicht als solche eingeschätzt.“

„Wieso, dürfen die sich nicht kulturell interessieren?“, knurrte der Blonde und Sam lächelte ihn dankbar an.

„Natürlich, ich frage nur!“

„Lass uns gehen.“ Dean klopfte seinem Bruder auf die Schulter und der Jüngere verabschiedete sich mit einem Nicken bei seinem Gesprächspartner.

„FBI also“, murmelte der und sah den Männern hinterher.
 

Sie mussten wieder an der Frau vorbei, die von der täuschend echt aussehenden Höllenhundkopie angefallen wurde. Dean blieb stehen. Dieses Vieh löste fast körperliche Schmerzen in ihm aus.

„Komm“, sagte Sam und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Der Blonde nickte und folgte ihm. Doch immer wieder warf er einen Blick zurück und das Vieh schien ihm mit den Augen zu folgen.
 

Sam ließ sich mit einem erleichterten Seufzen auf den Beifahrersitz fallen. Er fühlte sich immer noch so komisch umfangen und das breitete ihm regelrecht körperliches Unbehagen. Er wandte sich zu seinem Bruder, doch auch der war in Gedanken versunken.

Nur war sein Gefühl ein ganz anderes. Ein sehr unangenehmes und so körperliches, dass es ihn schauderte. Er steckte den Zündschlüssel in das Schloss, drehte ihn herum und sein Babe erwachte mit einem satten Grollen zum Leben. Einem Grollen, das in seinen Ohren ein Schnurren war und ihm bezeugte, dass seine Liebe zu ihr nicht einseitig war. Ein Grollen, das seine Welt ein ganzes Stück mehr in Ordnung brachte.

Er fuhr zum Motel.

Im Zimmer plünderte der Blonde die Minibar. Verdammt der Höllenhund war ihm an die Nieren gegangen.

„Wollen wir noch mal weg?“, fragte er Sam und als der den Kopf schüttelte setzte Dean die Flasche an.

„Ich geh noch ne Runde spazieren“, sagte der Jüngere.

Der Blonde nahm die Flasche runter, ohne das er etwas getrunken hatte: „Soll ich mitkommen?“

„Laufen kann ich schon alleine, Dean!“, erklärte Sam mit leicht vorwurfsvollem Ton.

Der Angesprochene zuckte mit den Schultern und schüttete das Fläschchen in sich hinein. Dann nahm er sich eine Flasche Bier und ließ sich aufs Bett fallen, die Fernbedienung in der Hand.

Sam zog sich um und tauchte bald in die Schatten der Bäume des nahe gelegenen Parks ein.
 

Er lief unter den Bäumen entlang. Die kühle Nachtluft ließ seine Sinne wieder klarer werden.

Was an dem Mann hatte ihn nur derart durcheinander gebracht? Er war regelrecht benebelt gewesen! Konnte es sein, dass der für die Toten verantwortlich war? Immerhin sahen zwei seiner Plastiken genauso aus, wie zwei der Opfer. Oder war er einfach nur pervers und hatte die Bilder der Opfer gesehen und dann diese Plastiken geschaffen? Das konnte Ärger mit den Angehörigen geben. Oder konnte es sein, dass dieser Mann etwas mit den Menschen machte um sich, ja was eigentlich? Wollte er sich einfach am Tod der Menschen ergötzen? Wollte er sich ernähren? Das würde Sinn machen, da seine Opfer ja immer weniger wurden, wie ihre Angehörigen berichtet hatten. Aber was war der Typ dann? Ein Dämon? Wohl eher nicht. Eine Art Vampir? Er hatte noch nie von solchen Vampiren gehört, aber sie hatten von Vielem noch nicht gehört, obwohl sie ihr Leben lang mit so was zu tun hatten. Er musste Dean davon erzählen. Dann konnten sie mit dem EMF noch mal zurückkommen und seine Vermutung überprüfen und den „Was-auch-immer“ ausschalten bevor noch mehr Menschen sterben mussten.

Verdammt er hätte Dean schon im Auto sagen müssen, was mit ihm war, aber der hatte selbst ja komplett neben sich gestanden! Konnte das Vieh wirklich ein Abbild eines Höllenhundes gewesen sein? Hatte Dean so ein Vieh gesehen? Wäre das das Letzte gewesen, was er in seinem Leben hätte sehen sollen? Sam schauderte. Und wieder war er froh, dass er seinen Bruder noch hatte. Dean konnte nerven, Dean konnte ihn bis zur Weißglut treiben mit seiner Art, mit seinen Sprüchen, und doch war er sein Bruder und er konnte sich keinen besseren Bruder vorstellen. Er wollte keinen anderen Bruder haben!
 

Sam wandte sich um. Er wollte auf dem schnellsten Weg zurück ins Motel. Er hatte einen Gegner und er hatte einen Plan.

Plötzlich stockte er. Da war es wieder dieses tolle Gefühl. Er lief wie durch Watte und alles war so kuschelig und toll.

Dann tauchte der Mann vor ihm auf, den er gerade als Feind auserkoren hatte und seine Beine machten noch ein paar Schritte auf ihn zu.

Sam dachte an Dean, dachte daran, dass er ihm doch sagen musste, wer für die Toten verantwortlich war und er dachte an die Opfer, die dieser „Was-auch-immer“ noch fordern würde und an die, die für diesen Mann schon hatten sterben müssen. Und dann ging ihm auf, dass er genauso enden würde, sich langsam auflösend. Irgendwie.

Er wollte sich wehren, doch seine Beine gehorchten ihm nicht. Dann stand er vor ihm. Er schaute in die eisig blickenden Augen und er wusste, dass er keine Chance haben würde. Aber die wollte er wenigstens nutzen. Er ballte seine Faust in der Hosentasche.

„Lass uns ein Stück gehen“, schlug der Bildhauer vor und Sam nickte. So langsam kochte die Wut in ihm hoch. Die Wut auf sich. Und trotzdem lief er neben Vincent her. In die völlig falsche Richtung.

Er grub in seiner Tasche nach seinem Handy. Er musste Dean benachrichtigen.

„Nicht doch!“, schmollte der Bildhauer und hielt Sam seine Hand hin.

Widerstandslos holte der Winchester das Telefon aus seiner Tasche. Der Bildhauer nahm ihm das Handy weg, warf es gegen den nächsten Baum und führte ihn zu einem Auto, das gleich am Ausgang des Parks stand.

„Steig ein!“, forderte er den Winchester auf.

Sam schüttelte den Kopf.

Vincent riss seine Augen auf. So widerspenstig war noch keiner! Er packte den jungen Mann am Arm und schob ihn zur Beifahrerseite.

Sam riss sich los. Er drehte sich zu seinem Entführer um und versuchte ihm die Faust in den Magen zu rammen. Er musste den Mann ausschalten, musste sich aus dessen Bann befreien.

Der wich gekonnt aus. Sein Bann wirkte bei seinem neuesten Opfer zwar nicht ganz so gut wie bei anderen, aber es war immer noch benebelt genug, um nicht wirklich eine Gefahr für ihn zu sein. Er rammte ihm nun seinerseits die Faust in den Magen und schlug dann noch einen rechten Haken gegen Sams Kinn.

Blut tropfte aus Sams Nase und auch seine Lippe war aufgeplatzt. Aber noch gab er sich nicht geschlagen. Ein weiterer Schlag in den Magen schickte Sam zu Boden und Vincent wühlte im Kofferraum. Für solche, eigentlich unmöglichen, Fälle hatte er Chloroform dabei.

Das drückte er dem Benommenen vor's Gesicht und Sam verlor sich endgültig in der Dunkelheit.

Der Bildhauer wuchtete sein Opfer in den Kofferraum, schlug die Klappe zu und raste dann mit durchdrehenden Reifen davon.
 

Dean schreckte hoch. War er eingeschlafen? Er rieb sich über die Augen und schaute zum Fernseher. Dann setzte er sich auf. Er sah sich im Zimmer um. Sam war noch nicht da, also konnte er ja wohl nicht so lange geschlafen haben. Er blickte auf die Uhr.

„Verdammt!“, fluchte er. Sam war schon über fünf Stunden weg.

Er nahm sein Handy und wählte Sams Nummer. Sofort ging die Mailbox dran. Er fluchte wieder. Unruhig lief er im Zimmer auf und ab. Immer wieder versuchte er Sam zu erreichen. Nichts immer wieder nur diese verdammte Mailbox.

Er nahm sich den Laptop und fuhr ihn hoch. Schnell hatte er die richtige Seite gefunden und tippte nervös Sams Nummer in das Suchfeld.

Nichts.

„Das gesuchte Telefon ist vermutlich ausgeschaltet“, flimmerte es auf dem Bildschirm.

Toll, das hatte er schon beim Anrufen gemerkt. Er überlegte eine Weile und ging dann auf die Seite ihres Anbieters. Immer wieder versuchte er vergeblich die richtige Maske aufzurufen.

„Denk nach Dean, denk nach!“, grummelte er. Zehn Minuten später hatte er immer noch keinen Zugang. 'Wo ist Sam wenn man ihn mal wirklich braucht?'

Er stand auf und trat gegen das Tischbein. Der Tisch ächzte bedrohlich.

Dean lief immer Zimmer auf und ab. Panik machte sich in ihm breit.

'Vielleicht sollte ich Bobby anrufen?', überlegte er. 'Klar Dean, tolle Idee, und was willst Du ihm erzählen? Ihr seid grade mal 'ne Woche auf Tour und schon hast du Sam verloren? Echt Klasse, Dean.' Außerdem war um diese Uhrzeit selbst ein Bobby Singer im Bett. Hin und wieder musste der alte Mann ja auch mal schlafen.

Er setzte sich wieder an den Tisch und hackte erneut auf der Tastatur herum.

Endlich bekam er einen Zugang. Er holte tief Luft und gab Sams Nummer ein. Es dauerte eine weitere Ewigkeit bis sich endlich zeigte wo Sams Handy zuletzt in Betrieb war.

„Toll! Der Park. Darauf hätte ich nun wirklich selbst kommen können“, fauchte er und klappte den Laptop wieder zu. Er griff nach seiner Jacke und steckte sich den Colt in den Bund. Dann lief er los.

Der Park war riesig, wie sollte er hier seinen kleinen Bruder wieder finden? Er beschloss zuerst die Wege abzusuchen und dann tiefer einzudringen. Er schaltete seine Taschenlampe an und ging los. Hochkonzentriert folgten seine Augen dem Lichtkegel. Immer hin und her. Viel zu langsam kam er voran. Er hatte Sam verloren. Er hätte mitgehen sollen. Er hatte doch gespürt, dass Sam etwas beschäftigte. Er hätte ihn fragen müssen, hätte ihn aufhalten müssen, aber nein! Er hatte sich von einem Stückchen Lehm so aus der Fassung bringen lassen, dass er Sams Probleme einfach ignoriert hatte. Er hatte sich von dem Klumpen Ton so aus dem Gleichgewicht bringen lassen, dass er sich einen hinter die Binde gekippt hatte und eingeschlafen war. Er hatte versagt! Er sollte, er wollte Sammy schützen und hatte versagt. Mal wieder! Wie oft eigentlich noch?

Frustriert trat er gegen einen Stein, der vor seinem Fuß lag.

Der Stein flog uns Gras und landete mit einem leisen Klock. Dann war der Park wieder nur von den Gesängen der Vögel erfüllt.

Dean sah auf die Uhr. Er lief jetzt sein fast vier Stunden hier herum.

Die ersten Menschen begegneten ihm. Sie hetzten zur Arbeit oder brachten ihre Kinder zur Schule. Er ließ sich müde auf eine Bank fallen und rieb sich die Augen. Er hatte den Eindruck, er wäre jetzt jeden Weg mindestens ein Dutzend Mal entlanggelaufen.

Er schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief durch. So kam er nicht weiter.

Das leise Klock drängte sich wieder in sein Bewusstsein. Warum eigentlich? Es war in der Nähe vom westlichen Eingang gewesen. Irgendwo musste er ja anfangen, warum nicht da.

Er kniff noch einmal die Augen zusammen und erhob sich dann. Er war müde und doch würde er nicht schlafen können, außerdem musste er seinen kleinen Bruder finden.

Akribisch suchte er die Wiese ab, auf die der Stein geflogen war. Dann fand er es. Gleich neben einem kleinen Strauch lag es.

Sams Handy.

Er hob es auf. Ein Riss lief quer über das Display. Er versuchte es wieder einzuschalten. Es machte noch nicht mal die Anstalten wieder zum Leben erwachen zu wollen. Er würde Sammy ein Neues schenken müssen.

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Dann senkte sich seine Nase Richtung Boden und er begann jeden Grashalm umzudrehen. Aber er fand nichts.

Die Passanten, die an ihm vorbei hetzten schüttelten nur die Köpfe. Und selbst, wenn ein paar von ihnen dumme Sprüche machten, so hörte er sie nicht. Er arbeitete sich immer weiter zum Ausgang vor. Hier fand er Spuren von durchgedrehten Reifen. Aber es waren schon zu viele Leute darüber gelaufen um erkennen zu können, von was für einem Auto sie stammen könnten, und ob sie etwas mit Sammys Entführung zu tun hatten, war auch nicht erwiesen.

Er suchte weiter. Auf einem Stein fand er eine trockene braune Substanz. Blut? Es sah aus wie getrocknetes Blut. Sammys Blut? Dann war er wirklich entführt worden, obwohl er davon ja schon ausgegangen war. Aber von wem? Und warum?

Er betrachtete erneut die Reifenspuren, aber mehr, als dass sie vom Park aus nach Norden abgebogen waren konnte er nicht sagen. Er schaute die Straße hinab. Keine halbe Meile weiter war eine große Kreuzung. Spätestens da hörte die Spur auf, die er vielleicht hatte.

Er fühlte sich alt. Alt und unsagbar müde und leer.

Deacon Caine, FVI

Dean ging zurück in den Park und ließ sich auf die erste Bank fallen, die am Weg stand. Seinen Körper legte er auf seine Oberschenkel und den Kopf ließ er zwischen die Knie sinken. Er verschränkte die Hände im Nacken.

Wie sollte es jetzt weiter gehen? War Sam nur so entführt worden? Wohl kaum. Sam konnte sich wehren, das hatte er schon immer gekonnt. So einfach war ein Winchester nicht zu kidnappen.

Das konnte es nicht sein!

Hatte Sam vielleicht herausgefunden wer ihr mysteriöser Mörder war? Hatte der ihn entführt? Aber wer war er? Und...

Dean schüttelte den Kopf. Es brachte nichts wenn er hier saß und grübelte. Nur wo sollte er weiter machen? Es war inzwischen Mittag geworden und sein Magen knurrte. Aber er wusste ganz genau, dass er nichts runter bekommen würde.

Er ging ins Motel.
 

Seine heimliche Hoffnung, Sam wäre vielleicht zurück und würde im Bett liegen, wurde natürlich enttäuscht. Seit wann war es jemals so einfach gewesen und ihre Probleme hatten sich mal eben so mir nichts, dir nichts, in Wohlgefallen aufgelöst? Er ließ sich auf sein Bett fallen, nur um gleich darauf wieder aufzuspringen und durch das Zimmer zu laufen. Er konnte jetzt nicht rumsitzen, er konnte nicht in diesem Zimmer bleiben. Sollte er Bobby anrufen? Nein! Sie hatten nichts und er musste Sam alleine wieder finden. ER war für Sam verantwortlich und ER hatte ihn verloren.

Er blieb stehen und überlegte. Dann verzog sich sein Gesicht, als hätte er versucht seine Zahnschmerzen mit Eis zu behandeln.

Er zog sich seinen Anzug an, band die Krawatte um und schob Silberkugeln in das Magazin des Colts. Er steckte ihn in seinen Bund und schlug mit entschlossener Miene die Tür hinter sich zu.

Er würde sich noch ein paar Antworten holen, auch wenn die ihm vermutlich nicht weiter helfen würden, aber er konnte hier nicht nur rumsitzen.

Er fuhr zur Baustelle. Das würde sachlich und schnell vonstatten gehen. Er hatte heute einfach nicht die Nerven für eine trauernde Witwe. Okay, ob er die morgen haben würde bezweifelte er auch, aber was sollte es?

„FBI, ich suche Jack Donovan“, hielt er einen Bauarbeiter an.

„Der ist im Bauwagen“, der Mann wies ihm den Weg und verschwand dann mit seiner Kabelrolle im Rohbau.

Dean klopfte an die Tür und trat nach einem „Herein“ ein. Er sah sich einem musternden Blick ausgesetzt. Musternd und abfällig.

„Die Bauaufsicht war schon vorige Woche hier und die Woche davor auch!“, knurrte der Mann hinter dem Schreibtisch.

„FBI!“, stellte sich der Blonde vor und hielt dem Mann seinen Ausweis unter die Nase, „Deacon Caine“

„Nicht Horatio?“

„Sind wir in Florida?“, konterte Dean.

„Sie sehn ihm auch nicht ähnlich.“

„Bin ja auch nicht beim CSI“, grummelte der Blonde. „Sind sie Mr. Jack Donovan?“

„Der bin ich. Wie kann ich helfen?“

„Es geht um den Tod von Trevor Freeman. Sie waren dabei?“

„Ja“, sagte der Bauleiter und versuchte den Schauer zu ignorieren, der ihm über den Rücken lief.

„Wie lange kannten sie Mr. Freeman schon?“

„Wir haben vor diesem Bau hier schon drei Baustellen zusammen gemacht. Er hat einen tollen Job gemacht. War sehr gewissenhaft.“

„Sie müssen mich nicht belügen. Mir reicht die Wahrheit!“ Irgendetwas in der Stimme des Mannes sagt Dean, dass der gelogen hatte.

Die Augen des Bauleiters wurden groß: „Na ja, beim ersten Bau sind wir ziemlich aneinander geraten. Der Klempner hatte die Toiletten zu weit in den Raum gestellt, aber es wäre kein Problem gewesen, die Wände anzupassen, war eh nur Trockenbau und der Klempner wollte die auch nicht mehr versetzen. Trevor hat einen Hammer genommen und die Toiletten demoliert. Danach wurden sie richtig eingebaut. Das Gleiche hat er auch mit ein paar Trockenwänden gemacht. Tja, beim zweiten Bau wusste ich es dann und wir haben uns haargenau an die Pläne gehalten. Von da an lief alles super.“

Dean nickte.

„Kurz vor seinem Tod, war er da anders als sonst?“

„Wie anders?“

„Litt er unter Verfolgungswahn, hat er getrunken, Alkohol meine ich, war er übermüdet, mochte er plötzlich Dinge die er vorher abgelehnt hatte?“

„Hmmm… nichts, was mir aufgefallen wäre“, der Mann überlegte.

„Hatten sie auch privat miteinander zu tun?“

„Nein, nicht wirklich. Er war allein hier, ist erst vor drei Jahren hergezogen und hat sich voll in seine Arbeit gestürzt. Er wollte erst etwas erreichen bevor er sich binden wollte. Wir waren hin und wieder was trinken, nach der Arbeit, aber eher selten und dann hat er auch mal geflirtet. Aber nie was Festes.“

„Was ist an dem Tag passiert? Erzählen sie mir die letzten Minuten vor seinem Tod.“

„Es war eine ganz normale Baubesprechung. Wir sind durch die einzelnen Etagen gegangen und haben besprochen was in den nächsten Tagen wo zu tun ist. Wir haben uns grade die Pläne angeschaut, plötzlich ließ er die Flasche fallen und stolperte zwei, drei Schritte rückwärts. Er hielt sich die Hände vor die Augen und sagte immer wieder völlig fassungslos: ‚Ich bin blind, ich bin blind.’ Wir haben ihn dann festgehalten und seine Hände runtergenommen und seine Augen waren tatsächlich trüb. Logan hat sofort den Notarzt gerufen. Aber bis der eingetroffen war, hatte Trevor Freeman sich losgerissen und war die Treppe runtergestürzt.“

„Logan?“

„Ja, Logan Winter, der Chef der Trockenbauer.“

„Der, dem er die Wände demoliert hatte?“

„Nein, Logan war es damals nicht.“

„Er ließ die Flasche fallen“, wiederholte Dean, „Was für eine Flasche?“

Der Bauleiter sah ihn fragend an.

„Sie sagten: ‚Er ließ die Flasche fallen.’“

„Stimmt. In den letzten zwei Wochen lief er immer mit einer Flasche Wasser rum. Nein“, hob er abwehrend die Hände, als er sah wie der Agent Luft holte, „es war wirklich Wasser, er hat die Flaschen oft genug erst hier geöffnet und wir haben uns auch öfter davon bedient. Wir haben schon Witze gemacht, ob er eine Diät machen oder ob er Spitzensportler werden wollte. Er hat uns dann immer leicht angesäuert angeschaut, aber nie was gesagt.“

Dean nickte. Das passte zu den anderen Fällen. Sie waren alle innerlich vertrocknet. Aber warum?

„Hat er plötzlich eine Allergie gegen Schmuck entwickelt?“, wollte er wissen.

„Er trug seine Uhr und auch den Ring bis zu seinem Tod.“

„Ist ihnen sonst noch etwas aufgefallen?“

„Nein. Er war wie immer ehrgeizig und hundert Prozent genau.“

„Kann ich sehen, wo es passiert ist?“, wollte der Blonde noch wissen.

„Ich bring sie hin. Muss eh nach dem Rechten schauen.“
 

Der Bauleiter zeigte Dean die Stelle, an der inzwischen eine richtige Treppe war. Dann führte er ihn vier Etagen weiter nach oben. Da gab es noch genauso eine Bautreppe. Doch auch hier fand der junge Mann vom FBI keine neuen Erkenntnisse.

„Sagen sie, haben noch andere hier Krankheitssymptome gezeigt? Viel trinken, oder so?“

„Nein, hier sind alle gesund.“

„Danke Mr. Donovan“, Dean reichte ihm die Hand und verließ dann die Baustelle. Im Impala holte er den kleinen Block hervor, den Sam sonst immer mitnahm. Als er ihn aufschlug musste er unweigerlich lächeln: Sein Bruder hatte beim letzten Verhör wieder einmal nur Strichmännchen gemalt. Dean nahm seinen Kugelschreiber und machte sich Notizen.
 

Sein Magen knurrte und er steuerte das nächste Diner an.

Mit dem Laptop unterm Arm betrat er den Futtertempel und suchte sich einen ruhigen Platz. Er bestellte sich eine Fischlasagne und fuhr den Rechner hoch.

Vier Tassen Kaffee später, die inzwischen kalt gewordene Lasagne war kaum angerührt, hatte er immer noch nicht die leiseste Ahnung, womit sie es zu tun haben könnten und gab auf. Er klappte den Rechner zu und starrte aus dem Fenster. Draußen wurde es langsam dunkel.
 

Er stand auf, zahlte und stieg in den Impala.

Vielleicht war Sam ja irgendwo da draußen! Der rationale Teil in ihm bezweifelte das, aber wann hatte er schon mal darauf gehört? Er wollte sich einfach an die Hoffnung klammern, dass Sam ihm vor's Auto lief.
 

Die erste Hälfte der Nacht hatte er Sam verflucht, weil der sich so einfach hatte entführen lassen. In der zweiten Hälfte hatte er die Welt im Allgemeinen und sich im Speziellen verflucht, weil sie Sam verschluckt und er ihn hatte verschwinden lassen, weil er ihn nicht bewacht und beschützt hatte, so wie er es schon sein ganzes Leben lag tat. Doch jetzt war er selbst zum Verfluchen zu müde.

Erst als das Leben auf den Straßen schon wieder erwacht war wendete er den Impala und fuhr zum Motel zurück. Duschte und genehmigte sich einen extrastarken Kaffee.

Dann startete er seinen letzten Hausbesuch.
 

Er parkte den Impala am Straßenrand und ging die wenigen Stufen zum Haus hinauf. Er sah sich um. Eine hübsche Vorstadtgegend. Weiße Gartenzäune, geharkter Rasen, Blumenrabatten säumten die gefegten Wege.

So ein Leben hätte er auch haben können. Wenn Mom nicht unter der Decke von Sammys Kinderzimmer verbrannt wäre, hätte er dann wirklich so ein Leben gehabt? Er schüttelte den Kopf und wischte sich mit der Hand über das Gesicht, dann drückte er auf den Klingelknopf.

Eine junge Brünette öffnete die Tür. Sie hatte kurzes Haar und verweinte Augen, und sie war schwanger.

„Sie wünschen?“, fragte sie.

„Deacon Caine“, stellte er sich vor, „ich hab noch einige Fragen zum Tod ihres Mannes, Mrs. Samarah.“

„Aber ich hab der Polizei doch schon alles gesagt!“

„FBI.“ Dean hielt ihr seine Dienstmarke vor die Nase und sie trat zur Seite.

„Was soll das FBI denn anderes finden? Die Polizei hat nichts gefunden und seinen Tod als …“, sie schniefte und hielt ihre Arme schützend um ihren Bauch gelegt, „… Unfall bezeichnet.“

„Der Fall wurde an das FBI übergeben, Ma’am. Und ich mach mir gerne selber ein Bild von Allem.“

„Kommen sie rein. Möchten sie einen Kaffee?“

„Gerne!“, nickte er und rieb sich die Augen.

„Sie sehen ziemlich fertig aus“, stellte sie fest und winkte ihm, ihr in die Küche zu folgen.

„Der Job“, sagte er leise und ließ sich dankbar auf die dargebotene Eckbank fallen.

Sie löffelte Kaffeepulver in den Filter schaltete die Maschine ein. Dann holte sie zwei Tassen aus dem Schrank, stellte Zucker und Milch daneben und setzte sich zu ihm.

„Ihr Mann war joggen als es passierte?“, fragte er.

„Ja und nein.“

Dean zog eine Augenbraue hoch.

Sie lächelte verlegen: „Ja, er war joggen und nein, wir waren nur verlobt. Ich heiße Tory Clarkson. Wir sind schon seit dem College zusammen. Wir wollten erst unsere Karrieren vorantreiben und heiraten, wenn das Kleine getauft wird. Alles in einem Abwasch sozusagen.“

„Ist ihr Verlobter immer zur gleichen Zeit joggen gegangen?“

„Ja, er mochte die frühen Morgenstunden. Er war Frühaufsteher und ich blieb lieber länger im Bett. So ist er morgens joggen gegangen und wenn er wiederkam haben wir gefrühstückt. Dann sind wir zur Arbeit.“

„Hatte er Feinde, Neider, jemanden, der ihm nach dem Leben getrachtet haben könnte?“

„Nein, er war IT-Manager. Ein Guter, aber nicht so gut, dass ihn jemand umbringen würde, denke ich. Seine Kollegen mochten ihn.“ Sie lächelte entschuldigend.

Der Blonde sagte nichts dazu. Menschen waren eigenartig und zu fast allem fähig.

Die Kaffeemaschine röchelte und sie stand auf und holte die Kanne. Sie füllte die beiden Tassen.

„Wieso hat jemand einen Genickbruch wenn er beim Joggen stürzt?“, wollte sie wissen, als sie die Kanne neben die Spüle stellte.

„Er ist unglücklich gefallen. Er wollte sich vielleicht abfangen und ist dabei nach hinten gekippt und auf den Rücken gefallen. Dabei ist er mit dem Genick auf einen dieser Kantensteine gefallen. Und da brach die Wirbelsäule“, startete er einen lahmen Erklärungsversuch und hoffte, dass es halbwegs plausibel klang und sie nicht weiter nachfragte. Sam würde so etwas besser erklären können, aber Sam war nicht hier.

Sie schien die Erklärung zu schlucken.

„Hatte ihr Verlobter körperliche Beschwerden? Hat er sich vielleicht öfter zurückgezogen, damit sie es nicht mitbekommen, dass ihn körperlich etwas quält?“

„Nein, er war wie immer. Hat viel gearbeitet, kam gestresst nach Hause. Sie hatten da ein großes Projekt laufen, aber fragen sie mich bitte nicht was, ich freue mich schon, wenn ich meinen Computer so bedienen kann, das Philip nicht alle Nase lang daneben stehen muss, um mir zu helfen. Er hat sich auf das Joggen jeden Morgen gefreut. Das war sein täglicher Ausgleich zu dem Arbeitsstress.“

Übermüdet

„Wollte ihr Verlobter das Kind?“

Sie nickte: „Eigentlich war er es, der das Thema Kind angesprochen hat. Wir haben es dann eine Weile versucht,ohne dass es klappte, da hat er mir, uns, zu unserem Jahrestag einen Urlaub auf Bora Bora gebucht und da hat es tatsächlich geklappt. Sonst hätte er uns in einer dieser Kliniken angemeldet. Er hatte schon jede Menge dieser Prospekte angeschleppt.“

'Sammy wollte auch eine Familie gründen', überlegte er. 'Würde ich eine Familie wollen? Kinder?' Er dachte an Lisa und Ben. Was wäre wenn Ben sein Sohn wäre? Würde er öfter zu ihnen fahren wollen? Würde er die Jagd für sie aufgeben, bei ihnen leben wollen?

Wieder rieb er sich die brennenden Augen. Er war zu müde für solche Gedanken, zu müde für solche Gespräche.

Tory schaute ihn mitfühlend an. „Haben sie Familie?“, fragte sie dann auch noch.

„Nein“, antwortete er heiser, „der Job lässt keine Familie zu. Ich bin mal hier mal da, das würde keine Frau mitmachen und das will ich keiner Frau zumuten.“

Sie nahm seine Hand und drückte sie kurz. Er lächelte ein wenig schief.

„Gab es dubiose Anrufe oder Post in den vergangenen Wochen?“, lenkte er das Gespräch wieder in weniger aufwühlende Gefilde.

„Nein, ein paar Rechnungen, sonst nichts und angerufen haben auch nur unsere Freunde und meine Eltern.“

„Hatte ihr Verlobter plötzlich neue Hobbys oder Interessen?“

„Nein, auch nicht, dafür hatte er gar keine Zeit. In der wenigen Freizeit, die ihm sein letztes Projekt gelassen hat, war er im Kinderzimmer“, sie lächelte, „hat es renoviert und dann, er konnte wundervoll zeichnen, hat er ein paar Bilder an die Wände gemalt. Das Kleine soll in sechs Wochen kommen und eigentlich wollten wir nächste Woche Möbel kaufen.“ Sie umkrampfte ihre Tasse und versuchte die Tränen zurückzuhalten. Es gelang ihr nicht. Sie stand auf und drehte sich zur Spüle. Dean erhob sich ebenfalls und trat an sie heran. Er legte seine Hand auf ihre Schulter und sie drehte sich zu ihm. Tränen liefen über ihre Wangen. Er zog sie an sich. Sie ließ es geschehen und klammerte sich an seinem Hemd fest. Er war seit dem Tod ihren Verlobten der erste Mensch, der ebenfalls Gefühle zu haben schien. Die Anderen fragten immer nur nach Streit und Versicherungspolicen! Als hätte sie ihn wegen des Geldes ermordet oder ermorden lassen.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte.

„Danke, es geht wieder“, schniefte sie und wich einen Schritt zurück. Der Agent nickte und setzte sich wieder auf die Bank.

„Gab es irgendwelche ungewöhnlichen Vorkommnisse in letzter Zeit?“, wollte er dann wissen.

„Ungewöhnliche Vorkommnisse?“

„Das klingt jetzt vielleicht komisch, aber ist es plötzlich kälter geworden, bevor er das Zimmer betrat oder nach Hause kam? Hatten sie das Gefühl, dass ihr Mann vielleicht ferngesteuert wurde oder hatte er irgendwelche neuen Verhaltensweisen, trank er seinen Kaffee anders, mochte er sein Lieblingsessen nicht mehr? Gab es plötzlich Wutausbrüche?“

„Was sollen diese Fragen? Sind sie überhaupt ein FBI Agent?“, fragte sie aufgebracht.

„Bitte antworten sie einfach, okay?“, er hatte keinen Nerv mehr für Erklärungen und sie schien zu spüren, dass ihm diese Fragen wichtig waren und er hatte ihr geholfen, hatte sie getröstet als sie Trost brauchte. Warum sollte sie diese Fragen nicht beantworten, es waren nur Fragen, komische, aber nur Fragen

„Nein, nichts dergleichen“, sagte sie nachdem sie eine Weile überlegt hatte.

Er nickte.

„Hat irgendwann mal das Licht geflackert, oder war er plötzlich gegen Schmuck allergisch?“

Wieder schüttelte sie nach einer Weile den Kopf.

„Eine letzte Frage. Können sie mir ihren Hausarzt nennen?“

Diesmal nickte sie und gab ihm die Adresse.

„Danke Miss Clarkson. Ich denke nicht, dass ihr Verlobter durch einen Unfall gestorben ist aber ich verspreche ihnen, dass ich, was immer ihn getötet hat, finden werde.“

„Sie meinen, er wurde ermordet?“

„Ich glaube nicht, dass er eines natürlichen Todes gestorben ist“, bestätigte Dean seine letzte Äußerung noch einmal. Dann schüttelte er ihr die Hand und ließ eine restlos verwirrte, schwangere, junge Frau zurück. Aber er hatte nicht mehr die Nerven dazu, ihr mehr zu erklären. Er wusste ja selbst nicht, womit er es zu tun hatte und er musste Sam finden.
 

Dean fuhr zum nächsten Diner, so langsam musste er sich dazu zwingen etwas zu essen. Sein Magen knurrte, aber er hatte einfach keinen Appetit. Er ließ sich in der hintersten Ecke auf eine Bank fallen. Noch einmal ging er in Gedanken die möglichen Gegner durch. Was hatte er? Vampire? Die trockneten ja wohl nicht selbst aus und an den Leichen waren keine Bissspuren gewesen. Außerdem war das Blut ja noch in ihnen. Aber er konnte weder Geister noch Dämonen ausschließen. Genauso wenig wie Hexen. Gestaltwandler kamen wohl eher nicht in Frage, hoffte er zumindest. Er hatte keine Lust in der Kanalisation herum zu kriechen.
 

Die Bedienung schaute ihn mütterlich an und er hoffte inständig, dass sie dem Drang, der ihr so deutlich ins Gesicht geschrieben stand nicht nachgab und ihn gegen ihre Brust drückte. Darin würde er mit Sicherheit ersticken und das, obwohl sie über ihrem T-Shirt noch ein Hemd trug.

Sie als mollig zu bezeichnen wäre glatt untertrieben und doch strahlte sie eine Zufriedenheit aus, die Dean ein wenig von seiner Anspannung und Angst um Sam nahm.

„Was darfs sein?“, fragte sie und lächelte ihn an, nicht weil sie lächeln musste, sondern weil sie es wollte.

„Kaffee!“, antwortete Dean ohne zu überlegen, „Kaffee, viel und stark und schwarz, bitte.“

Sie nickte freundlich. Der junge Mann klang erschöpft und er sah müde aus.

Gleich darauf kam sie wieder und stellte die Tasse neben ihn. Er schien sie gar nicht wahrzunehmen, so konzentriert starrte er auf dem Bildschirm des Laptops.

„Was zu essen?“

Mühsam wandte er ihr den Kopf zu und nickte. Nach kurzem Überlegen antwortete er: „Chili?“

Sie brachte ihm das Gewünschte und füllte zum dritten Mal seine Tasse nach.
 

Er starrte immer noch gebannt auf seinen Rechner, schob sich nur hin und wieder einen Löffel voll Chili in den Mund ohne wirklich zu merken, was er da tat. Sich frustriert und müde die Augen reibend klappte er den Laptop wieder zu. So komplett im Stich gelassen, wie seit gestern, hatte ihn der ach so allwissende Informationsspender noch nie. Er hatte nach Höllenhunden gesucht, oder besser nach deren Abbildungen und woher die jeweiligen Maler das wohl hatten wissen können. Schließlich sah ihn ja nur, wen er holte und einen Angriff dieser Kreaturen hatten wohl noch nicht viele überlebt, oder war der eine oder andere Dämon unter die Maler gegangen? Bei manchen Machwerken wollte er das nicht mal ausschließen.

Trotzdem, wie hatte der Bildhauer, dieser Wetherworth, nur so ein genaues Abbild schaffen können? Dean konnte sich einfach keinen Reim darauf machen.

„Sie sollten auch was essen!“, sagte die Bedienung als sie ihm wieder Kaffee nachfüllte und er hörte den leichten Vorwurf in ihrer Stimme. Erneut rieb er sich müde die Augen, dann begann er aber folgsam sein Chili zu essen. Es warf fast kalt. Scheinbar entwickelte er ein Faible für kaltes Essen. Brr!

Er schaffte es nicht. Immer wieder fielen ihm die Augen zu und sein Kopf sackte auf seine Brust, immer wieder riss er ihn nach oben und versuchte die Augen offen zu halten.

Seufzend ergab er sich dann doch seiner Müdigkeit und legte den Löffel auf den Tisch, den Arm daneben und mit einem zufriedenen Schnaufen seinen Kopf auf den Arm. Sofort war er eingeschlafen.

Esther, die nette Bedienung ließ ihn in Ruhe. Sie räumte den Tisch ab.
 

Lange war dem blonden Winchester jedoch keine Ruhe vergönnt. Viel zu schnell träumte er von Sam und dann waren die Albträume wieder da, die ihm schon bei Bobby so viele schlaflose Nächte bereitet hatten. Erschrocken riss er den Kopf nach oben.

Gequält schloss er die Augen, rieb sich mit der Hand über sein Gesicht und starrte dann blicklos nach draußen.

Es half alles nichts. Er hatte alle gefragt, die ihm eingefallen waren, alle außer Bobby, und den wollte er noch nicht belästigen. Er würde helfen, keine Frage, aber was sollte er ihm bitteschön erzählen? ‚Hier sterben die Menschen wie die Fliegen?’ ‚Warum?’ ‚Keine Ahnung.’ ‚Toll, Dean, das hilft weiter!’

Er stemmte sich in die Höhe, zahlte und schlurfte zum Impala.
 

Beim Tanken hatte er sich noch ein paar Bier mitgebracht. Jetzt ließ sich der blonde Winchester auf sein Bett fallen. Er schaltete den Fernseher ein und fuhr den Laptop hoch. Immer wieder gähnend durchsuchte er das Internet mit immer neuen Suchwort-Kombinationen, als hätte er das nicht beim letzten Mal schon gemacht, und wieder kam er zu demselben Ergebnis, nämlich zu keinem, zu dem er nicht schon vorher gekommen war. Dann konnte er seine Augen nicht mehr offen halten. Er ergab sich seiner Müdigkeit und kippte einfach zur Seite. Im Fallen schaffte er es noch den Laptop zu schließen.
 

Stunden später wachte er frierend auf. Im Halbschlaf stellte er den Laptop zur Seite zog sich bis auf T-Shirt und Shorts aus und kroch unter die Decken.
 

Penetrant klingelnd weckte ihn sein Handy. Er knurrte verschlafen, drehte sich auf die Seite und zerrte die Decke über seinen Kopf.

Das Handy gab auf.

Nur um gleich darauf mit derselben Penetranz wieder zu klingeln.

Er griff danach und nahm ab. Sofort war er hellwach. Am anderen Ende der Leitung war Sam!

„Sammy, wo bist du?“

„Telefonzelle, ich hab mein Handy verloren“, kam es undeutlich und zugleich traurig aus dem Hörer.

„Kannst du ein Straßenschild lesen?“, drängelte Dean.

„NE Grant Street“ antwortete Sam nach einer Weile.

„Okay, bleib wo du bist, ich komme!“ Sofort war der Blonde in seinen Hosen, band sich hastig die Schuhe zu und zog sich, während er zum Wagen rannte, Hemd und Jacke über.

Er jagte den Impala so schnell er konnte durch die Straßen und brauchte trotz allem noch fast eine Stunde bis er Sam endlich gefunden hatte.
 

Der hockte auf der Bank einer Bushaltestelle an die Scheibe gelehnt und schien zu schlafen. Die Passanten, die hier auf ihren Bus warteten, musterten ihn immer wieder mit abfälligen Blicken.

Unerhört sich so volllaufen zu lassen und dann auch noch in der Bushaltestelle an einer Schule seinen Rausch auszuschlafen!

Ein schwarzer Wagen fuhr langsam an ihnen vorbei. Etwas weiter weg hielt er an und ein junger Mann stieg aus.

Schnell kam er auf sie zu und hockte sich vor den vermeintlich Besoffenen.
 

„Sam?“, fragte Dean sofort besorgt und nahm das Gesicht seines Bruders in die Hände. Sanft hob er es zu sich hoch.

„Sammy, komm schon, schau mich an!“, forderte er leise und strich ihm einige Strähnen aus dem Gesicht. Sam glühte und doch war er unnatürlich blass.

„Sammy? Wenn ich dich nicht schon mein ganzes Leben kennen würde, würde ich sagen, du hattest 'ne tolle Nacht“, grinste der Blonde.

Jetzt öffnete Sam doch die Augen und versuchte seinen Bruder böse anzuschauen.

Dean keuchte. Sams Augen glänzten fiebrig.

„Kannst du aufstehen?“, fragte der Ältere und richtete sich auf.

Sam kämpfte sich in die Höhe, schwankte aber so stark, dass Dean ihn besorgt wieder auf die Bank drückte. Sofort lehnte sich der Jüngere erschöpft gegen das kühle Glas an seiner Seite.

„Warte hier, okay?“ Dean blieb stehen und schaute seinen Bruder aufmerksam an, erst als Sam nickte rannte er zum Impala, fuhr ihn zurück und parkte direkt an der Bushaltestelle. Er stieg wieder aus, öffnete die Beifahrertür und kam wieder zu Sam.

„Sammy“, versuchte er Sams Aufmerksamkeit erneut auf sie zu lenken.

„So möchte ich auch mal umsorgt werden, wenn ich mir die Haken zugeschüttet habe“, lästerte der Mittdreißiger, der neben Sam saß.

Ein Blick von Dean ließ ich nicht nur erschrocken schweigen, sondern auch das Feld räumen.
 

Dean schob einen Arm um Sams Rücken und den anderen unter dessen Kniekehlen durch. Dann hob er ihn hoch und drückte gegen seine Brust. Sofort ließ Sam seinen Kopf gegen die starke Schulter seines Bruders sinken und fühlte sich schon ein bisschen weniger elend.

Dean trug ihn zum Wagen und setzte ihn auf den Beifahrersitz.

„Bleib noch ein bisschen wach, ja?“, forderte der Blonde und holte eine Flasche Wasser aus dem Kofferraum. Er schraubte sie auf und drückte sie Sam in die Hand. Es ging fast über dessen Kräfte die Flasche zu heben. Der Blonde, der neben dem Impala hockte, legte seine Hand stützend unter die Flasche und der Jüngere schluckte gierig.

„Langsam Sammy, langsam“, mahnte Dean.

Endlich ließ Sam die Flasche sinken. Der Ältere schraubte sie zu, lief schnell um den Wagen.

Kurz bevor der Bus in die Haltestelle einbiegen wollte schoss der Impala davon.

Sorgen

Endlich kam die schwarze Schönheit vor dem Motel zum Stehen. Dean war während der Fahrt schon ein paar Mal versucht gewesen anzuhalten. Immer wieder war Sam zur Seite gerutscht oder nach vorn gekippt und drohte sich den Kopf am Armaturenbrett, der Seitenscheibe oder dem Lenkrad anzuschlagen. Nicht das Sam das gemerkt hätte, aber der Blonde machte sich schon genug Sorgen um seinen kleinen Bruder, da musste nicht noch ein angeschlagener Kopf dazu kommen.

Er stieg aus und rannte fast um den Wagen. Vorsichtig öffnete er die Tür und griff sofort ins Wageninnere als Sam ihm entgegen zu kippen drohte.

„Hoh! Sammy“, sagte er leise und drückte den Jüngeren gegen die Rückenlehne.

Er musste sich zwingen seine Hand nicht sofort wieder weg zu ziehen, Sam glühte förmlich.

Er hob ihn auf seine Arme, drückte die Tür mit der Hüfte zu und trug seinen kleinen Bruder ins Zimmer. So langsam sollten sie es in Betracht ziehen, sich ihr Zimmer im Erdgeschoss zu suchen.

„Du hast auch schon mal weniger gewogen!“, maulte er und setzte ihn auf dem Bett ab.

Sam hing wie eine Schlenkerpuppe in seinen Armen während er ihn bis auf Shorts und T-Shirt auszog. Er legte ihn ins Bett, wickelte die Decken fest um ihn und holte aus dem Bad einen feuchten Lappen, den er Sam auf die Stirn legte.

„Bleib brav liegen, Sammy, ich hol uns was zu trinken“, sagte er leise und machte sich auf den Weg. Das Zimmer schloss er vorsichtshalber ab.
 

Dean holte in dem kleinen Laden an der Ecke Wasser, Orangensaft und Eis und beeilte sich, so schnell wie möglich wieder ins Zimmer zu kommen.

Sam hatte sämtliche Decken von sich geworfen.

„Sammy, du hast Fieber. Du wirst dir noch den Tod holen“, erklärte Dean mit einem leichten Vorwurf in der Stimme. Er packte Sam wieder warm ein und holte dann eine Flasche Wasser, die er ihm an die Lippen hielt. Sam trank gierig die halbe Flasche leer. Dann sank er erschöpft wieder in die Kissen.

Dean räumte seine Einkäufe weg und zog um Sams Bett einen Salzkreis. Er wusste zwar nicht, ob es helfen würde, aber schaden konnte es auf keinen Fall. Dann legte er seinen Colt auf den Nachttisch, zog sich einen Stuhl ans Bett und setzte sich zu seinem kranken Bruder.

Seine Gedanken schweiften in ihre Kindheit.

Er hatte es nicht geschafft seinen kleinen Bruder zu beschützen. Nicht nur, dass er raus gelaufen war und sich sein eigenes Vergnügen gesucht hatte, nein er hatte auch noch völlig unfähig in der Tür gestanden, sich an der Schrotflinte festgehalten und der Strigha dabei zugesehen, wie sie Sammy die Lebensenergie ausgesagt hatte. Wäre Dad nicht gekommen und hätte auf sie geschossen, wäre Sam gestorben.

Und als ob es nicht schon schlimm genug wäre, dass Dean mit seiner Wut über seine eigene Unfähigkeit zu kämpfen hatte und ihm Dads vorwurfsvolle Blicke jedes Mal bis ins tiefste Innere trafen, Sammy hatte sich nach diesem Angriff auch noch ganz furchtbar erkältet. Er lag eine Woche mit hohem Fieber im Bett und war kaum ansprechbar und Dean wich nicht eine Minute von seiner Seite. Er versorgte Sam, wusch ihm den Schweiß vom Körper und machte sich so gut es ging unsichtbar wenn Dad das Zimmer betrat. Und doch konnte er Dads Wut jedes Mal spüren. Die Wut darüber, dass sie hier bleiben mussten, dass Dad nicht schon wieder auf einer neuen Jagd war, und Dean hatte sich erneut geschworen alles zu tun, damit Sammy nie wieder krank und Dad nie wieder wütend auf ihn werden musste.
 

Sam warf sich immer unruhiger von einer Seite auf die andere. Er keuchte und stöhnte rau.

Dean nahm Sams Hand und murmelte beruhigend Worte. Es half nichts.
 

Er irrte durch einen langen Kellergang. Wie war er hierher gekommen und wo zum Teufel war Dean?

„Dean?“ rief er leise.

Nichts. Nicht mal eine Maus war zu hören.

„DEAN!“

Er lief einfach weiter in die Richtung in die er gerade schaute und hoffe hier bald eine Tür zu finden, die er öffnen und die ihm einen Ausgang aus dieser Dunkelheit bieten würde.

Warum war es hier eigentlich so heiß?

Wieder rüttelte er an einer Tür und diese schwang so schnell auf, dass er in das Zimmer stolperte. Kaum stand er in der Mitte des Raumes, schlug die Tür auch schon wieder zu. Ein leises Kichern ertönte.

Sam sah sich um.

Das Zimmer kam ihn bekannt vor. Woher?

Dann riss er die Augen auf. Es war das Schlafzimmer der Wohnung, die er in Stanford mit Jess bewohnt hatte.

Das Schlafzimmer an dessen Decke Jess so qualvoll verbrannt war. Seine Jess. Tränen traten ihm in die Augen.

Verschwommen nahm er einen Schatten hinter sich wahr.

Er drehte sich um.

„Jess“, entfuhr es ihm verwundert.

„Hallo Sam“, grüßte sie und machte einen Schritt auf ihn zu.

„Oh Gott, Jess, du lebst!“ Sam machte einen Schritt auf sie zu und nahm seine Freundin in die Arme. Wie sehr hatte er sie vermisst.

Kurz ließ sie ihn gewähren, dann schob sie ihn von sich.

„Es ist nicht dein Verdienst, dass ich lebe!“, knurrte sie ihn an und ihr wundervolles Gesicht verzog sich zu einer entstellten Fratze. Sie presste ihre Nägel in seine Arme.

„Jess!?!“, keuchte der Winchester erschrocken.

„Du hast mich sterben lassen, Sam. Nur weil du mit deinem Bruder jagen musstest, nur weil du deinen Spaß haben wolltest, musste ich sterben. Du hättest mir sagen müssen, was du machst. Du hast mich all die Jahre belogen Sam und du hast gesagt du würdest mich lieben.“

„Ich, Jess, ich habe“, stotterte der Dunkelhaarige.

Unwirsch schüttelte sie ihren Kopf und schnitt ihm das Wort ab.

„Du bist eine Bedrohung für alle, die dir nahe kommen. Du bringst nur Unglück über sie. Du bist bis in die tiefsten Tiefen deiner Seele bösartig!“

Aus ihren Augen verschwand jedes bisschen Weiß. Eine Handbewegung reichte aus und Sam wurde langsam aber ohne, dass er es verhindern konnte, an die Wand gepresst und zur Decke hinauf geschoben und dann weiter bis in die Mitte des Raumes.

Ein heißer Schmerz jagte durch seinen Körper und er sah wie Blut aus seinem Bauch tropfte.

Jess, oder das was in Jess steckte, lachte boshaft.

Sie wandte sich zum Gehen und Sam sah, wie um ihn herum Flammen aus der Decke schlugen, spürte wie sie an seiner Kleidung leckten.

Plötzlich kam Dean in das Zimmer gestürzt.

Entsetzt starrte er zur Decke und sah Sam da hängen.

„SAM!“, brüllte er immer wieder, doch er konnte nicht verhindern, dass die Flammen Sam verzehrten und dann ließ er sich kraftlos auf den Boden fallen. Den Tod erwartend, der schon Sam mit sich riss.

Der Jüngere war an der Decke jedoch dazu verdammt mitzuerleben, wie Dean in den Flammen starb, bevor sie auch endlich ihn mit sich rissen.

Es war immer noch so unerträglich heiß um ihn herum.

„SAM!“, brüllte ihn jemand an.

„SAMMY!“, schrie Dean.

Dean? Der war doch verbrannt? Waren sie? Mühsam hob der Winchester seine Lider.

Dean stand neben ihm, rüttelte ihn, und das nicht gerade vorsichtig.

„Mein Gott, Sammy, du hast mir solche Angst gemacht.“

Sam schüttelte den Kopf. Er war immer noch nicht klar im Kopf und ihm war heiß.

„Durst“ krächzte er und sofort schob Dean ihm einen Arm unter Kopf und Rücken und hielt ihm die Flasche an die aufgesprungenen Lippen.

Nach wenigen Schlucken fielen Sam wieder die Augen zu und der Blonde ließ ihn in die Kissen gleiten.

Er ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen und überlegte. Etwas stimmte nicht. Sam hatte Fieber, aber...

War das wirklich Fieber? Bei Fieber schwitzte man doch, oder?

Sam schwitzte nicht, Sam glühte nur!
 

Wieder lauschte der Ältere den schweren Atemzügen seines Bruders. Er musste etwas tun. Aber was?

Er stand auf und ging ins Bad. Dort ließ er die Wanne mit kaltem Wasser voll laufen und legte dann Sam hinein. Er stützte ihn, damit er nicht untertauchen konnte und wartete, bis sich Sams Haut wieder halbwegs normal anfühlte.

Sanft trocknete er den Jüngeren ab und brachte ihn zurück ins Bett.

Wieder ließ er sich auf seinem Stuhl nieder.

Immer wieder flößte er Sam Wasser ein und hoffte darauf, dass sein Bruder mal länger wach blieb, damit er ihn fragen konnte, wo er war und wie er da wieder rausgekommen war. Und vor allem, was mit ihm geschehen war!
 

Reglos saß der Blonde auf seinem Stuhl und bewachte den unruhigen Schlaf seines Bruders. Noch fühlte sich Sammys Haut angenehm warm an aber Dean wusste, dass sich das nur zu bald wieder ändern würde. Außerdem hatte er den Eindruck sein kleiner Bruder wäre in den paar Stunden um Jahre gealtert. Der Kleine schlug Falten! Seine Haut war druckempfindlich und gar nicht mehr elastisch.

Er holte tief Luft. Seine Gedanken kreisten unablässig um fünf Fragen: Wer hatte Sammy das angetan? Warum? Was hatte er mit Sammy gemacht? Wo konnte er ihn finden? Und wie konnte er ihn vernichten?
 

Er stand auf einer Wiese. Die Sonne schien angenehm warm auf seinen Körper. Neben ihm stand ein junger Mann. Sam musterte ihn skeptisch. Der sollte ihm den Weg zu Dean zeigen können? Der junge Mann war ein Dämon. Sam hatte ihn gerufen. Er wollte seinen Bruder zurück, oder sich gegen ihn austauschen. Es war egal. Nur das Ergebnis zählte und das musste lauten, Dean war nicht mehr in der Hölle.

„Du musst in dieser Richtung weitergehen“, sagte der Dämon nur und verschwand.

„Hey!?!“, brüllte Sam ihm hinterher. Doch nichts, sein hilfreicher Begleiter war so gar nicht hilfreich gewesen.

Er wusste doch, dass man sich auf Dämonen nicht verlassen konnte. Warum hatte er das dann getan?

Er nickte. Langsam lief er in die angegebene Richtung. Neben ihm plätscherte ein Bach, das Gras fühlte sich weich an und lud zum Ausruhen ein.

'Du musst vor Einbruch der Dunkelheit diese Wiese überquert haben!', hatte ihm der Dämon gesagt, 'Denn so wie sich das Licht in Dunkel verwandelt, so wird schön zu hässlich und friedvoll zu dämonisch werden.Viele kommen schon hier an ihre Grenzen und verfallen dem Wahnsinn. Es ist so einfach euch Menschen zu brechen!', wiederholte Sam in Gedanken die Worte, die der Dämon ihm mit auf den Weg gegeben hatte.

Sam schüttelte den Kopf. Er füllte seine Wasserflaschen und lief los. Er lief und lief. Er liebte Spaziergänge, aber das hier artete in eine Hetzerei aus. Er wollte sich gerne ausruhen, doch er konnte es nicht. Er musste Dean finden. Er musste seinen Bruder retten.

Immer weiter lief Sam und hoffte in dem wogenden Grün nicht die Orientierung zu verlieren und im Kreis zu laufen. Er schaute sich um. Hinter ihm, ganz am äußersten Ende des Horizontes konnte er einen dunklen Streifen sehen. Er begann zu laufen. Immer schneller hetzte er vorwärts. Er nahm sich keine Zeit mehr um die Blumen zu bewundern oder auch nur um zu trinken, er rannte einfach weiter.

Sein Atem rasselte, er musste eine Pause machen. Er musste trinken.
 

Dean schob seinen Arm unter Sam und hob ihn vorsichtig an. Dann drückte er ihm die Flasche an die Lippen.

„Ganz ruhig Sammy, ich bin hier. Du träumst nur“, redete er immer wieder beruhigend auf seinen kleinen Bruder ein. Aber er war sich nicht sicher überhaupt zu Sam durchdringen zu können.

Hastig schluckte Sam das angebotene Nass.

„Schon gut Sammy, langsam. Ich will nicht, dass Du dich auch noch verschluckst.“

Endlich schien der Dunkelhaarige genug zu haben und ließ von der Flasche ab.

Genauso vorsichtig wie er ihn angehoben hatte ließ Dean seinen Bruder wieder in die Kissen sinken und deckte ihn zu. Sams Temperatur stieg wieder. Das konnte er deutlich fühlen.

Albträume

Immer noch keuchend erhob sich Sam. Seinen Blick hatte er auf das aufziehende Dunkel gerichtet. Er hatte mit seiner Pause viel Zeit verloren. Drei Viertel des Himmels waren inzwischen von der Dunkelheit überzogen. Er rannte weiter.

Dunkle Schatten hatten ihn schon erreicht als er über den Rand des Grüns stolperte. Hinter sich hörte er furchterregende Geräusche. Und auch wenn er glaubte schon viel zu viel davon gehört zu haben um noch Angst zu bekommen, er hatte Angst und diese Angst trieb ihn weiter. Weiter in eine diffuse Dämmerung hinein. Er stolperte. Unter ihm war Sand. Warmer Sand.

Immer weiter lief er, bis von der Dunkelheit und dem darunter befindlichen Grün nur noch ein schmaler Streifen am Horizont überhaupt erahnen ließ, dass es sie gab. Dann ließ er sich fallen. Er brauchte Ruhe. Er trank ein paar Schlucke und schloss seine Augen. „Nur ein paar Minuten Ruhe“, murmelte er.

„SAMMY, HILFE!“

Sofort stand der jüngere Winchester wieder auf seinen Füßen. Das war Dean. Dean brauchte Hilfe! Sam stolperte weiter. Wohin ging er überhaupt? Er drehte sich im Kreis. Die Fußspuren, die er hinterlassen haben müsste, waren weg. Nichts! Hinter ihm war nichts. Nichts als unberührter Sand.

„DEAN?“ brüllte er in die Weite. „DEAN? Wo bist du?“

Er bekam keine Antwort.

Noch einmal drehte er sich im Kreis und lief dann in die Richtung weiter, von der er annahm, dass sie die richtige war.

Wind kam auf und wurde immer schlimmer. Er riss die oberste Sandschicht mit sich. Sam hielt an und zog sich sein Hemd aus. Er wollte es sich um Mund und Nase binden, doch fast sofort fühlte er den Sand unangenehm über seine bloßen Arme schmirgeln. Er klemmte sich das Hemd zwischen die Beine, zerrte sich das T-Shirt vom Körper und beeilte sich das Hemd wieder anzuziehen und es so weit wie möglich zu schließen. Als er dann auch noch das Shirt um sein Gesicht geschlungen hatte atmete er erleichtert auf. Vielleicht sollte er sich eine Senke suchen und den Sandsturm abwarten. Er stapfte weiter.

Der Boden unter ihm fiel ab und er stolperte in das Tal.

Am Fuß dieser Senke hockte noch jemand

„Hallo Sam. Wie ich sehe hast du die Dämonenwiese überstanden. Willst du wissen, wie es Dean geht?“ fragte der junge Mann, der Sam schon gesagt hatte, dass er sich besser beeilen sollte um über die Wiese zu kommen.

Sam nickte. Der Dämon zerrte Sam mit an den Rand der Senke und mit einer Handbewegung teilte er die Sandmassen.

Sam stockte der Atem: Mitten in dem Sandsturm angekettet hing sein Bruder. Der Sand rieb ihm die Kleidung vom Leib und scheuerte über seinen bloßen Körper. Dean versuchte zu schreien, doch sofort drang ihm der Sand in Mund und Nase. Er würgte, hustete und doch konnte er nichts tun. Immer heftiger wurde der Sand um ihn. Er schmirgelte ihm zuerst die Haut und dann das Fleisch von den Knochen. Dean schrie und wand sich vor Schmerzen bis ihn der Sand völlig zerrieben hatte nichts mehr in den Ketten hing.

„Du solltest dich beeilen, ihn zu finden“, grinste der Dämon, „denn solange du hier herumlungerst und Dich ausruhst wird er es immer wieder erleiden müssen!“

Entsetzt starrte ihn der Winchester an. Dann stolperte er in den Sandsturm hinaus.

Immer wieder meinte er die verzweifelten Schreie seines Bruders zu hören.

Ihm war so heiß. Der Sandsturm schien alle Feuchtigkeit aus ihm heraus zu saugen und mit sich fort zu reißen doch er hatte Angst zu trinken, Angst auch nur kurz anzuhalten. Er musste Dean finden.
 

„Sam, Sammy, bitte“, versucht der Blonde auf seinen kleinen Bruder einzureden aber es half nichts. Der Jüngere schlug um sich und versuchte sich aus Deans Griff zu befreien, als der ihn in seine Arme zog und zum Trinken zwingen wollte.

Dann plötzlich erstarb Sams Widerstand und er trank gierig.

Die Flasche war leer und der Ältere ließ seinen geschwächten Bruder wieder in die Kissen sinken. Er konnte fühlen, dass das Fieber weiter gestiegen war. Doch er scheute sich noch davor Sam schon wieder in die kalte Wanne zu legen.
 

Eine Weile blieb Sam einfach nur liegen. Er hatte den Sandsturm und die Wüste hinter sich gelassen, aber er hatte seinen Bruder nicht gefunden. Musste er jetzt wieder zurück und weiter nach ihm suchen? Er überlegte noch als er plötzlich etwas hörte, das ihn aufhorchen ließ.

„Nein, bitte nicht! Nein, hört auf. Hilfe!“

Das war eindeutig Deans Stimme. Aber sie kam nicht aus der Wüste, sie kam von vor ihm.

Erschrocken stolperte Sam weiter. Er lief einen dunklen Weg entlang. Abwärts und auf ein rötliches Licht zu.

Immer öfter stolperte Sam auf dem abschüssigen Weg. Das rote Glühen nahm zu, genau wie die Hitze, die ihm entgegen schlug.

Das letzte Stück war der Weg noch steiler geworden und er musste rennen um sein Gleichgewicht überhaupt halten zu können. Er prallte gegen eine schwarze Wand. Sie war heiß. Sofort löste er sich wieder von ihr und machte einen Schritt zur Seite. Doch dieser Schritt brachte ihn gefährlich nahe an einen Abgrund. Er taumelte wieder rückwärts.

Vor ihm war ein riesiger See aus Lava. Immer wieder schossen Fontainen daraus empor und Feuerbälle fauchten durch die Luft.

Einer Hängebrücke gleich führte von seinem Podest aus ein Pfad aus schwarzen Inseln darüber. Fast wie Eisschollen schaukelten sie über den See. Locker zwanzig, dreißig Meter hoch. Sam wollte sich gar nicht erst fragen, wodurch diese Inseln wohl hielten.

Vorsichtig versuchte er einen Fuß auf die erste dieser Inseln zu stellen. Sie schwankte fürchterlich und Sam zog seinen Fuß wieder weg. Unentschlossen stand er da. Sollte er umkehren und einen anderen Weg suchen? Gab es überhaupt einen anderen Weg?

Hinter ihm polterte es. Wieder versuchte er einen Fuß auf die Plattform zu stellen. Und wieder geriet diese ins wanken.

„Es ist so einfach Sammy, gib auf, lass dich fallen“, wisperte es plötzlich hinter ihm. „Dean hat sein Schicksal selbst gewählt. Er hat den Pakt geschlossen. Was geht es dich an. Lass dich fallen!“ Schwarze Wolken schossen um ihn herum. Sie umschwirrten ihn wie Fliegen, trieben ihn zum Abgrund. Stießen gegen ihn.

Er fragte sich, wie Rauch so fest sein konnte.

Er strauchelte gefährlich nah an der glühenden Hitze des Abgrundes. Er schwankte, ruderte mit den Armen und sprang.

Auf Händen und Knien landete er ziemlich mittig. Sofort riss er seine Hände wieder vom Boden. Der Stein war scharfkantig und seine Hände bluteten.

Er schaute zurück. Doch die Entfernung war viel weiter als sie von der anderen Seite ausgesehen hatte. Oder spielten ihm seine Sinne einen Streich? Schweiß rann ihm schon jetzt in Strömen über den Körper.

Er trat einen Schritt zurück und wollte Anlauf holen. Die Insel schwankte schon wieder bedrohlich. Sofort erstarrte Sam in der Mitte.

Die Dämonen hinter ihm kicherten wie wild.

Sam nahm erneut Anlauf und sprang. Wieder landete er auf Händen und Knien. Wieder rissen die scharfen Kanten blutige Krater in seine Handflächen.

Er riss die Ärmel aus seinem Hemd und verband sich die Hände. Dann hetzte er weiter.

Er hielt nur an um etwas zu trinken, doch jeder Schluck den er nahm schien seinen Durst nur zu vergrößern und immer schon lange bevor er seinen Magen erreichte zu verdunsten.
 

Sam hetzte weiter, immer weiter, während die Dämonen ihn umschwebten.

„Gib auf Sam, er ist es doch gar nicht wert“, flüsterten sie. „Lass dich fallen, dann hat alles ein Ende!

Dean ist selbst Schuld, dass er hier ist. Er wollte es doch so!“

Sam versuchte sie zu verscheuchen. Er wollte ihnen nicht zuhören.
 

Dean versuchte seinen Bruder zu halten. Immer wieder schlug der um sich, schlug ihm die Wasserflasche aus der Hand.

„Sam, Sammy, bitte Sammy, beruhige dich!“, versuchte Dean zu ihm durchzudringen. Sein Bruder hatte sich so sehr verkrampft, dass es dem Blonden kaum möglich war Sams Finger zu lösen, die er so fest in seine Handflächen gebohrt hatte, dass die bluteten.

Fieberhaft versuchte er eine Lösung zu finden. Sam glühte regelrecht und es schien immer schlimmer zu werden.

Er schaffte es nach einer Weile, Sams verkrampfte Hände zu lösen. Dann legte das kalte, feuchte Tuch wieder auf dessen Stirn.

Erschöpft ließ er sich nach hinten sinken.
 

Das helle Viereck, das die Sonne auf den rotbraunen Teppich malte wanderte langsam von links nach rechts und Deans Hände machten sich selbstständig.
 

Er hetzte weiter. Immer wieder hörte er Dean rufen und es klang so verzweifelt, so panisch! Er musste zu ihm, er musste ihn endlich hier rausholen.

Wieder holte er Anlauf, doch gerade als er abspringen wollte schoss vor ihm eine Lavafontaine von unten herauf. Nur mit Mühe konnte er seinen Schwung bremsen und sich nach hinten fallen lassen. Keuchend blieb er lieben. Dann sah er einen Feuerball durch die Luft direkt auf ihn zu fliegen. Er kam auf die Füße und sprang. Gerade noch rechtzeitig schaffte er es auf die nächste rettende Insel. Doch rettete sie ihn?

Immer schneller schienen ihn die Feuerbälle attackieren zu wollen. Immer schneller hetzte er von einer Insel zur nächsten. Seine Hände waren schon lange eine schmerzende, blutende Masse und in seinen Schuhen schmatzte es bei jedem Schritt unangenehm.

Er wollte lieber gar nicht erst sehen, wie seine Knie aussahen.
 

Ein raues Keuchen von Sam ließ ihn aufschrecken. Er wollte aufstehen und eine neue Flasche Wasser holen.

Sein Blick fiel auf seine Hände, auf seinen Schoß. ‚Wie lange baue ich hier eigentlich schon meinen Colt auseinander und wieder zusammen?’, fragte er sich erschrocken. Schnell war die Waffe wieder zusammengesetzt und auf den Nachttisch gelegt. In der Küche fiel sein Blick auf den Kühlschrank. Er nickte.

Mit einer Flasche Wasser und einem Becher Eiswürfel ging er wieder zum Bett. Er schob Sam den Arm unter den Rücken und brachte ihn mit sanfter Gewalt dazu zu trinken. Sam kam ihm viel leichter vor. ‚Hatten die Angehörigen der anderen Opfer nicht alle gesagt, dass sich ihre Lieben aufzulösen schienen?’ Bei Sam jedenfalls hatte er genau diesen Eindruck.

Sein Bruder drehte den Kopf zur Seite, er konnte nicht mehr trinken.

Dean stellte die Flasche zur Seite und ließ Sam wieder in die Kissen sinken.

Der Jüngere war nicht mal richtig aufgewacht. Traurig schüttelte Dean den Kopf. Er nahm einen Eiswürfel, strich damit über Sams aufgesprungene Lippen und schob ihn die Reste dann zwischen die Zähne. Vielleicht half diese Kühle ja ein wenig gegen die Hitze.

Der Blonde überlegte. Von solch hohem Fieber hatte keiner der Angehörigen etwas berichtet.
 

Er ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen.

Das helle Viereck war aus ihrem Zimmer verschwunden.

Was sollte er jetzt nur tun? Sam beim Sterben zuschauen?

Immer wieder schob Dean ihm Eiswürfel in den Mund, aber das konnte doch auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein! Außerdem erleichterte es Sam zwar das Atmen, aber er glühte trotzdem als wollte er die Pole schmelzen. Beide und gleichzeitig.
 

Endlich hatte er es geschafft. Er war dieser Flammenhölle entkommen.

Vor ihm erstreckte sich ein schwarzes Lavafeld, das leicht anstieg. Er ließ sich einfach fallen, er brauchte etwas Ruhe, doch die Hitze trieb ihn weiter. Weg von dieser Flammenhölle.
 

Je höher er kam umso kälter wurde es und dann hatte er den Kamm erreicht und stand vor einer weißen Fläche. Vorsichtig ließ er sich an deren Rand nieder. Die Fläche bestand aus lauter kleinen Eiszacken.

Sollte er da wirklich durch müssen? Warum musste die Hölle immer nur aus Extremen bestehen? Sandsturm, der einem die Haut vom Körper rieb, Lavaseen und dann eisige Kälte? Sam wollte nicht mehr weiter. Er wollte aufgeben.

„Gib auf Sam!“, flüsterte eine Stimme, „Dean ist es nicht wert, dass du dich so quälst.“

Sam stand auf und trat auf die Eisfläche. Die kleinen Zacken splitterten unter seinen Füßen. Zügig schritt er aus.

Er knotete die Jacke von seiner Hüfte los, zog sich erst das jetzt ärmellose Hemd über und dann die Jacke an. Sam war froh sie nicht in den Lavasee geworfen zu haben. Er hatte oft genug mit dem Gedanken gespielt.
 

Und dann sah er seinen Bruder. Dean hing in Ketten. Sein Kopf lag auf seiner Brust. Sein Shirt war blutgetränkt. Zumindest soweit Sam das sehen konnte. Dean war hinter einer Eiswand.

Sam begann zu rennen. Schneller, immer schneller hetzte er über die eisige Fläche. Die Kälte brannte in seinen Lungen.

Und dann hatte er die Eiswand erreicht.

„Dean, mein Gott! DEAN!“, brüllte er und drosch mit den Fäusten gegen die kalte, ihn schon fast verhöhnen wollende Fläche. Hilflos musste er mit ansehen wie die Dämonen Dean folterten, wie sie ihre Krallen immer wieder in Deans Körper trieben, wie sie seine Kehle zerfetzten um ihn am Schreien zu hindern. Er sah die Angst und Verzweiflung in Deans Augen und die Schmerzen die sie ihm zufügten.

Hektisch begann Sam nach einem Eingang in die Eisfestung zu suchen.

Und dann stand er unter einem riesigen, in das Eis gehauenen Portal. Hoch oben wölbte es sich. Der ganze Gang schien diese Wölbung zu haben. Weit reichte er in die Festung hinein und überall zweigten Gänge ab.

Wie sollte er hier den Weg zu seinem Bruder finden?

Noch einmal holte er tief Luft, dann betrat er das eisige Labyrinth.
 

Sam wusste nicht wie lange er schon durch die Gänge geirrt war. Er war müde. Er fror. Trotzdem er fast nur die Wege entlang rannte, klapperten seine Zähne. Er hatte Durst. Doch das bisschen Wasser, das sich noch in seiner Flasche befand war eingefroren und er hatte Angst am Eis festzufrieren, sollte er daran lutschen.

„Rechts, links, gradeaus – Sammy kommt hier nicht mehr raus. Einmal vor und dann zurück, und auch da hat er kein Glück!“ höhnten die Dämonen in einem an- und abschwellenden Singsang um ihn herum.

Sam lief weiter. Getrieben von den panischen Schreien seines Bruders stolperte er durch eine weitere Tür.

Schon lange hatte er die Orientierung verloren. Und als das lang Erwartete dann endlich doch kam, quietschte er erschrocken auf und fiel hilflos rudernd auf den Rücken. Hart schlug er mit dem Kopf auf. Heiß explodierte der Schmerz und er versank in der Bewusstlosigkeit.

Versager

Dean ging ins Bad. Er ließ lauwarmes Wasser in die Wanne. Dann holte er Sam und ließ ihn hinein gleiten.

Es schmerzte ihn seinen Bruder so zu sehen. Nackt wirkte er noch zerbrechlicher und seine Haut fühlte sich wie altes Pergament an, viel zu trocken.

Immer wieder ließ der den Wasserstrahl über Sams heiße Haut gleiten und drehte dabei das warme Wasser immer weiter ab.

Der Jüngere reagierte nicht darauf.

Vorsichtig fühlte Dean seine Brust. Der Dunkelhaarige strahlte immer noch jede Menge Wärme ab.

Er stand auf, strubbelte Sam durch die struppigen Haare und verließ das Zimmer. Im Gang stand eine Eisbox, er holte mehrere Eimer und schüttete sie nach und nach in die Wanne.

Immer wieder fühlte er Sams Haut. Eigentlich müsste der doch schon erfroren sein. Aber nein, er schien sich sogar ganz wohl zu fühlen.

Schwer hoben sich die Lider über trübe, braune Augen.

„Sammy?“, fragte Dean leise.

Der drehte den Kopf in seine Richtung und blinzelte ihn an.

„Weißt du wer dir das angetan hat?“

Sam schüttelte den Kopf.

„Bitte Sammy, versuch dich zu erinnern!“

„Wollte spazieren“, krächzte er.

„Das warst du und seitdem sind zwei Tage vergangen. Ich hab die ganze Stadt nach dir abgesucht.“

„Zwei Tage?“

Dean nickte nur als er den verwirrten Blick seines kleinen Bruders sah. Das brachte nichts. Irgendetwas schien Sams Gedanken, Sams Erinnerungen zu blockieren. Zumindest was diese zwei Tage anging. Er schüttelte den Kopf. So unglücklich wie Sam nach den vergangenen zwei Tagen in seiner Erinnerung forschte war es wohl keine gute Idee gewesen ihn zu fragen. Außerdem hatte er ein viel dringenderes Problem. Er musste Feuchtigkeit in Sam bekommen, und die Eisstücke, die er ihm immer noch in den Mund schob halfen da auch nicht wirklich weiter.

Sam sagte nichts mehr. Seine Augen waren wieder leer geworden und langsam rutschte er immer tiefer in die Wanne.
 

Zitternd kam er wieder zu sich. Wo war er, was war passiert? Er öffnete die Augen und starrte in das immer gleich bleibend schummerige Licht über sich.

Eis, wo er auch hinsah, überall Eis.

Sam versuchte sich zu bewegen. Sein Rücken kribbelte und er konnte weder seine Hände noch Füße spüren. Er musste seine Arme sehen, um sich zu vergewissern, dass sie noch da waren. Doch kaum hatte er sie gesehen, bereute er es. Denn jetzt setzten die Schmerzen ein.

Die Kälte biss!

Er versuchte sich auf die Seite zu drehen, um dann, über diesen Umweg wieder auf die Füße zu kommen. 'Ich fühle mich wie ein hundertjähriger Rheumakranker', dachte er sarkastisch. 'Können erfrorene Füße einen Menschen tragen, oder brechen sie einfach ab? Zersplittern sie?', fragte er sich.

‚Ich werde es wohl gleich wissen!'

Er versuchte sich zu erheben. Er schwankte und versuchte einen Schritt zu machen.

Er stolperte und krachte in einen Berg Eiszapfen, die da am Boden lagen. Mühsam kam er wieder auf die Beine. Immer wieder nahmen ihm die runden, rollenden Dinger den Halt.

Endlich stand er wieder sicher. Er stopfte sich noch ein paar Eiszapfen in die Tasche und nahm dann einen besonders großen in die Hand und lutschte daran.

Sam war schon erstaunt, dass seine Zunge nicht daran kleben blieb.

Er hatte Durst und doch fror er durch dieses kalte Zeug in seinem Mund noch mehr.
 

Der Ältere fasste zu und setzte Sammy wieder richtig hin. Unablässig tauchte er den Waschlappen in das kalte Wasser und wischte damit über Sams Gesicht. Plötzlich fiel ihm etwas ein. Fernsehen war doch nicht so unnütz wie seine kleine Nervensäge es immer behauptete.

Er durchsuchte sämtliche Schränkchen im Bad und diesmal hatte er Glück. Er fand eine Flasche Babyöl.

„Bleib noch kurz sitzen“, sagte er zu dem Jüngeren und rannte nach unten zum Impala.

Sammy hatte doch darauf bestanden, dass sie diese neumodischen Wärmefolien kaufen sollten, falls er mal mit seinen Babe einen Unfall haben würde. Als ob ER je einen Unfall haben würde. Der Einzige, der sein Babe schrottete war Sam. Dean schüttelte den Kopf. Er suchte die Folien. In den tiefsten Tiefen des Kofferraums fand er sie. Er starrte darauf. Jetzt waren sie wenigstens zu etwas nütze. Dean grinste.

Er rannte zurück in ihr Zimmer. Eine Folie breitete er auf dem Bett aus, dann holte er mehrere Handtücher, die er in Sams Eiswanne tauchte, leicht auswrang und dann auf der Folie verteilte, dann schaute er nach Sam.

„Findest du's da drin noch gemütlich oder willst du warten, bis dir Kiemen und Schwimmhäute wachsen?“ Dean hatte sein Pokerface aufgesetzt. Er wollte Sam nicht zeigen wie unsicher er sich fühlte, wie groß seine Angst um ihn war.

„Kalt!“, Sams Zähne klapperten leise.

„Das ich das noch erleben darf“, grinste der Blonde und hob Sammy aus der Wanne, nur um ihn auf dem Rand abzusetzen. Großzügig kippte er das Babyöl über Sam. Dann trug er ihn, glitschig wie er war, ins Bett und wickelte ihn in die Handtücher ein. Zum Schluss legte er noch die zweite Folie um ihn.

„Siehst aus wie eine Weihnachtsüberraschung“, feixte er, breitete eine Decke über das glitzernde Paket und ließ sich, nachdem er sich umgezogen hatte, er hätte Sammy doch erst im Bett in Babyöl tauchen sollen, wieder auf den Stuhl fallen.
 

Planlos stolperte er weiter einen Gang entlang und fragte sich immer wieder, wie lange er hier noch durchhalten würde. Fast wünschte er sich in den Lavasee zurück.

Mechanisch schaute er in die abzweigenden Gänge. Er hatte die Hoffnung aufgegeben Dean zu finden, und er hatte die Hoffnung aufgegeben einen Ausgang zu finden.

Und da war er plötzlich: Der Ausgang.

Sam lief daran vorbei.

Grüne Bäume und Gras drängten sich in sein Gedächtnis, nur um gleich wieder von Eis überlagert zu werden.

Mühselig humpelte er noch ein paar Schritte weiter. Dann blieb er stehen.

Gras? Bäume?

Er lief zurück.

Wirklich da war ein Ausgang.

Er stolperte auf die Bäume zu.

Er hatte es geschafft! Keuchend ließ er sich in ihrem Schatten fallen. Seine Arme verkrampften sich vor seiner Brust. Er zitterte, seine Zähne klapperten unkontrolliert. Erschöpft schlief er ein.
 

Es war kein erholsamer Schlaf, aus dem er kurze Zeit später wieder aufschreckte. Er stolperte weiter.

Doch er kam nicht weit. Müde und erschöpft lehnte er sich gegen den ersten Stamm, der auf seinem Weg stand. Er rieb sich die Augen.

Durch wie viele Höllen musste er noch gehen? Wie viele Irrwege würden noch auf ihn warten? Wie lange würde Dean noch durchhalten?

Er trank einen Schluck aus seiner Flasche. Vielleicht sollte er zurückgehen und sich ein paar Eiszapfen in die Flasche stopfen? Obwohl der Wald nicht so aussah, als ob es hier kein Wasser zu finden geben würde.

Wasser, Eiszapfen! Unangenehm nass rannen ihm die getauten Eiszapfen an seinem Bein herab. Er hatte vergessen sie aus seiner Tasche zu nehmen.

Er lehnte sich wieder gegen den Stamm und schloss für ein paar Minuten die Augen.
 

Dean stand lachend vor ihm, zog ihn auf die Füße und dann in eine feste Umarmung.

„Du hast mir Angst gemacht Sammy, so schlimm war die Verfolgung doch gar nicht, dass du hier einfach umkippen könntest.“

„Ich bin umgekippt?“

Dean nickte nur.

„Wen haben wir denn verfolgt?“, wollte der Jüngere wissen.

„Bigfoot“

„Es gibt keinen Bigfoot!“

„Doch, schau mal in den Spiegel“, lachte der Blonde und machte immer noch keine Anstalten Sam wieder loszulassen.

„Ich kann alleine stehen!“, grummelte Sam.

„Ich weiß!“

„Dann lass mich los!“, der Jüngere war sauer.

„Ich halte dich doch gar nicht fest“, sagte der Blonde und ging einen Schritt zurück.

Das Gefühl des umklammert werden blieb: „Aber?“
 

Erschrocken riss Sam die Augen wieder auf.

Er hatte immer noch das Gefühl, dass ihn etwas fest an sich gepresst hielt. Dean war es definitiv nicht!

Er schaute an sich herab.

Der Baum hatte einige Äste um ihn geschlungen und ganz langsam wuchs die Rinde um ihn.

„Oh Gott!“, keuchte er und wand sich hektisch aus dieser hölzernen Umarmung. Geschockt stolperte er von dem Baum weg.

Er drehte sich zu dem Monster um und machte einige Schritte rückwärts um nicht doch noch in den Einzugsbereich dieser Baumschlingpflanze zu kommen.

Plötzlich spürte er einen Widerstand in seinem Rücken. Er stand wieder an einem Baum und auch dieser bewegte seine Äste auf ihn zu. Sam keuchte erschrocken und sprang von dem Baum weg. Aber kaum war er von dem einen Baum weg, geriet er schon in den Einzugsbereich des nächsten.

Panisch hetzte er weiter. ‚Wie lange soll das noch gehen? Wie lange wollen sie mich hier noch quälen? Kann ich Dean überhaupt finden oder machen sich die Dämonen einen Spaß daraus mich zu quälen? Genauso wie sie Dean quälen?’ Er wusste es nicht und er hatte auch nicht die Ruhe um darüber nachdenken zu können.

Keuchend kam er auf einer Lichtung an. Mehrmals drehte er sich im Kreis um sich zu vergewissern, dass auch ja kein Ast bis zu ihm reichte.

Hoffnungslos, traurig grinsend, schüttelte er den Kopf. Jetzt hatte er schon Angst vor Bäumen!

Er stützte seine Hände auf den Knien ab und versuchte seine Atmung wieder in normale Bahnen zu lenken.

Plötzlich hörte er Schritte.

Er schaute auf.

„Dean!“, keuchte er erschrocken. Sein Herz raste. Seine Hände wurden feucht. Dean!

„Hallo Sammy!“ Der Blonde klang distanziert, kalt.

„Oh mein Gott, Dean. Bin ich froh dich gefunden zu haben!“

Bist du!?“

„Dean? Was ist mit dir? Ich hab dich gesucht, ich bin durch einen Sandsturm geirrt, über einen Lavasee gesprungen, dann musste ich durch ein Eislabyrinth und die Bäume hier wollten mich auch aufhalten.“

„Wollten sie?“

„Dean? Du bist so komisch!“

„Bin ich?“

„DEAN!?!“, die Panik verklumpte sich in Sams Magen und drängte mit Macht nach oben.

„Du warst zu langsam Sam!“

„Ich bin so schnell gekommen wie ich konnte!“

„Du warst zu langsam!“, erklärte der Blonde kalt. Seine Augen wurden schwarz. „Wie ist das Sam? Wie ist es, sich als Versager zu fühlen? Als der Versager, der nie etwas richtig machen konnte? So hat sich Dean, so habe ich mich mein Leben lang gefühlt. SAM! Jetzt ist es vorbei. Mein Leben ist vorbei. Meine Qualen sind vorbei!

Du warst zu langsam Sam! Sie haben mich gefoltert. Sie haben mich gequält und zerrissen, sie haben mich leiden lassen, wie ich noch nie gelitten hatte, Sam und irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich hab es nicht mehr ausgehalten und ich habe aufgegeben. Es war so einfach Sam. Ich habe aufgehört zu kämpfen. Ich hab mich einfach fallen lassen.

Und sie haben mich zu einem der ihren gemacht. Keine Ängste mehr, Sam, keine Schmerzen.“

„Dean, du…“, stotterte der Jüngere.

„Wie ist das Sam, wie ist es versagt zu haben?“, bohrte der Blonde weiter. „Du bist schuld daran, wie ich jetzt bin, was ich jetzt bin. Du warst zu langsam!“

„Bitte“, flehte der Jüngere.

„Danke Sam“, spottete er.

„Nein, Dean, nein!“ stotterte der Dunkelhaarige und wich vor seinem Bruder zurück. Immer weiter und weiter, bis er gegen den Stamm eines Baumes stieß.

„Nein“, murmelte er immer wieder, „nein, nein, nein.“

Er fühlte, wie sich die Äste eines Baumes um ihn schlossen. Er fühlte wie es ihn einschloss und er langsam bewegungsunfähig gemacht wurde. Er wollte sich nicht mehr wehren. Er wollte nicht mehr kämpfen.
 

Noch immer hatte Dean keine Ahnung wie es weiter gehen sollte, noch immer wusste er nicht was er machen sollte. Er wollte hier nicht weg, aber er konnte doch auch nicht hier sitzen und Sam beim Sterben zusehen.

Es war fast Mitternacht. Wieder flößte er Sam Wasser ein. Dann stand er auf. Unruhig lief er hin und her. Er konnte nicht mehr sitzen, er konnte nicht mehr darauf warten, dass es Sam noch schlechter ging, und er konnte schon gar nicht darauf warten, dass Sam sterben würde, denn genau darauf lief es hinaus. Was sollte er nur tun? Erneut zog er die Folien gerade und glättete die Decke. Dann holte er tief Luft.

Das Modell

Sams Kleidung lag noch immer da, wo er sie ihm vom Leib gerissen hatte. Er ging hin, hob sie auf und legte sie auf das Fußteil von Sams Bett. Plötzlich stutzte er.

Da war ein Fleck am Hosenbein, den er beim Ausziehen übersehen hatte. Er schüttelte den Kopf.

Sie machten sich doch wohl oft genug dreckig, als das ihn ein Fleck nicht so aus der Fassung bringen sollte. Aber dieser Fleck war rot!

Rot! Roter Ton.

Er holte sich den Laptop und fuhr ihn hoch.

Es dauerte nicht lange und seine Vermutung bestätigte sich. In und um Portland gab es keinen roten Ton.
 

Der Einzige hier, der mit rotem Ton hantierte, war der, der ihn mit seinen Höllenhund fast zu Tode erschreckt hatte, der Bildhauer Vincent Wetherworth. Na der konnte was erleben!

Doch zuerst musste sich der Blonde noch um seinen Bruder kümmern. Er stellte ein paar Flaschen zusammen und verband sie mit Schläuchen. Einen schob er Sam zwischen die Zähne.

„Halt durch, Sammy. Ich weiß nicht, wie lange ich brauche, aber ich verspreche dir, dass ich mich beeilen werden. Ich werde ihn zur Strecke bringen.“

Das Internet hatte ihm verraten, wo er den Bildhauer zu suchen hatte, wo dessen sein Atelier war.

Dean wusste noch immer nicht womit er es zu tun hatte, also lud den Colt vorsichtshalber mit Silberkugeln.

An der Tür blickte er noch einmal zurück. In seinem Blick mischten sich Hoffnung und Trauer. Wenn er versagen würde, würde Sam sterben. Dann wäre es das letzte Mal, dass er seinen kleinen Bruder jetzt gesehen hätte.

Er schüttelte den Kopf, er würde nicht versagen, er würde dieses „Was-auch-immer“ zur Strecke bringen. Entschlossen zog er die Tür hinter sich zu und schloss ab.

Mit verbissener Mine stieg er in den Impala und startete er den Motor. Ein letzter Blick ging zu dem Fenster hoch, hinter dem er seinen Bruder leiden wusste, dann schoss der Wagen vom Parkplatz.
 

Es dauerte nicht sehr lange bis der Winchester in der Nähe des Grundstückes parkte, auf dem der Bildhauer lebte.

Er sollte sich beeilen, im Osten zeigte sich schon der erste graue Streifen am Himmel. Nur mit seinem Colt bewaffnet schlich er sich auf das Privatgelände. Plötzlich zuckte er zusammen und duckte sich hinter eine Hecke. Gleich neben ihm stand jemand.

Es dauerte eine Weile bis sich sein Herzschlag wieder beruhigt und er bemerkt hatte, dass dieser Jemand nur eine der dämlichen Statuen war. Er schaute sich weiter um. Im Garten standen noch mehr davon. So was Blödes! Er ärgerte sich noch kurz über sich selbst. Dann schlich er weiter. Immer in der Erwartung, dass er in den Erfassungsbereich eines Bewegungsmelders lief und plötzlich im hellsten Scheinwerferlicht stand. Nichts geschah.

Er erreichte die Tür und atmete einmal tief durch. Schnell hatte er die Tür geknackt und huschte ins Haus.

Er schaltete seine Taschenlampe an und sah sich um.

"Es wäre schöner, wenn sie am Tag gekommen wären!", ließ ihn eine Stimme hinter ihm zusammenfahren.

Er drehte sich um.

"Was sollte mich davon abhalten, die Polizei zu rufen?", fragte der Künstler mit einem leichten Grinsen im Gesicht.

Dean hatte sich schnell von dem Schreck erholt und richtete den Colt auf den Bildhauer.

"Was haben sie mit meinem Bruder gemacht!", verlangte er zu erfahren.

"Dein Bruder?", wollte Vincent wissen.

"Sie haben meinen Bruder entführt. Jetzt verglüht er fast. Was hast du mit ihm gemacht und was bist du für ein Freak?“

Vincent lachte leise.

"Dein Bruder war das also. Keine Angst, er wird nicht mehr lange leiden."

Dean schnaubte verächtlich: "Davon gehe ich aus! Ich knipse dir die Lichter aus und er wird noch lange leben!"

"Das glaube ich nicht, und du wirst ihm bald folgen."

Der Colt ruckte hoch, doch bevor der Blonde abdrücken konnte, bohrte sich Vincents Blick in seinen.

Ein warmes, angenehm wohliges Gefühl breitete sich in ihm aus. Weiche Watte legte sich um seine Gedanken. Seine Waffe sank etwas tiefer.

"Komm her zu mir!", schnurrte eine Stimme in seinem Kopf.

"Nein, ich ...", protestierte er und schüttelte den Kopf. Der Colt ruckte wieder ein Stückchen höher.

"Komm her zu mir!", wurde die Stimme energischer.

Sein Arm sank nach unten und er überbrückte gehorsam nickend die kurze Distanz.

Vincent packte ihn am Handgelenk und zog ihn mit sich in sein Atelier. Ohne zu zögern nahm er dem Jäger die Waffe ab und Dean ließ es geschehen. Dann drehte er den Blonden nach links und nach rechts, umfasste sein Kinn und musterte es im Licht. Sollte es sein? Sollte er wirklich das Glück haben doch noch ein perfektes Modell für seinen so lang gehegten Traum zu finden? Der Eindringling war nicht ganz so schlank wie das Original, da hätte der vorhergehende wahrscheinlich besser gepasst, aber sonst war er einfach perfekt. Sein Blick glitt noch einmal über den Körper vor sich.

Vincent nickte zufrieden grinsend. Ja, er würde sich jetzt und heute diesen Traum erfüllen können und sich dann einen neuen Traum suchen müssen, eigentlich schade! So lange hatte er gewartet und nach einem geeigneten Model gesucht.

"Zieh dich aus!", forderte er.

Der Blonde blickte kurz verwirrt, folgte dann aber der Anweisung. Langsam entledigte er sich seiner Jacke. Hemd und T-Shirt folgten und der Bildhauer verfolgte voller Begeisterung das Spiel von Deans Muskeln.

"Weiter", forderte er, als der Blonde in seinen Bewegungen stockt.

Schuhe, Jeans und Shorts landeten ebenfalls auf dem Berg aus Wäsche.

Vincent war zufrieden. 'Ja, der ist perfekt.' Er packte sein Modell wieder am Handgelenk und führte ihn auf ein Podest.

"Bleib hier!"

Dean nickte langsam. Ihm war der Sinn des Ganzen nicht klar, aber er fühlte sich gut. Angst und Sorgen waren verschwunden. Er fühlte sich frei. Die Welt war schön. Die weiche Watte hüllte seine Gedanken wie ein warmer Kokon ein.

Der Bildhauer holte inzwischen einen riesigen Klumpen roten Ton heran und begann grobe Formen heraus zu arbeiten.
 

Dean wurde langweilig und er kletterte vom Podest begann durch das Atelier zur tapsen.

Wetherworth verdrehte die Augen. Der Typ war schwerer zu bändigen als ein Sack Flöhe. Er ließ ihn laufen. Noch brauchte er ihn nicht, nicht wirklich. Trotzdem holte er ihn nach einer Weile wieder auf sein Podest zurück. Irgendetwas sagte ihm, dass er den nicht zu lange aus seinem Einflussbereich lassen durfte.

Regelrecht verbissen bearbeitete er den Ton, schnitt hier etwas ab, fügte da etwas hinzu. Und als die Sonne schon hoch am Himmel stand, war er mit den Grundformen des Körpers zufrieden. Nun konnte er die Einzelheiten ausarbeiten.

Er verdrehte die Augen, sein Modell hatte sich schon wieder selbstständig gemacht.

Er holte einen Diskus aus seinem Fundus. Sanft streichelte er darüber. Die Kanten waren schon ganz glatt poliert. Wie oft hatte er diesen Diskus schon in der Hand gehabt, wie oft auf die Statue des Diskuswerfers gestarrt. Immer hatte er sich gewünscht diese Statue nachbilden zu können. Ein wenig anders und aus seinem Markenzeichen, rotem Ton, seinem roten Ton.

Er schaute sich nach dem Jungen um. Der stand vor seiner Trockenkammer und starrte auf den Rücken der Figur darin.

Vincent packte den Blonden an der Schulter und schob ihn mit Gewalt zum Podest. Doch der ließ sich nicht so einfach von der Trockenkammer wegführen.

"Heiß", sagte er und schaute den Bildhauer verwirrt an. Irgendetwas schien die Wärme, die bis zu ihm strahlte, mit etwas in seinen Erinnerungen verbinden zu wollen, doch er konnte den Gedanken nicht zu Ende denken.

"Keine Angst, da darfst du auch noch rein. Gut eher dein Abbild, aber das macht letztendlich keinen Unterschied." Er packte Deans Kinn und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen. 'Schade, dass ich diese wunderschönen und doch so verwirrten Augen nicht nachbilden kann', dachte er.

"Du wirst dich jetzt brav da hin stellen und dich nicht mehr rühren, bis ich es dir sage!", befahl er und zwang dem Blonden seinen Willen auf.

Der nickte langsam und ließ sich zum Podest führen und in die Pose des Diskuswerfers stellen. Er bekam den Diskus in die Hand gedrückt und verharrte. Nichts denkend und sich wohl fühlend.
 

Vincent spürte seine Kräfte schwinden, doch er war so versessen auf seinen Traum, dass er die ersten Warnsignale seines Körpers in den Wind schrieb. Im Normalfall hätte er jetzt noch drei oder vier Tage Zeit, wenn er es ruhig anginge, aber er wollte es ja nicht ruhig angehen, er wollte diese Statue. Eine der wenigen, die er zum Schluss wirklich brennen und so für die Ewigkeit erhalten wollte.

Ihm kam ein Gedanke und er musste unweigerlich lächeln. Vor sein geistiges Auge hatte sich eben ein Bild geschoben. "Brüder, hm?", fragte er und starrte auf den Jungen auf dem, sich vor ihm langsam drehenden, Podest.

"Dein Bruder? Der Junge in der Trockenkammer ist dein Bruder? Und du liebst ihn so sehr, dass du dein Leben für ihn opfern würdest? Was hältst du davon, wenn ihr Beide für die Ewigkeit zusammen seid? Du als Diskuswerfer und er, dich nachdenklich betrachtend, auf einer Bank daneben? Oh das wird toll werden", freute sich der Bildhauer.

"Weißt du, die Trockenkammer, die du so bewundert hast", Vincent überlegte. Es war egal, selbst wenn etwas von dem was er sagte bei dem Jungen ankommen und sogar hängen bleiben würde, es spielte keine Rolle. Spätestens übermorgen wäre sein Bruder ausgetrocknet und dann käme er in die Trockenkammer und hätte so vielleicht noch vier Tage zu leben. Er zuckte grinsend mit den Schultern und fuhr mit seinen Ausführungen fort.

„Die Trockenkammer ist wohl eher eine Art Destillieranlage. Die Wärme trocknet den Ton aus. Magischer Ton, der durch das Modellieren einen Teil der Seele des Modells aufnimmt. Wenn er trocknet entzieht er dem Modell Lebensenergie. Diese sammelt sich in der Feuchtigkeit und wird durch den Destillieraufsatz wieder verflüssigt und in Flaschen gesammelt. Je heißer die Anlage ist umso schneller trocknet ein Modell aus und umso stärker ist die Flüssigkeit. Wie bei gutem Wein. Dann muss ich sie allerdings verdünnen bevor sich sie trinken kann. Unverdünnt gibt das einen Rausch, der kann einen umbringen wenn man nicht aufpasst. Schlimmer als Drogen. Deshalb bevorzuge ich die langsamere Trocknung. Aber bei euch mache ich eine Ausnahme. Ihr seid mir zu sehr auf die Schliche gekommen, also werdet ihr schnell sterben. Und dann ewig leben. Ihr werdet immer zusammen sein. In meinem Garten oder auf Ausstellungen. Die Menschen werden euch noch in Jahrhunderten bewundern. Dann, wenn niemand mehr euch wirklich kennen würde. Und ich werde all die Zeit da sein und mich an euch, an meiner Hände Arbeit ergötzen können!“
 

Vincent verdrehte die Augen. Der Blonde hatte sich schon wieder selbstständig gemacht. Wenn er ihn noch öfter würde bannen müssen, hätte er bald mehr Energie in ihn hinein gesteckt, als er aus ihm herausholen würde. Er stand auf, streckte seinen verspannten Rücken und trat an das Fenster.

Draußen war es schon wieder dunkel. Er hatte gar nicht gemerkt, wie der Tag vergangen war.

Nach diesem hier würde er eine Pause machen. Nicht, dass es noch jemandem auffiel, dass Menschen verschwanden. Er könnte für seinen Bruder eine Weile besuchen.

Und wenn er in ein paar Monaten wieder mit Arbeiten beginnen würde, dann würde er sich ein paar Obdachlose holen. Die schmeckten zwar nicht, aber so hin und wieder würde es schon gehen. Doch jetzt musste er sein Modell zurück holen.
 

Dean war von dem Podest geklettert. Es war schon immer fast unmöglich gewesen ihn für längere Zeit zum Stillsitzen zu bewegen. Und auch jetzt war ihm langweilig geworden. Er tapste mit seinen nackten Füßen durch Reste des roten Tons, die überall herum lagen, magisch angezogen von der gläsernen Trockenkammer. Langsam umrundete er sie. Und dann stand er plötzlich von Angesicht zu Angesicht vor der darin befindlichen Statue.

Es dauerte einen Augenblick bis die vertrauten Gesichtszüge einen Namen in seinem Kopf fanden, doch dann löste sich die weiche, wohlige Watte um ihn herum schlagartig auf.

„SAM!“

Mit dem Diskus auszuholen und ihn gegen die gläserne Wand zu schleudern war eher ein Reflex als ein bewusstes Denken.

Der Aufschlag war durch das ganze Haus zu hören.

Vincent sah sich erschrocken um und erkannte mit Entsetzen, dass sein Modell so gar nicht mehr unter seiner Kontrolle stand. Er stürzte zu ihm hin.

Wieder knallte der Diskus gegen die Glaswand und jetzt bildeten sich die ersten Risse.

Der Bildhauer packte den Blonden an der Schulter und zerrte ihn zu sich herum. Er starrte in ein vor Wut und Sorge verzerrtes Gesicht und musste voller Panik erkennen, dass seine Jahrhunderte alten Fähigkeiten nichts, aber auch gar nichts gegen die Entschlossenheit in diesen funkelnden Augen ausrichten konnte.

Dean riss sich los und nutzte den Schwung für einen weiteren Schlag.

Die Wand splitterte, Hitze schlug ihnen entgegen und dann schaltete die Elektronik die Wärmezufuhr ab.

Noch bevor der Bildhauer auch nur panisch aufschreien konnte, krachte Deans Faust gegen sein Kinn und er brach benommen zusammen.

Der Blonde stürzte aus dem Atelier. Im Laufen fasste er sich von dem Hocker ein paar seiner Sachen und brach durch die Glastür.

A-kapu-Ma

Sam erwachte kurz. Draußen war es schon wieder dunkel und er hatte den Eindruck, dass viel Zeit vergangen war.

„Dean?“, krächzte er, bekam aber keine Antwort. Vielleicht war der ja einkaufen, oder unter der Dusche? Aber er konnte die Dusche nicht hören. Und warum hatte er einen Schlauch im Mund?
 

Er sog an dem Schlauch, trank so viel er konnte und schlief dann wieder ein.
 

Noch im Laufen untersuchte Dean, was er in die Finger bekommen hatte und grinste. Shorts und Jeans. So würde er wenigstens nicht wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet werden. Obwohl in dieser einsamen Gegend, kurz nach Mitternacht keiner unterwegs war, aber man konnte ja nie wissen.

Er holte sich seine Machete und einen Baseballschläger aus dem Impala.

Dean wusste zwar immer noch nicht, was Vincent Wetherworth jetzt eigentlich war, er würde ihn einfach einen Seelenvampir nennen. Er trank zwar kein Blut aber er saugte seine Opfer doch irgendwie aus.

Bewaffnet kehrte er zurück.
 

Der Bildhauer hatte sich inzwischen aufgerappelt. Er brauchte neue Energie. Vor Wut kochend stolperte er aus dem Atelier. Sobald er wieder Energie hätte, würde er es diesem arroganten Typen zeigen.

Wie konnte der es wagen sein Lebenswerk zerstören zu wollen. Er lebte schon so viele Jahrhunderte und jetzt wollte so ein Mensch, so ein einfacher, blöder Mensch, alles zerstören? Niemals. Den würde er zusammen MIT der Statue trocknen.
 

Dean kam wieder ins Atelier. Wetherworth war weg.

„Verdammt!“, fluchte er leise und stellte den Baseballschläger zur Seite. Zerstören konnte er später. Jetzt musste er erstmal den Vampir finden.

Immer noch barfuß schlich er leise ins Haus. Die Tür zum Keller stand offen. Dean lauschte. Er hörte Geräusche, als ob jemand Flaschen durch die Gegend warf. Er schlich die Treppe hinab. Sichernd sah er sich immer wieder nach links und rechts um und dann sah er die Tür zum Weinkeller. Er postierte sich vor der Tür und wartete.

Endlich schien Vincent gefunden zu haben, was er gesucht hatte. Er riss den Korken aus der Flasche und trank sie in einem Zug leer. Jetzt würde er diesem nichtigen Menschen in seine Schranken weisen. Er stürmte aus seinem Weinkeller.
 

Der Winchester stand mit erhobener Machete ruhig wartend neben der Tür. Innerlich kochte er. Der Typ hatte Sammy töten wollen!

Aber er hatte gelernt zu warten, hatte gelernt sich zu beherrschen.

Vincent verließ den Raum. Er drehte sich gerade um, um die Tür zu schließen, niemand sollte seine Schätze finden, und Dean legte alle Kraft in den Schlag. Sauber durchtrennte die Machete den Hals des Vampirs.

Der Blonde konnte noch kurz das Erschrecken in den Augen des Bildhauers sehen, bevor sie blicklos und stumpf wurden. Der Kopf landete mit einem dumpfen Aufschlag auf dem Boden. Gleich darauf sackte der leblose Körper daneben.

Das war einfacher als er gedacht hatte. Dean ließ den Körper achtlos liegen. Er musste sich erstmal überlegen, was er mit den Statuen machte. Soweit er Wetherworth verstanden hatte war es der Ton, der die Macht hatte, die Seelen der Opfer einzuschließen. Also sollte er das Zeug so weit wie möglich weg bringen und am Besten auch noch irgendwo unerreichbar versenken. 'Versenken. Das ist das Stichwort!' Ja er würde das Zeug versenken. Fluss gab es hier ja genug.

Doch zuerst würde er die Trockenkammer zerstören.

Vorsichtig holte er die Sammy-Statue aus der Kammer, setzte sie auf das Podest und drehte es so, dass Sam seinen geplanten Zerstörungsakt auch richtig gut beobachteten konnte.

„Das willst das doch bestimmt sehen, oder?“, Dean griff nach dem Baseballschläger und begann mit all der Wut, die er auf den Bildhauer und diese Trockenkammer und das, was beide aus den Menschen gemacht hatten, zuzuschlagen.

Splitter flogen in alle Richtungen. Immer wieder hieb er auf die Kammer ein. Solange bis er sie samt Destillierapparat regelrecht pulverisiert hatte. Er zitterte am ganzen Körper als er den Schläger zur Seite stellte.

Erschöpft ließ er sich auf dem Hocker nieder, auf dem der Bildhauer gesessen und an seiner Statue gearbeitete hatte.

Müde rieb sich der Blonde über die Augen.

„Wäre schön, wenn du jetzt hier wärst“, grummelte er die Sammy-Statue an. „Na ja, also richtig du, nicht nur so ein Tonklumpen.“

Dann schüttelte er den Kopf und zog sich komplett an. Er überlegte die ganze Zeit, wie er die Statuen und den Ton so schnell wie möglich wegschaffen könnte.

Er holte tief Luft. Da würde wohl sein Babe herhalten müssen, obwohl er ihr das nicht wirklich gerne antun wollte.

Er ging zum Impala und fuhr ihn vor die Garage der Villa. Näher kam er an das Atelier nicht heran, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen.

„Sorry Süße“, sagte er und tätschelte ihr das Armaturenbrett.

Er würde die Lederbezüge der Sitze schützen müssen!

Schnell lief er wieder um das Haus, kletterte durch die zerschlagene Ateliertür und durchsuchte die Räume nach Decken und Allem, das er als Schutzbezug nutzen konnte, und brennbar war. Ein paar Schutzfolien hatte er neben den Kübeln mit dem Ton gefunden, den der Schnösel für seine Statue gebraucht hatte. Aber die waren mit feuchtem Ton verschmiert und außerdem würden sie nicht gut brennen.

Er deckte den Innenraum des Impala so gut es ging ab und schaffte dann als erste die Sammy-Statue aus dem Haus.

„Mann, Sammy, du könntest mal abnehmen!“, ächzte er und setzte sie auf den Beifahrersitz.

Vorsichtshalber schnallte er die Statue an, nicht dass die sich den Hals brach und Sammy dasselbe Schicksal ereilte.

„Nicht weglaufen, hörst du?“, warnte er noch und schlug die Tür zu.

Dann begann er das Atelier zu durchsuchen.
 

„Verdammt!“, fluchte er, als immer neue Statuen auftauchten. Die würde er im Ganzen nie alle in den Impala bekommen. Waren die schon tot? Dann sollte es ihnen nichts ausmachen, wenn er sie kaputt schlug, wenn sie jedoch noch lebten, würde er sie dann töten? Er hatte die Statue von Elisabeth Black gefunden, sie war an Genickbruch gestorben und im Nacken ihrer Statue klaffte ein riesiger Schnitt. Auch den Architekten hatte er gefunden, mit zerkratzten Augen! Von den Beiden wusste er genau, dass sie tot waren, genau wie Ava Hamilton. Die konnte er zerschlagen, aber was war mit den anderen vier Statuen? Und die drei großen Kübel mit feuchtem Ton würde er auch entsorgen müssen. Gut dass der Vampir viel davon für Deans Pendant verwendet hatte.

‚Ob der sich immer wieder neuen Ton so verhext hat, oder hat der vielleicht die gebrauchten Statuen wieder verwertet?’

Dean schaute auf das, was mal er werden sollte. Er ging hinüber und verbog seinem Ebenbild den Arm. Gespannt und mit angehaltenem Atem wartete er. Nichts! Er fühlte keine Schmerzen.

„Okay“, murmelte er und begann den zweiten Selbstversuch. Er drehte den Arm komplett ab.

Auch hier passierte nichts. Er konnte den Arm weiter schmerzfrei bewegen.

Ob es daran liegt, dass der Typ dem Ton-Dean noch kein Gesicht verpasst hatte? Er würde es nicht herausfinden können, und so beschloss er, die Statuen, von denen er wusste, dass die Modelle tot waren, zu zerstören und die, bei denen er es nur vermuten konnte, die Statuen waren trocken, würde er komplett ins Auto packen. Ein kompliziertes Unterfangen. Zum Glück waren die Statuen alle in sitzenden oder hockenden Positionen gestaltet.

Sein klebriges Abbild klatschte er in den Kübeln zusammen und schleppte es zuerst in den Kofferraum. Dann schaffte er in den nächsten eineinhalb Stunden alle Statuen in den Wagen. Sein Babe ging verdammt in die Knie. Hoffentlich machten das die Federn und Stoßdämpfer mit!?!
 

So langsam musste er sich beeilen. Bald würde die Dämmerung einsetzen. Gut, dass es hier eine wirklich ruhige Gegend war und der nächste Nachbar locker eine halbe Meile entfernt wohnte. Trotzdem wollte er seinen Ballast loswerden, bevor zu viel Verkehr auf den Straßen herrschte.
 

Dean schleppte den geköpften Vampir in sein Schlafzimmer und legte ihn ins Bett. Er holte den Kopf und legte ihn in die richtige Position. Ihm fiel kein blöder Spruch ein, dazu war er wohl schon zu müde und so zündete er einfach nur die Matratze an. Danach legte er noch im Keller und im Atelier Feuer und drehte zum Schluss den Gasherd voll auf. Dann sah er zu, dass er so schnell wie möglich aus dem Haus und so weit wie möglich vom Tatort wegkam.

„Festhalten Sammy, wäre schade um dein schlaues Köpfchen“, grinste er als er mit quietschenden Reifen auf die Hauptstraße einbog.
 

Er war schon eine Weile unterwegs, als er im Rückspiegel die Explosion sah. Dean grinste in sich hinein.

„Der legt Keinen mehr trocken, oder Sammy?“

Bei jeder Bodenwelle zog Dean den Kopf ein und oft genug knackten die Federn laut protestierend. „Entschuldige Baby“, murmelte der Blonde ein um das andere Mal. „Du bekommst das nächste Mal wenn wir bei Bobby sind einen Satz neue Federn, und wenn wir das hier hinter uns haben das beste Wachs, das ich auftreiben kann. Versprochen!“

Er schielte zu der Sammy-Statue und grinste. Der echte Sam hätte jetzt wieder einen blöden Kommentar abgelassen. Vielleicht sollte er die Statue behalten? Die sagte wenigstens nichts und gegen seine Musik würde sie bestimmt auch nicht haben.
 

Endlich kam er am Fluss an und suchte sich einen unbenutzten Anlegesteg. Er setzte den Impala so weit wie möglich zurück und begann seine teils wertvolle Fracht wieder auszuladen.

Er ließ die Statuen in den Fluss fallen und wartete jedes Mal, bis sie versunken waren. Das dauerte nicht allzu lange, brauchte aber doch seine Zeit.

Das Wasser floss recht schnell und so würde das Wasser die Figuren auflösen und den Ton schön weit bis ins Meer verteilen.

Und dann saß nur noch Sammy „Zwo“ im Wagen.

„Hey, jetzt heißt es Abschied nehmen“, erklärte der Blonde heiser, „Hast du deine Badehosen mit?“

Kurz überlegte er, ob er Sam jetzt damit töten würde. Wenn die Flüssigkeit wieder in seinen Körper kam, wäre es ja in Ordnung, aber wenn Sammy jetzt...? Nein, er wollte nicht darüber nachdenken. Denn das hieße dann, dass sie das Teil ständig mitschleppen müssten, oder Bobby schenken. Nein! Sam würde es wieder gut gehen und die Statue kam in den Fluss!

Trotzdem dauerte es noch eine ganze Weile bis Dean sich überwinden konnte seinen Bruder in den Fluss fallen zu lassen. Klar es war nur eine Statue, toter Ton. Aber trotzdem. Zuerst mal war der Ton eben nicht so tot wie er es hätte sein sollen und hätte Sammy fast in diesen Zustand versetzt und dann sah die Statue Sammy auch noch verdammt ähnlich.

Der Blonde schluckte das komische Gefühl runter, es klumpte sich im Magen zusammen, und warf die Statue in den Fluss. Er sah zu wie sie versank und blickte den sich bildenden Blasen noch eine Weile versonnen hinterher.

Endlich riss er sich los und stieg in den Impala.
 

Eine halbe Stunde später bog er in ein Waldstück ab und holte die ganzen Decken aus dem Kofferraum. Er knüllte sie lose zusammen, tränkte alles mit Benzin und zündete sie an. Schnell loderten die Flammen auf.

Dean starrte blicklos in die Flammen.
 

Warum musste eigentlich ständig einer von ihnen um sein Leben kämpfen? Klar, es machte ihm nichts aus, wenn sein Leben bedroht war. Es war egal. Er kannte nichts anderes, er hatte nie etwas anderes gelernt. Er war bis in die tiefsten Tiefen seiner Seele verkorkst. Aber Sammy? Sammy hatte ein besseres Leben verdient! Warum hatte er so abweisend reagiert als Sam ihm gesagt hatte, dass er sich in Stanford eingeschrieben hat? Er hätte sich für ihn freuen sollen. Aber nein! Er machte ihm noch Vorwürfe! Vielleicht konnte Sam ja jetzt doch noch studieren? Er hatte es sich gewünscht. Sein ganzes Leben lang hatte er sich ein sicheres Leben gewünscht. Er sollte mit Sam reden!

Reden! Dean schnaubte. Also ob sie über solche Sachen reden konnten. Nicht dass Sam es nicht konnte. ‚Nein ich bin der Trottel, der Freak, der seine Gefühle verschließt.’ Aber Gefühle waren gefährlich. Gefühle konnten einen das Leben kosten, mehr als nur auf eine Weise. Ich hab's doch am eigenen Leib erfahren!
 

Im letzten Moment fing er sich ab, als er in das verglimmende Feuer zu kippen drohte. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er im Stehen eingeschlafen war. Er musste dringend in ein Bett. Die Gedanken, die durch seinen Kopf trieben, konnten nur seinem völlig übermüdeten Verstand entspringen. Er würde gleich ins Motel fahren, nach Sammy schauen und dann die nächste Ewigkeit verschlafen. Und dann, wenn er nichts anderes zu tun haben würde, aber nur dann, könnte er ja noch mal drüber nachdenken.
 

Sorgfältig trat er die Reste des Feuers aus. Er verteilte das Laub, das er zuvor zur Seite geschoben hatte noch sorgfältiger über der Feuerstelle und ging zurück zum Impala.

Schwer ließ er sich in seinen Sitz fallen. Er rieb sich gähnend die Augen und presste dann Daumen und Zeigefinger so fest dagegen, dass er Sterne sah.

Unwirsch schüttelte er den Kopf und startete den Impala. Hier schlafen kam ja so was von gar nicht in Frage. Er musste jetzt endlich wissen wie es seinem kleinen Bruder ging. Schon viel zu lange war er weg und hatte nicht mal wirklich Zeit gehabt sich Gedanken um Sammy zu machen. Nein! Er musste da hin.
 

Bevor er auf die Hauptstraße einbog setzte er sich die Sonnenbrille auf. Es war zwar keine gute Idee seinem eh schon übermüdeten Körper auch noch vorzugaukeln, dass es Nacht, oder zumindest dunkel sei, aber jetzt in die Sonne blinzeln zu müssen war etwas, das er sich und den anderen Verkehrsteilnehmern nicht zumuten wollte. Er war eh schon nicht mehr so richtig Herr seiner Sinne und bevor er einen Unfall baute …

Schlaf, Dean

Sam wurde kurz wach. Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war fast sieben. Er schaute zum anderen Bett hinüber. Dean war noch nicht da.

War der gestern Abend noch auf Sauftour losgezogen? Er wollte aufstehen und wurde gestoppt. Verwundert pellte er sich aus Decken, Handtüchern und Folie und löste das Heftpflaster, dass den Schlauch, den er noch immer im Mund hatte, fixierte. Was war passiert?

Er stand auf und das Zimmer streikte. Wild drehte es sich um ihn.

„Ich hasse Rummel", knurrte er und wartete, bis die Karussellfahrt vorbei war. Er verschwand im Bad und versuchte sich darüber klar zu werden, was passiert war. Er war im Park gewesen und hatte sich überlegt, wer wohl ihr mysteriöser Gegner gewesen sein konnte. Er hatte den Bildhauer in Verdacht und wollte Dean anrufen. Dann ...? Dann fehlten ihm die Erinnerungen.

Er ging zurück in ihr Zimmer. Vor seinem Bett auf einem Stuhl stand eine gewagte Konstruktion aus Flaschen und der Schlauch führte zu seinem Bett. Kopfschüttelnd suchte er sein Handy. Es war nicht da. Und wo war Dean? Essen holen? Und warum fiel es ihm so schwer einen klaren Gedanken zu fassen?

Sam ließ sich wieder auf sein Bett fallen. Er fühlte sich immer noch müde und ausgelaugt.

Noch einmal stand er auf. Er schob den Stuhl zur Seite, nahm noch eine Tablette gegen seine immer stärker werdenden Kopfschmerzen. Dann schob er Handtücher und Folien von seinem Bett und kroch wieder unter die Decke. Noch im Einschlafen versuchte er zu ergründen, was zwischen seinem Parkspaziergang und jetzt passiert war.
 

Kurz bevor er einschlief hörte er das satte Grollen des Impalas.
 

Plötzlich schreckte er aus dem Schlaf.

Er war sich nicht sicher, was ihn aufgeschreckt hatte und schaute sich um. Kein Dean da.

Hatte er nicht den Impala gehört?

Er schälte sich aus den Decken und stand vorsichtig auf. Sein Kreislauf streikte noch immer und sein Magen warf ihm grollend Missachtung vor.

Er ging zum Fenster. Deans schwarzes Prachtstück stand auf dem Parkplatz, aber wo war Dean? Konnte es sein?

Noch einmal schaute er hin. Genauer diesmal.

‚Sitzt Dean hinter dem Steuer?

Oh mein Gott! Ist Dean verletzt? Braucht er Hilfe?'
 

Sam stürzte zur Tür, riss sie auf und ... stolperte verdutzt ein paar Schritte zurück. Die Tür war verschlossen.

Sein Bruder hatte ihn hier eingeschlossen? Was zum Teufel????

Er zog sich seine Jeans und ein T-Shirt über, holte seinen nicht patentierten Allround-Schlüssel und hatte die Tür in ein paar Sekunden geknackt.

Barfuß hetzte er die Treppen hinab und auf den Parkplatz. Schon fast ängstlich riss er die Fahrertür auf. Dean kippte ihm entgegen. Panik explodierte in seinem Inneren.

„Dean!?!", keuchte er und fing ihn auf. Sofort untersuchte er ihn mit fliegenden Fingern nach Verletzungen.

Nichts Offensichtliches!

„Smmy", nuschelte der Blonde und mühte sich vergeblich die Augen zu öffnen.

„Komm, ich bring dich ins Zimmer“, sagte Sam und half seinem noch immer mehr oder weniger schlafenden Bruder auf die Beine.

So fest wie möglich klemmte er sich Dean an seine Hüfte. Der Blonde war nach wie vor nicht Herr seines Körpers und sackte immer wieder weg.

Mit viel Mühe manövrierte er den Blonden bis zur Treppe, dann hatte er die Nase gestrichen voll. Er hob ihn auf seine Arme und trug ihn nach oben. ‚Wir sollten uns angewöhnen ein Zimmer im Erdgeschoss zu nehmen’, überlegte er.

„Wie siehst du eigentlich aus? Was hast du gemacht?“, fragte er Dean und setzte ihn auf der Toilette ab.

„Stat’n… kama…Fls“, nuschelte der unzusammenhängend und kämpfte damit, wenigstens die Augen zu öffnen.

Sam zog ihn wieder auf die Beine.

„Du musst unbedingt noch duschen, Dean, versuch stehenzubleiben, ja?“, bat ihn der Jüngere und Dean nickte.

Dann schälte Sam ihn aus seinen völlig verdreckten Sachen. Alles war mit einem roten, staubigen Zeug eingesaut. Teilweise war das Zeug noch feucht und Sam wurde immer klarer, dass es Ton sein musste. Roter Ton.

‚Hatte Dean etwa?’

„Hast du den Bildhauer vernichtet?“, fragte er gerade heraus und schob den Blonden unter den warmen Wasserstrahl.

„Hm“, nickte dieser und stemmte die Hände gegen die geflieste Wand um wenigstens etwas Halt zu haben.

Sam seifte ihn ein, spülte den Schaum wieder ab und legte seinem Bruder die Hand auf die Schulter: „Dean?“ Er bekam keine Reaktion. Noch einmal versuchte er es. Diesmal etwas lauter.

„DEAN?“

Nichts.

Sam lehnte sich an die Wand hinter ihm und starrte auf den Rücken vor sich. Er musste sich das Lachen verbeißen!

Sein Bruder schlief im wahrsten Sinne des Wortes im Stehen!

Plötzlich gaben Deans Knie ein Stückchen nach und Sam sprang aus dem Duschbecken, holte ein Handtuch und begann seinen Bruder trocken zu reiben.

Dean gab ein zufriedenes Grummeln von sich. Auf seinem Körper begann sich gerade eine Gänsehaut zu bilden.
 

Nachdem Sam mit seinem Werk fertig und Dean noch ein paar Zentimeter nach unten gerutscht war, legte der Jüngere seine Hand auf Deans Arm.

„Ich bring dich ins Bett“, sagte er und zog den Blonden gegen seine Brust. Dann fasste er zu, hob ihn auf seine Arme und trug ihn ins Bett. Deans Kopf rutschte gegen seine Halsbeuge und der Blonde gab ein ganz und gar untypisches, nicht desto trotz sehr zufriedenes Schnaufen von sich.

Sam zog ihm Shorts und trotz der warmen Temperaturen auch ein Shirt über, legte ihn richtig ins Bett und breitete die Decke über ihn. Er wurde mit noch einem zufriedenen Grummeln belohnt.
 

Der jüngere Winchester ließ sich auf sein Bett fallen. ‚Was war passiert? Dean sieht fertig aus. So als hätte er die letzten drei Tage kaum geschlafen. Was ist hier eigentlich los?’ Er konnte sich einfach keinen Reim darauf machen.

Frustriert rieb er sich über die Augen und stand auf, als sein Magen laut vernehmlich protestierte.

Er schaute in den Kühlschrank und fand Eis und Orangensaft.

Er blickte zu seinem Bruder und legte die Stirn in Falten. Aber er konnte sich anstrengen wie er wollte, er kam zu keinem Ergebnis. Also beschloss er erstmal seinem Magen nachzugeben und sich etwas zu Essen zu besorgen.

Er zog sich Schuhe an und dann verließ er das Zimmer, nicht ohne die Tür hinter sich zuzuschließen. Ein Lächeln schlich sich in seine Mundwinkel als er den Schlüssel drehte.
 

Es dauerte nicht lange, bis er wieder zurück war. Die Sandwiches, die er für Dean mitgebracht hatte legte er in den Kühlschrank, kochte Kaffee und fuhr seinen Laptop hoch.

Er rief die Seite der Portland Tribune auf und starrte wie gebannt auf den Bildschirm.

Die Kaffeemaschine gurgelte den letzten Tropfen Wasser durch den Filter. Dean wühlte sich auf den Bauch.

Nichts von allem bekam Sam mit. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf das Datum der Zeitung.

Sie waren Mittwoch in der Ausstellung dieses Wetherworth’ gewesen und danach war er noch eine Runde in den Park gegangen um seine Gedanken zu ordnen und sich dieses komische Gefühl zu erklären, das er in der Nähe dieses Bildhauers plötzlich gehabt hatte.

Aber heute war laut Zeitung Dienstag. Ihm fehlte fast eine ganze Woche!

Mit aller Macht musste er sich davon abhalten, Dean brutal zu wecken und ihn zu fragen, wo diese Woche geblieben war, was um alles in der Welt war mit ihm und dieser Woche passiert?

Er rang sich dazu durch, sich einen Kaffee mit viel Milch zu holen und dann begann er die Nachrichten der letzten Tage zu überfliegen.

Danach schaute er, ob und was Dean vielleicht für Seiten aufgerufen hatte und stellte fest, dass der alles andere als untätig gewesen war. Aber so richtig schien sein Bruder nicht fündig geworden zu sein. Aber wozu um alles in der Welt hatte er sich die Bodenbeschaffenheit in und um Portland angesehen?

„Roter Ton!“, Sam schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. Dean war ebenfalls auf den Bildhauer gekommen. Wie auch immer das mit dem Nichtvorkommen von rotem Ton in Portland zu tun haben mochte.

Und dann gab es auf der Seite der Tribune eine neue Schlagzeile: Gasexplosion im Haus des beliebten Bildhauers Vincent Wetherworth

Der Künstler war bei einer Gasexplosion in seinem Haus ums Leben gekommen. Man konnte lediglich vermuten, dass die wenigen Knochenreste, die man im Schlafzimmer gefunden hatte, einmal der Künstler gewesen war. Zurzeit suchten sie noch nach den Zähnen, aber sie hatten wenig Hoffnung. Der als Gelegenheitsraucher bekannte Wetherworth war allem Anschein nach in seinem Bett beim Rauchen eingeschlafen. Vielleicht war es aber auch Selbstmord, denn laut Aussage einiger Feuerwehrleute gab es Anzeichen dafür, dass der Gasherd aufgedreht gewesen wäre.

Leider wurde das Atelier mit den außergewöhnlichen Skulpturen des Meisters auch zerstört.
 

Sam starrte ungläubig zu seinem Bruder. Der hatte dann wohl ganze Arbeit geleistet. Aber warum hatte er das allein gemacht und warum war er hier eingeschlossen gewesen. Wo war sein Handy und was sollte diese Konstruktion aus Wasserflaschen? Er kam nicht weiter. Und ein Blick auf Deans immer noch von Erschöpfung gezeichnetes Gesicht zeigte ihm nur zu deutlich, dass der unbedingt Ruhe brauchte, so ungern Sam sie ihm auch zugestand, da die Unwissenheit fast übermächtig an ihm nagte.
 

Ohne Appetit kaute Sam auf seinem Sesam-Bagel mit Salat und Truthahnfleisch herum. Genauso lustlos stocherte er eine halbe Stunde später im Salat und verfluchte die Zeit, die nicht schneller vergehen wollte, verfluchte seinen Bruder, der immer noch friedlich den Schlaf des Gerechten schlief und sich selbst, dass ihm fast sechs Tage fehlten und er sein Hirn zermartern konnte wie er wollte ohne zu einer ansatzweise befriedigenden Lösung zu kommen.

Dean regte sich.

Hoffnungsvoll schaute der Jüngere auf und ließ seinen Bruder nicht aus seinem Blick.

Der Blonde setzte sich auf, rieb sich die Augen und tapste dann auf bloßen Füßen ins Bad.

„Dean?“, sprach Sam ihn leise an. In seiner Stimme schwang soviel Erwartung mit.

Sie wurde brutal ermordet.

Der Blonde rammte schlaftrunken mit seiner Schulter den Türrahmen, knurrte ungehalten und verschwand im Bad, ohne auf den Jüngere zu reagieren. Der war erschrocken zusammengezuckt, so hart klang das Zusammentreffen von Schulter und Türrahmen. Aber er wollte die Hoffnung auf Aufklärung noch nicht ganz begraben. Vielleicht war Dean ja gleich etwas wacher.

Der Blonde kam zurück, die Augen fast geschlossen, und prallte mit seinem Schienbein gegen den Bettpfosten. Er reagierte noch nicht mal darauf, änderte lediglich die Richtung ein wenig, lief noch zwei Schritte und ließ sich bäuchlings aufs Bett fallen.

Sam seufzte und stand auf. Er schob seine Hände unter Deans Arm hindurch unter seine Brust, hob ihn hoch und legte ihn richtig ins Bett. Sofort schloss Dean sein Kopfkissen fest in die Arme.

„nke Smmy“, nuschelte er, holte tief Luft und kuschelte sich noch etwas fester ins Kissen.

Sam schüttelte lächelnd den Kopf. Er breitete die Decke wieder über seinen Bruder und räumte dann den Tisch ab.
 

Noch einmal betrachtete er Dean und versuchte abzuschätzen, wann der wohl ansprechbar sein würde. Das dauerte noch, überlegte er. Er könnte ihn jetzt wecken und Dean würde ihm Auskunft geben, klar, aber Dean wäre nicht zu ertragen und das mit Recht. Er wäre ja auch sauer, wenn er wegen eigentlich Nichts aus dem Schlaf gerissen werden würde.

Er überlegte was er jetzt machen könnte. Eigentlich war er müde, aber schlafen wollte er auch nicht. Er könnte Dean eine Freude machen und sich den Impala vornehmen. Der sah ziemlich dreckig aus, warum auch immer. Aber würde er damit Dean wirklich eine Freude machen? Dean liebte sein Auto und er liebte es auch an ihm rumzubasteln und zu schrauben und wenn Sam sich daran erinnerte mit welcher Inbrunst sein Bruder über den Lack seines Babes poliert hatte, kurz bevor sie bei Bobby aufgebrochen waren. Nein das sollte Dean lieber selber machen.

Er surfte noch eine Weile durchs Netz und suchte nach einem neuen Fall. So wirklich wollte sich ihm nichts aufdrängen und er wusste auch nicht wie es Dean ging.

Wieder gähnte er und beschloss sich doch wieder hinzulegen.

Warum war er eigentlich so müde? Und wenn er schon dabei war Fragen zu stellen: Warum fühlte er sich so schlapp?

Er kroch ins Bett, drehte sich auf die Seite und betrachtete Dean.

‚Was war eigentlich passiert? Warum war Dean schon wieder derjenige, der leiden musste? Litt Dean? Na ja, zumindest im Moment schien es ihm ja gut zu gehen.' Friedlich grummelte der Blonde in sein Kissen, drehte den Kopf zur anderen Seite und schlief weiter.

Sams Gedanken hingegen kreisten unaufhörlich um den Bildhauer, um dessen Tod und um die Opfer. ‚War er wirklich der Gesuchte. Hatte er die Menschen ermordet? Wie? Ach Verdammt! Dean? Warum musst du schlafen, wenn ich so viele Fragen hab?!?’

Das Leben hat uns wieder

Ein paar Stunden später war Sam wieder wach. Er schaltete den Fernseher ein und zappte durch die Programme, bis er einen Sender gefunden hatte, der Reportagen brachte. Dann holte er sich das Eis und löffelte etwas von dem süßen Zeug.

Er suchte sich noch einmal Nachrichten, aber die brachten auch keine neuen Erkenntnisse über den Tod des Bildhauers.

Er ging ausgiebig und heiß duschen und hoffte, danach auch die Nacht noch schlafen zu können. Nach einer weiteren Reportage, diesmal über die Wölfe des Yellowstone, schaltete er den Fernseher aus und schlief tatsächlich wieder ein.
 

Kaum hatte Sam sich wieder in Morpheus Arme begeben erwachte Dean. Sein Magen knurrte besorgniserregend. Er schälte sich aus der Decke und nahm sich trotz des wütenden Protestes seines Magens die Zeit nach Sam zu schauen. Der schien wieder gesund zu sein. Trotzdem legte er ihm eine Hand auf die Stirn.

Der Jüngere protestierte grummelnd, wachte aber nicht auf. Ein Lächeln legte sich auf Deans Gesicht. Sein kleiner Bruder war wieder in Ordnung! Er atmete tief durch. Das war knapp gewesen und er würde es nie verwinden können, wenn jemand seinen kleinen Bruder verletzte.

Er ging zum Kühlschrank und wollte sich eigentlich das Eis einverleiben. Er hatte wirklich keine Lust sich jetzt wieder anzuziehen und dann auf die Suche nach Essbaren zu gehen.

Im Kühlschrank fand er Sandwiches. Sammy konnte so ein toller Bruder sein, wenn er ihn nicht grade mit irgendwelchen Vorträgen oder Fragen über sein Gefühlsleben nervte!
 

Er aß die Sandwiches, trank ein paar Schlucke Wasser und wunderte sich über den blauen Fleck, den er am Schienbein hatte. Wo war er denn da dagegen gerannt?

Er räumte, entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten, sein Geschirr weg. Hatte der Aufenthalt bei Bobby ihn schon so weit gebracht? Eigentlich nicht. Bobby ließ doch auch immer alles stehen und liegen.

Dean legte sich wieder ins Bett und zog die Decke bis über die Hüften. Dann verschränkte er seine Hände unter dem Kopf und überlegte, was als Nächstes kommen würde. Sie sollten so schnell wie möglich hier verschwinden. Erstmal Richtung Südosten und dann den Impala einer ausgiebigen Pflege unterziehen. Das hatte der sich eindeutig verdient.

Er schloss die Augen und lauschte den ruhigen, gleichmäßigen Atemzügen seines Bruders.

Zufrieden lächelnd schloss er die Augen und ließ sich von diesem so vertrauten Geräusch wieder in den Schlaf begleiten.
 

Sam erwachte. Die Sonne stand schon eine Weile am Himmel. Sofort setzte er sich auf und starrte Dean an. Der lag auf dem Bauch, das Kissen fest in seinen Armen und schlief noch.

Sam stand auf, ging duschen und besorgte dann ihr Frühstück. Davor hatte er aber noch einen Blick in den Kühlschrank geworfen und gesehen, dass Dean wohl wach und hungrig gewesen war.
 

Er kam bald wieder. Dean war bereits aufgestanden und packte ihre Sachen.

„Du willst weiter?“

„Ja, ich denke wir sind hier fertig und es ist besser zu verschwinden, bevor noch einem auffällt, dass der Impala in der Nähe der Villa stand.“

Sam nickte, deckte den Tisch und kochte Kaffee.

„Kommst du frühstücken?“, fragte er als er mit der Kanne zum Tisch ging.

Der Blonde stellte seine Tasche auf seinem Bett ab und setzte sich Sam gegenüber.

„Erzählst du mir was passiert ist? Ich bin gestern fast wahnsinnig geworden, als ich festgestellt hab, dass mir fast sechs Tage fehlen und ich dich nicht fragen konnte warum und was passiert ist.“

Dean grinste breit um seinen Bagel herum: „Ich hab dir deinen Arsch gerettet, Alter.“

Der Jüngere starrte in seinen Kaffee und sagte nichts.

Der Blonde schluckte seinen Bissen runter, spülte mit Kaffee nach und berichtete dann, was sich in den letzten Tagen ereignet hatte. Von Sams Verschwinden, über Deans Kondolenzbesuche und Sams Auftauchen, seinem komischen Fieber bis hin zu Deans Erlebnissen in der Villa und dem Versenken der Statuen.

„Dabei müsstest du das doch eigentlich wissen. Zumindest hast du dir mein Zerstörungswerk beguckt und kein Wort dazu gesagt!“

„Ich hab was?“

„Okay, dein Abbild. Sah dir verdammt ähnlich und hat noch nicht mal über meine Musik gemeckert!“

„Geht nicht, hab ich versenkt.“

„Trottel!“

„Miststück!“

Sams Augen waren bei der Erzählung immer größer geworden und selbst der letzte Einwurf hatte seiner Bewunderung keinen Abbruch getan.

„Du warst toll!“, schaffte er dann auch zu sagen.

„Ich weiß Sammy!“, grinste der Blonde nur. Das Kompliment machte ihn stolz, aber das wollte er Sam nicht sagen. „Jetzt iss auf und lass uns verschwinden.“
 

Dean drehte das Radio lauter, als sie auf den Interstate auffuhren und Sam lehnte seinen Kopf an die Seitenscheibe. Er würde den Teufel tun und jetzt etwas sagen. Er war zu allen Schandtaten bereit, solange er nur mit Dean zusammen war.
 

„Was gefunden?“, wollte Dean wissen, als er das Radio leiser drehte und einen kurzen Blick zu Sam warf, der den Laptop auf seinen Knien hatte und seit etlichen Meilen im Internet surfte.

„Nein, nichts. Weder einen neuen Fall noch etwas darüber, dass jemand dich oder den Impala mit dem Tod des Bildhauers in Verbindung gebracht hätte.“

„Das klingt gut.“
 

Wieder schwiegen sie eine ganze Weile.

Plötzlich sah Dean eine Waschstraße und gleich daneben ein Motel. Er fuhr auf den Parkplatz.

„Mir reicht’s für heute“, sagte er und schaltete den Motor aus.

Sam nickte. Die Sonne ging gerade unter. Er stieg aus und mietete ihnen ein Zimmer. Es lag am anderen Ende der Motelanlage, gleich neben der Waschstraße. Dean grinste breit.

Kaum hatten sie sich etwas eingerichtet, holte Sam seinen Laptop hervor.

„Ein Stück die Straße runter ist eine kleine Bar“, sagte Dean und deutete in die Richtung.

Sam schüttelte den Kopf.

Der Älteren zog leicht enttäuscht eine Schnute und ließ sich auf sein Bett fallen.

„Geh ruhig. Du warst schon lange nicht mehr raus. Ich hab keinen Bock auf laute Musik. Im Internet kann ich auch hier surfen.“

Dean angelte nach der Fernbedienung und schaltete das Gerät ein.

Der Jüngere schaute zu seinem Bruder und schüttelte den Kopf.

„Dean!“, sagte er nur.

Der verdrehte die Augen und schaltete den Fernseher wieder aus. Er stand auf und ging zur Tür.

„Wenn du mich los sein willst!“, maulte er und schloss die Tür von außen.

Sam schaute ihm etwas verwundert hinterher. Dann schüttelte er wieder seinen Kopf und widmete sich erneut seinen Recherchen.
 

Er hatte im Internet nichts gefunden, weder einen neuen Fall noch weitere Neuigkeiten in Bezug auf den Bildhauer. Und er war froh darüber. So gerne er inzwischen auch mit seinem Bruder auf der Straße lebte, hatte er doch keine Lust darauf, dass sie sich wieder jeden ihrer Schritte überlegen mussten. Es war schon schlimm genug, dass sie immer wieder andere Namen benutzten und dass sie immer noch von Kreditkartenbetrug lebten. Sie hätten es nicht nötig, aber aus welchem Grund auch immer waren sie sich wortlos einig, ihr Leben so zu leben, wie sie es vor dem Höllenhund getan hatten. Jede Veränderung hatte ihnen irgendwie Unglück gebraucht und so waren sie einfach am Besten dran. Also sollte ihr Leben so bleiben.
 

Der Jüngere war ins Bett gegangen, nachdem er sich überlegt hatte, ob er Dean doch noch folgen sollte, doch das sah dann wieder nach Kontrolle aus, nach einer eifersüchtigen Ehefrau. Außerdem wusste er nicht, ob Dean nicht endlich mal wieder eine Frau abgeschleppt hatte, oder sie ihn.

Sam dämmerte langsam in die Dunkelheit.

Plötzlich polterte es vor der Tür. Sam erschrak.

Er hörte das schabende Geräusch der Karte und grinste. Dean schien mächtig einen getankt zu haben.

Sams Grinsen wurde breiter. Das Schauspiel wollte er sich jetzt in seiner ganzen Länge antun.

Die Tür schwang endlich auf und sein Bruder stolperte ihr hinterher.

„Schsch!“, erklärte Dean der Tür, „Schammy schläffd!“

Sam drückte sich tiefer ins Kissen. Er wollte sich nicht durch sein Lachen verraten.

Umständlich schob Dean sich die Jacke von der Schulter und versuchte seinen Arm aus dem Ärmel zu bekommen. Es dauerte eine Weile bis der Ältere merkte, dass die Jacke an seiner linken Schulter hing, die klammerte sich aber auch an ihm fest. Schnaufend und schwankend kämpfte sich der Ältere endlich aus seiner Jacke.

Wie ein lästiges Insekt schüttelte er sie ab. Dann schwankte er zur Badezimmertür und versuchte sie zu öffnen.

Die Tür streikte. Immer wieder blockierte sie.

Sam war kurz davor aufzustehen, als Dean endlich merkte, dass sein Fuß die Tür blockierte. Er grinste und verschwand im Bad.

Der Jüngere kicherte in sein Kissen.

Schnell stand er auf und schloss die Zimmertür.

Er war schon fast wieder eingeschlafen, als die Tür zum Bad wieder aufflog und sein Bruder der Länge nach ins Zimmer knallte. Und wieder war er versucht aufstehen um ihm zu helfen, doch Dean rappelte sich schon wieder auf. Auf allen Vieren kroch er zum Bett und hievte sich darauf.

Eine ganze Weile kämpfte er mit seinem Shirt. Aus irgendeinem Grund musste ihm irgendwer das Teil, das er heute Morgen noch ohne Probleme anziehen konnte, in den letzten Stunden am Kragen abgenäht haben. Verdammte Tat. Warum hatte ihm der Jemand dann nicht einen Reißverschluss reingenäht? Mühsam zerrte er das Teil über seinen Kopf, ohne sich oder das Shirt ernstlich zu verletzen.

Jetzt musste er nur noch aus den Jeans kommen.

Die Schuhe kickte er von den Füßen, unter Sams Bett. Aus den Jeans zu kommen war nicht mal mehr halb so schwer wie aus dem Shirt.

Kaum hatte er das geschafft, ließ er sich nach hinten fallen und schlief sofort ein.

Sam stand auf, hob Deans Beine auf's Bett und deckte ihn zu. Dann legte auch er sich wieder hin und freute sich auf den Kater, den sein Bruder morgen haben würde.
 

Sam blinzelte in die Helligkeit des Tages. Er streckte sich ausgiebig und wagte dann einen Blick auf die Uhr. Er blinzelte und schaute noch einmal hin. Es blieb dabei. Er hatte bis zum späten Vormittag geschlafen. Sam schüttelte den Kopf. Er streckte sich noch einmal, dann stand er auf.

Sein erster Blick ging zu seinem Bruder.

Dean schlief noch. Die Decke hing halb vom Bett.

Sam breitete sie wieder über ihn, dann ging er duschen.

Mit einem Handtuch um die Hüften geschlungen kam er ins Zimmer zurück. Er schaute zu seinem schlafenden Bruder. Sein Blick ruhte auf dessen Gesicht. So entspannt hatte er seinen Bruder im letzten Jahr, er schüttelte den Kopf, in den letzten Jahren selten gesehen. Dean war seit dem Tod ihres Dads eigentlich immer angespannt gewesen. Und jetzt?

Sam lächelte, als ihm bewusst wurde, dass diese Situation für sie eine völlig neue war. Sie mussten niemanden suchen, sie mussten niemanden vor bösen Mächten schützen, außer den Menschen, die sie bei ihren Jobs treffen würden und es galt keinen Pakt zu brechen, keinen Pakt einzuhalten und er hoffte, dass nie wieder einer von ihnen so dumm sein würde, einen Pakt zu schließen. Abgesehen davon, würde noch mal ein Dämon einen Pakt mit ihnen schließen?

Sam atmete tief durch und riss sich von dem Anblick seines Bruders los. Langsam zog er sich an. Dean war seinen Pakt los, Dean war frei, aber was war mit ihm? Er hatte noch immer Dämonenblut in sich. Er hatte es in sich und Dean wusste nichts davon. Wie sollte er es ihm sagen? Sollte er es ihm überhaupt sagen?

Während er sich anzog grübelte er darüber nach. Dean hatte ein Recht darauf zu wissen, was mit ihm los war. Nur wie? Wie beeinflusste es ihn? Azazal war tot. Sein Blut floss in seinen Adern, aber er war tot. Spielte es überhaupt noch eine Rolle?

Er verschob die Frage auf später. Zuerst einmal würde er etwas zu essen besorgen.
 

Sam kochte Kaffee und begann dann den Tisch zu decken. Immer wieder schaute er zu seinem Bruder, der sich noch nicht gerührt hatte. Erst als der Duft von Deans Lebenselixier durch den Raum zog blinzelte der Blonde.

„Hey“, grüßte Sam.

Dean grummelte. Er drehte sich auf den Rücken und blieb so noch eine Weile liegen, den Arm über seinen Augen.

Sam holte zwei Aspirin und ein Glas Wasser.

„Dean?“, fragte er und hielt ihm beides hin.

„Hm?“ Dean schaute seinen Bruder an und griff zu.

„Kommst du essen?“, wollte der Jüngere wissen und trug den Kaffee zum Tisch.

Der Blonde quälte sich aus dem Bett.

Sich noch immer die Augen reibend ließ er sich auf den zweiten Stuhl fallen.

„War wohl gestern etwas später?“, grinste der Jüngere.

„Hm!“

„Trink erstmal deinen Kaffee“, sagte Sam.

„Hm!“

Vollwaschgang

Nachdem Dean seinen zweiten Kaffee und einen Bagel im Magen hatte war er etwas ansprechbarer.

„Was hast du heute vor?“, wollte Sam auch sofort wissen.

„Ich wollte mein Baby waschen. Sie hat doch Einiges bei der Ton-Vernichtungs-Aktion abbekommen.“

„Kann ich helfen?“

Dean nickte.

Gemeinsam räumten sie den Tisch ab und dann fuhren sie die wenigen Meter zur Waschanlage.

Natürlich wurde der Impala nicht durch die Waschstraße geschickt, sondern auf einem der Waschplätze abgestellt, und während Sam schon mal den Kofferraum aussaugte, kaufte Dean im angrenzenden Laden alle möglichen Pflegeprodukte.

Sie polierten den Innenraum und rieben das Leder der Sitze ein, bevor sie sich dem schwarzen Lack widmeten.

Mit fast heiliger Ergriffenheit wusch Dean die Fahrerseite, Sam bearbeitete, ohne die Heiligkeit, die andere.

Die Sonne brannte auf sie herab.

Der Jüngere warf den Schwamm in den Eimer, holte ihn triefend wieder heraus und als der auf dem Dach landete bekam Dean ein paar Spritzer ab. Aber er reagierte nicht.

Sam grinste.

Immer wieder versuchte er seinen Bruder aus der Reserve zu locken, immer wieder spritze er ihn mit Wasser voll. Und kein Mal reagierte der Blonde. Was sollte das denn? Er war enttäuscht. War Deans Kater so groß, dass er selbst zum rumspielen keinen Bock hatte? Oder war er etwa ernstlich krank? Er würde ihn genauer beobachten müssen.

Dean ließ den Schwamm auf der Motorhaube liegen und ging zum Schlauch um seinen Eimer mit frischem Wasser zu füllen.

Sam hatte es inzwischen aufgegeben seinen Bruder zu einer kleinen Wasserschlacht zu animieren und wusch die Scheiben.

Langsam lief der Blonde auf seinen Bruder zu, den Eimer vor sich haltend. Mit einem Ruck zog er ihm den Bund der Hose vom Körper und stopfte den Schlauch, der die ganze Zeit im Eimer hing, hinein.

Sam fühlte wie sich seine Hose mit Wasser, mit kaltem Wasser, füllte und er erstarrte. Noch bevor er reagieren konnte bekam er den Inhalt von Deans Eimer über den Kopf gekippt.

Lachend sprang Dean zurück.

Sam drehte sich um, zerrte den Schlauch aus seiner Hose und rannte hinter Dean her. Aus seinen Schuhen schwappte das Wasser.

„Na warte! Das wirst du büßen!“, schimpfte er und versuchte dabei ein ernstes Gesicht zu machen.

Dean war zu schnell für ihn. Breit grinste er sein kleinen Bruder an.

Sam nahm den Schlauch, drückte seinen Daumen auf die Öffnung und richtete den Strahl auf den Blonden.

Hart traf Dean der Strahl auf Bauch und Brust. Schnell drehte er seinen Rücken in den Strahl. Das tat weniger weh. Langsam arbeitete er sich rückwärts an Sammy heran und versuchte ihm den Schlauch abzunehmen. Es entspann sich ein Handgemenge, bei dem keiner der Beiden auch nur eine trockene Stelle am Körper behielt.
 

Lachend, keuchend und vor Nässe triefend hielten die Winchesters inne. Dean schüttelte sich wie ein Hund, dann zog er sein Shirt über den Kopf, wrang es aus und wischte sich das Gesicht ab. Er warf das Shirt hinter den Impala.

Sam beobachtete seinen Bruder. Er starrte auf die rosa leuchtenden Beweise, dass Dean erst vor kurzem dem Höllenhund entkommen war. Sein Magen verkrampfte sich, als ihm klar wurde, wie kurz er davor gewesen war, sein Leben allein weiter führen zu müssen.

Wie froh war er doch, dass Dean noch bei ihm war. Wieso war er gestern nicht mit ihm gegangen?
 

Dean polierte den schwarzen Lack und auch Sam machte sich daran dem Babe wieder zu einem strahlenden Äußeren zu verhelfen.

Als sie fertig waren, legte der Blonde sich einige Handtücher und Decken auf seinen Sitz und fuhr den Impala wieder auf den Parkplatz vom Motel.
 

Der Ältere kam nur mit einem Handtuch bekleidet aus dem Bad. Sam schaute ihn fragend an: „Was willst du heute machen?“

„Keine Ahnung. Fernsehen?“

„Wie wäre es mit ein paar Bier in der Bar?“

„Gestern warst du ganz versessen auf dein Internet.“

„Ich war ein Idiot!“, grummelte Sam.

„Hmhm!“, bestätigte Dean nur und erntete einen wütenden Blick, den er mit einem Grinsen beantwortete.

Sam schmollte noch immer leicht als sie gemütlich zu der Bar liefen, doch dann erinnerte er sich daran, wie Dean gestern, oder eher heute früh, durch das Zimmer gestolpert war und der Gedanke daran, dass sich das vielleicht heute wiederholen lassen und er Dean dann damit aufziehen könnte, hob seine Stimmung ganz erheblich.

Schließlich hatte er diese Nacht ja offiziell geschlafen. Schade eigentlich.
 

Sie betraten die Bar, in der noch nicht so viel los war. Dean orderte ihnen an der Theke zwei Bier und Sam nickte, als er dessen an leuchtende Kinderaugen zu Weihnachten erinnernden Blick zu den Billardtischen sah. Nicht dass sie je ein Weihnachten hatten, an dem ihre Augen hätten leuchten können. Zumindest Sam konnte sich an so ein Weihnachten nicht erinnern.

Sie spielten ein paar Partien, bis neben ihnen ein älterer Mann auftauchte, der, obwohl Dean sich zurückgehalten hatte, in Sam den schwächeren Spieler erkannte und diesen jetzt zu einer Partie herausforderte.

Die Brüder wechselten einen kurzen Blick und Dean zog sich zurück, während Sam nickte.

So lange der Jüngere spielte, genehmigte sich Dean vier weitere Biere, dann kam Sam mit einem breiten Strahlen zu ihm. Er hatte ihre Bargeldkasse um 200 Dollar aufgebessert. Das musste gefeiert werden. Also orderte er an der Bar zwei Purple Nurple und stellte verwundert fest, dass die sogar schmeckten.

Dieser Geschmack musste unbedingt gefestigt werden.
 

„Du hast genug!“, erklärte Dean seinem kleinen Bruder zwei Stunden später leicht undeutlich.

„Kanauwas vertra… tragen“, lallte Sam.

„Klar, den schnellsten Weg ins Bett!“

„Binn nich berunken!“

„Nein, ga nich kleiner Bruder. Kommich bringich nach Hause!“

„Du biss mei suhause!“

Dean schluckte, schniefte und zog den Arm seines Bruders über seine Schulter und ihn selbst noch etwas näher an sich und bugsierte ihn vorsichtig aber energisch aus der Bar.

Sam schwankte beträchtlich und Dean hatte alle Hände voll zu tun, um nicht noch mit Sam der Länge lang auf den Gehweg zu schlagen. Immer wieder sackte der Jüngere weg, immer wieder schwankte er zur Seite. Dean war sichtlich erleichtert, als sie vor ihrem Zimmer standen. Keuchend klemmte er sich Sam fester an seine Hüfte und schloss die Tür auf.

Sam rubbelte mit seiner Nase über Deans Hals.

„Biser besse Bruda!“, nuschelte er.

„Du mich auch!“, knütterte Dean ergeben und schob seinen Kleinen ins Zimmer. Erdgeschoss hatte was für sich!

Er drehte seinen großen, kleinen Bruder ein wenig zur Seite, um ihm die Hose öffnen und diese auch gleich über dessen Hintern schieben zu können. Dann drängte er Sam zu seinem Bett und ließ ihn darauf sinken. Etwas umständlich pellte er ihn aus Hemd und T-Shirt und zog ihm die Schuhe und dann auch die Hose aus.

„Nicht einschlafen!“, befahl er leise.

„Su Befehl!“, salutierte Sam und kippte nach hinten.

Der Blonde holte ihm noch ein vorbeugendes Aspirin, und nachdem Sam das geschluckt hatte legte Dean ihn richtig ins Bett und deckte ihn zu.

„Jetzt schlaf, Sammy“, sagte er leise. Schnell hatte er sich ebenfalls bis auf die Shorts entkleidet und war mit einem erleichterten Seufzer unter die Decken gehuscht. Nicht natürlich, ohne vorher noch einen Eimer an Sams Bett zu stellen.

„Ich hab dich lieb, Dean“, erklang Sams Stimme plötzlich klar in der Dunkelheit.

„Ich dich auch Sammy.“

„Du darfst mich nie wieder alleine lassen wollen!“, schniefte der noch immer erstaunlich deutlich.

„Werd ich nicht.“ Dean drehte sich auf die Seite und war schon fast eingeschlafen, als er plötzlich ein Rascheln aus Sams Richtung hörte. Er drehte sich wieder auf den Rücken und schon war Sam unter seine Decken geschlüpft und schmiegte sich zutraulich an ihn.

„Sam?“, fragte er etwas irritiert.

„Schchwörsu mich nie wieda alleine su lassen?“

„Ich kann es versuchen.“

„Schchwöres!“

„Okay, Sammy ich schwöre es.“

Zufrieden schnaufte Sam an Deans Hals, drückte seine Nase noch etwas tiefer in dessen Halsbeuge und war eingeschlafen, bevor Dean noch etwas sagen konnte.

Er legte seinen Arm um Sam und dachte an die vielen Nächte in denen sein kleiner Bruder in sein Bett gekrabbelt war und sich vertrauensvoll an ihn geschmiegt hatte. Und er dachte an das warme Gefühl, dass sich jedes Mal in ihm ausgebreitete hatte. Und als hätte dieses Gefühl nur darauf gewartet mal wieder erwähnt zu werden, war es auch schon da und machte sich in ihm breit.

Dean lächelte.

„Ich hab dich lieb, Sammy!“, sagte er leise und wuschelte seinem kleinen Bruder durchs Haar.

Leise und zufrieden schnaufte der und kuschelte sich noch etwas fester an ihn.

Dean versuchte es sich so bequem wie möglich zu machen. Das Gewicht war doch ein wesentlich größeres als damals. Mit diesem Gedanken schlief auch er ein.
 

Der Blonde erwachte weil ihn etwas an der Nase kitzelte. Er schnaufte, schniefte und versuchte den Störenfried wegzuwischen. Nichts half. Dann wurde er sich des Gewichts bewusst, das auf seiner Brust lastete und öffnete die Augen.

Sam lag noch immer mehr auf als neben ihm und entlockte Dean ein verschlafenes Lächeln. Wieder wuschelte er ihm durch die Haare, die so herrlich nach allen Seiten abstanden.

Sam schnaufte leise und der Blonde begann sich vorsichtig unter ihm hervor zu arbeiten.

Es dauerte eine Weile, doch dann konnte er aufstehen und verschwand unter der Dusche. Gleich danach besorgte er ihnen Frühstück und alles, was er für ein zünftiges Katerfrühstück für seinen kleinen Bruder brauchte.
 

Zufrieden futterte Dean seinen zweiten Cheeseburger und schielte dabei schon zu den zwei großen Stücken Apfelkuchen, die er sich ebenfalls mitgebracht hatte. Neben ihm stand ein großer Pott Kaffee, der sein Aroma langsam im Raum verteilte. Dean hatte sich verschiedene Kaffeesorten mitgebracht und wollte jetzt eine Weile damit herum experimentieren, welcher, oder welche Mischung davon ihm wohl am besten schmecken würde. Er lebte, er war frei, also konnte er sich jetzt auch Zeit zum Genießen nehmen. Das war er sich schuldig, hatte er beschlossen.

Vor sich hatte er Sams Laptop liegen. Träge surfte er durch einige Foren in denen die Menschen von Geisterbegegnungen erzählten. Hin und wieder wischte er die Krümel von den Tasten.

Ein kurzer Blick sagte ihm, dass Sam noch schlief.
 

Er verdrückte gerade sein letztes Stück Kuchen als ein Forumsbereich seine Aufmerksamkeit fesselte.

Mehrere Menschen berichteten davon, dass sie einen Geisterhund auf dem Moor gesehen hatten, und dieser Hund hätte Menschen getötet.

Dean erschauderte. Eine eiskalte Hand schien nach seinem Herzen zu greifen. Schweiß brach ihm aus allen Poren und überzog seinen Körper mit einer dünnen Schicht. Trotz der Wärme fror er plötzlich.

Wütend schüttelte er den Kopf, stand auf und streckte sich. Dann ging er noch mal heiß duschen.
 

„Was hast du mit meinem Laptop gemacht?“, wurde er von einem wütend brüllenden Sam empfangen.

„Gesurft?!?“

„Wenn es nur das wäre, wäre es mir egal, aber du hast schon wieder irgendwelches klebriges Zeug auf der gesamten Tastatur verteilt!“ Sam schloss gequält die Augen.

„Hab ich gar nicht!“, verteidigte sich Dean.

„Und was ist das dann?“, wollte Sam wütend aber schon wesentlich leiser wissen und tippte mit seinem Finger auf eine Taste. Mit einem leisen klebrigen Reißen löste sich der Finger wieder.

Ertappt steckte sich den Dean Finger in den Mund und wollte ihn ablecken, bis ihm einfiel, dass er ja gerade duschen war.

„Wieso bist du überhaupt schon wach? Und wieso brüllst du hier so rum?“

„Ich brülle überhaupt nicht!“, erklärte Sam noch leiser. „Aber das ändert nichts daran, dass du meinen Computer zugesaut hast.“

„Gib her, ich spül ihn schnell ab“, grinste Dean und angelte nach dem Heiligtum.

„Bist du wahnsinnig? Ich mach das selber! Was wäre denn, wenn ich deinen heiligen Impala so zugesaut hätte, hä?“

„Dann hättest du den geputzt!“

„Mann, Dean!“

„Tut mir leid Sammy, ich habs nicht mal gemerkt“, knütterte der.

„Wie kannst du nur mit dem ganzen Zucker in deinem Kreislauf leben?“

Dean zuckte mit den Schultern. „Was macht dein Kopf?“, wollte er dann wissen.

Wieder verzog Sam das Gesicht und rieb sich die Schläfen. „Brummt tierisch.“

„Du gehst duschen und ich mach dir Frühstück.“

Sam nickte und verzog sofort wieder sein Gesicht. Er beschloss nie wieder so viel Alkohol trinken zu wollen!

Seinen Laptop nahm er mit.

Katerfrühstück

Sam sah etwas besser aus als er aus dem Bad wieder kam.

„Hast du mit dem Teil geduscht?“, wollte Dean wissen. „Das hätte ich auch tun können.“

Ein böser Blick war Antwort genug. Dann wurden Sams Augen schlagartig groß.

„Was soll das sein?“

„Dein Katerfrühstück? Oder Mittagessen, wenn man die Zeit bedenkt.“

„Igitt! Dean, das kriege ich nicht runter, was ist das?“, wollte er wissen und starrte angewidert auf das Glas in dem ein rohes Ei in Tomatensaft schwamm. Die weiteren Ingredienzien wollte er erst gar nicht wissen.

„'Ne Prärieauster. Und für dich hab ich sogar den Wodka weggelassen. Okay, da soll eigentlich Cognac rein, aber den haben die hier nicht.“

„Bah, Dean, das ist eklig. Kipp das weg!“ Sam würgte.

Dean nahm das Glas und trank es mit einem Zug aus. Sam würgte noch schlimmer, schlug sich die Hand vor den Mund und rannte ins Bad.

Die würgenden und hustenden Geräusche, die an Deans Ohr drangen, ließen ihn grinsen. Schön, wie er Sammy immer wieder zu packen bekam. Was musste der aber auch so viel trinken. Dann holte er zwei Kopfschmerztabletten und eine Flasche Wasser und erwartete seinen kleinen Bruder an der Tür.

„Hey, Bleichgesicht“, grinste er und hielt Sam die dringend benötigten kleinen Helfer hin. Sam griff dankbar zu und spülte mit einem großen Schluck Wasser nach.

„Du solltest trotzdem was essen.“

Der Jüngere schüttelte nur den Kopf und kroch wieder aufs Bett.

Dean grinste erneut und trank dann den Kaffee, den er eigentlich für Sam fertig gemacht hatte. ‚Milch mit etwas Kaffee, bah!’, er schüttelte sich. So sehr er Sam auch liebte, das würde er nie verstehen.

Sam schlief sich seinen Rausch aus.

Der Ältere ging zu ihm. Er schob einige verwirrte Strähnen aus Sams Gesicht und deckte ihn dann zu.

Er griff sich seine Jacke und verließ nach einem letzten Blick auf den Schlafenden ihr Zimmer.
 

Keine Stunde später war er mit einem zufriedenen Lächeln wieder zurück.

Er brachte die Tasse in die Küche und goss sich frischen Kaffee ein. Dann wusch er sich die Hände und setzte sich wieder an den Tisch. Sammy hatte ja Recht. Er wollte auch nicht, dass der Impala versaut wurde, obwohl er noch nicht mal gemerkt hatte, dass der Apfelkuchen so klebrig war. Er grinste. Ein weiterer Blick zu Sam beruhigte ihn, dass es dem soweit gut ging und er griff nach dem Laptop um dieser Geisterhund-Geschichte nachzugehen.
 

Sam wachte einige Stunden später wieder auf. Er blinzelte in das warme Licht, dass ihr Zimmer erhellte und stellte fest, dass sein Kopf kaum noch wehtat. Sein Magen knurrte, was er für ein gutes Zeichen hielt. ‚Hauptsache Dean kommt nicht wieder mit diesem ekligen Zeug!’ Er streckte sich und setzte sich dann auf.

Langsam schlappte er in die Küche, nahm sich den letzten Kaffee und setzte neuen auf.

Dean hockte noch immer am Rechner und kritzelte hin und wieder etwas auf einen Block. Sam runzelte die Stirn. ‚Was ist denn in den gefahren?’, überlegte er. Er suchte sich etwas zu essen, das seinen Magen nicht sofort wieder zum Rebellieren brachte und ging, als der Kaffee durchgelaufen war mit der Kanne zum Tisch und goss Deans Tasse voll.

„Hm!“, brummelte der Ältere nur.
 

Eine Zeit lang beobachtete Sam seinen Bruder, der weder Anstalten machte sich von seiner Lektüre zu lösen noch ihm zu sagen, was ihn da so fesselte.

„Dean?“, fragte er und bekam keine Reaktion.

„DEAN!“, wurde er etwas lauter.

„Hm!“, reagierte dieser nur.

Sam griff nach dem Laptop und drehte ihn zu sich herum.

Dean zuckte zusammen. „Hey!“, grummelte er.

„Was liest du da?“

„Ich war fast durch!“

Sam überflog die Seite: „Du willst mir jetzt nicht erklären, dass du auch nur ein Wort auf dieser Seite glaubst?!“

„Warum nicht?“

„Dean! Das sind Wichtigtuer, Spinner. Ich hab die Seite schon öfter erwischt, wenn ich mal was gesucht habe, und es hat sich im besten Fall immer als haltlos erwiesen, was hier stand. Im besten … - im schlimmsten Fall war es äußerst gefährlich.“

„Ich habe keine Lösungen gesucht, Sam!“

„Dean, das sind Geschichten, die sich Leute am Lagerfeuer erzählen, oder kleine Mädchen bei Pyjamaparties.“

„Woher weißt du was sich kleine Mädchen erzählen?“, stichelte der Blonde.

Sam schwieg beleidigt. Er scrollte die Seite nach oben um zu schauen was Dean da so intensiv gelesen hatte, um sich die richtigen Argumente zurecht legen zu können. Dean sollte nicht mehr wissen, wo ihm der Kopf stand, so sehr wollte Sam ihn widerlegen.

„Du hast nach einem Geisterhund gesucht?“, platzte Sam plötzlich heraus und grinste breit.

„Und?“

„Dean, es gibt keine Geisterhunde! Wie wollten die denn entstehen?“

„Ich denke es werden genug Hunde misshandelt und zu Tode geprügelt.“

„Ach und die kommen dann als Geister wieder und tun was? Ihr ehemaliges Herrchen beißen?“

„Und warum behaupten dann gleich mehrere, diesen Geisterhund gesehen zu haben, von dem du behauptest, es gibt ihn nicht?“

„Die haben sich abgesprochen!“, erklärte der Jüngere oberlehrerhaft. „Es gibt keine Geisterhunde, ich hab noch nie einen gesehen.“

„Du hast auch noch nie einen Höllenhund gesehen!“, sagte Dean leise und wandte sich ab.

Sam starrte erschrocken auf den breiten Rücken vor ihm.

„Aber ich hab gesehen was dieses Vieh tun kann“, versuchte Sam die Wogen zu glätten.

„Und zwei dieser Spinner, wie du sie bezeichnest, haben gesehen, wie dieser Geisterhund einen Menschen getötet hat.“

„Wer weiß was die genommen haben.“

„Genommen?“

„Von mir aus auch gesoffen. Vielleicht haben die vorher Stephen King gelesen?“

„Hm, hat dein Stephen King auch Leichen im Leichenschauhaus liegen?“

Sam starrte irritiert auf Dean.

„Im Leichenschauhaus von Bangor liegt der zerfetzte Körper von Jasper Lehman. Gestern Nacht haben zwei Trucker die Polizei gerufen, weil vor ihrem Truck plötzlich ein Mann aufgetaucht und blutüberströmt zusammengebrochen war. Sie haben gerade so bremsen können. Sonst hätten sie ihn auch noch überrollt. Und bevor sie aussteigen konnten, tauchte ein riesiger Hund am Straßenrand auf. Riesig und leuchtend. Und plötzlich war er verschwunden.

Der Mann ist kurz nach der Ankunft im Krankenhaus gestorben. Er war bewusstlos und konnte nichts mehr sagen, steht im Polizeibericht. Vorigen Monat starb eine junge Frau, Melissa Black. Sie war schwanger. Sie hat es noch alleine bis ins Krankenhaus geschafft und von einem riesigen Hund erzählt.

Ihr Mann verschwand vor vier Monaten.“

„Und was willst du jetzt tun?“ Sam schaute zerknirscht aus dem Fenster.

„Hinfahren!“

„Ich glaube trotzdem nicht an Geisterhunde!“

„Dad sagte auch, dass Vampire ausgestorben sind und ich habe ihm geglaubt“, entgegnete der Blonde und begann seine Tasche zu packen.

„Ich habe ihm viel zu viel geglaubt!“, nuschelte er, während er den Reißverschluss zuzog.

Sam starrte ihn erschrocken an. ‚Was war das? Was hatte Dean gesagt? Hab ich mich da verhört? Ich habe mich verhört! Dean hat nie an Dad gezweifelt!’ Und während der Blonde ihr Geschirr aufräumte hielt Sam seine Augen unverwandt auf ihn gerichtet, unfähig sich zu bewegen.

Plötzlich drehte sich Dean um: „Hör auf mich Löcher in den Rücken zu brennen und fang an, deine Klamotten zu packen. Es ist ein weiter Weg bis Maine und ich will nicht noch mehr Menschen sterben sehen.“

Sam zuckte mit den Schultern. Er glaubte immer noch nicht daran, dass ein Geisterhund für die Toten verantwortlich sein sollte. Menschen konnten sich auch ohne übernatürliches Zutun genug quälen. Aber da Dean sich in den Kopf gesetzt hatte, dass es ein Geisterhund war, würden sie hinfahren. Er begann ebenfalls zu packen, was sein großer Bruder mit einem zufriedenen Nicken quittierte, das Zimmer verließ um seine Sachen in dem Impala zu verstauen und ihre Rechnung zu bezahlen.

„Das Jägerleben hat uns wieder!“, seufzte Sam theatralisch und kontrollierte, als er fertig gepackt hatte, noch einmal alles. Dann ging auch er zum Impala, warf seine Tasche in den Kofferraum und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. Er suchte sich eine bequeme Sitzposition und schloss die Augen.
 

Verschlafen blinzelte Sam und versuchte sich zu strecken. Der Impala war eigentlich ein großes Auto, aber bei seiner Größe hatte auch der zu wenig Platz zu bieten.

„Guten Morgen, Schlafmütze!“, lächelte Dean.

„Wie spät ist es?“

„Kurz nach Mitternacht!“ Dean gähnte verhalten.

„Wo sind wir?“

„North Dakota“

„Willst du nicht irgendwo Halt machen. Du siehst nicht gerade wie das blühende Leben aus“, erklärte der Jüngere.

„Ich will so schnell wie möglich da hin.“

„Du hast Angst, es könnte ein Höllenhund sein. Dean, es ist kein Höllenhund, sonst hätten ihn nicht so viele Leute gesehen, wie du behauptet hast“, schoss Sam ins Blaue.

Der traurige Blick, den Dean ihm zuwarf, strafte seine nächsten Worte Lügen: „Ich weiß!“

Sam starrte aus dem Fenster in die Dunkelheit und versuchte sich darüber klar zu werden, ob das seltsame Glänzen in Deans Augen wirklich da gewesen war, oder ob er sich das nur eingebildet hatte.

‚Glaubt Dean wirklich, dass es ein Höllenhund gewesen ist? Will er sich dann an dem Vieh rächen? Ich würde ihn mit aller Kraft unterstützen! Und wenn Dean vor dem Vieh Angst hat? Mal abgesehen davon, dass Dean nie Angst hat.’ Sam grinste sein Spiegelbild an. ‚Auch das verstehe ich. Das Vieh hat ihn wirklich übel zugerichtet.’ Er holte tief Luft und seine Gedanken liefen ihm aus dem Ruder. ‚Was hätte Dean in der Hölle zu erwarten gehabt? Wie wird aus einem Menschen ein Dämon?’ Sam schüttelte den Kopf um diese Gedanken los zu werden. Er holte tief Luft. Dean lebte! Er war gesund und gerade nicht ganz so munter und er saß neben ihm. Das war das Wichtigste!

„Soll ich dich ablösen?“, wollte Sam wissen.

„Ein Stück schaff ich noch“, gähnte der Blonde.

Der Jüngere nickte und machte es sich wieder so bequem wie möglich. Die nächste Frage würde er Dean erst stellen, wenn der auf den Beifahrersitz saß.
 

„Sam?“, wurde er leise geweckt. Müde blinzelte er. Draußen dämmerte es bereits.

„Sammy?“ Wieder hörte er Deans leise Stimme, die etwas undeutlich und schleppend klang.

Sam blinzelte wieder. Draußen… Draußen dämmerte es bereits. Schlagartig war er wach. Wie lange zum Teufel war Dean denn jetzt schon gefahren? Zehn Stunden, zwölf? Der musste ja müde sein. Kein Wunder, dass er so nuschelte.

„Fahr rechts ran, ich bin wach!“, erklärte der Jüngere sofort.

Dean nickte dankbar und ließ den Impala auf dem Seitenstreifen ausrollen.

Sie tauschten die Plätze, und Sam war noch nicht wieder auf der Straße als Dean schon schlief. Sam bremste wieder und hielt vorsorglich seine Hand gegen Deans Brust, dessen Kopf der Frontscheibe bedrohlich nahe gekommen war.

„Dean!“ Sam packte ihn fester am Arm und schüttelte ihn leicht. „Rutsch ein Stück runter, so haust du noch 'ne Beule in dein Baby!“

Dean brummelte, tat aber wie ihm geheißen.

Sam lächelte. Er griff ins Handschuhfach und angelte nach der Sonnenbrille, die er Dean auch gleich auf die Nase schob. Dann fuhr er los.

Dean ermittelt

Erst als sich Deans Magen so lautstark zu Wort meldete, dass es nicht nur Sam hörte, sondern er selbst auch davon wach wurde, hielten sie an einer Trucker-Raststätte an.
 

Trotz Deans offensichtlichem Hunger wollte der Blonde zuerst duschen. Nachdem sie sich gestärkt hatten setzte sich Sam erneut hinter das Steuer und Dean machte es sich wieder auf dem Beifahrersitz gemütlich.

„Dean?“, begann Sam.

„Was?“

“Du hast im Motel was über Dad gesagt.“

„Dass er behauptet hat, es gäbe keine Vampire mehr? Du warst doch dabei, als er das gesagt hat.“

„Das meine ich nicht, Dean. Du hast gesagt, du hättest ihm viel zu viel geglaubt!“

Dean sah seinen kleinen Bruder mit großen Augen an.

„Was hast du ihm geglaubt, das nicht stimmte?“

„Ich…“ begann der Blonde. Wie sollte er Sam erklären, dass sich seine Gefühle für Dad vor allem mit dem unsäglichen Befehl Sam zu töten, geändert hatten? Wie hätte er diesen Befehl überhaupt ausführen sollen? Er sollte Sam mit seinem Leben schützen und dann sollte er ihn töten? Das war doch schon ein Widerspruch in sich! Vielleicht hatte ihn aber auch das letzte Jahr, das Wissen in der Hölle zu landen, erwachsener gemacht? Weiser? Klar! Der weise alte Dean Winchester!

„Dean?“, hakte Sam nach als nichts mehr zu kommen schien.

Sein großer Bruder sah zu ihm hinüber. Dann schüttelte er nur betrübt den Kopf und griff zum Lautstärkeregler. Er drehte die Musik so laut, dass kein Gespräch mehr möglich war.

Sam schluckte. Dean wollte nicht darüber reden. Dean wollte nie über seine Gefühle reden. Da musste erst so ein blöder Gestaltwandler kommen und ihm sagen, dass er, dass Dean auch Pläne für sein Leben gehabt hatte. Was für Pläne? Wollte Dean bei Cassie bleiben? Aber die hatte ihn rausgeschmissen. Was wusste er überhaupt von seinem Bruder? Er wusste, dass Dean wesentlich gefühlvoller war als er sich gab. Er vermutete, dass Dean intelligenter war als er sich anstellte. Zu viel Wissen hatte sein Bruder schon unverhofft aus dem Hut gezaubert. Aber warum stellte er sich dann immer so doof? War es leichter für ihn? War es leichter dieses Leben zu ertragen, diese Last zu tragen, die Dean mit sich herumschleppte? Doch was war das für eine Last und warum redete sein Bruder nicht mit ihm? Er war doch schließlich schon lange erwachsen und konnte ihm helfen!

Er schaute zu seinem Bruder, der aus dem Fenster starrte.

Plötzlich machte der sich gerade, atmete tief durch und rutschte dann in seinem Sitz tiefer. Dean schob sich die Sonnenbrille auf die Nase und gab sich zumindest den Anschein schlafen zu wollen.

Wie konnte der bei dem Krach, okay, bei der Lautstärke der Musik, schlafen?
 

Dean hatte die Augen hinter der schwarzen Brille geschlossen und versuchte sich auf die Musik zu konzentrieren. Doch seine Gedanken trieben immer wieder zu ihrem Vater. Er hatte ihm vertraut, hatte ihm bedingungslos gehorcht, ohne je nachzufragen. Dad wusste was richtig war. Aber warum zweifelte er dann immer stärker? Warum fühlten sich einige seiner Entscheidungen, seiner Befehle plötzlich so falsch an? Wusste Dad was richtig war? Und warum sehnte er sich dann nach einem Leben, wie er es nie gehabt hatte? Einem Leben, das er nur als Zuschauer aus dem Fernsehen kannte, wenn Sammy schlief oder nicht da war und er mal bei irgendeiner Serie hängen blieb, die das wahre Leben zeigen sollte, oder von den wenigen Einblicken, die er bei Cassie bekommen hatte, oder bei den Familien, denen sie geholfen hatten. Obwohl deren Leben ja auch schon zerstört war.

Dean wusste es nicht. Und er versuchte sich - wieder einmal - vorzustellen, wie es wohl wäre … sein normales Leben. Aber erneut scheiterte er kläglich. Er hatte keine Ahnung davon. Sam, Sam wusste wie das ging, Sam hatte es versucht, bis er ihn da wieder rausgerissen hatte. Der Inhalt seines Magens verklumpte und er hatte plötzlich das Gefühl sich übergeben zu müssen.

Die Musik wurde leiser und eine Hand legte sich warm auf seinen Arm. „Dean?“ Er zuckte zusammen und holte tief Luft. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er angefangen hatte, hektisch nach Luft zu schnappen.

„Dean, es ist nur ein Traum!“, beruhigte Sam ihn leise.

‚Nein Sammy, das ist kein Traum, das ist unser Leben’, dachte er traurig und versuchte ein paar Tränen wegzublinzeln. Dann drehte er seinen Kopf zur Seite und jetzt schlief er tatsächlich ein.
 

Dean hielt auf dem Parkplatz eines Motels in Bangor. Er warf einen kurzen Blick auf seinen schlafenden Bruder. Sie hatten sich beim Fahren immer wieder abgewechselt. Zum Schluss war Sam bis zum Morgengrauen gefahren und nachdem sie gemeinsam gefrühstückt hatten, war Dean wieder hinter das Steuer seines Babes geklettert und der Jüngere hatte sich auf dem Beifahrersitz zusammengefaltet und war eingeschlafen.

Dean schüttelte den Kopf, sein Bruder hatte sich standhaft geweigert, weitere Informationen über den Geisterhund zu suchen. Das sah ihm so gar nicht ähnlich!

Er buchte ihnen ein Zimmer, dann weckte er Sam und sie schafften ihre Taschen hinein.

Müde schlappte der Jüngere hinter seinem Bruder her und ließ sich sofort auf ein Bett fallen.

„Hey, Alter, raus aus den Federn“, Dean klopfte seinen kleinen Bruder gegen das Schienbein während er sich in Schale schmiss.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“, wollte Sam mit gefurchter Stirn wissen.

„Ich will mir die Leiche noch anschauen“, erklärte Dean kurz.

„Das kannst du morgen auch noch!“

„Morgen wird sie vielleicht schon zur Beerdigung freigegeben.“

„Das war sie gestern vielleicht schon.“

„Eben! Los beweg deinen Arsch!“

Sam verdrehte nur die Augen und stemmte sich aus dem Bett wieder hoch. Vielleicht hätte er die Recherchen doch nicht so komplett verweigern sollen. Dean war ja regelrecht heiß auf diesen Fall, von dem er immer noch überzeugt war, dass es keiner war. Geisterhunde! Was denn dann als Nächstes? Geisterkatzen? Geistermäuse? Ha! Geisterratten. Für Dean bestimmt der Horror. Da hätte er sich nicht so in den Fall verbissen.

Er zog sich um und folgte seinem Bruder auf den Parkplatz.

„Was ist los Sammy?“, der Blonde grinste ihn breit an.

„Leck mich Dean!“, fauchte der zurück.

Dean grinste immer noch, als er den Impala startete und mit einem eleganten Schlenker vom Hof fuhr.

Sam schmollte noch immer.
 

„Agent Ford und das ist mein Partner Agent Hamill, wir sind von US Wildlife Service“, stellte der Blonde sie der jungen Frau an der Anmeldung vor und hielt ihr seinen Ausweis hin. Dean strahlte sie regelrecht an.

Sam verdrehte innerlich die Augen bei dieser Vorstellung. Wo hatte Dean denn die alten Ausweise ausgegraben und was war überhaupt los mit ihm? Da musste er mal alleine ermitteln und schon hatte er Spaß daran? Das hatte doch früher nie geklappt!

„Vor vier Tagen wurde die Leiche von Jasper Lehman hierher gebracht. Wir würden gerne mit dem Pathologen reden.“

„Augenblick bitte, ich schau nach, ob Dr. Miller Zeit für sie hat.“ Sie schenkte Sam ein freundliches Lächeln und der verstand die Welt nun überhaupt nicht mehr.
 

Kurze Zeit später kam das Wesen wieder angeschwebt.

Dean zog die Augenbrauen zusammen, aber ja, sie schwebte regelrecht in den Raum und wieder ruhte ihr Blick auf Sam. Ob sie auf Brummbären stand? Sein kleiner Bruder sah nämlich immer noch aus wie drei Tage Gewittersturm.

„Dr. Miller hätte Zeit für sie. Bitte warten sie vor seinem Büro.“

„Danke“, sagte Dean und folgte der Richtung, die sie ihnen wies.

„Alter, die steht auf dich!“, grinste er seinen kleinen Bruder an, kaum dass sie außer Hörweite war.

„Deine Laune ist widerlich!“, knurrte Sam.

„Nur weil ich Recht hatte und es doch ein Fall ist?“

„Wir wissen noch nicht, ob du Recht hast.“

„Ich bin der große Bruder und große Brüder haben immer Recht! Außerdem war oder ist die Leiche hier.“

„Dass die Leiche hier ist besagt gar nichts.“

„Was bist du heute wieder oberschlau!“, stöhnte der Blonde und ließ sich auf einem Stuhl nieder.
 

„Sie sind vom Wildlife Service?“, fragte eine angenehme Stimme und die Brüder schauten auf. Vor ihnen stand ein Schrank mit Schultern wie ein Preisboxer und verdunkelte das spärlich in den Gang fallende Licht noch mehr. Sie erhoben sich. Der Mann war immer noch riesig. Selbst Sam musste zu ihm aufschauen. Und Dean versuchte standhaft einen, wie Sam fand, unangebrachten Heiterkeitsausbruch zu unterdrücken.

Dr. Miller lächelte, Sam blickte noch finsterer und Dean schaffte es irgendwie zu nicken.

„Das passiert selten, dass sie zu jemandem aufschauen müssen, oder?“ Der Arzt machte eine einladende Geste in sein Büro.

Sam nickte brummelnd und blieb an der Tür stehen.

„Weswegen beehren sie mich?“, wandte sich Dr. Miller an Dean.

„Es geht um Jasper Lehman.“

„Oh, ja, das war furchtbar. Aber wieso interessiert sich der Wildlife Service für den Fall? Das FBI war auch schon hier.“

„Das FBI? Hm“, Dean drehte sich zu Sam um und sie wechselten einen ihrer Blicke. Der jüngere Winchester nickte kurz. „Wenn hier ein Wildtier Menschen reißt, fällt das wohl eher in unseren Bereich“, fuhr der Blonde gespielt entrüstet fort.

„Ich kümmere mich nachher mal drum“, nuschelte Sam.

„Inwiefern furchtbar?“, wollte der Blonde dann von Dr. Miller wissen.

„Vor etwa vier Monaten hatte ich einen Mann auf dem Tisch, Peter Black. Er war der Erste. Er sah furchtbar aus, so als hätte ihn ein Bär zerfetzt. Aber es gibt hier in der Gegend keine Bären und Wölfe haben wir auch nicht. Sheriff Jackson sagte, einen Hund hätten die Blacks auch nicht gehabt.

Aber ich kenne auch keinen Hund, der zu so etwas fähig wäre.“

Dean nickte nur. Er kannte sehr wohl einen Hund, der so etwas machen konnte. Er kannte ihn zu gut.

Der Blonde versteifte sich immer mehr. Sein Lächeln war gefroren. Sam löste sich von seinem Platz an der Tür und trat hinter seinen Bruder. Ganz leicht berührte sein Arm Deans.

„Und keine drei Monate später habe ich Mrs. Black auf dem Tisch, mit fast denselben Verletzungen“, er schüttelte betrübt den Kopf, „die Frau war schwanger! Wer tut denn so was?“

„Haben sie die Akten noch hier?“, fragte Sam, da Dean sich nicht rührte.

„Ich kann Miss Roquefort bitten ihnen Kopien der Akten zu machen.“

„Das wäre sehr nett.“

„Und das letzte Opfer? Jasper Lehman?“ wollte Sam wissen.

„Der hat ähnlich Verletzungen, aber sie können auch gerne noch einen Blick auf die Leiche werfen. Er ist noch hier. Der Bestatter kommt erst heute Abend.“

Die Brüder nickten und Dr. Miller bat sie in den angrenzenden Raum. Dean warf seinem Burder einen bedeutsamen Blick zu. Morgen wäre die Leiche weg gewesen. Sam nickte erbegen. Dr. Miller öffnete unterdessen ein Kühlfach und zog die Bahre heraus. Kaum hatte der das weiße Tuch entfernt, das den misshandelten Körper bedeckte, machte Dean einen Schritt zurück. Er meinte wieder den heißen, stinkenden Atem auf seinem Gesicht und die Krallen und Reißzähne in seiner Haut zu spüren. Sam ließ ein entsetztes Keuchen hören.

Verdammt! Die Wunden sahen denen von Dean doch sehr ähnlich.

Der versteifte sich schon wieder. Er schluckte immer wieder krampfhaft. Dann trat ein harter Glanz in seine Augen und er stellte wieder neben den Toten. Er musste sich förmlich zwingen, seinen Blick mit unbeteiligter Miene über den geschundenen Körper wandern zu lassen und sich dann wieder dem Pathologen zuzuwenden. Zu genau diesem Bild eines zerfetzten Körpers verschwamm jedes Mal sein Spiegelbild, wenn er unbekleidet im Bad vor dem Spiegel stand. Seine Wunden waren verheilt und er lebte noch. Aber es raubte ihm jedes Mal wieder den Atem.

Das in seinen letzten Minuten zu fühlen und zu wissen, dass es jetzt in die Hölle ging, das wünschte Dean niemandem. Er schluckte hart und trat von der Liege zurück.

„Danke, Doktor“, sagte er und seine Stimme klang heiser.

„Ich sage Miss Roquefort noch schnell Bescheid. Bitte warten sie einen Augenblick draußen.“

Die Brüder nickten und setzten sich wieder auf die Stühle.

Immer wieder schaute Sam zu seinem Bruder. Auch er hatte ihn mit den Verletzungen da liegen sehen. Er wusste, genau wie Dean, wie knapp es gewesen war, wie schwer für ihn zurück zu kommen. Dean starrte mit leeren Augen vor sich hin.

Dann kam die junge Frau mit einem Berg Papier angeschwebt und hielt ihn lächelnd Sam vor die Nase.

Er nahm sie und dankte ihr mit einem knappen Nicken.

Noch bevor er aber auch nur einen Blick auf die Kopien werfen konnte, hatte ihm Dean den Stoß förmlich aus der Hand gerissen und blätterte darin herum.

Doch kaum stand er vor dem Impala als er die Mappe ohne weitere Beachtung auf den Rücksitz warf und den Wagen wieder verschloss.

„Der Sheriff sitzt gleich hier nebenan, den können wir auch noch befragen, wenn wir schon mal hier sind, oder?“

Der Jüngere starrte nur ungläubig.

„Christo!“ murmelte er und wurde von seinem Bruder breit angestrahlt.

„Diesmal darfst du auch die Fragen stellen!“, lachte der Sam an.

Er schüttelte wieder nur mit dem Kopf und war versucht seinen Bruder trotz des missglückten „Christo“ zu exorzieren.

„Hör auf Sam, das ist lächerlich!“

„Du bist nicht mein Bruder!“

„Wer soll ich denn sonst sein?“, grinste er zurück.

„Irgendein Dämon, der mich in den Wahnsinn treiben will?!?“

Dean legte nur den Kopf schief. Die Idee war ihm fast sympathisch.

„Das ist nicht normal, so wie du jetzt bist, das ist einfach nicht richtig!“

„Nur weil ich mich freue, dass ich noch lebe? Wäre es dir lieber, wenn ich in der Hölle wäre?“

„Dean, um Gottes Willen! NEIN! Aber es ist einfach ungewohnt, dich so zu erleben.“

„Ich kann's auch lassen“, grummelte der Blonde.

Eine unerwartete Begegnung

3) Eine unerwartete Begegnung
 

„Und was haben unsere Toten mit dem Naturschutz zu tun?“, wollte Sheriff Jackson ungehalten wissen.

„Die Toten nicht wirklich, aber selbst bis zu uns ist die Geistergeschichte durchgedrungen, die sich die Leute darüber erzählen. Ich meine, mir ist es ziemlich egal, WAS sie sich erzählen, ich glaube nicht an Geister, aber es ist uns nicht egal, wenn die Leute hier wie die Heuschrecken einfallen nur weil sie einen Geist sehen wollen. Dabei könnten dann Natur und Menschen zu Schaden kommen“, schaltete Dean sich ruhig in die bislang eher von seinem Bruder geführte Unterhaltung ein und erntete wieder einen erstaunten Blick von dem.

Der Sheriff holte tief Luft und war nach einigen weiteren von Sam gestellten Fragen bereit ihnen Antworten zu geben. Er ließ sich sogar ebenfalls dazu bewegen, ihnen Kopien seiner Akten zu überlassen.
 

„Du fährst“, sagte Dean und hielt dem völlig verdutzten Sam den Schlüssel hin.

Was war das denn? Sein Bruder wollte nicht fahren? Wieder schüttelte der Jüngere nur den Kopf.

Dean ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder, blätterte in den Akten und studierte immer wieder Sams Notizen, die er sich mit einer fordernd vor Sams Nase gehaltenen Hand erobert hatte. Der Jüngere hatte diesmal wirklich mitgeschrieben und nicht wieder irgendwelche Strichmännchen gemalt. Aber immerhin hatten sie ja hier auch keine Beschreibung eines Verdächtigen bekommen.

Der Sheriff glaubte natürlich auch nicht an einen Geisterhund. Wo käme man denn hin, wenn selbst die Gesetzeshüter an übersinnlichen Quatsch glauben würden. Nein, das musste irgendein Vieh gewesen sein. Aber was für eins? Das wusste der etwas übergewichtige Jackson auch nicht zu sagen.

Dean hatte bis auf seinen Einwurf nur freundlich gelächelt, sich in dem Büro umgesehen und die gewichtige Miene aufgesetzt, von der er meinte, dass sie einem staatlichen Forstbeamten zu eigen sein müsste.
 

Sam gähnte schon wieder. Wieso war er eigentlich so müde? Dean war doch die ganze Nacht gefahren! Konnte man sich müde schlafen? Oder hing ihm dieser blöde Bildhauer noch in den Knochen? Er hatte immer noch keine eigenen Erinnerungen an die Zeit und die würden wohl auch nicht kommen. Selbst Dean fehlte fast ein Tag. Er schaute kurz zu ihm hinüber.
 

Der Blonde starrte auf die Papiere. Ob er wirklich las konnte Sam nicht feststellen. Er vermutete eher nicht.

Sam legte seine Hand auf Deans Arm.

Es dauerte eine Weile bis der Ältere zu Sam schaute. Dann nickte er kurz, versuchte ein Lächeln und starrte erneut stur geradeaus.

Was wenn hier wirklich ein Höllenhund herumlief? Für alle sichtbar? Oder hatten die Opfer unabhängig voneinander einen Pakt geschlossen? Wie viele Opfer gab es dann? Hatte es hier vor zehn Jahren dämonische Aktivitäten gegeben? Gab es jetzt welche? Er fühlte sich noch nicht wirklich in der Lage jetzt schon wieder einem Höllenhund gegenüber zu treten. Aber immerhin hatten sie jetzt den Colt mit und es gab keine Lilith, die ihn an einen Tisch kleben konnte. Ein entscheidender Vorteil, oder?

„Wir werden ihn kriegen, Dean!“, sagte Sam leise und sein Bruder nickte einfach nur. Dann schluckte er hart und wandte seine Aufmerksamkeit endgültig wieder den Papieren zu.
 

Kaum hatten sie ihr Zimmer betreten, als Dean sich auch schon seines edlen Zwirns entledigte und wieder in Jeans und T-Shirt stieg.

„Schlaf dich aus Sam. Ich fahr noch zu der Stelle, an der er gefunden wurde.“

„Du fährst nicht alleine! Wenn es wirklich ein Höllenhund sein sollte, dann brauchst du meine Hilfe.“

„Du hast ihn beim letzten Mal auch nicht gesehen Sam. Meinst du das hat sich jetzt geändert?“

„Jetzt können ihn ja alle sehen!“

„Hmhm!“

„Aber du denkst, du kannst ihn besiegen?“

„Ich nehme den Colt mit. Außerdem glaube ich nicht, dass er hinter mir her ist. Lilith ist tot!“, versuchte er sich selbst, wohl noch mehr als Sam, zu beruhigen. Doch der schnaubte nur.

„Dean! Ich will nicht, dass du alleine losfährst!“

„Ich hab dich zwar eben noch den Impala fahren lassen, aber jetzt will ich, dass du dich ausschläfst. So fällst du mir doch beim Laufen über deine eigenen Füßen oder ertrinkst im Sumpf. Ich verspreche dir auch, dass ich vorsichtig fahre und nicht zu weit raus schwimme“, grinste er.

„Idiot!“

„Schlampe!“

Sam gab sich geschlagen. Es hatte keinen Sinn gegen Deans Sturkopf anreden zu wollen. So konnte er noch eine Weile im Internet recherchieren, was sich hier zu der Gegend und den Sümpfen an Legenden finden ließ. Vielleicht gab ihnen das ja schon einen Hinweis, womit sie es hier zu tun hatten.

Er zuckte mit den Schultern.

Dean grinste und verschwand bevor Sam es sich doch wieder anders überlegen konnte.
 

Die Musik bis zum Anschlag aufgedreht rollte er über den Asphalt. Die Dämmerung überzog alles mit einem rosigen Schimmer.

Er hatte das Fenster runter gekurbelt und genoss die Wärme und den Fahrtwind auf seiner Haut.

An der beschriebenen Stelle fand einen geeigneten Parkplatz für sein Babe, stieg aus und lief, den Colt hinten in seinen Bund steckend, die paar Meter zurück.

Natürlich fand er nichts. Selbst die Sprühfarbe der Polizei war schon wieder verschwunden.
 

Moskitos umschwärmten ihn, als er langsam weiter in den Sumpf hinein ging. Die Mistviecher schienen ihn zum Fressen gern zu haben und dabei trug er schon ein Hemd über seinem Shirt.

„Himmel!“, fluchte er und schlug zu.

Schon wieder hatte er einen Blutsauger erwischt und zum ersten Mal bedauerte er, dass er sich vor kurzem wieder einen ordentlichen Dean-Haarschnitt hatte schneiden lassen. Mit den Sammy-Fransen wäre er jetzt wahrscheinlich besser gegen diese fliegenden Vampire geschützt. Und kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, als es ihn auch schon am ganzen Körper juckte.
 

Er holte das EMF aus der Tasche und schaltete es ein.

Vor jedem Schritt prüfte er, ob der Boden ihn tragen würde. Es war zwar ein wenig wackelig, aber durch die lange Trockenheit schien es kaum die Gefahr des Einsinkens zu geben.

Plötzlich schüttelte er den Kopf, kniff die Augen zusammen und schnaubte empört. Die Moskitos flogen gezielte Attacken auf seine Nase und Augen! Wütend biss er die Zähne zusammen und schlug um sich. Immer wieder versuchte er die lästigen Insekten abzuwehren und sich dabei trotzdem auf das EMF und den Weg zu konzentrieren. Aber das Gerät zeigte nichts an. Er steckte es weg und erschlug im nächsten Augenblick einen Moskito, der sich auf seiner Nase niedergelassen hatte.

„Au!“, knurrte er und wurde jetzt wirklich wütend.

„Verdammt!“, brüllte er und zog den Colt.

„Dean?“, fragte er sich selbst, „du weißt, dass du ein kleines bisschen überreagierst?“

Wieder schlug er nach den fliegenden Angreifern und machte sich dann, den Colt wieder in seinen Hosenbund steckend, auf den Weg zurück zur Straße.
 

Dean schnaubte und spuckte und beschloss am nächsten Supermarkt anzuhalten und ein paar Flaschen Wasser in den Impala zu legen. Er hatte das dringende Bedürfnis sich jetzt sofort eine Flasche über den Kopf zu schütten, um die Moskitospuren zu beseitigen. Sammy würde sich kaputt lachen und ihn morgen ordentlich damit aufziehen, wenn er die ganze Zeit dastehen und sich jeden einzelnen Mückenstich aufkratzen würde. Verdammtes Viehzeug. Da war ihm ein Geist doch wesentlich lieber, aber der wollte sich ja nicht blicken lassen. Er hatte nicht mal eine Spur von ihm gefunden. Obwohl er damit eigentlich auch nicht gerechnet hatte. Geister hinterlassen selten wirkliche Spuren und selbst wenn es ein sehr wütender Geist gewesen sein sollte, nach vier Tagen war auch davon nichts mehr zu finden. Den Gedanken an den Höllenhund verdrängte er fast erfolgreich.
 

Dean beschloss nicht direkt zurückzufahren, sondern der Straße um den Sumpf zu folgen. So lieb wie er Sam auch hatte, er genoss die Zeit ohne ihn. Niemand, der über seine Musik, oder auch nur über die Lautstärke meckerte, niemand, der ihm sagte, dass er langsamer fahren sollte. Auf Dauer würde es verdammt langweilig werden ohne Sams ständige Nörgeleien, und er bezweifelte, dass er, ohne ihn neben sich atmen zu hören überhaupt schlafen könnte, aber für eine Stunde oder zwei konnte er ganz gut ohne seinen kleinen Bruder.
 

Der Blonde hatte die Scheibe wieder runter gekurbelt. Sein Arm ruhte lässig im Fenster und er genoss den Fahrtwind, der an seiner Seite vorbei zog.

Er sah das Heck eines Wagens auf die Straße ragen. Zwei Männer kamen ihm winkend entgegen.

Dean spannte sich. Er ließ den Impala langsam ausrollen. Gleich neben dem Heck hielt er an.

Sofort kam ein Mann auf ihn zu. Er hatte dunkelblonde Haare, etwas heller als er selbst und obwohl er sie nur wenig länger trug als Dean, kringelten sie sich zu Locken. Er hatte ein freundliches Lächeln, musterte Dean aber auch prüfend.

Dean schob den Colt in seinem Bund zurecht und stieg aus.

„Kann ich helfen?“, fragte er sofort.

„Wenn sie uns mit in den nächsten Ort nehmen könnten?“, fragte der Andere.

Dean schaute zu dem Wagen, der mit der Schnauze in einem Graben stand.

„Was ist passiert?“, wollte er wissen.

„Uns ist ein Reifen geplatzt. Ich hab die Kontrolle verloren und wir sind gegen einen Stein geschleudert und dann in dem Graben da gelandet. Gut, dass ich angeschnallt war“, erklärte er noch und rieb sich die Schulter.

„Ist Ihnen was passiert?“

„Außer ein paar Prellungen? Nein. Uns geht’s ganz gut.“

„Soll ich mir’s mal anschauen? Ich versteh ein bisschen was von Autos.“

Deans Gegenüber nickte: „Das wäre nett. Wir haben beide nicht wirklich Ahnung. Ich bin übrigens Nicholas Traven.“ Er hielt Dean die Hand hin. Dabei öffnete sich seine Jacke ein weinig mehr und die am Gürtel befestigte Marke blitzte hervor.

„Dean Ford.“

Als sie sich die Hände schüttelten kam auch endlich der Zweite der „beiden“ hervor.

„Das ist mein Partner Luca Lorenzo Tarrington Toulouse.“

Dean hielt den Atem an und versuchte meisterhaft das aufsteigende Grinsen zu verdrängen.

„Partner?“, fragte er dann auch etwas atemlos.

„FBI“ erklärte Traven.

„Was macht das FBI denn hier?“, wollte der Winchester wissen. Er konnte es sich ja schon denken, schließlich hatte Dr. Miller von ihnen gesprochen.

Traven schaute Dean skeptisch an.

„US Wildlife Service“, erweiterte er seine Vorstellung. „Mein Partner und ich sind wegen einiger Morde hier, oder eher deren möglichen Folgen.“

„Das ist unser Fall!“, bellte jetzt der Dunkelhaarige.

„Seit wann fallen Bären oder Wölfe, die Beute reißen, wenn auch menschliche, in den Bereich des FBI?“, fragte der Winchester.

„Wer sagt denn, dass es Bären oder Wölfe waren?“

„Die Wunden der Opfer sehen verdammt nach einem dieser beiden Tiere aus. Es sei denn sie ziehen die Geschichten der Einheimischen in Erwägung“, sagte Dean ruhig. „Aber ich würde vorschlagen wir lassen das Kompetenzgerangel erstmal und ich seh mir ihren Wagen an.“

Der blonde FBI-Agent nickte, der Dunkelhaarige brummelte etwas von: „Seit wann hat ein Förster Ahnung von Autos?“, in seinen Kinnbart.

Dean überhörte die Stichelei.

Er brauchte nur einmal um den Wagen zu gehen und sein vernichtendes Urteil stand fest.

„Mit dem kommen sie hier nicht mehr weg. Die Radaufhängung ist gebrochen. Wollen sie gleich von hier einen Abschleppwagen rufen? Ich könnte sie auch in den nächsten Ort mitnehmen und sie rufen von da aus an.“

„Das klingt gut“, sagte Traven und folgte Dean zum Impala.

„Ein Impala?“, fragte er und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

„Ja, ein ’67er.“

„Original?“

„So original, wie er nach einem Totalschaden sein kann.“

Luca Lorenzo Tarrington Toulouse verdrehte nur die Augen. Jetzt hatte sein Partner einen gefunden mit dem er seine unverständliche Affenliebe zu alten Autos teilen konnte. Für ihn mussten diese Teile bequem und vor allem mit Klimaanlage ausgestattet sein. Diese alte Kiste, in der er jetzt schwitzend auf der Rückbank hockte, hatte zumindest letzteres nicht.

Missmutig schaute er aus dem Fenster. Na ja, sie würden ja bald wieder im Motel sein, und das hatte Gott sei Dank dieses Attribut moderner Wohnkultur.

„Wo wohnen sie?“, fragte Dean, es war schließlich immer gut, zu wissen, wo der Feind hauste.

„Vielleicht kann ich sie gleich in ihrem Motel absetzen?“

„Wir wohnen im Motel 6 in Bangor.“

„Das ist witzig, wir wohnen auch da.“

„Sie sagen immer wir. Wo ist ihr Partner?“

„Der wollte noch mit unserem Boss sprechen und was recherchieren.“

Die FBI-ler nickten nur.
 

Eine Weile sagte keiner der drei etwas. Traven genoss den Impala und sein Partner schwitzte vor sich hin. Dean versuchte sich ein Bild über die Beiden zu machen. Wie weit würden sie ihnen in die Quere kommen? Was wussten sie von ihnen? Hatte Henriksen sie wirklich komplett aus den Akten gelöscht?

Er griff zum Radio und schaltete es ein. Die Stille im Wagen störte ihn beim Denken.

„Darf ich?“, fragte der Beifahrer und griff zum Lautstärkeregler. Dean nickte und bekam große Augen, als der FBI-Mann das Radio nicht ausschaltete sondern lauter drehte. Das war er von dem sonstigen Inhaber dieses Platzes nicht gewohnt.

„Ich liebe Metallica“, erklärte der dann auch noch. Von der Rückbank kam ein gequältes Stöhnen.

Dean schaute mit einem breiten Grinsen zu seinem Beifahrer. So langsam schloss er den Mann in sein Herz.

„Ich auch.“

Diätbier

Endlich, zumindest wenn es nach Luca Lorenzo Tarrington-Toulouse ging, standen sie vor dem Motel. Traven schaute bedauernd.

„Ich kümmere mich um den Abschleppdienst“, erklärte Tarrington-Toulouse auch sofort und verschwand in seinem Zimmer. Er brauchte jetzt unbedingt eine Dusche.

Die beiden Anderen nickten.

„Wie wäre es zum Dank mit einem Bier?“ wollte der blonde FBI Agent wissen. Dean stimmte ohne zu zögern zu. Er überlegte, ob Sam noch wach war und er ihm wenigstens Bescheid sagen sollte, vielleicht wollte er ja mitkommen? Er zuckte mit den Schultern. Ein Bier würde ja nicht so lange dauern und dann konnte er sich immer noch anhören, was sein kleiner, brummeliger Bruder zu schimpfen hatte.
 

Sam hatte irgendwann seinen Laptop zugeklappt und war duschen gegangen. Er konnte sich Deans ja schon fast euphorisches Auf-den-Fall-stürzen nicht so richtig erklären. War dieses Mit-fliegenden- Fahnen-auf-den-Feind jetzt ein gutes Zeichen und er hatte das Trauma, das der Höllenhund bei ihm hinterlassen hatte, überwunden? War es Deans Reaktion auf seine Angst, die er eigentlich vor dem Vieh haben müsste, oder war es nur blinde Wut?

Ohne eine Antwort zu finden schlief Sam ein.
 

Als der zweite FBI-Agent im Pub zu ihnen stieß, waren nicht nur fast drei Stunden vergangen und die beiden in bierseliger Laune bei den Vornamen angekommen, sie hatten auch herausgefunden, dass sie die gleichen Bücher mochten. Jetzt fachsimpelten sie über Oldtimer. Nick hatte einen 1953 Buick Skylark besessen. Ein wunderschönes weinrotes Cabrio, das seiner Scheidung zum Opfer gefallen war.

Er hatte nie wirklich ein Händchen für die technischen Feinheiten des Autos gehabt und leider auch keine Zeit sich da einzulernen.

Dean bedauerte ihn aufrichtig.
 

Luca Lorenzo Tarrington-Toulouse setzte sich zu ihnen und winkte nach der Bedienung.

Blond, mit üppigem Dekollete und schwingenden Hüften hatte sie sofort Deans volle Aufmerksamkeit. Er schenkte ihr sein charmantestes Lächeln, das sie auch gleich erwiderte.

„Ein alkoholfreies Diätbier“, bestellte der dunkelhaarige FBI-Agent.

Dean spukte fast in seine Flasche und Nick sah aus, als hätte er gerade furchtbare Zahnschmerzen bekommen.

„Ich glaub ich muss ganz schnell mal raus“, erklärte der Winchester. Er kramte in seiner Tasche nach ein paar Scheinen, die Nick jedoch nicht annehmen wollte, schließlich hätte Dean sie ja vor einer langweiligen Warterei bis der Abschleppdienst oder ein Taxi gekommen wäre, bewahrt.

Der nickte nur und stapfte mit zusammengebissenen Zähnen aus dem Pub.
 

Sam war plötzlich wach. Warum konnte er nicht sagen, aber das erste, das ihm in dieser Dunkelheit auffiel, war, dass Dean noch nicht, oder schon wieder nicht da war. Sein Herz schlug schneller. War seinem Bruder etwas passiert? Er wollte doch nur zu der Stelle fahren, an der der Mann auf die Straße gestolpert war. War Dean dem Hund begegnet? War es ein Höllenhund gewesen? Hatte Dean einfach nur einen Aufschub bekommen? Aber warum hatten dann so viele Leute den Hund gesehen, denn soweit Sam wusste lebten die Männer noch. Lebten sie noch? Verdammt, warum hatte er das nicht nachgeprüft?

Sams Herz schlug immer schneller und seine Atmung wurde flach und hektisch. Jetzt fing er auch noch an zu hyperventilieren! So was passierte doch nur Dean!
 

Dean schob den Schlüssel so leise es ging ins Schloss. Er wollte Sam nicht wecken. Er schob die Tür auf, schloss sie wieder und schlich zum Bad.

„Du musst nicht leise sein, Dean.“

Dean zuckte zusammen: „Du hast mich erschreckt.“

Sam stand, barfuß und mit freiem Oberkörper vor seinem Bett und schloss gerade seine Hose.

„Verdammt, Dean, wo warst Du? Ich hab mir Sorgen gemacht“, blaffte der Jüngere aufgeregt.

„Ich war mit den Typen vom FBI noch einen trinken.“

„Mit dem FBI?“
 

„Ja, ich hab die auf dem Rückweg aufgegabelt. Sie hatten eine Panne und sie wohnen auch hier im Motel.“

„Was machen wir jetzt?“

„Nichts. Oder besser wir bringen es zu Ende, so wie wir es immer tun.“

„Dean! Was, wenn die uns erkennen?“

„Sam, Henriksen hat uns aus den Akten gelöscht“, beschwichtigte Dean und verschwand im Bad.

„Hoffe ich“, murmelte der Jüngere, als der Blonde die Tür hinter sich geschlossen hatte.

Er tapste zum Tisch und fuhr seinen Laptop hoch.

Noch bevor Dean ins Zimmer zurück kam hatte sich Sam schon in den FBI-Computer gehackt und suchte noch einmal nach Hinweisen auf ihre Existenz. Er fand nichts.

„Sammy du hast alle unsere Daten, die Henriksen noch übrig gelassen hatte, gelöscht, als wir bei Bobby waren und Ruby mich verdroschen hat. Hör auf zu suchen!“ Dean stand hinter seinem Bruder und schaute ihm über die Schulter. „Was du löschst, löschst du gründlich, auch wenn mir immer noch völlig schleierhaft ist, wie du das machst. Außerdem hast du dich in jeder Stadt, in der wir mal waren, in die Polizeirechner gehackt und nun wirklich alle unsere Spuren vernichtet. Traust du deiner eigenen Arbeit nicht mehr?“

„Ja schon, aber…“

„Sam, seit du zu deinem elften Geburtstag von … Dad einen Rechner bekommen hast, lebst du mehr oder weniger online und ich habe es noch nicht erlebt, dass du etwas nicht löschen konntest. Also komm. Mach das Ding aus und geh wieder ins Bett.“

Sam schaute Dean an. Ein warmer Glanz lag in dessen Augen und Sam nickte. Er klappte den Laptop wieder zu und kroch leicht frierend unter seine Decke.

„Was hast du rausgefunden?“, fragte Sam in die Dunkelheit.

„Nichts. Außer, dass es da draußen jede Menge Moskitos gibt und die Viecher mich zum Fressen gern hatten.“ Er kratzte an einem Mückenstich an seinem Hals.

„Verdammt“, grummelte er, „das juckt jämmerlich!“

„Hör auf zu kratzen. Du machst es nur noch schlimmer!“

„Aber das juckt!“

„Dean, du bist kein kleines Kind mehr. Hör auf!“

Er ignorierte seinen Bruder und kratzte an seinem Handrücken weiter.

„Was hast du rausgefunden?“, fragte der Blonde in die Dunkelheit und ging dazu über seinen Arm zu bearbeiten. So ein blödes Vieh musste ihm unter den Hemdsärmel gekrochen sein.

„Nicht viel. Die Opfer hatten keine Gemeinsamkeiten. Klar die Blacks waren verheiratet und erwarteten ein Kind. Sie hatten ein großes Grundstück am Sumpf. Aber außer, dass Jasper Lehman, das dritte Opfer, ebenfalls ein Grundstück am Sumpf bewohnte, gibt es nichts, das sie verbindet. Und selbst dass sie am Sumpf wohnten, bringt uns nicht weiter, da dieser Geisterhund ja nur in der Nähe des Sumpfes gesehen worden ist.“

„Hm!“ Dean kratze weiter.

Sam schlug seine Decke zurück, schaltete erneut die Nachttischlampe an und stand auf.

Er begann in seiner Tasche zu kramen und schien nach kurzer Zeit fündig geworden zu sein. Mit einer Tube wedelnd ging er lächelnd zu Deans Bett und setzte sich auf den Rand.

„Wo?“, wollte er nur wissen.

„Was wo?“ Dean schaute skeptisch auf die Tube.

„Wo haben dich die kleinen Tierchen denn angezapft?“

Dean zog eine Schmollschnute und wollte sich auf die Seite drehen, weg von Sam.

„Dean, komm schon, das Gel kühlt und lindert den Juckreiz. Sonst können wir beide heute Nacht nicht schlafen.“

Dean grummelte leise, dann hielt er Sam seine Hand hin.

Der Jüngere lächelte wieder und verteilte das Gel auf dem blutig gekratzten Stich. Er schaute in Deans Gesicht und konnte sich bei dessen wundervollem Gesichtsausdruck gerade noch beherrschen und strich ihm nicht beruhigend über die Wange. Deans Miene war die reinste Skepsis, seine Augen aber vertrauensvoll auf seinen kleinen Bruder gerichtet.

Das Gel schien zu wirken, denn fast sofort hielt Dean ihm seinen Arm hin. Und als Sam auch diese Stelle versorgt hatte machte Dean seinen Hals lang und bog den Kopf etwas zur Seite.

„Dreh dich auf den Bauch“, forderte Sam leise und sein Bruder folgte sofort. Immer mehr entspannte er sich unter Sams Händen.

„Die sind ja regelrecht auf dich geflogen“, grinste der Jüngere und bekam ein müdes Brummeln als Antwort.

Sam beugte sich ein wenig nach vorn um in Deans Gesicht sehen zu können. Ein warmes Leuchten erschien in Sams Augen. Sein Bruder schien es richtig zu genießen so versorgt zu werden. Er verbiss sich jeden Kommentar. Viel zu selten ließ sich der Ältere überhaupt so helfen.
 

„Nke Smy!“ nuschelte Dean als Sam ihm die Decke über die Schultern legte.

Dann kroch der Jüngere zurück in sein Bett und grübelte noch eine Weile darüber nach, was er morgen alles erledigen musste.

Deans ruhige, gleichmäßige Atemzüge halfen ihm aber schnell auch wieder einzuschlafen.
 

Trotz der nächtlichen Störung war Sam am nächsten Morgen, wie gewohnt, früh wach. Er besorgte Frühstück, kochte Kaffee und begann dann mit seiner Suche.

Hin und wieder löffelte er etwas aus seiner Müslischüssel.

Zu allererst suchte er noch mal im FBI Rechner und fand nichts. Vielleicht sollte er wirklich an seine eigene Arbeit glauben, wenn sogar Dean ihm da blind vertraute. Aber wenn es um Computer ging vertraute ihm Dean doch eigentlich immer blind, oder? Er stand auf und holte sich noch einen Kaffee.

Sam schaute auf die Uhr. Es war kurz nach neun, sein Bruder schlief noch und das würde bestimmt auch noch ein oder zwei Stunden so bleiben. Dean war und blieb eine Schlafmütze. Sam lächelte. Es war schön, dass sich manche Dinge nie änderten und es war noch schöner, dass Dean hier war und sie wieder als Team jagten, egal ob sie hin und wieder aneinander gerieten, sie waren eine Familie und Dean der beste Bruder, den er sich wünschen konnte. Er warf noch einen Blick auf seinen Bruder, dann setzte er sich wieder an den Rechner. Zuerst suchte er nach den Zeugen, die den Geisterhund gesehen hatten und er war mehr als nur erleichtert, dass sie noch lebten. Er notierte sich ihre Adressen, damit sie sie, falls nötig, befragen konnten. Dann hackte er sich in den Hotelrechner und suchte nach den FBI-Agenten. Sollten die nicht auch zusammen wohnen? Okay, Dean und er wohnten zusammen, sie taten es schon ihr Leben lang und sie waren Brüder. Er konnte aber nicht von ihrer brüderlichen Beziehung auf andere, normale Arbeitsbeziehungen schließen. Er schüttelte den Kopf. Für ihn war es so normal, dass Dean da war, dass er sich ein anderes Leben gar nicht vorstellen konnte und glatt davon ausging, dass es bei anderen auch so sein sollte. Die beiden FBIler waren nur Partner! Er ging noch mal die Zimmerbelegungen durch und fand ein Pärchen, zwei Frauen und eine Familie mit zwei Kindern. Die konnten es ja nun wirklich nicht sein. Und dann waren da noch zwei Männer. Die mussten es sein. Er klinkte sich wieder in den FBI-Rechner ein und machte sich einige Notizen.

Gerade als er anfangen wollte nach den Legenden dieser Gegend zu suchen, hörte er ein verschlafenes Brummeln und lächelte schon wieder.

Dean schälte sich aus seiner Decke. Er blieb auf der Bettkante sitzen und rieb sich die Augen.

„Morgen Sonnenschein!“, grüßte Sam.

„Morgen!“, nuschelte der Ältere. „Wie lange bist du schon wach?“

„Lange genug.“

Dean schlurfte unter die Dusche. Als er wieder ins Zimmer kam, nur mit Jeans bekleidet, wurde er von einem ihm entgegengehaltenen Becher Kaffee empfangen. Er griff sofort zu, inhalierte das Aroma und nahm dann den ersten Schluck.

„Was gefunden?“, wollte er wissen und ging zu dem Tisch hinüber. Sam wartete noch, bis Dean sich ihm gegenüber gesetzt hatte und begann dann: „Ich hab die beiden Agenten überprüft.“

„War ich gestern Abend so zugedröhnt? Ich kann mich nicht erinnern, dir die Namen gesagt zu haben.“

„Hast du auch nicht, ich hab mir die Gästeliste angesehen und es gibt hier nur zwei Männer in Einzelzimmern.“

„Die haben Einzelzimmer?“

Sam schob seinem Bruder seinen Notizblock rüber.

„Hm, einige geklärte Fälle. Sie arbeiten schon eine Weile zusammen und der Typ heißt wirklich so?“

„Du meinst Tarrington-Toulouse?“

„Ja, der trinkt alkoholfreies Diätbier!“ Dean schüttelte es bei diesem Gedanken schon wieder. „So schlimm bist nicht mal du, und du hast einige komische Angewohnheiten, wenn es ums Essen geht.“

Sam zog eine Schnute.

„Na komm, pappige Cornflakes und immer nur Salat ist doch kein Essen.“

„Besser als das, was du immer in unseren Kühlschrank stellst. Das sieht oft genug nach Darwinismus aus!“

„So lange ich der Stärkere bin, außerdem hast du mir das schon mal vorgeworfen.“

„Du weißt was Darwinismus ist?“

„Ganz so blöd bin ich dann doch nicht. Ich hab auch hin und wieder in der Schule aufgepasst!“

„Ja, wenn die Lehrerin jung und gutaussehend war.“

„Und was war schlimm daran?“

„Nichts, außer, dass du dann wohl zu wenig solcher Lehrerinnen hattest!“

„Weißt du schon etwas über den Hund?“, wechselte Dean das Thema und brachte seinen Bruder zum Grinsen.

„Ich denke nicht, dass es ein Höllenhund ist. Die Zeugen leben Gott sei Dank alle noch.“

„Also ein Geisterhund?“

„Wahrscheinlich.“

„Dann sag ich jetzt mal: Ich hatte Recht! Jah!“

„Das reibst du mir jetzt ewig unter die Nase, oder?“

„Eine Weile schon!“, grinste der Blonde.

Sam verdrehte die Augen.

„Was machen wir jetzt?“, wollte Dean wissen, während er aufstand und sich anzog.

„Ich wollte nach Legenden suchen.“

„Und wir müssen einkaufen, aber etwas hab ich schon besorgt.“ Er legte ein kleines in Zeitungspapier eingewickeltes Päckchen vor Sam.

Der schaute fragend.

„Mach schon auf!“

Der Jüngere riss die Verpackung herunter und schaute auf ein nagelneues, hochmodernes Handy.

„Wow, Dean, woher, wann...“

„Als du deinen Rausch ausgeschlafen hast. Mit dem alten Ding von Dad wirst du doch nicht glücklich!“

„Danke!“, strahlte der Jüngere seinen großen Bruder an.

Zweifel

Schon bald saßen die Brüder in der Bibliothek. Um sie herum lagen jede Menge Bücher.

„Dean, ich hab hier was“, flüsterte Sam und drehte das Buch, in dem er gerade las, zu seinem Bruder.

Der überflog die Seiten, so wie er es immer tat, wenn er für einen Fall recherchierte. Er musste schließlich nur die Fakten wissen und diese heraus zu filtern hatten sie schon früh eingetrichtert bekommen.

» Ende des 17. Jahrhundert hatte sich eine Frau, Michelle Draper, mit ihren Kindern in den Sumpf geflüchtet. Sie wollte ihrem gewalttätigen Ehemann, Trevor, entkommen. Der Mann jagte seinen Hund hinter ihnen her und folgte ihnen ebenfalls. Als sie im Sumpf waren zog dichter Nebel auf.

Der Hund, ein riesiges, hässliches Vieh, trieb sie immer weiter auf dem tückischen Untergrund. Sie hatten schon lange den sicheren Pfad verlassen. Fest aneinander gepresst standen die Frau und die Kinder schon bis über die Knie im Moor versunken als der Hund neben ihnen ebenfalls stecken blieb. Sie starben zusammen. «

Der Mann fand aber auch keine Ruhe und hat später im Sumpf Selbstmord begangen.

„Hast du etwas gefunden, ob ihre Geister jemals wiedergekommen sind?“, wollte der Ältere wissen, nachdem er diese Geschichte überflogen hatte.

„Nein. Bis jetzt habe ich noch nichts davon gefunden.“

Dean nickte nur und begann diese Legende noch einmal gründlich zu lesen.
 

„Aber warum sollte der Hund wiederkommen?“, grübelte Dean als er damit fertig war. Sein Blick ruhte auf dem Bild des Geisterhundes, dass ein Künstler daneben gezeichnet hatte. Es sah dem Vieh, das ihn hatte holen wollen, gar nicht so unähnlich. Ob es mehrere gab? Warum hatte Dad eigentlich nicht so zerfetzt ausgesehen? Er hatte mehrere Opfer dieser Viecher gesehen und er war selbst eins. Die rosa Haut an seinem Körper erinnerte jeden Tag daran. Aber Dad hatte auch kein Jahr bekommen. Er war sofort in die Hölle gekommen.

„Das überlege ich auch die ganze Zeit“, riss Sam ihn aus seinen Gedanken.

Dean überlegte, was er zuletzt gesagt hatte.

„Wenn der Hund auf Menschen abgerichtet war und der Geist des Mannes noch hier wäre und der Hund mit ihm. Aber warum sollte der Mann wiederkommen? Die Frau wäre viel wahrscheinlicher.“

„Und wenn der Mann noch hier wäre, warum hat ihn dann niemand gesehen?“

„Gute Frage Watson!“

Sam verdrehte die Augen.

Dean schlug demonstrativ das Buch zu und durchsuchte weiter die alten Zeitungen, die auf Mikrofilm kopiert worden waren, während der Jüngere in alten Kirchenbüchern nach einem Ort suchte.

Fast gleichzeitig sahen sie auf.

„Hab was“, freute sich Sam. „Sie haben in Old Town gewohnt.“

„Dann lass uns gehen. Ich hab hier nichts gefunden. Niemand scheint je einen Geist mit Hund, oder nur einen Geisterhund gesehen zu haben.“ Stillschweigend hatten sie sich darauf geeinigt, dass es ein Geisterhund sein musste und auch Dean war dieser Gedanke weitaus lieber.

Sie räumten ihren Tisch wieder ab und machten sich auf den Weg. Sie wollten mit dem örtlichen Förster reden und sich die Stelle ansehen, an der die Michelle Draper wahrscheinlich umgekommen war, genauso wie die Stelle, wo sich später der Mann im Sumpf ertränkt hatte.
 

„Wohin jetzt?“, wollte Dean wissen, als sie vor der Bibliothek standen.

„Ich denke wir sollten mal mit dem Ranger hier reden.“

„Gut, dann lass uns vorher noch tanken.“

Sam nickte: „Ich melde uns an.“
 

Dean kam gerade aus der Tankstelle wieder. Er hatte einen Schokoriegel in der Hand, den er mit einer Miene aufriss, von der Sam meinte, dass sein Bruder so aussehen müsste, wenn er eine ersehnte Frau vor sich im Bett hatte. Er drehte sich wieder zur Straße und konzentrierte sich auf sein Telefongespräch.

„Danke, wir werden in einer Stunde da sein“, sagte er und legte auf.

Er schaute wieder zu seinem Bruder, der noch immer mit Verzückung im Gesicht seinen Schokoriegel futterte. Und wieder war Sam froh, dass Dean noch bei ihm war. Er hatte sich in dem letzten Jahr verändert. Er hatte so werden wollen, wie Dean schon immer war. Er hatte stark sein und sich ohne Bedenken auf den Feind stürzen wollen. Aber das konnte Dean ja jetzt weiter selber tun. Und so konnte, musste er wieder in seine Rolle schlüpfen. Er musste wieder der Vernünftigere ihres Teams sein, Deans Halt sein, so wie Dean sein Halt war.

Sam ließ sich auf seinen Sitz fallen und wartete, bis sein Bruder fertig war.

„Wir können uns gleich mit ihm treffen, er hat Zeit.“

„Gut, dann los!“
 

Eine Stunde später standen die Brüder vor dem Ranger.

„Ich bin Louis Valdez. Ich bin der Leiter der Rangerstation. Sie sagten es geht um den Geisterhund?“

„Ja“, bestätigte Sam, „die Morde sind schrecklich. Haben Sie schon eine Ahnung, wer oder was hier draußen rumläuft?“

„Nein, keine Ahnung. Wir haben hier eigentlich keine Bären oder Wölfe und ich habe meine Leute auch schon zu allen Anwohnern geschickt. Aber keiner von ihnen hat sich in letzter Zeit einen Hund angeschafft.“

„Wir machen uns Sorgen, dass es noch mehr Tote geben könnte und wir machen uns Sorgen um den Sumpf. Wenn sich das hier erst herumspricht werden die angeblichen Geisterfans hier einfallen und dann kann niemand mehr für die Sicherheit von irgendwem oder irgendwas garantieren“, erklärte jetzt auch Dean. „Haben Sie eine Ahnung, wie die Geschichte entstanden ist? Ich meine es muss doch einen Ursprung geben?“

Der Ranger nickte: „Ja es gab hier mal eine Familie Draper.“ Dann begann er zu erzählen.

„Glauben Sie daran?“, wollte Sam wissen.

„Diese Familie ist verbürgt, auch ihr Tod. Ich kann ihnen gerne die Stellen zeigen, an denen sie starben. Es wurden sogar schon einige Knochen gefunden.“

„Knochen?“ fragte der Blonde.

„Ja, es tauchen immer mal wieder Knochen oder Tierkadaver im Sumpf auf und hin und wieder behaupten die Leute auch, dass es die des Hundes sind. Aber so viele Knochen wie von dem Hund schon aufgetaucht sein sollen“, der Ranger lachte, „da hätten sie locker zwei oder drei Hunde draus machen können.“

„Und haben Sie schon jemals Geister gesehen?“

„Nein, zumindest nicht, wenn ich nüchtern war.“

Die Brüder warfen sich einen langen Blick zu und beide fragten sich wann sie nach dieser Definition eigentlich mal nüchtern waren.

„Gibt es schon irgendwelche Führungen durch das Moor? Oder Leute die für etwas mehr Geld solche Führungen machen würden?“, fragte Dean.

„Natürlich gibt es die, aber bis jetzt hält sich alles noch im normalen Rahmen.“

„Und Sie würden uns zu den Stellen führen?“, erkundigte sich Sam.

„Klar, wenn sie wollen. Wir können morgen früh starten.“

„Gerne“, lächelte Sam, „wann?“

„Sieben Uhr? Es ist ziemlich weit.“

Deans Augen wurden groß. 'Sieben Uhr?', formten seine Lippen, 'spinnst du?'

„Wir werden da sein“ erklärte Sam und grinste seinen Bruder breit an, der die Augen verdrehte.

Sie verabschiedeten sich und machten sich auf den Weg zurück zu ihrem Motel.

„Muss das unbedingt vor dem Aufstehen sein?“, knütterte Dean im Impala.

„Es muss. Es ist ein ganzes Stück in den Sumpf hinein, hat er gesagt.“

Dean zog eine ergebene Schnute: „Dann lass uns jetzt das Nötige einkaufen.“
 

Mit allem Nötigen, vor allem mit einem Mittel, das gegen die Moskitos helfen sollte, eingedeckt, hielten sie auf ihrem Parkplatz.

„Essen!“, gab Dean nur das eine Wort von sich und doch enthielt es die gesamte Breite der Gefühle, die Sam einem Verhungernden zugestehen würde, dem nach seiner Rettung als erstes die Frage nach seinem größten Wunsch gestellt wurde. Er nickte.

Und so betraten sie das kleine Restaurant.

Sam schaute sich um und sah, dass ihnen von einem Tisch in der Ecke aus freundlich zugewunken wurde. Er klopfte Dean leicht auf die Schulter und der drehte sich um. Er nickte dem Mann mit einem Lächeln zu, das Sam sofort als falsch klassifizierte, und ging dann zu dem Tisch.

„FBI“, raunte er Sam dabei leise zu.

„Das sind Nicholas Traven und Luca Lorenzo Tarrington-Toulouse, vom FBI und das ist mein Partner Sam Hamill“, stellte Dean die Drei untereinander vor.

„Hallo, wolln sie sich setzen?“, fragte Nick und wies auf die Bank gegenüber. Die Brüder wechselten einen Blick und nickten dann. Sam rutschte ans Fenster.

„Wie war der Tag?“, wollte Tarrington-Toulouse wissen.

„Nichts Aufregendes“, antwortete Dean, „und beim FBI?“

„Das Gleiche, wie haben die Opfer unter die Lupe genommen, nichts“, nickte Traven.

Die Kellnerin brachte den beiden Agenten ihr Essen und noch während sie die Bestellung der Brüder aufnahm packte Luca Lorenzo Tarrington-Toulouse Sojasoße, Knoblauchpulver und flüssigen Süßstoff aus und begann damit seinen Hackbraten mit Kartoffelbrei nachzuwürzen. Dean wollte sich gerade genau das gleiche bestellen. Ihm blieb das Wort im Hals stecken.

„Einen Bacon-Cheese-Burger, bitte“, würgte er hervor. Dann sah er, dass Sam leicht grünlich um die Nase wurde und begann zu grinsen. Ihn wunderte nur, dass Nick auf die Essgewohnheiten seines Partners so unempfindlich reagierte. Aber wenn man schon eine Weile zusammen arbeitete, und dann zwangsläufig auch aß, war das vielleicht schon als normal anzusehen.

Die Winchesters jedenfalls waren bemüht nur auf ihre Teller zu schauen, während sie ihre bestellte Mahlzeit zu sich nahmen.
 

„Du hast Recht“, japste Sam nachdem sie wieder in ihrem Zimmer waren, „das war widerlich!“

Dean grinste nur und verschwand im Bad. Frisch geduscht kroch er unter die Decke seines Bettes um so viel wie möglich von seinem wohlverdienten Schönheitsschlaf zu bekommen. Schließlich wollte sich Sam ja zu unchristlichster Zeit mit dem Ranger treffen.
 

Verwirrt schaute er sich um. Er stand im Sumpf und drehte sich langsam im Kreis. Wo war Sam?

„SAM?“, rief er.

Nichts. Nichts außer dem leisen Wispern des Windes im Gras und dem Zwitschern der Vögel.

„SAM!“, brüllte er wieder und wieder. Wo war der nur? Er holte sein Handy aus der Tasche und wählte Sams Nummer. Nichts. Nichts? Die nette Stimme sagte ihm, dass die Nummer nicht vergeben wäre? Deans Atmung beschleunigte sich. Er beugte sich nach vorn und stützte sich mit beiden Händen auf seinen Knien ab. Er musste sich beruhigen. Er musste Sam finden. Langsam begann er den Sumpf in spiralförmigen immer größer werdenden Kreisen abzusuchen. Doch er fand keine Spur. Und wieso war Sams Handy nicht erreichbar?

Er stapfte weiter, immer wieder versank er an irgendeiner morastigen Stelle. Immer wieder kämpfte er sich heraus und stolperte weiter. Seine Beine wurden immer schwerer.

„Wo ist Sam?“, bellte plötzlich eine nur zu bekannte Stimme.

„Ich weiß es nicht“, stammelte Dean.

„Ich habe dir doch befohlen, auf Sam aufzupassen!“

„Ja Sir!“

„Du hast meinen Befehl missachtet!“

„Ja Sir“, antwortete Dean verzweifelt. Er wusste, dass es keinen Sinn hatte Widerworte zu geben. Und doch? Warum war sein Handy nicht erreichbar.

„Ich hab versucht ihn anzurufen, aber seine Nummer ist nicht vergeben“, versuchte er zu erklären.

„Wie lange ist Sam schon weg?“, blaffte John.

„Ich weiß es nicht.“ Deans Stimme war nur noch ein Flüstern.

„Du hast Sam alleine gelassen? Wann Dean?“

Der Blonde schüttelte den Kopf. Er wusste gar nichts mehr. Er …

„Du bist zu nichts zu gebrauchen, Dean! Du kannst ja noch nicht mal auf deinen kleinen Bruder aufpassen!“

„Dad, ich...“

„Du bist ein Nichts. Unfähig einfachste Befehle auszuführen. Ich bin enttäuscht, Dean. Wenn Sam etwas passiert ist, wenn...“ ,John sah ihn mit diesem enttäuschten Blick an, der Dean bis in die tiefsten Tiefen seiner Seele traf.

„Du bist Schuld Dean! Du! Niemand sonst. Du bist an unserem Leben Schuld, an Marys Tod. Du bist an allem Schuld. Nur Du!“, brüllte John und jedes seiner Worte zerriss Dean noch mehr.

„Dad?“, versuchte Dean. „Christo!“

„Du denkst ich bin besessen?“, lachte John. „Du hast Recht.“

Plötzlich stand der Höllenhund neben John. Er fletschte die Zähne. Geifer tropfte aus seinem Maul.

„Du bist unnütz Dean!“, warf John seinem Sohn verächtlich vor. „Es war falsch sich für dich zu opfern!“ Er streichelte den Höllenhund. „Du hast kein Recht an mir zu zweifeln!“

Dean starrte seinen Vater an. Er hatte keine schwarzen Augen bekommen, aber etwas an ihm war falsch. Das konnte nicht nicht sein Dad sein.

Hol ihn dir, Junge!“, forderte John und hetzte den Hund auf Dean.

Moorbad

46) Moorbad
 

Keuchend erwachte Dean und setzte sich auf. Müde und verwirrt wischte er sich mit der Hand über das Gesicht. Sein Shirt klebte an seinem Körper. Noch einmal rieb er sich die Augen und versuchte seine Atmung zu beruhigen. Er zog den Kopf zwischen seine Knie und konzentrierte sich weiter darauf gleichmäßig zu atmen. Was hatte er eigentlich geträumt? Dad hatte vor ihm gestanden. Er hatte den Höllenhund neben sich stehen gehabt und das Vieh schien auf ihn zu hören. Dad hatte ihm vorgeworfen, dass er an allem Schuld sein, dass er es bereute sein Leben für Deans getauscht zu haben und dann hatte er den Hund auf ihn gehetzt. 'Du hast kein Recht an mir zu zweifeln!', hatte Dad gebrüllt und dann schlugen die Reißzähne in seine Schulter.

Dean kniff die Augen zusammen. Sein Herz raste, seine Atmung war flach. Noch immer. Er zwang sich weiter langsam und tief zu atmen. Dann schaute er zu Sam. Sein kleiner Bruder schlief fest.

Leise stand er auf und ging nochmals duschen.

Als er sich wieder hingelegt hatte, drehte er sich zu Sam. Sein kleiner Bruder war hier, hier und sicher.

Lange lag er danach noch wach und grübelte über den Traum nach. Er wollte nicht an Dad zweifeln, aber es war zuviel passiert und das Podest, auf das er John Winchester gestellt hatte, bröckelte sichtbar.
 

Unerbittlich zog Sam ihm am nächsten Morgen die Decke weg und noch bevor Dean wieder danach greifen und sich vielleicht noch ein paar Minuten Schlaf sichern konnte, hielt Sam ihm einen Becher Kaffee unter die Nase.

„Trink und dann steh auf, wir müssen los!“

Dean blinzelte träge. Er hatte in dieser Nacht nicht wirklich viel Erholung bekommen.

„Was ist los?“, fragte Sam nachdem er seinen Bruder eine Weile gemustert hatte.

„Nichts!“

„Du siehst nicht aus wie nichts.“

„Nichts.“

Sam holte tief Luft. Er betrachtete den Älteren noch einmal besorgt und nahm sich vor, etwas mehr auf ihn zu achten. Irgendetwas stimmte nicht. Nur was?
 

Deans Laune war immer noch auf dem Tiefpunkt als sie pünktlich sieben Uhr am vereinbarten Treffpunkt hielten und ausstiegen.

„Guten Morgen, schön sie wieder zu sehen“, wurden sie von einem gut gelaunten Mann in brauner Uniform begrüßt.

„Guten Morgen, Ranger.“

Der Blonde nuschelte etwas Unverständliches, das durchaus ein Gruß sein konnte. Er lehnte sich gegen den Kotflügel des Impalas.

„Sind sie für einen längeren Spaziergang gerüstet?“

„Ich hoffe wir haben alles eingepackt.“ Sam setzte sich den Rucksack auf.

„Was ist mit Ihrem Partner?“

Dean kickte uninteressiert einen Stein auf die Straße.

„Ist er immer so?“, wollte der Ranger wissen.

„Vorm Aufstehen, ja. Er ist der geborene Morgenmuffel“, lachte Sam.

„Und dann will er hier durch den Sumpf marschieren? Das wird kein Zuckerschlecken.“

„Machen Sie sich wegen ihm keinen Kopf. Einfach ignorieren.“

Der Ranger schaute noch einmal zu Dean, zuckte kurz mit den Schultern und wandte sich dann dem Sumpf zu.

„Na los Grumpy. Ich folge dir, damit du nicht noch im Matsch verloren gehst“, grinste Sam.

Dean hatte die ganze Unterhaltung so gut es ging ignoriert aber jetzt warf er seinem Bruder einen wütenden Blick zu. Dann verdrehte er die Augen und trottete hinter Valdez hinterher. Er trauerte noch immer seinem Bett nach. Die Freude, dass er Recht gehabt hatte, dass es doch ein Fall war, war mit den Moskitos bei seinem ersten Besuch des Sumpfes gegen Null gesunken und dass er sich jetzt noch mal mit diesen Viechern rumschlagen sollte ließ sie sogar ins Minus rutschen.

Dean wusste nicht, was jetzt schlimmer war. Dass er hier lang latschen musste, dass es zu nachtschlafender Zeit war oder dass er wohl wieder Moskitofutter werden würde. Außerdem war er immer noch viel zu müde und der Traum ließ sich auch nicht vertreiben.

Er hatte die Hände in den Taschen seiner Jacke vergraben und achtete weniger auf die Umgebung, tolle Landschaften konnte er sich auch durch die Scheiben seines Babys anschauen, als viel mehr darauf, wo der Ranger seine Füße hinsetzte. Aber auch das lief bei ihm eher mechanisch, oder besser, von seinen Instinkten gesteuert ab. Und so konzentrierte er sich auf das fliegende, summende Killervolk, das unter den Bäumen lauerte.

Die Sonne stieg höher und trotz der längeren Trockenheit war es im Sumpf noch ziemlich feucht. Es wurde schwül.

Sam hatte sich seine Jacke ausgezogen und um die Hüften gebunden.

Dean schlug den Kragen seiner Jacke hoch und grummelte etwas vor sich hin. Gleich darauf schlug er zu.

„Au!“, brummelte er und begann kurze Zeit später zu kratzen.
 

„Dean, hör auf. Die Salbe hilft doch!“

„Dir vielleicht!“ knurrte der Blonde missmutig und folgte weiter schweigend dem Ranger, der ein ziemliches Tempo vorlegte.
 

„Wir sind da!“, erklärte der Ranger nach weiteren vier Stunden Fußmarsch über teils schwankenden Untergrund. Inzwischen war es Nachmittag. Sie hatten sich zuerst den Ort angeschaut, an dem sich Trevor Draper im Sumpf umgebracht hatte, jetzt standen sie an der Stelle, an der die Frau mit den Kindern von dem Hund in den Tod getrieben worden.

„Und hier liegen sogar wieder ein paar Knochen rum“, er deutete auf einige bleiche Stäbchen. „Reh würde ich vermuten.“

„Können wir uns hier umsehen?“, wollte Sam wissen.

„Klar, aber seien sie vorsichtig. Trotz der Trockenheit ist der Sumpf teils sehr tückisch.“

Langsam entfernten sich die Brüder von dem Ranger, der es sich auf einem Grashügel bequem machte und seine Brote auspackte.

„Was ist los mit dir? Die Zeit, dass du vor dich hin muffeln musst, ist doch lange vorbei. Jetzt solltest selbst du wach sein“, bohrte Sam nach als sie außer Valdez’ Hörweite waren.

„Nichts!“ Dean kratzte sich am Arm.

„Dean, bitte!“ Sam hielt seine kratzende Hand fest.

Der Ältere sagte nichts. Ein kurzer Blick streifte den Jüngeren und der ließ seine Hand wieder los.

Was war mit Dean? Sein Blick drückte Trauer aus und Unsicherheit.

Dean war nie unsicher!

„Nichts!“

Sam holte tief Luft. So kam er nicht weiter.

„Willst du was essen?“

Dean schüttelte den Kopf und wandte sich ab, weiter nach irgendwelchen Zeichen suchend.

„Kommt es hier öfter vor, dass man Knochen findet?“, wollte Dean wissen, als er wieder zu Valdez zurück kam und schlug nach einem Flugsauger.

„Ja, wie gesagt, hier im Sumpf sterben öfter Tiere.“

„Auch Menschen?“, fragte Sam.

„Manchmal. Aber eigentlich weiß jeder, der hier wandern geht, dass er sich in einem Sumpf befindet.

Den letzten Toten gab es vor fünf oder sechs Jahren drüben auf der anderen Seite. Eine Mutprobe unter jungen Männern. Besoffen durch den Sumpf“, erklärte der Wildhüter traurig.

„Echt blöd“, meinte Dean nur und kratzte wieder an der juckenden Stelle, diesmal über seinem Schlüsselbein.

„Hör auf zu kratzen!“ Sam schlug ihm auf die Hand.

„Es juckt aber!“

„Du benimmst dich wie ein kleines Kind!“

„Dich fressen die Viecher ja auch nicht auf!“

„So schlimm kann das doch gar nicht sein. Zeig mal!“, Sam zog die Hand seines Bruders von dessen Hals, fingerte am Halsausschnitt seines T-Shirts herum und schaffte es endlich einen Blick auf das malträtierte Stück Haut zu werfen.

„Mein Gott, Dean, hör auf zu kratzen, das entzündet sich sonst.“

„Es juckt aber!“, schaltete der Ältere auf stur.

„Dean!“, Sam verdrehte die Augen und der Ranger schaute ganz unbeteiligt in eine andere Richtung.

Sam wühlte in seiner Tasche, aber er hatte das Gel nicht mitgenommen.

„Willst du jetzt was essen?“, versuchte der Jüngere seinen Bruder abzulenken.

Dean schüttelte wieder nur den Kopf und erntete damit endgültig einen entsetzten Blick.

Was war mit ihm? Mal abgesehen davon, dass er sich wie ein bockiges Kund benahm, wann wollte Dean denn bitte schön mal nichts essen?

Sam starrte ihm hinterher als er sich unter die Bäume verzog. Er nahm sich vor, Dean zu fragen sobald sie wieder allein waren. Mit ihm stimmte etwas ganz und gar nicht.

Die Winchester hatten genug gesehen und mit einem Blick waren sie sich einig, dass sie noch einmal herkommen und die Knochen verbrennen müssten, sollte der Hund erneut auftauchen.
 

„Spucke drauf, das hilft“ erklärte jetzt der Ranger, als er Dean wieder kratzen sah.

Der verdrehte die Augen. Aber als sie sich auf den Rückweg machten, schob er sich einen Finger in den Mund und schmierte Spucke auf den Stich. Viel half es nicht, aber er hatte genügend andere Moskitostiche um ihn von dem einen erstmal ablenken zu können.

Immer wieder kratzte er sich.

„Dean! Hör endlich auf!“ zischte Sam und boxte ihn in den Rücken. Sein Bruder tat ihm ja schon leid, schließlich hatte der sich heute Morgen noch akribisch mit dem Anti-Moskito-Zeug eingerieben und jetzt schien das die kleinen Quälgeister eher noch anzulocken als sie auf Abstand zu halten. Aber er musste doch auch wissen, das Kratzen sein Problem nur verschlimmern würde. Dean war heute Morgen wohl mit dem linken Bein zuerst aufgestanden. Wohl eher mit zwei linken Beinen. Ob es wirklich nur daran lag? Vielleicht sollte er dann nachher noch mal ins Bett gehen und dann wieder aufstehen? Konnte ja nur besser werden.

„Was?“, fauchte der Ältere auch erwartungsgemäß zurück und drehte sich um.

„Hör auf zu kratzen! Du machst mich fertig!“ Sam musterte seinen Bruder - da war was anders als sonst! - und unterdrückte heldenhaft ein Grinsen. Dean hatte einen hübschen Mückenstich mitten auf der Nase!

„Leck mich, Sam!“, knurrte der Blonde so leise, dass nur Sam ihm hören konnte. Er wusste ja selbst nicht, warum ihn heute alles nervte, oder besser warum ihm der Traum so zu schaffen machte. Es war nur ein Traum, verdammt! Genauso verlogen wie die Dämonen, die ihnen immer wieder alles Mögliche erzählt hatten. Vielleicht lag es einfach nur daran, dass er in der letzten Nacht kaum schlafen konnte? Immer wieder waren seine Gedanken zu Dad gewandert. Er hatte es einfach nicht verdrängen können. Trotzdem, je länger er über den Mann nachdachte umso weniger verstand er ihn. Er konnte regelrecht spüren, wie sich seine Gefühle änderten und das wollte er nicht. Dad war immer sein Vorbild gewesen. Er hatte nichts so sehr gewollt, als so zu sein wie Dad. Unverwundbar und ein Held im Kampf gegen das Übernatürliche. Aber war John das wirklich?

Er drehte sich wieder zurück und trottet weiter hinter dem Ranger her.

Seine Gedanken wanderten wieder zu dem Mann, der sein großes Vorbild war. Was war alles passiert seit John sein Leben für ihn gegeben hatte. Was hätten sie anders machen können, was hätten sie anders machen sollen? Er wusste es nicht. Oder besser, das einzige, das ihm einfiel, würde er wieder genau so machen, denn es hatte ihm Sammy zurückgebracht und dafür würde er wieder in die Hölle gehen wollen, auch wenn er mehr als nur froh war, dass er von dieser Erfahrung verschont geblieben war. Nein, er wollte nicht in die Hölle, doch für Sam würde er gehen. Und er wollte sein Leben so weiter leben. Menschen retten, und dann tat er doch was John gewollt hätte, oder? Also gab es nichts, weswegen der auf ihn hätte sauer sein können!

„Dean!“, Sam riss ihn aus seinen Gedanken, „hör endlich auf!“

Dean hatte gar nicht gemerkt, dass er schon wieder auf den Stichen an seinem Schlüsselbein kratzte. Er drehte sich zu seinem Bruder um: „Es juckt aber, verdammt!“, knirschte er leise.

„Was ist los mit dir?“

„Nichts!“

„Dieses „Nichts“ beschäftigt dich aber verdammt stark.“

„Ich hab schlecht geschlafen und … Ach man, ich hätte heute einfach im Bett bleiben sollen!“, grummelte der Blonde. Mit einem weiteren Blick auf Sam drehte sich Dean im Laufen wieder um. Sein Fuß verhedderte sich an einer Wurzel und er verlor das Gleichgewicht. Noch bevor Sam zugreifen konnte, rutschte er am Rand des Pfades ab und landete im Sumpf. Die Nase voran.

Sofort versuchte er sich wieder in die Höhe zu stemmen. Seine Hände sackten unter ihm weg. Wieder landete sein Gesicht im Schlamm. Er begann wie wild zu rudern. Die Luft wurde ihm knapp. Bilder von Moorleichen spukten durch sein Bewusstsein. Er wollte nicht so sterben. Das war doch viel zu profan! Ein Geisterjäger versinkt im Moor.
 

Sam versuchte seinen Bruder zu fassen zu bekommen, aber der rutschte ihm immer wieder aus der Hand. Der Blonde strampelte viel zu sehr.

„Dean!“, versuchte Sam ihn zu erreichen.

„DEAN!“

Nichts.

Plötzlich hielt Dean still.

„DEAN!“, brüllte Sam. Sein Bruder hatte keine Luft mehr! Hatte er Schlamm geschluckt? War er vielleicht schon ohnmächtig?

‚Oh mein Gott!’ „DEAN!“, brüllte er wieder.
 

„Nehmen sie meine Hand“, nahm er endlich Valdez‘ Hand auf seiner Schulter wahr. Sekundenlang starrte er ihn, dann nickte Sam und fasste zu.

Entscheidung

47) Entscheidung
 

Deans Instinkte hatten inzwischen registriert, dass er, je mehr er sich bewegte, immer tiefer versank. Sie ließen ihn goldrichtig reagieren. Er versuchte sich so langsam wie möglich zu bewegen. Er würde jetzt gerne tief Luft holen, seine Lungen schrien förmlich nach Sauerstoff, aber das war wohl im Moment so ziemlich die schlechteste Idee, die er haben konnte.

Gut, dass höchstens drei Zentimeter Wasser auf dem schlammigen Untergrund standen. Dean hob den Kopf, schniefte, spuckte, schüttelte den Kopf, dass es nur so spritzte und zog gierig die Luft in seine Lungen. Dann begann er ganz langsam sich auf den Rücken zu drehen.

„Bleiben sie ruhig liegen“, rief der Ranger, als Dean es endlich geschafft hatte und jetzt auch rundherum so aussah als hätte er ein Schlammbad genommen.

„Kannst Du dich langsam zu uns drehen, dann können wir dich besser raus ziehen“, fragte Sam und warf ihm ein Seil zu, das der Ranger aus seinem Rucksack geholt hatte. Sein Bruder nickte.

Mit Hilfe des Seiles arbeitete er sich ganz vorsichtig in die richtige Position. Dann endlich war es fast soweit, dass Sam und Valdez zufassen konnten. Der jüngere Winchester wollte noch das kleine Stückchen näher an Dean kommen. Plötzlich rutschte auch er weg und versank mit dem rechten Bein bis zum Knie im Matsch. Der Ranger wollte ihm sofort helfen.

„Zuerst Dean!“, brüllte Sam und Valdez nickte. Sam lehnte sich so weit es ging auf dem Weg, während der Ranger den älteren Winchester an beiden Handgelenken packte und ihn langsam zurück auf festen Boden zog. Schwer keuchend blieb der Blonde auf dem Rücken liegen.

Sam arbeitete sich mit Valdez Hilfe auch aus dem Schlamm und stürzte dann sofort zu seinem Bruder.

„Alles okay bei dir?“, fragte er sofort.

„Ich denke schon“, nuschelte der, nahm die dargebotene Hand und ließ sich auf die Füße ziehen.

Langsam und ein kleines bisschen eckig ging Dean zu einem Baum hinüber und lehnte sich mit dem Rücken dagegen.

„Was ist los mit dir?“ Sam war ihm gefolgt.

„Nichts?“, antwortete der Blonde leise.

„Dean, bitte! Du hast was.“

„Ich …“ Dean brach ab und schüttelte nur traurig den Kopf.

„Wir reden im Motel.“

Dean nickte und wischte sich mit seiner Hand übers Gesicht. Viel brachte es ihm allerdings nicht, sich den Schlamm mit seiner schlammigen Hand wegwischen zu wollen.

Sam reichte ihm eine Flasche Wasser und der Blonde kippte sich deren Inhalt, nachdem er ein paar Schlucke getrunken und sich notdürftig die Hände gewaschen hatte, über Gesicht und Kopf. Nass war er eh schon. Er schüttelte sich, um das Wasser wieder los zu werden. Dreckige Tropfen flogen durch die Gegend und Sam ging mit einem empörten „Ey“ in Deckung.

Noch einmal wischte sich Dean mit der Hand übers Gesicht. Doch nur der Schlamm verschwand. Der traurige Ausdruck in seinen Augen blieb.
 

„Sind sie sich sicher, dass sie nur Kollegen sind?“, wollte der Ranger mit einem Lächeln von Sam wissen, als der wieder neben ihm stand und etwas betreten auf seinen braunen Strumpf schaute. Sie würden Schuhe kaufen fahren müssen.

„Warum?“, fragte der Winchester etwas irritiert. „Wir sind zusammen aufgewachsen, gemeinsam zum Wildlife Service gegangen. Wir sind wie Brüder“, sagte Sam ruhig.

Der Ranger nickte und blies, nachdem er den ehemals Blonden eingehend gemustert hatte, zum Aufbruch.
 

„Gegen die Moskitos hilft dein Schlammbad immerhin“, lachte Sam hinter seinem Bruder. Dean hatte sich schon eine ganze Weile nicht mehr gekratzt.

Der Blonde drehte sich um und brummelte genervt: „Wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen. Demnächst werden wir dir deine Schuhe besser antackern.“ Er zeigte auf Sams unbeschuhten Fuß. „Das wächst sich bei dir so langsam zu 'ner Manie aus.“

Das würde Dean ihm ewig vorhalten. Schließlich war es nun schon der zweite Schuh, den er eingebüßt hatte.
 

Am Auto angekommen holte Dean sofort ein paar Decken aus dem Kofferraum und legte sie auf seinen Sitz. Nicht dass sein Baby noch eine Schlammpackung bekam. Darauf stand sie so gar nicht. Die Aktion mit den Statuen war noch viel zu frisch.

„Es tut mir leid“, sagte der Ranger zum Abschied mit einer ziemlich betretenen Miene.

Dean nickte nur kurz.

„Es ist nicht das erste Mal, dass wir uns bei einem Fall so einsauen“, lächelte Sam Valdez aufmunternd an. „Okay, wir haben das erste Mal im Sumpf gebadet, aber so hin und wieder sehen wir schon mal ziemlich dreckig aus.“

„Trotzdem. Ihr Partner…“

„Er wird es überleben“ lächelte Sam und schaute zu seinem Bruder, der sich gerade auf den Fahrersitz fallen ließ. „Und danke für die Führung“, rief er noch und beeilte sich dann, auf den Beifahrersitz zu kommen.

Kaum war die Tür geschlossen, als Dean auch schon Gas gab. Er drehte die Musik laut. Auf keinen Fall wollte er jetzt reden.
 

Kaum waren sie wieder in ihrem Zimmer als Dean auch schon im Bad verschwunden war und Sam das Rauschen der Dusche vernahm.

‚Was ist bloß mit dem Großen los? Gestern hatte er doch noch blendende Laune! Irgendwas musste passiert sein. Aber wenn ich jetzt frage kriege ich wieder keine Antwort‘, überlegte Sam. Sein Blick fiel auf die Minibar. Er schüttelte den Kopf. Aber als letzte Alternative wollte er Alkohol nicht ausschließen. Irgendetwas fraß an Dean und er wollte nicht wieder daneben stehen und zusehen müssen, wie sein Bruder sich kaputt machte. Das hatte er jetzt wirklich oft genug erleben müssen und er wollte sich nicht mehr ausschließen lassen.
 

Dean kam, nur mit Handtuch bekleidet, aus dem Bad.

Sam verbiss sich heldenhaft ein Grinsen. Der Moskitostich auf Deans Nase leuchtete knallrot und erinnerte doch sehr stark an Rudolph das rotnasige Rentier.

Am Schrank angekommen ließ der Blonde das Handtuch fallen, zog sich saubere Shorts an und griff nach einen Shirt.

„Warte“, sagte Sam. Verwundert drehte sich der Ältere um.

Sam wühlte das Gel hervor und trat zu Dean. Langsam und sorgfältig begann er dessen Moskitobeulen zu versorgen.

Dean ließ es geschehen. Er starrte blicklos vor sich hin.

„Dean?“, fragte Sam als er fertig war. Er wollte jetzt endlich wissen, was mit dem Älteren los war, doch der rieb sich nur müde mit der Hand über die Augen. Sein Blick wurde noch eine Spur trauriger.

„Geh ins Bett“, sagte Sam leise.

Dean schlappte zum Bett, legte sich hin und zog die Decke bis zur Nase. Er drehte sich auf die Seite und kurz darauf ließen seine ruhigen Atemzüge Sam wissen, dass er schlief.

Sam schüttelte besorgt den Kopf. Dean musste wirklich zerschlagen sein. Es war noch nicht mal fünf Uhr und er ging ins Bett und schlief?

Er ging um das Bett herum und betrachtete seinen Bruder. Dean sah regelrecht erschöpft aus. ‚Was war in der letzten Nacht nur passiert?’ Er zuckte mit den Schultern und setzte sich dann so an den kleinen Tisch, dass er den Schlafenden im Blick behalten konnte. Er fuhr seinen Laptop hoch und begann nach der Gemeinsamkeiten der Opfer zu suchen. Es musste etwas geben!

Zuerst wollte er sich jedoch einen Überblick über das Wetter von vor zehn Jahren machen.
 

Sam war noch mittendrin nichts zu finden, als ihn ein verzweifeltes „SAM!“ aufschrecken und zu Dean schauen ließ. Der wälzte sich auf den Rücken. Die Decke lag neben ihm und sein T-Shirt klebte an seinem Körper. Sam stand auf und ging zu seinem Bruder. Er war so in seine Recherchen vertieft gewesen, dass er gar nicht mitbekommen hatte, dass Dean unruhig geworden war.

„Dad! Nein! Ich…“ keuchte Dean.

„Dean?“ Sam legte ihm die Hand auf die Schulter. Dean zuckte zusammen. Er versuchte sich seinem Griff zu entwinden.

„DAD!“, bettelte der Blonde. Dann krümmte er sich zusammen und verkrampfte sich. Panik breitete sich auf seinen Zügen aus.

Sam fasste seinen Bruder fest bei den Schultern und schüttelte ihn.

„Dean! Wach auf! Es ist nur ein Traum!”

Der Blonde riss die Augen auf. Erschrocken wich er vor Sam zurück.

„Dean, ich bin‘s“, versuchte Sam ihn zu beruhigen.

„Sammy?“, krächzte Dean. Seine Augen fokussierten sich auf seinen Bruder und die Panik wich von seinem Gesicht.

„Du hast nur geträumt“, sagte Sam ruhig.

Langsam entspannte sich der Blonde.

„Was war los?“, wollte Sam jetzt wissen.

Dean schüttelte den Kopf.

„Dean, bitte ich will nicht wieder ausgeschlossen werden und ich sehe doch wie du leidest.“

Der Ältere holte tief Luft. Langsam und stockend begann er zu erzählen: „Ich hatte ... denselben Traum schon ... gestern. Wir waren im Sumpf ... und plötzlich warst du ... weg. Ich hab dich gesucht.

Dann stand ... Dad vor mir. Er meinte ich ... hätte seine Befehle nicht befolgt und ... dich nicht beschützt. Und dann war der Höllenhund neben ihm. Dad hat mich ... angebrüllt, ich wäre an allem Schuld. ... An deinem Verschwinden, Moms ... Tod und ... an seinem.“ Dean war immer leiser geworden, jetzt versagte ihm die Stimme komplett.

„Du bist nicht Schuld Dean. Weder an seinem Tod und schon gar nicht an Moms. Da müsstest du schon eher mir die Schuld geben.“

„Dir, wieso bist du an Moms Tod schuld?“

„Weil ich …“, Sam stockte. Fast hätte er sein dunkles Geheimnis verraten. „Weil es in meinem Zimmer passiert ist.“

„Quatsch! Was kannst du denn dafür. Du warst sechs Monate.“ Dean war zu mitgenommen um Sams Stocken bemerkt zu haben. Der Jüngere atmete auf. Das war bestimmt nicht der richtige Zeitpunkt um Dean von dem Dämonenblut in seinen Adern zu erzählen.

„Du gehst duschen und ich besorg uns was zu essen. Was hältst du davon?“, wollte er wissen.

Der Ältere brauchte eine Weile, dann nickte er.

Erst als Dean im Bad verschwunden war und Sam das Wasser rauschen hörte, machte er sich auf den Weg. Er hoffte, dass sich sein Bruder unter dem warmen Regen entspannen würde. Aber wieso hat er denn jetzt wieder Albträume? Den Höllenhund konnte Sam sich ja erklären, aber wieso träumte Dean von Dad und wieso hetzte der das Monster auf seinen Sohn?

Sam verstand das nicht. Klar, Träume sind immer verwirrend und nie logisch, aber sie haben auch irgendwo einen Grund und meist steckt auch eine Wahrheit dahinter. Ob Dean sich schuldig fühlte, weil er seinen Deal überlebt hatte? Haderte er noch immer damit, dass Dad sein Leben für ihn gegeben hatte? Sam nahm sich vor noch besser auf seinen großen Bruder aufzupassen.
 

Dean stand unter dem heißen Wasserstrahl und wartete darauf, dass die Spannung von ihm abfiel. Er wollte nicht denken, und doch liefen seine Gedanken immer wieder in die eine Richtung. War es so falsch Dads Entscheidungen zu hinterfragen? Dad hatte nicht immer Recht gehabt. Viele seiner Entscheidungen hatten schon damals ein komisches Gefühl in ihm ausgelöst, aber Dad hatte es ihm befohlen und Befehle mussten befolgt werden. Also hatte er es gemacht. So war er erzogen worden. Er hatte ihr Leben nie hinterfragt. Und doch tat es ihm weh, wenn er Sam sah, wenn sie mal wieder umgezogen waren. Sammy hatte darunter gelitten. Und auch wenn es ihm für sich selbst egal war, wenn er es akzeptiert hatte, dass sie anders lebten, dass es sich nicht lohnte Freunde zu finden, Sam brauchte Freunde, Sam brauchte ein geregeltes, normales Leben. Je länger er darüber nachdachte umso falscher erschienen ihm viele von Dads Entscheidungen. Nein, John hatte nicht immer Recht gehabt und er hätte wissen müssen, dass Dean seinen Bruder nie würde töten können, egal was passieren würde.

Ziel seines Lebens war immer Sam zu schützen, und das würde er tun. Egal was John ihm befohlen hatte und egal ob es John tolerieren würde. John war tot! Sollte er ihn doch in seinen Träumen quälen. Er würde sich nie gegen Sam stellen! Und das hieß, dass er seinen Vater weiter in Frage stellen würde.

Er holte tief Luft und jetzt endlich, nachdem seine Entscheidung getroffen war, konnte er sich ein wenig entspannen.

Träume

48) Träume
 

Die Brüder betraten gleichzeitig das Zimmer. Sam kam beladen mit Pizza, Kuchen und Bier und Dean erneut nur bekleidet mit einem Handtuch.

„Wir müssen waschen“, meinte der Blonde nachdem er eine Weile in seinem Schrank gewühlt und endlich ein sauberes Shirt und frische Shorts gefunden hatte.

Sam nickte nur und legte Besteck auf den Tisch. Er machte sich über seinen Salat her, während Dean nur in seiner Pizza herumstocherte. Schweigen breitete sich aus. Er hatte weniger als die Hälfte gegessen, als er den Karton zu Sam drehte. Besorgt sah der Jüngere auf und schob Dean die Packung Kuchen hin. Süßes half doch immer, oder?

Dean holte tief Luft, machte sich dann aber doch über die Schoko-Muffins und den Apfelkuchen her.

„Wollen wir uns das Spiel anschauen?“, fragte Sam leise.
 

Es dauerte eine Weile bis Dean nickte. Er schaltete den Fernseher ein und verzog sich auf sein Bett. Sam räumte den Tisch ab und machte es sich dann auf seinem Schlafplatz gemütlich. Eigentlich wollte er ja lieber weiter recherchieren, aber Dean brauchte Gesellschaft und so versorgte er ihn mit ausreichend Bier, in der Hoffnung, dass der Alkohol seinen Bruder schlafen ließ.
 

Wieder riss Dean seinen Kopf hoch. Müde blinzelte er zum Fernseher und stellte fest, dass ihm wohl mindestens ein ganzer Spielzug fehlte. Die Dallas Cowboys hatten sieben Punkte mehr als vorhin. Er nahm einen Schluck Bier aus der Flasche und stellte sie dann, weil sie leer war, auf den Nachttisch.

Sam stand auf und verschwand im Bad.

„Willst du noch eins?“, fragte er als er wieder kam und Dean nickte träge.

Fast sofort bekam er eine neue Flasche in die Hand gedrückt. Er nahm einen tiefen Zug. Die Flasche stellte er auf seinem Oberschenkel ab. Kurz überlegte er, ob Sammy ihn abfüllen wollte, doch bevor er zu einer Antwort kam fielen ihm schon wieder die Augen zu.

Erneut riss er den Kopf hoch, rettete die Bierflasche vor dem Umkippen und sich selbst davor in einem nassen Bett schlafen zu müssen und trank noch einen Schluck. Dann stellte er die Flasche wieder auf seinen Oberschenkel.

Kurze Zeit später fiel ihm sein Kinn wieder auf die Brust und diesmal blieb es auch da liegen.

Sam beobachtete seinen Bruder aus dem Augenwinkel.

Die Flasche neigte sich inzwischen gefährlich zur Seite.

Der Jüngere stand auf und konnte sie gerade noch auffangen, bevor sie ihren Inhalt doch noch neben Dean auf die Matratze laufen ließ. Er stellte das Bier auf den Nachttisch und schob seine Arme unter seinen Bruder. Dean murrte leise.

„Ist schon gut, Dean. Ich bin’s, ganz ruhig“, beruhigte er ihn und hob ihn kurz hoch, um ihn gleich wieder, diesmal richtig, ins Bett zu legen. Er breitete die Decke über Dean und lächelte, als der sich zufrieden brummelnd auf die Seite drehte.

Sam holte sich seinen Laptop und begann nach den Opfern zu suchen. Er war vorhin nicht sehr weit gekommen bevor Dean ihn mit seinem Albtraum erschreckt hatte.
 

Endlich legte er seinen Rechner zur Seite. Leise stöhnend dehnte er die verspannten Muskeln und legte sich ins Bett. Es dauert nicht lange, bis auch er eingeschlafen war.
 

Trotzdem war er am nächsten Morgen wieder vor Dean wach.

Er setzte sich auf seine Bettkante und schaute zu seinem Bruder hinüber. Der sah so friedlich aus. Ein leises Lächeln hatte sich in seine Mundwinkel geschlichen und Sam wünschte sich dieses eine Mal in Deans Kopf tauchen zu können um zu sehen, wovon der gerade träumte. Aber wahrscheinlich war es eine Frau. Möglicherweise Lisa oder Ben? Dean mochte den Jungen. Vielleicht sollten sie mal wieder einen Abstecher nach Cicero machen.

Dean drehte sich auf den Bauch, nahm das Kissen fest in seine Arme und schnaufte zufrieden. Sein Gesicht strahlte regelrecht vor Glück. Und in Sam breitete sich ein warmes Gefühl aus. Er hatte Dean nicht an die Hölle verloren. Bobby war rechtzeitig in den Raum geplatzt und er hatte schnell genug reagieren können und Lilith getötet. Natürlich, die Wochen danach waren schwer gewesen, aber er würde es jederzeit wieder auf sich nehmen, nur um Dean zu behalten. Denn wenn er wirklich darüber nachdachte, musste er sich eingestehen, dass er ohne Dean nicht mehr leben wollte, oder konnte. Nein, er würde Dean nie alleine lassen, er würde nie auch nur an Stanford denken, wenn Dean nicht bereit wäre sesshaft zu werden. Wer weiß, vielleicht hatten sie in ein paar Jahren die Nase voll von der Rumzieherei. Vielleicht würde Dean bei Bobby auf dem Schrottplatz anfangen? Dann könnte er sich immer noch einen Job suchen. Aber er würde seinen Bruder auf keinen Fall alleine und ihn schon gar nicht alleine jagen lassen.

Er streckte sich noch einmal ausgiebig und verschwand im Bad. Nachdem er Frühstück besorgt und Kaffee gekocht hatte setzte er sich wieder an seinen Laptop.

Dean drehte sich zur Tür. Leise grummelnd zog er sich die Decke über den Kopf. Er wollte noch nicht wieder in die harte Wirklichkeit. Er wollte noch ein wenig die Ruhe und Geborgenheit genießen, wollte sich daran erinnern, dass er als kleines Kind morgens zu Mom ins Bett gekrochen war und sich an sie gekuschelt hatte.

Manchmal war auch Dad dagewesen. Dann hatte der ihn gekitzelt oder er hatte ihn mit beiden Armen in die Luft gestemmt und ihn dann so lange oben gehalten und strampeln lassen, bis er kichernd um Hilfe geschrien hatte. Manchmal hatte auch Mom Dad in die Seite gepiekt und ihn gerettet.
 

Dean fand keinen Schlaf mehr und die Erinnerungen wurden vom Tageslicht verdrängt. Er schlug die Decke zurück und setzte sich auf.

Schnuppernd hob er die Nase. Das feine Kaffeearoma drang ihm in die Nase und er schlappte in die Küche. Dort goss er sich eine Tasse voll ein und ging dann zu Sam an den Tisch. Er ließ sich auf den Stuhl fallen.

Genüsslich trank er sein Lebenselixier.

„Diesmal muss es ein schöner Traum gewesen sein“, warf Sammy in den Raum.

Sofort trat ein fast schon verliebtes Leuchten in Deans Augen.

Er holte ihnen noch je eine Tasse Kaffee.

„Also ich möchte schon gerne wissen, welche heiße Braut dich so zum Strahlen bringt.“ Sam nahm seine

Tasse in die Hand und schob den Laptop zur Seite.

„Mom!“, sagte Dean.

„Du hast von Mom geträumt und strahlst so?“, fragte Sam verwundert.

Dean begann langsam von seinem Traum zu erzählen. Von dem morgendlichen Toben im Bett und dann wurde sein Blick noch ein wenig verträumter: „Sie hat mich eines Morgens geweckt, hat mir beim Anziehen geholfen und mir dann Frühstück gemacht“, begann er leise. „Dann sagte sie mir, dass sie zum Arzt müsste und fragte, ob ich mitkommen, oder bei Dad in der Werkstatt bleiben wollte. Ich hab sie gefragt ob sie krank sei. Sie hat gelacht, mir die Haare verwuschelt und geantwortet, dass sie nicht krank sei. Ich würde ein Geschwisterchen bekommen. Klar wollte ich mit.

Wir sind zu dem Arzt gefahren. Der hat mir ein Bild gezeigt. Für mich sah es ja eher aus, als ob man mit einem Scheibenwischer über 'ne dreckige Scheibe gewischt hätte. Da war nichts zu erkennen. Aber der Arzt meinte, da wäre was und er fragte, ob ich mir ein Brüderchen oder lieber ein Schwesterchen wünschen würde. Ich hab gesagt ich hätte gerne einen Bruder mit dem könnte ich spielen und später noch eine Schwester. Die würde ich dann beschützen.

Ein paar Häuser weiter wohnte ein Mädchen, sie war etwa in meinem Alter und sie hatte einen großen Bruder, der immer auf sie aufpasste. Das wollte ich auch. Mom hat gelacht und gesagt, dass erstmal ein Geschwisterchen reichen müsste. Und der Arzt meinte wenn ich ganz lieb wäre, dann würde sich mein Wunsch erfüllen.“ Dean lachte Sam breit an.

„Du bist der beste große Bruder, den ich mir wünschen konnte.“

„Moms Bauch wurde immer dicker und irgendwann hat sie meine Hand genommen und auf ihren Bauch gelegt. Da war Bewegung drin.“ In Deans Augen war noch immer ein Teil der Verwunderung zu lesen, die er damals gespürt haben musste.

„Einmal hab ich morgens bei Mom im Bett gelegen und mit ihr gekuschelt“, der Blonde war mit seinen Gedanken weit weg und Sam schwieg gebannt. Viel zu selten erzählte Dean von solchen Erinnerungen.

„Ich hab meinen Kopf auf ihren Bauch gelegt und du hast mir voll eine auf's Auge gegeben. Ich hab mich erschrocken und Mom hat gelacht. Sie meinte wir würde bestimmt gut miteinander auskommen.“

„Dean, du hast, als du aus dem Koma aufgewacht bis 'soll ... Mom ... liebt...' zu mir gesagt und es schien dir unheimlich wichtig zu sein, mir das zu sagen. Was hast du damit gemeint?“

Dean schüttelte den Kopf. Er konnte sich nicht daran erinnern. Er wusste, dass er jede Menge Albträume gehabt hatte, aber warum er Sam etwas von Mom hatte sagen wollen?

„Ich weiß es nicht Sammy. Tut mir leid.“

„Hör auf, dich zu entschuldigen. Ist nicht so wichtig. Ich dachte nur vielleicht wüsstest du es ja noch.“

„Für dich scheint es wichtig zu sein, sonst würdest du jetzt nicht fragen.“

Sam sah traurig aus: „Ich hätte nicht fragen sollen.“

„Sammy?“

„Ist schon okay, Dean. Wirklich.“

Der Blonde zuckte mit den Schultern, trank seinen Kaffee aus und ging dann ins Bad.
 

Sam hing noch eine ganze Weile Deans Worten nach. ‚Wie viel hat uns der Dämon genommen. Wie sehr hat Dad Dean verändert! Ich hätte auch so gerne eine Mutter gehabt. Das was Dean gerade erzählt hatte, mit Mom und Dad im Bett toben, warum durfte ich das nicht? Vielleicht hätten wir ja noch ein Geschwisterchen bekommen und dann hätte ich auch mal am Bauch lauschen dürfen.’

Sam war eifersüchtig, das musste er zugeben. ‚Dean hatte sein Bestes gegeben, aber er war nun mal nicht Mom. Er musste selber viel zu schnell erwachsen werden. Und doch hat Dean immer versucht mir Wärme und Geborgenheit zu geben.’

Nein, eigentlich beneidete Sam seinen Bruder nicht um diese Erinnerungen, wusste er doch nur zu gut, wie sehr Dean diese schmerzten, wie viel er verloren hatte.

Sam räumte ihr Geschirr weg. Er setzte sich auf sein Bett und zog sich sein letztes Paar Schuhe an.
 

„Eigentlich hat sich mein Wunsch doch erfüllt“, grinste Dean als er aus dem Bad zurückkam.

Der Jüngere schaute etwas verwirrt.

„Wenn ich dich so anschaue, ich hab mit dir 'nen Bruder und 'ne Schwester bekommen!“

Sams Augen verengten sich, er schnappte nach Luft und warf einen der Schuhe nach Dean.

„Hey, du wirst doch deinen besten großen Bruder nicht verletzen wollen?“, lachte er und warf Sam das Handtuch an den Kopf, mit dem er sich gerade noch die Haare trocken gerubbelt hatte. „Und außerdem war das dein letzter Schuh.“

„Du bist so ein Trottel.“

„Miststück!“ Lachend duckte er sich, als Sams Kissen auf ihn zugeflogen kam.

„Wir benehmen uns wie ein altes Ehepaar!“, prustete Dean, als er sich wieder aufrichtete und der Jüngere konnte nur wieder die Augen verdrehen.
 

„Was hast du gefunden?“, wollte der Blonde wissen. Er war sich nicht sicher, ob er nicht viel zu viel preisgegeben hatte, aber der Traum hatte seine Schutzwälle niedergerissen. Und er hatte beim Zähne putzen beschlossen, die Erinnerungen an Mom nicht mehr so tief in sich zu verschließen. Er wollte sich viel öfter an das halten, was Mom ihm in den wenigen Jahren mitgegeben hatte.

„Es gab hier vor zehn Jahre keine dämonischen Anzeichen, also können wir einen Pakt wohl ausschließen. Aber was es sonst sein könnte? Ich habe noch keine Ahnung.“

„Was ist mit den Grundstücken? Liegt da vielleicht ein Fluch drauf?“

„Du meinst wir sollten uns mal umhören, ob die Besitzer die vielleicht unrechtmäßig erworben haben?“

„Ja, außerdem sollten wir uns die Grundstücke mal anschauen. Vielleicht finden wir was.“

„Was willst du finden?“

„Knochen, Wermut, ich weiß nicht. Lass uns die Grundstücke einfach mal unter die Lupe nehmen.“

Sam nickte: „Zuerst brauch ich aber neue Schuhe.“

„Du kriegst Schnürstiefel, die man bis hoch zum Knie festbinden kann!“, lachte der Blonde.

Sams Wangen leuchteten in einem zarten Rosa.

Wer will schon eine Moskitobrutstätte

49) Wer will schon eine Moskitobrutstätte?
 

Seit geschätzten zehn Tagen saßen sie jetzt schon im Archiv des Grundbuchamtes und wühlten sich durch die alten Akten. Wie auch immer Dean es mit seinem Charme geschafft hatte ihnen Zutritt zu verschaffen, beim Suchen half dieser Charme nicht.

Gerade kam er mit einem neuen Stapel Akten wieder. Er ließ ihn auf den Tisch fallen. Der Staub von Jahrmillionen erfüllte den Raum. Sam musste husten.
 

„Hast du schon was?“, wollte Dean nach einer Weile wissen.

„Nichts, das uns weiter helfen würde. Aber die nette Dame am Empfang sagte doch, dass die Auktion von dem Grundstück der Blacks heute Nachmittag sein soll. Lass uns mal nachsehen, wer daran Interesse anmeldet.“

„Und was ist mit diesem Lehman?“

„Dazu hab ich nur, dass er es von einer älteren Dame gekauft hatte und diese noch fünf Jahre bei ihm gewohnt hat und dann gestorben ist. Wir sollten uns mal umhören, ob die Nachbarn etwas dazu wissen, vielleicht hat sie ihn verflucht?“

„Aber warum sollte der Hund dann die Blacks holen?“, überlegte der Blonde.

„Ich weiß es nicht. Lass uns hier aufhören, bevor ich an Staublunge sterbe, und zu der Auktion fahren.“

Dean nickte und stapelte die alten Bücher übereinander. Nicht ohne dabei wieder genügend Staub aufzuwirbeln.

Sam wedelte mit der Hand demonstrativ vor seinem Gesicht herum.
 

Auf der Auktion erhielt eine Anwaltskanzlei den Zuschlag.

„Kannst du irgendwie rausfinden, wer sich dahinter verbirgt?“, wollte Dean wissen.

„Ich kann es versuchen.“

„Gut!“

„Wir sollten aber trotzdem noch mal in den Sumpf und die Knochen verbrennen.“

„Du willst mich unbedingt loswerden, oder?“

„Warum?“, fragte der Jüngere mit gespielter Unschuldsmiene.

„Du willst mich schon wieder diesen Vampirmoskitos zum Fraß vorwerfen!“, jammerte Dean theatralisch.

„Aber nicht doch, großer Bruder!“

Der Blonde seufzte ergeben und lief zum Impala. Sam hatte je Recht, sie sollten die Knochen verbrennen! Trotzdem hatte er keine rechte Lust jetzt wieder durch den Sumpf zu laufen und sein Blut freiwillig an die Moskitos zu verfüttern.
 

Sam stand ziemlich bedröppelt im Zimmer. Obwohl Dean noch den Impala abgeschlossen hatte, hatte er es geschafft, sich an ihm vorbei ins Bad zu drängeln. Jetzt hörte er das Rauschen der Dusche. Er seufzte und suchte das Gel raus. Sie mussten dringend Nachschub besorgen. Die Tube sah schon ziemlich zusammengedrückt aus und Dean hatte ihn auf der Rückfahrt mehrfach wissen lassen, dass er mindestens ein Dutzend neuer Pestbeulen hatte, und das, obwohl er sich direkt in den Rauch gestellt hatte, so dass seine Augen noch den halben Rückweg lang getränt hatten.

Sam war auf dem Rückweg aus dem Sumpf ernsthaft versucht gewesen, sich seinen stolpernden Quell neuer Moskitogenerationen auf den Rücken zu laden und ihn zu tragen. Schließlich konnte er nur mit Mühe auf den Weg achten UND Dean davor bewahren ein erneutes Schlammbad zu nehmen. Doch sie hatten es, zu seiner Überraschung, ohne weitere Probleme zurück zum Impala und ins Motel geschafft. Einzig die Fenster mussten sie runterkurbeln. Dean stank wie eine Räucherwurst.
 

Sam rieb seinen Bruder noch mit Gel ein, bevor auch er endlich ins Bad konnte.

Zurück im Zimmer kroch er nur noch unter seine Decke und ließ sich von Deans ruhigen Atemgeräuschen in den Schlaf begleiten.
 

„Hey, dürfen wir uns zu ihnen setzen?“

Dean schaute leicht erschrocken auf den Sprecher, dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht und er nickte. „Wir sind mit essen eh fast fertig.“

Nick Traven grinste, warf einen kurzen Blick über die Schulter auf seinen Partner und setzte sich dann auf die Bank, die Sam frei gemacht hatte, indem er Dean aufgescheucht hatte und dann auf den Platz neben ihm gerutscht war. Er wusste, dass Dean seinen Platz nie räumen würde, schließlich hatte er so fast den ganzen Raum, aber vor allem die Tür, im Blick und konnte sofort aufspringen, wenn sie irgendetwas bedrohen sollte.

„Man lernt es zu ignorieren, wenn Süßstoff und Sojasoße die ständigen Begleiter seines Partner sind“, erklärte Traven mit einem Lächeln.

„Mein … Partner hat auch nicht die feinsten Tischmanieren, aber selbst ihm ist das was ihr Partner da macht zuviel“, grinste der jüngere Winchester und bekam einen Ellenbogen in die Seite gerammt.

Mit einem entrüsteten Schnaufen stopfte sich Dean den letzten Bissen in den Mund.

„Ich sag’s ja!“, grinste Sam.

„Was gibt’s Neues beim Wildlife Service?“, wollte Luca-Lorenzo wissen und ließ sich neben seinem Partner nieder.

„Nichts wirklich Erfolg versprechendes“, ließ sich Sam hören.

„Was ist mit ihnen passiert?“ Nick deutete auf Deans Gesicht und Hände. Die Moskitobeulen waren noch gut zu sehen.

„Wir waren mit einem Ranger im Sumpf und die kleinen Blutsauger haben ihn zu ihrem absoluten Liebling erkoren.“ Schon wieder bekam Sam einen Schlag in die Seite und grinste.

„Wir wollen uns nachher mal die Grundstücke der Opfer anschauen, oder haben sie da schon was unternommen und wir können uns die Arbeit sparen?“, fragte Dean.

„Nein, wir haben die Nachbarn befragt. Die Grundstücke haben wir uns noch nicht vorgenommen. Was hoffen sie da zu finden?“, wollte Luca Lorenzo wissen.

„Keine Ahnung. Vielleicht hat ja jemand diesen Hund, oder was immer es war, auf die Leute gehetzt. Wir wollen nach Spuren suchen. Eigentlich aussichtslos, ich weiß, aber irgendwo müssen wir ja ansetzen um dieses Vieh zu finden.“

Nick stimmte Dean nickend zu: „Wie schon gesagt, wir haben die Nachbarn befragt. Die Blacks haben ein ganz ruhiges Leben geführt. Sie war Leiterin eines Supermarktes, sehr beliebt und er war Justizbeamter. Schon möglich, dass der sich Feinde gemacht hat. Aber die würden keinen Hund auf ihn hetzen. Dieser Lehman hat sein Grundstück vor fünf Jahren von der vorherigen Besitzerin übernommen. Sie muss wohl eine sehr entfernte Verwandte von ihm gewesen sein, munkeln die Nachbarn. Und sie sind sich alle einig, dass er sich rührend um die alte Dame gekümmert hätte. Sie wäre noch mal richtig aufgeblüht, seit er mit im Haus gewohnt hat.“

Die Brüder tauschten einen langen Blick. Damit hatte sich ihr Verdacht, dass es ein Fluch sein könnte, wohl auch in Luft aufgelöst. Zumindest war es kein Fluch der alten Dame.

„Dann werden wir mal etwas für das Geld der Steuerzahler tun gehen“, grinste Dean und stand auf.

Sam folgte ihm sofort.
 

Dean lag auf dem Bett. Um sich herum hatte er jede Menge Blätter verteilt, auf denen alles stand, was sie bis jetzt zu dem Fall zusammengetragen hatten. Er lag schon eine Weile ruhig da. Sein Blick ging irgendwo ins Leere und er spielte in Gedanken alle Möglichkeiten durch.

Und kam zu keinem Ergebnis.

„Dean!“

Der Blonde zuckte zusammen: „Au!“ Er hatte sich den Schorf von einem Stich gerissen.

„Hör endlich auf zu kratzen. Du machst mich wahnsinnig!“

„Ich hab …“, Dean brach mitten im Satz ab. Er hatte gekratzt, unbewusst hatte er sich wieder an seinem Schlüsselbein zu schaffen gemacht.

Dean sagte nichts, der Stich tat weh und juckte höllisch. Er nahm die Blätter in die Hand und ließ sich wieder in seine Kissen sinken.
 

„Dean?“ Sam sah von seinem Laptop auf. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er schon eine ganze Weile nichts mehr von seinem Bruder gehört hatte. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Sein Bruder schlief. Er lag auf dem Rücken und die Zettel, die er immer noch in den Händen hielt, lagen auf seiner Brust.

Er ging zu ihm hinüber und sammelte die Blätter vom Bett.

Sam stutzte. Sein Bruder fühlte sich etwas wärmer an, als normal und auf seiner Stirn standen kleine Schweißperlen.

'Hatte sich einige Moskitostiche entzündet?', überlegte er und legte seine Hand auf Deans Stirn. Er schien leicht erhöhte Temperatur zu haben.

Sam holte einen feuchten Waschlappen und die entzündungshemmende Salbe. Er legte seinem Bruder den Lappen auf die Stirn und sammelte dann erst einmal alle Notizen zusammen.

„Dean?“, versuchte er seinen Bruder zu wecken.

„Hm?“

„Dean? Aufwachen. Deine Kratzattacken haben Erfolg gehabt.“

„Was?“ murmelte der verwirrt.

„Du könntest dich mal ausziehen und mich deine Mückenstiche kontrollieren lassen.“

Wortlos quälte sich der Ältere aus seinem Bett und etwas umständlich auch aus seinem Shirt.

„Oh toll, Dean.“ Der Zwillingsstich auf Deans Schlüsselbein sah dick und rot aus und fühlte sich heiß an.

Sam holte noch ein paar Tücher und eine Schüssel Wasser und begann die Stiche, etliche hatten einen gelben Punkt in der Mitte, an Deans Oberkörper vorsichtig zu reinigen und behandelte sie dann mit der Salbe.

„Geh wieder ins Bett, Dean“, sagte er leise und drehte den Blonden in Richtung seiner Schlafgelegenheit.

Dean hatte die ganze Zeit versucht, sich mit fahrigen Bewegungen gegen Sams Behandlung zu wehren. Er hatte das Gefühl in Watte gepackt zu sein. Alles war dumpf. Jetzt erstarrte er kurz und kroch dann ohne weitere Widerworte unter die Decke. Der Jüngere lächelte, drehte Dean auf den Rücken und legte ihm einen kalten Lappen auf die Stirn. Er hoffte, dass die Salbe half, denn er hatte noch einige weitere stark gerötete Stellen gefunden, die sich sein Bruder eigentlich nicht aufgekratzt haben konnte. Er fragte sich, wie lange sie hier noch bleiben müssten, wie lange sie der Fall noch beschäftigen würde. Dean schien der Sumpf wirklich nicht gut zu tun. Er wechselte noch einmal den kalten Waschlappen und setzte sich dann wieder an seine Recherchen. Sie sollten hier endlich fertig werden!
 

Sie hatten den ganzen Tag über ihren Recherchen gesessen und Dean fühlte sich noch immer leicht angeschlagen, aber er hatte so lange gequengelt, bis Sam sich geschlagen gegeben hatte und sie doch noch einmal losgezogen und in das kleine Restaurant gefahren waren. Jetzt saßen sie bei Steak, Salat und ein paar Bieren und Sam begann gerade seinem Bruder zu erzählen, was er über die Käufer des Grundstücks der Blacks herausgefunden hatte, nämlich nichts.

Traven und Tarrington-Touluse betraten ebenfalls den Raum.

„Bist du fertig mit essen?“, wollte Sam wissen.

Dean nickte: „Warum?“

„Vielleicht kann uns das FBI noch ein paar Infos zu den Käufern geben“, sagte er und winkte den beiden Männern.

Nick nickte und kam zu den Winchesters an den Tisch. Sein Partner folgte.
 

Kaum hatte die Bedienung ihre Bestellungen vor den Staatsbeamten abgestellt als Sam auch schon begann: „Wir haben uns die Auktion angeschaut, auf der das Grundstücks der Blacks unter den Hammer kam. Da haben sich zwei Bieter ziemlich schnell in die Höhe getrieben, aber über den oder die endgültigen Käufer konnten wir nichts herausfinden. Außerdem können wir uns nicht erklären, warum jemand so dringend dieses Grundstück will. Wir haben es uns angesehen und mal abgesehen von den Moskitos scheint es da nichts in Unmengen zu geben.“

„Warum wollen sie das wissen?“, fragte Tarrington-Touluse.

„Vielleicht gibt es da ein Motiv für die Morde“, entgegnete Sam ruhig.

„Schon möglich.“

„Was ist mit dem Grundstück von … Lehman?“, hakte Dean nach.

„Da wird zur Zeit ein Erbe gesucht“, sagte Nick.

„Und wenn es keinen gibt, wird auch dieses Grundstück versteigert?“, fuhr Sam fort.

„Ich denke schon.“

„Und sie wissen etwas über den oder die Käufer?“, bohrte Sam weiter.

„Ja“, begann Traven und schüttelte den Kopf, „um es kurz zu machen: Diese Anwaltskanzlei hat das Grundstück für einen Evan McKinney und eine Gemeinschaft gekauft, die aber letztendlich auch nur aus eben diesem Evan McKinney besteht.“

Dean hatte die Augenbrauen zusammengezogen. Er starrte auf sein Bier und schüttelte den Kopf.

„Was hast du?“, wollte Sam wissen.

„Der Name. Ich hab den schon irgendwo gehört oder gelesen“, brummelte der ältere Winchester.

„Im Zusammenhang mit diesem Fall?“, wollte Nick wissen.

„Keine Ahnung.“

„Wieso kauft jemand ein Grundstück unter zwei verschiedenen Namen, von denen einer eine diffuse Eigentümergemeinschaft ist und dann auch noch über einen Anwalt, außer er will nicht, dass jemand etwas von diesem Kauf erfährt?“, überlegte Sam laut.

„Diese Frage habe wir uns auch gestellt und wir werden uns diesen McKinney morgen mal vornehmen“, nickte Traven.

„Wir haben morgen auch viel vor, lass uns gehen Sam“, sagte Dean, klopfte seinem Bruder auf den Oberarm und rutschte aus der Bank.

„Gute Nacht die Herren.“

Der Jüngere schaute kurz verwirrt, folgte Dean dann aber.
 

„Was haben wir morgen vor?“ wollte er wissen, kaum dass sie wieder im Impala saßen.

„Du suchst erstmal nach diesem McKinney und ich werd morgen unsere Freunde im Auge behalten.“

„Das machst du nicht alleine. Nachher fressen dich die Moskitos komplett auf und ich finde dich nie wieder.“

„Oh, du bist so fürsorglich zu mir.“

„Aber immer doch, großer Bruder.“
 

In ihrem Zimmer angekommen schnappte sich dann aber Dean als Erster den Laptop und begann nach diesem ominösen KcKinney zu suchen.

Sam schaute ihn schon wieder verdattert an, sollte er nicht morgen nach diesem Typen suchen?

„Du solltest schlafen, Sammy. Ich will dich ausgeruht, wenn wir morgen unseren Freunden folgen wollen und ich hab den halben Tag geschlafen.“ Deans Tonfall ließ keinen Widerspruch zu.

Der Jüngere schüttelte wieder nur den Kopf und ging ins Bett, hatte Dean eingesehen, dass sie nur zu zweit gut waren?

Sumpfgespenster

50) Sumpfgespenster
 

Sam blinzelte. Draußen war es hell, aber das Strahlen der letzten Tage fehlte. Der Wetterbericht hatte für den Abend Regen angekündigt.

Er schälte sich aus seinen Decken. Auf dem Tisch am Fenster stand sein Laptop und Sam überlegte, was Dean da wohl gefunden hatte. Aber warum sollte er es nicht mal wie sein Bruder machen? Lass den anderen suchen, lass den anderen reden. Er ging ins Bad und besorgte ihnen danach Frühstück.

„Hey, raus aus den Federn!“, rief er als er die Kanne frischen Kaffees zum Tisch trug und packte auch gleich noch Deans Decke um sie aus seiner Reichweite zu befördern.

Der Blonde brummelte genervt. Er nahm sein Kissen und stülpte es über seinen Kopf.

Es wurde trotzdem ungemütlich. Sein Fuß rieb über seine Wade. Dann schob er das Kissen wieder zur Seite und setzte sich auf. Müde rieb er sich die Augen.

„Kaffee!“, rief Sam.

Das Wort sickerte langsam in sein Gehirn und aktivierte sein Bewegungszentrum. Er erhob sich und tappte langsam aber zielsicher mit eigentlich geschlossenen Augen zum Tisch. Er plumpste auf den Stuhl und Sam schob ihm lächelnd eine Tasse in die suchende Hand. Deans Finger schlossen sich, führten die Tasse zum Mund und er inhalierte das Aroma bevor er vorsichtig den ersten Schluck nahm.

Je weiter sich die Tasse leerte umso weiter öffneten sich die Augen des Älteren.

Sam fand dieses eigentlich allmorgendliche Schauspiel so faszinierend, dass er einfach nur zuschaute.

„Was hast du rausgefunden?“, wollte er wissen, als er sich sicher war, das Deans Aufnahmefähigkeit einen Punkt erreicht hatte, die auf eine Antwort hoffen ließ und deutete auf den Laptop.

Dean goss sich eine neue Tasse Kaffee ein: „Ich hab nach Evan McKinney gesucht. Als Traven den Namen genannt hatte, läuteten bei mir die Alarmglocken. Ich hatte den schon mal irgendwo gehört oder gelesen. Also hab ich gestern noch das Internet durchsucht.“ Der Blonde trank einen weiteren Schluck Kaffee.

„Evan McKinney hatte die Idee hier einen Golfclub aufzubauen. Golf, Wellness, Abenteuerspielplatz für die Kinder. Dazu hätte er einen größeren Teil des Sumpfes trockenlegen müssen. Die Anwohner waren nicht sonderlich begeistert. Die wollten einerseits ihre Ruhe und hatten auf der anderen Seite Angst, dass der Sumpf und die Natur leiden würden. Also ich wäre ja für den Goldclub, wenn damit die Moskitos verschwinden würden.“

Sam verdrehte die Augen.

„McKinney wollte einige Grundstücke für sein Projekt kaufen, doch oh Wunder, keiner wollte verkaufen.“

„Und zu diesen gewünschten Grundstücken gehörte das der Blacks, Lehman und?“, Sam war von seinem Bruder überrascht und begeistert.

Dean nickte: „Außerdem das Grundstück der Familie Jenkins, fürs Erste, Vater Arthur, Mutter Georgia und die drei Kinder, Paula, Andrea und Jonas.“

„Und so wie ich dich kenne willst du dir heute das Grundstück der Jenkins anschauen.“

„Ja, wir fahren erstmal zu den Jenkins und dann sollten wir uns ebenfalls mal diesen McKinney anschauen. Egal was das FBI macht. Die suchen eh nicht nach dem, was uns interessiert.“

Sam nickte und schob Dean noch den letzten Bagel auf den Teller. Wer weiß, wann sie heute wieder etwas bekommen würden.
 

„Okay, das ist es. Lass uns nach einem sicheren und geschützten Parkplatz für mein Babe suchen und dann wollen wir uns hier mal umsehen“, sagte Dean als sie an der Einfahrt zu Jenkins’ Grundstück vorbei fuhren.

Einige hundert Meter weiter fanden sie dann auch eine kleine Schneise und Dean prüfte eine halbe Ewigkeit die Festigkeit des Bodens bevor er den Impala hinein lenkte.

Die Brüder packten einige Waffen, sowie das obligatorische Salz und einen kleinen Kanister mit Benzin aus dem Kofferraum in einen Seesack und machten sich auf den Weg.
 

Sie hatten das Grundstück vielleicht zur Hälfte umrundet, als Dean sich plötzlich über einer Schlammpfütze bückte und ein, zwei Handvoll der braunen Pampe in Gesicht und Nacken schaufelte.

Sam grinste. Er hatte sich eh schon gewundert, warum sein Bruder bis jetzt nichts gesagt hatte. Immerhin hatte er bestimmt schon wieder ein gutes Dutzend kleiner Blutsauger erschlagen. Und Sam befürchtete, dass es nicht die Letzten an diesem Tag waren. Schließlich wollte Dean ja auch noch Evan McKinney einen nicht angemeldeten Besuch abstatten.

Dean sagte immer noch nichts. Er gab nur ein undefinierbares Grummeln von sich, als er mit seiner Maskierung fertig war, griff sich seine Tasche wieder und marschierte weiter.

Sam folgte leise grinsend.
 

Arthur Jenkins stand auf einer Leiter und hämmerte auf der Holzvertäfelung seines Hauses herum.

Dean wollte sich gerade abwenden und zum Impala zurück gehen, sie hatten nichts gefunden, was ihnen die Existenz den Höllenhundes, okay, Geisterhundes, bewiesen hätte und es gab auch keinen Hinweis, dass dieses Vieh auf die Bewohner dieses Grundstückes gehetzt werden sollte, zumindest jetzt nicht, als ein Jeep auf den Hof rumpelte und ein hagerer Mann ausstieg. Schnurstracks ging er auf Jenkins zu.

„Das ist McKinney! Was will der denn hier?“, murmelte Dean und verkroch sich etwas tiefer in dem Strauch, der ihnen als Deckung diente.

Sie konnten nicht verstehen worum es bei dem Gespräch ging, aber wenn sie die Gestik richtig interpretierten, dann artete es in einen handfesten Streit aus.

„Sieh zu, dass du von meinem Grund und Boden verschwindest und lass dich hier nie wieder sehen!“, brüllte Jenkins jetzt seinen Besucher an. „Ich werde dir mein Grundstück nie verkaufen und auf deine Angstmache fall ich bestimmt nicht rein!“

„Du wirst es bereuen!“, brüllte McKinney. Er ging zu seinem Wagen. Unterwegs nahm er das Hemd, das auf einem Holzstapel lag, an sich.

Die Brüder schauten sich nur an.

„Wir sollten ihm folgen“, flüsterte Sam.

„Tun wir jetzt auch. Das Hemd war nämlich bestimmt nicht seins.“ Dean arbeitete sich aus dem Gebüsch wieder heraus und Sam nickte nur.

„Ob das FBI schon mit ihm fertig ist?“

„Ich nehme es an. Ihr Mietwagen war nicht da, als wir losgefahren sind.“

„Du siehst übrigens toll aus mit deiner Schlammpackung. Nimmst du das jetzt in deine Schönheitspflege mit auf?“

Dean starrte seinen kleinen Bruder entgeistert an, doch bevor er zu einer Antwort ansetzten konnte, setzte Sam noch einen drauf: „Immerhin bist du fast 30!“

Dean klappte seinen Mund auf und wieder zu, wandte sich von seiner Nervensäge ab und stapfte zur Straße.

Sam fühlte sich bei dem Anblick, den sein Bruder gerade geboten hatte, an einen Karpfen erinnert. Er sagte nichts, folgte seinem Fisch aber mit einem breiten Grinsen. Es machte ihm unheimlich Spaß mal der zu sein, der aufzog. Das sollte er öfter tun.
 

Dean machte sich nicht die Mühe, sich zu waschen bevor er sich hinter das Lenkrad seines Impalas schob.

Schweigend fuhren sie die wenigen Meilen bis zu McKinney.

Wieder parkten sie den Wagen auf einem gut befestigten, schlecht einsehbaren Stück Weg und begannen dann auch dieses Grundstück zu umrunden.

Dean war sich nicht sicher, was er danach machen wollte. ‚Machte es Sinn hier zu bleiben und zu warten? Hatte sich McKinney vom FBI einschüchtern lassen und würde vielleicht erst in Wochen oder Monaten zuschlagen? War es überhaupt McKinney, der den Hund beschwor? Aber er hatte das Hemd geklaut. Wenn er das nicht für den Hund braucht?’
 

„Was sagt dein Bauch?“, fragte Sam als sie das Anwesen umrundet und so gut sie konnten auch untersucht hatten. Er wusste, dass Deans Instinkte besser funktionierten als seine und auch, dass Dean damit meist richtig lag.

„Der hat Hunger!“

Sam verdrehte die Augen. Das war ja mal wieder typisch.

„Und was meinst du hierzu? Sollen wir McKinney weiter beobachten?“

„Ich hab keine Ahnung. Aber mir wäre wohler, wenn wir uns hier ein geschütztes Plätzchen suchen und den Verrückten wirklich weiter beobachten würden. Das Hemd hat er nicht umsonst mitgehen lassen und der Geisterhund kam immer nachts. Und wenn doch nichts passiert, es wäre nicht die erste Nacht, die wir uns um die Ohren schlagen.“

Sam nickte: „Wohin? Richtung Moor oder Richtung Straße?“

„Eher zum Moor hin. Da war auch kein Zaun.“
 

Die Sonne sank und es wurde immer schwüler. Inzwischen nervten die Flugmonster auch Sam. Immer öfter versuchte er sie zu vertreiben. Wie musste das dann bloß für Dean sein? Er schielte in die Richtung, in der er seinen Bruder wusste. Wenn Sam nicht wüsste, dass Dean am Baum gut zwanzig Meter neben ihm saß, er würde ihn nicht sehen. Die Jacke passte sich fast komplett der Umgebung an und Deans Anti-Moskito-Tarnanstrich ließ ihn noch mehr mit den Schatten verschmelzen.

Plötzlich hörten sie ein Rascheln, das sich auf sie zu bewegte.

Die Brüder tauschen einen kurzen Blick, dann erhob sich Sam und versuchte das, was ihnen da entgegen kam, zu umgehen.
 

Ein paar Minuten später konnte er zwei Menschen zwischen den Bäumen ausmachen und trat von der von McKinneys Haus abgewandten Seite an die beiden Männer heran.

„Was wollen sie denn hier?“, fragte er ruhig. Die FBI-Agenten zuckten sichtlich zusammen, obwohl sich Sam keineswegs bemüht hatte leise zu sein.

„Wir wollen uns McKinney noch mal anschauen. Irgendetwas war faul an ihm. Wo ist eigentlich Ihr Partner?“

Ein schneller Blickwechsel und über Deans Gesicht huschte ein kurzes Lächeln, dann schloss er die Augen wieder. Er wollte sich nicht unbedingt verraten.

„Näher als sie denken.“

„Wir sehen uns mal weiter um, Sie können ja hier gemütlich rumsitzen“, erklärte Luca-Lorenzo Tarrington-Touluse ein wenig von oben herab.

„Viel Erfolg“, wünschte Sam noch und schaute den sich entfernenden Beamten hinterher. Dann setzte er sich zu Dean unter den Baum.

„Sie wissen nicht, was ihnen passieren kann“, sagte der Blonde.

„Vielleicht passiert ja nichts!“

„Dein Wort in Gottes Ohr!“

Sam schwieg.
 

Die Nacht brach herein und der angekündigte Regen blieb aus. Aber die herrschende Schwüle musste sich einfach noch in einem Gewitter entladen.

Plötzlich zerriss ein Jaulen die nächtliche Stille.

Dean zuckte zusammen. Sam schaute zu ihm hinüber. In den grünen Augen lag eine merkwürdige Mischung aus Angst, Wut und Hass.

„Ich höre ihn auch“, sagte Sam so ruhig er es konnte.

Wieder ertönte dieses Jaulen und wieder erstarrte Dean. Aber auch bei Sam stellten sich alle Nackenhaare auf.

„Ist ...“, wollte der Jüngere wissen.

„Es klingt verdammt ähnlich!“

„Es kommt aus der Richtung in der die Feds verschwunden sind.“

Dean sprang auf und rannte, so schnell es das begrenzte Licht seiner Taschenlampe und der morastige Boden zuließen, in die angegebene Richtung. Sam folgte ihm.
 

Den Agenten war das Jaulen ebenfalls in die Knochen gefahren. Sie hatten ihre Waffen gezogen und standen, sich gegenseitig Schutz gebend, Rücken an Rücken und starrten in die Dunkelheit. Dann tauchte vor ihnen ein … Ihnen stockte der Atem. Tarrington-Touluse riss seine Waffe hoch und feuerte.

Die Kugeln durchdrangen den Körper ohne auch nur ein bisschen Schaden anzurichten. Das Vieh rannte weiter auf sie zu und rammte Tarrington-Touluse. Der stürzte nach hinten und blieb reglos lieben.
 

Mitten in der Bewegung gefror Dean regelrecht. Sam rannte in ihn hinein. Bevor er aber auch nur fragen konnte, was los war, sah er einen riesigen, gespenstisch leuchtenden Hund. Es sah aus, als ob ihm flüssiger Phosphor aus dem Maul tropfen würde.

„DEAN!“, brüllte Sam und riss seine Schrotflinte hoch.

Auch der Blonde reagierte endlich. Noch aus der Bewegung schoss er fast zeitgleich mit Sam.

Der Geisterhund löste sich vor den, vor Entsetzen geweiteten, Augen des Agenten auf.

Dean rannte zu den FBI-lern.

Sam lud seine Waffe nach und sicherte die Umgebung.

„Sind Sie okay?“, wollte der ältere Winchester wissen.

„Das … das….“ Traven brach ab.

„Sind Sie okay?“, Dean betonte jedes Wort und legte dem Mann seine Hand auf den Arm.

„Ja, ich … Mein Partner…“

Sofort ging der Winchester neben Luca-Lorenzo Tarrington-Touluse in die Hocke. Er suchte den Puls und tastete, als er diesen gefunden hatte, den Mann nach größeren Verletzungen ab. Blut sickerte aus einer Kopfwunde.

„Sam! Such einen trockenen Platz und mach 'nen Kreis“, forderte Dean. Erste Tropfen fielen vom Himmel und das Grollen in der Ferne kündigte ein heftiges Gewitter an.

„Ich will ihn nicht allzu weit transportieren. Er hat eine Platzwunde am Kopf. Soweit ich sehen kann scheint sonst alles mit ihm in Ordnung, aber vielleicht hat er innere Verletzungen. Helfen Sie mir, ihn zu meinem Bruder zu schaffen.“

Traven nickte nur und fasste seinen Partner an den Beinen. Dean steckte die Schrotflinte in seinen Bund und schob dann dem Bewusstlosen die Hände unter die Schultern.

So vorsichtig wie es ging trugen sie den Mann etwas näher an das Haus heran zu einem Baum, den Sam als halbwegs sicher und mit einem hoffentlich möglichst regendichten Blätterdach ausgesucht hatte.

Dean ließ Luca-Lorenzo zu Boden gleiten und ignorierte die fragenden Blicke, die Nick zwischen den Brüdern hin und her huschen ließ.

„Du passt auf ihn auf und wir sehen zu, dass wir den Bekloppten aufhalten“, sagte Dean zu seinem Bruder.

„Dean, ich…“

„Ich will, dass du hier bleibst und ihn beschützt!“

Sam verdrehte die Augen. Das war mal wieder so typisch.

„Willst du den Colt?“, fragte er mit unterdrückter Wut.

„Das wäre Verschwendung von Munition. McKinney ist nur ein Mensch und bei dir ist der Colt sicherer.“ wehrte Dean kopfschüttelnd ab. Er stopfte sich noch ein paar Salzpatronen in seine Tasche.

Sam starrte ihn mit großen Augen an. Sein Bruder hatte das mit solch einer Sicherheit gesagt. ‚Woher wusste der das?’

Dean wandte sich unterdessen an Nick: „Wollen wir?“

Der Agent schaute immer noch entsetzt zwischen den Winchesters hin und her um dann den Blick auf seinem Partner zu fokussieren.

„Ich könnte schon Hilfe brauchen“, sagte Dean so ruhig wie möglich, „und je schneller wir das erledigen, um so schneller kann ihrem Partner wirklich geholfen werden.“

Nick nickte endlich. Er straffte sich und folgte dann dem älteren Winchester.

„Sei vorsichtig, Sammy!“, sagte der noch und war bald darauf in der Dunkelheit verschwunden.

Sorgen und ein Schuss

51) Sorgen und ein Schuss
 

Sam untersuchte Luca-Lorenzo Tarrington-Touluse noch einmal und ließ sich dann neben dem Bewusstlosen nieder.

‚So langsam sollte der doch mal wach werden, oder?’ Missmutig schaute Sam in den dichter werdenden Regen. ‚Hoffentlich hält der Salzkreis!’

„Verdammt!“, knurrte Sam. Warum benahm sich Dean denn jetzt schon wieder wie vor der ganzen Höllenhund-Geschichte. Wieder ließ er Sam die ungefährlichen Dinge tun, wieder rannte er planlos auf den Feind zu! Wieso konnte der andere FBI-ler nicht auf seinen Partner aufpassen?

Er hatte sich monatelang um Dean gekümmert, hatte ihn gehegt und versorgt und war immer da gewesen, wenn der was brauchte und jetzt wurde er wieder abgeschoben? 'Pass auf den Verletzten auf.' Als ob das so schwer wäre in einem Salzkreis zu bleiben.

Und was hieß das überhaupt: McKinney ist bloß ein Mensch? Woher wollte Dean das denn bitteschön wissen? Konnte der jetzt Dämonen sehen?

Plötzlich tauchte der Geisterhund aus einer Senke auf und kam direkt auf sie zu gerannt und Sam hatte keine Zeit mehr auf Dean wütend zu sein.
 

Die Gedanken im Kopf von FBI-Agent Nick Traven fuhren Achterbahn. Sein Gehirn weigerte sich schlicht und ergreifend zu akzeptieren, was seine Augen gesehen haben wollten.

Er versuchte dem Mann vom Naturschutz so gut es ging zu folgen. War das normal, dass der sich fast lautlos durch die Bäume bewegte?

Jetzt trat er schon zum zweiten Mal auf einen trockenen Ast. Es knackte ziemlich laut und er sah den Mann vor sich wieder zusammenzucken. So wie der sich bewegte, musste er doch eine militärische Ausbildung haben!

Wieder stolperte Nick.
 

Sie hatten das Grundstück fast erreicht. Dean spürte, dass der Agent hinter ihm ein reines Nervenbündel war und er hoffte, dass er sich zusammenreißen und seine Arbeit machen würde, wenn ihnen der Hund oder etwas anderes Furchteinflößendes begegnen würde. Er fühlte sich so gar nicht wohl dabei, nicht Sam an seiner Seite zu wissen. Aber es war ihm lieber, wenn der den Verwundeten bewachte, denn das traute er dem FBI-Agenten auch nicht unbedingt zu. Er glaubte nicht, dass der wirklich im Salzkreis bleiben würde. Und ob er die Nerven behielt, wenn der Regen das Salz aufgelöst haben und der Hund angreifen würde, war erst recht fraglich.

Dean schlich, jede Deckung nutzend zu den flackernd erleuchteten Fenstern. Traven blieb hinter ihm.

Kurz schaute der Winchester in das Zimmer und seine Nackenhaare stellten sich auf.

Durch den Raum waberten milchige Schwaden und McKinney stand vor einem grünlich leuchtenden Becken aus dem die Schwaden kamen.

„Wir sollten zusehen, dass wir da rein kommen, bevor der noch mehr Schaden anrichten kann“, flüsterte Dean und versuchte so schnell es die Vorsicht zuließ zur Tür zu kommen.

Nick folgte ihm und konnte die Fragen, die sich in sein Gehirn aufbauten nicht mehr so ganz verdrängen. Wer war der Mann vor ihm? Das konnte doch kein normaler Ranger sein? Wo lernte einer vom Naturschutz sich so zu bewegen? Der hatte eine militärische Ausbildung! Wieso hatten er und sein Partner Schrotflinten mit? Wieso schleppten sie einen antiken Colt mit sich rum? Hatte er nicht vorhin Bruder statt Partner gesagt? Und was war dieser Hund, dass er sich auf einen Schuss hin einfach so auflöste, obwohl weder seine noch die Kugeln seines Partners etwas hatten ausrichten konnten? WAS LIEF HIER AB?

Dean hingegen war schon um die Ecke verschwunden und Nick beeilte sich ihm zu folgen.

Er fand den Blonden vor der Tür hockend und irgendetwas an dem Schloss herumfummeln.

„Sollten wir nicht klingeln?“, fragte Nick leise.

Über ihnen zuckten die ersten Blitze.

„Damit wir ihn warnen? Nein. Wir überraschen ihn lieber“, antwortete Dean und schob die Tür mit einem Lächeln auf.

„Nach Ihnen!“, wies er dem Agenten den Weg.

Gerade als er die Tür wieder geschlossen hatte krachte der erste Donnerschlag und verkündete einen Blitzeinschlag ganz in der Nähe und im selben Augenblick öffnete der Himmel seine Schleusen.

Dean hoffte nur, dass Sammy einigermaßen sicher war und sie McKinney schnell genug stoppen konnten, bevor das Salz aufgeweicht war.
 

Immer mehr dicke, eisige Tropfen trafen Sam, vereinigten sich und liefen ihm über Hals und Nacken den Rücken hinunter, eine Gänsehaut hinterlassend. Der Wind frischte immer mehr auf und peitschte zwischen den Bäumen hindurch.

Luca-Lorenzo Tarrington-Touluse kam zu sich. Sam war sofort bei ihm.

„Nick?“, fragte Luca.

„Der ist mit meinem Partner weg.“

„Wohin?“

„Sie wollen sich noch mal bei McKinney umschauen.“

„Wo sind wir?“ Luca Lorenzo Tarrington-Touluse versuchte sich aufzusetzen. Er stöhnte und griff sich an den Kopf. Er zitterte leicht. Selbst im fahlen Licht der Taschenlampe wirkte er blasser als er es sein dürfte.

Der Winchester kniete sich hinter ihn und versuchte ihn zu stützen.

Und dann kam der Hund durch die Bäume auf sie zu. Völlig lautlos.

Tarrington-Touluse begann zu würgen.

Er kippte zur Seite und übergab sich.

Auch Sam musste immer wieder hart schlucken. Dass sie heute noch nicht viel gegessen hatten, war zumindest jetzt ein Vorteil.

Er wartete mit der schussbereiten Schrotflinte auf den Angriff.

Gerade als Sam abdrücken wollte, prallte der Hund gegen die Salzbarriere.

Der Winchester holte tief Luft und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem noch immer würgenden Staatsbeamten zu. Er packte ihn an den Schultern und zerrte ihn zum Baum, wo er ihn an den Stamm lehnte. Kurz testete er dessen Pupillenreaktion. Luca Lorenzo Tarrington-Touluse hatte eine Gehirnerschütterung, soviel stand fest.

Langsam hatte der Geisterhund die Salzbarriere umkreist. Jetzt kam er ins Sichtfeld des angeschlagenen Tarrington-Touluse. Der riss entsetzt die Augen auf, japste nach Luft und versuchte aufzustehen.

Sein Kopf quittierte diese unüberlegte Aktion mit einer heftigen Schmerzattacke und auch sein Magen rebellierte wieder.

Stöhnend sank er erneut zu Boden und verlor das Bewusstsein.

Sam warf einen kurzen Blick auf den Mann. Er ging zu ihm und vergewisserte sich, dass der sonst in Ordnung war und wandte dann seine volle Aufmerksamkeit dem Geschehen außerhalb des Kreises zu.

Der Geisterhund rannte immer wieder gegen die Barriere. Der Winchester hoffte, dass sie noch eine Weile standhalten würde. Das einzig Beruhigende daran, dass der Hund hier war, war, dass Dean und der zweite FBI-Agent zumindest von dem Vieh nichts zu befürchten hatten.
 

Die Einbrecher schlichen langsam über den Marmorboden.

Das grünliche Leuchten, das unter einer der Türen hindurch drang, wies ihnen den Weg.

Sie stellten sich links und rechts der Tür auf. Dean griff nach dem Türknauf.

Wieder ließ krachender Donner das Haus erzittern.

Dean riss die Tür auf und sprang mit vorgehaltener Waffe in den Raum.

Seine Ohren klingelten von dem Donnerschlag.

„Von dem Kessel weg!“, brüllte er.

McKinney reagierte nicht. Er drehte sich noch nicht mal zu ihnen um oder ließ sonst irgendwie erkennen, dass er bemerkt hatte, dass er plötzlich nicht mehr allein im Raum war.

Noch bevor Dean einen Schritt machen konnte, war Nick Traven hinter den Mann getreten und drehte ihn zu sich herum.

Mit vor Wut verzerrtem Gesicht starrte das Männchen sie an.

„Wie können sie es wagen mich zu unterbrechen!“, zeterte er mit einer Fistelstimme, die Dean eine Ganzkörper-Gänsehaut bescherte.

„Ich muss es zu Ende bringen. Heute ist die richtige Nacht dafür!“

Dean verdrehte die Augen: ‚Menschen!’

McKinney wand sich im Griff des FBI-Agenten. Dann drehte er sich plötzlich zu Nick um und versuchte ihm die Pistole aus der Hand zu reißen.

Ein Schuss löste sich und der Agent taumelte ein paar Schritte zur Seite.

Sofort sah sich Dean, der sich bei dem Handgemenge nicht hatte entschließen können zu schießen, vor ihm standen trotz allem Menschen, der drohend auf ihn gerichteten Mündung von Travens Waffe gegenüber.

„Schieß!“, forderte Nick keuchend.

Deans Hände ruckten etwas höher. Er zielte sorgfältig. Und doch. Er konnte sich nicht dazu durchringen einen Menschen zu erschießen. Es war ein Mensch. Ein durchgeknallter - waren sie das nicht fast alle? - ein bösartiger, raffgieriger Mensch, aber ein Mensch!

Er würde ohne zu zögern schießen, wenn ein Dämon in diesem Körper wäre. Aber so?

„Lass die Waffe fallen!“, quietschte McKinney und riss Dean aus seinen Gedanken.

„Los! Runter damit!“

Dean nickte. Nur am Rande bekam er das frustrierte Stöhnen Travens mit und ließ den Lauf der Waffe nach unten kippen. Langsam ging er in die Hocke. Vorsichtig legte er seinen Colt auf den Boden, nie würde er ihn einfach fallen lassen!

McKinney überbrückte die Distanz zwischen sich und Dean mit ein paar trippelnden Schritten. Hastig kickte er den Colt unter die Couch, die am Fenster stand.

Die Augen des Winchesters suchten die von Nick. Wie sehr wünschte er sich jetzt Sam an seiner Seite. Okay, dann wäre der wieder verletzt worden und er würde sich wieder die Schuld geben, aber Sam würde ihn verstehen, wortlos verstehen! So konnte er nur hoffen, dass Nick begriffen hatte, was er von ihm wollte.
 

McKinney packte Dean am Oberarm und zerrte ihn zu der Schale aus der immer noch grüner Nebel waberte.

Das Männchen hatte mehr Kraft, als Dean ihm jemals zugetraut hätte. 'Half ihm hier auch etwas Übernatürliches?', überlegte Dean.

„Mach die Kette ab und leg sie da rein!“, befahl McKinney.

„Vergiss es!“, knurrte der Blonde.

Sofort bohrte sich die Mündung von Nicks Waffe in seinen Kiefer.

„Vergiss es!“, wiederholte Dean bockig. Er würde seinen Talismann nie für irgendwelchen Mumpitz hergeben.

Traven richtete sich auf. Er hatte Dean verstanden, zumindest glaubte er das. Er würde versuchen sich von hinten an McKinney heranzuschleichen und ihn zu entwaffnen.

Ein leises Stöhnen entrang sich seiner Kehle.

Sofort drehte sich der Geisterhundbeschwörer zum dem FBI-Agenten um.

Dean versuchte seinen Arm zu befreien und brachte damit dessen Aufmerksamkeit wieder auf sich.

Das Männchen starrte ihn wütend an und drückte die Waffe noch fester gegen Deans Kinn.

„Keine Bewegung“, zeterte er und riss ihm den Talisman vom Hals.

Ein irres Leuchten flackerte in den Augen McKinneys als er die Kette in die Schale warf. Er wandte seine Aufmerksamkeit der Schale zu und murmelte einige lateinische Formeln. Der Druck gegen Deans Kinn erhöhte sich noch und er überlegte, wie er sich möglichst ohne die Aufmerksamkeit des Irren auf sich zu lenken, bewegen und der Waffe entkommen konnte. Denn egal wer die Waffe abdrücken würde, an der Stelle wäre eine Kugel auf jeden Fall tödlich!
 

Nick richtete sich auf. Er verzog das Gesicht vor Schmerzen, als er eine unbedachte Bewegung machte.

Dean spannte sich so gut er es konnte.

Nick sprang. Er schlug den Arm, der Dean bedrohte weg und riss den Geisterbeschwörer von den Füßen. Schmerzhaft keuchte er, als er auf seinen Arm fiel. Sofort warf sich Dean auf McKinney und versuchte den zu bändigen. Das kleine Männchen gebärdete sich wie wild. 'Wieso war der so wendig und wieso hatte der so viel Kraft? Was hatte der genommen?', fragte sich Dean erneut. Die Mündung der Waffe zielte schon wieder auf ihn. Er versuchte die Hand von sich weg zu drehen, oder noch besser dem Mann endlich die Waffe wegzunehmen.

Wieder löste sich ein Schuss.
 

Der Regen hatte den Schutzkreis unter dem Baum aufgelöst. Sofort startete der Hund einen neuen Angriff.

Sam riss die Schrotflinte hoch und feuerte. Der Angriff wurde abrupt gestoppt, als sich der Hund auflöste. Der Winchester warf einen Blick auf Luca Lorenzo und atmete erleichtert auf, als er sah, dass der noch nicht wieder zu sich gekommen war.

Wieder startete der Hund einen Angriff. 'Er musste stärker geworden sein, doch wodurch?', überlegte Sam.

Aber noch bevor er wieder abdrücken konnte erstarrte der Hund. Er hob den Kopf, wandte sich ab und hetzte in Richtung McKinneys Haus.

'Oh mein Gott, Dean!', schoss es Sam durch den Kopf. Er riss seine Waffe hoch und schoss noch einmal auf das Vieh. Hoffentlich konnte er ihn so vielleicht noch etwas aufhalten, oder mit ganz viel Glück wieder auf sich lenken.

Aus dem Sumpf

52) Aus dem Sumpf
 

Der Schmerz jagte durch Deans Körper. Einen Augenblick lang verlor er die Gewalt über sich und ihm wurde schwarz vor Augen. Er kippte zur Seite.

Nick versuchte fast schon verzweifelt McKinney auf dem Boden zu halten.

Mit einem wütenden Knurren kam Dean wieder auf die Beine. Warum mussten ihm eigentlich alle in die Schulter schießen? Okay, diesmal war es die rechte, aber trotzdem!

Fiel das jetzt unter „Aller guten Dinge sind Drei?“

Er kroch zu dem kämpfenden Knäuel und warf sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Übeltäter.

„Fessel ihn!“, keuchte er und Traven beeilte sich Deans Worten nachzukommen. Er zog seine Handschellen hervor.

Endlich hatten sie McKinney mit vereinten Kräften die Hände hinter dem Rücken an einem Couchbein fixiert.

Ein unheilvolles Jaulen wehte über das Moor.

Dean kippte auf den Rücken. Ihm war schlecht. Seine Gedanken rasten genau wie sein Herz, das immer mehr Adrenalin durch seinen Körper pumpte.

Trotzdem versuchte er ruhig und langsam zu atmen.

„Dean? Alles okay?“, drang Nicks Stimme endlich zu ihm durch. Er blinzelte, holte noch einmal tief Luft und nickte dann.

„Wir müssen das hier verbrennen“, erklärte er heiser und lies sich von Nick auf die Beine helfen. Er zog die Schrotflinte aus seinem Bund, die sich hart in seinen Rücken gepresst hatte.

Er wollte sie gerade zur Seite legen, als der Hund durch die Wand in den Raum kam und sich sofort auf ihn stürzen wollte. Er riss die Waffe hoch und feuerte.

Der Hund verschwand.

„Kannst du ihn in Schach halten?“, fragte Dean gepresst und fasste Nick, der mit schreckgeweiteten Augen mitten im Raum stand, am Arm.

Traven riss sich zusammen und nickte: „Was hast du vor?“

„Ich werde dem Spuk ein Ende bereiten.“ Der Winchester warf dem Agenten die Flinte zu. „Einfach drauf halten!“, grinste er schief. Er stakste zu dem Becken, aus dem es noch immer dampfte und stieß es um. Seinen Talisman und ein weißes Taschentuch fischte er aus der sich auf dem Boden verteilenden Brühe und stopfte sie in seine Tasche. Dann schüttete er genügend Salz auf die Suppe und kippte das Benzin darüber.

Nick lud gerade zum zweiten Mal nach als der Winchester ein Streichholzbriefchen anzündete und es einfach fallen ließ. Sofort leckten die Flammen über den Boden und verbrannten die ebenfalls in der Brühe liegenden Knochen und Kräuter.

Wieder erschien der Hund, doch bevor Nick erneut schießen konnte, löste der sich vor seinen entsetzten Augen auf.

Dean drehte sich zu Nick um und grinste.
 

„Was war das?“, fragte der Agent keuchend, mit vor Entsetzen noch immer weit aufgerissenen Augen.

„Willkommen in meiner Welt“, antwortete der Winchester leise und hielt Nick das Taschentuch hin. Jemand hatte kunstvoll ein Monogramm darauf gestickt: „Jetzt weißt du auch warum euch der Hund im Sumpf angefallen hat“, sagte er und deutete auf das LLTT, dass ineinander verschlungen eine Ecke zierte. „Ich denke er wird es wiederhaben wollen.“

„Ja, denke ich auch“, erwiderte Nick leise.

„Wir sollten deinen Arm verbinden“, stellte Dean fest und deutete auf den blutdurchtränkten Ärmel.

„Lass mich zuerst deine Schulter sehen.“

Dean zog sich Jacke und Hemd aus und quälte sich dann etwas umständlich aus dem T-Shirt. Mit einem leisen Stöhnen sank er auf den Boden.

Nick begriff erst nach einer Weile, dass er das Shirt, das Dean ihm hinhielt aus Verband nutzen sollte und versuchte sich von dem Anblick, den der gesamte Oberkörper des Blonden bot, loszureißen. Was hatte ihn so zugerichtet? Das waren doch Verletzungen gewesen, oder? Aber so was konnte man doch gar nicht überleben, oder? Doch Dean lebte!

„Sorry!“, nuschelte er und begann das Shirt in Streifen zu reißen.

Vorsichtig tastete er die Einschussstelle ab, er wollte ihm weder bei der Wunde wehtun noch die noch nicht lange verheilten Wunden irgendwie reizen.

Dean spürte die Unsicherheit: „Die tun nicht mehr weh. Zumindest nicht äußerlich“, sagte er leise mit zusammengebissenen Zähnen.

Nick schaute ihn kurz an, dann untersuchte er die Austrittswunde. So vorsichtig wie er nur konnte und ohne dass der Verband zu sehr behinderte, wickelte er den Stoff fest genug um die Schulter, um damit die Blutung stoppen zu können.

Etwas umständlich zog Dean sich daraufhin wieder an und befreite Nick damit vom Anblick seiner Höllenhund-Wunden.

„Jetzt du.“ Dean machte eine einladende Geste und Nick ließ sich auf den Boden sinken.

Der Donner grollte inzwischen unablässig mal näher, mal weiter. Der Regen klatschte an die Fenster.

Mit schnellen, geübten Griffen hatte der Winchester den Arm verbunden.

Plötzlich sah er wie sich die Augen des FBI-Agenten vor Schreck weiteten und er nach seiner Waffe griff. Dean ließ sich zur Seite fallen.

Ein weiterer Schuss hallte in dem Raum wider.

Dean starrte auf McKinney, der hinter ihm stand, die gefesselten Hände um ein Messer gekrampft und hoch erhoben. Er war in seinen Bewegungen erstarrt. Schwankend stand er inmitten seines Wohnzimmers, in den inzwischen erloschenen Überresten des Inhaltes der Schale. Wut verzerrte seine ohnehin schon hässlichen Züge. Dann brachen die Augen und er sackte in sich zusammen.

Nick ließ seinen Revolver sinken.

Die beiden Männer atmeten tief durch. Wie er sich hatte befreien können würde wohl immer ein Rätsel bleiben.

„Ich muss die Polizei benachrichtigen“, sagte der Agent leise. Dean nickte.

„Irgendetwas sagt mir, dass du ihnen nicht unbedingt hier begegnen willst“, stellte er fest.

Wieder nickte Dean.

„Wer bist du wirklich?“, wollte Nick wissen.

„Sam und ich jagen Übernatürliches. Geister, Dämonen, was immer uns in die Quere kommt. So was wie hier.“

„Und das soll ich dir glauben?“, der Agent war mehr als nur skeptisch.

„Du hast den Hund gesehen.“

„Ja, aber...“

„Er hat deinen Partner verletzt und doch war er nur ein Geist.“

„Das solltest du mir genauer erklären.“

„Ich bezweifle, dass du das wissen willst.“

„Ich will, aber jetzt werde ich den Sheriff anrufen und dich bitte ich: Kümmere dich um meinen Partner. Schicke ihn hier her, wenn es ihm gut geht und wenn nicht... Bitte bringt ihn in ein Krankenhaus.“

Dean nickte. Er kniete sich neben die Couch und holte seinen Colt hervor. Dann schob er die Schrotflinte in seinen Bund. Die beiden tauschten einen Blick.

Nick brachte den Blonden zur Tür. Der schlug den Kragen hoch und zog die Jacke enger um sich. Es würde nicht viel helfen. Den rechten Arm, so gut es ging an seinen Körper gepresst, rannte er los.

Eine Weile schaute der FBI-Agent noch in den Regen, in dem Dean schon längst verschwunden war, dann wischte er die Türgriffe ab und sammelte die Patronen der Schrotflinte ein. Nichts sollte auf die Anwesenheit einer dritten Person hindeuten.

Er ließ noch einen letzten Blick durch das Zimmer schweifen und ließ sich dann auf der Couch nieder und wartete auf den Sheriff.
 

„Sammy! Alles okay bei dir?“ Völlig durchnässt stand Dean vor seinem Bruder.

Der hatte ihn, Gott sei Dank, schon früh bemerkt und die Waffe wieder gesenkt.

„Sollte ich das nicht eher dich fragen?“

„McKinney ist tot und die Knochen verbrannt“, gab Dean einen kurzen Bericht. „Wie geht’s ihm?“

„Was ist mit deiner Schulter?“, wollte Sam sofort wissen, als er in Licht eines Blitzes den dunklen Fleck auf Deans Jacke gesehen hatte.

„Ist nur ein Kratzer. Was ist mit ihm?“

„Deine Kratzer kenn ich. Lass mich mal sehen!“

„Sam bitte. Du kannst es dir im Motel anschauen und von mir aus auch dran rumdoktern, aber bitte: Können wir jetzt hier verschwinden, bevor wir uns eine Lungenentzündung holen und die Bullen hier herumschnüffeln.“

Sam nickte nur verbissen.

„Was ist mit ihm?“, wollte Dean jetzt zum dritten Mal wissen.

„Ich denke er hat eine heftige Gehirnerschütterung. Er war immer wieder mal wach.“

„Dann lass uns mal sehen, ob wir ihn jetzt auch wach kriegen. Ich glaube nicht, dass wir ihn tragen können, nicht bei den Verhältnissen.“

„Wie sollen wir hier überhaupt rauskommen?“ Sam musterte Deans schlammigen Ärmel und seine bis fast an die Knie braunen Beine.

„Du gehst vor und suchst den Weg und ich komme mit ihm nach“, nicht dass sie noch wie Rotkäppchen von Weg abkämen, obwohl … den bösen Wolf hatte er ja schon getötet.

Dean grinste schief und wollte lieber nicht ergründen, wie er jetzt auf den Gedanken gekommen war.

Sam nickte.

„Sammy? Tu mir einen Gefallen. Bitte versuch nicht noch einen Schuh zu verlieren.“ Dean grinste breit.

„Trottel!“

„Schlampe!“

Sam weckte Luca Lorenzo Tarrington-Touluse und gemeinsam zerrten sie ihn ein wenig unsanft auf die Füße. Dann klemmte Dean sich den Agenten an die Hüfte, legte dessen Arm über seine Schulter. Leise stöhnte er als er dabei seinen verletzten Arm bewegen musste.

Sam musterte ihn skeptisch. Wenn Dean ihn freiwillig an seine Schulter lassen wollte, dann war das mehr als nur ein Kratzer und schon viel mehr als er ihm früher je gestattet hätte. Was war passiert?
 

Langsam bahnten sie sich ihren Weg durch das Moor. Dean musste immer häufiger anhalten und durchatmen. Seine Lunge brannte, der Schmerz in seiner Schulter jagte in Wellen durch seinen Körper und er fror.

Der Regen hatte inzwischen bestimmt schon seine inneren Organe aufgeweicht. Immerhin hatte er Sam, an dem er sich orientieren konnte und sank so nicht mehr in den Morast ein.

„Sammy! Pause!“, keuchte er erschöpft als sie einen sicheren Platz unter ein paar Bäumen erreicht hatten. Schweiß und Regen rannen ihm zu gleichen Teilen über das Gesicht.

Mit Sams Hilfe ließ er Tarrington-Touluse zu Boden gleiten. Schwer atmend stand er da und versuchte das Zittern, das durch seinen Körper lief, zu unterdrücken. Er beugte sich nach vorn und stützte sich mit der Linken auf seinem Knie ab.

„Dean?“, fragte Sam besorgt und leuchtete ihm mit der Taschenlampe ins Gesicht.

„Sammy bitte!“, knurrte der Blonde, kniff die Augen zusammen und drehte sein Gesicht aus dem Lichtkegel.

„Entschuldige“, knütterte der Jüngere und senkte die Taschenlampe. „Dir geht’s nicht gut, das seh ich doch!“

„Mit tut die Schulter weh“, gab Dean leise zu. Ihm war kalt und warm und nass und das Regenwasser brannte in der Wunde. Vielleicht war es auch der Schweiß, er wollte das nicht so genau wissen. Er wollte nur aus der Nässe raus und in ein Bett. Ein Bier wäre toll und sein Magen knurrte auch schon seit Stunden.

„Soll ich mir die Schulter ansehen?“

„Du hast hier nichts um mir helfen zu können. Also lass uns einfach zusehen, dass wir aus dem Regen kommen und ihn hier im Krankenhaus abliefern. Ich will eigentlich nur noch ins Bett.“

„Dann nehm ich Luca jetzt aber. Du hast ihn lange genug geschleppt.“

Dean nickte nur und hoffte, dass er das letzte Stück auch ohne die Gehhilfe, als die er Tarrington-Touluse benutzt hatte, schaffen würde.

„Luca, es geht weiter.“ Sam beugte sich zu dem Sitzenden. Der nickte und ließ sich auf helfen.
 

Eine halbe Stunde später hatten sie es endlich geschafft und Sam ließ den Agenten auf die Rückbank sinken.

Dean schaffte es nur noch bis zum Kotflügel seines Babys und lehnte sich schwerfällig dagegen. Seine Schulter brannte, seine Hände flatterten und er hoffte, dass seine Knie nicht jetzt noch nachgaben. Er war, wie Sam zuvor, als der den Weg angegeben hatte, ein paar Mal vom eben diesem abgekommen und bis an die Knie eingesunken. Sich aus dem Schlamm zu arbeiten hatte ihn fast mehr Kraft gekostet, als Tarrington-Touluse den Weg mehr oder weniger zu tragen.

„Dean?“, fragte Sam schon wieder mit dieser besorgten Stimme und stur, wie der Blonde nun mal war, trieb die ihn dazu sich noch einmal aufzuraffen und zur Beifahrerseite zu staksen.

Schwer ließ er sich auf den Sitz fallen. Er lehnte den Kopf gegen die kühle Scheibe und ignorierte Sams fragenden Blick.
 

Am Krankenhaus angekommen musste der jüngere Winchester Luca Lorenzo Tarrington-Touluse allein in die Notaufnahme bringen. Dean schlief und war auch nach mehrmaligem Ansprechen und mit leichtem Rütteln nicht wach zu bekommen. Außerdem fühlte er sich irgendwie warm an, obwohl er zitterte.

Also gab Sam den Mann ab, erklärte der Schwester an der Anmeldung, dass sich sein Partner später nach ihm erkundigen würde und war aus dem Krankenhaus verschwunden noch bevor ihn jemand mit weiteren Fragen aufhalten konnte.

Sein Bruder war ihm wichtiger als irgend so ein FBI-Agent mit furchtbaren Geschmacksnerven, auch wenn er dessen Partner ganz nett fand.

Kuschalalarm

53) Kuschelalarm
 

So schnell es ging fuhr Sam ins Motel.

Nach mehrmaligem starkem Rütteln blinzelten ihn müde, grüne Augen an und noch ein paar Minuten später quälte sich Dean aus dem Wagen und stakste auf wackeligen Beinen zu ihrem Zimmer. Sofort steuerte der Blonde sein Bett an.

„Nix da! Du setzt dich jetzt auf den Stuhl und ich verpacke deine Schulter so wasserdicht wie möglich und dann gehst du in die Wanne und nimmst ein heißes Bad. Ich hab keine Lust mir morgen dein Gejammer anzuhören, weil du krank bist, geschweige denn hab ich Bock auf deine Triefnase!“

Dean schaute seinen Bruder ungläubig an und Sam machte sich auf eine längere Diskussion gefasst, die nicht kam. Der Blonde zuckte mit den Schultern und bereute diese Aktion augenblicklich als Schmerzen durch seinen Körper rasten. Folgsam tappte er zu dem Stuhl und ließ sich leise stöhnend darauf fallen.

Sam half ihm aus den Sachen und nahm den Verband ab.

„Ich glaube nicht, dass ich sie noch nähen kann“, sagte er leise und der Blonde nickte resigniert.

Schnell hatte der Jüngere die Wunden mit wasserdichtem Pflaster verschlossen. Eigentlich hätte er sie lieber sofort behandelt, aber sie blutete kaum noch und so sehr wie Dean zitterte würde er das nicht können, ohne ihm noch mehr weh zu tun.

Vorsichtig zog er den Blonden wieder auf die Füße, schob ihn ins Bad und half ihm sich umständlich aus seinen restlichen Sachen zu schälen.

Dann ging er in die Küche um ihnen beiden eine heiße Zitrone zu machen.
 

Als Sam wieder ins Bad kam grinste er breit. Er stellte erstmal die Tasse auf den Wannenrand und betrachtete sich in Ruhe seinen Bruder.

Dean war leicht zur Seite gerutscht. Sein Kopf lag auf dem Wannenrand und er schlief. In seinen kurzen Haaren hingen noch immer einige Matschspritzer, die selbst der Gewitterregen nicht hatte wegspülen können. Sam lächelte und prüfte das Wasser. Dann drehte er den Warmwasserhahn auf, damit Dean sich nicht noch wegen seines Wannen-Nickerchens erkältete. Vorsichtig legte er Dean die Hand auf die Schulter.

„Dean?“

Der Blonde ruckte hoch und blinzelte.

„Trink“, sagte Sam und drückte Dean die Tasse in die Hand.

Immer noch blinzelnd gehorchte er widerspruchslos.
 

Sam schüttelte den Kopf. Wie schlecht ging es Dean?

„Schwimm nicht zu weit raus und falls du Hilfe brauchst, einfach schreien. Ich warte nebenan mit 'nem Schwimmring“, stichelte er und ging zurück ins Zimmer um auch endlich aus seinen nassen Klamotten zu kommen. Er suchte sich die Sachen zusammen, die er für Deans Wunde brauchen würde und setzte sich dann auf sein Bett, um in Ruhe durchatmen und das Ganze nochmals überdenken zu können.

Das Planschen im Bad ließ ihn schnell wieder aufschrecken. Er riss die Tür auf und schaute auf einen Dean, der etwas umständlich aus der Wanne kletterte.

„Hier!“, sagte er nur, griff nach dem Handtuch und warf es seinem Bruder zu. „Oder brauchst du Hilfe?“

Er erntete einen bösen Blick und schloss die Tür grinsend.
 

Einige Minuten später, Sam wollte gerade wieder ins Bad gehen, kam sein Bruder zurück ins Zimmer geschlurft.

„Setzt dich aufs Bett“, sagte Sam und wieder gehorchte Dean wortlos. Langsam wurde das dem Jüngeren doch unheimlich: „Christo?“

Ein Lächeln huschte über Deans Gesicht, bevor er sich müde aufs Bett fallen ließ.

„Hast du Hunger?“

Ein Kopfschütteln ließ Sam schon wieder seine Augen vor Schreck weit aufreißen.

„Christo! Wer bist du und was hast du mit meinem Bruder gemacht?“

„Lass uns einfach nur hier fertig werden, mir reicht’s für heute“, nuschelte der Blonde müde.

Sam nickte und untersuchte die Wunden erneut. Nein, die konnte er nicht nähen. Er verteilte großzügig Rubys Salbe um die Schusswunden und hoffte, dass diese sich nicht entzünden würde.

Der Blonde hatte die ganze Zeit keinen Ton von sich gegeben, sondern nur hin und wieder etwas geräuschvoller ausgeatmet. Doch kaum hatte Sam den Verband um Deans Schulter geschlungen als der plötzlich zur Seite kippte.

„Dean?“, quietschte Sam erschrocken.

Die grünen Augen öffneten sich einen Spalt breit und er brummelte etwas, dann war er aber auch sofort eingeschlafen.

Der Jüngere holte tief Luft, versorgte noch die Mückenstiche und deckte Dean dann zu.

Endlich konnte auch er duschen gehen und kroch, nachdem er die Sonne, die schon wieder aufgegangen war, mit Hilfe der Vorhänge ausgesperrt hatte, erschöpft ins Bett.

„Schlaf gut, Dean!“, sagte er leise und drehte sich zu seinem Bruder.

„Nacht, Mom!“

Sam riss noch einmal kurz die Augen auf wurde dann aber auch zu schnell vom Schlaf übermannt, um noch über die Worte nachdenken zu können.
 

Sam war wie üblich vor Dean wach. Er hatte mit Nick Traven telefoniert und sich erkundigt, ob alles gut gegangen war und wie es Luca Lorenzo Tarrington-Touluse ging.

„Hunger!“, war das erste verständliche Wort, das Dean kurz nach dem Aufstehen artikulierte.

Sam grinste ihn breit an.

„Wenn du ausgehfein bist können wir essen gehen. Nick hat uns eingeladen. In Old Town ist ein Grieche, da soll es Portionen selbst für dich geben.“

Dean grummelte leise und schlurfte ins Bad.

„Wie geht es deiner Schulter?“

„Geht schon.“

Sam drückte Dean noch einen Kaffee in die Hand.
 

Sie saßen schon eine Weile, als Nick zu ihnen an den Tisch kam.

„Ich komme grade von Luca. Es geht ihm ganz gut. Er meckert über das Essen. Kein Knoblauch, keine Sojasoße und zu wenig Süßstoff. Aber morgen darf er raus. Danke noch mal, dass ihr ihn ins Krankenhaus gebracht habt. Habt ihr schon bestellt?“

„Keine Ursache, ja“, antwortet Dean.

Kurz schaute Nick verwirrt, dann lachte er nickend. Auch er bestellte und schaute nicht schlecht, als der Kellner eine Schlachtplatte für zwei Personen vor Dean stellt und der sich ohne ein weiteres Wort darüber hermachte. Den Salat schob er großzügig an den Rand.

„Meinst du nicht, dass das selbst für dich zu viel ist?“, wollte Sam wissen.

„Hatte seit gestern früh nichts mehr“, nuschelte der Blonde mit vollen Backen kauend.

„Eben Dean!“

„Hab heute meinen Anti-Diät-Tag!“

„Du hast was?“, wollte Nick wissen nachdem er den Schluck Wein, den er im Mund hatte, erfolgreich in seinen Magen befördert und nicht quer über dem Tisch verteilt hatte.

„Muss Kalorien auffüllen!“

„Du weißt was Kalorien sind?“ Sam schaute gespielt verwundert.

„Ja! Die kleinen Tierchen, die DIR nachts die Klamotten enger nähen!“

Sam verschluckte sich, hustete und Dean klopfte ihm brüderlich den Rücken.

„Alles okay?“, erkundigte er sich mit gespielter Besorgnis.

„Trottel!“

„Miststück!“

„Ihr seid keine Partner!“, stellte Nick ruhig fest.

Die beiden schauten sich eine Weile an, dann schüttelten sie gleichzeitig die Köpfe.

„Nein, wir sind Brüder“, erklärte Dean ruhig.

„Und ihr macht so was öfter?“

„Es ist unser Job“, sagte Sam leise.

Sie schwiegen als die Bedienung mit Nicks Essen kam.
 

„Woll’n wir noch was trinken gehen?“, fragte Nick, der sich gerade breitschlagen lassen und den Winchesters die Rechnung überlassen hatte.

„Du musst nicht denken, dass das billiger wird.“ Dean schlug dem Agenten grinsend auf die Schulter.

„Wie geht’s eigentlich deinem Arm?“

„Geht so, und deiner Schulter?“

„Geht so!“

Die drei Männer grinsten sich breit an und suchten sich eine Bar in der Nähe ihres Motels.
 

Sie saßen schon eine ganze Weile und die Kellnerin flirtete inzwischen ungeniert mit dem blonden Winchester.

„Ihr sagt also, das Geister jagen ist euer Job“, begann Nick das beim Essen abgebrochene Gespräch wieder aufzunehmen, weil er sich das einfach nicht vorstellen konnte, wie jemand so was freiwillig und dann auch noch sozusagen beruflich machen sollte. „Wie kommt man zu so einem Job?“

„Wir hatten einen miesen Berufsberater!“, knurrte Sam und fing sich einen fragenden, leicht wütenden Blick seines Bruders ein.

„Ist so was wie unsere Familienbestimmung“, sagte Dean leise.

„Das soll dann heißen, dass alles was sie in den Horrorfilmen zeigen echt ist?“

„King-Kong und Godzilla sind erfunden und das einzig lebende Exemplar eines Bigfoots sitzt neben mir!“

Dean bekam einen harten Schlag gegen den Oberarm.

„Hey, ich bin verletzt“, schmollte er. Jedoch nicht lange, dann stellte ihm die heiße Kellnerin ein neues Bier vor die Nase und seine Augen wurden magisch von ihrem Körper angezogen. Sie hatte ein irres Hinterteil, dass sie in einem knappen ledernen Minirock verpackt hatte, ein knappes Oberteil, welches fast mehr zeigte als es verhüllte und ihre Lippen waren zu einem perfekten Schmollmund verzogen.

Sie wackelte aufreizend mit ihren Hüften als sie wieder zur Theke ging.

Sam grinste und machte sich darauf gefasst, dass er diese Nacht alleine zum Motel fahren musste. Er wünschte Dean gedanklich schon mal einen schönen Abend und gönnte es ihm von ganzem Herzen. Wann hatte Dean das letzte Mal so ein Abenteuer gehabt?

Warum allerdings ein leicht trauriger Schimmer in seinen Augen lag konnte Sam sich nicht erklären.
 

Die Kellnerin kam erneut mit einer Runde Bier und wieder war Deans Aufmerksamkeit vollkommen von ihr gefangen genommen. Sie beugte sich zu ihm hinab und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen.

Nur zu gerne ließ der Blonde sich darauf ein.

Nick schaute überrascht zu Sam, doch der machte keine Anstalten, als ob ihn das stören würde.

„Ist das normal?“, fragte Nick Sam.

„Es gab eine Zeit, da war es das.“

„Wie wäre es mit uns beiden?“, flüsterte die Kellnerin in Deans Ohr und ihr Atem strich über seinen Hals. „So wie du küssen kannst wird das eine heiße Nacht.“

Er schluckte hart.

„Tut mir leid, ich kann nicht“, erklärte Dean rau und sein ganzer Körper schimpfte ihn einen Verräter.

„Willst du dir das nicht noch mal überlegen?“ Ihre Hand lag in seinem Nacken und sie küsste ihn wieder heiß und verlangend und bewies ihm, was ihm entgehen würde.

„Es … geht nicht“, ihm versagte fast die Stimme.

Sie hob bedauernd die Schultern: „Du weißt nicht was du verpasst!“

„Und wie ich das weiß!“, nuschelte er so leise, dass nur Sam ihn verstand und der musterte ihn auch sofort verwundert.

„Wie soll ich das denn wohl erklären?“, fauchte der Blonde nachdem er die Flasche in einem Zug geleert hatte und zog sein Shirt leicht in die Höhe, dass es einen Teil seines rosig leuchtenden Bauches freigab.

Sams Augen weiteten sich erschrocken. Er hatte nicht daran gedacht, dass Dean das stören könnte.

„Tut mir leid!“

„Ist doch nicht deine Schuld, Sammy. Ich wollte es ja so“, sagte der Blonde leichthin und wuschelte seinem Bruder durch die Haare.

Sam wollte ihm so gerne glauben, doch Deans Ton sagte ihm nur zu deutlich, dass er das nicht so leicht nahm, wie er es ihn glauben machen wollte.

„Tut mir leid!“, wiederholte Sam seine Entschuldigung.

„Du lebst und das ist wichtiger als jede Frau auf der Welt. Außerdem wird es irgendwann auch wieder normal aussehen und dann mach dich auf was gefasst!“ Dean grinste, nahm Sam die Bierflasche aus der Hand und trank sie ebenfalls in einem Zug aus. Sofort orderte er Nachschub, inklusive einem doppelten Whiskey für sich.

Nick schüttelte den Kopf.

„Darf ich fragen, was passiert ist?“, wandte er sich an Sam, da Dean der Kellnerin hinterher sabberte.

„Nachher“, antwortete Sam und legte seine Hand auf Deans Arm. Der hatte, noch während Kim, die Kellnerin, das Bier abstellte, den Whiskey runtergestürzt und sofort die nächste Runde für sich bestellt.

„Dean, hör auf dich zu quälen und sprich sie an!“

„NEIN!“, antwortete der stur und trank sein Bier in einem Zug aus.

Die Kellnerin hatte noch nicht aufgegeben, sah sie doch wie zwiespältig das Verhalten des Blonden war.

Dean jedoch blieb dabei ihr hinterher zu starren und seinen Kummer im Alkohol zu ertränken. Und er schwor sich, dass er drei Bier und zwei Whiskey später, hemmungslos mit Sammy rumknutschen würde, sollte sie ihn noch immer anbaggern.
 

Sam kam um diese Kuschelattacke von Dean gerade so herum. Kim hatte, noch während sie dem Blonden die dritte Runde brachte ein offensichtlich lohnenderes Objekt für ihre Flirtversuche gefunden.

Der Blonde atmete erleichtert auf und wurde schon wieder mit einem besorgten Blick von Sam gemustert.

Alkoholische Folgen

54) Alkoholische Folgen
 

„Isch habisch liep, Schammy!“, lallte Dean, an die Schulter seines Bruders gekuschelt, nachdem der es, zusammen mit Nick, endlich geschafft hatte Deans exzessiver Alkoholvernichtung ein Ende zu setzen und ihn aus der Bar zu befördern.

„Du bisssoch al-les wassich nohhap.“

„Ich weiß Dean. Tust du mir einen Gefallen?“

„Al-les wassu wills“, nickte er gewichtig.

Sam lehnte ihn an den Impala: „Bleib mal kurz stehen. Schaffst du das?“

„Klar“, strahlte der und drehte sich um. Sanft strich er über den schwarzen Lack seiner Schönheit. „Mein Baby!“

„Ja. Und jetzt rutsch rein und gib dir Mühe dein Baby nicht voll zu kotzen!“

„Jawohl Sir!“ Der Blonde versuchte die Haken zusammen zu schlagen und zu salutieren. Dabei verlor er komplett das Gleichgewicht und kippte zur Seite. Sam fing ihn auf: „Vorsichtig alter Mann.“

„Bin nich alt“

„Doch, du bist fast dreißig!“, sagte er und drückte seinen Bruder endlich auf den Sitz.

„Du bis so gemein su mia!“

Sam verdrehte die Augen und schloss die Beifahrertür.

Erst jetzt fiel ihm auf, dass Nick ihn wohl schon eine Weile irritiert musterte.

„Er hat mich aufgezogen.“

„Aber wie…? Er ist doch bestimmt nicht soviel älter als du.“

„Vier Jahre“ Der jüngere Winchester holte tief Luft und vergewisserte sich, dass es Dean gut ging, dann fuhr er fort: „Unsere Mom starb durch einen Dämon, als ich sechs Monate war. Dad fing an mit uns durch das Land zu ziehen und alles Böse zu jagen. Wir waren viel allein. Dean war immer für mich da. Er hat sich immer um mich gekümmert und mich beschützt. Mit seinem Leben. Die roten Stellen an seinem Körper stammen auch von so einer Aktion, und es war wahnsinnig schwer für ihn, für uns, wieder ins Leben zu finden.“

„Und ihr jagt diese Wesen trotzdem immer noch?“

„Ja. Wir jagen alles, was böse ist. Alles was übernatürlich und böse ist.“

„Ich möchte so nicht leben“, sagt Nick und starrte auf seine Füße.

„Wir haben es uns nicht ausgesucht, aber wir können Menschen helfen. Und solange Dean noch nicht bereit ist sesshaft zu werden, werden wir weiter machen.“

„Wenn ihr Hilfe braucht, sagt Bescheid“, bot Nick seine Hilfe erneut an. Die beiden konnte wirklich jede Hilfe brauchen, die sie bekommen konnten. Er wollte so nicht leben, aber er würde alles tun, damit die Winchester-Brüder in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen konnten. Das war er ihnen schuldig, schließlich hatten sie nicht nur sein, sondern auch das Leben seines Partners und wohl auch das einiger Bewohner hier am Sumpf gerettet. Und so wie es sich anhörte auch davor schon unzählige Leben.

Sam lächelte: „Du auch!“
 

Natürlich schlief Dean noch als Sam erwachte. Der Jüngere holte Frühstück und kochte Kaffee und setzte sich dann an seinen Laptop um nach einem neuen Fall zu suchen. ‚Vielleicht sollten wir auch einfach ein paar Tage Urlaub machen? Mal sehen, was Dean sagt. Auf jeden Fall sollten wir hier aber erstmal verschwinden, bevor Dean noch vollständig von den Moskitos aufgefressen wird.’
 

Mit einem heiseren Knurren drehte sich Dean auf den Bauch und zerrte das Kissen über seinen Kopf. Der schien mindestens die doppelte Größe zu haben, die Zwerge bereiteten sich auf einen langen und sehr harten Winter vor und als er eben vorsichtig geblinzelt hatte, hatte ihm das Sonnenlicht schmerzhaft in die Augen gestochen.

Nie wieder soviel Alkohol!

Er wollte sterben.

Sam erhob sich von seinem Stuhl, streckte die verspannten Muskeln und ging dann in die kleine Küche. Er drückte zwei Schmerztabletten aus der Verpackung, goss Wasser in ein Glas und kam zurück zum Bett seines Bruders. Sanft legte er seine Hand auf dessen Unterarm.

„Dean?“, fragte er leise und wartete. Selbst wenn sein Bruder ihn registriert hatte, würde es noch eine Weile dauern, bis er reagierte, viel zu viel Alkohol tobte noch durch seinen Körper.

„Hm?“, kam die Reaktion auch glatt, bevor Sam noch einmal fragen konnte, und das Kissen wurde nach oben geschoben.

„Lass die Augen zu, ist viel zu hell für dich!“, lächelte der Jüngere. So wie sein Bruder aussah litt der auch so genug. „Ich hab Tabletten hier, willst du?“

„Hm!“ Dean richtete sich ein Stückchen auf, stöhnte, als er seine Schulter falsch belastete und sein Magen rebellierte, und ließ sich die Tabletten zwischen die Zähne schieben. Schnell leerte er noch das Glas Wasser, das Sam an seine Lippen hielt und ließ sich dankbar wieder in die Kissen fallen.

„Schlaf Dean“, sagte Sam leise und legte seinem Bruder die Hand auf den Unterarm. „Eine Ausrede für deinen roten Bauch zu finden wäre für dich einfacher gewesen.“

„Weissdu, dass ich hemmungslos middir rumgeknutscht hätte, wenn sie mich noch weiter angemacht hätte?“, nuschelte Dean in sein Kissen und blinzelte zu Sam hoch.

„Du hättest was?“, quiekte der Jüngere erschrocken.

„Hätte ich“, bestätigte der Blonde leise und war gleich darauf wieder eingeschlafen.

Sam starrte den Schlafenden völlig perplex an. Darauf wusste er jetzt nichts zu sagen. Abgesehen davon: Seit wann war Dean so … offen, wenn es um seine Gefühle oder wohl eher Gedanken ging?
 

Der Jüngere verbrachte den restlichen Vormittag mit Internet-Recherchen und einem Anruf bei Bobby, dem er den erfolgreichen Abschluss des Falls berichtete. Da der Freund auch noch nichts Neues für sie hatte, holte er für Dean ein großes Stück Kuchen und hoffte, dass dessen Magen schon wieder so fit sein würde, damit Dean seine Aufmerksamkeit auch würdigen konnte. Dann machte er es sich erneut mit einem Kaffee vor dem Laptop gemütlich.
 

Dean lag noch immer im Bett, hatte seinen Kopf aber zu Sam gedreht und beobachtete seinen kleinen Bruder. Er hatte keine Lust aufzustehen. Seine Schulter pochte nur leicht und die Kopfschmerzen hielten sich auch in Grenzen. Aber seine Blase drückte. Also wälzte er sich letztendlich doch auf die Seite und schwang seine Beine aus dem Bett. Die Kälte des Bodens jagte einen eisigen Schauer über seinen Körper, er zog die Füße wieder hoch und angelte umständlich nach seinen Schuhen. Irgendwie war er heute überempfindlich.
 

Sam schaute kurz auf und sah seinen Bruder in der Küche verschwinden. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder vollständig dem Artikel zu, den er gerade studierte.

Dean hatte die Kaffeemaschine neu befüllt und war dann im Bad verschwunden. Ein kurzer Blick in den Kühlschrank hatte ihn dann noch ein stückweit mit der Welt versöhnt, die ihm heute das Leben schwer machen, oder ihn darauf hinweisen wollte, dass er den Tag besser im Bett verbringen sollte. Was er nach einem kurzen Imbiss wohl auch tun würde.
 

Mit dem großen Stück Kuchen, dass Sam ihm gekauft hatte, und der Kaffeekanne in der Linken und der Tasse in der Rechten kam er zum Tisch. Er stellte alles ab, seufzte erleichtert, weil er die Last wieder los war, stöhnte gleich darauf frustriert, da er die Milch für Sam vergessen hatte und ging wieder in die Küche um diese zu holen.

Erleichtert ließ er sich auf den freien Stuhl fallen, kippte erst viel Milch in Sams Tasse und füllte diese dann mit wenig Kaffee auf und goss sich danach noch seine Tasse voll. Dann nahm er vorsichtig den ersten Bissen Apfelkuchen. Er schluckte und wartete und studierte dabei Sams Mienenspiel.

„Danke, Sammy!“, sagte er, als der Jüngere aufschaute.

„Du willst deswegen jetzt aber nicht mit mir rumknutschen, oder?“, fragte der mit seinem harmlosesten Augenaufschlag.

Dean war versucht seinen Kopf auf die Tischplatte zu knallen. In Anbetracht seines immer noch brummenden Schädels unterließ er es aber und schloss nur stöhnend die Augen.

„Hatte gehofft, dass ich das nur geträumt hab!“

„Nein, das hast du nicht und ich werde es dir bestimmt noch eine Weile unter die Nase reiben.“

„Womit hab ich dich nur verdient?“, fragte er und verdrehte die Augen.

„Trottel!“

„Miststück!“

Dean kaute genüsslich auf seinem Kuchen herum.

„Wie geht’s deiner Schulter?“, wollte der Jüngere wissen, als er sich endlich von seinem Computer abwandte und seinen Kaffee trank.

Deans Rechte lang ruhig in seinem Schoß. Er schaute darauf, schluckte und antwortete dann: „Wenn ich sie nicht bewege pocht es nur leicht.“

„Ich werd es mir nachher noch mal anschau’n.“

Der Blonde nickte ergeben.

Widerspruchslos ließ er sich, kaum dass er seinen Kaffee ausgetrunken hatte, ins Bad schieben, wo Sam ihm aus dem T-Shirt half und dann den Verband vorsichtig löste.

Er drückte die Wundränder ein wenig auseinander. Dean japste leise.

„Ich werd sie noch mal desinfizieren müssen.“

„Dann mach!“

Vorsichtig machte Sam sich an die Arbeit.
 

Dean war blass und seine Lippen nur noch ein schmaler Streifen, als der Jüngere endlich mit seiner Arbeit zufrieden war. Noch immer saß er stocksteif auf dem Wannenrand und konzentrierte sich auf seine Atmung. Und darauf, den Kuchen in seinem Magen zu behalten.

Sams Hand auf seiner Schulter ließ ihn zusammenzucken.

„Geh ins Bett, Dean!“

Eine Weile starrte der Blonde noch blicklos an die Wand, dann drehte er seinen Kopf langsam zu Sam und nickte leicht. Leise ächzend erhob er sich und tapste auf wackeligen Beinen zum Bett.

Sam beobachtete ihn aufmerksam, immer bereit ihm zu helfen, falls Deans Beine doch noch nachgaben oder er stolperte.

Erst als der Ältere im Bett lag und sich nach kurzem Kampf mit der Decke auf die Seite gedreht hatte, wusch er sich den Schweiß auf dem Gesicht und räumte ihre medizinischen Gerätschaften wieder weg. Er holte tief Luft. Noch immer hatte er es nicht gelernt, seine Gefühle auszuschließen, wenn er Dean verarzten musste.

Ihm war übel.
 

Sie saßen in dem kleinen Diner, wenige hundert Meter vom Motel entfernt und schwiegen sich an.

Dean hatte Hunger. Außerdem hielt er es nicht mehr im Bett aus. Er brauchte unbedingt noch Bewegung und hatte Sams Bedenken einfach beiseite gewischt. Jetzt schmollte der und Dean konnte es ihm nicht mal verübeln. Aber er wäre verrückt geworden, wenn er noch länger hätte im Bett bleiben müssen.

Sein Blick schweifte durch den Raum und blieb an der Gestalt hängen, die eben durch die Tür kam.

Nick hatte sie ebenfalls entdeckt und kam lächelnd auf sie zu.

„Ihr seid noch hier?“, fragte er und ließ sich auf dem Platz nieder, den Sam für ihn geräumt hatte. Leicht irritiert betrachtete er, dass Dean aufstand, Sam auf den Innenplatz durchrutschen ließ und sich wieder setzte.

„Wie du siehst“, antwortete Dean einsilbig.

„Wie geht es dir? Was macht die Schulter?“, wollte der Agent wissen, nachdem er Dean eingehend gemustert und für viel zu blass befunden hatte.

„Ich bin okay!“

Sam verzog genervt das Gesicht und schüttelte dann leicht den Kopf, als er sah, dass Nick nachfragen wollte. Das brachte nichts.

„Wir haben noch keinen neuen Fall“, gab Sam Auskunft, „wollen aber morgen weiter.“

„Habt ihr trotzdem ein Ziel?“

„Westwärts“, sagte Dean und erntete ein Grinsen.

„Ich hole morgen Luca aus dem Krankenhaus und dann fliegen wir nach Hause. Ein paar Tage frei, dann geht es wieder auf Verbrecherjagd.“

„Falls du mal Hilfe brauchen solltest…“, begann Sam.

„Ja, ihr aber auch.“

Die Brüder schauten sich an und Sam nickte nach einer Weile.

„Sagt mal, Telepathie gehört aber nicht zu euren Fähigkeiten?“, musste Nick dann doch fragen.

Wieder wechselten die Brüder einen Blick, einen fragenden diesmal.

„Genau das meine ich!“

„Nein!“, lachte Sam jetzt.

„Es sieht aber verdächtig danach aus!“

Die Bedienung kam und Nick bestellte.

Während des Essens sprachen sie über Alltägliches und Dean war froh, als sie sich endlich verabschiedeten. Er hatte sich zuviel zugemutet. Doch das würde er um Nichts in der Welt zugeben.
 

Dean ließ sich mit einem leisen Seufzen ins Bett fallen, biss die Zähne zusammen als sich seine Schulter schmerzhaft meldete und atmete langsam wieder aus. Er wollte Sams Finger nicht schon wieder in der Wunde haben. Auch wenn er Morgen noch schlimmere Schmerzen haben würde, Sam würde die Wunde erneut reinigen müssen, aber das müsste er eigentlich jetzt schon und Dean sah sich außerstande, das heute noch zu ertragen.

Schnell drehte er sich auf die Seite und schloss die Augen.

Das Märchen vom Kettensägenmassaker

55) Das Märchen vom Kettensägenmassaker
 

„Verdammt, Dean!“, fluchte der Jüngere, als er die lädierte Schulter seines Bruders untersuchte.

„Wann hättest du mir denn gesagt, dass deine Schmerzen schlimmer geworden sind?“

„Sam, ich …“, stotterte der Gescholtene.

Doch Sam überging ihn einfach: „Wahrscheinlich gar nicht. Du wärst irgendwann einfach umgekippt. Du hast Fieber, deine Schulter fühlt sich heiß an und die Wunde sieht auch nicht gut aus. Du musst doch gestern schon Schmerzen gehabt haben.“

„Aber ich wollte nicht, dass du da schon wieder darin rumpopelst!“, versuchte der Blonde sich leise zu verteidigen.

„Dafür POPLE ich jetzt umso heftiger!“

Dean nickte ergeben, umklammerte das Waschbecken mit beiden Händen und stemmte seine Füße in den Boden. Er machte sich so steif wie möglich und wartete, dass Sam begann.

Der war noch immer wütend und demzufolge nicht ganz so vorsichtig, wie sonst eigentlich üblich. Wenn er heute Morgen nicht gesehen hätte wie eckig sein Bruder aus dem Bett gekrochen war, hätte der ihm wieder etwas vorgemacht und wäre im Impala irgendwann bewusstlos zusammengebrochen.

Auf der anderen Seite konnte er den Blonden aber auch verstehen. Das musste wehtun und er würde es auch lieber umgehen.
 

Endlich legte Sam die große Spritze in das Waschbecken. Er hatte die Wunde noch einmal komplett mit einer leichten Salzlösung gespült.

„Dean?“, fragte er leise und beugte sich nach vorn, als der nicht reagierte.

Der Blonde hatte während der ganzen Aktion kaum einen Ton von sich gegeben, doch die Tränen hatte er nicht unterdrücken können. Breit waren die Spuren, die über seine Wangen liefen.

Sam atmete tief durch und schluckte den Klumpen, der seine Kehle zuschnürte.

Er nahm einen Waschlappen und begann Deans Oberkörper von den Spuren seiner Folteraktion zu befreien.

„Ich kann mich schon alleine waschen!“, krächzte der Blonde leise, als Sam ihm über die Brust fuhr.

„Schon klar, großer Junge.“ Trotzdem fuhr der Jüngere mit seinem Tun fort und Dean ließ ihn gewähren.

„Willst du dich wieder hinlegen?“, wollte Sam wissen, als er endlich fertig war.

Dean schüttelte den Kopf: „Will hier weg!“

„Okay. Du legst dich aufs Bett und ich packe unser Zeug zusammen.“ Sam war zwar nicht wirklich davon überzeugt, dass sein Bruder schon soweit war, aber hier rumzusitzen brachte auch nichts, außer dass Dean quengeln würde und ihn die Moskitos weiter auffraßen.

Der Blonde fügte sich Sams Anordnung, schon alleine, weil seine Schulter noch immer höllisch schmerzte.

Bevor sie das Zimmer verließen flößte Sam seinem Bruder noch zwei Schmerztabletten ein.
 

Er winkte Nick Traven kurz zu und lenkte dann den Impala auf die Straße. Ein Blick zu Dean zeigte ihm, dass der zwar nicht schlief, sich aber in einer Art Dämmerzustand befand. So würde er ein paar Kilometer unbeschadet überstehen.
 

Dean blinzelte. Draußen war es hell und er lag in einem Bett! Langsam schaute er sich um. Ein Motelzimmer, unzweifelhaft. Grüne, gelbe und weiße Kreise auf einer dunkelgrünen Tapete – nicht das Zimmer, das sie in den letzten Tagen bewohnt hatten.

‚Wie zum Teufel bin ich in das Bett gekommen?’, überlegte er eine Weile. Bewusst konnte er sich nur noch daran erinnern, dass Sam ihm zwei Tabletten gegeben und ihn dann auf den Beifahrersitz verbannt hatte. ‚Was waren das für Tabletten gewesen? Wahrscheinlich die richtig guten, verschreibungspflichtigen. Die, die mich immer komplett ausknocken. Wo hatte Sam die denn versteckt gehabt?’

In seiner Schulter fühlte er nur einen leichten, dumpfen Schmerz, und da selbst die besten Tabletten nicht mehr wirken konnten, schien die letzte Reinigungsfolter wohl doch geholfen zu haben.

Langsam drehte der den Kopf zum Fenster, von wo er gelegentliches Klappern der Tasten vernahm.
 

„Was gefunden?“, wollte er wissen, nachdem er auf den freien Stuhl geplumpst war und Sam seinen Milchkaffee hingeschoben hatte.

„Keine Omen oder sonstige Vorkommnisse, die unserer Aufmerksamkeit bedürften. Aber wusstest du, dass die Germanen ihre Schutzgötter einfach austauschten, wenn der des anderen Ortes besser war?“

‚Germanen’, Dean schüttelte sich innerlich. Er dachte an Burketsville. Jedes Jahr haben die Bewohner ihrem germanischen Gott ein Pärchen geopfert. Nein, sympathisch waren ihm diese Götter bestimmt nicht. Obwohl? Was konnten denn die Götter dafür?

„Nein“, antwortete er etwas geistesabwesend.

Der Jüngere nickte und erklärte weiter: „Wenn die Germanen meinten, dass ihr Schutzgott nicht taugte und sie vielleicht auch noch von Wunderdingen gehört hatten, die der Schutzgott des Nachbarortes bewirkt hatte, dann haben sie sich einfach der anderen Gottheit zugewandt. Außerdem waren die germanischen Götter ziemlich menschlich. Sie haben gesoffen, sich geprügelt…“

„Nummer fünf lebt!“, grinste der Blonde.

„Häh?“

„Der brauchte auch immer Input!“

„Trottel!“

„Miststück“, konterte Dean sofort. „Können wir uns auch einem anderen Zimmer zuwenden oder muss ich dafür jemanden verprügeln?“, nahm Dean jetzt den Grundtenor des Gespräches auf.

„Ich hab dir eigentlich von Göttern erzählt.“

„Das Zimmer ist trotzdem furchtbar. Lass uns weiterfahren.“

Sam schaute zu ihm und schüttelte dann lächelnd den Kopf: „Wie geht es dir?“

„Soweit ganz gut, denke ich, aber lass uns bitte hier verschwinden bevor ich Augenkrebs bekomme, oder blind werde.“

„Ich schau mir deine Schulter noch mal an, und wenn du dich dann weiter brav ausruhst, können wir von mir aus weiterfahren.“

„Ich ruh mich schon seit Tagen aus!“, maulte der Ältere.

„Das merke ich. Entweder wir bleiben hier und du hütest das Bett, was ich besser fände, oder wir fahren und dein Platz ist der Beifahrersitz!“

„Sammy, bitte, ich kann fahren! Mir geht’s gut. Ich war schon schlimmer verletzt!“
 

„Hmhm“, Sam begann den Verband zu lösen, nachdem Dean sich das Shirt etwas umständlich ausgezogen hatte. Die Wunde schmerzte tatsächlich wieder stärker, als er den Arm bewegte.

Dem Jüngeren waren Deans Reaktionen natürlich nicht entgangen.

„Bett oder Beifahrersitz!“, sagte er, nachdem er die Wunde wieder abgedeckt hatte. „Du hast immer noch leichtes Fieber. So lasse ich dich auf keinen Fall fahren!“

„Beifahrersitz“, knurrte der Blonde resigniert. Misstrauisch beäugte er die Tablette, die Sam ihm jetzt hinhielt.

„Damit verschläfst du die meiste Zeit“, grinste Sam.

„Willst mich unbedingt ausknocken, was? Findest du es so toll mich völlig willenlos zu machen? Also wenn du ´ne Frau wärst … Heb die Tabletten lieber für später auf. Ich halt das durch.“

„Musst du aber nicht. Du hast Schmerzen und die Tabletten sind bald abgelaufen. Also schluck sie!“

Dean schüttelte den Kopf.

„Fein, dann kann ich ja mal die Musik hören, die ich mag und du suchst im Internet, ob du einen Fall findest.

„In meinem Auto läuft …“

„Der Fahrer bestimmt die Musik!“
 

Zögernd nahm Dean die Tablette: „Woher hast du die?“ Bevor er bei Sams Musik durchdrehen würde, wollte er dann doch lieber schlafen, obwohl er sich nicht erinnern konnte, wann er jemals so viel geschlafen hatte. Die Zeit nach dem Höllenhundangriff mal ausgenommen.

„Dr. Bagley hab mir ein paar Packungen für dich mitgegeben. Aber du warst die meiste Zeit total weggetreten, da wollten wir dich nicht noch mehr ausschalten.“

Skeptisch schluckte der Blonde und packte dann das Wenige zusammen, das von seinen Sachen im Zimmer lag.

„Wohin willst du?“, fragte Sam auf dem Weg zum Impala.

„Richtung St. Louis“, antwortete Dean schleppend als er sich auf den Beifahrersitz fallen ließ. Er bemühte sich gar nicht erst einen wachen Eindruck zu erwecken, Sam wusste ohnehin was die Tabletten mit ihm anstellten. Wahrscheinlich hatte er die ihm genau aus diesem Grund gegeben.

Nur schlafen wollte er noch nicht. So stur war er dann doch.

Aus halbgeschlossenen Augen betrachtete Dean die Landschaft, die an ihm vorbei raste. Die Farben waren viel zu grell und liefen ineinander. Nichts hatte Konturen!

Langsam fielen seine Augen zu und er beließ es bei der entspannenden Dunkelheit, zumal Sam wollte, dass er schlief und die Tablette tat ihr Werk. Er war müde, seine Schulter schmerzte kaum und er fühlte sich, als wäre er in weiche Watte gehüllt. Es ging ihm gut!

Sam grinste. Er hatte seinen Bruder immer wieder beobachtet und sich gewundert, wie lange er der Wirkung dieses Mittels standhielt. Doch dann sah er wie sich die grünen Augen schlossen und konzentrierte sich jetzt voll auf die Straße.

Seine Hand wanderte zum Radio und er suchte sich einen Sender, der für seine Ohren kompatible Musik spielte. Nicht dass er das, was bei Dean aus den Boxen dröhnte, nicht mochte, aber es war Deans Musik. Und hin und wieder wollte er doch auch mal etwas anderes hören.

Sein Blick huschte wieder zu seinem Beifahrer. ‚Wieso hatte das Zeug nur diese Wirkung auf Dean?’ Oder war das normal? Er konnte sich nicht daran erinnern, je eine dieser Tabletten selbst geschluckt zu haben, also hatte er davon keine Ahnung.
 

Leise vor sich hin summend legte er Meile um Meile zurück und hielt nur zum Tanken.

Kurz nachdem er die Grenze zu Indiana überquert hatte, überlegte er sich, dass es für heute reichte.

Er würde ihnen im nächsten Ort ein Motel suchen.

Dean schlief schon seit einer Weile unruhig, auch wenn er noch nicht aufgewacht war.
 

Verschlafen blinzelte der ältere Winchester und drehte sich zu Sam. Sein kleiner Bruder lag noch unter Decken vergraben und schlief. Deans Blick huschte zur Uhr. Kurz vor Acht. Noch viel zu früh zum Aufstehen! Er schloss die Augen und versuchte wieder einzuschlafen.

Der ältere Winchester drehte sich auf den Bauch.

Er schnaufte leise und drehte sich wieder auf den Rücken. Seine Schulter quittierte diese Bewegungen mit leichten Schmerzen. Er setzte sich auf, rieb sich die Augen und schnaufte erneut frustriert. Er hatte die letzten zwei Tage mehr oder weniger verschlafen und irgendwann hatte selbst er ausgeschlafen. Also stand er auf und ging duschen. Danach besorgte er ihnen Frühstück und vertrieb sich die Zeit im Internet, peinlich darauf bedacht Sams Heiligtum nicht wieder mit Zucker einzusauen.

Obwohl ihn die Vorstellung wie Sam MIT Laptop geduscht haben könnte schon zum Lachen brachte und er versucht war, das Ganze zu wiederholen, damit er es diesmal im Bild festhalten könnte.

Doch dann fiel ihm Sams trauriger Blick wieder ein und er ließ es lieber. Sie verstanden sich gerade richtig gut. Das wollte er nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Außerdem gab es doch auch so genügend Gelegenheiten um seinen kleinen Bruder zu ärgern.

Er scrollte die Seite nach unten, klickte hier, las ein wenig und sprang mit einem Link weiter. Plötzlich fesselte ihn ein Artikel.
 

Sam erwachte. Das Klappern der Tasten war beruhigend und so schloss er noch einmal die Augen. Doch dann jagten drei Worte durch sein Gehirn: Dean, Zucker, Laptop. In Kombination mit dem leisen Kichern, das sein Bruder so hin und wieder von sich gab, ließen sie ihn das Schlimmste vermuten und er stand augenblicklich aufrecht.

„Dean?“, fragte er nervös.

„Hey, Sammy. Kaffee und Frühstück sind in der Küche. Bring die Kanne gleich mit.“

Der Jüngere ließ sich auf dem Stuhl gegenüber seinem Bruder nieder und versuchte sich auf sein Frühstück zu konzentrieren. Er musste sich schwer beherrschen, um ihm den Rechner nicht aus den Händen zu reißen. Und selbst die Tatsache, dass weder Kuchen, noch leere Kuchenteller auf dem Tisch standen, beruhigte ihn nicht.

„Hab einen neuen Fall, denke ich.“

„Wo?“

„Santa Fe. Wo sind wir jetzt?“ Es fühlte sich verdammt komisch an, nicht zu wissen in welchem Ort er gerade war, überlegte der Blonde.

„Richmond, Indiana. Was hast du?“

„In Santa Fe ist vorgestern ein Einkaufscenter wiedereröffnet worden. Juan Simmons, der Leiter des Einkaufzentrums hat vollmundig märchenhafte zwei Wochen versprochen. Märchenhafte Angebote zu märchenhaften Preise für Jedermann, für das körperliche Wohl wird auf märchenhafte Weise gesorgt werden. In den einzelnen Abteilungen und Geschäften kann sich jeder wie ein König fühlen. Jeden Tag wird ein anderes Märchen im Vordergrund stehen und für märchenhafte Unterhaltung sorgen.

Er wünscht allen einen märchenhaften Spaß“, fasste der Blonde die Rede Simmons’ zusammen.

Je öfter Dean das Wort „Märchen“ aussprach, um so eher klang es nach Kettensägenmassaker.

Obelix ist nicht dick

56) Obelix ist nicht dick
 

„Ich versteh nicht, was an Märchen so schön sein soll. Denk an unseren Fall in Marple Springs. Märchen sind brutal und eklig!“

„Märchen sind schön, Dean. Sie erzählen sich gut und sie haben eine Moral.“

„Und die Moral von der Geschicht – in goldne Äpfel beißt man nicht?“

„Dean!“, grinste der Jüngere, „Die Märchen spiegeln die Wünsche und Träume der Menschen der damaligen Zeit wider und die Moral ist, dass ….“

„Lass gut sein, Sammy, das ist was für Leute mit höherer Bildung!“

„Dean!“, blaffte Sam gereizt. Er wusste nicht so ganz, in welche Richtung Deans Attacke ging.

„Was?“, funkelte der Blonde zurück.

„Und was ist daran jetzt der Fall für uns?“, versuchte Sam die Wogen zu glätten.

„Die Märchen sind lebendig geworden.“

„Und jetzt hat die Großmutter den Wolf gefressen, oder was?“

„Sam! Dein Niveau sinkt erheblich!“

„Was, darf ich nicht auch mal einen Witz machen?“

„Doch, aber von dir erwarte ich Witze, die ich nicht verstehe.“

„Du bist nicht dumm, Dean!“ Da war sein Bruder also. ‚Mal wieder auf einem Selbstverleugnungstrip. Na toll!‘

„Da hab ich aber schon genügend andere Meinungen gehört.“

„Hör auf Dean! Soweit ich mich erinnern kann, hast du mir verdammt lange bei den Hausaufgaben geholfen.“

Der Blonde schaute gebannt in seine Kaffeetasse. Schule war nie das gewesen, was ihn wirklich interessiert hatte. Viel zu sehr war er von Dads Training und dem alles überlagernden Befehl, auf Sam aufzupassen, abgelenkt gewesen. Und viel zu oft hatte er im Unterricht den fehlenden Schlaf nachgeholt und sich dafür von Dad wieder einen Anschiss abgeholt, wenn der nächste Brief des Lehrers ins Haus flatterte. Für ihn war Schule meistens uninteressant gewesen. Er wusste, was er später machen würde und dafür brauchte er das Wenigste von dem, was in der Schule gelehrt wurde. Abgesehen davon war es ihm egal wofür ihn die Leute hielten. Sie kamen und gingen wieder, sobald der Job erledigt war. Und eigentlich brauchte man ja auch keine umfassende Allgemeinbildung wenn man Sam an seiner Seite hatte. Und in was sie alles hineingeraten würden, das konnte damals wirklich keiner wissen, oder?

Hatte Dad es gewusst und ihnen nur nichts gesagt? Mal wieder? Warum sollte John ihm sonst diesen unsäglichen Befehl gegeben haben? Irgendetwas muss er doch gewusst haben.

Wie viel hatte der ihnen sonst noch verschwiegen?

„Dean?“

Der Blonde zuckte leicht zusammen und schaute zu Sam.

„Was ist daran jetzt unser Fall?“, fragte der Jüngere noch einmal.

„Simmons hatte märchenhaften Spaß versprochen. Dass aus den Standuhren plötzlich kleine Ziegen gesprungen kamen und den halben Laden verwüstet haben, fand er nicht mehr so spaßig. Über den süßen Brei, der nachmittags das Restaurant regelrecht überschwemmte, konnte er auch nicht lachen.

Die Feuerwehr musste die Gäste richtiggehend rausschaufeln.“

„Das wäre was für dich gewesen.“

„Ich bin nicht verfressen!“, erklärte der Blonde und schmollte beleidigt.

„Und Obelix ist nicht dick!“

Deans Magen knurrte.

Die Brüder wechselten einen Blick und es fiel dem Älteren unsagbar schwer nicht in Sams prustendes Lachen mit einzufallen.

Er schnaubte leicht ungehalten und fuhr dann fort: „Der Typ hat die ‚Verursacher’ sofort entlassen.“

„Er hat die oder den Verursacher gefunden?“

„Klar. Drei Mitarbeiter. Einer davon, er soll federführend bei der Aktion mit den Ziegen gewesen sein, hat eine totale Tierhaarallergie. Aber das spielte keine Rolle. Er wollte wohl nur davon ablenken, dass er nicht weiter weiß.
 

Das war am Eröffnungstag, also vorgestern. Gestern wurde ein Kind beim Schuhe kaufen verletzt. Von der schwarzen Katze, die bis dahin friedlich auf einem Kissen rumlag, mit einem Pappmesser in den Bauch gestochen. Das Messer war plötzlich gar nicht mehr pappig. Die Kröte hatte die Katze minutenlang am Schwanz gezogen, also geschah es ihm recht, würde ich sagen. Und bevor du fragst. Die Katze hat sich ihren Hut aufgesetzt, das Messer umgegürtet und ist in Stiefeln davon marschiert.“

Sam fiel es immer schwerer ernst zu bleiben.

„Außerdem fressen sich dicke Bücherwürmer durch den Buchladen. Die Kochbücher waren zuerst nur noch löchrige Hüllen, aber Märchen und Romane scheinen auch zu schmecken. Nur an den wissenschaftlichen Abhandlungen war noch kein Wurm dran. Über deinen Lesegeschmack lässt sich also doch streiten.“ Jetzt war es an Dean breit zu grinsen.

Der Jüngere schaute etwas säuerlich.

„Wir sollten hinfahren“, sagte Sam und Dean nickte und packte seine Sachen zusammen.

„Wie geht es dem Kind?“

„Es war mehr ein Kratzer als eine schwere Verletzung. Aber natürlich lässt sich die Mutter die Option offen, das Einkaufscenter zu verklagen. Allerdings haben sie auf den Überwachungskameras, wie das Kind die Katze trotz mehrfacher Ermahnung durch die Verkäufer immer wieder ärgert und die würden dann wohl gegen den Jungen wegen Tierquälerei klagen.“

Sam schüttelte nur den Kopf.
 

„Wer oder was ist es deiner Meinung nach?“, fragte Dean, als sie im Wagen saßen.

„Ein Trickster?“

Der Blonde nickte: „Daran hab ich auch schon gedacht.“ Er drehte den Zündschlüssel und der Impala erwachte mit einem satten Grollen. Wie üblich huschte ein verliebtes Lächeln über Deans Gesicht.

Dann lenkte er seinen Wagen auf die Straße. Es war ein wundervolles Gefühl, wieder Herr seines Gefährts zu sein, statt wie in den letzten zwei Tagen, als er auf den Beifahrersitz verbannt worden war. Obwohl er ja zugeben musste, dass er davon nicht viel mitbekommen hatte.
 

Müde warfen die Winchesters ihre Taschen auf den ausgebleichten Teppich ihres Motelzimmers. Wortlos sicherten sie Fenster und Türen und fielen dann in ihre Betten.

Sie waren mit wenigen Stopps, zum Essen und Tanken, durchgefahren. Sam hatte seinen Bruder in der Nacht für ein paar Stunden am Steuer abgelöst und sich danach wieder den Nachrichten aus dem Einkaufscenter gewidmet.

Noch gab es keine Tote. Noch. Doch die Späße wurden rauer, und die Brüder waren sich einig, dass es nur noch eine Frage der Zeit wäre, bis jemand starb.

Am Abend waren zwei Verkäufer aus der Kinderabteilung und ein Mann der Gebäudereinigung ins Krankenhaus eingeliefert worden. Die Kobolde aus der Kinderabteilung hatten sich mit den Heinzelmännchen der Putzschicht geprügelt. Und einige Kunden, die neue Betten kaufen wollten, hatten nach dem Probeliegen über schmerzhafte, erbsengroße Hämatome geklagt.
 

„Los, raus aus den Federn, wir haben zu arbeiten!“, pflaumte Sam und schlug seinem Bruder gegen die Füße. Gähnend verschwand er im Bad und gleich darauf war das Rauschen der Dusche zu hören.

Dean drehte sich auf die Seite und war sofort wieder eingeschlafen.

„Sieh zu dass du aus dem Bett kommst, verdammt!“, fauchte der Jüngere und zog seinem Bruder die Decke weg.

Der Blonde grummelte und blinzelte zur Uhr. Er fühlte sich, als wäre er gerade erst ins Bett gefallen. Die Uhr hatte sich allerdings mit Sam verbündet und versuchte ihm weiszumachen, dass es schon kurz nach Zehn wäre.

Er zog die Knie zur Brust und versuchte seine Füße unter seinen Beinen zu verstecken.

Der Jüngere vergaß sich weiter abzutrocknen. Zu niedlich waren die Bemühungen seines Bruders noch ein paar Minuten Schlaf zu bekommen.

Letztendlich gab Dean jedoch auf, setzte sich auf und bewahrte so seinen Bruder davor an Erfrierungen zu sterben. Dessen Körper war schon mit einer dicken Gänsehaut überzogen.

Er blinzelte immer wieder, knurrte ungehalten und machte sich dann, mit geschlossenen Augen, auf den Weg ins Bad. Vielleicht würde die Dusche ihn ja wecken.

Immerhin war Sam so freundlich Dean mit einem Kaffee zu empfangen, als der nicht wirklich munterer aus dem Bad getapst kam. Mit geschlossenen Augen inhalierte er das Aroma und lief dann zielstrebig zu seinem Bett. Erst nachdem er die Tasse ausgetrunken hatte machte er Anstalten sich anziehen zu wollen.

„Als was verkleiden wir uns heute?“, versuchte der Jüngere eine vernünftige Antwort zu bekommen.

„Is Halloween?“, fragte der Blonde etwas planlos.

„Nein, Dean! Wie willst du dir denn das Einkaufscenter anschauen?“

„Ich denke wir gehen einfach mal einkaufen.“

„Du willst einkaufen?“, fragte Sam verwundert.

„Von mir aus auch essen, oder was weiß ich. Jedenfalls sollten wir den Tag da rumtrödeln. Wer weiß, was dabei rauskommt.“

„Wie geht es deiner Schulter?“

Der Blonde bewegte den Arm. „Ich bin okay“, antwortete er nach einer Weile.

Sam nickte nur.
 

„Such mal die Ausweise von dem Sicherheitsdienst raus“, sagte der Blonde als er den Zündschlüssel abzog.

„Dafür sind wir nicht angezogen!“

„Warum nicht. Wenn uns einer fragt, dann haben wir uns inkognito hier umgesehen.“

Sam nickte nur und kramte in der Zigarrenkiste.
 

Sie verbrachten den halben Tag damit durch das Center zu streifen. Sie aßen im Restaurant, in dem nichts mehr daran erinnerte, dass es hier eine Breiüberschwemmung gegeben hatte, und während Sam sich im Buchladen davon überzeugte, dass sie dem Problem mit den Bücherwürmern noch nicht Herr geworden waren und sich ganz furchtbar darüber aufregte, verzog sich Dean in das nächste Geschäft.

Bekleidung. Eigentlich brauchte er nichts, aber die Kleine an der Kasse war niedlich und wenn er schon mal hier war...

Freundlich zwinkerte er ihr zu, als er das Geld für seine Einkäufe auf den Tresen legte.

„Ich brauch keine Tüte“, sagte er und stopfte die Packungen T-Shirts und Shorts in die Innentaschen seiner Jacke. Und Nichts in der Welt würde er mit so einer Plastetüte rumlaufen!
 

Die Parade, die wie jeden Nachmittag stattfand, betrachteten sich die Brüder aus der Ferne.

Das Motto war heute wohl Meer. Wieso allerdings die Nixe auf einem Einhorn ritt, blieb nicht nur den Brüdern unerklärbar.

Plötzlich begann die blonde Nixe nach Atem zu ringen.

Dean warf seinem Bruder einen Blick zu. Beide nickten kurz und schon stürmten sie los. Unsanft drängten sie Menschen zur Seite, die sich noch dichter zusammen geschoben hatten, um nur nichts von dem Schauspiel zu versäumen.

Sie schafften es in dem Moment bei der Nixe anzukommen, als sie schon halb bewusstlos vom Pferd kippte. Dean fing sie auf und ließ sie zu Boden gleiten.

Hektisch versuchte er, ihr Luft in die Lungen zu pumpen. Doch ihre Atemwege waren frei.

„Kei ... Lu ...“, versuchte sie mit dem letzten bisschen Atem in ihrer Lunge zu sagen. Ihre Augen waren panisch geweitet und sie starrte Dean flehentlich an.

Der Blonde nickte und ließ seine Hände über ihren Körper wandern, über den Bund ihres Kostüms.

Es war kein Bund…

„Sam, hol Wasser!“, brüllte er, als er den Zusammenhang erkannte.

„Mach schon!“ Deans Stimme klang verzweifelt und der Jüngere drängte sich wieder durch die Massen.

Seine Größe hatte auch einige Vorteile.

‚Wieso braucht Dean Wasser?’, fragte sich Sam. Doch sein Bruder klang so sicher, dass er es wissen musste und er hatte irgendwann doch gelernt, dass man manchmal besser erst handeln und dann fragen sollte.

Verzweifelt machte der Ältere mit der Mund-zu-Mund Beatmung weiter. Er war sich sicher dass es sinnlos war, doch tatenlos zusehen, wie das Mädchen erstickte, konnte er auch nicht.

„Halt durch, bitte! Bitte halt durch!“, bettelte er immer wieder zwischen seinen Atemzügen.

Ihre Augen brachen.

Dean suchte mit fliegenden Fingern nach einem Puls, den er nicht fand.

„Mach schon Sammy!“, bettelte er leise und begann mit der Herz-Druck-Massage.

Endlich drängte sich Sam mit einem Eimer Wasser durch die gaffende Masse. Keiner half. Alle standen nur sensationsgierig da und starrten auf den einzigen Menschen, der versuchte ein Leben zu retten.

„Leg ihr eins der Tücher um den Hals und kipp Wasser drüber!“, keuchte der Blonde während er ihren Brustkorb immer wieder zusammendrückte.

„Warum?“, fragte der Jüngere jetzt doch.

„Sammy!“, bellte Dean verzweifelt und der tat wie ihm geheißen.

„Dean?“, hakte er trotzdem nach.

„Das Kostüm“, keuchte der Blonde, „ist kein Kostüm … nicht mehr.“

„Der Trickster hat sie …“

Dean nickte verzweifelt.

Das letzte Einhorn

57) Das letzte Einhorn
 

„Jetzt machen sie endlich Platz“, bellten die Rettungssanitäter und drängelten sich rüde durch die Massen.

„Wir übernehmen jetzt!“, sagte der Sanitäter, der sich neben Dean kniete und ihn zur Seite schob.

Der Blonde nickte und erhob sich schwerfällig. Sein Blick suchte seinen Bruder.

Sam war von einem weiteren Helfer ersetzt worden und stand jetzt auf der anderen Seite. Er sah den feuchten Glanz in Deans Augen. Sofort setzte er sich in Bewegung und versuchte zu ihm zu kommen. Dean würde jetzt Unterstützung brauchen, auch wenn er nicht darüber reden würde.
 

Der Jüngere atmete tief durch. Wahrscheinlich war es mal wieder Deans Schuld.
 

Dean stand etwas verloren an der Seite. Er wollte auf etwas einschlagen, wollte schreien, wollte irgendwen erschießen. Der Tod der Kleinen war so sinnlos, so falsch! Er hatte versagt. Schon wieder hatte er einen Menschen sterben lassen. Es war nur seine Schuld. Er hatte zu spät erkannt, was mit ihr geschehen war. Er war zu langsam gewesen. Er hatte …

‚Du bist nicht schuld!’, sagte eine sanfte Stimme und jemand berührte ihn vorsichtig am Rücken.

Der Blonde drehte sich um und starrte das Pferd an, das hinter ihm stand.

„Warst du das?“, fragte er ungläubig.

Das Tier nickte.

„Aber ich …“

‚Es ist nicht deine Schuld!’, wiederholte das Einhorn.

Deans Augen strahlten. Vor ihm stand ein …

‚Bist du ein echtes Einhorn?’, führte er die Unterhaltung in Gedanken fort.

‚Jetzt ja, denke ich.’

‚Kannst du sie wieder lebendig machen?’ Der Blonde legte seine Hand auf den Hals des Tieres und streichelte es leicht.

‚Ich weiß nicht, vielleicht’, überlegte das Einhorn und legte den Kopf leicht schief.

‚Kannst du sie auch wieder in einen Menschen verwandeln?’

‚Ich glaube nicht, leider.’

Der Winchester nickte: ‚Dann sollte sie wohl besser tot bleiben.’ Wenn er daran dachte, was Menschen mit ihr machen würden, wenn sie eine Nixe bliebe … Ein kalter Schauer rann über seinen Rücken.

‚Du solltest auch von hier verschwinden!’, dachte er eindringlich. ‚Weißt du wohin?’

‚Nein’, das Tier schüttelte den Kopf, ‚nicht wirklich.’

‚Wie wäre es mit Disney-Land?’, grinste der Blonde. ‚Da könnten sie dich bestimmt brauchen.’

‚Ich weiß nicht.’

„Kann mal einer das Pferd hier rausbringen?“, fragte der Winchester laut und der Schimmel warf den Kopf in die Luft und wieherte laut.

„Entschuldige“, sagte Dean leise. „Leb wohl.“

Wieder wieherte das Einhorn und scharrte mit dem Vorderhuf. Dann fasste es ein Mann am Halfter und führte es davon.

„Hast du grade mit dem Pferd gesprochen?“, fragte Sam, der endlich neben seinem Bruder angekommen war, leise.

„Das ist ein Einhorn, Sammy!“, strahlte Dean ihn an.

„Du glaubst an Märchen? Seit wann?“

Sofort wurde der Ältere wieder ernst: „Schon eine ganze Weile und sie sind brutal und grausam!“

Sam schluckte hart. Er hatte nun wirklich kein Recht Dean einen Vorwurf zu machen. Vielleicht, wenn er sich mehr beeilt hätte, dann könnte das Mädchen ja noch leben.

„Ich hab einige Fragen an sie. Würden sie mir bitte folgen!“, wurden sie von einer Polizistin aufgefordert noch bevor sie sich weitere Gedanken machen konnten.

Die Brüder nickten und folgten der Frau, die sie in ein Büro führte.

„Wer sind sie?“, fragte die Polizisten.

„Collin Denton und das ist mein Partner Jason Stone. Denton-Stone Security“, stellte Sam sie vor und hielt der Beamtin seinen Ausweis vor die Nase. „Und sie sind?“

„Patricia Mallory. Ich bin der Sheriff hier.“

„Sheriff!“, grüßte jetzt auch Dean. „Nach den Vorfällen der letzten Tage wurden wir vom Haus hier angeheuert und haben uns erstmal inkognito umgesehen.“

„Und sie waren zufällig zur rechten Zeit am rechten Ort?“ Unglaube schwang in ihrer Stimme.

„Wie’s aussieht?“, erwiderte der Blonde scharf.

„Was haben sie gesehen?“

„Eine als Nixe verkleidete junge Frau auf einem Pferd, das wohl ein Einhorn sein sollte. Die Frau bekam plötzlich keine Luft mehr und fiel vom Pferd. Und da sonst keiner helfen wollte oder konnte…“, gab Sam ihr einen kurzen Bericht.

Sheriff Mallory nickte.

„Wenn sie noch Fragen haben…“, sagte Sam ruhig und hielt ihr seine Karte hin. „Sonst würden wir uns gerne die Bänder der Überwachungskameras der letzten Tage anschauen.“

Wieder nickte sie und nahm die Karte.

„Sie sind noch länger hier?“

„Ein paar Tage?“, antwortete Dean diesmal. „Wer weiß wie lange es dauert, bis wir wissen, was hier gespielt wird.“ Dann wandte er sich von ihr ab und begann mit einem Sicherheitsmann des Centers zu sprechen.
 

Die halbe Nacht saßen die Brüder vor den Monitoren.

Juan Simmons war irgendwann schlechtgelaunt im Überwachungsraum aufgetaucht und hatte sich über seine Sekretärin aufgeregt, die ohne sein Wissen fremde Sicherheitsleute beauftragt hatte. Doch er ließ sich ziemlich schnell von Sams Ruhe beeindrucken und war noch schneller ebenfalls der Meinung, dass fremde Augen vielleicht noch mehr sehen konnten.

Zufrieden darüber, dass er so eine tolle Idee gehabt und einen auswärtigen Sicherheitsdienst beauftragt hatte, verließ er das Büro.

Die Brüder wechselten nur einen Blick, schüttelten beide ungläubig den Kopf und wandten sich dann wieder den Bändern zu.

Schnell kämpften beide damit nicht einzuschlafen.

„Dean?“, sagte Sam plötzlich ganz aufgeregt. „Ich glaube ich hab hier was.“

Der Blonde stoppte seinen Recorder und stieß sich mit beiden Händen vom Tisch ab. Unsanft prallte sein Stuhl gegen Sams.

„Dean!“, knurrte der vorwurfsvoll und verdrehte die Augen. „Du bist kindisch!“

Der Blonde äffte seinen Bruder nach und schaute dann auf den Bildschirm.

„Was hast du?“

„Achte mal auf die Meerhexe“, sagte der Jüngere und ließ den Film wieder laufen.

Dean zog die Augen zusammen und legte den Kopf schief. Irgendetwas war da! Wieder und wieder ließ Sam den Film vor und zurück laufen. Das Bild wurde allerdings nicht besser. Schwarz-weiß und grieslig.

Und doch.

„Die berührt die Nixe mit ihren Zauberstab. Danach sind die Schatten an ihren Beinen verschwunden und sie beginnt nach Luft zu japsen“, sagte Dean nach dem fünften Durchlauf und rieb sich die Augen.

„Sag mal, wo war sie eigentlich. Alles stand doch um mich herum und konnte nicht genug gaffen, nur sie nicht.“

„Ich habe sie auch nirgends sehen. Sie muss sofort verschwunden sein“, bestätigte Sam. „Hast du sonst noch was entdecken können?“

„Nein. Ich denke zwar, dass ich unseren Trickster zwei oder dreimal von hinten und einmal so halb im Profil gesehen hab, aber ich kann mich auch irren. Jedenfalls war er weder im Schuhladen noch im Restaurant zu sehen. Zumindest nicht in der Gestalt, die wir kennen.“

„Lass uns Schluss machen. Mir brennen die Augen. Morgen“, Sam schaute auf seine Uhr, „heute sollten wir mal mit den anderen Mädchen reden. Vielleicht ist denen was aufgefallen. Danach sehen wir uns hier wieder um. Vielleicht finden wir ihn ja.“

„Und wie sollen wir ihn töten?“

„Darüber habe ich mir auch schon den Kopf zerbrochen. Ich werd Bobby anrufen, wenn wir aufgestanden sind. Vielleicht hat er eine Ahnung. Allerdings befürchte ich, dass der Trickster nicht zu töten ist.“

„Du bist also auch der Meinung, dass es Loki ist“, fragte der Blonde und schaltete seinen Monitor aus.

„Woher ...?“

„Ich bin nicht ganz so doof, Sam!“

„Das habe ich auch nie behauptet.“

„Egal. Ich hab mich nach dem Vogelscheuchenfall ein wenig mit der germanischen Mythologie beschäftigt. Loki ist der Sohn von Riesen, aber auch Blutsbruder Odins und er wird von diesem geachtet. Erst als er Hödur dazu bringt Balder oder Baldur zu töten und damit die Apokalypse der germanischen Götter einleitet wird er verbannt. Er ist der Gott des Feuers und des Betruges, ein Unruhestifter, Betrüger und Gestaltwechsler. Bei der Götterdämmerung, Ragnarök, dem Niedergang der germanischen Götter ist er der Anführer, und er und Heimdall töten sich gegenseitig.“

Langsam klappte der Jüngere seinen Mund wieder zu: „Wow“

„Was, ich kann mir auch merken, was ich lese!“

„So meinte ich das nicht, Dean und das weißt du. Es ist nur ungewohnt, dass du das so runterspulst. Das ist doch sonst eher mein Part.“

„Hm. Trotzdem hilft es uns nicht weiter. Außer, dass wir jetzt wissen, dass der Trickster wohl nicht zu töten ist.“

„Aber irgendwas müssen wir doch tun können!“

„Wir bleiben auf jeden Fall hier und versuchen so viele Menschen wie möglich vor ihm zu bewahren. Vielleicht verliert er ja die Lust.“

„Toller Plan, Dean.“

„Hast du einen besseren?“
 

„Nein. Aber vielleicht tötet der Colt ihn?“

„Wir können es versuchen. Lass uns für heute Schluss machen und schlafen gehen“, gähnte der Blonde. „Morgen sehen wir dann weiter.“
 

Wieder war der Morgen viel zu schnell da.

Müde und lediglich mit zwei Tassen Kaffee im Magen lenkte Dean den Impala auf den Parkplatz vor der Highschool, in die Melinda West gegangen war.

Sie ließen sich den Weg zum Direktor erklären.

„Mein Name ist Jason Stone und das ist mein Partner Collin Denton, Denton-Stone Security. Wir waren dabei als Melinda West starb und wir hätten noch einige Fragen an ihre Freundinnen, die das gestern miterleben mussten. Sind sie hier?“, erklärte Dean.

„Soweit ich weiß hat sich nur Felicia Santano für heute abgemeldet“, antwortete der Rektor.

„Können sie uns die Adresse von Miss Santano geben?“

„Meine Sekretärin wird sie ihnen gleich heraussuchen.“

„Wenn wir dann mit den Mädchen reden könnten?“, bat Sam.

„Natürlich. Gehen sie in das kleine Büro hier links nebenan.“

„Danke.“

„Mrs. Crichton, können sie den Herren die Adresse von Felicia Santano heraussuchen?“

Sie nickte und tippte auf ihrer Tastatur. Schnell reichte sie Sam einen kleinen Zettel.

„Wenn ich sie dann in das Büro nebenan bitten dürfte“, wies der Rektor auf die Tür.

Die Brüder verließen das Sekretariat.

„Können sie bitte …“, hörten sie den Rektor noch sagen.

In dem zugewiesenen Raum stand in der Mitte ein Tisch mit einigen Stühlen drumherum. Sam ließ sich auf einen fallen, sein Bruder frönte seinem Bewegungsdrang und tigerte unruhig hin und her. Als es zaghaft klopfte zuckten beide zusammen.

„Ja!“, antwortete der Jüngere.

Dean ließ sich auf den Stuhl neben seinen Bruder fallen.

„Sie sind der Mann, der gestern versucht hat, Melly zu helfen!“, platzte eine kleine Dunkelhaarige mit Stupsnase los, als sie Dean erkannte.

Der Blonde starrte auf seine auf dem Tisch gefalteten Hände. „Hat nur nichts genutzt!“, sagte er traurig.

„Aber sie waren der Einzige, der überhaupt etwas versucht hat. Die Anderen standen ja nur da und haben gegafft.“

Dean seufzte.

„Ist euch irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen? Vor der Parade vielleicht? Hat Melinda mehr getrunken? War sie nervös? Hatte sie einen merkwürdigen Anruf? Hatte vor etwas Angst?“, bombardierte Sam die Mädchen.

„Nein, nichts. Sie hat sich total darauf gefreut. Sie liebte Delphine und kannte sämtliche Geschichten und Mythen über Nixen auswendig. Sie hat uns damit schon fast genervt“, erzählte eines der Mädchen.

„Melly war vollkommen aus dem Häuschen als wir die Einladung bekamen, an der Parade teilzunehmen. Und dann war sie am Boden zerstört, weil ich die Nixe auf dem Pferd sein sollte“, fuhr die Kleine mit der Stupsnase fort. „Aber sie hätte mich nicht mal bitten müssen, ihr den Platz zu überlassen. Mir ist es nicht so wichtig und sie liebte es.“

Dean warf seinem Bruder einen langen Blick zu, dann nickte er. „Wer war die Meerhexe? Wisst ihr das?“

Die Mädchen sahen sich fragend an und schüttelten dann Eine nach der Anderen den Kopf.

„Habt ihr sie, als mein Partner versucht hat Mellys Leben zu retten, gesehen?“

„Sie ist in Richtung der Sicherheitsräume gegangen“, meldete sich ein Mädchen, das bisher ruhig in der Ecke gestanden hatte.

Wieder wechselten die Brüder einen Blick.

„Gut, das war’s eigentlich schon. Wenn wir noch Fragen haben, melden wir uns noch mal. Könnt ihr eure Adressen hier aufschreiben?“ Sam drehte ihnen seinen Notizblock hin, und sie schrieben nacheinander ihre Adressen auf.
 

„Das muss ich mir merken! Auf so plumpe Art hab ich noch nie versucht die Adressen meiner Bekanntschaften zu bekommen“, grinste der Blonde, als sie wieder im Auto saßen und zum Einkaufscenter fuhren.

„Sag mal spinnst du? Das war für den Fall. Das hätte jeder Ermittler auch so gemacht“, bellte der Jüngere los.

Deans Grinsen wurde noch breiter.

Sein Magen knurrte.

„Du leidest unter Unterzuckerung!“, erklärte Sam beleidigt und drehte sich zum Fenster.
 

Dean steuerte auch sofort das Restaurant an.

„Ich komme gleich nach, sagte Sam und verschwand in Richtung der Büros des Sicherheitsdienstes.

Im Gespräch mit einem Kater

58) Im Gespräch mit einem Kater
 

Der Blonde betrat das gemütlich eingerichtete Restaurant und schaute sich um.

In der hinteren Ecke war noch ein Tisch frei. Zielstrebig ging er darauf zu. Gerade wollte er sich in die Bank schieben, als er den Kater darauf sitzen sah.

„Oh, Tschuldigung. Ich hab dich übersehen“, nuschelte er verdattert. Wieso sprach er überhaupt mit einer Katze?

„Das passiert mir dauernd“, antwortete sie.

„Deans Augen wurden groß. Seine Finger krallten sich an der Tischkante fest.

„Hast du gerade geantwortet?“

„Siehst du hier sonst noch jemanden?“, wollte das Fellknäuel schnippisch wissen.

„Nein. Ich wundere mich nur, dass ich dich verstehen kann! Darf ich mich zu dir setzen?“

„Von mir aus!“

Kaum saß der Blonde, als auch schon die Bedienung neben ihm stand und ihn nach seinen Wünschen fragte.

„Was willst du?“, wollte er von der Katze wissen.

„Milch, bitte.“

Dean bestellte sich einen Kaffee und eine Schale Milch. Die junge Frau schaute ihn an, als hätte er nicht mehr alle Latten am Zaun.

„Was willst du essen?“, fragte der Winchester seinen Banknachbarn, als wäre es das Normalste der Welt mit einer Katze eine Unterhaltung zu führen. Aber er hatte schon mit Geistern gesprochen und gestern mit einem Einhorn, warum dann nicht auch mit einer Katze?

„Wenn noch etwas von dem süßen Brei übrig ist… Der war wirklich gut. Sonst nehme ich auch mit einem Pfannkuchen vorlieb.“

Dean nickte und bestellte, als ihre Getränke kamen.

„Ich bin Dean, und du?“

„Carson“

„Hallo Carson, wie geht’s?“

„Ich würde lieber zu Hause auf meinem Sofa liegen und schlafen. Diese Sache mit dem aufrecht gehen ist doch sehr anstrengend. Die Schuhe sind unbequem und das Schwert hängt schwer auf der Hüfte. Außerdem bin ich in meiner Bewegungsfreiheit ganz schön eingeschränkt und putzen kann ich mich auch nicht so richtig.“

„Warum bleibst du nicht einfach zu Hause?“

„Mein Mensch nimmt mich jeden Morgen mit hierher.“

„Sag ihm doch, dass du das nicht möchtest.“
 

„Er glaubt nicht, dass ich mit ihm spreche. Er denkt, er bildet sich das nur ein.“

„Aber ich redest doch auch mit dir!“

„Du bist anders.“

Dean wusste nicht wie er das jetzt auffassen sollte, darum widmete er sich dankbar der Aufgabe den Pfannkuchen für Carson in katzengerechte Happen zu schneiden.

„Seit wann kannst du sprechen?“, wollte der Blonde nach einer Weile gefräßigen Schweigens wissen.

„Schon immer!“

„Dean überlegte kurz: „Und seit wann verstehen dich die Menschen?“

„Seit ich diesem schrecklichen Minizweibeiner das Schwert in den Bauch gepiekt hab.“

„Weißt du, wer das gemacht hat?“

„Was?“

„Dass die Menschen dich verstehen.“

„Für mich seht ihr alle ziemlich gleich aus. Er war ein Kater. Zumindest roch er so. Nicht so groß wie du und er hatte rotbraunes Fell.“

Dean nickte und überlegte kurz. So in etwa würde er wohl auch den Trickster beschreiben wenn er ein Kater wäre. Und vermutlich auch ein Viertel aller männlichen Zweibeiner.
 

Sam kam nach einer unbefriedigenden Befragung der Sekretärin und der Sicherheitsleute ins Restaurant und blieb abrupt stehen. Dean schien in eine angeregte Unterhaltung vertieft zu sein. Aber da war niemand! ‚Mit wem spricht Dean? Ist er einmal zuviel auf den Kopf gefallen? Hat er wieder Fieber? Hat sich seine Schulter wieder entzündet? Gibt es ein Märchen mit einem Unsichtbaren?’ Alle möglichen Fragen kreisten in seinem Kopf. Langsam setzte er sich wieder in Bewegung.

„Hey, Sammy, hattest du Erfolg?“, strahlte Dean seinen Bruder an und der war versucht Dean einweisen zu lassen. Er sah aus, wie ein kleiner Junge vor der Bescherung. ‚Was ist hier los?‘

„Nein!“, knurrte er gereizt und ließ sich auf die Bank gegenüber fallen.

„Der Miesepeter ist mein Bruder Sam“, sagte Dean zum Überfluss auch noch. Doch bevor sich der Miesepeter richtig aufregen konnte, schaute ein schwarzer Katzenkopf über die Tischkante, gab ein „Mahh“ von sich und schlang das nächste Stück Pfannkuchen herunter.

„Hast du mich gerade der Katze vorgestellt?“ Dean war wirklich reif für die Anstalt. Nicht dass sie das nicht ohnehin wären, wenn sie jemals erzählen würden, was sie in ihrem Leben schon alles erlebt hatten und woran sie glaubten, aber DAS war einfach zuviel.

„Er ist ein Kater und heißt Carson“, belehrte Dean seinen Bruder.

„Tut deine Schulter wieder weh? Hast du Fieber?“ Sam langte über den Tisch und versuchte seine Hand auf die Stirn seines Bruders zu legen.

„Lass das Sammy!“, knurrte der.

„Du hast mich einer KATZE vorgestellt!“

„Kater, bitte. Ich bin ein Kater!“, sagte eine sanfte Stimme.

„Seit wann kannst du Bauchreden?“

„Himmel Herrgott, Sam! Das ist der gestiefelte Kater. Der, der dem Jungen in den Bauch gestochen hat.“

„Nachdem er mich mehrfach am Schwanz gezogen hat, möchte ich betonen!“, sagte wieder diese sanfte Stimme.

„Kann die Katze ... kann der Kater wirklich sprechen? Bist du wirklich....“

„Sam, mach den Mund wieder zu, deine Mandeln werden sauer!“

„Das heißt Milchzähne!“

„Die hast du aber schon lange nicht mehr!“

„Trottel!“

„Miststück!“

„Ja, ich kann wirklich sprechen“, sagte Carson, „und dein Bruder war so freundlich mir zu erklären warum und er hat mir auch versichert, dass ihr versuchen werdet den Urheber dieses Schlamassels zu finden und unschädlich zu machen und ich danach wieder ein ganz normaler Hauskater sein werde.“

Sam starrte zu Dean und der nickte kauend.

Dem Jüngeren fiel nichts dazu ein, also nickte er erst einmal sprachlos.

„Worüber habt ihr denn gerade so angeregt gesprochen?“, wollte er dann doch wissen.

„Wir? Über´s Jagen. Über Jagdmethoden um genau zu sein“, erklärte Dean und Sam beschloss, dass es vielleicht doch besser sein würde, wenn er nichts mehr sagen würde, zumindest solange, bis sie sich von der Katze verabschiedet haben würden.

Dean, nein, die ganze Situation hier war ihm unheimlich! Und dass Dean es auch noch ganz normal zu finden schien, machte es für den Jüngeren noch schlimmer! So bestellte er sich einen Salat und einen Milchkaffee und lauschte der Unterhaltung, die Dean und Carson fast sofort weiterführten.
 

Plötzlich hörten sie Schreie.

Der Blonde kramte einige Scheine aus der Tasche und warf sie auf den Tisch.

„Nett deine Bekanntschaft gemacht zu haben“, sagte er zu der Katze und rannte nach draußen. Carson maunzte ein „Hab mich selten so prächtig unterhalten“, und begann sich zu putzen.

Sam schüttelte den Kopf und folgte seinem Bruder etwas langsamer.
 

In einer etwas schwerer einzusehenden Ecke des Komplexes standen die Geldautomaten und genau um diese Ecke hatte sich eine große Traube gebildet.

An einem der Automaten stand eine Frau mit der Hand an der Geldausgabe und versuchte verzweifelt die Scheine aus dem Schlitz zu bekommen.

„Jetzt machen sie schon! Sie sind hier nicht die Einzige, die Geld abheben will!“, knurrte der Herr hinter ihr ungehalten.

„Das geht aber nicht!“, keifte sie zurück.

Die Brüder drängten sich durch die Massen.

Erleichtert atmete Sam auf, als er sah, dass eine Frau wohl nur Probleme mit dem Automaten hatte. Er hob seine Hand und wollte der Frau helfen.

Deans Nackenhaare stellten sich auf. Seine Instinkte schlugen Alarm. Was war hier falsch?

Wie in Zeitlupe sah er Sams Hand, sie sich der Frau näherte.

Noch bevor er Zeit hatte darüber nachzudenken, hatte er schon Sams Arm gepackt und ihn zurück gerissen.

„Spinnst du?“, blaffte der Jüngere und funkelte seinen Bruder wütend an. Dessen unruhig hin und her huschender Blick ließ ihn verstummen. Er wusste zwar nicht was, aber Deans Instinkte irrten sich nie!

„Was?“, fragte er also wesentlich ruhiger.

Hilflos schüttelte der Blonde seinen Kopf. Er fand einfach keinen Grund, warum sie der Frau nicht helfen sollten und doch hatte er fast Bauchschmerzen bei dem Gedanken sie anzufassen.

„Ich“, begann er unsicher und zweifelte an sich. Dann fiel sein Blick auf den aufgebrachten Mann hinter ihr, der sich gerade umdrehte und zu einem anderen Automaten gehen wollte. Deans Augen weiteten sich.

„Ich steh hier schon ewig und dann blockiert so eine unfähige Schnepfe den Automaten genau vor mir. Aber bevor ich noch länger warte, stell ich mich lieber an einem anderen an. Wer weiß wann sie sich endlich bequemt den Platz zu räumen!“

Mit einer kurzen Kopfbewegung wies er Sam auf den Mann hin und musterte die anderen Wartenden. Ein kurzes Grinsen schlich sich in sein Gesicht. Seine Instinkte hatten ihm doch keinen Streich gespielt.

Der Mann machte noch einen Schritt und wurde dann unsanft gebremst. Seine Jacke hing an dem Rock der Frau.

„Was soll das denn, verdammt noch mal!“, brüllte er los und zerrte an seiner Jacke.

Der Rock der hilflosen Dame rutschte immer weiter nach oben und jetzt zeterte sie erst recht los.
 

Dean zog seinen Bruder aus der Gefahrenzone, da der Mann jetzt Halt suchend um sich griff.

„Hol eine Flex, oder noch besser wir rufen die Feuerwehr. Sollen die die Frau vom goldenen Esel trennen.“

„Wohl eher der goldenen Gans“, verbesserte Sam.

„Wer auch immer. Ruf die Feuerwehr und pass auf, dass nicht noch mehr hier gefangen werden.“ Der Blonde wandte sich zum Gehen.

„Und was machst du?“

„Ich will mal sehen, ob ich den Tickster finde. Ich bezweifle es zwar, aber ich hoffe, dass er sich anschauen will, was er angerichtet hat. Danach werd ich mal bei den Sicherheitsleuten vorbeischauen und mir die Bänder von heute anschauen. Er muss ja irgendwann mal an der Kiste gewesen sein.

Vielleicht kann ich ihn denen endlich mal zeigen.“

Sam nickte und zückte sein Handy.
 

Hilflos versuchte der jüngere Winchester die fünf an den Automaten Gefesselten zu beruhigen und die Menge davon anzuhalten, in die schmale Nische zu kommen. Er war schweißnass. Sein Shirt klebte unangenehm an seinem Rücken und er verfluchte Dean, der sich mal wieder den einfacheren Part ausgesucht hatte.

Und dann tauchte auch noch Juan Simmons auf.

„Was geht hier vor?“, bellte er.

„Wir … ich versuche gerade …“, begann Sam.

„Die Kunden wollen Geld ausgeben. Warum blockieren sie den Automaten?“ Die Frage war gleichermaßen an Sam und an die Dame gerichtet, die den Versuch, ihre Hand von dem Gerät zu befreien aufgegeben hatte. Tränen liefen über ihr Gesicht und hinterließen dunkle Maskaraspuren auf ihren Wangen.

Noch bevor der jüngere Winchester ein weiteres Wort sagen oder reagieren konnte, packte der Centerleiter die Frau am Handgelenk und zerrte an ihrer Hand.

Nichts bewegte sich. Der harte Griff an ihrem Arm brachte ihre Versuche, ihre Fassung wenigstens halbwegs aufrecht zu halten gänzlich zum Erliegen, sie weinte noch mehr.

„Welcher Idiot hat den Automaten mit Klebstoff eingestrichen?“ Simmons’ Kopf verfärbte sich rot. Er versuchte seine Hand wieder zu lösen.

„Und wieso stehen sie hier noch rum?“, blaffte er die vier anderen Betroffenen an.

Sofort setzte eine wütende Schimpftirade ein.

Erschrocken zog der Centerleiter den Kopf ein und wollte flüchten. Immer heftiger riss er an seiner Hand.

„Hörn sie auf damit. Außer, dass sie der Lady wehtun, erreichen sie damit gar nichts!“ Sam war wütend.

Niemand hörte auf ihn und alle wunderten sich, dass sie in Schwierigkeiten gerieten. Manchmal wünschte er sich wirklich, dass die Menschen wussten, was sie jagten, was es alles an bösen Kreaturen auf der Welt gab. Aber dann hätten sie wahrscheinlich noch mehr Probleme.

„Die Feuerwehr ist schon alarmiert und wird jeden Augenblick hier sein und sie befreien“, erklärte er etwas ruhiger und hoffte, dass es die Wahrheit war.

„Wo ist eigentlich ihr toller Partner?“, stichelte Simmons, um von sich abzulenken.

„Der ist im Überwachungsraum und versucht den zu finden, der für das Ganze hier verantwortlich ist“, knurrte Sam und fügte in Gedanken ein: ‚Aber eigentlich steht der ja vor mir’, hinzu.

‚Wenn Simmons nicht so großspurig märchenhaften Spaß angekündigt hätte, wäre vielleicht nichts passiert.’ Nur leider konnte der Winchester das dem Centerleiter nicht sagen.
 

Die Feuerwehr rückte endlich an. Sam atmete erleichtert auf.

Schnell hatten die Männer entschieden, dass sie die Betroffene wohl erst einmal vom Geldautomaten trennen sollten, damit sie dann im Krankenhaus von den Resten befreit werden könnte. Warum die anderen Fünf allerdings ebenfalls festhingen, konnten sich die Feuerwehrmänner auch nicht erklären aber als zwei der Helfer versuchten, sie von der Frau zu trennen, klebten sie ebenfalls fest.

Jetzt war wohl Eile geboten.

Es dauerte nicht lange, bis zwei Männer mit einem Trennschleifer und Planen zu der kleinen Gruppe stießen.

Die Angeklebten wurden mittels einer Plane so gut es ging geschützt und schon fraß sich das Gerät funkensprühend in den Automaten.

Die Panzerknacker

59) Die Panzerknacker
 

Dean starrte noch immer auf die bewegten Bilder des Monitors vor sich. Aus den Augenwinkeln nahm er auf einem anderen Bildschirm den Funkenregen bei dem Geldautomaten wahr. Leises Bedauern schlich sich in seine Gedanken. Zu gerne würde er jetzt da unten stehen und den Trennschleifer führen. Wann würde sich je wieder die Gelegenheit ergeben offiziell einen Bankautomaten zu knacken?

Mit einem leisen, bedauernden Schnaufen wandte er sich wieder seinem Bildschirm zu. Irgendwo musste dieser verdammte Trickster doch sein!
 

Sam schaute dem Funkenregen ebenfalls gebannt zu. Er musste an Dean denken. Sein Bruder hatte schon immer einen Hang zum Zerstören. Bestimmt würde er das hier gerne selbst sehen wollen, wahrscheinlicher noch selbst machen.

Und er stellte sich, wie schon oft in diesen Tagen, die Frage, wie sie den Trickster, wenn schon nicht vernichten, so doch vertreiben konnten.

Er musste Dean Recht geben, dass der Trickster und Loki wahrscheinlich ein und dieselbe Person waren. Das würde er Dean aber auf keinen Fall sagen.

Wie aber tötete man einen Gott? Heimdall stand ja wohl nicht zur Verfügung.
 

Die eintretende Stille tat in Sams Ohren schon fast weh.

Er wandte seine volle Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen am Automaten zu und sah, wie die Frau ihre Hand mit einem erleichterten Stöhnen an ihre Brust zog. Der Geldausgabeschlitz, an dem sie bis eben noch hing, fiel klappernd auf die Tastatur des Automaten, rutschte darüber und landete letztendlich scheppernd auf dem Boden.

Simmons riss seine Hand erschrocken zurück, als er mit dem Busen der Dame in Berührung kam und auch die aneinander klebenden Kleidungsstücke lösten sich wieder.
 

Während die Feuerwehrmänner ihr Arbeitsgerät wieder einpackten, weil sie zum nächsten Einsatz mussten und die erleichterten, aber noch immer verwirrten Kunden von der Sekretärin in Empfang genommen und in einen abgeschiedenen Raum gebracht wurden, wandte sich Juan Simmons wütend schnaubend an Sam: „Was war das?“

„Ich weiß es nicht“, antwortete Sam.

„Verkauf mich nicht für blöd! Du und dein sauberer Partner. Ihr wisst etwas! Warum hat er sich verzogen? War er es? Hat er den Geldautomaten präpariert?“

„Mein Partner ist bei ihren Sicherheitsleuten und geht die Bänder durch, ob er jemanden findet, der für das hier verantwortlich ist!“

„Warum hast du mir gesagt, ich soll diese Frau nicht anfassen? Warum hast du dich von den Menschen in der Schlange fern gehalten? WAS WEISST DU?“

„Ich weiß überhaupt nichts und ich kann logisch denken! Alle die in dieser Schlange standen klebten fest. Meinen sie ich wollte auch hier hängen?“

„Du kommst jetzt mit! Ich will Antworten!“

Bevor Sam antworten konnte klingelte sein Handy. Ein kurzer Blick genügte ihm, um zu wissen, dass Dean anrief.

„Ja?“, meldete er sich.

„Sam, Untergeschoss, Obstabteilung. Bin auf dem Weg!“

Der Jünger Winchester ließ den wütenden Centerleiter einfach stehen und sprintete los. Dean klang als ob er laufen würde. Entweder hatte er den Trickster gefunden oder irgendetwas war da passiert.
 

Er sah die Menschentraube schon, als er versuchte die Rolltreppen herunter zu laufen.

Und schon wieder drängte er sich durch die Massen.

Auf dem Boden lag ein Mädchen.

„Was ist passiert?“, fragte er die Umstehenden. Er erhielt nur Kopfschütteln als Antwort.

„Moyra, Moyra, wach doch auf. Bitte, Moyra“, schluchzte eine Frau, die neben dem Mädchen hockte.

„Was ist passiert?“, fragte der jüngere Winchester die Frau, nachdem er sich ihr gegenüber, neben das Mädchen gehockt hatte.

„Ich weiß es nicht“, schluchzte die Frau. „Sie hat plötzlich nach Luft gerungen und ist dann umgekippt.“

Sam nickte nur und suchte nach einem Puls. Seine Gedanken hetzten von einem Märchen zum nächsten. Wo kam Obst vor? Hatte es überhaupt etwas mit dem Obst zu tun?

„Hat sie irgendwas gegessen?“, wollte er schon fast verzweifelt wissen. Einen Puls hatte er noch immer nicht gefunden.

„Einen Apfel. Warum?“

‚Apfel! Frau Holle? Schneewittchen!“ Schnell zog er das Mädchen an sich. Seine Arme schlossen sich um ihren Körper und er versuchte ihren Brustkorb zusammen zu drücken.

Ihr Kopf fiel auf ihre Brust.
 

Dean hatte aufgelegt und wählte sofort neu. Noch während er sprach hetzte er durch die Gänge und ins Untergeschoss. Schon auf der Treppe sah er, dass Sam vor ihm da war und atmete erleichtert auf. Die Kleine war in guten Händen!

Langsam schob er sich durch die Menge und stellte sich neben die Frau. Mehr als moralische Unterstützung musste er Sam nicht geben.
 

Der jüngere Winchester hatte mit seinen Bemühungen noch keinen Erfolg gehabt. Jetzt zog er die Kleine ein wenig vom Boden hoch und ließ sie wieder auf ihren Hinter plumpsen.

Die Mutter begann zu zetern.

„Er weiß was er tut, vertrauen sie ihm!“, sagte Dean leise zu ihr und nahm sie in den Arm. Das ‚Hoffentlich!’, fügte er nur in Gedanken hinzu und versuchte der Frau weiterhin Zuversicht zu vermitteln.

Noch einmal zog Sam die Kleine ein wenig in die Höhe und noch einmal ließ er sie auf ihren Hintern fallen.

Das Apfelstück löste sich und sie begann zu husten. Sofort ließ der Winchester sie auf den Boden gleiten. Er stützte sie und strich ihr beruhigend über den Rücken, während sie noch immer von Hustenattacken geschüttelt wurde.

Dean ließ die Frau los, sie stürzte sofort zu ihrer Tochter, und schenkte Sam ein warmes Lächeln.

„Warten sie bitte noch auf den Rettungsdienst. Sie werden gleich hier sein. Ihre Tochter sollte untersucht werden“, bat der Ältere die Frau, als diese sich wieder erhoben hatte, und schob Mutter und Tochter zu einer Bank.
 

Mit einem erleichterten Seufzen ließ sich Dean auf sein Bett fallen. Der Rest des Tages war von den Streichen des Tricksters verschont geblieben.

„Los hoch mit dir. Ich will mir noch deine Schulter ansehen“, forderte der Jüngere.

„Kannst du das nicht Morgen machen. Ich will einfach nur noch schlafen!“ Dean war frustriert. Sie hatten heute zwar keinen Toten zu beklagen, aber der Lösung des Problems waren sie auch noch keinen Schritt näher gekommen. Dieser verdammte Trickster spielte mit ihnen.
 

Sie hatten unterwegs gegessen und der Blonde hatte überlegt, ob er noch in eine Bar gehen und sich die Kante geben oder eine Frau abschleppen sollte, oder beides. Aber er stand auch heute noch nicht anders zu seinen Narben, als vor ein paar Tagen und irgendwie war er einfach nur müde.

„Ich hab es mir gestern auch nicht angesehen.“

„Es zieht wenn ich den Arm bewege, aber das ist normal bei so einer Wunde.“

„Dean! Ich schau es mir an und dann kannst du schlafen!“

„Nervensäge!“

„Alles was du sagst!“, grinste der Jüngere und sah seinem Bruder dabei zu, wie der sich wieder in die Senkrechte quälte.

„Stell dich nicht so an, alter Mann!“

Dean schnaubte entrüstet, sagte aber kein Wort mehr. Er schälte sich aus Hemd und T-Shirt und wartete darauf, dass Sam beginnen würde.

Der löste auch sofort den Verband und tastete die Wunde ab. Die Ränder waren noch immer leicht gerötet. Er schüttelte den Kopf. Deans Kiefer waren fest aufeinander gepresst.

„Tut das weh?“, wollte er wissen und drückte leicht zu.

„Wieso sollte es wehtun, wenn du mit deinen unegalen Riesengriffeln darin rumprokelst?“

„Ich prokel nicht….“, der Jünger brach ab, drückte aber noch einmal fest zu.

Dean zog die Luft geräuschvoll durch die Nase.

Sam verteilte reichlich von Rubys Salbe auf und um die Wunde und deckte sie dann wieder ab.

„Jetzt darfst du schlafen!“, sagte er gönnerhaft und schaute dem Blonden dabei zu, wie der sich seiner Hosen entledigte und unter die Decken kroch.

Keine Minute später schlief er.

Der Jüngere zog sein Handy aus der Tasche. Er wählte Bobbys Nummer.

„Hey Bobby“, grüßte er, kaum das der Ältere abgenommen hatte.

„Hallo Junge, wie geht’s euch?“

„Dean schläft. Er gibt sich die Schuld am Tod der Kleinen gestern. Dabei war ich zu langsam. Er hätte nichts anderes tun können. Und heute hat er den halben Tag vor den Überwachungsmonitoren gesessen, aber wir können diesen Trickster nicht finden. Er spielt mit uns!“ Sam zuckte mit den Schultern, auch wenn Bobby das nicht sah. Aber er wusste einfach nicht weiter.

„Dean wollte noch nicht mal einen Trinken gehen. Verdammt!

Wenigstens gab es heute keinen Toten.

Hast Du eine Idee wie wir ihn unschädlich machen können?“

„Nein, ich habe hier auch nichts Neues gefunden. In Blut getränkte Pflöcke scheinen ja nicht zu helfen.“

„Wenn Dean Recht hat und er wirklich Loki ist, da haben wir eh schlechte Karten. Wie tötet man einen Gott?“

„Gar nicht. Die einzige Möglichkeit, die ich sehe: Beendet diese Märchenshow. In einem normalen Einkaufscenter gibt es wahrscheinlich wenig Angriffsfläche für den Trickster. Möglicherweise zieht er dann ab.“

„Ja, ich denke wir sollten morgen versuchen den Leiter von der Idee zu überzeugen. Obwohl ich nicht glaube, dass er auf uns hört.“

„Okay, grüß Dean. Ich werd mal weiter sehen, ob ich hier doch was finden kann.“

„Danke Bobby.“

„Machs gut, Junge!“

Sam legte auf und ging zurück in ihr Zimmer. Er wollte noch eine Weile im Internet suchen und dann ebenfalls schlafen gehen.
 

Kinderstimmen weckten ihn.

Ihr Motelzimmer lag am Rand eines kleinen Waldes und aus irgendeinem Grund schienen mitten in der Nacht Kinder im Wald zu spielen.

Spielten sie?

Los lauf! Schneller! Drangen die Rufe immer wieder an seine Ohren, doch er konnte nicht heraushören, ob die Kinder Angst hatten. Aber warum sollten sie hier spielen? Und um diese Zeit?

Leise stand er auf und zog sich an. Er wollte Dean nicht wecken, obwohl er sich schon wunderte, warum der nicht auch wach war.

Schnell steckte er sich noch seine Pistole ein, und dann verließ er so leise er konnte das Zimmer.

Seine Augen hatten sich schnell an die Dunkelheit gewöhnt und so lief er ohne Probleme durch den Wald.
 

Immer wieder rief er nach den Kindern und schaute sich suchend um.

Nichts! Hier war niemand.

So langsam zweifelte der jüngere Winchester an sich. Hatte er doch nur geträumt?

Er wollte zurück.

Obwohl es hier eigentlich recht warm war, fröstelte ihn plötzlich. Sam beschleunigte seine Schritte.

Die wenigen Lichter des Motels strahlten ihm schon fast freundlich entgegen, als plötzlich eine Gestalt aus der Dunkelheit trat und sich ihm in den Weg stellte.

Sofort griff Sam nach seiner Waffe.

„Die brauchst du nicht!“

Der Winchester lauschte dem Klang der Stimme nach. Er hatte sie schon mehr als einmal gehört.

„Wer ...“ begann der Jüngere unsicher und hielt die Pistole weiter auf den Fremden gerichtet.

„Hoppelt Dean hier auch rum, oder hast du dich alleine rausgeschlichen? Darfst du denn schon ohne deinen Bruder rausgehen?“, lästerte der Fremde und drehte sich so, dass sein Profil im Schein der Motellampen zu sehen war.

„Du bist der Trickster! Du hast mir Dean genommen! Wieder und wieder hast du ihn sterben lassen und ich ...“

„Und du hättest dabei eigentlich was lernen sollen! Aber du hängst noch immer an seinem Rockzipfel!“

Die Waffe in Sams Hand ruckte wieder nach oben. Doch bevor er abdrücken konnte, hatte der Trickster mit den Fingern geschnippt und Sam hielt eine Wasserpistole in der Hand. Er drückte ab und der Mann vor ihm zog ein beleidigtes Gesicht, als das Wasser über sein Gesicht lief.

Der Winchester konnte sich trotz allem das Grinsen nicht verkneifen.

„Dein Bruder hat seinen Höllentrip verschoben, hab ich gehört?“

„Dean wird nie in die Hölle kommen!“

„Was macht dich da so sicher?“

„Er ist nicht so dumm einen Fehler zweimal zu machen!“

„Och, sobald es um dich geht, hört er auf zu denken.“

„Ich kann auf mich aufpassen und er wird keinen Dämon finden, der noch einen Deal mit ihm macht!“

„Das könnte sogar möglich sein. Aber was hält mich davon ab, ihn ein wenig zu ärgern?“

Lass deine dreckigen Finger von ihm!“, fauchte Sam.
 

„Warum sollte ich? Ihr habt mir meinen Spaß hier schon genug verdorben! Immer wieder müsst ihr mir in die Quere kommen. Immer wieder vermasselt ihr meine schönen Ideen. Ich hab es satt mit euch! Nie wieder werdet ihr mich stören. Mal sehen was ich mit euch anstellen könnte?“, überlegte er und schaute zum Motel.

„Du kannst es mir morgen sagen. Ich bin müde und geh ins Bett! Man sieht sich“, sagte Sam und wollte zu ihrem Zimmer gehen.

„Nein, du wirst deinem Bruder doch seinen Schönheitsschlaf nicht rauben wollen?“, sagte der Trickster und mit einem weiteren Fingerschnippen war Sam wie am Boden festgewachsen. „Es hat Spaß gemacht, zuzusehen, wie du versucht hast dein Leben ohne deinen Bruder zu führen. Was wird er wohl ohne dich machen?“

„Lass Dean in Ruhe!“

„Soviel Liebe unter Männern?“, er lachte. „Das ist ja widerlich!“

„Wir ...“

„Was hältst du davon: Du wirst dich vor ihm ekeln, ihn hassen, sobald du ihn nur siehst!“, sinnierte der Trickster, „Wenn du ihn überhaupt je wieder siehst.“

Wie könnte ich Dean hassen oder mich vor ihm ekeln? Er ist mein Bruder! Meine Familie!“

„Du wirst vergessen, Sam! Diese Gnade gewähre ich dir. Du wirst vergessen wer und was du bist.“

„Ich werde nie ...“

„Geh nach Westen, Sam!“, und schon schnippte der Trickster mit den Fingern.

Der Winchester fühlte wie er fortgerissen wurde. Er sah noch wie der Trickster ihm grinsend hinterher winkte und dann verschwamm die Welt vor seinen Augen.

Er wurde herumgewirbelt. Ihm wurde übel. Er wollte sich übergeben, doch sein Magen war leer. Und dann wurde es plötzlich hell.

Hart schlug er auf dem Boden auf. Roter Staub wirbelte auf. Sam versuchte sich aufzurichten, doch seine Arme gaben unter ihm nach. Mit einem erstickten „Dean“ brach er zusammen.

Verloren

60) Verloren
 

Der Blonde warf sich unruhig in seinem Bett von einer Seite auf die andere. Er blinzelte und versuchte zu ergründen, was ihn geweckt hatte. Doch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, fiel er schon wieder in einen bleiernen Schlaf.
 

„Das Schauspiel will ich mir in Ruhe anschauen“, lachte der Trickster und ließ seine Hand sinken. „Auch ein Gott braucht mal Schlaf.“

Dann verschwand er.
 

Dean erwachte langsam. Er fühlte sich erschlagen, wie gerädert. Was war nur los?

Stöhnend drehte er sich auf den Rücken.

Seine Schulter machte sich mit leichtem Pochen bemerkbar. Es würde wohl noch eine Weile dauern, bis er die wieder schmerzfrei bewegen konnte. Aber es war ja auch erst eine knappe Woche her, dass er, mal wieder, angeschossen worden war.

Müde rieb er sich über die Augen und überlegte, ob er heute überhaupt aufstehen sollte.

Er hatte wirklich keine Lust wieder wie Don Quichotte gegen Windmühlen zu kämpfen. Etwas anderes war der Fall nicht. Immerhin hatten sie die Kleine gestern gerettet. Ein kleines Lächeln huschte über das Gesicht des Blonden. Aber wenn das so weiter ging, dann lagen noch zehn Tage vor ihnen.

Er wollte Urlaub!

Dean warf einen Blick auf das andere Bett. Sammy war schon aufgestanden und da die Dusche nicht ging, hieß das wohl, dass sein kleiner Bruder bald mit Frühstück durch die Tür käme.

Er quälte sich aus seiner Schlafstatt.

Wieso hatte Sam keinen Kaffee angestellt? In letzter Zeit hatten seine Mischungen doch geschmeckt.

Der Blonde stellte die Kaffeemaschine an und schlurfte ins Bad.
 

Sam war noch immer nicht zurück, als er aus dem Bad wiederkam. Er holte sich einen Kaffee und den Laptop aus Sams Rucksack und schaute im Internet nach, ob es im Einkaufscenter etwas Neues gegeben hatte, doch da war alles ruhig.

Er suchte nach Möglichkeiten, wie ein Trickster zu besiegen wäre, denn der mit Blut getränkte Pfahl schien nicht zu wirken. Oder aber er hatte ihnen immer Hologramme von sich vorgegaukelt. Doch wie sollten sie ihn dann überhaupt kriegen, wenn der nicht doch ein Gott ist, wovon er immer stärker ausging.

Die zweite Tasse Kaffee war inzwischen leer und sein Magen knurrte besorgniserregend. Wo blieb nur Sammy? So lange konnte der doch kein Frühstück besorgen, oder? In seinem Magen bildete sich ein Klumpen.

Unruhig begann Dean durch das Zimmer zu tigern.

Er zog sein Handy aus der Tasche und wählte Sams Nummer.

Es klingelte auf dem Nachttisch.

„Verdammt!“, fluchte er.

Der Klumpen in seinem Magen wurde größer.

Dean kontrollierte Sams Zahnbürste. Sie war trocken. Außerdem gab es nur sein nasses Handtuch im Bad. Geduscht hatte der Kleine also auch nicht.

Panik stieg in Dean auf.

Hektisch durchwühlte er den Schrank und die Taschen. Außer Sams Taurus war alles noch da.

‚Wenn Sammy abgehaun wäre, dann hätte er zumindest seinen Laptop mitgenommen!’, versuchte Dean sich zu beruhigen.

Es half nichts. Das ungute Gefühl in seinem Magen wurde immer schlimmer.

Er presste Daumen und Zeigefinger so fest gegen die geschlossenen Lider, dass er bunte Farben sah und atmete ruhig ein und aus. Ganze zwei Mal schaffte er es, dann ließ die Panik seine Atmung immer flacher werden.

Warum musste er Sammy denn in letzter Zeit dauernd verlieren? Reichte es nicht, dass er ihn vor über einem Jahr hatte sterben sehen? Aber jetzt? Erst versucht so ein bekloppter Bildhauer seinen Sammy zu trocknen und jetzt verschwand er mitten in der Nacht.

Nein! Soweit bin ich noch lange nicht!’

Dean wartete, bis seine Hände nicht mehr so stark zitterten, dann kramte er sein Handy wieder aus der Tasche und wählte Bobbys Nummer.

„Hallo Dean, was gibt’s?“

Schon alleine Bobbys Stimme zu hören hatte etwas Beruhigendes. Der Blonde lauschte dem Klang nach und holte tief Luft.

„Dean?“, bohrte der Ältere ungeduldig nach.

„Sam ist weg!“, ließ der die Bombe platzen.

„Wie weg?“

„Ich bin heute Morgen wach geworden und Sam war weg und bis jetzt ist er noch nicht wieder aufgetaucht. Er hat nur seine Waffe mit. Ich dachte er ist Frühstück holen …“, brach es jetzt aus dem Blonden heraus.

„Und du hast nichts gemerkt?“

Das hatte Dean sich auch schon gefragt. Warum hatte er nichts gemerkt?!? Seine Instinkte schlugen doch sonst immer sofort Alarm, wenn mit seinem kleinen Bruder etwas war!

„Nein“, antwortete er kaum hörbar.

Bobby hörte die Selbstvorwürfe trotzdem.

„Hör auf dich zu zerfleischen, Dean“, begann er deshalb.

„Es ist meine Aufgabe auf Sam aufzupassen! Ich bin für ihn verantwortlich!“, bellte Dean in sein Telefon.

„Dean! Sam ist erwachsen!“

„Trotzdem ist er mein kleiner Bruder! Ich hab geschworen ihn mit meinem Leben zu schützen!“

„Brauchst du Hilfe? Soll ich kommen?“, lenkte der Ältere ein. Dass das Verhältnis der Brüder nicht wie bei normalen Brüdern war, das wusste er ja, aber er hatte gehofft, dass es sich langsam normalisierte.

Was hatte John seinen Kindern, was hatte John seinem Großen da nur angetan?

„Ich weiß nicht. Will ihn erstmal so suchen. Wenn er sich meldet, rufst du mich dann an?“

„Mach ich. Aber warum sollte er sich zuerst bei mir melden?“

„Ich …“

„Ich hör mich um und Ellen sag ich auch Bescheid. Wir finden Sam!“, gab Bobby seiner Stimme soviel Zuversicht wie er nur konnte. Denn eigentlich wollte Dean nur jemanden, der ihm zuhörte und ihm ein wenig Halt gab.

„Danke!“, nuschelte der fast sofort und legte auf.

‚Und was jetzt?’, überlegte er. Hunger hatte er keinen mehr. Also griff er sich seine Jacke und verließ das Zimmer.

Er musste Sam finden!

Dean startete den Impala, doch das beruhigende Gefühl, dass ihn jedes Mal überkam, wenn er das satte Brummen hörte, blieb aus. Er fuhr jede Straße im Umkreis von zehn Kilometern ab.

Kein Sam.

Dean ging über den Friedhof. Er wusste nicht warum, aber dass es kein frisches Grab gab beruhigte ihn. Wieso hatte es ihn überhaupt hierher getrieben?

Die trauernde Witwe, die gleich am Eingang vor einem 150 Jahre alten Grab stand, übersah er.

Der Trickster weidete sich an Dean Gefühlen der Angst und des Verlustes. Es war fast noch schöner als Sam dabei zuzusehen, wie der versuchte sein Leben zu leben.

Der Winchester stattete der Bibliothek einen Besuch ab. Auch hier war Sam nicht.
 

Am frühen Abend fuhr er zum Einkaufscenter und ließ sich die Überwachungsbänder der letzten zwei Tage geben. Jeden Schritt seines Bruders sah er sich wieder und wieder an, aber außer mit Simmons, den Menschen am Geldautomaten und der Kleinen, die den Apfel verschluckt hatte, hatte sein kleiner Bruder keinen Kontakt zu irgendwem gehabt und den Trickster konnte er auch nicht in Sams Nähe finden.
 

Müde und vollkommen erschlagen suchte er in der Dunkelheit noch einmal die Straßen ab.

Es war hoffnungslos. Wie sollte er seinen kleinen Bruder nur finden? Sammy konnte schon überall sein.

‚Das hätte er schon heute Morgen’, wisperte eine Stimme in seinem Kopf.

Wütend knurrend schon er sie beiseite.

Warum musste der ihm nur immer wieder abhanden kommen?

Dean nahm sich einen Burger mit auf’s Zimmer. Doch schon nach zwei Bissen warf er den Rest in den Müll. Er bekam keinen Bissen runter.

Schon im Halbschlaf ließ er sich auf sein Bett fallen.

Unruhige Träume verfolgten ihn. Immer wieder sah er Sam, doch jedes Mal wenn er ihn erreichte, verwandelte er sich in den Trickster, oder in Bobby, oder er zerfloss einfach zwischen seinen Finger, wenn er ihn berührte.

Als er erwachte fühlte er sich kein bisschen ausgeruhter.

Fahrig fuhr er sich mit den Händen durch die kurzen Haare und begann dann den Wald hinter ihrem Zimmer abzusuchen.

Warum war er da nicht schon gestern drauf gekommen? Wenn Sammy jetzt hier lag und auf Hilfe wartete? Wenn er verletzt war und vielleicht verblutete, während er schlief? Die Selbstzweifel fraßen sich immer tiefer.

Am Mittag brach er einfach neben einem hohlen Baum zusammen. In diesem Wald hätte alles und nichts passiert sein können. Das Laub sah aus als hätte es jemand heute Nacht geharkt und von überall her schienen Stimmen auf ihn einzureden. Er wusste nicht mehr weiter. Er wollte sich einfach nur noch irgendwo verkriechen, oder aus diesem Albtraum erwachen.
 

Auf dem Nachbarbaum saß ein Eichhörnchen in einer Astgabel und schaute auf das Häufchen Elend herab. Es schien sich köstlich zu amüsieren.
 

Reiß dich zusammen Dean!, hört er plötzlich die Stimme seines Vaters in seinem Kopf. Du bist ein Winchester und kein Waschweib. Du hast einen Job zu erledigen!

Es dauerte noch eine Weile bis die Worte in Deans Bewusstsein gesickert waren. Dann straffte sich der Blonde. Es war egal, ob die Worte jetzt wirklich von seinem Dad gekommen waren, wahrscheinlicher war sein Unterbewusstsein, die Worte waren wahr. Er hatte noch einen Job zu erledigen.

Trotzdem! Sam war und blieb verschwunden!

Wie in Trance lief er in ihr Zimmer zurück, duschte und fuhr dann zum Einkaufcenter.
 

Die meiste Zeit schlich er wie ein Schatten durch die Gänge.

Kurz vor Feierabend fing ihn Alice, die Sekretärin, ab und brachte ihn mit sanfter Gewalt dazu ihr in ihr Büro zu folgen.

Dort setzte sie ihm einen Kaffee und eine Schale Donuts vor die Nase und brachte ihn dazu, wenigstens einen dieser klebrigen Dinger zu essen.

Abwesend kaute der Blonde auf dem Gebäck herum. Er hatte den Eindruck, dass es in seinem Mund immer mehr wurde. Außerdem schmeckte es nach Pappe!

„Wo ist ihr Partner heute?“, riss sie ihn aus seinen trüben Gedanken.

„Er musste in die Zentrale.“

„Aber morgen ist er wieder hier?“

„Das kann ich ihnen nicht sagen.“ Es fiel ihm schwer sich auf ihr Geplapper zu konzentrieren und doch war er ihr schon fast dankbar dafür, dass sie ihn für eine Weile ablenkte.

Viel zu schnell war der Kaffee leer.

Eine weitere Tasse lehnte er ab und vertrieb sich den Rest des Tages mit den Überwachungsbändern.

Er fand nichts.

Hatte der Trickster aufgegeben? Das bezweifelte Dean dann doch. Oder hatte der Sam entführt und weidete sich jetzt an Deans Qualen? Egal was es war, er musste sie finden. Sam und den Trickster!

Nur wie?
 

Nervlich vollkommen am Ende kippte er auf sein Bett. Kurz hatte er erwogen sich mit Alkohol auszuschalten, doch dann hatte die Hoffnung, Sam könnte ja anrufen, die Oberhand gewonnen und er hatte diesen Gedanken verworfen.
 

Los lauf! Komm schon, du schaffst es!

Immer wieder drangen dieser und andere Anfeuerungsrufe an seine Ohren. Aber draußen war es dunkel! Wieso sollten Kinder jetzt Haschen spielen?

Du bist ja langsamer als eine Schnecke. Jetzt mach schon!

Der Winchester schüttelte den Kopf und versuchte wach zu werden. Er hatte bestimmt nur geträumt.

Die Kinderstimmen blieben.

Schnell stand er auf und zog sich an. Noch während er sich die Schuhe zuband, überlegte er, dass es vielleicht der Trickster war, der sich den nächsten Scherz erlaubte. Er schob sich seinen Colt in den Bund seiner Hose. Einige Ersatzmagazine und DER Colt verschwanden in seiner Innentasche.

Irgendetwas steckte noch da drin, doch er hatte keinen Nerv, das jetzt herauszufischen. Er griff sich noch den Pflock, der in seinem Schrank lag und ging los. Sorgfältig verschloss er die Tür.

Die Taschenlampe ließ er in seiner Jacke.

Langsam schlich er durch die Bäume.

Wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen

61) Wo Fuchs und Hase sich „Gute Nacht“
 

„Das war wirklich ein tolles Rennen. Aber ganz ehrlich. Wie kann dein Vetter nur so blöd sein?“

„Das kann ich dir auch nicht sagen. Aber er hatte schon immer einen Anflug von Größenwahn. Vielleicht ist er ja jetzt geheilt.“

„Die Igel haben ihn wirklich ordentlich geleimt!“

„Ja! Gute Nacht!“

„Dir auch eine Gute Nacht!“

Dean starrte die beiden Gestalten, die sich da eben auf der kleinen Lichtung vor ihm verabschiedeten mit offenem Mund an.

„Hier ist er also, der Ort, an dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen!“, ertönte es plötzlich neben ihm und ließ ihn herumfahren.

Sofort fuhr seine Hand in die Höhe und verschwand in seiner Innentasche.

„Du kannst mich nicht töten, Dean!“, sagte der Trickster.

„Das werden wir ja sehen!“, erklärte der Blonde bissig und zog den Colt.

„Du wirst nicht auf mich schießen!“

„Da wäre ich mir nicht so sicher! Was hast du mit Sam gemacht?“, bellte der Blonde und wartete ab, die Mündung der Waffe drohend auf den Mann vor sich gerichtet.

„Oh, es geht ihm gut ... denke ich. Oder es ging ihn gut. Vielleicht!“

„Geht … ging … denkst du??? Wo ist er?“

„Das spielt keine Rolle, Dean, denn selbst wenn du wüsstest wo... du würdest nie zu ihm kommen.“

„Was hast du mit ihm gemacht!“, fauchte der Winchester und die Mündung des Colts ruckte drohend noch ein Stück höher.

„Hm, eigentlich sollte er froh und stolz sein. Er hat etwas erlebt, das nie ein Mensch je erlebt hat. Na ja gut, es gibt ein paar Ausnahmen. Eigentlich schade, dass er es wahrscheinlich vergessen hat.“

„Ich will sofort zu meinem Bruder!“, knurrte der Blonde und drückte die Mündung gegen die Brust des Tricksters.

„NEIN!“, bockte der.

Deans Zeigefinger krümmte sich.

„Das ist Erpressung!“

„Kannst du dir vorstellen, dass mir das egal ist?“

„Was willst du mit Sam? Er macht dich immer nieder. Er ist immer der Bessere, immer der Intelligentere von euch. Du bist immer unnötig klein neben ihm.“

„Ich will zu Sam!“

„NEIN! Aber ich will auch dich nie wieder sehen. Nie wieder sollst du mir in die Quere kommen. Ich wünsche dir viel Spaß da oben!“, lachte der Trickster und schnippte mit den Fingern.

Dean drückte ab. Doch bevor er sehen konnte, ob der Trickster starb, oder ob er ihn überhaupt getroffen hatte, begann sich die Welt um ihn zu drehen. Er hatte das Gefühl zu fliegen. Fliegen! Sein Magen wollte unbedingt nach außen. Alles um ihn herum drehte sich. Kurz biss die grelle Helligkeit ihm in die Augen und dann wurde es wieder dunkel um ihn herum.

Dumpf schlug er auf dem Boden auf.
 

Eine Weile blieb er einfach nur liegen und versuchte sich klar zu werden, ob er noch lebte, dann wälzte er sich auf den Rücken und öffnete die Augen.

Vollkommene Schwärze umfing ihn.

Hatte der Trickster ihm das Augenlicht...? Panik kroch seine Speiseröhre hinauf.

Doch dann sah er hin und wieder einen Stern am Himmel funkeln. Und jetzt hörte er auch die Geräusche des nächtlichen Waldes.

Irgendwie hatte der Trickster ihn wohl ko geschlagen und einfach liegen gelassen.

Vorsichtig drehte er sich wieder auf den Bauch und stemmte sich in die Höhe. Sein Magen nahm die vorhergehende Attacke wohl noch übel und rebellierte. Tief durchatmend blieb er auf den Fersen sitzen.

‚Der Colt!‘ Sofort begann er den Boden um sich herum abzutasten und fand ihn.

Seine Finger schlossen sich um den Lauf der antiken Waffe. Dean atmete tief durch. Er hatte die Waffe fallen lassen! Wie konnte er nur! Wenn der Trickster jetzt damit verschwunden wäre?

Schnell stopfte er sie in seine Innentasche.

‚Verflucht! Was ist da eigentlich alles drin? Ich sollte wohl doch mal meine Jacke ausmisten?’, überlegte Dean und grinste. Wieder beugte er sich nach vorn und tastete den Waldboden noch einmal ab. Irgendwie wollte er die Hoffnung, dass der Colt den Trickster doch getötet hatte noch nicht begraben.

Leider fand er keinen Körper. ‚Na ja, vielleicht lösen sich tote Götter ja auch einfach auf?’

Er erhob sich und schaute sich um. Wieso war es eigentlich so dunkel und warum hörte er nur den Wald? Das Motel lag an einer Straße. Wenigstens hin und wieder sollte doch wohl mal ein Auto vorbei fahren!

Er schüttelte den Kopf. Vielleicht hat es einen Stromausfall gegeben. Das würde zwar die fehlenden Autos noch nicht erklären, aber er wollte sich darüber jetzt keine Gedanken machen.

Herzhaft gähnend lief er in Richtung Motel.

Eine Nacht Ruhe würde seinen schmerzenden Kopf bestimmt auch wieder beruhigen. Und wenn er den Trickster doch getötet hatte, dann wäre Sammy ja auch wieder da!

Wärme breitete sich in seinem Magen aus und ein Lächeln erhellte sein Gesicht.

Er beschleunigte seine Schritte.

Plötzlich landete sein Fuß im Nichts.

Dean strauchelte. Er versuchte sich haltsuchend nach hinten fallen zu lassen.

Vergeblich.

Immer schneller rutschte er nach unten. Und schon bald machte sein Rücken Bekanntschaft mit dem rauen Untergrund.

Sein Fuß prallte auf ein Hindernis. Heiß explodierte der Schmerz in seinem Knöchel. Er knickte zur Seite und überschlug sich drei, vier Mal bevor seine Hände etwas Raues zu fassen bekamen. Doch der Halt war trügerisch und sein Schwung zu groß. Seine Handflächen schrammten über den Stein, einige Nägel splitterten, doch er konnte nicht verhindern, dass er langsam abglitt.

Wieder überschlug er sich mehrfach. Äste und Steine bohrten immer wieder schmerzhaft in seine Rippen und pressten ihm die Luft aus den Lungen.

Blind rudernd griff er in die Dunkelheit, doch die wenigen kleinen Bäumchen, die er zu fassen bekam, konnten ihm keinen Halt bieten. Im besten Fall verlangsamten sie seinen Sturz mit einem schmerzhaften Ruck, der durch seinen Körper ging und dann lösten sich ihre Wurzeln ebenfalls und sie polterten zusammen mit ihm ins Tal.
 

Hart und kaum noch Herr seiner Sinne landete er plötzlich auf seinen Füßen. Wieder explodierte der Schmerz in seinem Knöchel. Er kippte auf Knie und Hände.

Einige Bäumchen und kleinere Steine, die er aus ihrer Verankerung gerissen hatte trommelten auf seinen eh schon schmerzenden Rücken.

Dean kippte zur Seite. Leise wimmernd rollte er sich zusammen und verlor jetzt endgültig das Bewusstsein.

Noch immer rieselten Blätter auf ihn und decken ihn langsam zu.
 

Ein lautes Krachen weckte ihn.

Hart trommelte etwas auf seinen Körper. Er öffnete die Augen und versuchte zu erkennen wo er war.

Gleißende Helligkeit brannte sich in seine Netzhäute. Mit einem Stöhnen schloss er seine Augen wieder. Der folgende Donner ließ ihn zusammenzucken.

Er wollte sich mit einer Hand auf dem Boden abstützen und versuchen etwas weiter in den Schutz dessen zu rutschen, das er an seinem Rücken fühlte.

Seine Hand patschte ins Wasser.

Verwirrt zog er die Augenbrauen zusammen. Mühsam setzte er sich auf und lehnte sich an die Wand hinter sich.

Im unsteten Licht der Blitze sah er, dass er in einer Kuhle gelandet war. In einer Kuhle, die sich jetzt mit Regenwasser füllte! Er musste hier raus!

Sein linkes Bein fühlte sich an, als wäre es durch den Fleischwolf gedreht worden. Umständlich stemmte er sich, mit dem Felsen in seinem Rücken als Unterstützung, in die Höhe.

Als er stand, zitterte sein rechtes Bein so stark, dass er Angst hatte wieder zu Boden zu gehen. Er wartete, den Kopf in den Nacken gelegt, bis sich sein Körper wieder beruhigt hatte und ließ sich das heiße Gesicht vom Regen kühlen.

Sturzbäche rannen über seinen Hals und verschwanden unter dem T-Shirt, um dann unangenehm über Brust und Nacken laufend in die Shorts zu kriechen.
 

Das Wasser lief in größer werdenden Rinnsalen vom Berg in seine Kuhle und stieg immer schneller.

Deans Füße standen schon komplett in der trüben Brühe.

Er hoppelte mit zusammengebissenen Zähnen zum etwas mehr als hüfthohen Rand. Seine Finger verkrallten sich in dem glitschigen Gras und er stemmte sich in die Höhe.

Keuchend ließ er sich einfach nach vorn fallen.

Das Gras war noch angenehmer an seiner heißen Wange, als die Regentropfen kurz vorher. Er wollte einfach nur noch liegen bleiben.

Sein Überlebenswille ließ das jedoch nicht zu.

Stöhnend stemmte er sich erneut in die Höhe und kroch, sein Bein hinter sich her ziehend, den Hang wieder ein Stück nach oben. Am Stamm eines hohen Baumes rollte er sich zusammen. Seine Kräfte waren aufgebraucht und der Schmerz in seinem Bein raubte ihm die Besinnung.

Dankbar ließ er sich in die Dunkelheit fallen.
 

Ein lautes Klappern weckte ihn.

„Sammy! Kannst du nicht leiser auf den Tasten rumhacken?“, knurrte er und erschrak über das heisere Krächzen, das seine Kehle verließ. Brummelnd setzte er sich auf und keuchte, als er endlich an den Baum gelehnt saß. Seine Muskeln protestierten schmerzhaft gegen diese Bewegung. Er fror erbärmlich. Seine Kleidung war durchgeweicht.

Verwirrt schaute er sich um. Heiß strich sein Atem durch seine trockene Kehle. Und jetzt endlich erkannte er, dass das Klappern von seinen Zähnen kam.

‚Wo bin ich hier? Was ist passiert und wie bin ich hierher gekommen?’

„Sammy?“, krächzte er und musste sofort husten. Sein Brustkorb zog sich krampfhaft zusammen.

Nach einer Weile konnte er sich endlich beruhigen und er lehnte sich japsend an den Stamm.

Langsam kamen die Erinnerungen zurück.

Er hatte den Trickster erschossen. Hatte er? Aber wieso war er dann hier und wo zur Hölle war hier? Hatte der Trickster ihn sozusagen als letzte Rache hierher gebeamt? Dean grinste leicht. ‚Beam me up, Scotty!’

Egal! Er musste hier weg. Er musste in die Stadt.

Mühsam erhob er sich und schaute sich um. Es gab nur einen Weg. Weiter den Berg hinunter. Doch zuerst brauchte er etwas zu trinken. Langsam hinkte er zu der Mulde, die mit Regenwasser gefüllt war und ließ sich am Rand nieder. Er wäre hier drin jämmerlich ertrunken, ging es ihm durch den Kopf.

Hastig trank er soviel er nur konnte. Dann hinkte er los.

Die Sonne stieg am Himmel empor und es wurde warm. Trotzdem erschien es ihm viel kälter als es in den letzten Tagen gewesen war.

Nichtsdestotrotz trocknete seine Kleidung und schon bald begann er zu schwitzen.

Sein Hals fühlte sich bei jedem Atemzug an, als ob jemand darin mit Sandpapier hantieren würde.

Der Durst kam zurück.

Langsam stolperte er weiter. Immer wieder musste er sich an Bäumen oder Steinen abstützen, immer wieder blieb er an die Stämme gelehnt stehen und versuchte wieder zu Atem zu kommen. Sein Hals brannte, sein Rücken schmerzte. Der Schweiß rann ihm in kleinen Bächen über den Körper und er wünschte sich das Gewitter von letzter Nacht zurück.
 

Zum wievielten Mal er jetzt umgeknickt war wusste er nicht. Aber noch nie hatte er den unebenen, weichen Waldboden so sehr verflucht wie jetzt. Dean robbte zum nächsten Baum und lehnte sich an den Stamm.

Ohne Hilfe würde er nicht mehr sehr weit kommen, das wusste er. Doch da Sammy als lebende Krücke ja wohl mangels Anwesenheit ausfiel, würde er sich anders behelfen müssen.

Jetzt brauchte er erst einmal Ruhe, um den Schmerz in seinem Bein soweit verdrängen zu können, dass er weiter laufen konnte. Er musste Sam finden und diesen verdammten Trickster. Er würde ihn rösten, grillen, filetieren, ausnehmen, den Trickster, nicht Sam!

Dean ließ seinen Kopf gegen den Stamm in seinem Rücken fallen und wartete.
 

Endlich fühlte er sich wieder in der Lage aufzustehen. Seine Hände zitternden nicht mehr und auch die Schmerzen waren auf ein erträgliches Maß gesunken. Mit Hilfe des Stammes stemmte er sich in die Höhe und hinkte weiter.

Kurz bevor er auf eine staubige Ebene kam, brach er sich einen stärkeren Ast ab und nutzte ihn als Krücke. Es war inzwischen früher Abend und noch immer brannte die Sonne unbarmherzig vom blanken Himmel. Der leichte Wind trieb Staubhosen vor sich her.

Als sich die Dunkelheit über die Ebene senkte, ließ Dean sich einfach fallen und schlief fast sofort ein.

Frierend erwachte er.

Der Morgen kündigte sich mit einem schmalen Streifen am Horizont an.

Der Winchester wollte weiter schlafen. Sein Körper fühlte sich an, als wäre er unter die Räder geraten und er vermutete, dass es einfacher wäre aufzuzählen, was nicht schmerzte. Er rollte sich ein wenig mehr zusammen und schloss die Augen.

Der Wind pfiff ihm durch die Kleidung und sein Zittern wurde stärker. Er musste sich bewegen!

Dean setzte sich auf und schaute in den erwachenden Tag. Keine Wolke war am Himmel zu sehen. Es würde also doch wieder heiß werden.

Sein Hals kratzte. Das würde eine ausgewachsene Erkältung geben, dabei hasste er es doch krank zu sein! Er hatte Durst. Aber hier gab es nur Wind und Staub.

Seine einzige Hoffnung war, nach Santa Fe zurück zu finden. Sam wartete bestimmt schon auf ihn und machte sich Sorgen.

Ächzend stemmte er sich in die Höhe, stellte die Krücke unter seine Achsel und hinkte los. ‚Immer der Nase nach!‘ Er grinste breit. Das klang doch viel besser als: ‚Weg vom Berg!‘

Gefunden

62) Gefunden
 

Die Sonne stieg und brannte ungehindert auf den humpelnden Mann.

Seine Atmung war kurz und flach und rasselte mit jedem Atemzug durch seine Kehle. Immer wieder schwankte die rotbraune Ebene vor ihm von links nach rechts und verstärkte die Übelkeit auf ein unerträgliches Maß.

Mit einem flehenden Wimmern brach er in die Knie und schon drängte sich der nicht vorhandene Inhalt seines Magens nach außen.
 

Endlich hörten die Magenkrämpfe wieder auf und er ließ sich stöhnend auf seinen Fersen nieder.

Vielleicht eine Meile vor ihm jagte ein Planwagen über die Ebene und hinterließ eine rote Staubwolke, die langsam auf ihn zu trieb.

‚Pferdewagen! Klar, weil hier ja auch so viele davon unterwegs sind.‘ Ein kurzes Grinsen huschte über seine Züge. Gefolgt von einem schmerzerfüllten Keuchen. Seine Muskeln krampften sich immer wieder zusammen und er kippte zuckend zur Seite.
 

Staub klebte auf seinem Gesicht und brannte in den Augen, die er gerade erst aufgeschlagen hatte.

Die Krämpfe hatten nachgelassen und er quälte sich wieder auf die Beine.

Da vor ihm war eine Straße! Er konnte die Autos sehen, die da fuhren.

Eine Schnellstraße, so wie die in der flirrenden Hitze rasten. Da musste er hin.

Sammy würde in Santa Fe auf ihn warten! Sammy und ein Bett. Und dann wollte er einfach nur noch schlafen. Drei Tage schlafen und wehe Sam schleppte ihn zu einem Arzt! Aber vielleicht hatte er ja noch was von den Tabletten.

Seit wann stand er denn auf Drogen? Er hasste es doch Sam so wehrlos ausgeliefert zu sein. Die Schmerzen ließen ihn einfach nicht mehr klar denken! Er brauchte nur eine Dusche und ein Bett! Sollte Sam sich die Tabletten doch sonst wohin stecken! Er schaffte das ohne, wie immer!

Schon wieder hatte sich ihm so ein junger Felsen vor die Füße geworfen. Eine heiße Frau wäre ihm lieber gewesen. Immerhin wäre er dann nicht so hart auf dem Boden aufgeschlagen.

Und schon wieder wurde sein Körper von einem dieser Krämpfe heimgesucht.

Als der vorbei war, und er sich dazu in der Lage fühlte, stemmte er sich wieder auf die Füße.

Eigentlich war es ihm ja ein Rätsel, wieso er es überhaupt noch schaffte, aber er wusste auch, dass, wenn er noch einmal fallen würde, er es nicht mehr schaffen würde sich aufzurichten und er musste doch weiter!

Schon fast ängstlich klammerte er sich an seinen Ast. Seine Hände bluteten inzwischen so stark, dass er immer wieder von seiner improvisierten Krücke abrutschte. Nur seine Sturheit hinderte ihn daran einfach aufzugeben.

Ausgebleichte Kuhschädel tanzten vor seinen Augen. Seine Lippen waren aufgerissen und schmeckten schon lange nach Kupfer. Dick klebte seine Zunge am Gaumen und behinderte ihn beim Atmen.

Aber er musste weiter. Er musste zur Straße, musste zu Sammy! Seine Augen tränten und ihm war heiß! Unerträglich heiß. Sein Kopf schien eine einzige hämmernde Masse zu sein, die auch noch von Schritt zu Schritt schwerer wurde.

Und dann blieb sein Fuß erneut an einem Stein hängen. Er strauchelte und stürzte.

Umständlich versuchte er sich wieder aufzurichten. Doch diesmal war die Erdanziehung zu stark oder er zu schwach, er kippte zur Seite und verlor sich, krampfend, in einer wohltuenden Dunkelheit.

Sein Körper rollte auf den Rücken.

Unbarmherzig brannte die Sonne auf den Bewusstlosen herab.
 

„Du fährst wie ein alter Opa“, lästerte der Jüngere, der auf dem Kutschbock neben seinem Bruder saß.

„Hier ist freie Prärie und keine Stadt.“

„Meinst du, dass hab ich in drei Jahren vergessen?“

„Na ja, du musstest die ganze Zeit den alten Herrn durch die Gegend kutschieren. Kann ja sein, dass das längerfristige Folgen hat. Immerhin warst du in den vier Jahren davor auch immer nur in den Ferien bei uns.“

„Aber jetzt bin ich wieder da und du nur noch der kleine Bruder!“

„Bilde dir mal nicht zuviel ein!“

Die Männer auf dem Kuschbock hätten nicht unterschiedlicher aussehen können. Obwohl ihre Gesichter eine Familienähnlichkeit aufwiesen.

Der Ältere, der die Zügel in der Hand hielt, war mit einem dunklen Anzug bekleidet. Ein Zylinder, unter dem braue, kurze Haare hervorschauten, komplettierte seinen Aufzug. Sein Gesicht war blass und verriet, dass er wohl in letzter Zeit wenig Sonne gesehen hatte.

Der Jüngere hatte mittelbraune, längere, leicht gelockte Haare. Ein breitkrempiger Hut beschattete seine Augen. Er trug eine helle Baumwollhose, ein blaues Hemd und eine Lederweste darüber. Von seinen geliebten Chaps hatte er sich nicht trennen wollen, auch wenn seine Mutter darauf bestanden hatte, schließlich sollte er seinen großen Bruder von der Postkutsche abholen und keine Rinder treiben.

Doch dessen sehnsüchtige Blicke hatte ihn die wütenden Blicke seiner Mutter vergessen lassen. Er war nun mal ein Cowboy!
 

„Hey, halt mal an!“, rief der Jüngere aufgeregt.

„Ich hab die Zügel in der Hand und ich kann auch schneller wenn du unbedingt gebrochene Pferdebeine riskieren willst, aber dir werde ich heute auf keinen Fall noch einmal die Zügel überlassen!“

„Nein, halt mal an! Da lag was!“

„Wer weiß, was du gesehen hast! Das war bestimmt nur eine tote Kuh!“

„Jetzt dreh schon um und fahr zurück! Das lag heute Morgen noch nicht da.“

Kopfschüttelnd wendete der Ältere den Wagen: „Und ich dachte du hättest es eilig zu Sarah zu kommen!“

Der Jüngere schnaubte nur ungehalten und hielt nach diesem unbekannten Etwas Ausschau, das er gesehen zu haben meinte.

„Da vorn!“, rief er gleich darauf und deutete in die Richtung.

Der Ältere hielt den Wagen an und sein Bruder sprang herab. Mit wenigen Schritten war er bei der vermeintlichen toten Kuh.

„Ist aber eine komische Kuh!“, grinste der Jüngere und ging in die Hocke.

„Verdammt, William, das ist ein Mensch“, er drehte den Mann, der jetzt, halb auf dem Bauch, zusammengekrümmt dalag um, und suchte nach seinem Puls, „und er lebt noch!“

Schnell war der Kutscher vom Bock und lief nun ebenfalls zu dem Bewusstlosen.

„Sei vorsichtig, Jake!“, rief er und zog seine Waffe. Hier draußen wusste man nie.

„Oh mein Gott!“, entfuhr es ihm. Der Mann sah furchtbar aus. Schnell hockte er sich seinem kleinen Bruder gegenüber und tastete ebenfalls nach einem Puls.

„Bringen wir ihn auf den Wagen. Mom wird sich freuen, wenn sie wieder was zusammenflicken kann.“

„Hat sie ihre Samariter-Angewohnheiten noch immer nicht abgelegt?“

„Ohne die hätten wir nie so eine wundervolle Schwester bekommen!“

„Na ja, ich weiß woran du denkst, Brüderchen“, grinste William und packte den Mann unter den Armen.

„Du bist ja nur neidisch!“

Schnell schafften sie ihn zum Wagen und betteten ihn zwischen Mehlsäcken und Stoffballen so weich wie möglich.

Wieder tastete William nach dem Puls.

„Er glüht. Wir müssen ihn unbedingt kühlen!“, sagte er aufgeregt und suchte nach der Wasserflasche, die er im Wagen wusste.

Jacob reichte seinem Bruder das Gewünschte. Der hielt die Flasche an die aufgesprungenen Lippen ihres Findlings und ließ ein paar Tropfen hineinlaufen. Doch der Mann reagierte nicht. Und so kippte er den Inhalt der Flasche über dessen Oberkörper.

Der Ältere drückte seinem Bruder die Zügel in die Hand: „Fahr du, du kennst die Fahrrinnen wohl besser als ich.“

Jacob nickte und während er versuchte ihre Fracht wie eine Schale roher Eier und doch so schnell wie möglich nach Hause zu transportieren, bemühte sich William dem Fremden etwas Wasser zwischen die aufgesprungenen Lippen zu träufeln.
 

Langsam tauchte er aus seiner Dunkelheit auf.

Etwas geschah mit ihm! Er schwebte! Er wollte sich wehren. Er wollte denen sagen, dass sie ihn in Ruhe lassen sollten und versuchte seine Augen zu öffnen. Sie waren ... Er bekam sie nicht auf! Panik fraß sich rasend schnell durch seine Eingeweide und dann wurde er wieder hingelegt. Er hoffte, dass sie ihn jetzt in Ruhe ließen, doch diese Hoffnung wurde betrogen. Er hatte das Gefühl, dass die Unterlage, auf der er lag, über ein Rüttelbrett gezogen wurde. Wenn er doch nur sehen könnte!

„Sam“, bettelte er fast tonlos und versuchte sich zu drehen.

Immer neue Wellen von Schmerzen drängten sich in sein Gehirn und löschten sein Bewusstsein wieder aus.

Die helfenden Hände, die ihn in seinen halbherzigen Bemühungen unterstützten und ihn ein wenig zur Seite drehten, spürte er schon nicht mehr.
 

„Mama!“, schrie Jacob aus vollem Hals und brachte den Wagen wenige Schritte vor der Veranda zum stehen. Roter Staub trieb den darauf stehenden Menschen die Tränen in die Augen.

„Jacob! Wie kannst du nur ... Das wird ein Nachspiel ...“, begann der ältere Herr, der dunkle Hosen, ein helles Hemd und eine dunkle Weste trug.

„Bitte Papa, nachher. Wir brauchen Hilfe!“, rief Jacob nur und bedauerte seinen großen Bruder etwas.

So hatte der sich seinen Empfang nach drei Jahren Abwesenheit bestimmt nicht vorgestellt.

Doch schon war er um den Wagen herum gerannt und hing jetzt halb auf der Ladefläche um die Beine des Fremden zu packen. Sofort zog er daran und William, der den Fremden wieder auf den Rücken gedreht hatte, fasste unter dessen Armen hindurch und kam in gebückter Haltung watschelnd nach hinten.

Endlich waren auch die restlichen Familienmitglieder am Wagen. Etwas musste geschehen sein, sonst würde William bei den Querelen seines Bruders nicht mitmachen.

Und dann sahen sie ihn.

„Oh mein Gott!“, ließ die junge Frau sich hören.

„Bringt ihn schnell ins Haus!“, befahl die ältere Frau, raffte ihre Röcke und lief voraus. Sie nahm die Tischdecke von dem großen Esstisch in der Diele und schob einige Stühle beiseite.

„Legt ihn hier auf den Tisch“, kommandierte sie dann und die Brüder gehorchten.

„Er muss starke Schmerzen im Rücken haben, er wollte sich vorhin unbedingt auf den Bauch drehen“, informierte der Ältere.

„Er war wach?“, fragte ihn die Mutter.

„Wach würde ich das nicht nennen. Ich glaube er wollte irgendetwas sagen, aber ich weiß nicht was. Ich habe es nicht verstanden.“

„Zieht ihn aus! Sarah hol’ heißes Wasser und Tücher. Richard, bitte bleib, vielleicht brauche ich dich“, bat sie ihren Mann, der gerade zum Wagen gehen wollte.

Er liebte seine Frau und hatte ihre medizinischen Kenntnisse auch schon öfter in Anspruch nehmen müssen. Er hatte auch keine Probleme damit eine Kuh oder ein anderes Tier zu schlachten, aber bei einem Menschen verließ ihn diese kaltblütige Ruhe.

Doch er blieb.

Nie würde er sich das anmerken lassen! Er war Rancher!
 

Den jungen Mann aus seinen Sachen zu befreien entpuppte sich als nicht so einfach wie gedacht. Nicht weil er zuviel angehabt hätte.

Die Kleidung, die er trug war ihnen größtenteils vollkommen unbekannt. Die Jacke war geöffnet und das Hemd stellte auch kein Problem da, doch schon das Ding darunter stellte sie vor ein Rätsel. Auch seine Schuhe sahen seltsam aus. Die Hosen waren aus einem, ihnen in diesem Zusammenhang, unbekannten Stoff. So fest und doch so ... Sie kannten ihn eher von den Planwagen aber da war er weiß! Aber erst das, was er darunter trug …? Komische Unterhosen waren das!

Jacobs Finger glitten vorsichtig über den Reißverschluss der Jacke. ‚Was ist das?‘, überlegte er und sah, dass an der Hose genau so ein Teil war.

Das Messer am Knöchel des Fremden ließ sie schmunzeln.

Mit flinken Fingern untersuchte Mrs. Harrison ihren Patienten. Sanft glitten sie über die roten Hautflächen auf Schultern, Hüften, Bauch und Oberschenkeln. Auch sonst waren auf dem Körper jede Menge feiner Narben sichtbar. Was hatte der Junge mitmachen müssen? Selbst für ihre Verhältnisse waren das zu viele.

Vorsichtig löste sie den Verband an seiner Schulter. Womit war dieser nur befestigt und warum klebte das Zeug so. Das Wahre schien es ja wohl nicht zu sein, schließlich klebte es in der Wunde!

Die Haut des Jungen war trocken und heiß und er war unnatürlich blass. Das war kein gutes Zeichen.

Sarah kam mit Wasser und Tüchern und begann sofort dem Mann das Gesicht und die vom Fieber verklebten Augen auszuwaschen. Sie ging so vorsichtig wie möglich vor, da sich schon erste Bläschen bildeten. Er hatte einen furchtbaren Sonnenbrand.

Der Fremde stöhnte leise.

„Wäscht du dann bitte seine Hände ab?“, bat die Mutter.

Sarah nickte und begann mit der linken Hand des Fremden.

Kaum berührte das Wasser seine aufgeschürfte Handfläche, versuchte er auch schon ihr die Hand zu entwinden. Seine Zähne mahlten aufeinander. Warum konnte Sam ihn nicht in Ruhe lassen?

Die Frau lächelte. Das war ein gutes Zeichen. Noch lebte er!

"SAM !?!"

63) „SAM?!?“
 

„Wo habt ihr ihn gefunden?“, wollte Mrs. Harrison wissen.

„Eine reichliche Stunde von hier. So wie er lag könnte er aus den Bergen gekommen sein“, sagte William leise. „Aber das wäre vollkommen unlogisch. Ein Mann ohne Pferd? Eigentlich IST es unlogisch. Was will er hier draußen und wie kommt er hierher?“

Er stand einfach nur am Kopfende des Tisches und beobachtete seine Mutter. So wie sie hier hantierte hatte er sie die letzten drei Jahre vor Augen gehabt. So liebte er sie und die Wut, die er noch immer in seinem Inneren gespürt hatte, die Wut darüber, dass er zu Großvater reisen musste, war verflogen. Er hatte immer gewusst, dass sie sich wünschte, dass ihr Ältester eine priesterliche Laufbahn einschlagen sollte und ihr zuliebe hatte er das College und die Ausbildung in Princeton auch durchgehalten und sogar recht gut abgeschlossen. Aber er war Rancher, wie sein Vater, und das wollte er auch weiterhin sein.

Seine Mutter hatte das letztendlich eingesehen. Und er war froh, endlich wieder Zuhause zu sein.
 

„Dreht ihr ihn bitte auf den Bauch“, forderte die ältere Frau jetzt und sofort fassten sechs Hände zu.

Dean stöhnte leise. Warum konnte Sammy ihn nicht in Ruhe lassen, oder ihn wenigstens vorher doch mit diesen tollen Tabletten abschießen? Egal was sein Stolz sagte, er wollte sie! Jetzt!

Gab es eigentlich Geisterpferde? Wenn ja, war er wohl mächtig unter deren Hufe geraten.

Kühle Hände tasteten über seinen Rücken. Er verspannte sich leicht, als sie etwas fester auf die besonders schmerzhaften Stellen drückten. Und dann waren sie an der langsam verheilenden Schusswunde.

„Au! Sam! Nimm deine Pfoten da raus! Und ja! Es tut weh!“, knurrte er wütend, um seinem kleinen Bruder den Wind aus den Segeln zu nehmen, und stemmte sich hoch. Er wollte doch nur seine Ruhe!?!

Seine Stimme klang selbst für ihn eher wie das Rascheln trockener Blätter und kratzte ganz furchtbar in seinem Hals.

Erschrocken waren die Frauen einen Schritt zurückgewichen.

Mit trüben Augen blickte sich Dean um. Wo war Sam? Suchend wanderte sein Blick über die Personen, die um ihn herum standen. Wer waren die? Hatte Sammy ihn in ein Krankenhaus gebracht? Was war passiert?

„Sam?“, fragte er, setzte sich umständlich auf und rutschte vom Tisch.

„Sammy?“

Kaum musste sein verletztes Bein sein Gewicht tragen, knickte es ein und er ging hilflos zu Boden. Die Schmerzen rasten durch seinen Körper hinauf in sein Gehirn.

„Sammy!“, bettelte er noch einmal hilflos. Dann schwappte die Dunkelheit wie eine große Welle über ihm zusammen und sein Körper entspannte sich wieder.
 

Schnell hoben sie ihn wieder auf den Tisch und versorgten ihn weiter.

„Habt ihr die Gegend richtig abgesucht? War da noch jemand?“, fragte die Frau drängend.

„Wir haben niemanden gesehen. Aber wir haben auch nicht wirklich gesucht“, bekannten die Brüder.

„Allerdings wollten wir ihn so schnell wie möglich hierher bringen.“

Margaret Harrison nickte nur.

Mit geübten Handgriffen säuberte und verband sie Deans Schulter neu.

Sie nahmen ihm Armband und Ring von den geschundenen Händen. Nur der Verschluss seiner Uhr stellte sie vor einige Schwierigkeiten.

„Die sieht so … komisch aus. Und das Material?“, wunderte sich William. In seiner Familie gab es nur Taschenuhren und die Standuhr in der Diele. Eine Weile betrachtete er sich das kleine technische Wunder.

Woher kam der Mann! Und wer war Sam?

Margaret verband ihrem Patienten inzwischen die Hände, schiente mit Hilfe ihres Mannes Knie und Fußgelenk und tastete dann mit vorsichtigen Fingern das stark gerötete Gesicht ab.

„Das gefällt mir gar nicht“, sagte sie leise. „Das ist ein starker Sonnenbrand. Wie lange hat der Junge nur in der Sonne gelegen?“

Dann schien sie zu einem Entschluss gekommen zu sein.

„Bringt ihn in die kleine Kammer. Eigentlich solltest du da schlafen, aber ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn du dir ein Zimmer mit Jacob teilen musst“, lächelte sie ihren Ältesten bedauernd an.

„Nein Mama, bestimmt nicht.“

Sie nickte erleichtert.

„Richard, bitte kümmere dich um den Grill. So langsam sollten wir essen. William wird Hunger haben nach der langen Fahrt“, bat sie ihren Mann, während sie den Kindern in das Zimmer folgte.

Die beiden jungen Männer legten den Fremden ins Bett.

Schnell lief Margaret in die Küche. Sie kam mit einer Tasse und einer kleinen Schüssel voll Apfelessig, in der ein Leinentuch schwamm wieder.

Vorsichtig tupfte sie sein Gesicht ab und legte das Tuch dann zur Kühlung komplett darüber.

Dann zog sie sich einen Stuhl neben das Bett und wollte sich setzten.

„Mama, geh mit raus und setzt dich zu William. Du freust dich schon so lange auf seine Rückkehr“, wandte Sarah leise ein und nickte auffordernd, als ihre Mutter sie fragend ansah.

Die Frau lächelte dankbar und verließ das Zimmer. Doch bevor sie die Tür schloss, steckte sie ihren Kopf noch einmal ins Zimmer.

„Das Tuch solltest du feucht halten.“

„Ich weiß, Mama, geh schon“, sagte die junge Frau.

Endlich hörte sie die Schritte, die sich langsam entfernten.
 

Unschlüssig schaute sie auf den Mann. Sein Brustkorb hob sich etwas abgehakt, aber regelmäßig. Seine Hände sahen mit den ganzen Binden aus, als hätte er Handschuhe an.

Eine leichte Gänsehaut überzog seinen Körper. Vorsichtig hob sie seine Hände an, lüftete die Decke und legte die Hände neben sein Becken.

Er war gut gebaut, doch auch ihr Blick blieb wieder an den geröteten Hautpartien auf seinem Bauch hängen. Waren das Narben? Was war mit ihm passiert? Und wie konnte er das überleben, fragte sie sich erneut.

Sein Zittern wurde stärker. Schnell deckte sie ihn wieder zu.

Plötzlich stöhnte er und warf den Kopf hin und her. Das Tuch verrutsche. Sie nahm es von seinem Gesicht.

Seine Augen waren halb geöffnet und sein Blick irrte durch den Raum.

„Sammy?“, fragte er wieder rau.

Sein Stimme klang so flehentlich und Sarah wusste nicht was sie sagen sollte. Ob er richtig wach war?

„Verratet Ihr mir Euren Namen?“, fragte sie leise und sein Blick blieb an ihrem Gesicht hängen.

„Dean!“, flüsterte er.

„Ihr solltet etwas trinken“, sagte sie leise und griff nach der Tasse in der sich ein Tee aus Weidenrinde und Kamille befand.

„Ich bin Sarah“, sagte sie und schob ihre Hand unter seinen Rücken, um ihn ein wenig anzuheben.

Dean stöhnte.

„Es wird gleich besser“, versprach sie und hielt ihm die Tasse an die Lippen.

Angewidert verzog er das Gesicht. Das Zeug schmeckte furchtbar.

„Bitte Ihr müsst das trinken, es wird Euch helfen“, sagte sie und ließ das Gebräu weiter in seinen Mund laufen. Dem Winchester blieb gar nichts anderes übrig als zu schlucken.

Endlich war die Tasse leer. Sarah ließ ihn wieder in die Kissen gleiten.

Seine Schmerzen zerrten ihn wieder in die Dunkelheit.

Erneut betupfte sie sein Gesicht mit Apfelessig und legte das Tuch dann zur Kühlung wieder darüber.

Danach räumte sie den Schmuck, den sie ihm abgenommen hatten, in das Nachtschränkchen.

Wieder einmal glitten ihre Blicke über den Körper des Mannes und wenn sie das Tuch wieder anfeuchtete, musterte sie sein Gesicht. Er wirkte so angespannt und das, obwohl er bewusstlos war.

Immer mehr Blasen bildeten sich auf seinem Hals und Gesicht und würden bald aufplatzen. Er sah furchtbar aus! Vielleicht sollten sie ihn besser auf die Seite drehen? Als sie ihn versorgt hatten, konnte sie einen Blick auf seinen Rücken werfen und der glich einem einzigen blauen Fleck. Er musste irgendwo herabgestürzt sein, vermutete sie.
 

Auch bei Tisch drehte sich das Gespräch nur um den Fremden.

Margaret legte ihrem Ältesten ihre Hand auf den Arm: „Es tut mir leid William. Eigentlich solltest du heute im Mittelpunkt stehen.“

Der Angesprochene nickte nur leicht: „Ist nicht so schlimm. Wir haben einem Menschen das Leben gerettet, ich denke das ist wichtiger.“

„Ich hoffe, wir haben es ihn wirklich gerettet“, sagte sie.

„Warum nicht?“

„Ich bin mir da noch nicht sicher. Er ist noch nicht über den Berg.“

Die Männer schaute sie fragend an.

„Wir werden abwarten müssen.“

Bevor sie die Tafel aufhoben, kamen sie überein, dass die Brüder die Ebene zwischen Deans Fundort und den Bergen am nächsten Morgen großflächig absuchen würden. Nicht dass sie wirklich jemanden übersehen hatten.
 

Erst gegen Morgen tauchte Dean wieder aus seiner Bewusstlosigkeit auf. Sein Körper schien in Flammen zu stehen. Sein Gesicht brannte und irgendetwas fraß sich in seine Haut. Er wollte weg, wollte sich drehen, doch kaum dass er sich bewegte zuckten die Schmerzen wie Blitze durch seine Wirbelsäule und explodierten in seinem Gehirn.

Dean stöhnte.

Sofort wurde das Etwas von seinem Gesicht genommen.

Angenehmes Licht traf seine Augen und er versuchte sich zu orientieren, doch seine Sicht blieb verschwommen.

„Smmm?“, fragte er fast tonlos. Dann träufelte Wasser in seinen Mund. Hastig schluckte er.

Lange blonde Haare kamen in sein Sichtfeld. Verwirrt runzelte er die Stirn und keuchte schon wieder schmerzerfüllt. Woran erinnerte ihn das?

Eine Hand schob sich unter seinen Rücken und hob ihn ein Stückchen an.

Erneut stöhnte er leise, als die Schmerzen sein Gehirn erreichten.

Ein Glas berührte seine Lippen und wie schon vorher floss diese bittere Brühe in seinen Mund. Aber er hatte wahnsinnigen Durst.

Er schloss die Augen und trank.

Kaum lag er wieder in den Kissen, als er auch schon schlief. Vorsichtig drehten ihn vier kräftige Männerhände auf die Seite und Sarah schob ein Kissen in seinen Rücken, um ihn zu stabilisieren.
 

Verwirrt schaute er sich um. Wo war er nur? Er konnte noch nicht mal seine sprichwörtliche Hand vor Augen sehen. Aber …

„Sam?“

War sein kleiner Bruder auch hier? Wo war hier? Wo war er?

Langsam begann er einen Fuß vor den anderen zu setzen. Die Hände wie ein Blinder in unbekannten Räumen weit vorgestreckt tapste er langsam vorwärts. Er hörte nichts. Kein Echo seiner Schritte. Er hörte noch nicht mal seine Schritte. Doch der Boden schien hart zu sein. Und er hatte das Gefühl nicht alleine hier zu sein.

„Sammy?“

Nichts. Seine Stimme schien kurz vor ihm von der Luft einfach geschluckt zu werden. Ging das überhaupt?

„SAM!“
 

Wieder konnte er seinen Ruf kaum selber hören.

Wo war er nur?
 

Margaret hatte Sarah abgelöst und sie ins Bett geschickt.

Jacob und William suchten die Ebene bis zu den Bergen ab.

Sie nahm das Tuch von Deans Gesicht, spülte es, tupfte die verbrannten Stellen ab.

Seine Augen öffneten sich.

„Hallo Dean!“, sagte sie leise und fing seinen unsteten Blick ein.

„M...m?“ nuschelte er heiser.

„Schlaf, Junge“, forderte sie und strich ihm wieder über das glühende Gesicht.

„Sammy?“, musste er aber noch die quälendste aller Fragen loswerden.

„Wer ist Sammy?“, wollte Margaret wissen.

Dean runzelte die Stirn. ‚War es doch nicht ...? Wo bin ich? Sie musste doch wissen wer Sam war! Wer Sam ist!‘

„Mein ... mein kleiner ... Bruder?!?“, keuchte er.

„Nein, Sam ist nicht hier. Er ist ...“

Dean versank wieder in der Dunkelheit.
 

Unruhig warf er wich von einer Seite auf die andere.

Heiß! Um ihn herum war es heiß und es schien immer heißer zu werden. Hatte die kleine Schlampe es doch noch geschafft? War er doch noch in der Hölle gelandet? Aber wie?

„Sammy!“

Er müsste gestorben sein! Wann? Hatte er seinen Tod nicht bemerkt?

Ein Lächeln kräuselte seine Lippen. Dean Winchester. Dämonenjäger. Einer der Männer, über deren Tod sich die gesamte Unterwelt wirklich freuen würde. Sollte er etwa im Schlaf gestorben sein?

Er begann zu lachen. Immer heftiger schüttelte ihn die Vorstellung, dass gerade er im Schlaf gestorben wäre. Er konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Tränen liefen über seine Wangen.

Seine Rippen schmerzten bei jedem krampfhaften Atemzug. Aber er konnte sich nicht beruhigen.

Immer stärker wurde sein Lachen. Er würde sich glattweg totlachen, wenn er nicht aufhörte. Aber wenn er sich totlachen konnte – dann war er doch noch am Leben, oder? Konnte man mehrfach sterben?

Sein Bauch schmerzte.

Plötzlich durchzuckte ihn der Gedanke, dass er Sammy allein lassen würde.

„SAM!“, keuchte er.

Aber hatte er Sam nicht schon allein gelassen? Wenn er gestorben wäre, war, dann hätte er, dann hatte er Sam allein gelassen!

„SAAAMMM!“, bettelte er und schaffte es endlich sich auf die Seite zu drehen und sich leise wimmernd ganz eng zusammen zu rollen.

Wo bin ich?

64) Wo bin ich?
 

„Wie geht es ihm?“, fragte Margaret leise, als sie ihre Tochter wieder ablöste.

„Wie schon die ganze Zeit. Er schläft, er wirft sich unruhig hin und her und ruft nach Sam“, erklärte Sarah.

Sie versuchten ihm Linderung zu verschaffen, seinen heißen Körper und sein verbranntes Gesicht zu kühlen, doch eigentlich konnten sie kaum etwas für ihn tun.

Immer wenn er auch nur halbwegs anwesend zu sein schien, gaben sie ihm den Weidenrinden-Kamillen-Tee zu trinken und versuchte auch ihn dazu zu bringen ein wenig Hühnerbrühe zu essen, doch die meiste Zeit warf er sich unruhig im Bett hin und her, wimmerte leise und bettelte nach Sam. Ihr Patient schien hilflos in seiner Fieberwelt gefangen zu sein.
 

Am Morgen, nachdem sie ihn gefunden hatten, hatten sie die Taschen seiner Jacke geleert. Sie hatten nichts gefunden, das darauf schließen ließ, wer er war. Außer seinem Vornamen hatten sie nichts. Aber er war gut bewaffnet, auch wenn ihnen eine seiner Waffen Kopfzerbrechen bereitete. Mit dem Trommelrevolver hatten sie keine Probleme, diese Waffen gab es zu Hunderten, mal abgesehen davon, dass in seinen Griff ein Pentagramm eingeritzt war. Doch diese silberne, verzierte Waffe? Sie schien ebenfalls ein Revolver zu sein, aber sie hatte keine Trommel! Und warum hatte er einen Pflock bei sich?

Messer und Schrotflinte waren für sie wieder etwas Alltägliches. Außerdem waren die Waffen gut gepflegt. Er schien sich auf sie verlassen zu können und wohl auch zu müssen.

Sie hatten die Taschen seiner Kleidung ausgeräumt und diese dann zum Waschen gelegt. Vieles musste auch geflickt werden.

Das abgegriffene Buch in seiner Innentasche - wie konnte man so riesige Innentaschen haben? - hatte fast einen Streit unter den Brüdern heraufbeschworen. Jacob wollte es lesen. Vielleicht gab es einen Hinweis auf den Fremden, doch William meinte, dass er ihnen immer noch erzählen könnte, wer er war und hatte das Buch zusammen mit den Waffen, den zwei komischen, in durchsichtiges Papier eingewickelten Päckchen und der schrillbunten Tüte mit den Punkten darauf, m&m’s, in einem Fach des Sekretärs verschlossen.

Seine Hose barg eine weitere Überraschung. Zwei kleine flaches Dinger, die man beide aufklappen konnte. Was das wohl war? Die Familie platzte inzwischen fast vor Neugier, doch Dean war in seiner Welt gefangen, und so mussten sie ihre Fragen auf später verschieben.

Auch diese Teile verschwand in dem abschließbaren Fach.
 

Tage vergingen.

Ihr Patient sah furchtbar aus. Blass mit eingefallenen Wangen und obwohl er eigentlich nur schlief hatte er dunkle Ringe unter den Augen. Die Blasen in seinem Gesicht platzen nach und nach auf. Die Haut begann sich zu schälen.

Hin und wieder schien es Dean besser zu gehen. Sein Fieber war dann nicht so hoch und er schlief halbwegs ruhig. Sie konnten ihn dazu bringen etwas zu essen und zu trinken. Doch diese Augenblicke waren selten. Meistens warf er sich unruhig hin und her.
 

Heiß

Schwärze umfing ihn!

Er war gefangen. Sein Körper schmerzte. Keinen Finger konnte er rühren.

Und dann begann die Schwärze um ihn herum zu glühen. Es wurde immer heißer.

Der Fremde schien um jeden Atemzug kämpfen zu müssen. Immer wieder schob er die Decken von seinem Körper und immer wieder legte Sarah sie wieder darüber.

Jemand war da. Er konnte seine Präsenz fühlen.

Dean schaute auf.

Lilith!

„Hallo Dean! Schön dich endlich bei uns begrüßen zu können. Wir werden dir ein vielseitiges Programm zu unserer Belustigung bieten können. Und du wirst Sam verfluchen, weil er nicht auf sich aufpassen konnte und sich von Jake hat erstechen lassen. Du wirst deine Eltern verfluchen, weil sie dich gezeugt und geboren haben, und du wirst dich für den Deal verfluchen. Doch nichts, was du sagst oder willst, wird dich vor uns retten können.“

Er schloss die Augen und stöhnte.

„Oh Dean, das wird so toll werden!“, freute sich das kleine Mädchen und hopste begeistert in die Hände klatschend auf und ab.

„Woll’n wir anfangen?“, fragte sie.

„Hab ich eine Wahl?“

„Nein!“

Die Luft wurde immer heißer. Jeder Atemzug schmerzte. Seine Kleidung begann zu schwelen.

Er wollte schreien. Doch seine Stimmbänder versagten ihm den Dienst.

Flammen schlugen um ihn herum aus der Luft und fraßen sich in seine Lungen. Sein Gesicht brannte.
 

„Mama!“, Sarah hatte bei dem Fremden gesessen und versucht den glühenden Körper zu kühlen, doch als er anfing sich immer schlimmer zu verkrampfen rannte sie in die Küche. Sie wusste nicht mehr weiter.

Ein Blick genügte Margaret. Der Junge würde sterben, wenn sie sein Fieber nicht sofort senkten.

„Hol deine Brüder!“, forderte sie und nahm die Decken von Dean.

Polternd kamen die beiden ins Zimmer.

„Bringt ihn sofort in die Tränke. Das Fieber muss runter!“

Schnell und ohne zu fragen reagierten die Brüder und schleppten den Winchester über den Hof zur Koppel.

Platschend landete er im Wasser.

„Holt noch mehr Wasser aus dem Brunnen. Das hier reicht nicht. Wir müssen ihn abkühlen!“
 

Instinktiv zog er die Arme an den Körper als ihn der erste Schwall Wasser traf. Doch es hörte nicht auf.

Er hustete und würgte. Erst wollte die kleine Schlampe ihn verbrennen und dann ersäufen. Japsend und spuckend versuchte er Luft zu holen.

Er zitterte. Wollte sie ihn einfrieren? Na toll, jetzt war er in der Hölle und dann fror die ein! Er hatte sich doch auf die Wärme gefreut!

Endlich hörte es auf.

Schlaff hing Dean in der Tränke. Er zitterte wie Espenlaub und seine Augen waren trübe Schlitze. Aber immerhin schien er wach zu sein.

„Bringt ihn wieder ins Haus.“
 

Sanft strich Sarah ihm über die stoppelige Wange und zog die Decke noch ein Stückchen höher bis an sein Kinn. Mit einer fahrigen Geste strich sie sich die Haare, die sich aus ihrer strengen Frisur gelöst hatten, hinter ihr Ohr.

Ihre Mutter war in die Küche gegangen um eine neue Tasse Weidenrinden-Kamillen-Tee zu holen.

„Mom?“ Deans Stimme war nur ein kaum hörbares Flüstern. Doch sie hatte es vernommen. Auch Jacob, der noch an der Tür wartete, richtete sich auf.

Sie heftete ihren Blick auf Deans Gesicht. Seine Augen waren noch immer trüb, doch mit dem Vertrauen eines Kindes auf sie gerichtet. Sie schnappte erschrocken nach Luft. Was sollte sie jetzt tun?

„Hallo mein Liebling“, sprach sie die ersten Worte, die ihr in den Sinn kamen, leise aus. „Hast du Hunger?“

Er schien eine Weile nachzudenken, dann schüttelte er den Kopf.

„Aber du solltest was essen. Du musst doch groß und stark werden.“

Wieder dachte er nach, dann nickte er und Sarah schaute bittend zu ihrem Bruder, der dieses Schauspiel gebannt verfolgt hatte. Schnell lief er in die Küche und holte einen Teller Suppe für ihn.
 

„Bleibst du bei mir?“, wollte der Fiebernde wissen.

„Ich bleibe noch eine Weile hier“, sagte Sarah und Dean streckte die Hand nach ihr aus als sie sich auf den Stuhl setzen wollte.

Sie nahm seine Hand.

Er richtete sich auf, was sie in Erstaunen versetzte und mit mehr Kraft als sie ihm zugetraut hatte, zog er sie an sich. Er klammerte sich regelrecht an ihr fest. Seine Tränen durchnässten ihre Bluse.

„Mom“, krächzte er immer wieder und sie strich ihm beruhigend über den Rücken.

„Bitte … bitte geh nicht … Ich … ich kann das … nicht alleine!“

„Ich bleibe hier.“

Langsam fing er sich wieder. Sarah schob ihn ein Stück von sich weg und schaute ihn an. Ihre Worte hatten sein schmales Gesicht zum Leuchten gebracht. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Wenn sie nicht fühlen würde, dass sie einen erwachsenen Mann vor sich hatte, er sah so kindlich aus, wie sein Blick, noch immer von Fieber getrübt, aber doch so voller Vertrauen auf sie gerichtet war.

Vincent stellte den Teller auf den Nachttisch. Auch er blickte erschrocken auf den Fremden. Sah der in seiner Schwester seine Mom? Und was konnte er nicht alleine? Warum sollte seine Mutter nicht gehen?

„Du musst essen“, durchbrach Sarah die Magie dieses Augenblicks. Das Leuchten auf Deans Gesicht erlosch und er nickte ergeben.

Sie griff nach dem Löffel und begann ihn zu füttern.

Es dauerte nicht lange, da kippte er schon halb schlafend gegen ihre Brust.

„Lass es gut sein Schwesterherz“, sagte Jacob.

Sie nickte und legte den Löffel zur Seite. Dann ließ sie ihren Patienten langsam in die Kissen gleiten.

Noch einmal strich sie über die schmale, stoppelige Wange und deckte ihn zu.

„Was hat er gemeint?“, fragte er.

„Ich weiß es nicht. Da werden wir wohl warten müssen, bis er wieder ansprechbar ist und reden will.“
 

Dean kämpfte noch fast eine Woche gegen das Fieber. Es stieg nicht wieder so hoch, doch es fraß ihn fast auf.

Immer wieder wanderte er durch ein Labyrinth aus Hecken und steinernen Wänden, die plötzlich aus dem Boden wuchsen oder sich verschoben. Immer wieder musste er gegen Geister und Dämonen kämpfen. Immer wieder stand er sich selbst gegenüber. Es schien als hätten sich seine Ängste alle in diesem einen fortwährenden Albtraum vereinigt.

Und mehr als einmal war Dean versucht aufzugeben. Doch dann tauchte Sam auf, eine Lichtgestalt in seiner Dunkelheit.

Und dann war es plötzlich vorbei. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt verschwanden die quälenden Monster.
 

Müde rieb er sich über die Augen und blinzelte in den Raum. Er war allein. Dabei hatte er eigentlich immer das Gefühl gehabt beobachtet zu werden.

Wo war er und wie war er hierher gekommen? Das letzte, woran er sich erinnern konnte, war eine rotbraune, staubige Ebene und eine brennende Sonne.

Er setzte sich auf und ließ die Beine aus dem Bett baumeln.

Sein Kreislauf spielte verrückt. Das Zimmer drehte sich und sein Mageninhalt wollte an die Sonne.

Schnell ließ er sich wieder zur Seite fallen und drehte sich auf den Rücken. Langsam beruhigten sich die Wände und sein Magen und er schaute sich um.

Das Zimmer war … alt. Nein, alt war der falsche Ausdruck, aber es sah aus wie in einem dieser Museen, in die diverse Lehrer ihn in seiner Schulzeit geschleppt hatten. Es gab zwei Wandleuchten, aber er konnte keinen Schalter neben der Tür sehen. Sein Bett war aus einfachen Brettern zusammen gezimmert. Es gab einen Sekretär mit Stuhl, eine Kommode und einen Nachttisch. Alles war einfach aber ordentlich.

Wieder drängte sich ihm die Frage auf: Wo war er?

Plötzlich ging die Tür auf.

„Oh, Ihr seid wach“, sagte die junge Frau, die gerade eintreten wollte und verschwand wieder.

Dean runzelte die Stirn. ‚Was läuft hier?’

Er grübelte noch immer, ohne zu einem Ergebnis zu kommen, als sie wieder ins Zimmer kam.
 

„Hallo?“, fragte sie leise, doch es dauerte noch eine Weile bis sich Deans Augen auf sie fokussierten.

„Ich bin Sarah Carson“, stellte sie sich vor, als sie sah, dass sich seine Stirn nicht glättete und er sie fragend ansah.

Sie war niedlich. Zwei dicke, hellblonde Zöpfe lagen links und rechts auf ihrer Brust. Sie hatte ein Stubsnäschen, Sommersprossen und … grüne Augen, stellte er verwundert fest, als sie das Tablett auf dem Nachttisch abstellte und ihn warm anlächelte.

„Dean“, antwortete er leise.

„Ich weiß. Sagt Ihr mir auch Euren Nachnamen?“

„… Winchester?“

„Ihr habt bestimmt Hunger, Mr. Winchester?“, fragte sie.

Dean nickte verwirrt. Sofort half sie ihm sich aufzusetzen und stopfte das Kissen in seinen Rücken.

Seine Hand wanderte zu seiner Brust. Etwas fehlte.

„Oh“, lächelte sie, „Eure Sachen sind hier im Nachttisch.“ Sie zog die Schublade auf und nahm seinen Schmuck heraus.

Sofort legte er sich seinen Talisman um. Ring, Armband und Uhr folgten.

Jetzt fühlte er sich wenigstens halbwegs wieder wie ein Mensch.

„Ihr solltet essen“, erklärte sie sanft und hielt ihm den Teller mit Hühnerbrühe und ein Stück Maisbrot hin.

Mechanisch begann Dean den Teller zu leeren.

‚Irgendetwas ist hier falsch! Irgendetwas stimmt nicht, aber was?’

Abwesend ließ er sich Teller und Löffel aus den Händen nehmen.

Sarah schüttelte das Kissen auf und drückte ihren Patienten in die Waagerechte. ‚Was ist nur mit ihm?’ Er wirkte wieder vollkommen in sich gekehrt.

Sie brachte das Geschirr zurück in die Küche.

In einem Land vor unserer Zeit

65) In einem Land vor unserer Zeit
 

Dean zermarterte sich das Hirn. Was war hier falsch? Er kam sich vor wie bei diesen Suchbildern mit Fehler in den Zeitungen. Nur dass er die immer sofort lösen konnte.

‚War es richtig, dass ich ihr meinen richtigen Namen gesagt hatte? Aber Henriksen und Sam hatten ganze Arbeit geleistet. Ich bin nicht mehr im Fandungscomputer.’

‚Sarahs Kleid!’, schoss ihm ein beunruhigender Gedanke durch den Kopf. Doch bevor er ihn genauer ergründen konnte war er eingeschlafen.

In seinem Traum sah er lauter verdrehte Dinge. Autos fuhren auf dem Dach. Rehe hatten Reißzähne.

Löwen mit Tigerstreifen.

Vollkommen verwirrt wachte er wieder auf.

Sarah saß wieder an seinem Bett und … stickte? Wer machte denn sowas heute noch?

‚Verdammt noch mal!’, fluchte er in Gedanken, ‚Wo bin ich hier? Hutterer? Amish? Aber die sind doch dunkel gekleidet, oder? Sarahs Kleid ist hell und hat eine Blütenranke am Kragen. Was hat dieser verdammte Trickster mit mir gemacht? Träume ich noch immer?’ Er kniff sich in den Arm und zuckte zusammen. Der Schmerz fühlte sich real an. Oder konnte auch das ein Traum sein?

Sie hatte das leichte Zusammenzucken ihres Patienten gesehen.

„Wie geht es Euch?“, fragte sie und legte ihr Stickzeug weg.

„Keine Ahnung. Wo bin ich hier?“ Mühsam setzte er sich auf.

„Auf der Harrison-Ranch. Etwa drei Stunden nördlich von El Paso.“

Dean überlegte: ‚Das musste so etwa Socorro sein. Aber warum sagte sie es dann nicht? Und warum von El Paso aus? Zwei Stunden südlich von Santa Fe wäre doch näher wenn sie es schon so ausdrücken wollte!’ Er verschob das Problem auf später.

„Wo ist Sam?“, stellte Dean erneut die Frage, die ihm am meisten auf der Seele brannte und vor deren Beantwortung er die meiste Angst hatte.

„Sie haben nur Euch gefunden.“

„Sie haben nur mich gefunden?“

„Ja, meine Brüder haben Euch in der Ebene gefunden und hierher gebracht. Sie haben die Ebene am nächsten Tag noch mal bis in die Berge abgesucht, aber da war niemand. Ihr müsst allein gewesen sein.“

Dean schloss die Augen. Genau diese Antwort hatte er befürchtet.

Er versuchte sich die Worte des Tricksters ins Gedächtnis zu rufen. Er hatte gesagt, dass er nie wieder zu Sam kommen würde. Aber wo war Sam dann und wo war er? Er musste hier raus. Er musste Sam finden! Seine Gedanken fuhren Achterbahn. Immer schneller drehten sie sich und jedes Mal wenn er sich auf einen konzentrieren wollte, entwand der sich ihm sofort. Was war nur los?

Er versuchte wieder aufzustehen und diesmal schien es sogar zu klappen. Zumindest sein Kreislauf spielte mit.

„Wartet, ich hol meinen Bruder. Der hilft euch.“ Schnell lief sie zur Tür und rief nach einem Jacob.
 

„Hallo, schön Euch endlich wach zu sehen. Ich bin Jacob Harrison“, stellte er sich auch gleich vor.

„Dean Winchester.“

Schnell fasste Jacob zu, als er sah, dass der Winchester versuchte aufzustehen.

Deans Blick wanderte an sich herab. Seine Wangen färbten sich rosa. Sie hatten ihn in ein Nachthemd gesteckt! Nur mit äußerster Kraft widerstand er dem Drang sich sofort wieder in seinem Bett zu verkriechen. Was war hier nur los?!?

Schwer auf Jacob gestützt ließ er sich zur Veranda führen.

Sie blieben am Geländer stehen und Deans Blick wanderte über die Ranch. Schon wieder drängte sich ihm das Gefühl eines Suchbilds mit Fehlern auf.

Es gab keine Freilandleitungen, keine Traktoren, kein Auto. Standen die alle in der Garage?

Ein furchtbarer Verdacht beschlich ihn.

Dean schwankte.

„Ihr solltet euch hinsetzen“, sagte Jacob mitfühlend und drückte den Blonden auf die Bank.

Dem war übel. Alles in ihm weigerte sich diese eine Frage zu stellen, weigerte sich, diesen Gedanken überhaupt zuzulassen. Aber auch dieses verdammte „ihr“ mit dem sie ihn immer anredeten würde dazu passen!

Das konnte nicht sein. Das durfte einfach nicht sein. Diese Macht konnte der Trickster nicht haben!

Aber wenn er ein Gott war? Konnten Götter…?

Kalter Schweiß brach ihm aus allen Poren. Sein Blick verschwamm.

„Das ist nicht wahr. Das geht nicht. Das kann er nicht!“, murmelte der Blonde leise vor sich hin.

„Ich bringe Euch besser wieder ins Zimmer“, sagte der Jüngere und fasste sofort dessen Oberarm.

Willenlos zog er den Winchester neben sich hier.

Behutsam brachte er ihn ins Bett und Sarah deckte ihn zu.

Dean drehte sich sofort zur Wand und schloss die Augen. Er wollte sprichwörtlich die Augen vor seiner Vermutung verschließen. Er wollte schlafen. Vielleicht war es ja doch alles nur ein Traum. Und wenn er morgen wieder aufwachte, dann würde seine Welt wieder in Ordnung sein und er würde Sammy diesen verrückten Traum erzählen und sie würden sich kaputtlachen!

Ja, genau so würde es werden!
 

Als er am nächsten Morgen erwachte schaute er sich um und stellte fest, dass er noch immer in dem Zimmer war, in dem er schon gestern aufgewacht war. Musste er den Tatsachen jetzt ins Auge blicken?

Er war doch sonst nicht so ein Angsthase, der vor jeder Kleinigkeit die Augen verschloss.

„Das hier ist nur keine Kleinigkeit!“, sagte er sich leise und holte tief Luft.

Aber davon, dass er hier rumlag würde es auch nicht besser werden.

Er setzte sich auf, ließ die Beine aus dem Bett baumeln und wartete, bis sein Kreislauf sich beruhigt hatte. Dann stand er auf.

Auf bloßen Füßen und wieder nur mit diesem lächerlichen Nachthemd bekleidet, tapste er in die Diele.

„Guten Morgen, Dean!“, wurde er von Jacob und Sarah begrüßt.

„Morgen“, grüßte er.

„Möchtet Ihr Frühstück?“

„Ja gerne, aber vorher hätte ich gerne was anderes zum Anziehen...“

„Oh, natürlich“, entgegnete Sarah und wurde rot. „Eure Kleidung liegt in der Kommode in Eurem Zimmer, im obersten Fach.“

„Danke!“, sagte Dean und ging langsam wieder zurück.

Schnell hatte er alles auf dem Bett verteilt. Sie hatten seine Sachen gewaschen und geflickt.

Ohne weiter zu überlegen tauschte er sein schickes Nachthemd gegen Shorts und T-Shirt, zog sich Hemd und Jeans über und fand seine Boots neben der Kommode an der Wand.

Nur was er mit diesem schicken rosa Einteiler anfangen sollte? Da war doch wohl nicht wirklich als Unterwäsche gedacht? Nie und nimmer würde er so was anziehen! NIE

Er hatte sich doch in dem Einkaufszentrum T-Shirts und Shorts gekauft, fiel ihm wieder ein und die hatte er nicht aus der Innentasche genommen. Wo waren die? Wo waren seine Waffen?

Dean setzte sich auf sein Bett und stützte den Kopf mit beiden Händen. Wo war er hier nur gelandet?

Was lief hier? So langsam sollte er sich wirklich mal Gewissheit verschaffen.

Er holte tief Luft und ging wieder in die Küche.

Jacob warf gerade Holz in den Ofen.

Sarah kratze Rührei aus der Pfanne auf einen Teller und stellte es auf den Tisch. Sie legte Maisbrot dazu und goss schwarzen Kaffee in eine Tasse.

Mit wachsender Unruhe aß er. Sollte er jetzt gleich fragen? Dann hatte er vielleicht keinen Hunger mehr. Oder nachher? Nachher!, entschied er.
 

„Euch geht es wirklich langsam besser“, lächelte Sarah als sie seinen Appetit sah.

„Das ist gut!“, erklärte der Winchester nachdem er geschluckt hatte. „Und der Kaffee… So gut kriegt Sammy den nie hin!“

„Sammy?“

„Mein kleiner Bruder … verdammt! Ich muss ihn anrufen. Mein Baby steht auch noch vor dem Motel“, überlegte er laut und griff in seine Tasche. Sein Handy! Wo war das Teil?

„Kann ich mal ihr Telefon benutzen?“, wollte er wissen und erhob sich.

Die beiden starrten ihn mit großen Augen an. Wovon sprach der Mann?

„Was ist ein Telefon?“, wollte Jacob wissen. Er hatte seinen Arm um seine Sarah gelegt und drückte sie schützend an sich. Der Mann war ihm nicht mehr geheuer!

„Ich will Sam anrufen! Der kann mich dann gleich abholen! Keine Ahnung wie ich hier gelandet bin, aber mein kleiner Bruder wird sich Sorgen machen. Und ich mach mir Sorgen um mein Auto. Sam hat den Hang mein Baby irgendwie zu demolieren, wenn er es fährt. Bitte, ich will sie auch nicht länger …“ Dean verschluckte sich fast an seinen Worten.

Die beiden starrten ihn an, als wäre er ein grünes Marsmännchen. Aber …

Erst jetzt drang Jacobs Frage in sein Gehirn. »Was ist ein Telefon?« Amish und Hutterer wussten was ein Telefon ist! Wo war er hier?

„Sie wissen nicht was ein Telefon ist?“, fragte er entsetzt.

Die beiden schüttelten den Kopf.

Deans Gedanken hetzten durch seinen Kopf.

„Was für ein Tag ist heute?“, platzte es endlich aus ihm hervor.

„Der 25. März“

„März? Wieso März? Ich bin … wie lange lieg ich denn schon hier?“

„Knapp drei Wochen.“

„Das kann nicht sein!“

„Doch! Wenn ich es Euch doch sage! Ich habe William vor knapp drei Wochen von der Postkutsche geholt“, sagte Jacob mit Nachdruck.
 

„Postkutsche? Hier gibt es keine Autos?“ Dean war immer verwirrter.

„Was ist ein Auto?“

„Halt! Stopp! Sie wollen mir jetzt nicht sagen, Sie wissen nicht was ein Auto ist?“

Die Geschwister schüttelten die Köpfe.

„In welcher Zeit leben sie denn?“, wollte er unwirsch wissen. Die verarschten ihn doch.

„Was in welcher Zeit leben wir?“, fragte Jacob irritiert. Langsam wurde auch er wütend.

„Welches Jahr ist hier?“

„1855“

„Ja klar. Hier vielleicht! Und in der restlichen Welt?“

„Wir haben das Jahr 1855. den 25. März 1855!“ Jacob platzte so langsam der Kragen. Für wen hielt sich dieser Dean Winchester eigentlich?

„1855?“, fragte Dean noch einmal mit großen Augen. So langsam drang die Erkenntnis zu ihm durch.

„Ja!“, bestätigte Sarah ernst.

„Oh mein Gott!“ Dean taumelte.

Die Farbe war komplett aus seinem Gesicht verschwunden. Schreckgeweitete grüne Augen huschten hektisch hin und her. Seine Lunge schien plötzlich unfähig den Sauerstoff aufzunehmen, den er brauchte. Er atmete immer hektischer.

Jacob wollte den Mann stützen. Warum hatte ihn das Jahr so außer Fassung gebracht? Wovon hatte er vorhin gesprochen?

Der Winchester riss sich los und stürzte nach draußen. Mitten auf dem Hof gaben seine Knie nach.

Hilflos japsend hockte er auf allen Vieren. Vor seinen Augen tanzten bunte Sterne. Er fühlte eine Hand auf seiner Schulter und schüttelte sie ab. Es war nicht Sam!

Der Jüngere nahm seine Hand weg und wartete.

Dean richtete sich, auf den Knien hockend, auf.

„SAM“, brüllte er alle sein Verzweiflung mit dem letzten bisschen Luft heraus und kippte wieder nach vorn. Tränen tropften in den roten Staub.

Jacob zog ihn auf die Beine und führte ihn zum Haus.

Auf der Veranda riss Dean sich los und ließ sich auf die Bank fallen.

Apathisch starrte er ins Nichts.
 

„Was ist passiert?“, fragte Margaret atemlos. Sie war, kaum dass sie Deans Schrei gehört hatte, aus ihrem Garten gestürzt gekommen.

„Es ist okay, Mama. Niemand wurde verletzt“, sagte ihr Sohn ohne Überzeugung. Aber er wusste auch keine bessere Antwort.
 

Der Tag ging zur Neige. Dean rührte sich nicht. Er saß noch immer auf der Bank. Unfähig einen Gedanken zu fassen. Unfähig zu begreifen was passiert war oder wie er hier gelandet war.

Ein paar Mal hatten sie versucht ihn anzusprechen und ihn dazu zu bewegen, ins Haus zu kommen.

Der Winchester reagierte nicht und so ließen sie ihn schweren Herzens in Ruhe.
 

Auch am nächsten Morgen war von Dean keine Reaktion zu bekommen. Er hockte auf der Bank und starrte blind vor sich hin.

Sarah drückte ihm einen Becher Kaffee in die Hand und strahlte regelrecht, dass sie den nach einer Weile leer wieder aus seiner Hand ziehen konnte und so versuchte sie ihn weiterhin wenigstens mit heißer, brauner Flüssigkeit zu versorgen.

Trotzdem konnte keiner der Hausbewohner verstehen, was mit dem Mann passiert war.

Feenkreise

66) Feenkreise
 

Irgendwann formte sich in Deans Kopf ein Wort, ein Name. Und zu diesem Namen gab es ein Gesicht!

S A M

Er musste einen Weg finden zu Sam zu kommen. Er hatte einen Deal geschlossen um Sam wieder zu bekommen und er war der Hölle gerade so von der Schippe gesprungen, er würde mit Sicherheit nicht hier sitzen und warten, dass etwas passierte. Das hatte er noch nie getan und auch jetzt würde er nicht damit anfangen.

Aber wo sollte er mit seiner Suche beginnen? Dads Tagebuch? Eigentlich kannte er es auswendig und er wusste, dass darin nichts zu dem Thema „Zeitreisen“ stand. Aber trotzdem musste er es versuchen. Vielleicht hatte er ja etwas übersehen, oder etwas falsch gedeutet, jetzt wo er wusste wonach er suchen musste?

Aber wo war das Buch, wo waren seine Sachen überhaupt?

Mühsam stemmte er sich in die Höhe. ‚Wie lange hab ich hier eigentlich gesessen?‘, überlegte er und streckte seine steifen Muskeln.

„Wo sind meine anderen ...“, begann er und musste sich erst einmal räuspern. Sein Stimme klang rau.

Margaret stand am Herd und bereitete das Abendessen zu. Sie hatte jemanden kommen hören, doch auf keinen Fall mit Dean gerechnet. Sie erschrak sich heftig.

„Entschuldigung“, sagte Dean sofort und versuchte ein Lächeln.

„Ihr sucht Euer restliches Eigentum?“

„Ja.“

Sie kramte in ihrer Tasche und holte einen Schlüssel hervor: „William hat alles in dem Sekretär eingeschlossen. Jacob wollte unbedingt dieses Buch lesen um zu erfahren wer Ihr seid, aber William meinte, dass Ihr uns das selbst erzählen solltet. Er hat es weggeschlossen.“

„Danke“, sagte Dean, nahm den Schlüssel und verschwand in dem Zimmer.

Kurz warf er einen Blick auf das Bett und überlegte, ob er sich einfach darauf fallen lassen sollte, doch irgendwie hatte er hier das Gefühl nicht atmen zu können. Er wollte wieder nach draußen.

Schnell nahm er das Buch, steckte sich seinen Colt in den Bund und griff nach dem Handy. Dann schloss er das Fach wieder ab und ging nach draußen.

„Darf ich den Schlüssel noch behalten?“, fragte er und Margaret sah kurz auf und nickte.

„Danke“, erwiderte er noch einmal und ging wieder nach draußen. Er stellte sich an das Geländer und schaltete sein Handy ein. Es leuchtete auf.

Ein Lächeln huschte über Deans Gesicht. Er tippte den Code ein, Sams Geburtstag, und wartete.

Der Akku war noch fast voll, registrierte er erfreut, aber er hatte kein Netz. ‚Schon klar. Wenn sie hier noch nicht mal Telefon kennen, werden sie auch kein Handy-Netz haben. Aber einen Versuch war es wert.’ Er würde es also nur als Player verwenden können. Für eine Weile.

Dean holte tief Luft und ließ sich auf die Bank fallen.

Seite für Seite ging er das Tagebuch durch, blätterte vor und zurück … und fand nichts. Doch er gab nicht auf.
 

William war mit seinem Vater zu befreundeten Ranchern unterwegs. Sie würden in etwa drei Wochen wiederkommen und dann sollte es endlich zur Herde gehen. Eigentlich wäre Jacob schon lange bei den anderen Cowboys. Doch sein Bruder wollte mit, also musste er warten. Die Zeit verbrachte er meistens in der Nähe des Hauses.

Das Buch in Deans Händen zog den Jüngeren magisch an. Doch egal wie vertieft der Winchester in dessen Seiten war, bevor Jacob einen Blick hineinwerfen konnte klappte der es zu. Er wollte nicht, dass irgendwer erfuhr, was er da las und was es alles auf der Welt gab. Die Jäger, die er kannte, hatten schwer genug an dieser Last zu tragen.
 

Nach eineinhalb Tagen gab Dean auf.

Hatte er Dads Tagebuch bisher nur auswendig gekannt, würde man ihm jetzt zwei Worte sagen, könnte er den richtigen Satz mit Seite und Absatz im Schlaf aufsagen.

Gebracht hatte es ihm allerdings nichts.

Was sollte er nur machen?

Er schob das Buch in seinen Bund und ging in Gedanken versunken zur Koppel, auf der einige Pferde grasten. Die Arme auf den obersten Balken gelegt blieb er stehen und starrte vor sich hin.
 

Die zurückgebliebenen Ranchbewohner ließen ihn in Ruhe, obwohl Margaret ihn mehr als einmal zur Arbeit heranziehen wollte. Jacob hielt sie immer wieder zurück.

„Er wird kommen, wenn er soweit ist“, sagte er jedes Mal. „Er muss erst einmal herausfinden, wer er ist und woher er kommt.“

„Ich denke er weiß genau wer er ist!“, hatte sie aufgebracht erwidert.

„Ja, aber selbst du musst zugeben, dass einige Dinge, die er bei sich hat, merkwürdig sind!“

Darauf hatte Margaret auch keine Erklärung.
 

Dean grübelte über seine momentan letzte Idee nach.

Würde es etwas bringen, danach zu fragen? Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt!

Gerade wollte er zum Haus gehen, als er sah, dass der schwarze Hengst kurz außerhalb seiner Reichweite vor ihm stand und einen langen Hals machte. Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Winchesters. Er streckte die Hand aus und fühlte schon bald die weichen Nüstern auf seiner Handfläche.

„Ich hab leider nichts für dich“, sagte er leise und das Tier stellte seine Ohren auf. „Aber vielleicht kann ich dir ja irgendwo eine Möhre stibitzen? Magst du Möhren?“

Der Hengst schnaubte, schnupperte noch einmal an Deans Hand und wandte sich dann wieder ab.

In dem Moment rief Jacob zum Essen.
 

„Sag mal, findest du nicht, dass das Frauenarbeit ist?“, wollte der Jüngere nach dem Essen wissen, als Dean sich das Handtuch nahm und begann das Geschirr abzutrocknen. Irgendwann waren die beiden wohl unbewusst zum „du“ übergegangen.

„Mal abgesehen davon, dass ich nicht der Meinung bin, dass ein Mann zu schade für Hausarbeit ist, hast du denn Männerarbeit für mich?“

„Mal sehen. Kannst du reiten?“

Dean überlegte.

Er war vielleicht vierzehn gewesen als sein Vater befunden hatte, dass sie, nachdem sie im Jahr zuvor zuviel Schulstoff verpasst hatten, mal länger an einem Ort bleiben sollten. Es hatte John jedoch nicht davon abgehalten durch die Gegend zu ziehen und seine Söhne allein zu lassen.

Dean hatte schnell ein Mädchen gefunden, das ihn interessierte und Sammy war auf einem „Ich will ein Haustier – Trip“.

Gleich neben ihrem Motel war ein größerer Reiterhof.

Die Kleine, Jenny, kam jeden Tag und Dean hockte, auf den Koppelstangen und sah ihr zu. Sammy wollte auch reiten und so hatten sie neben ihren sonstigen Pflichten und dem Training auch noch Ställe ausgemistet, damit sie kostenlos ein paar Reitstunden bekamen.

„Ich hab’s vor Jahren mal angefangen, aber ob ich es kann?“, der Blonde zuckte mit den Schultern.

„Dann sattle ich dir mal eine lammfromme Stute und dann schaun wir mal.“

Dean nickte und sah dem Jüngeren mit gemischten Gefühlen hinterher. Sein Baby wäre ihm lieber.

Aber da sie hier ja noch nicht mal Autos kannten, wo sollte er denn dann Benzin herbekommen?

Hoffentlich hatte Bobby inzwischen mitbekommen, dass er weg war und kümmerte sich um seine schwarze Schönheit, wenn Sam nicht doch wieder aufgetaucht war.

Ihm wurde ganz schlecht bei dem Gedanken, dass sein Auto vielleicht verkauft und von Jemandem gefahren wurde, der ihre Reize nicht zu schätzen wusste. Oder noch schlimmer, sie würde auf dem Schrottplatz landen! Ein eisiger Schauer rann über seinen Rücken.
 

Er legte das Handtuch beiseite und ging nach draußen.

Jacob wartete mit einem Pferd auf ihm.

‚Also auf in’s Vergnügen!’, machte Dean sich Mut.

Er nickte etwas unsicher.

„Dann kletter mal rauf“, sagte Jacob und hielt das Pferd fest.
 

Ein paar Mal musste Jacob seinen Schüler auf dessen Sitz aufmerksam machen, aber sonst gefiel ihm das, was Dean da machte, ganz gut. Langsam ritten sie über den Hof.

„Da wo du herkommst, wie kommt ihr von einem Ort zum anderen?“, wollte er wissen.

„Das …“, Dean brach ab und schüttelte traurig den Kopf. Er war sich nicht sicher, was er erzählen konnte. Würde er die Zukunft verändern? Bis zum ersten Automobil würden noch vierzig Jahre vergehen.

„Ich weiß nicht, was ich dir erzählen darf. Ich weiß es einfach nicht.“

Jacob wurde dadurch noch neugieriger, aber er sah auch, dass Dean wohl so nicht erzählen würde.

Vielleicht fasste er ja doch noch Vertrauen zu ihm? Er wünschte es sich. Der Mann an seiner Seite interessierte ihn wirklich. Er hatte etwas Geheimnisvolles um sich.

„Okay, das reicht für heute. Morgen drehen wir mal eine Runde um die Ranch.“

„Bist du dir sicher?“, fragte Dean erstaunt. Er war nicht der Meinung, dass er schon soweit wäre. Aber wenn der Fachmann an seiner Seite, der das Pferd die ganze Zeit geführt hatte, meinte er könnte das auch alleine?!?

Dean half die Stute abzuzäumen und folgte Jacob dann recht steifbeinig ins Haus.
 

„Gibt es hier in der Gegend einen Feenkreis?“, fragte er noch in der Tür.

„Einen Feenkreis?“, fragte Sarah interessiert. „Was ist das?“

„Eine Art mystischer Steinkreis, der angeblich von Feen angelegt wurde“, erklärte der Blonde ruhig.

„Und was machen die da?“

Margaret drehte sich zu dem jungen Mann um und schaute ihn unter zusammengezogenen Augenbrauen an.

„Angeblich sollen darin Menschen verschwinden können und 200 Jahre schlafen. Ich mag einfach die Ruhe solcher Orte“, versuchte der Blonde dem Ganzen einen harmlosen Anschein zu geben.

„Feen, Kobolde und was weiß ich für Gestalten gehören in Märchen für Kinder und nicht in die Köpfe erwachsener Menschen!“, versuchte die Frau jegliche Unterhaltung abzuschneiden.

„Märchen und Legenden haben auch einen realen Hintergrund“, gab Dean das Wissen seines Bruders weiter.

„Realen Hintergrund? Das ist gottloses Zeug! So etwas will ich in diesem Haus nicht hören! Es reicht schon, dass ich mir tagtäglich dieses gottlose Ding da auf Eurer Brust ansehen muss. Ich will, dass Ihr das entfernt!“

„Nein!“ Kaum hatte Margaret den Anhänger angesprochen, hatte sich Deans Hand schon darum geschlossen. Nie würde er ihn ablegen. Nie!

„Wir sind ein gottesfürchtiger Haushalt. Ich werde hier kein heidnischen Zeug dulden!“

Der Winchester drehte sich um. Er würde hier verschwinden müssen. Eigentlich hatte er sich hier wohl gefühlt und gehofft bleiben zu können, bis er einen Weg zurück in seine Zeit gefunden hätte, aber unter diesen Umständen sollte er wohl besser verschwinden.

„Mama“, protestierte Jacob, der die Absichten des Blonden wohl erraten hatte, „du kannst Dean nicht einfach vor die Tür setzen, nur weil er andere Ansichten hat als du. Außerdem ist er noch nicht wieder richtig fit.“

Die Frau überlegte eine Weile und Dean stand zwischen Tür und Angel, von Jacobs Hand an seinem Arm daran gehindert weiter zu gehen.

„Gut, er darf bleiben, aber das Ding will ich nicht mehr sehen!“

Der Blick des jungen Mannes wanderte zu Dean, der kurz nickte und den Anhänger unter seinem T-Shirt verschwinden ließ.

„Morgen ist Sonntag. Solange Ihr hier seid werdet Ihr jeden Sonntag mit uns zur Kirche fahren! Ich dulde kein gottloses Verhalten.“

Wieder wandte sich der Blonde zum Gehen.

„Bitte Dean!“, versuchte jetzt auch Sarah den Winchester zu überreden.

Grüne Augen versanken fast in grünen Augen, und Dean fühlte sich bei diesem Blick unheimlich. Er hatte das Gefühl vor einem Spiegel zu stehen und sich in die Seele schauen können. Doch anders als bei seiner Seele sah er vor sich nur blütenreines Weiß.

Erneut nickte er. Auch das würde er überleben. Hatte er da doch vielleicht die Ruhe sich über einiges klar zu werden. Auch Margaret nickte zufrieden, ging doch in ihrem Haus wieder alles seinen rechten Gang.
 

Bis zum Essen.

„Jacob, bitte sprich das Tischgebet“, forderte Margaret und ihr Sohn folgte ihrer Bitte. Für ihn war es normal. Viel zu selten saßen sie gemeinsam am Tisch und auch jetzt fehlten, wenn man es genau nahm, mindestens drei Personen.

Dean musste an Sammy denken. Für ihn wäre das hier bestimmt kein Problem. Er glaubte ja an Gott und Dean hatte sich immer bemüht Sam in seinem Glauben zu unterstützen, obwohl er ihn nicht teilte, nicht teilen konnte. Aber er hatte in seinem Leben schon gegen zu viele Geschöpfe gekämpft, die es auf einer von Gott gewollten Welt nicht geben dürfte. Außerdem hatte er mit einem Befehlshaber in seinem Leben schon genug und selbst an dem zweifelte er ja schon.
 

„Gott prüft die, die er liebt, Dean!“, sagte Margaret nach dem Essen. Ihre Stimme klang versöhnlich.

Der Winchester erstarrte für einen Augenblick.

„Klar“, entgegnete er und seine Stimme troff nur so von Zynismus, „Deswegen musste ein Vierjähriger ja auch dabei zusehen, wie seine Mutter vor seinen Augen lebendig verbrannte. Deswegen hat er einem fast Fünfjährigen die Verantwortung für seinen sechs Monate alten Bruder aufgedrückt, weil er seinen Vater auf einen Rachefeldzug gegen die Mörder geschickt hat!“

Er wandte sich ab. Er musste hier raus. Dieses Haus war nicht groß genug für Gott und ihn.

Schnell war Dean in dem Zimmer verschwunden, in dem er bis jetzt geschlafen hatte, holte seine wenigen Sachen und machte sich auf den Weg in die Scheune.

Dort zwischen Strohballen und Werkzeug konnte er endlich wieder atmen.

Impala

67) Impala
 

Margaret stand noch immer da und starrte zur Tür. Sie schluckte. Doch ihre Aussage würde sie nicht revidieren!

Jacob ging in die Scheune.

„Es tut mir leid.“

„Ist ewig her!“, sagte Dean und winkte ab.

„Du kannst doch nicht hier bleiben! Komm zurück ins Haus.“

„Ich hab schon schlechter geschlafen.“

„Sie meint es nicht so“, versuchte er seine Mutter in Schutz zu nehmen.

„Hast du was für mich zu tun? Ich …“, Dean stockte. Er konnte jetzt nicht untätig hier sitzen. Dann würde er nur noch tiefer in seinen Grübeleien versinken.

„Mama, möchte noch zwei Beete haben. Die müssten umgegraben werden.“

„Wo?“

Der jungen Harrison zeigte Dean die Stelle und schon machte der sich ans Buddeln.
 

Am nächsten Morgen bekam er auf der Fahrt nach El Paso von Jacob gezeigt, wie man eine Kutsche lenkte und er musste zugeben, dass ihm das wirklich Spaß machte. Okay, sein Baby war wendiger und schneller.

Außerdem hatte er ja Damen im Fond. Da sollte er wohl besser vernünftig fahren. Nicht dass Mrs. Margaret noch behauptete, er wäre vom Teufel besessen. Einen Exorzismus wollte er bestimmt nicht am eigenen Leib erfahren.
 

In der Kirche verzog sich der Blonde in eine Ecke und betrachtete sich den ganzen, seiner Meinung nach, verlogenen Haufen.

Doch schon bald glitten seine Gedanken ab. Was Sammy jetzt wohl machte? Und Bobby? Ob sein Baby jetzt auf Bobbys Schrottplatz verstaubte?

Regelrechte Bauchschmerzen bereitete ihm jedoch, dass er nicht wusste, ob der Trickster tot war und wenn nicht, wie viele Tote es wohl noch in dem Einkaufscenter gegeben hatte?

Er überlegte, ob er den Harrisons nicht doch einfach den Rücken kehren sollte. Sie hatten ihn aufgelesen und wieder aufgepäppelt. Aber sie würden es nie tolerieren, wenn er jagen gehen würde. Wollte er das hier überhaupt? Musste er es? Gab es hier Dämonen? Aber warum sollte es keine geben?

Er kam mit seiner Grübelei zu keinem Ende. Und Sammy, der bestimmt eine Antwort gewusst hätte, war nicht da.

Nach der Kirche wurden sie noch zu den Langdons eingeladen. Dr. Langdon war der Arzt des Ortes. Ein älterer, brummiger Herr, der aber mit einer sehr netten, jungen Frau und einer kleinen, blond gelockten Tochter gesegnet war, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte ihn und Jacob mit Kaffee und Keksen solange zu mästen, bis sie platzten.

Und doch wünschte sich Dean nichts sehnlicher, als dass das hier endlich zu Ende ging und er trotz seines Muskelkaters noch eine Runde reiten durfte. Er brauchte frische Luft und Bewegung.

Auf dem Rückweg durfte er die Kutsche ganz alleine lenken.
 

Die Tage vergingen und so sehr sich Dean auch den Kopf zerbrach, er fand keine Möglichkeit nach Hause zurückzukehren.

Er blieb in der Scheune wohnen. Nur zum Essen kam er ins Haus. Er wollte oder konnte einfach nicht länger mit Margaret in einem Raum sein.
 

Jacob freundete sich recht schnell mit Dean an, auch wenn der Blonde zwar über Alltäglichkeiten mit ihm redete und auch hin und wieder seine Späße mit ihm trieb, versank er jedoch immer sofort in Traurigkeit, sobald die Sprache auf Familie oder Vergangenheit kam.

Auch Sarah versuchte ihn in ihr Familienleben zu integrieren. Sie mochte ihn, genau wie ihr Bruder.

Ihr gegenüber blieb Dean jedoch immer bei einem reservierten „Miss Sarah“. Außerdem waren ihm ihre Augen schon fast unheimlich.

Ein Freund hatte sich allerdings wirklich in Deans Herz geschlichen, und diese Freundschaft erwiderte er auch. Wann immer er Zeit hatte stand er an der Koppel und unterhielt sich mit dem schwarzen Hengst. Oft genug hatte er auch eine Möhre für ihn dabei.
 

Jeden Tag übte Jacob mit Dean Lasso werfen.

Sie fingen mit einem einzelnen Pfosten an und so wie Jake es dem Winchester zeigte sah es auch wirklich einfach aus.

John hatte mit seinen Kindern so ziemlich mit allem geübt was mal als Waffen gebrauchen konnte, doch ein Lasso war nie dabei gewesen. Wohl einfach weil Gewehr oder Revolver viel schneller zur Hand waren und auch wesentlich weiter reichten.

An seine ersten Versuche dachte Dean überhaupt nicht gerne zurück. Auch nicht an Jacobs verzerrtes Gesicht, als der versuchte sich sein Lachen nicht anmerken zu lassen.

Die ersten Male hatte er sich lediglich damit verheddert, doch dann, angestachelt von seinem Ehrgeiz und seiner Wut über sein Unvermögen hatte er sich selbst gefangen und zu Fall gebracht.

Jetzt konnte auch Jacob nicht mehr an sich halten.

Laut prustete er los: „Jetzt kö... können wir dich ... als ... als sturen Ochsen ... ver ... verkaufen“, schaffte er endlich einen Satz. Seine Beine trugen ihn nicht mehr und er knickte neben Dean auf die Knie. So sehr er auch wollte, er schaffte es nicht den Winchester von seinen Fesseln zu befreien.

Letztendlich war Jakes Lachen so ansteckend, das Deans Wut verrauchte und er auch über sich lachen konnte.

„Wenn schon, dann Stier!“, knurrte er und löste bei dem Jüngeren einen weiteren Lachanfall aus.
 

Immerhin ließ sich der Winchester nicht unterkriegen und übte weiter.

Doch sehr zu Deans Missfallen konnte er das Lasso nach der ersten Woche noch immer nicht perfekt handhaben. Noch nicht mal im Stehen!

‚Himmel!’, fluchte er immer wieder in Gedanken. ‚Ich kann doch sonst mit jeder Waffe umgehen, die es hier gibt. Warum dann nicht mit so einem blöden Strick?’

Aber auch hier wurde Dean besser und schon bald übten sie vom Pferd, Kühe einfangen.

Hinter der Scheune gab es eine Koppel, auf der ein paar Kühe grasten, die sie für ihre Milch brauchten.

„Geht doch!“, lachte Jacob eines Abends, als Dean nun wirklich jedes Rind bekommen hatte. Auch ihm war die schlechte Laune des Winchester aufgefallen, wenn er mal wieder daneben geworfen hatte.

Ein breites Lächeln zeigte sich auf dem Gesicht seines Gegenübers.
 

Wie jeden Abend drehten die beiden jungen Männer ihre Runde um die Ranch.

„Du hast wirklich einen guten Sitz. So langsam sollte ich dir ein paar Manöver zeigen, die du beim Rindertreiben brauchen wirst. Komm mit.“

Wieder ging es zu der schon bekannten Rinderkoppel. Jacob öffnete das Tor vom Pferd aus und Deans Augen hingen bewundernd an ihm. Das würde er auch gerne können.

Es dauerte nicht lange bis der junge Harrison die Kühe aus der Koppel getrieben hatte.

„Wir treiben sie jetzt einfach mal bis da vorne zum Bach. Da bleiben sie von alleine stehen“, erklärte er und der Winchester nickte. Er ließ seinem Lehrer den Vortritt und beobachtete ihn genau.

Schnell hatte eines der Rinder die Nase von der Rennerei voll und brach aus.

Ohne wirklich erkennbare Hilfe sprang Jakes Pferd herum und trieb die Kuh wieder zur Herde.

Dean schüttelte den Kopf. Für ihn hatte das Pferd selbstständig gehandelt. Keine Ahnung ob seine Stute das auch machte.
 

„Sag mal, hast du keine Angst, dass da morgen nur Sahne rauskommt?“, fragte er mit einen Grinsen im Gesicht.

Jacob schaute ihn fragend an.

„Bei der Rennerei? Die schüttelt’s mächtig durch“, erklärte er und deutete ernst auf die Euter der Kühe.

Jetzt erst verstand Jacob und prustete los.

„Mal sehen ob du nachher auch noch die große Klappe hast“, neckte er und erklärte kurz die Hilfestellungen, die Dean seinem Pferd geben sollte. Und schon ging die Hatz los.

Natürlich dauerte es nicht lange, bis diesmal zwei Rinder ausbrachen.

Dean gab seiner Stute die erklärten Hilfen indem er sein Gewicht verlagerte und versuchte sie mit seinem Schenkel herum zu drücken, doch das lammfromme, ruhige Tier trabte gemütlich in einem größeren Bogen hinter den Ausbrechern hinterher.

Jacob musste eingreifen.

Gemeinsam trieben sie die kleine Herde in die Koppel zurück.

Als das Gatter hinter den Rindern geschlossen war, konnte Jacob seinen Gefühlen endlich freien Lauf lassen.

Vor Lachen schaukelte er auf seinem Pferd hin und her wie ein Schiff auf hoher See.

„Das wird wohl nichts. Du brauchst ein richtiges Pferd“, prustete er.

„Na toll, jetzt lach mich auch noch aus!“, schmollte der Blonde.

„Entschuldige Dean“, grinste Jacob und versuchte sich zu beruhigen „es ist wirklich Zeit, dass du ein richtiges Pferd bekommst. Lass uns zurückreiten.“ Immer noch glucksend vor Lachen wendete er sein Pferd zum Hof zurück.

Der Blonde nickte nur.
 

Während Dean sich um ihre Pferde kümmerte war Jacob im Haus verschwunden.

„Du willst ihm wirklich den Schwarzen geben?“ Margaret war nicht sonderlich begeistert. Der Hengst war ihr suspekt.

„Wir haben drei zusätzliche Pferde hier, die ausgebildet sind und von denen er eines nehmen könnte. Und ich werde dir gleich zeigen, warum ich entschieden habe, dass er den schwarzen Hengst bekommen soll.“

Die Frauen folgten Jacob, blieben aber auf der Veranda stehen.

„Dean? Geh mal irgendwo an das Gatter der kleinen Koppel oder auch zur Scheune, egal“, rief Jacob dem Blonden zu.

Der Winchester zog fragend die Augenbrauen zusammen.

„Mach einfach!“

Dean zuckte mit dem Schultern und ging los während Jacob die drei in Frage kommenden Pferde aufhalfterte und zur Veranda brachte. Dann ließ er sie frei laufen und stieg die wenigen Stufen zu seiner Familie hinauf.

Fast sofort trabte der schwarze Hengst zu Dean und ließ sich mit einigen Streicheleinheiten verwöhnen. Die Stute blieb vor Sarah stehen und das dritte Pferd, ein Schecke lief zum nächsten saftig aussehenden Grasbüschel und begann zu fressen.

„Deshalb“, sagte Jacob nur und lächelte. „Die Stute ist ja eigentlich Sarahs Pferd, der Schecke mag Dean nicht und wie du siehst, Mama, hat sich der Schwarze seinen Reiter selbst ausgesucht.“

„Dann solltet ihr morgen nach El Paso reiten und kaufen, was er an Kleidung noch braucht. Außerdem könntet ihr die Bestellungen mitbringen.“

„Ja. Machen wir.“

Jacob ging zu Dean hinüber. „Jetzt hast du ein Pferd.“

Ein Leuchten huschte über Deans Gesicht und er streichelte den Kopf des Tieres.

„Aber…?“

„Er gehört uns und hat keinen festen Reiter. Dich mag er, also werdet ihr auch miteinander zurecht kommen. Morgen reiten wir nach El Paso. Dann könnt ihr euch aneinander gewöhnen. Außerdem brauchst du noch Übung. Mama hat noch einige Bestellungen bei Mr. Duncan also nehmen wir noch ein Packpferd mit.

„Morgen?“, fragte der Blonde und klang nicht wirklich glücklich.

„Warum?“, wollte Jacob wissen. Doch der Blonde schüttelte nur den Kopf.

„Hast du denn schon einen Namen für ihn?“, riss Sarah die Männer aus ihrem Gespräch.

„Nein.“

„Aber er braucht einen Namen“, sagte sie, „du hast doch auch einen.“

Dean grinste: „Impala!“

„Impala? Das ist …“

„Er ist genauso schwarz.“

Die Geschwister schauten fragend zu Dean, doch der gab keine weitere Erklärung.
 

So richtig konnte sich Dean an diesem Abend jedoch nicht über den Hengst freuen. Und über den anstehenden Ritt nach El Paso auch nicht.

Heute war der 1. Mai. Vor einem Jahr… Nein, eigentlich in 153 Jahren würde er an der Schwelle zur Hölle stehen und in der letzten Sekunde gerettet werden. Von einem Dämon!

Aber das Schlimmste für ihn war, dass Sammy morgen Geburtstag haben würde und er noch nicht mal wenn er wollte, zu ihm fahren könnte.

Er kramte die m&m’s aus seiner Tasche. Bis jetzt hatte er sich seinen Vorrat an Süßem eingeteilt. Aber diesen Abend würde die Tüte wohl nicht überleben. Er würde sich jetzt in einen Zuckerschock fressen!

Der Winchester schnaufte. Das hatte er noch nie geschafft egal wie viel Süßkram er schon in sich gestopft hatte.

Sollte er Sammy überhaupt gratulieren? Wenn er in seiner Zeit geblieben wäre, dann wäre jetzt - er rechnete zurück – fast Weihnachten. Ein Fest, das er gerne mit Sammy und Bobby verbracht hätte. Ein Fest, das er eigentlich gar nicht hätte erleben sollen.

Sein Leben war schon verrückt. Und das hier war wohl das Verrückteste.

Dean holte sein Handy aus der Tasche und schaltete es ein.

Es hatte noch immer drei Balken. Aber wie lange noch?

Langsam ging er die Liste durch und blieb dann doch bei Ramblin’ on hängen.

Dean rutschte auf seinem Strohlager ein wenig hin und her, betätigte die Play-Taste und schob sich sein Telefon ganz dicht ans Ohr. Er wollte es so lange wie möglich in Betrieb halten, also machte er die Musik nur ganz leise.

Nach dem Lied schaltete er das Telefon wieder aus und ließ es in seiner Hosentasche verschwinden.

Er grübelte noch eine Weile, doch dann forderte der anstrengende Tag seinen Tribut und Dean schlief ein.

Alles Gute zum Geburtstag, Sam

Sammy stand vor ihm. Breite Tränenspuren liefen über seine Wangen. Er schniefte herzzerreißend.

„Was ist los, Sammy?“

„Du hast vergessen, dass heute Weihnachten ist!“

„Aber wieso...?“, fragte der Ältere verwirrt. Wieso war Sam so klein, höchstens zehn? Und wieso war heute Weihnachten?

„Du warst einfach weg und dann hat Dad kein Geld dagelassen und du hattest versprochen, dass du mir was Schönes schenkst und dass wir einen Weihnachtsbraten haben werden und einen Tannenbaum!“, schniefte der Kleine.

Dean kratzte sich am Kopf. Hatte er das wirklich versprochen? Ihm musste schnell etwas einfallen!

„Bis heute Abend haben wir einen Weihnachtsbraten und Geschenke, Sammy. Ich wollte sie nicht hier verstecken.“ Er zog Sammy an sich und wischte ihm die Tränenspuren weg. „Du guckst Cartoons und ich hole sie schnell, okay?“

Sam zog noch einmal die Nase hoch und wischte sie dann an seinem Ärmel ab. Dann blickte er Dean vertrauensvoll in die Augen und nickte.
 

„Verdammt!“, fluchte er als er wieder im Impala saß. „Verdammt, verdammt, verdammt!“

Mit durchdrehenden Reifen jagte er den Wagen auf die Straße. Er wusste, wo er Geld besorgen konnte. Noch war es nicht zu spät Sammys Weihnachten zu retten.
 

Vier Stunden später flog die Hintertür der Bar auf und Dean wurde, ausgeplündert bis auf die Unterhose, auf die Straße geworfen.

„Lass dich hier ja nie wieder blicken!“, brüllte ihm einer der Männer hinterher.

Der Blonde rollte sich zusammen. Der Regen prasselte auf seinen nackten Körper. Seine Hände und Knie schmerzten weil er versucht hatte seinen Sturz abzufangen. Er wollte nur noch im nächsten Mauseloch verschwinden und nie wieder auftauchen müssen. Aber Sammy wartete.

Wie er dem jetzt überhaupt ein Weihnachtsfest bereiten sollte, wusste er nicht. Zu Fuß machte er sich auf den Weg, einen letzten traurigen Blick auf seinen Impala werfend. Auch den hatte er verspielt.
 

Plötzlich saß er in einem Zimmer. Noch immer nackt bis auf die Unterhose.

Sammy stand vor ihm, Dean senkte den Blick. Zu groß war sein schlechtes Gewissen.

„Hier, dein Weihnachtsgeschenk. Pack es aus!“, sagte der Kleine mit einem boshaften Unterton in seiner Stimme.

„Sammy?“, fragte Dean verwirrt.

„Pack aus!“

Zögernd nahm er das Geschenk und packte es aus. Ein glitzernder Zauberstab.

„Sammy?“

„Auspacken!“, fauchte der Jüngere und hielt ihm wieder ein Geschenk hin und der Blonde packte es aus.

Eine Barbie.

Immer mehr Geschenke tauchten in seinem Schoß auf und immer wieder waren es Barbies und Zauberstäbe, Einhörner und Puppenkleider. Die Berge aus Kartons, Geschenkpapier und Mädchenspielzeug wurden immer größer. Dean konnte nicht vom Stuhl aufstehen, seine Hände schmerzten und er fror. Doch Sam hatte kein Erbarmen. Der stand vor ihm, futterte Schokolade und lutschte Zuckerstangen und zwang ihn immer wieder Geschenke zu öffnen.

„Du bleibst sitzen, bis du deine Geschenke ausgepackt hast!“, brüllte der Kleine und hatte plötzlich ganz schwarze Augen.

„Sammy!“, bettelte Dean immer wieder. „Es tut mir leid Sammy!“

„Pack aus, DEAN!“, brüllte der Kleine immer wieder.
 

Schwer atmend und durchgeschwitzt wachte Dean auf.

Er lag auf seinem Strohlager in der Scheune. Mit einem Stöhnen setzte er sich auf.

Müde rieb er sich über die Augen. Er wusste, dass er keinen Schlaf mehr finden würde. Draußen zeigte der erste schmale Steifen Licht das Erwachen des neuen Tages. Es würde ein harter Tag werden und er musste sich ablenken.
 

Zuerst säuberte er den Steinofen. Margaret hatte gestern gesagt, dass sie heute backen wollte. Dann ging er zum Brunnen und wusch sich das letzte Bisschen Schlaf aus dem Gesicht. Danach holte er die Eier, die sie für ihr Frühstück brauchten und ging mit einem Korb voll Holz für den Ofen ins Haus.

„Guten Morgen“, grüßte er ruhig.

Margaret schaute ihm entgegen und nickte: „Guten Morgen. Wie geht es dir? Du siehst blass aus.“ Auch sie war inzwischen zum „du“ übergegangen.

„Mir geht es gut, Ma‘am. Danke“, erklärte er so beiläufig wie möglich.

„Dann hole mir bitte Kartoffeln und hilf Sarah das Vieh zu füttern.“

Dean nickte und verschwand wieder.
 

Er nahm sich an diesem Tag kaum Zeit zum Essen. Sobald er eine Arbeit beendet hatte, suchte er sich schon die nächste. Bis Jacob sich nicht mehr vertrösten ließ und zum Aufbruch drängte.

Der Blonde wusch sich bedauernd Schmutz und Schweiß vom Körper und ging dann zu dem Harrison, der schon mit den gesattelten Pferden und einem Packpferd auf ihn wartete.

Ein warmes Gefühl machte sich in ihm breit, als er Impala ansah und sich dann in dessen Sattel schwang. Und vielleicht war es doch keine so schlechte Idee heute Abend nicht hier in der Scheune schlafen zu müssen. Er wusste zwar nicht, was Jacob vorhatte, aber er hatte das Gefühl, dass er auch diese Nacht, wenn er sie in der Scheune verbringen musste, nicht würde schlafen können. Wenn er nur wüsste, wo Sam war und ob es ihm gut ging.

„Einen Dollar für deine Gedanken!“, sagte Jacob.

Dean schüttelte den Kopf. Dann antwortete er: „Ich frage mich, was Sam jetzt macht.“

„Warum?“

„Sammy hat heute Geburtstag!“ Nie wäre ihm eingefallen „hätte“ zu sagen, denn das würde die Möglichkeit offen lassen, dass Sam tot sein könnte. Und das war er nicht! ‚Nein, er ist nur noch nicht geboren. Ganze 128 Jahre lang nicht!‘

Langsam waren sie vom Hof geritten, jetzt lag die weite Ebene vor ihnen.

Ruhig trabte Jacob an.

Dean stieß dem Hengst, wie er es von der Stute gewohnt war, die Hacken in die Flanken. Das Tier stieg leicht in die Höhe und machte, bevor Dean Luft holen konnte, einen Satz vorwärts. Dann schoss er in gestrecktem Galopp hinter Jacob her. Rasend schnell hatten sie die beiden überholt.

„Verdammte Scheiße!“, knirschte der Winchester und versuchte sich einfach nur noch irgendwo festzuhalten. Seine Hand krampfte sich um den Sattelknauf.

Jacob schrie irgendetwas hinter ihnen her und trieb seinen Hengst jetzt ebenfalls zu Höchstleistungen an.

Doch Impala hatte seinen eigenen Kopf und wollte sich auf keinen Fall fangen lassen.

Plötzlich stemmte er die Vorderbeine in den Boden und nahm den Kopf etwas weiter nach unten.

Die Hufe gruben sie regelrecht in den Boden. Sein Rücken wölbte sich und Dean hatte keine Chance. Er wurde aus dem Sattel katapultiert, überschlug sich in der Luft und fand sich vor dem Hengst sitzend wieder, die Zügel noch fest in seiner Hand.

Impala schüttelte den Kopf, schaute seinen Reiter an und schien schadenfroh zu grinsen.

Wütend starrte der Winchester zurück und versuchte sich zu überlegen, wie er das dem Hengst heimzahlen könnte. Das hatte der doch mit Absicht gemacht!

Er kam nicht sehr weit mit seinen Gedanken.

Der Schreck ließ nach und ganz langsam meldete sich Deans Körper mit Schmerzen wieder.

Sein Hintern tat fürchterlich weh und er hatte sich den Steiß geprellt. Was aber viel schlimmer war und ihm noch immer die Luft nahm: Sein bestes Stück hatte schmerzhafte Bekanntschaft mit dem Sattelknauf gemacht.

Dean wusste nicht ob er je wieder aufstehen oder überhaupt atmen können würde, geschweige denn mit einer Frau ins Bett gehen.
 

Himmel, tat das weh! Da wollte er sich doch lieber von einem Geist oder Dämon verprügeln lassen, als das noch einmal spüren zu müssen.

Schemenhaft erkannte er, dass Jacob neben ihm stand und ihm die Hand hinhielt. Irgendetwas sagte der, doch das Blut rauschte noch immer viel zu laut durch seine Ohren.

Dean schüttelte den Kopf. Er war noch nicht soweit wieder aufstehen zu wollen.

Endlich klärte sich sein Blickfeld und das Rauschen klang ab.

„Bist Du okay?“, verstand er jetzt auch die Frage.

Zaghaft versuchte er ein Nicken und füllte seine Lunge keuchend mit Sauerstoff.

„Du solltest mit ihm vielleicht etwas feinfühliger sein, als mit der Stute“, gab ihm Jake einen ungefragten Ratschlag und wurde böse angefunkelt.

Langsam kam Dean wieder auf die Beine. Vorsichtig, sich sein bestes Stück haltend stakste er in die Ebene hinaus, weg von diesem schwarzen Dämon.

Er hätte ihn doch nicht Impala sondern Devil nennen sollen. Sein Baby hatte ihn noch nie so malträtiert! Geschweige denn ihn so auf den Boden befördert! Dann straffte er sich und ging wieder zu Jacob und den wartenden Pferden. Er wollte Cowboy werden? Also los! Wäre ja noch schöner, wenn er sich von einem Mal abwerfen schon geschlagen geben würde! Er war ein Winchester! Und Winchester gaben niemals auf!

„Geht’s wieder? Können wir weiter oder willst du zurück?“, fragte der Jüngere besorgt.

„Weiter! Aber noch nicht gleich“, antwortete er verkniffen und lief noch eine Runde bis er seine zitternden Muskeln wieder unter Kontrolle hatte.

Vorsichtig kletterte er zurück in den Sattel und gab, nachdem auch der Harrison wieder aufgesessen war, dem Hengst einen zaghaften Hinweis, dass es weitergehen könnte.

Das Tier blieb einfach stehen.

„Verdammt!“, knurrte der Blonde leise und versuchte es diesmal etwas herzhafter, immer darauf gefasst, dass sein Tier wieder losstürmen würde. Nichts dergleichen geschah. Ganz brav setzte sich Impala in Bewegung. Bald trabten sie neben Jacob her und als sich Dean wieder halbwegs sicher im Sattel fühlte galoppierten sie los.

Es war ein irres Gefühl so über die Ebene zu fliegen. Dabei konnte er seine schmerzenden Knochen fast vergessen.
 

Kurz vor der Stadt zügelten sie ihre Tiere und Jacob hielt dem Winchester ein paar Scheine hin.

„Was ist das?“, wollte der Blonde überrascht wissen.

„Dein Lohn.“

„Wieso Lohn, wofür?“

„Für die Arbeit, die du auf der Ranch geleistet hast.“

„Aber ich wohne bei euch und ihr füttert mich durch!“

„Das machen wir auch mit den anderen Cowboys trotzdem bekommen die Lohn. Kriegt man da wo du herkommst kein Geld für seine Arbeit?“

„Eigentlich schon“, erwiderte Dean. ‚Nur wir Jäger werden nicht bezahlt.‘ Er warf einen Blick auf die Scheine. Vierzig Dollar.

„Fünf Dollar pro Woche. Wenn du bei der Herde bist werden es zehn.“

„Aber ich ... ich arbeite doch erst vier Wochen bei euch.“

„Sieh es als Anzahlung!“

„Okay! Gibt’s hier ´nen Saloon, wo man pokern kann?“

„Du willst das Geld doch nicht sofort wieder verspielen?“

„Vielleicht!“, grinste der Blonde.

„So langsam bereue ich, dass ich Mama um einen Vorschuss für dich gebeten habe.“

„Vertrau mir!“, sagte Dean und grinste fröhlich.

„Treib es nicht zu bunt. Wir übernachten hier und ich will dich morgen nicht aus der Zelle holen müssen.“

„Versprochen!“

Sie brachten ihre Pferde im Mietstall unter, versorgten sie für die Nacht und gingen in den Saloon.
 

Keine drei Stunden später war Deans Gegenspieler gezwungen aufzuhören und der Blonde hatte fast neunzig Dollar in der Tasche. Mit einem breiten Grinsen in Richtung Jacob, der mit zwei jungen Männern an einem Tisch saß, machte er sich auf den Weg an die Theke.

Die Einladung des jungen Harrison, sich doch zu ihnen zu setzen, schlug er aus. Er wollte allein sein und darüber nachdenken, wie er vielleicht doch noch hier wegkommen konnte.

Und er wollte mit Sammy Geburtstag feiern.
 

„Hey“, sprach ihn plötzlich jemand von der Seite an. Langsam drehte er den Kopf und schaute diesen Jemand an. Eine Frau. Hübsch, dunkelhaarig und etwas freizügiger als die Frauen, die er sonst hier gesehen hatte. Sie trug ein grünes Kleid mit schwarzen Rüschen und ihr Busen wölbte sich leicht aus dem Mieder.

„Hey“, grüßte er etwas verspätet.

„Suchst du Gesellschaft, Süßer?“

„Nein!“, würgte er sie ab und hielt ihr sein Whiskeyglas hin. „Hab alles wasich prauche“, nuschelte er.

Sie schaute ihn an und sie sah die Traurigkeit in seinen Augen.

„Ich bin Carren“, stellte sie sich mit einem Lächeln vor.

„Dean“, antwortete er und hielt dem Barmann sein Glas hin.
 

Endlich meinte Dean, dass er genug hätte um diese Nacht durchschlafen zu können. Er löste sich von der Bar, stand einen Augenblick torkelnd im Raum und versuchte dann die Tür zu finden.

„Ich bring ihn hoch“, erklärte Carren dem Barmann und hakte Dean unter.

„Komm Fremder. Ich bring dich ins Bett.“

Widerstandslos ließ er sich führen.

Cowboy

Schwer ließ er sich auf das Bett plumsen

„Ich helf dir“, seufzte sie, als sie ihn mit seiner Jacke kämpfen sah. Er nickte kurz und stand schwerfällig wieder auf. Sie kam ihm gefährlich nahe als sie ihm die Jacke von den Schultern schob.

Dean schwankte, torkelte einen Schritt nach vorn und sein Kopf landete in ihrer Halsbeuge.

Er inhalierte ihren Duft. Etwas regte sich in ihm.

Zärtlich begann er ihr Schlüsselbein zu küssen. Seine Rechte fasste ihren festen Hintern und seine Linke strich über ihren Bauch und wanderte langsam immer höher, bis sie ihre Brust umfasste.

Deans Lippen zogen eine zärtliche Spur über ihren Hals hinauf zu ihrem Ohr. Er knabberte an ihrem Ohrläppchen.

Carren wand sich stöhnend in seinen Händen.

Zärtlich verschloss Dean ihre Lippen mit seinen, während seine Hände sich daran machen die Verschnürung ihres Mieders zu lösen. Gott sei Dank hatten die Frauen zu seiner Zeit nicht mehr dieses Zeug an, das verkomplizierte das Ganze doch erheblich. Obwohl es auch seinen Reiz hatte, konnte er das Vorspiel doch erheblich in die Länge ziehen. Nur nicht mit seiner vom Alkohol gestörten Koordination.

Mit Carrens Hilfe schaffte er es, das Teil soweit geöffnet, dass er sie davon befreien und ihren schlanken Körper bewundern konnte.

Auch sie wollte jetzt wissen, ob das, was ihre Hände ihr da vorgaukelten Wirklichkeit war. Hastig begann sie ihn aus seiner Kleidung zu schälen.

Er war groß und wirklich gut bebaut. Etwas, das sie selten sah. Die meisten Männer hier waren entweder fett oder knochig dürr.

Und dann stand er vor ihr, wie Gott ihn schuf, und sie sah die vielen alten, weißen Narben und die rosa Hautflächen auf seinem Körper. Doch Dean ließ ihr keine Zeit ihn eingehender zu bewundern.

Verlangend und doch so wahnsinnig zärtlich drängte er sich an sie.
 

Behutsam deckte sie Dean zu. Erschöpft hatte er sich zusammengerollt.

Voller Zärtlichkeit schaute sie auf den schlafenden Mann. Sie war nur eine Hure, höchstens geduldet von den ach so vornehmen Frauen hier im Ort.

Sie bot sich für Geld an und gab den Männern, was sie wollten und sie konnte nicht sagen, dass es ihr nicht gefiel. Aber was Dean da mit ihr gemacht hatte? So zärtlich, so liebevoll, so auf ihre Erfüllung bedacht war kein Mann vor ihm.

Sie schob die Decke noch etwas höher über seine Schulter und legte sich dann, an seinen Rücken geschmiegt, neben ihn.
 

Sam stand vor ihm und schaute ihn wütend an. Warum? Er war gerade müde und zerschlagen von einer Jagd gekommen.

„Sammy?“, fragte er.

„Verschwinde, Dean!“, fauchte der Kleine.

„Sammy, ich...“, stotterte der Blonde mit Tränen in den Augen.

„Sammy, ich ...“ äffte der Jüngere ihn nach. „Es heißt Sam. SAM! Hörst du? S A M !

Ich habe es so satt. Ich habe dich so satt! Du behauptest, dass Du immer auf mich aufpassen, immer für mich da sein würdest und verpasst meinen Geburtstag?!?“

Sam schien zu wachsen. Größer und größer wurde er. Solange bis Dean ihm nur noch bis zur Hüfte ging. Oder war er geschrumpft?

„Es reicht mir, Dean. Verschwinde! Ich will dich nie wieder sehen. Und ... Dean?“, Der Jüngere trat an ihn heran, fasste den Anhänger um Deans Hals und riss ihm die Kette herunter.

„Du bist es nicht wert!“, sagte er verächtlich und wandte sich ab.
 

„Sam! NEIN!“, schrie der Blonde und setzte sich auf.

Sofort war Carren da und streichelte ihm sanft über den Rücken. Sie war schon eine Weile wach und hatte immer wieder versucht, den sich unruhig hin und her werfenden Mann neben ihr zu beruhigen. Erfolg hatte sie keinen gehabt.

Augenblicklich schloss sich seine Hand um den Anhänger um seinen Hals und er kippte wieder zur Seite. Leise schniefend schlief er wieder ein.

Carren wachte noch eine Weile über seinen Schlaf, bevor auch sie sich wieder hinlegte.
 

Müde und verkatert hockte Dean im Saloon und inhalierte das Aroma seines zweiten Kaffees. Hunger hatte er noch keinen.

„Verträgst du so wenig oder hattest du soviel?“, lachte Jacob und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter.

Der Winchester knurrte nur.

„Lass uns einkaufen gehen.“

„Ich brauche noch Patronen.“

„Was brauchst du?“

„Für meinen Colt werd ich wohl keine bekommen, oder?“

„Für den silbernen? Nein, ich denke nicht, aber der Waffenschmied ist die Straße runter. Ich hole die Pferde und schau schon mal nach Mamas Bestellung. Beeil dich bitte.“

Dean trank seinen Kaffee aus, zahlte und ging in den Waffenladen.
 

Schnell war er da fertig und betrat den Gemischtwarenladen. Auf dem Tresen neben der Kasse stand ein Glas, voll mit bunten Bobbons.

Er schaute sich um. Solche Geschäfte kannte er nur aus Erzählungen. Selbst als er noch ein Kind war waren sie immer in großen Märkten einkaufen gegangen.

Irgendwie fand er das hier gemütlicher.

„Was kann ich für sie tun?“, fragte der Ladenbesitzer.

„Das ist unser neuer Cowboy, Mr. Duncan. Er ist derjenige, für den wir die Sachen brauchen.“

„Dann lassen Sie mich mal sehen, junger Mann“, sagte Mr. Duncan und musterte Dean mit seinen kleinen stechenden Schweineäuglein.

Zielsicher griff er dann in ein Fach und holte ein paar Chaps hervor.

„Welche möchten Sie?“, fragte er Dean und dieser schaute etwas ratlos zu Jacob.

Der nahm die breiteren und half Dean, diese umzuschnallen.

„Lauf mal ein paar Schritte“, wies er Dean an.

Der Winchester tat wie ihm geheißen.

„Und wie fühlt es sich an?“, wollte Jacob wissen.

„Ungewohnt!“, antwortete der Blonde und schaute zum wiederholten Male sehnsüchtig zu dem Bonbonglas.

„Einen Hut kannst du dir wohl selber aussuchen!“, nickte der Harrison und hielt Dean ein olivgrünes Halstuch hin.

„Soll ich damit ´ne Bank überfallen?“, fragte der Blonde grinsend.

„Das hoffe ich nicht, aber es schütz vor dem Staub, den die Rinder aufwirbeln.“

Dean nickte wieder und band sich das Tuch um.

Mr. Duncan brachte mehrere Hüte aus seinem Lager und der Winchester entschied sich, nachdem er einige probiert hatte, letztendlich für einen dunkelbraunen mit breiter Krempe. Der Revolvergürtel war schnell ausgesucht, genauso wie ein Futteral für seine Schrotflinte, für die er hier sogar Patronen bekommen hatte.

Jacob verlangte noch zwei helle Baumwollhosen und einen Poncho und legte einen mit mehreren farbigen Streifen auf den Berg.

„Der hilft gegen Regen“, erklärte er und Dean ließ sich überzeugen. Gegen Stiefel und Sporen wehrte er sich aber erfolgreich. Er wollte nicht bei jedem Schritt klappern.

Als Kind hatte er das cool gefunden, wenn die Cowboys in den Filmen schon von Weiten zu hören waren, doch jetzt, wo es bei ihrem Job meistens auf den Überraschungseffekt ankam, mochte er die Stille lieber.

Wieder wanderte sein Blick zum dem Glas mit den Leckereien. Dann kramte er sein Geld hervor und deckte einen Großteil seiner Ausrüstung damit selbst.

Jacob staunte: „Wo hast du das Geld her?“

„Beim Pokern gewonnen?“

Der Jüngere schüttelte den Kopf.
 

Endlich hatten sie Salz, Zucker, Mehl und die restlichen Einkäufe, die die ganze Zeit schon auf der Theke gelegen hatten, auf dem Packpferd verstaut und wollten aufsitzen, als Deans Augen plötzlich aufleuchteten.

„Warte mal!“, forderte der Winchester und sprintete zurück in den Laden. Die Chaps schlugen ihm unangenehm um die Beine und behinderten ihn beim Laufen.

Mit einem breiten Grinsen, zwei Zuckerstangen, einem Säckchen Zucker und einer leicht verbeulten Pfanne kam Dean wieder zu Jacob.

„Willst du eine?“, fragte der Winchester und hielt Jacob eine Stange hin.

„Nee, lass mal. Ich steh nicht so drauf!“

Kaum dass er im Sattel saß, schob sich der Blonde das Zuckerstück in den Mund und seine Zähne mahlten es knirschend klein. Ein verzücktes Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

„Du siehst aus wie ein Kind unterm Weihnachtsbaum.“

„Hm“, erwiderte der Blonde und schon verschwand auch die zweite Süßigkeit in seinem Mund. Diesmal allerdings lutschte er die.
 

Gemächlich ritten sie aus der Stadt.

„Weißt du, dass du jetzt wie ein echter Cowboy aussiehst?“

„Hm!“ Dean ließ sich von so einer Aussage nicht im Genuss seiner Leckerei stören. Was würde er für ein Stück Schokolade geben. Doch die gab es hier höchstens zum Trinken. Schade. Aber immerhin, sein Zuckerbedarf war für eine Weile gedeckt.
 

Schweigend jagten sie durch die Ebene und Jacob kam nicht umhin zu bewundern, wie gut Dean inzwischen ritt, wie fest er in Sattel saß und er grübelte wieder einmal darüber nach, wieso Dean gesagt hatte, dass er als Kind mal versucht hatte, reiten zu lernen und womit sie sich dann wohl fortbewegten. Doch immer wenn er den Blonden darauf ansprach antwortete der nicht.

Aber er freute sich, dass Dean und der Hengst miteinander auskamen und die Aktion von gestern nur Anfangsschwierigkeiten waren.
 


 

Auf der Ranch angekommen schob Dean seinen Hut auf den Rücken und half Sarah die Einkäufe wegpacken.

„Das Halstuch lässt deine Augen noch mehr leuchten“, sagte sie und lächelte warm, als grüne Augen auf grüne Augen trafen. Und wieder überkam Dean ein komisches Gefühl.

Schnell wandte er sich ab und ging in die Scheune. Die Chaps waren schwer und lästig. Er sah ja ein, dass die beim Rindertreiben wohl angebracht und gut waren, aber hier musste er sie nicht haben.

An den Hut konnte er sich schon eher gewöhnen. Der passte schon ganz gut und hier bei der brütenden Sonne war er wohl auch ganz praktisch, obwohl er sein Sichtfeld doch einengte.
 

Sarah holte Wasser vom Brunnen und sah Dean, nur mit Jeans und T-Shirt bekleidet an der kleinen Koppel arbeiten. Gebannt schaute sie auf das Spiel seiner Muskeln. Der Mann faszinierte sie und er war ihr unheimlich, seine Augen ihren so ähnlich.

Der Winchester richtete sich auf, schob den Hut in den Nacken und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Dann wandte er sich zum Brunnen.

Ertappt erstarrte sie und versuchte umständlich den Eimer wieder nach oben zu ziehen.

Dean lachte: „Miss Sarah! Kann ich helfen?“

„… Ja… und lass endlich das Miss weg?“

Er trug ihr den Eimer ins Haus, stellte ihn in der Küche ab und grüßte mit einem kurzen Nicken: „Miss“

Sarah seufzte.

Dean hatte sich vorgenommen hier keine festeren Bindungen einzugehen. Und das würde es mit ihr werden, zumindest ging er davon aus. Aber solange noch eine winzige Chance bestand, dass er nach Hause konnte, würde er niemanden an sich binden wollen.
 

Am Abend kamen Richard und William zurück.

„“Morgen reiten wir auf die Jagd“, erklärte der ältere Harrison-Sohn und musterte Dean eine Weile. „Hey, sieh mal einer an. Hast du dich als Cowboy verkleidet?!“

Der Winchester überging die Bemerkung. Irgendwie kam er sich ja doch verkleidet vor.

Er holte tief Luft und schwieg. Wie meistens. Sam fehlte ihm. Ihre Plänkeleien, ihre dummen Sprüche vermisste er und auch dass er bei Sam nie überlegen musste, was er sagte, weil sein kleiner Bruder immer genau wusste, wovon er sprach, was anders herum nicht immer der Fall war. Aber das war egal. Es war sein Sammy.

Bambi

70) Bambi
 

Die Sonne versank hinter den Bergen und langsam senkte sich die Dunkelheit über die beiden jungen Männer, die an dem kleinen Feuer saßen.

„Meinst du wirklich der Winchester ist soweit?“

„Warum nicht William. Er kann wirklich gut reiten, das hast du heute selbst gesehen und mit dem Lasso kann er auch umgehen.“

„Ja, schon, aber…?“

„Was aber? Er ist ein guter Cowboy, dafür leg ich meine Hand ins Feuer.“

„Jacob! Beurteilst du ihn nicht etwas zu schnell? Wir wissen nichts von ihm! Seine Kleidung, die Waffen. Diese geröteten Stellen. Sein ganzer Oberkörper müsste eine einzige Narbe sein, aber die Haut ist glatt als wäre es normale Haut, Mal abgesehen davon, dass er diese Verletzungen nicht hätte überleben dürfen!“
 

„Du bist erst gestern Nachmittag wiedergekommen. Ich habe die letzten Wochen mit ihm gearbeitet. Er würde niemandem etwas tun. Er ist ein netter Kerl, hilfsbereit. Wenn er uns etwas hätte antun wollen, dann hätte er genug Zeit gehabt. William! Du warst dabei als wir ihn gefunden haben. Das war reiner Zufall! Ein paar Stunden länger da draußen und er wäre gestorben.

„Du meinst also er ist in Ordnung?“, vergewisserte sich William noch einmal.

„Das ist er!“

Ein leises Rascheln war zu hören und dann stand Dean am Feuer.

„Wenn du mir nicht traust, dann sag es und ich verschwinde hier!“, sagte der Winchester ruhig.

„Himmel, musst du uns so erschrecken? Bist du unter Indianern aufgewachsen? Schleich dich doch nicht so an!“, blaffte William ertappt.

„Ich hab mich nicht angeschlichen“, entgegnete der Blonde.

„Ich will nicht, dass du gehst, aber versteh uns doch auch mal: Wir haben dich in der Ebene aufgelesen und wissen nichts von dir! Nichts, außer dass du angeblich einen Bruder hast, der Sam heißt.“

„Ich HABE einen Bruder Sam, und er ist vier Jahre jünger als ich und mehr gibt es nicht zu erzählen, weil unser, weil mein Leben für euch keinen Sinn ergeben würde. Ihr würdet das meiste nicht verstehen und ich kann es euch nicht verständlich machen. Es geht einfach nicht!“, sagte Dean traurig.

„Aber es muss doch auch einiges geben, das wir verstehen können. Woher kommt ihr?“, drängte William weiter und ignorierte die Hand, die Jacob ihm beschwichtigend auf den Arm gelegt hatte. Er wollte jetzt Antworten. Jetzt wo Dean vielleicht wenigstens ein bisschen von sich preisgeben würde

„Lawrence, Kansas“

„Was habt ihr gemacht? Wie seid ihr aufgewachsen? Wieso kannst du nicht reiten? Oder nicht so gut reiten. Kansas ist nicht New York. Und selbst da müsstest du eine Kutsche lenken können!“

Dean schüttelte nur den Kopf und nahm sich die Kaffeekanne, die auf den heißen Steinen am Rand des Feuers stand.

„Da gibt es nichts zu erklären!“, sagte er dann doch noch und setzte sich an das Feuer.

Schweigend trank er seinen Kaffee.

William wollte sich nicht mit dieser Erklärung zufrieden geben, doch Jacobs Blick brachte ihn dazu es auf sich beruhen zu lassen. Vorerst!
 

Der Winchester trank seinen Kaffee und starrte in die Flammen. Was sollte, was konnte und vor allem was wollte er erzählen?

Margaret witterte schon bei seinem Anhänger Gotteslästerung, was würde sie erst zu dem sagen, was er aus seinem Leben zu erzählen hatte? Dämonen, Vampire, Hexen, einen germanischen Gott? Nein, das sollte er lieber für sich behalten. Und ihre Kindheit? Er bezweifelte, dass die Kinder hier ein leichteres Leben hatten. Mal abgesehen davon wer wusste hier schon was ein Marine war?

Nein, er würde nichts erzählen.

Den letzten Rest seines Kaffees kippte er ins Feuer, wo der zischend verdampfte, griff nach seinem Gewehr und verschwand wortlos wieder in der Dunkelheit.

William schlich ihm hinterher.
 

Er hatte einige Schwierigkeiten gehabt wirklich an Deans Fersen zu bleiben, aber er hatte es geschafft. Zu gerne wollte er wissen, was der Blonde da trieb. Doch wenn er etwas Erstaunliches erwartet hatte, so wurde er enttäuscht.
 

‚Wenn Bobby sehen würde, wie ich mich hier anstelle, er würde sich glatt fragen, ob ich damals nicht aufgepasst hab’, überlegte Dean und ließ sich unter einem Baum nieder. So gut es ging machte er es sich am Stamm gemütlich und wartete. Seine Gedanken schweiften zurück zu ihren Jagdausflügen mit Bobby. Hin und wieder war Dad mitgekommen, aber meistens hatte er sie nur bei Bobby abgeladen und war zu irgendeiner Jagd aufgebrochen. Geister töten war ja auch wichtiger als Zeit mit seinen Kindern zu verbringen. Zumindest hatte Bobby das immer wütend hinter ihm her gebrüllt. Doch John hatte mit den Worten ‚Du machst das schon’ abgewinkt und war verschwunden.

Jeden Sommer waren sie dann für drei oder vier Wochen zu Bobbys Jagdhütte gefahren und hatten genau das getan. Gejagt.

Schlimm waren nur die Wochen in denen Sam auf seinem Bambi-Trip war. Mann, hatte der Kleine damals genervt. Haustiere zu schlachten war nicht so schlimm, aber ein Wildtier musste man nicht töten. Es gab ja genug zu essen. Teilweise war Sammy dann richtig unausstehlich gewesen.

Aber er musste ja auch nicht zusehen, wie sie zu Geld kamen, wenn John mal wieder länger als geplant weg blieb und dann zuwenig Geld da war. Dean empfand die Wochen bei Bobby als regelrecht entspannend. Keine Schule UND die Verantwortung für Sam wenigstens teilweise abgeben zu können war der pure Luxus. Obwohl er Sammy nie wirklich aus den Augen gelassen hatte. Egal wie unausstehlich der Kleine gerade war.

Ihren Spaß bei der Jagd hatten sich die beiden Älteren aber nicht nehmen lassen und Dean war ein neugieriger Schüler, der schnell begriff. Außerdem hatte Johns Training auch seinen Teil dazu beigetragen, dass der Blonde fast wie ein Geist durch den Wald schlich.
 

William hatte sich ein paar Bäume weiter niedergelassen. Er wollte Dean unbedingt im Auge behalten.

Doch der schien zu schlafen. Zumindest rührte er sich nicht.

Immer öfter fielen ihm auch die Augen zu. Sein Kopf fiel auf die Brust.
 

Im trügerisch nebligen Licht des anbrechenden Morgen trat eine kleine Gruppe Hirsche auf die Lichtung. Misstrauisch schauten sie sich immer wieder um, bevor sie ihre Köpfe zum Bach senkten und tranken.

Wie in Zeitlupe griff Dean nach seinem Gewehr und hob den Arm.

Zwei Schüsse peitschten über die Lichtung. Panisch verschwand die Gruppe auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung zwischen den Bäumen, während der Winchester aufsprang und zu seiner Beute rannte.

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Den ersten Hirsch hatte er sofort tödlich getroffen. Den Zweiten würde er suchen müssen, aber die Blutspur war gut sichtbar.
 

William wurde von den Schüssen unsanft geweckt. Erschrocken sprang er auf, um mit einem leisen Stöhnen wieder auf den Waldboden zu sinken. Seine Muskeln waren kalt und weigerten sich, die Bewegungen auszuführen.

Langsam erhob er sich erneut und stakste zur Lichtung.

Bei der Beute traf er auf seinen Bruder.

„Hey, guter Schuss!“, lobte der Jüngere.

„Das war Dean!“, knirschte er.

„Dean? Wo ist er?“

„Keine Ahnung. Ich hab ihn losrennen sehen aber bei dem Nebel…“

„Dean?“, rief Jacob in den Nebel.
 

Der Winchester folgte konzentriert der Blutspur. Er hörte Jacobs Ruf aber er wollte nicht antworten. Wenn der Hirsch sich vielleicht hier in der Nähe hingelegt hatte und er sich jetzt bemerkbar machte, dann hetzte der wahrscheinlich weiter. Das wollte er nicht riskieren.

Und dann fand er ihn, nicht ganz so tödlich getroffen, wie den ersten.

Er zog den Colt und tötete das Tier.

Der Schuss hallte durch den Wald.
 

Die Brüder horchten auf.

„Da hinten“, sagte Jacob und rannte los.

„Hey, brauchst du Hilfe?“, wollte er keuchend wissen.

„Geht schon!“, meinte der Blonde etwas atemlos. Er hatte sich den Hirsch auf die Schultern gepackt.

„Ist ´n Jungtier“, sagte Jacob.

„Hmhm. Sonst würde ich den auch nicht tragen können.“ Schwerfällig folgte er dem Harrison zur Lichtung.

Jacob schaute sich immer wieder um. Er kam sich so nutzlos vor. Doch dann waren sie auf der Lichtung und er half seinem Bruder den größeren Hirsch zu ihrem Lagerplatz zu tragen.
 

Kaum waren sie da angekommen, als Dean auch schon das jüngere Tier ausnahm und die Innereien etwas weiter entfernt vergrub.

„Warum?“, wollte William wissen, der inzwischen auch das zweite Tier aufgebrochen hatte.

„Mein Freund sagte immer, man soll der Natur was wiedergeben. Außerdem lockt man so keine Raubtiere an.“

Die Brüder nickten.

„Du hast von deinem Freund jagen gelernt.“

„Diese Art Jagd, ja. Wir waren als Kinder in den Ferien viel bei ihm und sind dann meistens für ein paar Wochen in seine Jagdhütte gefahren.“

„Dein Freund hatte eine Jagdhütte?“

Dean schniefte. Ja Bobby hat eine Jagdhütte. Hier musste das wie Luxus klingen. Schließlich gab es überall noch Wild zum jagen und kaum große Städte.

„Und du bist dir sicher, dass du nicht von Indianern abstammst?“, wollte der ältere Bruder wissen.

„Eigentlich schon. Aber ich bin ein Jäger und ich habe genug gesehen um den alten Legenden zu glauben.“

„Du bist ein Jäger? Du machst das hier also beruflich?“

„Nein. Sammy und ich, wir jagen, aber nicht das was ihr denkt.“ Der Winchester verfluchte sich, dass ihm das rausgerutscht war.

„Was jagst du dann?“

„Vergiss, dass ich etwas gesagt habe, okay?“

„Nein!“

„Tja, dann lebe damit, dass du keine Antwort bekommst!“

Die Brüder schauten sich fragend an, doch der Winchester verfiel wieder in sein Schweigen und verschwand zwischen den Bäumen um auch die Innereien des zweiten Hirsches zu vergraben.
 

Währenddessen hatte Jacob das Feuer neu geschürt.

Mit einem Lächeln nahm der Blonde den Kaffee entgegen. Seine Hände schlossen sich um den Becher um möglichst viel Wärme aufnehmen zu können. Er hatte sich am Bach gewaschen. Das Wasser war eisig gewesen und obwohl die Sonne schon aufgegangen war, hatte sie die Nebelschwaden noch nicht vollkommen vertreiben können. Dean fror.

„Wollt ihr noch bleiben?“, fragte er und blies in den dampfenden Kaffee.

„Ja, wie sehen wir denn aus, wenn nur du mit Jagdglück zurückkommst.“

Der Blonde schaute zu William, seine Mundwinkel zuckten kurz, dann nickte er und ließ sich neben dem Feuer nieder. Er war müde.

Schnell war der Kaffee ausgetrunken und Dean wickelte sich in seine Decke, streckte sich neben dem Feuer aus und war kurz darauf eingeschlafen.

Die Brüder schauten sich an und schüttelten ihre Köpfe.

„Was denkst du meint er damit, dass er ein Jäger ist?“, wollte der Jüngere wissen.

„Wenn er kein Wild jagt, was dann? Menschen? Ist er ein Kopfgeldjäger? Aber das könnte er uns doch erzählen. Das machen hier einige.“

„Vielleicht hat er den Falschen gejagt?“

Sie tranken ihre Becher leer und gingen dann wieder in den Wald. Wenigstens ein paar Waschbären wollten sie als Beute mitbringen.
 

Mit lautem Zischen verdampfte das Wasser, das Jacob aus dem Bach geholt und auf das Feuer geschüttet hatte.

Müde rieb sich Dean die Augen und setzte sich auf.

„Hast du noch Kaffee?“, fragte er heiser und strahlte William an, der ihm mit leisem Stöhnen einen Becher gab. Seine Muskeln schmerzten noch immer von dem unbequemen Nachtlager.

„Du kannst auch überall schlafen, oder?“

„Das sollte man schon, wenn man nicht weiß, wann und wie man das nächste Mal ein Bett findet und ob man dann auch wirklich zum schlafen kommt.“

Wieder schauten sich die Brüder an und blickten dann fragend zu Dean, doch der sagte nichts mehr.

Er inhalierte das Kaffeearoma und ließ seine Gedanken laufen.

Natürlich landete er bei Sam. Wenn Sammy bei ihm war, dann konnte er richtig schlafen. Obwohl... Sammy war ihm abhanden gekommen, während er geschlafen hatte. Okay, Sam war abgehaun! Schon wieder!

Langsam stand er auf und half mit, das Wild auf das Packpferd zu verladen und dann machten sie sich daran wieder zur Ranch zu reiten.
 

Plötzlich hielt William an, griff nach seinem Gewehr und glitt vom Pferd.

Auch Jacob und Dean saßen ab.

Der Winchester griff ebenfalls nach seinem Gewehr und schlich hinter dem älteren Harrison hinterher.

Dean spähte zwischen den Bäumen hindurch und sah endlich auf was William, der sich hinter einen Baum geduckt hatte, zielte.

Gerade als der abdrücken wollte, schlug Dean dessen Gewehr weg. Jetzt hatte Bambi auch ihn erwischt. ‚Danke Sammy‘, dachte er und verdrehte die Augen.

„Was soll das? Willst du den Ruhm für deinen Jagderfolg alleine einheimsen?“, polterte der Harrison los.

„Mir ist der Ruhm scheißegal! Das war eine Hirschkuh. Wolltest du jetzt den halben Wald absuchen um das Kitz zu finden oder wolltest du es verhungern lassen?“ Sammy hatte ihn definitiv mit Bambi infiziert.

„Ja und?“, Aber William wusste, dass seine Schwester ihm in den Ohren liegen würde, wenn er auch nur ein Wort von einem möglichen Kitz erzählen würde. Wütend nickte er und stapfte zu seinem Pferd zurück.

„William?“, fragte Jacob verwundert.

„Frag nicht. Hier hat einer sein Herz für kleine Tiere entdeckt. Kannst dich ab Montag bei den Kälbern auslassen“, wechselte er von seinem Bruder zu Dean. Er stieg auf und ritt wortlos davon.

„Den hast du jetzt verärgert“, sagte Jacob.

„Das wollte ich nicht, ich...“

„Du musst dich nicht entschuldigen. Du hattest Recht und er wird es begriffen haben, bis wir zu Hause sind.“

Schweigend folgte sie William.
 

„William, das ist toll, ihr ...“, lachend lief Sarah ihm entgegen.

„Für die Hirsche musst du dich bei Dean bedanken. Jacob und ich haben nur die Waschbären zur Beute beigetragen.“

„Das ist wundervoll. Ich denke, damit sind deine Schulden bei uns beglichen, Dean“, sagte Mrs. Harrison nach Begutachtung der Tiere.

„Aber ich hab doch nur...“, erwiderte der Blonde verblüfft.

„Es ist in Ordnung!“

„Danke.“ Er nahm sich der Pferde an, während die Brüder ihrem Vater beim Zerlegen der Hirsche halfen.

Wund geritten

71) Wund geritten
 

Der Abschied hatte doch etwas länger gedauert. Endlich waren die drei Männer auf dem Weg zur Herde.

Der Winchester hatte ein etwas mulmiges Gefühl. Würde er da bestehen können?

Als Kind hatte er die Cowboys in den Filmen immer bewundert. Aber war er so gut? Konnte er deren Handwerk mit fast 30 noch lernen? Machten seine Knochen das so noch mit? Musste man dazu nicht von klein auf mit und bei den Tieren aufgewachsen sein? Vor allem hier? Hatte er das Gefühl für die Tiere? Er hatte das Jagen von klein auf gelernt. Und was hatte es ihm genutzt? Ein Trickster hatte ihn in die Vergangenheit katapultiert und eigentlich hätte er in der Ebene sterben müssen, wenn, ja wenn ihn die Harrisons nicht gefunden hätten.

Er liebte die Ruhe hier. Die Ruhe vor all dem Übernatürlichen, das sein Leben bisher bestimmt hatte.

Und trotzdem wollte er zurück. Er wollte in sein Leben und er wollte zu Sam. Zu Sam und zu Bobby. Er vermisste seine Musik. Sein Handy hatte noch genug Energie für vielleicht eine Stunde Musik hören.

Aber die wollte er sich aufheben. Noch hatte er seine Sehnsucht danach mit selber singen besänftigen können. Auch wenn er das heimlich machen musste, denn Metallica-Texte waren nicht unbedingt etwas für Margarets gottesfürchtige Ohren.

Er wollte wissen, wie es Sam ging. Lebte sein kleiner Bruder? Suchte er nach einem Weg ihn zurückzuholen? War er bei Bobby?

Und er vermisste seinen Impala. Er mochte den vierbeinigen und er hatte ihm auch schon ein paar Sachen beigebracht, die sein Vierrädriger bestimmt nie können würde, es sein denn es gäbe mal einen Erweiterungssatz um aus dem Impala Kitt zu machen. Aber trotzdem. Er wünschte sich sein Leben mit all den Monstern, Geistern und Dämonen zurück.

Gestern in der Kirche hatte er wieder darüber nachgedacht, wie er einen Weg finden könnte. Doch in dieser Einöde gab es noch nicht mal Bibliotheken, in denen er suchen könnte.

Seine ganze Hoffnung ruhte auf Sam und Bobby.

Dean holte tief Luft und konzentrierte sich wieder auf das, was vor ihm lag.

Obwohl er das eigentlich nicht musste. Impala war hervorragend ausgebildet. Soweit er das sagen konnte. Aber immerhin schien er seinen Weg selbst zu finden, so dass er kaum Hilfen geben oder auf den Weg achten musste.

Also ließ er seine Gedanken wieder treiben.
 

„Es reicht für heute, wir machen hier Rast“, riss ihn der ältere Harrison aus den Gedanken.

„Wie geht es dir?“, fragte Jacob und saß ab um ein Feuer zu entzünden.

„Gut?“, antwortete Dean und stieg ebenfalls vom Pferd. Er fühlte sich doch gut, oder?

Ein leichtes Ziehen machte sich an seinen Oberschenkeln bemerkbar.

„Du warst noch nie so lange im Sattel. Wirklich alles okay bei dir?“

„Geht schon“, erklärte er heiser und stakste ein paar Schritte zur Seite. Die Schmerzen wurden immer unerträglicher. Er kniff die Augen zusammen.

„Dean, du ...?, begann Jacob.

Der Blonde hörte ihn nicht. Seine Oberschenkel brannten und sein bestes Stück ...? Er brauchte ganz schnell Hilfe!

Ein Bach! In der Nähe rauschte ein Bach!

Mit fahrigen Bewegungen riss er am Verschluss seiner Chaps und ließ sie, kaum dass sich die Schnalle geöffnet hatte, einfach zu Boden rutschen. Die Hände vor sein Bestes Stück gepresst stolperte er zum Bach und ließ sich hineinfallen.

Seine Hosen weichten durch und dann linderte die Kälte des Wassers auch endlich die Schmerzen.

Dean atmete vorsichtig durch.

Und jetzt? So schnell würde er hier nicht mehr rauskommen, auch auf die Gefahr hin, dass er nie Kinder bekommen würde. Das würde er eh nie! Sein Leben war nichts für eine Familie!
 

„Scheiße, Scheiße, Scheiße!“, fluchte Jacob, der Dean verfolgt hatte und hob dessen Chaps hoch.

„Scheiße!“

„Doch ein blutiger Anfänger?“, wollte William leicht spöttisch wissen.

„Im wahrsten Sinne des Wortes!“

Jetzt kam auch der ältere Harrison zu seinem Bruder und sah sich die Bescherung an.

„Oh verdammt!“

„Das kannst du laut sagen, großer Bruder! Ich Trottel! Ich hab ihm nicht gesagt, dass ... Wie konnte ich nur so vergesslich sein?!?“, stöhnte er und griff sich an den Kopf. „Ich hab’s vergessen und er muss drunter leiden! Verdammt!“

Jacob ging zu seinem Pferd und holte einen Topf aus seiner Satteltasche. Dann lief er zu Dean hinüber: „Komm raus, du verkühlst dich!“

„Egal!“

„Bitte komm raus.“

Dean schüttelte den Kopf. Seine Beine wurden taub, doch im Moment fand er das Gefühl wesentlich angenehmer als wieder diese Schmerzen zu haben.

„Es tut mir leid!“, sagte der Jüngere leise.

„Was?“, fragte Dean verwundert.

„Ich ... es ... Ich hätte dich warnen müssen.“

„Warnen?“

„Was hast du unter deinen Hosen?“

„Ich weiß nicht, was dich das angeht!“

Dean, ... es ist kein Mythos, dass Cowboys nicht drunter haben. Und ich hätte es dir sagen müssen.

Stoff auf Stoff ergibt Reibung und das“, er zeigte auf das Blut, dass das Wasser noch immer von Deans Beinen wusch, „ist das Ergebnis!“

Der Winchester schaute skeptisch.

„Komm raus. Ich hab hier eine Salbe, die hilft. Dann zieh deine ... Jeans? ... an und nichts drunter. Es wird trotzdem unangenehm werden. Aber es wird besser.“

Dean brauchte noch eine Weile, bis er nickte und recht eckig aus dem Bach stieg.

Er befolgte Jacobs Rat und rieb sich dick mit der Salbe ein, dann schlüpfte er vorsichtig in seine Jeans und ließ sich ächzend neben dem Feuer nieder.

In der Nacht fand er keine Ruhe und auch die nächsten Tage waren von Schmerzen geprägt.

Immer wieder rutschte er auf seinem Sattel hin und her und versuchte die beste Sitzposition zu finden.
 

Der Ritt zur Herde dauerte länger als geplant. William versuchte es Dean ebenfalls zu erleichtern. Und so machten sie öfter und länger Pause als eigentlich geplant war.

Keiner verlor je wieder ein Wort über diese Sache, wofür Dean seinen Begleitern mehr als nur dankbar war.
 

Nach einigen Tagen kamen sie bei der Herde an.

Dean lief noch immer etwas ungelenk und breitbeinig. Doch seine Schmerzen hielten sich inzwischen im ertragbaren Rahmen. Die Wunden heilten und Jacob hatte ihm gesagt, dass es in einer Woche überstanden sein müsste. Er hoffte darauf.
 

Mit großem Hallo wurden die Brüder begrüßt und in einige männliche Umarmungen gezogen. Dann erst wandten sich die Männer dem dritten Neuankömmling zu.

„Das ist Dean. Wir haben ihn sozusagen aufgelesen. Er arbeitet jetzt auch für uns und will sich hier als Cowboy versuchen“, erklärte William.

„Dean?“, fragte Benjamin und musterte ihn ausgiebig.

„Winchester“, sagte Dean ruhig und starrte genauso ungeniert zurück.

„Bist du nicht ein bisschen alt um noch Cowboy spielen zu wollen?“, fragte Ben provozierend.

„Bist du nicht ein bisschen alt um wie ein kleines Mädchen rumzuzicken?“

Ben wollte sofort auf Dean losgehen, doch Thomas und Robert vertraten Dean den Weg während Jacob und William ihren Bruder hielten.

„Beruhigt euch, okay?“, donnerte William mit der Autorität des Chefs. „Winchester, Ben, es reicht! Gebt euch die Hand und vertragt euch!“

Widerwillig folgte Ben der Anweisung.

„Benjamin ist Sarahs Bruder“, erklärte Jacob Dean.

„Ich dachte Sarah ist deine Schwester? Also müsste er…“, fragte der Winchester verwirrt.

„Nein, wir sind nicht blutsverwandt, aber sie ist bei uns aufgewachsen seit sie 18 Monate war. Ben war damals drei und ich bin ein halbes Jahr älter als er. Ihre Mutter starb in El Paso an Wundbrand und ihr Vater war schon kurz nach ihrer Geburt bei einer Schießerei ums Leben gekommen. Mama hat die beiden bei uns aufgenommen.“

Dean nickte nur.

„Musst du dem unsere ganze Lebensgeschichte erzählen?“, blaffte Benjamin Carson wütend.

„Beruhige dich! Vielleicht erzählt dir Dean ja seine“, versuchte Jacob zu schlichten.

„Darauf kann er lange warten“, knurrte der Winchester leise.

„Das sind Thomas Lowell und Robert Jones. Sie sind unsere erfahrendsten Cowboys und haben hier das Sagen. Ich denke du solltest mit Thomas reiten. Er zeigt dir, was du wissen musst“, stellte er die Männer vor. „Thomas hat übrigens deinen Hengst zugeritten.“

„Hab mich schon gewundert, dass ihr ihm den Schwarzen gegeben habt.“

„Der Hengst hat ihn sich ausgesucht“, mischte William sich jetzt in das Gespräch ein.

„Ja dann.“

Thomas musterte den Neuankömmling: „Auf Benjamin solltest du aufpassen, er wird sich nicht so schnell beruhigen.“

Thomas Lowell war Mitte zwanzig, groß und drahtig und trotzdem gut zehn Zentimeter kleiner als Dean. Hose, Hemd, Weste, selbst seine Schuhe waren schwarz. Er hatte wache, blaugraue Augen und blonde, kurze Haare. Sonne und Wind hatte einige Falten in sein Gesicht gegraben.

„Halleluja!“, antwortete Robert Jones, eigentlich Robert Henry Jones, 35, der sich eben zu ihnen gesellt hatte. Er war fast so groß wie Dean, breiter und kräftiger gebaut als Thomas, trug braune Hosen, ein helles Hemd und eine hellbraune Lederweste. Er sah aus als hätte er schon alles im Leben gesehen, die Ruhe in Person und ein Hauch von Traurigkeit umgab ihn.

„Sein Vater war Missionar“, erklärte Thomas, als er das verdutzte Gesicht Deans sah. Warum hatte der denn jetzt Halleluja gesagt? „Das färbt ab.“

„Aber wir passen schon auf dich auf, Kleiner!“, lachte Robert mit rauer Stimme. „Ben wird dir nichts tun.“

Dean schwieg irritiert.

„Wo ist der Rest?“, wollte William jetzt wissen.

„Bei der Herde.“

„Chad, Esra, Bob und Billy, den Rest der Mannschaft wirst du später kennenlernen“, sagte Jacob.
 

Die Tage vergingen. Dean machte die Arbeit Spaß, und Thomas lobte ihn immer wieder, wenn auch eher vor William und Jacob und am liebsten wenn der Winchester nicht dabei war.

Auch er hatte sich schnell mit Dean angefreundet und so sah man Jacob, Thomas und Dean öfter zusammen jagen oder fischen, wenn sie nicht hinter der Herde herjagten und darauf achteten, dass keines der Rinder verloren ging.
 

Der Winchester war in der ersten Zeit öfter mal im Staub gelandet, doch auch das wurde weniger, bis er sich nach einigen Wochen im Sattel genauso zuhause fühlte, wie hinter dem Lenkrad seines Babys. Und wund geritten hatte er sich auch nie wieder.
 

Über Tag hatte er genug Ablenkung, aber abends, wenn sie am Lagerfeuer saßen, Geschichten erzählt wurden und die Anspannung des Tages von ihm abfiel, dann waren die Gedanken an Sam und Bobby immer präsent und Dean wurde noch schweigsamer.

Niemand konnte zu ihm durchdringen, wenn er an seinen Sattel gelehnt, mehr lag als saß, den Kaffeebecher in seinen Händen drehte und blicklos in die Flammen starrte. Irgendwann raffte er sich dann meistens auf und begann seine Waffen zu reinigen. Mechanisch und ohne hinzuschauen nahm er sie auseinander, reinigte und ölte sie ein, und fast immer ließ Benjamin eine Bemerkung fallen, auf die er bis jetzt nicht reagiert hatte.

„Du nutzt die Dinger vielleicht einmal in der Woche und putzt sie jeden Abend. Irgendwann hast du sie durchgescheuert!“, motzte er diesmal.

„Dafür funktionieren meine Waffen, wenn ich sie brauche!“, gab Dean zurück, doch bevor sich die Anderen wundern konnten, dass der Winchester diesmal eine Antwort gegeben hatte, jaulte ganz in der Nähe ein Kojote. Ein zweiter und dritter fielen in den Chor ein und die Männer erhoben sich.

„Das kannst du jetzt ja beweisen!“, stichelte Benjamin schon wieder.

Dean stand auf und packte das Putzzeug in die Satteltasche. Dann ging er den Hengst losbinden. Auf dem Rückweg zu seinem Sattel rückte er den Revolvergurt zurecht.

„Komm zur Sache“, knurrte Benjamin. „Fang!“ Er warf ihm den Sattel zu.

Dean, der sich gerade seine Jacke anzog, schaute auf und versuchte das auf ihn zufliegende Geschoss zu fangen. Er erwischte den Sattel nur auf einer Seite. Das Sattelhorn rammte gegen sein Handgelenk. Schmerzen schossen seinen Arm hinauf. Das trotz allem unerwartete Gewicht riss ihn nach vorn. Er ließ den Sattel fallen und mitgerissen von dem Schwung machte er ein paar unbeholfene Schritte nach vorn um sein Gleichgewicht wiederzufinden, oder er versuchte es zumindest. Sein Schienbein schrammte am Sattelhorn entlang und er verlor endgültig das Gleichgewicht. Dean versuchte seinen Fall abzufangen. Wieder schoss der Schmerz durch seinen Arm und er landete hart auf dem Boden. Mit einem wütenden Knurren stand er langsam wieder auf.

„Vielleicht solltest du hierbleiben. Wenn du schon zu schwach zum Laufen bist?“, lachte der Carson.

„Idiot“, knurrte der Winchester leise, hob den Sattel wieder auf und ging damit zu Impala, der schon in seiner Nähe stand. Er sattelte ihn etwas ungeschickt und saß auf.

„Was denn, großes Maul und noch immer nicht fertig?“, wollte Dean dann wissen, als er sah, dass sich Benjamin gerade erst in den Sattel schwang.

Zusammen mit Esra und Robert ritten sie los. Wieder ertönte der Ruf der Kojoten südlich der Herde.

Fleckenzwerge und Dornen

72) Fleckenzwerge und Dornen
 

Im Morgengrauen kamen die Vier zurück. Sie hatten drei Kojoten erlegt.

Dean ließ sich schwerfällig von seinem Hengst gleiten. Zweimal hatte er daneben geschossen. Nicht weil seine Waffen nicht funktioniert hätten, sondern weil er sein Pferd nur mit den Beinen noch nicht wirklich zum ruhigen Stand zwingen konnte. Impala hatte die Kojoten gewittert und unruhig mit den Hufen gescharrt. Eigentlich wäre ja auch das für Dean kein Problem, aber er konnte sein Gewehr nur mit der Rechten halten. Sein linkes Handgelenk schmerzte und sobald er es belastete begann seine Hand zu zittern.

Der Winchester war wütend, auf sich und auf Benjamin.

„Was haben dir deine ach so toll geputzten Waffen denn in dieser Nacht geholfen, huh?“, lästerte Benjamin auch sofort weiter nachdem sie abgestiegen waren.

Der Winchester hinkte zu dem Baum, an dem er die Nacht hatte verbringen wollen, warf seinen Sattel wütend auf den Boden und ließ sich daran nieder.

Thomas beobachtete ihn genau.

„Was ist mit ihm?“, wollte er von Robert wissen.

„Keine Ahnung, er schont seine Linke. Ich hab ihn gefragt, aber er sagt, dass es ihm gut geht.“

Thomas ging zu dem Winchester und packte dessen linke Hand.

Dean zuckte zusammen.

„Was ist mit deiner Hand?“, wollte er wissen.

„Nichts, ich bin okay, okay?“

„Du bist nicht okay, und das beeinträchtigt deine Arbeit!“ Er tastete Deans Handgelenk ab und zog den Winchester in das aufkommende Tageslicht, als der wieder zusammenzuckte.

„Verstaucht oder gebrochen?“, wollte er wissen.

„Da knirscht nichts. Sie ist nicht gebrochen,“ knurrte der Blonde.

„Das will ich selbst sehen!“, antwortete Thomas barsch und tastete Deans Hand, nicht gerade vorsichtig, noch einmal ab. Dann verteilte er eine Kräuterpaste auf dem leicht geschwollenen Handgelenk und verband es so stramm wie möglich.

„Und warum hinkst du?“

Dean verdrehte die Augen und hinkte zu seinem Schlafplatz zurück. Er wünschte sich jetzt wenigstens ein paar Stunden Ruhe, aber er wusste, dass sie wohl gleich weiterziehen würden, also wollte er wenigstens einen Kaffee.

„Du wirst dich die nächsten Tage schonen, klar?“

Der Winchester zuckte brummend mit den Schultern und schüttelte dann den Kopf. Er brauchte nur ein paar Stunden Schlaf!

„Wir bleiben heute hier. Robert, Esra und Dean brauchen Ruhe und du Benjamin wirst mit mir die Herde noch einmal sichernd umrunden, dann kannst du dich ebenfalls ausruhen”, bestimmt William.

„Wieso soll ich nochmal mit? Die Anderen dürfen sich sofort ausruhen!“

„Die haben durch ihre Unachtsamkeit Dean auch nicht außer Gefecht gesetzt. Du wirst, solange er so gehandikapt ist, seine Arbeit mitmachen!“

Widerwillig nickte der Jüngere und schwor Dean Rache.
 

Wenige Tage später, sie hatten die neue Weide erreicht, beschloss Jacob, dass sie mal wieder jagen gehen könnten und natürlich fragte er zuerst Thomas und Dean.

Beide nickten begeistert. Das hieß zwar weiter im Sattel zu bleiben, aber den Spaß war es wert, auch wenn sich der Winchester auf ein paar ruhige Stunden gefreut hatte. Das Kälbchen die ganze Zeit vor sich auf dem Sattel zu halten war Schwerstarbeit. Aber das Kleine war noch zu schwach um wieder mit der Herde laufen zu können.

Er hatte es gefunden, als er, seinen Instinkten folgend, noch einmal den Rastplatz der Herde abgeritten war. Schnell hatte er den Fleckenzwerg, wie er ihn nannte, der kleine Bulle hatte ein weißes Gesicht, dunkle Augen, ein dunkles Maul und einen dunklen Fleck auf der Stirn, auf sein Pferd gehoben und war der Herde gefolgt. Immer wieder hatte er Ausschau nach einer Kuh gehalten, die ihr Junges suchte. Er hatte sie nicht gefunden. Also blieb der Kleine vorerst bei ihm.

Benjamin hatte natürlich sofort einen weiteren Grund für seine Lästereien gefunden auf die Dean, wie üblich, nicht einging. Einerseits hatte er sich überlegt, dass sie das Kleine immer noch schlachten konnten, wenn es ihm nicht gelang es wieder aufzupäppeln und wenn er es schaffte, dann brachte das Tier Geld. Es war auf jeden Fall sinnvoll es zu probieren.

Dass seine Instinkte jetzt allerdings schon bei Tieren anschlugen, war ihm dann doch ein wenig suspekt.
 

Dean ließ seinen Blick über die Herde und die anderen Cowboys schweifen.

Er fühlte sich hier wohl und die anderen hatten auch sofort bekundet, dass sie genauso gehandelt hätten. Nur Benjamin nervte ihn langsam mehr, als er ertragen konnte. Er wollte sich nicht mit ihm anlegen. Denn wenn er das machen würde, dann könnte er nicht garantieren, dass er rechtzeitig aufhören würde, Und wenn er das nicht tun würde, gäbe es ein unschönes, weil tödliches Ende und das wohl nicht für ihn selbst.

Aber er wollte auch nicht noch länger einstecken müssen. Da Ben jedoch zur Familie Harrison gehörte, würde er sich wohl mindestens einen neuen Job suchen müssen.

Er wusste, dass ein Teil der Herde im Herbst in Tucson verkauft werden sollte. Dann konnte er sich von da aus auf den Weg machen. Vielleicht hatte er ja Glück und er fand irgendwo eine Bibliothek, in der er etwas zu seinem Problem finden konnte.

Um Impala tat es ihm leid, aber vielleicht konnte er den Hengst kaufen? Doch was würde dann mit ihm passieren, wenn er durch die Zeit zurückging? Sollte Impala bei Bobby auf dem Schrottplatz versauern? Oder sollte er ihn verkaufen? Nein! Sein Hengst war hier besser aufgehoben! Er würde sich von ihm trennen müssen.

Vorsichtig stieg er vom Pferd und hob das Kälbchen herunter.

„Kannst du auf ihn aufpassen?“, fragte er Bob, denn inzwischen lief der Kleine ihm nach.

„Willst ihn wohl nicht dabei haben?“, lachte der.

„Nee, so hin und wieder brauch ich auch mal eine kinderfreie Pause“, grinste der Blonde zurück. „Aber sieh zu, dass er was zu trinken bekommt.“

„Mach ich, Papa!“

Der Winchester schüttelte lachend den Kopf und ging wieder zu seinem Pferd.

Misstrauisch sah er, wie Benjamin neben seinem Hengst stand.

Deans Hand verschwand in seiner Innentasche. Er zog sie schnell wieder heraus und schob sich den Klumpen Karamell in den Mund. Sofort zermahlten seine Zähne das süße Zeug.

So langsam sollte er es sich einteilen. Viel war von seinem Vorrat nicht mehr übrig.

Er ging zu seinem Pferd zurück. Fasste den Knauf, schob einen Fuß in den Steigbügel und schwang sich hinauf.

Der Hengst zuckte zusammen, und als der Winchester seine Beine an den Pferdeleib drückte, stieg er. Dean hatte Mühe sich zu halten.

Kaum landeten Impalas Vorderhufe auf dem Boden, schlug er hinten aus.

Der Winchester versuchte ihm beruhigend den Hals zu klopfen. Doch das Tier bockte. Es buckelte und sprang mit allen Vieren in die Luft.

Wieder stieg er und wieder schlug er nach hinten aus.

Dean versuchte ihn wenigstens soweit zu beruhigen, damit er absteigen und das Tier untersuchen konnte. Aber der Hengst schien wie von Sinnen.

Als er erneut buckelte verlor Der Blonde endgültig den Halt und landete hart auf dem Boden. Bunte Farben explodierten vor seinen Augen. Ein heißer Schmerz jagte seinen Rücken hinunter und durch seinen linken Arm und ein kurzes Keuchen entrang sich seiner Kehle.

Benjamin grinste breit. „Willst du damit zum Zirkus? Dann solltest du aber noch dran arbeiten. Perfekt war das nicht!“

Wütend starrten Robert und Jacob ihn an, während Thomas zu Dean ging.

Der Winchester schüttelte sich, rollte sich auf den Bauch und kämpfte sich schwerfällig auf die Beine. Unbeholfen stakste er zu Impala und griff nach nach den Zügeln.

Thomas Hand versuchte er wie ein lästiges Insekt abzustreifen.

Sanft redete er auf das Tier ein, doch jedes Mal, wenn sich seine Hand dem Sattel näherte scheute Impala zurück.

‚Na toll, jetzt hat er auch noch Angst vor mir‘, dachte er traurig und wickelte sich die Zügel um seine linke Hand, die er vor den Bauch gepresst hielt.

Deans Beine schienen auch Pudding zu sein und sein Sichtfeld engte sich immer weiter ein. Was würde er jetzt für ein Aspirin geben! Schwer hing er an den Zügeln.

Endlich blieb der Hengst stehen, schaute aber misstrauisch auf die Hand des Menschen.

Schnell fasste der Winchester den Sattelgurt und löste ihn.

Das Tier hatte erst gebuckelt, als er aufgestiegen war, überlegte er.

Der Sattel polterte zu Boden. Impala sprang zur Seite und der Winchester keuchte schwer, als der Zügel an seinem Arm riss.

Vorsichtig streckte er seine Hand aus und der Hengst ließ ihn an sich heran.

Deans Finger glitten über die Haut des Tieres.

Harte, schmale Kanten kratzten unter seinen Fingerkuppen.

„Verdammt!“, fluchte er und versuchte zu erkunden, was das war. Sein Sichtfeld zerfaserte immer wieder und sein Kopf schien platzen zu wollen. Und doch sah er die kleinen spitzen Dornen, die sich in die Haut seines Pferdes gebohrt hatten. Vorsichtig puhlte er die heraus.

„Ist gleich gut. Ich habs gleich raus“, redete er immer wieder auf Impala ein. Der Hengst schien ihm zu glauben. Er wandte seinen Kopf zu Dean und verfolgte mit großen Augen, was der da trieb.

„Dean, bitte, wir kümmern uns um Impala, aber zuerst sollten wir dich genauer untersuchen. Du blutest“, erklärte Thomas eindringlich.

Der Winchester schüttelte stur den Kopf. Erst musste er sich im sein Tier kümmern.

Mit einer fahrigen Bewegung wischte er sich über sein Ohr. Ungläubig schaute er auf seine Hand. Er blutete!

Jetzt erst wurde ihm die Bedeutung von Thomas‘ Worten klar. Aber er durfte sich noch keine Ruhe gönnen. Er wusste noch nicht, ob Impala wieder okay war.

Mit eckigen Bewegungen löste er sich von seinem Tier und wollte auf die andere Seite gehen. Er stolperte über den Sattel. Seine Hand griff in etwas Spitzes, als er sich auf der Decke abstützen wollte. Die Schmerzen, die erneut durch seinen Körper rasten nahmen ihm den Atem.

Es dauerte eine Weile, bis er wieder klarer sehen konnte.

Verwundert schaute er in seine Hand. Ein Zweig mit spitzen Dornen steckte darin.

‚Benjamin!‘

Mit einem wütenden Knurren kam Dean wieder auf die Beine und stapfte auf den Widersacher zu.

Er rammte ihm die Linke in den Bauch und seine Rechte knallte er gegen Bens Kinn.

Der kippte nach hinten um.

Doch das sah Dean schon nicht mehr. Er hatte sich umgedreht und wollte zurück zu seinem Pferd. Er musste wissen, dass der wieder in Ordnung war!

Das Adrenalin, das ihn bis jetzt noch aufrecht gehalten hatte, war aufgebraucht. Deans Knie gaben nach. Er knickte ein und landete mit den Gesicht im Gras.

Schnell war Thomas bei ihm, drehte ihn auf den Rücken und begann ihn mit flinken Fingern zu untersuchen.

„Hol heißes Wasser!“, rief er Esra zu.

Dean ließ sich jedoch nicht zur Ruhe zwingen. Kaum schlug er die Augen auf, als er sich schon wieder auf die Beine kämpfte.

„Du solltest liegen bleiben. Deine Schulter ist ausgerenkt und dein Handgelenk hast du dir auch wieder verstaucht.“

„Renk sie wieder ein!“, blaffte er Thomas an und drehte sich auf alle Viere. Okay, eher Dreie, denn die Linke hielt er weiter an seinen Bauch gepresst.

„Bei drei!“

„Mach schon!“

„Eins, zwei ...“

Ein starker Schmerz explodierte in seiner Schulter und er kippte nach vorn. Nur noch im Unterbewusstsein bekam er mit, wie er auf den Rücken gedreht wurde. Angenehme Kälte legte sich um seinen Kopf und die Platzwunde gesäubert. Er fühlte, wie ihm jemand einen Verband um den Kopf wickelte. Konnten die ihn nicht endlich in Ruhe lassen? Sein Schädel brummte auch schon so genug, ohne dass sie ihn immer wieder bewegten.

Dean wollte sich gegen die Behandlung wehren. Sie hatten ihn jetzt wirklich genug malträtiert.

Jemand packte sein Handgelenk.

„Dean, deine Hand blutet!“, informierte ihn Thomas‘ Stimme und schon wurden seine Finger auseinander gebogen.

„William!“, rief Thomas kaum dass er sah, was in Deans Rechter war.

Der Winchester knurrte ungehalten. Warum konnten die nicht endlich mal die Klappe halten und warum war er noch nicht in der alles verschlingenden Dunkelheit abgetaucht?

Jemand zog ihm den dornigen Zweig aus der Hand.

„Dean?“

„Hey, Winchester!“, wurde er wachgerüttelt.

Schwerfällig öffnete er die Augen.

„Woher hast du das?“, fragte Robert und hielt ihm den Zweig vor‘s Gesicht.

„Impala, Satteldecke“, nuschelte er.

„Das war unter dem Sattel?“, wollte jetzt auch William wissen.

„Hm!“, brummte der Winchester und kämpfte sich in eine sitzende Position. Er machte Anstalten aufstehen zu wollen, doch Thomas hinderte ihn daran.

„Benjamin!“, brüllte William und nicht nur Dean zuckte zusammen. „Hast du diesen Zweig unter Impalas Satteldecke geschoben?“

Ben nickte trotzig.

Überlegungen und ein ungutes Gefühl

73) Überlegungen und ein ungutes Gefühl
 

„Was sollte das?“, knurrte William wütend.

„Ihr kommt mit eurem neuen Busenfreund hierher und schon sind alle anderen abgeschrieben! Ich gehöre auch zur Familie. Ich lassen mich nicht wie einen alten Kessel ausrangieren!“, brüllte Benjamin.

„Ja, du gehörst zur Familie. Aber der Winchester ist nicht der Erste, dem du mit deinen Streichen und Sticheleien das Leben schwer machst. Dich will niemand zur Seite schieben, aber du disqualifizierst dich mit diesem Scheiß selbst.

Was für Streiche du jemandem spielst ist mir auch noch egal, solange dessen Arbeitskraft nicht darunter leidet. Doch genau das ist jetzt zum zweiten Mal passiert! Und dass du jetzt auch noch ein Pferd verletzt, ist zuviel! Es reicht. Verstehst du? Es reicht mir endgültig!“

„Aber ich ...“

„Nein! Darüber hättest du vorher nachdenken müssen! Wenn wir in Tucson sind wirst du dir für mindestens ein Jahr eine neue Arbeitsstelle suchen. Mal sehen, ob du bei einem anderen Boss auch so bist, oder ob du dann endlich mal begreifst wie es ist ein Fremder ohne Privilegien zu sein!.“

„Daran ist nur ...“, begehrte Benjamin auf.

„Nein, Dean ist nicht daran schuld. Er hat schon vor ein paar Tagen mit mir gesprochen und mich gefragt, inwieweit er uns verpflichtet ist und ob er in Tucson gehen könnte. Aber er ist ein guter Arbeiter und ich schicke lieber den Unruhestifter weg, als die Opfer. Wer wäre denn der Nächste, der unter deinem Egotrip zu leiden hätte?

Um Sarah brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Sie kann bei uns bleiben. Mich würde sowieso wundern, wenn nicht spätestens im nächsten Jahr eine Hochzeit ansteht!“, er grinste seinen kleinen Bruder an.

„Aber woher?“, fragte Jacob.

„Das sieht ein Blinder mit Krückstock!“

„Ich reite morgen zur Ranch um neue Vorräte zu holen und Ben wird mich begleiten“, verkündete er noch.

Der Angesprochene grinste breit.

„Es ist keine Auszeichnung. Ich will nur sicher sein, dass hier Ruhe herrscht, während ich weg bin. Und du wirst dich vor meinem Vater verantworten müssen!“

Jetzt wurde Benjamin ganz klein.
 

Dean ließ sich zur Seite fallen. Ihm reichte es endgültig. Er wollte nur noch schlafen und den Schmerzen entfliehen.

Sie ließen ihn nicht.

Thomas rüttelte ihn an der Schulter.

„Schau mich an! Wie heißt du?“

Müde blinzelte der Blonde zu dem Störenfried. „Dean Winchester.“

„Wer ist dein Boss?“

„Richard Harisson?“

„Wie viele Finger siehst du hier?“

„Siebzehn!“

„Dean?“, fragte Thomas jetzt nicht wissend ob er entsetzt sein oder lachen sollte.

„Drei! Lässt du mich jetzt in Ruhe?“

„Ja. Du kannst schlafen.“

Brummelnd legte sich der Blonde wieder richtig hin und war wenig später wirklich eingeschlafen.

Jacob zog mit Billy und Robert los, da Thomas lieber bei Dean bleiben wollte.
 

„Bring fünf Pfund Zucker für Dean mit“, bat Jacob seinen großen Bruder am nächsten Morgen. „Sein Vorrat geht zur Neige.“

„Ich hab noch nie Jemanden soviel Süßes essen sehen. Er müsste doch wesentlich dicker sein!“, stellte William kopfschüttelnd fest, erklärte sich aber sofort bereit, das Gewünschte zu besorgen.
 

Zweieinhalb Wochen später kamen William und Benjamin wieder.

„Wie sieht es aus?“, fragte der Ältere seinen Bruder auch gleich.

„Hier ist alles in Ordnung. Dean arbeitet schon seit fast zwei Wochen wieder mit und an Impala kommt so schnell wohl keiner mehr ran.“

„Wie das denn?“

„Schau einfach mal hin“, grinste Jacob und wies auf Dean, der gerade versuchte sein Kalb bei einer Kuh zum trinken zu bewegen. Der Hengst stand hinter ihm.

„Und?“, fragte der ältere Bruder. Er konnte nichts „Verdächtiges“ erkennen.

„Wart’s ab, oder ruf Dean einfach her!“

„Hey, Winchester, komm mal bitte!“, rief der Ältere also und kramte in einer der Packtaschen.

Dean kam und Impala folgte ihm.

„Hier“, sagte William und suchte heimlich nach dem Zügel, mit dem Dean sein Pferd führte aber er fand ihn nicht. Also gab der dem Winchester das, was er für ihn mitgebracht hatte. Fünf Pfund Zucker.

„Danke!“, sagte der Blonde und seine Augen strahlten in einem leuchtenden Grün.

„Ich hab noch nie jemanden soviel Zucker essen sehen“, lachte Jacob und beobachtete Dean dabei, wie der seine kleine verbeulte Pfanne aus der Satteltasche kramte und sofort damit zum Feuer ging und einen Teil des weißen Goldes in eine braune, klebrige Masse zu verwandeln, die sich so viel leichter essen ließ.

Das heiße Karamell kippte er auf einen Blechteller zum erkalten und machte eine zweite Pfanne. Die erkaltete Masse zerschlug er und kippte die Brocken dann in die m&m‘s-Tüte, die noch immer in seiner Innentasche steckte.
 

„Was ist mit dem Hengst?“, fragte William seinen Bruder am Abend. Er hatte Dean und das Tier die ganze Zeit beobachtet und Impala schien seinen Reiter auf Schritt und Tritt zu folgen.

Jacob lächelte und nickte.

„Er hat, kaum dass er wieder auf den Beinen war, angefangen mit dem Hengst zu trainieren. Jetzt kennt der die Befehle: Bleib und komm mit und einige andere mehr. Auf Deans leisen Pfiff ist er ja schon vorher zu ihm gekommen. Außerdem kann sich keiner mehr dem Tier nähern, ohne das der es durch ein Schnauben anzeigt. Dean natürlich ausgenommen.“

„Ich glaube der Hengst wird nie wieder einen anderen Reiter akzeptieren“, überlegte William laut.

„Thomas kommt noch immer gut mit ihm aus. Aber willst du Dean denn wegschicken?“

„Nein, aber vielleicht will er gehen?“
 

Oktober 1855
 

Dean lag in der Scheune auf seinem Strohsack und starrte an die Decke.

Es war Anfang Oktober und er war also doch wieder hier gelandet.

In Tucson hatte er sich für die Zeit des Verkaufes der Herde ausgeklinkt. Er war in die dortige, ziemlich schlecht bestückte, Bibliothek gegangen und hatte sich durch sämtliche Bücher gelesen, die ihm einen Hinweis hätten liefern können, egal wie gering die Wahrscheinlichkeit gewesen war, aber er hatte nichts gefunden.

Schweren Herzens hatte er sich dann überlegt, dass er weiter in den Osten müsste. Da lebten die Menschen schon länger und hatten sich bestimmt auch besser eingerichtet. Wenn, dann würde er wohl weiter im Osten besser bestückte Bibliotheken finden. Also war er zur Poststation geritten und hatte die Fahrpläne studiert.

Eigentlich hatte er blicklos auf die Tafel gestarrt und je länger er da stand und auf diese starrte, umso größer wurde der Klumpen in seinem Magen, größer und schwerer.
 

Dean wusste nicht, wie lange er da gestanden und ins Leere gestarrt hatte. Er hatte das Gefühl sich gleich übergeben zu müssen und dann war da plötzlich etwas warmes Weiches an seiner Schulter.

Impala!

Der Winchester drehte sich um und lächelte das Pferd an: „Du hast Recht. Ich bleibe noch hier. Ich lass dich nicht allein!“

Schnell hatte er sich in den Sattel geschwungen und war zu dem Hotel geritten, in dem die Harrison-Brüder wohnten.

„Du willst also doch nicht gehen?“, hatte William gefragt.

„Nein. Wenn ihr mich behalten wollt, dann würde ich gerne noch bleiben.“

Lachend hatte William genickt: „Ich bin zwar noch immer der Meinung, dass du Geheimnisse vor uns hast, und eins davon ist, dass du schon immer heimlich ein Cowboy warst! So schnell kann das keiner so gut lernen! Aber wir werden mit deinen Geheimnissen leben können. Dafür bist du zu gut!

Nein Winchester, du bist wirklich gut“, hatte er jeden Protest von Seiten Deans unterbunden, „und ich freue mich, dich in unsere feste Mannschaft aufnehmen zu können!“

Dean hatte gestrahlt und sich von Jacob freundschaftlich umarmen lassen.
 

Der Rückweg zur Ranch war dann allerdings alles andere als sonnig gewesen.

Sie waren drei Mann weniger gewesen. Benjamin hatte sich sofort seinem neuen Boss angeschlossen und Chad und Bob hatten sich ebenfalls verabschiedet. Sie waren nur für diesen Sommer angeheuert gewesen.

Er hatte sich, wie die anderen Cowboys, unter seinem Poncho, auf Impalas Rücken, zusammengekauert, den Hut tief in die Stirn gezogen und gehofft, dass der Regen endlich aufhörte.

Wenigstens war es warm gewesen!

Und er hatte gegrübelt.

Genau wie er jetzt noch darüber nachdachte, warum seine Instinkte Alarm geschlagen hatten, als er nach Osten wollte. Hätte es ein Unglück gegeben? Soweit er in Geschichte aufgepasst hatte, nicht.

Aber eigentlich hatte er in Geschichte nicht wirklich aufgepasst. Er hatte mehr geschlafen als Geschichte gelernt.

Lag es überhaupt daran, dass er nach Osten wollte oder war es, dass er von den Harrisons weg wollte?

‚Verdammt Dean! Und wenn du noch Tage grübelst, wirst du zu keiner Antwort kommen!’, schimpfte er sich in Gedanken. ‚In den nächsten Tagen wartet genug Arbeit. Also schlaf!“

Seine Gedanken ließen sich aber nicht zur Ruhe zwingen, auch wenn sie jetzt in eine vollkommen andere Richtung liefen.

Der Weg nach Tucson war lang gewesen und hatte sie an den harrisonschen Winterweiden vorbei geführt. Dort hatten sie einen kleinen Teil der Herde zusammen mit Esra und Billy zurückgelassen und waren mit dem Großteil weitergezogen. Richard Harrison hatte zusammen mit seinem ältesten Sohn beschlossen, dass ihren Rindern frisches Blut gut tun würde. Sie hatten mehrere kleinere Herden Texas Longhorns aufgekauft und diese würden den Winter über zu ihnen getrieben werden.

Auf dem Rückweg waren sie wieder an der Winterweide vorbei gekommen und hatten den Cowboys einige Vorräte dagelassen. Robert hatte ebenfalls sofort bei der Herde bleiben wollen.
 

Dean war von seinem „Zwerg“ zur Begrüßung fast über den Haufen gerannt worden. Dabei war der inzwischen alles andere als ein Kälbchen.
 

Das letzte Stück bis zur Ranch hatte auch endlich wieder die Sonne geschienen und sie konnten ihre nasse Kleidung wenigstens ein bisschen trocknen.
 

Auf der Ranch waren sie mit großem Hallo und Umarmungen, denen Dean zum Glück aus dem Weg gehen konnte, und einer Wanne voll heißem Wasser für jeden von ihnen, empfangen worden. Die hatte der Winchester nicht abgelehnt. Seine Knochen sehnten sich regelrecht nach einem warmen Bad.

Das war ein Genuss!

Wie toll waren doch selbst die schäbigsten Motels ausgestattet. Die hatten eine Dusche, aus denen meisten sogar heißes Wasser kam!

Nur dass Sarah ihm seine Jeans förmlich vom Hintern weggezogen hatte, trübte das Badevergnügen doch erheblich. Man, die nächste Jeans würde er frühestens in zwanzig Jahren bekommen. Frühestens! Und dann wären es auch noch nicht DIE Jeans, die er gerne mochte. Ob er Margaret mal fragen sollte, ob es irgendwo diesen Stoff gab, der für die Planen der Planwagen verwendet wurde? Und wenn, ob sie ihm dann Hosen nach seiner alten nähen könnte? Die wären dann zwar beige, aber immerhin besser, als das was er jetzt am Hintern hatte. Baumwollhosen. Wenn er mit denen irgendwo hängen blieb, würde er sie sich sofort zerreißen!

Klar, er musste ja zugeben, dass seine Jeans war am Hintern und den Oberschenkeln schon ziemlich fadenscheinig waren. Aber verdammt! Er wollte seine Jeans zurück!

Nur gut, dass er wenigstens noch ein paar Shorts und T-Shirts aus seiner Zeit mitgebracht hatte. Das rosa Teil würde er nie anziehen! Und wieso machte er sich jetzt eigentlich schon Gedanken um seine Klamotten????

Nach dem Baden hatte es einen riesigen Truthahn und frisches Maisbrot gegeben. Das Grünzeug hatte er dankend angelehnt. Wer mochte denn so was? Auch wenn Margaret fast so geguckt hatte wie Sammy, wenn der ihn doch mal wieder zu mehr Gemüse überreden wollte. Aber nur fast und er hatte ihrem Blick widerstehen können!
 

Er sollte jetzt wirklich schlafen. Obwohl? Den fehlenden Schlaf konnte er Morgen in der Kirche nachholen. Danach waren die Harrisons zu Doc Lang zum Essen eingeladen, das hieß für ihn und Thomas auf in den Saloon! Es sei denn, die kleine Bethanny würde ihnen einen Strich durch die Rechnung machen und sie zu einer eigenen Tee-Party einladen. Zumindest der Kuchen schmeckte bei ihr und er und Thomas würden sich dann nicht zum ersten Mal den Bauch da vollschlagen.
 

Thomas.

Der Cowboy lag in der anderen Ecke der Scheune und schlief. Ob seine ruhigen Atemzüge die gleiche einschläfernde Wirkung hatten, wie die von Sammy?

In die Wüste geschickt

74) In die Wüste geschickt
 

Oktober 1855
 

Mühsam kam er auf die Beine und klopfte sich den roten Staub von der Kleidung.

Verwirrt starrte er auf die Waffe in seiner Hand. Sie fühlte sich nicht wir eine richtige Waffe an und sie sah auch nicht so aus. Die Pistole war rot!

Unsicher drehte er sich im Kreis. Schräg vor sich sah er in weiter Ferne Berge. Sonst konnte er nur rote, staubige Ebene ausmachen.

‚Was?’, verzweifelt versuchte er sich zu erinnern, wie er hierher gekommen war. Doch da war nichts!

Absolute Leere füllte seinen Kopf. War das nicht paradox? Leere füllt…?

‚Wie bin ich hierher gekommen? Wo bin ich? Und vor allem: Wer ist ich?’, überlegte er angestrengt und klopfte seine Taschen ab. Irgendwo müsste er doch Papiere haben, oder?

Nichts, nichts und wieder nichts!
 

Panisch schaute er sich wieder um? Irgendwer musste doch in der Nähe sein!

Und was sollte er jetzt tun? Wieder starrte er auf die Waffe in seiner Hand. Vorsichtig zog er den Hahn durch. Nichts passierte. Musste er sich verteidigen? Aber warum und gegen wen? War jemand bei ihm? Wenn ja, wo war der?

Noch einmal starrte er auf die nutzlose Waffe in seiner Hand und warf sie weg.
 

Sam stand in der gleißenden Sonne und überlegte.

„Ha!“, lachte er laut auf. Er konnte sich nicht erinnern, wer er war, wieso sollte er sich dann daran erinnern, wie und mit wem er hierher gekommen war!

Jedenfalls schien demjenige, der mit ihm hierher gekommen war nicht sonderlich viel an ihm gelegen zu haben. Er hatte ihn hier allein gelassen! Oder hatte ihn jemand hier abgeladen?

Noch einmal drehte er sich im Kreis und beschloss dann in Richtung der Berge zu gehen. Wer wusste wie weit diese trockene, staubige Ebene noch ging.
 

Die Sonne dörrte ihn aus! Immer wieder strich er sich die Haare aus der Stirn, doch sie fielen fast sofort wieder hinein. Sein Kopf schmerzte. Ob es jetzt von der glühenden Sonne war oder davon, dass er sich die ganze Zeit den Kopf darüber zermarterte, dass er nicht wusste, wer er war und wo er herkam? Er konnte es nicht sagen.

In seinem Kopf herrschte vollkommene Leere. Aber er konnte doch denken! Also würde er auch sprechen können, oder?

„Hey, guten Tag!“, krächzte er und musste husten. Sein Hals war trocken und die Stimmbänder schienen mit Sandpapier belegt zu sein. Er hatte Durst.

Schmerzhaft zog sich sein Magen zusammen. Wann hatte er zuletzt gegessen?

Stolpernd schleppte er sich vorwärts.
 

Die Sonne brannte unbarmherzig auf ihn herab.

Vor ihm hatte sich ein riesiger See gebildet und darauf stand eine Stadt, oder ein Dorf? Er konnte es nicht benennen. Menschen liefen über das Wasser.

Seit wann können Menschen über das Wasser gehen? War er am See Genezareth?
 

Immer wieder stürzte er, doch er schaffte es jedes Mal wieder aufzustehen. Er wollte nicht in dieser Einöde sterben. Nicht wenn Menschen und Häuser fast zum Greifen nahe waren!

Irgendwann verschwand der See, aber die Häuser blieben. Kleiner zwar und nicht mehr so verschwommen, aber noch immer weit weg.

Riesig und rot versank die Sonne hinter den Häusern.
 

Hatte ihm die Sonne gerade noch das letzte bisschen Flüssigkeit als Schweiß aus dem Körper getrieben, so ließ ihn der aufkommenden Wind schon bald frieren.
 

Der Mond schien gespenstisch auf die Ansammlung von Häusern und auf den Mann, der eher torkelnd als gehend zwischen einigen von ihnen hindurch auf die Hauptstraße stolperte. Seine Füße schlurften durch den Staub, und wenn auch nur ein kleiner Stein in ihrem Weg liegen würde, würde der Mann fallen, und dann hätte er wohl endgültig keine Kraft mehr sich zu erheben. Bislang war er stur genug gewesen um immer wieder aufzustehen, doch die mangelnde Flüssigkeit und die Kälte der Nach hatten ihn zermürbt.
 

Es bedurfte keines Steines um den Mann zu Fall zu bringen. Er stolperte über seine eigenen Füße. Mit einem leisen Keuchen schlug er auf den Boden und versuchte gar nicht mehr, sich zu erheben.
 

Der erwachende Tag fand ein Stück Mensch, mehr tot als lebendig, mitten auf der Hauptstraße liegen.

Die ersten Einwohner des Ortes eilten geschäftig aus ihren Häusern und vergaßen augenblicklich was sie tun wollten. Sie hetzten zu dem Wesen.

„Oh mein Gott das ist ein Mensch!“, rief Joanna Belt.

„Lebt er noch?“, wollte Carolin Masters wissen.

Bevor sie allerdings eine Antwort finden konnten, drängte sich Joshua Duncan, der Ladenbesitzer durch die Menge und kniete neben dem Grund des Aufruhrs.

Vorsichtig drehte er den jungen Mann auf den Rücken und tastete nach dem Herzen. Unruhig schlug es unter seiner Hand. Aber er hätte sich den Griff auch sparen können, denn er konnte die Hitze, die von dem Mann ausging, spüren, und der rasselnde Atem war jetzt, da die Menge still geworden war, auch zu hören.

„Los fasst mit an, wir bringen ihn zu uns und jemand soll Doc Langdon holen“, befahl der resolute Mann mit den Schweineäuglein, und schnell fassten zwei der herumstehenden Männer zu.
 

Dr. Langdon stand vor dem Bett des jungen Mannes und musterte ihn eingehend.

„Sein körperlicher Zustand ist hervorragend, was seinen Gesundheitszustand allerdings nicht weniger besorgniserregend erscheinen lässt. Er hat mit Sicherheit einen Hitzschlag. Wer läuft denn auch ohne Hut hier draußen rum!? Sein Gesicht und die Hände sind verbrannt, da hilft Apfelessig. Sonst braucht er viel Ruhe und ihr müsst ihn dazu bringen viel zu trinken.“

Die beiden älteren Herrschaften nickten.

„Wollt ihr ihn nicht doch lieber zu mir bringen?“, fragte der Arzt nicht zum ersten Mal seit er den Kranken gesehen hatte.

„Nein. Ich denke wir kommen damit klar. Ich hab mich auch um Stephen gekümmert. Wenn es schlimmer wird, kann ich ja nach Euch schicken“, sagte die Frau und versuchte die Trauer zu unterdrücken, die sich unweigerlich beim Klang des Namens in ihr Herz drängte.

„Jeder Zeit Eloise, jeder Zeit!“

„Wisst ihr, was diese Tätowierung bedeutet?“, wollte der Ladenbesitzer wissen.

„Das wollte ich auch gerade fragen.“

Mrs. Duncan deckte ihren Patienten zu und deutete den Männern unmissverständlich an, dass der junge Mann jetzt Ruhe bräuchte.

„Wenn sein Fieber steigt, ruf mich!“, sagte Dr. Langdon noch, dann verließ er mit einem Lächeln die beiden.

Sie hatten ihren einzigen Sohn bei einem Postkutschenüberfall verloren und gerade Eloise hatte lange darunter gelitten. Er war damals angeschossen worden und hatte sich bis nach Hause geschleppt. Seine Mutter hatte ihn aufopfernd gepflegt, aber gegen den Wundbrand war sie letztendlich machtlos gewesen.

Jetzt hatte sie wieder jemanden, um den sie sich kümmern konnte.

Das würde beiden, ihr und dem jungen Mann, gut tun.
 

Oktober 2008
 

Unruhig lief Bobby Singer in seinem Arbeitszimmer hin und her. Warum hatte er nur so lange gewartet um Dean wieder anzurufen? Der Junge klang verzweifelt, schließlich war es nicht das erste Mal, dass Sam verschwunden war! Aber warum bekam er bei Sams Handy das Freizeichen zu hören und warum ging, wenn er Deans Nummer wählte sofort die Mailbox dran?

Sollte er nach Santa Fe fahren?

„Himmel, Herrgott, Jungs!“, fluchte er laut und beschloss es am Abend noch einmal zu versuchen und dann, wenn er wieder keinen der beiden an die Strippe bekam, am nächsten Morgen zu ihnen zu fahren.

Plötzlich ihn riss das Klingeln seines Telefons aus seinen Gedanken.

Er schaute auf das Display und ließ dem Anrufer keine Chance sich zu melden: „Verdammt noch mal Junge, wo warst du und wo ist dein ….“

„Entschuldigung! Hier spricht Marion Smith. Kennen sie einen Steven Lucas“, wurde er von einer leisen, aber energischen Frauenstimme unterbrochen.

Kurz grübelte er, ob es wirklich um einen der Brüder ging, dann antwortete er mit einem kurzen „Yap“. Die Handynummer war eindeutig Sams gewesen. Gut dass er keinen Namen genannt hatte. Das hätte daneben gehen können.

„Ich bin die Inhaberin des Motels, in das sich die beiden Herren eingemietet hatten. Ich habe sie seit fünf Tagen nicht mehr gesehen und mich jetzt entschlossen, das Zimmer öffnen zu lassen. Ihre Kleidung ist noch hier, aber von den beiden fehlt jede Spur. Und ihr Auto steht auch noch auf dem Parkplatz. Außerdem schulden sie mir noch Geld“, erklärte sie etwas befangen.

„Das Auto ist noch da?“, fragte Bobby verdattert.

„Das sagte ich doch bereits!“

„Können Sie das Zimmer bitte wieder verschließen? Ich komme so schnell ich kann zu Ihnen. Mein Name ist Robert Singer“, sagte er und wartete kaum bis die Lady am anderen Ende der Leitung aufgelegt hatte.

„Verdammt Jungs? In was seid ihr denn da geraten?“

Schnell packte er ein paar Sachen zusammen und suchte sich dann die nächste Flugverbindung nach Santa Fe.
 

Zwölf Stunden später stieg er vor dem Motel aus dem Taxi.

Er war wie gerädert. Nichts hatte er mitnehmen dürfen! Selbst sein kleines Klappmesser hatte er in seinem Gepäck verwahren müssen. So langsam konnte er Deans Abneigung gegen das Fliegen immer besser verstehen! Wie sollten sie denn als Jäger ihrer Aufgabe nachkommen, ohne Waffen?

Müde war er zur Anmeldung geschlurft und hatte sich ein Zimmer geben lassen. Danach hatte er das Zimmer der Brüder untersucht. Nichts hatte auf einen überstürzten Aufbruch hingedeutet. Ein Bett war ungemacht, aber sonst wirkte das Zimmer recht aufgeräumt. Bis auf den verkochten Kaffee und die leere Tasse daneben. Er konnte sich auch weiterhin keinen Reim auf das verschwinden der Winchesters machen.

Niedergeschlagen ging er in sein Zimmer und versuchte eine Runde zu schlafen.
 

Fast eine Woche sinnlose Suche lag hinter Bobby. ‚Nein, sinnlos war sie nicht, nur ergebnislos’, überlegte er.

Doch jetzt wusste auch ein Robert Singer nicht mehr weiter. Er hatte alles aufgeboten, was ihm eingefallen war. Zuerst hatte er versucht Deans Handy zu orten, da Sams auf einem der Nachttische lag. Die letzte Stelle an der das Handy des Blonden in Betrieb gewesen war, war hier im Motel gewesen.

Er hatte jeden Stein und jedes Blatt der Orte umgedreht, von denen er sich vielleicht einen Hinweis über den Verbleib der Winchester-Brüder erhofft hatte.

Immer wieder hatte er versucht Dean anzurufen, doch die inzwischen widerlich nette Dame hatte ihn jedes Mal freundlich darauf hingewiesen, dass der Teilnehmer momentan nicht zu erreichen war. Er hatte sie verflucht und war kurz davor einen Exorzismus für Telefonansagen zu entwickeln.

Bobby hatte das Einkaufscenter überprüft, mit den Sicherheitsleuten geredet und mit der liebenswürdigen Sekretärin. Aber die konnten ihm auch nur sagen, dass der Blonde an seinem letzten Tag dort sehr niedergeschlagen war.

Er hatte den Tod von zwei Menschen miterleben müssen und fühlte sich deswegen noch mieser, als er es eh schon tat. Doch die Suche nach den Brüdern war ihm wichtiger. Zwei Tote waren furchtbar, aber wenn die Jungs weiterhin verschwunden, oder noch schlimmer, tot waren, dann würde noch mehr Menschen sterben müssen.

Der Jäger war er zu sämtlichen Krankenhäusern gefahren und hatte gefragt, ob die Jungs da eingeliefert worden wären. Er hatte sämtliche Straßen abgesucht, alle Friedhöfe und den kleinen Wald hinter dem Motel, er hatte auf Sams Laptop jede angeklickte Seite und jede Datei durchforstet.

Nichts, nichts und wieder NICHTS.

Der Jäger wusste nicht weiter. Er war müde und, was in den letzten Jahren eigentlich nie vorgekommen war, mutlos.
 

Eine einzige Chance blieb ihm noch.

„Verdammte Ausgeburt der Hölle!“, fluchte er laut. „Wo steckst du?“

„Sie haben geläutet?“, riss ihn eine spöttische Stimme aus seinen Gedanken.

War das der Trickster? Bobby musterte den jungen Mann, der grinsend vor ihm stand.

„Wo sind die Winchesters?“, blaffte er ihn an.

„Wo sollten sie denn sein?“

„Hier!“

„Aber hier sind sie wohl nicht, oder können sie sich jetzt schon unsichtbar machen?“

‚Oh Gott!’ Dem Älteren wurde schlecht. ‚Was wenn die Jungs neben mir stehen und sich nicht bemerkbar machen können?’

„Nicht, wenn du deine Finger nicht im Spiel hattest!“, sagte er und versuchte seine Panik unter Kontrolle zu halten.

„Nicht so, nein!“

„Wo sind sie!“, wurde der Jäger laut.

„Weg!“

„Bring sie wieder her!“, knurrte der Ältere und zog einen Pflock hervor.

„Was willst du denn mit dem Schaschlikspieß?“

„Den werde ich dir solange in den Bauch rammen, bis die Jungs wieder hier sind oder du tot bist!“

„Du willst dich doch nicht auch noch mit mir anlegen? Obwohl? Vielleicht könntest du mich ja so sehr ärgern wie diese Winchester-Bengel und hoffen, dass ich mit dir dasselbe mache wie mit ihnen?“

„Sie leben also?“, schöpfte Bobby Hoffnung.

„Als ich sie das letzte Mal gesehen habe lebten sie zumindest noch. Aber jetzt, heute? Nein, das bezweifle ich doch stark“, grinste der Trickster.

„Du hast sie umgebracht?“, fragte Bobby wütend und schob sich langsam zwischen seinen Widersacher und die Tür.

„Das war nicht nötig. Nein, das hat die Zeit für mich getan.“ Uninteressiert betrachtete sich der Gott seine Fingernägel.

„Die Zeit ….?“, wollte der Ältere verwirrt wissen.

„Ich denke schon! Kein Mensch lebt ewig!“, antwortete der Trickster gelangweilt. „Zum Glück!“

„Wo sind sie?“, fragte der Ältere um Zeit zu schinden. Er musste unbedingt nachdenken. Was wollte der ihm damit sagen?!?

„Wir drehen uns um Kreis! Ich werde dir nichts sagen, also lass mich entweder gehen oder unternimm einen weiteren sinnlosen Versuch mich zu töten“, bei diesen Worten deutete er auf den Pflock.

„Und wenn ich dich hier festhalte, bis du mir verrätst, was du mit ihnen gemacht hast?“

„Das könnte aber langweilig werden. Ich werde dir nichts sagen! Die Beiden waren unnütz und nervig und haben sich in alles eingemischt, was Spaß machte. Aber vielleicht, wenn du sämtliche Friedhöfe abklapperst? Vielleicht findest du sie“, lachte der Trickster hämisch. „Außerdem kannst du mich nicht halten. Niemand kann das!“

Bobby kochte vor Wut. Er war immer ruhig und beherrscht, aber das?

„Wenn sie tot sind, dann bist du es auch!“

„Das sind sie schon seit Jahren!“, lachte der junge Mann. „Selbst wenn sie es nicht geschafft haben ihrem sinnlosen Leben vorzeitig ein Ende zu setzen!“

Wütend rammte Bobby dem Trickster den Pflock in den Bauch.

Natürlich war es wieder nur eine Projektion, die mit einem kurzen Flackern verschwand.

Ein leises Kichern ertönte von irgendwo im Zimmer, die Tür schlug zu und Bobby fühlte, dass er wieder alleine war.

Der Jäger stöhnte frustriert.

Was sollte denn jetzt werden? Was hatte er mit der Zeit gemeint? Wieso sollte er sämtliche Friedhöfe absuchen? Hier hatte er doch gesucht!

Müde ließ er sich wieder auf ein Bett fallen.

Sollte er hier bleiben, obwohl er keine Ahnung mehr hatte, wo er noch suchen sollte, oder sollte er die Sachen der Jungs packen und nach Hause fahren?

Schweren Herzens entschied er sich dazu, zurück nach Sioux Falls zu fahren. Seine Jungs würden sich auf jeden Fall bei ihm melden, wenn sie wieder da waren.

Er packte alles zusammen, kontrollierte das Zimmer noch einmal und checkte aus.

Zum Glück hatte er den Impalaschlüssel in einer von Deans Jacken gefunden, so musste er das Auto nicht aufbrechen, auch wenn das für ihn weder ein Problem gewesen wäre, noch das Beheben eventueller Schäden.

Genieße dein Leben solange du es kannst

Thomas und Dean stellten gerade die letzten Pfosten für die neue Koppel auf. Die Löcher hatten sie schon gegraben und während der Winchester den Pfosten festhielt schaufelte der andere das Loch wieder zu. Dean legte die Unterarme auf den Pfahl und den Kopf darauf und ließ seinen Blick über das Haus in die Ferne schweifen.

Er war glücklich!

Seit … Dean überlegte: In einer Woche war Halloween. Feierten sie das hier schon?

Er war seit sieben Monaten hier und wenn nicht die Sorge um Sam wäre, würde er hier nicht mehr weg wollen. Mal abgesehen davon, dass er einfach keinen Weg fand, an seiner Situation etwas zu ändern. Die Arbeit hier draußen war anstrengend, aber sie machte Spaß. Er war fast den ganzen Tag im Freien. Er hatte Freunde gefunden und er liebte sein Pferd auf eine andere Art genauso sehr wie sein Baby. Und Thomas gleichmäßige Atemzüge hatten fast dieselbe beruhigende Wirkung auf ihn, wie die Sams.

Ja, er war glücklich.

Aber durfte er das? Durfte er sich zurücklehnen und sein Leben genießen, obwohl er wusste, dass da draußen Geister und Dämonen frei herumliefen, dass Menschen starben?

Hier war es so wunderbar ruhig, dass er manchmal dachte, sein bisheriges Leben war nur ein böser Traum. Doch der Klumpen, der sich jedes Mal in seinem Magen bildete wenn er an Sam dachte, erinnerte ihn daran, dass sein Leben kein Traum war.

Er wollte wieder mit seinem kleinen Bruder zusammen sein, auch wenn das hieß dieses ruhige Leben hinter sich zu lassen.

Dean dachte an das fast panikartige Gefühl, das ihn überkommen hatte, als er vor der Poststation gestanden hatte. Warum auch immer, er hatte hier bleiben sollen.

Aber, im nächsten Jahr, wenn die Rinder verkauft waren, würde er sich von den Harrisons trennen und zur Ostküste durchschlagen. Er musste einen Weg zurück finden.

„Hey, träumst du?“, wollte Thomas wissen.

„Hm?“, fragte der Winchester. Er fand nur langsam in die Wirklichkeit.

„Wo warst du mit deinen Gedanken?“

Doch Dean schüttelte nur den Kopf. Er sprach nicht von Sam. Warum auch. Ihm tat es nur noch mehr weh und die anderen kannten seinen Bruder nicht.

Er grinste schief und ging dann los um ein paar Steine zu holen, um den Pfosten zu stützen.
 

El Paso
 

Müde öffnete er die Augen und ließ langsam seinen Blick durch den Rum schweifen. Nichts kam ihm bekannt vor.

An seinem Bett saß eine ältere Frau und strickte. Wer war sie?

„Wer?“, krächzte er heiser und musste sofort husten.

Die Frau legte ihr Strickzeug zur Seite und griff nach dem Becher, der auf dem Nachttisch stand. Sie schob ihre Hand unter seinen Rücken und richtete ihn ein Stückchen auf.

Gierig trank er.

„Langsam, sonst verschluckt Ihr Euch noch“, versuchte sie ihn zu bremsen.

Er schaute sie an. Sie schwankte. Das ganze Zimmer schwankte. Es schien sich aufzublähen und wieder zusammen zu fallen.

Der junge Mann stöhnte gequält und schloss seine Augen.

Sie ließ ihn zurück in die Kissen sinken und kaum das er lag, schlief er auch schon wieder.

Mrs. Duncan lächelte und strich ihm die braunen Strähnen aus dem Gesicht. Sie tauchte seine verbundenen Hände in die Schüssel mit dem Apfelessig und tupfte dann sein Gesicht ebenfalls mit der Lösung ab.

Die Blasen waren aufgesprungen und die Haut schälte sich. Aber langsam sah er besser aus.
 

Es war dunkel als er wieder erwachte. Seine Augen huschten durch den von einer Petroleumlampe erleuchteten Raum und blieben an der Frau hängen, die neben seinem Bett saß. Wer war sie? War sie seine Mom? Verstohlen musterte sie der junge Mann.

Ein warmes Gefühl strich durch seinen Bauch, aber die Unsicherheit blieb.

„Ihr müsst etwas trinken“, sagte sie ruhig, nachdem sie bemerkt hatte, dass er wach war.

Sie war es wohl nicht stellte er bedauernd fest.

Traurig nickte er und ließ sich helfen.

„Wo bin ich?“, wollte der junge Mann mit heiserer Stimme wissen, nachdem er den Becher ausgetrunken hatte und wieder in den Kissen lag.

„El Paso“, antwortete sie. „Wie heißt Ihr?“, wollte sie auch gleich von dem jungen Mann wissen und er sah sie mit großen Augen an.

„Ich ...“, begann er. Seine Augen weiteten sich.

„Ich … ich … ich weiß es nicht“, stammelte er panisch. Aber wie? Er konnte alle Dinge im Raum benennen, er konnte sich mit der Frau unterhalten. Okay, unterhalten hatte er sich nicht wirklich mit ihr, aber sie hatte ihn verstanden und er sie. Und doch! Sobald er darüber nachdachte wer er war schien er in einen leeren, weißen Raum zu schauen.

„Wie bin ich hierher gekommen?“, wollte er, in der Hoffnung etwas über sich zu erfahren, wissen.

„Wie haben Euch vor zehn Tagen gefunden. Ihr müsst durch die Ebene gelaufen sein. Wir haben Euch morgens auf der Hauptstraße gefunden und hierher gebracht.“

„Aber wieso?“

„Wenn Ihr das nicht wisst.“

„Nein, ich...“, wieder huschten seine Augen suchend umher.

„Wer seid Sie?“, fragte er nach einer Weile leise. Irgendetwas war hier falsch, aber er konnte nicht sagen, was. Obwohl – falsch war das falsche Wort. Eher fremd. Aber was?

„Mein Name ist Eloise Duncan. Mein Mann ist Joshua Duncan, der Besitzer des Gemischtwarenladens.“

Sam gähnte verhalten.

„Ihr solltet schlafen. Morgen sieht alles bestimmt schon besser aus“, versuchte sie ihn zu trösten.

Er nickte und obwohl er eigentlich noch weiter über seine Situation nachdenken wollte, fielen ihm die Augen zu und er schlief ein, bevor sie den Raum verlassen konnte.

Eloise deckte ihn sorgsam zu und ging dann in den Verkaufsraum, in dem ihr Mann noch Waren sortierte, um ihm zu berichten, dass ihr Patient endlich aufgewacht und ansprechbar war.

„Aber er scheint nicht zu wissen, wer er ist“, stellte sie traurig fest.

„Wie kann man vergessen, wer man ist?“

„Ich weiß es nicht. Er konnte mir nicht sagen wie er heißt und er wusste auch nicht, wo er ist.“

„Das gibt sich bestimmt wieder. Er muss sich nur richtig erholen.“

„Ja, das denke ich auch. Ich dachte nur, du hättest vielleicht eine Idee.“

„Nein, aber du könntest Paul fragen. Vielleicht weiß er mehr.“

„Ja, du hast Recht. Ich denke ich werde seine Frau und ihn morgen zum Tee bitten.“
 

Sam erwachte am nächsten Morgen. Er blinzelte. Er sah die Tür, den Schrank und den Stuhl neben dem Sekretär. Wieder konnte er alle Dinge im Raum benennen, aber nichts kam ihm bekannt vor. Er fühlte sich falsch, aber er wusste nicht, wie es richtig sein sollte.

Auf dem Nachttisch stand eine Petroleumlampe, die vor sich hin rußte.

Vorsichtig setzte er sich auf.

Sein Magen knurrte und er hatte Durst. Auf dem Nachttisch stand nur diese Lampe. Er hatte wenigstens auf eine Tasse Tee gehofft.

Ob er es bis in die Küche schaffte?

Wo war seine Kleidung? Er war doch bestimmt nicht in diesem Nachthemd hierher gekommen?

Langsam drehte er sich auf die Seite und kämpfte einige Augenblicke mit seinem rebellierenden Magen. Sam nahm vorsichtig ein Bein aus dem Bett, dann das zweite und setzte sich langsam auf. Als er es endlich geschafft hatte musste er einige Mal tief durchatmen ehe das Zimmer aufhörte zu schwanken. Er stemmte sich langsam mit den Armen in die Höhe.

Zwei Schritte schaffte er torkelnd, dann musste er sich am Fußende des Bettes festhalten. Das Zimmer begann sich vor seinen Augen zu drehen und er klammerte sich an den Bettpfosten.

Der junge Mann überlegte noch, ob er die wenigen Schritte bis zur Tür schaffen würde, als sich diese öffnete und Eloise Duncan das Zimmer betrat.

„Ihr solltet noch liegen bleiben“, sagte sie schnell.

„Ich wollte mir etwas zu Essen holen“, antwortete er leise. „Ich habe Hunger.“

„Ich bringe Euch gleich etwas, aber bitte legt euch wieder hin.“

Gehorsam ging er die wenigen Schritte zurück und ließ sich erleichtert wieder auf sein Lager fallen.
 

Bald darauf kam sie mit Hühnerbrühe und Maisbrot zurück.

Langsam begann er zu essen.

„Könnt Ihr Euch wieder erinnern?“, fragte Mrs. Duncan gerade heraus.

Wieder huschten seine Augen im Zimmer umher, bevor er sie traurig auf seine Hände senkte.

„Nein“

„Nichts?“, wollte sie die Hoffnung noch nicht aufgeben.

„Nein!“ Unsicher schaute er auf seine Hände.

„Aber Ihr müsst doch wenigstens einen Namen haben!“

„Ich … nein. Ich kann mich an nichts erinnern.“

„Esst erst einmal und dann erholt Euch. Alles andere wird sich finden“, sagte sie mit beruhigender Stimme.
 

November 1855
 

Obwohl Dean sich mit den sonntäglichen Kirchenbesuchen noch immer nicht anfreunden konnte, stand er heute mit einem Lächeln im Gesicht auf.

Sarah hatte ihm gestern seine heißgeliebte Jeans wiedergegeben. Sie hatte das fadenscheinig gewordene Hinterteil bis über die Oberschenkel mit Leder verstärkt. Jetzt hatte er zwar eher eine Lederhose mit Jeansbeinen, aber es waren seine Jeans. Etwas von Zuhause, wenn er sowas überhaupt je gehabt hatte.
 

In der Kirche hatte er sich auf seinen üblichen Platz ganz hinten, hinter einer Säule verzogen. Er hatte seine Gedanken laufen lassen, das Grübeln über einen Rückweg in seine Zeit hatte er aufgegeben. Es war sinnlos solange er noch hier war. Sein Sammy fehlte ihm, und Bobby. Er mochte den alten Brummbär. Aber er hatte sich versprochen, sich noch bis zum nächsten Herbst diesen Urlaub zu gönnen. Erst dann würde er einen Weg zurück in die Zukunft suchen.

‚Zurück in die Zukunft!‘

Marty McFly hatte sich einen Brief geschrieben! Wenn er seiner Mom einen Brief schreiben würde?

Einen Brief, in der er sie bat in der Nacht des 2. November 1983 nicht aufzustehen, egal was passierte. Dann würde sie nicht sterben müssen. Aber vielleicht Sammy? Vielleicht sollte er sie bitten mit Sammy und ihm in den Urlaub zu fahren?

Darüber müsste er noch nachdenken, aber der Gedanke war auf jeden Fall ausbaufähig.

Und wenn er schon mal dabei war sein Leben zu ändern... Wie wäre es mit mehr Geld? In ein paar Jahren würde hier die Eisenbahn gebaut und bald auch das erste Öl in Texas gefunden werden. Wenn er sein Geld auf die Bank bringen würde und Anweisungen dazu, wann und wo Beteiligungen gekauft werden sollen und seiner Mom in dem Brief dann Kontonummer und Passwort verraten würde? Vielleicht könnten sie dann aus Lawrence wegziehen, bevor Sam geboren worden wäre, oder gleich danach, und sie könnten so dem Dämon entkommen und das ruhige Leben führen, dass sich Sam so sehr wünschte? Dann würden sie dem Trickster nie begegnen und er würde nie hier festsitzen. Vielleicht war das ja die beste Möglichkeit.
 

Das Trappeln vieler Füße riss ihn aus den Gedanken. Der Gottesdienst war zu Ende.

Dean stand auf und verließ als einer der Letzten die Kirche. Er ging zu ihrer Kutsche und den Pferden.

Sanft streichelte er Impalas Hals.

Sarah und Margaret standen ein Stück die Hauptstraße hinunter und unterhielten sich mit Dr. Langdons Frau Vivian und der jungen Bethany.
 

„Dean könntest du bitte meine Frau holen? Wir wollen los“, bat ihn Richard.

„Sofort Sir“, antwortete der Blonde, reichte Impalas Zügel an Thomas und ging zu der Gruppe.
 

„Euer Mann schickt mich, er wartet auf Euch, Ma‘am“, wandte sich der Blonde sofort an Margaret.

„Ich komme gleich!“

Der Blonde nickte und drehte sich um. Er wollte etwas abseits warten um die beiden Frauen zur Kutsche zu begleiten. Die Frau des Ladenbesitzers, der Name war ihm schon wieder entfallen, kam auf ihn zu. Sie hatte sich bei einem jungen Mann eingehängt.

Dean erstarrte. Dieser junge Mann war ...

Es waren einmal zwei Brüder

76) Es waren einmal zwei Brüder
 

„Sam?“

Der Größere schaute fragend.

„Sammy?“

Der Angesprochene reagierte noch immer nicht.

Dean trat vor ihn und fasste ihn an den Oberarmen.

„Sammy!“

Der Jüngere machte sich mit einem schon fast angewiderten Gesichtsausdruck los. „Ich weiß nicht von wem Ihr sprecht. Mein Name ist Wade und Euch kenne ich nicht!“

Der ältere Winchester starrte mit großen Augen auf seinen kleinen Bruder.

„Wade?“, platzte er endlich ungläubig hervor. „Wade? Dein Name ist Sam. Samuel Winchester. Du wurdest am 2. Mai in Lawrence, Kansas geboren. Deine Eltern waren Mary und John Winchester und ich bin dein großer Bruder Dean!“

„Ich ...“ begann Sam unsicher und schaute von Eloise zu Dean und dann hilfesuchend wieder zu der Frau an seiner Seite. Angst und Wut breiteten sich explosionsartig in ihm aus. Wut auf den Mann vor ihm und Angst, dass der ihm sein gerade erst gefundenes Leben wieder wegnehmen wollte. Er machte sich los.

„Sammy, bitte“, flehte der Ältere und fasste wieder dessen Oberarme.

Wade starrte auf den Blonden. Wenn das wirklich sein Bruder war, wieso hatte der ihn dann in der Ebene alleine gelassen? Wieso kam er erst jetzt und wieso fühlte sich alles, was der sagte, so unwirklich an? Die Wut kochte in seinem Bauch immer höher. Er hatte sich hier in dieses Leben gefunden. Er hatte hier eine Familie, die ihn wie einen Sohn mochte.

„Ich habe keinen Bruder!“, bellte er und riss sich von Dean los.

„Sammy?“

„Woher sollte ich wissen, dass Ihr mir nicht nur einreden wollt, dass Ihr mein Bruder seid?“

„Verdammt nochmal Sammy, ich hab dich großgezogen, hab mich um dich gekümmert, wenn du krank warst, hab dir Schwimmen beigebracht! Deine ersten Schritte hast du von der Couch zu mir gemacht!“

„Ihr könnt mir viel erzählen!“ So ein einfältiger Cowboy, der wochenlang nur hinter dummen Rindviechern her ritt, der nach Kuh stank oder nach Pferd, oder beidem, nein, dieser Mensch konnte nicht sein Bruder sein! Dieser Mensch ekelte ihn an. Auf keinen Fall wollte er den in seinem Leben haben! Er mochte ihn nicht, ganz und gar nicht!

„Habt Ihr Beweise?“, fragte er von oben herab.

„Du hast eine Narbe direkt an der Wirbelsäule, hier“, begann Dean, verzweifelt um seine innere Ruhe bemüht, und legte seine Finger auf die Stelle an der Jake das Messer in Sams Rücken gebohrt hatte.

„Und du hast eine Tätowierung unter deinem linken Schlüsselbein. Eine Sonne mit einem Pentagramm in der Mitte.“

„Wer weiß wo Ihr das gesehen habt. Das beweist gar nichts! Vielleicht wart Ihr es ja, der mich zum Sterben in der Ebene gelassen hat und jetzt wollt Ihr euch mein Vertrauen erschleichen um Euer Vorhaben doch noch zu Ende zu bringen!?!“, knurrte der Jüngere und wandte sich ab.

„SAM?!?“, fragte der Ältere irritiert. Was war nur mit seinem kleinen Bruder? Wieso kannte er ihn nicht mehr und wieso kanzelte er ihn so ab? Wieso waren seine Augen so kalt?

„Warum sollte ich das tun?“, keuchte er entsetzt. Wie konnte Sam denken, dass er ihn sterben lassen wollte? Er? Seinen kleinen Bruder? Das war …

Dean verstand die Welt nicht mehr. Sam ließ ihn einfach stehen?

Schnell hatte er die wenigen Schritte überwunden, die Sam inzwischen gemacht hatte. Er fasste ihn am Handgelenk und hielt ihn fest.

„Ich würde nie… Ich könnte … Sam! Wir sind alles was von unserer Familie noch übrig ist. Du ...“, begann er frustriert und wütend.

Wieder schaute Sam zu seiner Begleiterin.

„Christo“, platzte der Ältere hervor, doch nichts passierte. Es war zum Verzweifeln. Dean wusste nicht mehr weiter.

„Jetzt lasst den jungen Mann doch endlich in Ruhe! Er kennt Euch nicht. Er erinnert sich nicht an Euch! Wo ward Ihr, als wir ihn vor fünf Wochen hier halbtot gefunden haben?“, schimpfte Eloise.

„Aber...“, versuchte Dean sich zu verteidigen.

„Nichts aber. Ihr hättet Ihn sterben lassen und da wundert es Euch, dass er nichts mit Euch zu tun haben will? Lasst ihn in Ruhe!“, fuhr sie Dean jetzt noch lauter und noch wütender an.

Sam nickte trotzig, riss sich los und wandte sich ab. Er reichte Eloise seinen Arm und geleitete sie nach Hause.

„Mein Name ist Wade!“, erklärte er noch einmal über die Schulter.
 

Dean stand da wie ein begossener Pudel, unfähig irgendeinen Gedanken zu fassen.

Alle Umstehenden hatten diese Szene mitbekommen und sahen sich irritiert an. Keiner wusste etwas zu sagen.

William löste sich von der Gruppe und ging zu dem Winchester.

Erschrocken hielt er inne. Der Blonde stand wie erstarrt, kreidebleich auf der Straße, seine Augen blicklos auf die Ecke gerichtet, an der Sam verschwunden war. Sein Atem ging stoßweise.

„Komm Dean!“, sagte der Harrison ruhig und legte ihm jetzt doch die Hand auf den Arm.

Dean zuckte zusammen und schien dann regelrecht zu erwachen. Er straffte sich, holte tief Luft und schüttelte die Hand ab. Wütend stapfte er in Richtung Saloon.
 

„Whiskey“, forderte der Blonde und stürzte den Inhalt des Glases hinunter, kaum dass das Glas vor ihm stand. „Noch einen!“

Clifford, der Barmann, nickte nur und füllte das Glas nach.

„Ihr könnt die Flasche gleich hierlassen“, sagte der Blonde und nahm sie dem Barmann ab. Dann warf er ein paar Münzen auf den Tisch und verließ den Saloon nachdem er das zweite Glas getrunken hatte.

Der Winchester schob die Flasche in die Innentasche seiner Jacke, ging zu seinem Pferd, nahm Thomas die Zügel wortlos aus der Hand und schwang sich auf Impalas Rücken. Tief zog er den Hut in die Stirn und schlug seinem Tier die Fersen in die Flanken. Ohne ein Wort jagte er davon.

Die Harrisons schauten sich irritiert an.

„Soll ich ihm folgen?“, wollte Thomas wissen.

„Nein, lasst es ihn mit sich ausmachen“, sagte Richard ruhig. „Ich denke, wenn das wirklich Sam war, dann braucht er jetzt Zeit für sich.“

„Aber wo kam der jetzt so plötzlich her? Dean hat ihn die ganze Zeit vermisst und ihn mehr oder weniger gesucht und jetzt ist er plötzlich hier? Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu!“, überlegte Vincent laut.
 

Sam saß auf seinem Bett, starrte aus dem Fenster und grübelte.

‚Sam … Samuel Winchester … Winchester … Winchester … Sam‘ Nichts klang richtig. Nichts klang vertraut. Und wenn der Kerl wirklich sein Bruder war? Aber warum war der dann nicht an seiner Seite? Warum hatte der ihn alleine gelassen? Wo war er gewesen und warum kam er jetzt auf ihn zu. Was erwartete sich dieser … Dean? ‚Dean, Dean Winchester‘ Auch das klang alles andere als vertraut. Und wenn er einen Bruder hatte, dann musste der ihm doch vertraut sein, oder? Mal abgesehen von dem unguten Gefühl, dass der Kerl in ihm ausgelöst hatte! Nein, er würde weiterhin im Laden seiner Retter arbeiten und versuchen sein altes Ich zu finden.

Er schüttelte den Kopf. Hier hatte er ein Zuhause gefunden, ein Leben. Das würde er sich nicht so einfach wieder nehmen lassen. Nicht von so einem dahergelaufenen Viehtreiber!
 

Dean ließ Impala freien Lauf, Hauptsache er lief so schnell und so weit es nur ging von diesem Ort weg. Er brauchte Ruhe und Zeit und er musste nachdenken. Abgesehen davon, dass er sich so einreden konnte, dass der Wind ihm die Tränen in die Augen trieb.
 

Stunden später saß er unter einem Baum und hatte die Flasche zur Hälfte geleert. Doch die düsteren Gedanken hatte er damit noch nicht vertreiben können.

Warum kannte ihn Sammy nicht? Was war mit ihm passiert? Litt sein kleiner Bruder unter Amnesie? Litt er? Nein, Sammy sah nicht so aus, als ob er leiden würde, aber warum war er so kalt.

War der Trickster daran schuld? Hatte er Sammy in diese Zeit versetzt und ihn acht Monate früher hier ankommen lassen? Oder war Sammy die ganze Zeit durch die Gegend geirrt? Hätte er ihn schon eher finden können? Aber wenn, dann wäre er doch gestorben! Er selbst hätte ohne Hilfe keine Woche durchhalten können. Nicht bei der Hitze und der Trockenheit in der Ebene und Sam müsste dann ja wohl auch aus der Ebene gekommen sein! Nein, er konnte nicht mit ihm hier angekommen sein!

Wahrscheinlich war es wirklich Zufall und der Trickster hatte eigentlich gewollt, dass sie sich nie wieder begegneten.

Aber warum musste er sich dann mit dem Wissen um Sam herumschlagen und Loki hatte Sam die Gnade des Vergessens gewährt?

Dean trank einen weiteren großen Schluck. Der Whiskey brannte schon lange nicht mehr in seiner Kehle.

Er hatte nicht auf Sam aufgepasst! Er hatte seine Aufgabe vernachlässigt. Er hatte an seinem kleinen bisschen Glück hier festgehalten, er hatte hierbleiben wollen. Er hatte genießen wollen und nicht mehr an Sam gedacht!

Dean hatte jeden Tag nicht nur einmal an Sam gedacht, hatte darüber nachgegrübelt wie er hier weg und ihn finden konnte, doch seine übergroßen Schuldgefühle erlaubten ihm nicht, sich das einzugestehen.

‚Dad hatte Recht! Ich bin ein Versager! Ein Nichtsnutz, ein schlechter Sohn und ein miserabler Soldat. Ich habe Sam nicht verdient und ich habe dieses Leben nicht verdient!’

„Sammy!“, schrie er hilflos und schleuderte die fast leere Flasche gegen den nächsten Baum.

Haltlos rannen die Tränen über seine Wangen, als er sich zur Seite fallen ließ und sich in den Schlaf weinte.
 

In der Abenddämmerung des folgenden Tages war Dean nach El Paso zurückgekehrt.

Er hatte Sam gesucht und im Gemischtwarenladen gefunden.

Der Laden stand gegenüber dem Hotel und so bezog der seinen Posten auf dem Dach des Hotels hinter dem Namensschild.

Wie ein Strauchdieb duckte er sich in die Schatten und beobachtete seinen kleinen Bruder. Sah zu, wie der mit dem Ehepaar Duncan zu Abend aß und beobachtete ihn, wie er sich in sein Zimmer, unter dem Dach des Hauses. Zurückzog.

Über Tag trieb er sich in den Schatten herum und folgte Sam. Immer darauf bedacht nicht gesehen zu werden.

Zweimal hätte ihn sein kleiner Bruder fast erwischt, doch er konnte immer noch gerade rechtzeitig hinter einer Ecke verschwinden.

Nachts schlich er sich zu einem alten Schuppen etwas außerhalb des Ortes, wo er seinen Hengst untergebracht hatte. Er trieb ihn zu den Wiesen und ließ ihn grasen. Dann jagte er mit ihm zurück, rieb ihn trocken und war kurz vor Sonnenaufgang wieder in der Stadt auf seinem Posten.
 

In der ersten Nacht hatte er die Eingänge des Ladens mit Salz gesichert.

Auf der Vorderseite war der nur über einen Holzsteg zu erreichen und Dean hatte das Salz darunter platziert. Auf der Rückseite hatte er die Salzlinien mit Staub abgedeckt.

Schlaf fand der ältere Winchester kaum. Immer wenn er die Augen schloss standen die Opfer vor ihm. Die, die er hatte nicht retten können, zeigten mit ihren knochigen Fingern auf ihn und klagten ihn an, nannten ihn einen wertlosen Versager. Schnell riss er seine Augen jedes Mal wieder auf. Doch der Klumpen in seinem Magen blieb.

Dean aß kaum. Ein paar gestohlene Eier hier, einen Apfel da.
 

Seine Kräfte schwanden. Die Sonne trocknete ihn aus, Albträume und die Kälte in der Nacht taten ihr Übriges um ihn wie ein hohläugiges Gespenst aussehen zu lassen.

Die Gedanken des Blonden liefen in viele Richtungen, doch letztendlich kam er immer wieder zu einem Schluss.

Er hatte versagt! Sein Leben war nichts wert und er ein nichtsnutziger Versager! Er hatte seinem Vater Schande bereitet! Die Albtraumgestalten hatten recht!
 

Sammy schien glücklich. Über Tag arbeitete er im Laden und ließ sich dort in die Geheimnisse des Handels einführen und abends saß er in seinem Zimmer und las.

Dean lag in derselben Zeit hinter dem Hotelschild unter freiem Himmel und fror. Doch er würde seinen Posten nicht aufgeben. Nicht bevor er nicht wirklich wusste, dass es seinem Kleinen gut ging.
 

Wade, wie Sam sich selbst nannte fühlte sich hier wohl. Die Arbeit im Laden machte ihm Spaß. Er fühlte sich zwar etwas unterfordert und hatte hin und wieder den Eindruck, dass sein Leben nicht immer so ruhig verlaufen sein konnte, aber um nichts in der Welt wollte er diese Ruhe missen.

Ihm war, als hätte er dieses Leben schon immer gesucht.

Hin und wieder fühlte er sich beobachtet, doch er konnte nie jemanden entdecken und so verwarf er den Gedanken wieder.

Eloise war wie eine Mutter zu ihm, jedenfalls so wie er sich eine Mutter vorstellte. Sie umsorgte ihn, wie er vielleicht nie umsorgt worden war. Zumindest konnte er sich nicht daran erinnern. Okay, er konnte sich an nichts aus seinem Leben erinnern und so schob er den aufdringlichen Mann in den hintersten Winkel seines Bewusstseins.

Er wollte nicht über ihn nachdenken, denn kaum dass sich Dean in seine Gedanken schlich hatte er Wut im Bauch. Ein Bruder würde ihn nicht in der Ebene liegen und verdursten lassen!

Die Abende in seinem Zimmer liebte er. In Mr. Duncans Arbeitszimmer hatte er eine reichhaltige Bibliothek entdeckt und sofort die Erlaubnis erhalten sich Bücher auszuleihen.

Und so saß er abends bei Kerzenschein in seinem kleinen Zimmer und las.

Aufgefangen

77) Aufgefangen
 

Mit einem tiefen Atemzug und einem kurzen Nicken bestätigte Dean sich seinen Entschluss.

Niemand wusste, dass sie hier gelandet waren und die Dämonen ihrer Zeit hatten hier wohl noch Anderes zu tun.

Er würde aus Sams Leben verschwinden! Er würde aus dem Leben verschwinden. Er hatte hier nichts mehr zu suchen. Sam war glücklich und hier auch offensichtlich nicht in Gefahr. Warum sollte er sich dann mit etwas Wertlosem wie seinem großen Bruder belasten, den er eh nicht mehr erkannte und der ihn vielleicht irgendwann doch an seine Vergangenheit erinnerte, die er ja nie haben wollte. Sein Sam sollte leben können ohne zurückschauen zu müssen.

Aber er konnte ohne Sam nicht leben. Deshalb hatte er den Pakt geschlossen und auch jetzt war so ein Leben für ihn nicht denkbar. Wenn er weiter machen würde, dann würde er so werden wie John und das wollte er weder sich noch seiner Umwelt zumuten.

Er würde den Ganzen ein Ende setzen!

„Leb wohl Sammy!“, verabschiedete er sich von seinem kleinen Bruder und von seinem Leben.

Mühsam kletterte er vom Hoteldach und torkelte kraftlos zu dem Schuppen, in dem Impala stand.

Er kämpfte sich in den Sattel und trieb den Hengst nach Süden in die Ebene hinaus, soweit wie er sich noch im Sattel halten konnte.

Sobald er in den trockenen Sand gefallen sein würde, würde das Tier ohne ihn hoffentlich nach Hause laufen. Niemand würde ihn finden! Niemand würde ihn suchen! Die Sonne würde ihr Werk tun und irgendwann wäre er ein Haufen Knochen in einer staubigen Ebene.

Er kippte auf den Hals des Hengstes und seine Hand verkrampfte sich in der Mähne.
 

Eine Weile trabte Impala noch nach Süden, ohne weitere Hilfen oder Anweisungen seines Reiters zu bekommen. Dann blieb er stehen und schnaubte. Er drehte seinen Kopf zu Dean und musterte ihn aus klugen Augen. Nach einem weiteren Schnauben wandte sich der Hengst um und trottete nach Norden. Nach Hause.
 

Samstagabend: Thomas kam gerade aus dem Haus und wollte Sarah beim Füttern helfen als sein Blick fast magisch von einem, langsam auf ihn zukommenden, reiterlosen Pferd angezogen wurde.

Bald schon erkannte er Impala und sah, dass dieser keineswegs reiterlos war.

Der Hengst schien sich jeden Schritt zu überlegen und seine Hufe besonders vorsichtig aufzusetzen um die kostbare Last auf seinem Rücken nicht zu verlieren.

Vor Thomas blieb er leise schnaubend stehen.

Der Cowboy führte das Pferd zum Brunnen.

Schnell löste er die verkrampften Finger aus der Mähne und zog den Menschen aus dem Sattel.

Der Hengst trottete zur Tränke während Thomas Dean an den Brunnen setzte. Er holte einen Eimer Wasser aus der Tiefe und kippte ihn Dean ins Gesicht.

Hustend versuchte sich der Winchester dagegen zu wehren.

Ein zweiter Schwall Wasser brachte ihn dann auch dazu seine Augen zu öffnen.

„Thomas“, formte er tonlos.

„Du bist ein Idiot Dean! Bleib sitzen, hörst du?“, informierte der ihn und in seiner Stimme klang ein nicht geringer Anteil Wiedersehensfreude, aber auch Angst und Sorge. Dann lief er ins Haus und Dean befolgte den Befehl, schon allein, weil er zu nichts anderem in der Lage war.

Wenig später kam der Cowboy mit einem Becher Kaffee wieder, den er Dean an die Lippen drückte.

Das Wasser und sein Lieblingsgetränk weckten Deans Überlebenswillen soweit, dass er sich auf die Beine kämpfte und zur Scheune schleppen ließ.

Dort half ihm Thomas die nassen Klamotten aus- und trockene wieder anzuziehen und überschüttete ihn mit einer Menge Vorwürfen, in denen mehr Sorge als Wut mitschwang.

„Was hast du dir eigentlich dabei gedacht. Eine Nacht, einen Tag wegbleiben ist ja noch okay, aber fast eine ganze Woche? Wir haben uns Sorgen gemacht und so wie du aussiehst wohl mehr als zu Recht!“

„Müsst ihr nicht!“, antwortete der Winchester leise.

„Haben wir aber! Verdammt Dean, du gehörst hier zu Familie.“

„Ich bin das nicht wert! Ihr ...“

„Nicht wert? Sag mal hat dir die Sonne das Hirn aus dem Schädel gebrannt?“, knurrte Thomas geschockt.

„Mein Leben ist nichts wert. Ich muss auf Sam aufpassen und das habe ich nicht! Ich habe versagt.“

„Ja klar Dean! Du bist wirklich nicht mehr zurechnungsfähig! Ich bring dich jetzt ins Haus und da wirst du erstmal was essen und dann reden wir!“, wütend schnaubend zog der den ausgemergelten Mann auf die Beine und schleppte ihn ins Haus.
 

„Dean!“, rief Margaret erschrocken.

Er zuckte zusammen und versuchte erfolglos mit stumpfen Augen seinen Blick auf die Frau zu fokussieren.

Thomas wartete an der Tür.

Mit wenigen Handgriffen hatte sie das Chili aufgewärmt und stellte ihm einen Teller hin.

Dean nahm den Löffel in die Hand, doch bevor er auch nur einen Bissen zu sich nehmen konnte begann er zu würgen. Sein durch den Mangel an Flüssigkeit, Nahrung und Schlaf gestörtes Wahrnehmungszentrum hatte den Anblick des Chilis mit Albtraumbildern und Erinnerungen verbunden und mit unerwünschten, tief vergrabenen Ängsten.

Vor ihm lag Sammys zerplatzter Kopf in einem Gemisch aus Blut und Gehirnmasse.

Schnell schlug er sich die Hand vor den Mund und flüchtete panisch nach draußen. Würgend und schluckend brach er hinter der Scheune in die Knie und erbrach den Kaffee und ätzende Magensäure.

Zitternd ließ er sich gegen die Holzwand fallen. Er wollte sterben.

Und dann war Tom plötzlich bei ihm und zog ihn auf die Beine. Vorsichtig half der ihm in die Scheune und setzte ihn auf seinen Strohsack.

Mrs. Margaret bringt dir gleich was, versuch wach zu bleiben“, bat er leise und Dean nickte.

Langsam trank er das Wasser, das sein Freund ihm hinhielt. Sein Blick wurde klarer und sein Zittern rührte nur noch daher, dass er wegen seines Schlafmangels fror.

Thomas ergriff die Chance: „Dean! Ich hab das hier gefunden!“ Er hielt ihm das ledergebundene Tagebuch Johns unter die Nase.

„Woher hast du…“, begann der Winchester und versuchte es zu fassen zu bekommen. Der Anblick seiner „Bibel“ mobilisierte noch einmal seine Lebensgeister.

„Ich hab deine Schlafstatt durchsucht. Ich wollte irgendetwas finden, um dich finden zu können! Das hier hab ich gefunden und gelesen. Aber Dean, ich verstehe es nicht!“

„Vergiss es wieder!“, befahl der Angesprochene leise und riss ihm das Buch fast aus den Händen.

„Nein, ich werde es nicht vergessen! Da stehen Dinge drin … Dinge die ich nicht glauben kann … Was bist du?“

„Nimm das was du gelesen hast als Schauergeschichten, als Horrormärchen, Mythen und Legenden über das Böse dieser Welt“, antwortete er matt.

„Selbst wenn ich das wollte, Dean, hier stehen Jahreszahlen drin, hier wird über Dinge berichtet, die ich nicht verstehen kann. Du hast …“, abrupt brach er ab.

Gleich darauf waren Schritte zu hören und Mrs. Margaret kam mit einem dampfenden Becher in die Scheune.

„Du solltest alles trinken, Dean“, sagte sie bestimmt.

Der Winchester nickte und nahm den Becher. Mit einem angewiderten Gesichtsausdruck schnupperte er an dem Gebräu.

„Trink!“, forderte sie erneut und er hatte nicht mehr die Kraft zu widersprechen. Langsam nippte er an der heißen Flüssigkeit.

„Ich passe auf, dass er es trinkt.“

„Danke, Thomas“, sagte sie und ging wieder an ihre Arbeit.
 

Der Cowboy umfasste den Becher ebenfalls und drückte ihn an Deans Lippen. Schluckweise trank der Blonde.

„Dean! Ich will Antworten.“

„Thomas, bitte, es ist besser du vergisst das Ganze!“

„Nein, ich will Antworten!“

Resigniert nickte Dean. Warum konnten sich die Menschen nicht aus ihrem Leben raushalten? Warum mussten sie fragen? War es nicht schon schlimm genug, dass Sammy und er so aufwachsen mussten?

Die Hand mit dem leeren Becher fiel auf seine Oberschenkel, sein Körper sackte in sich zusammen und kippte dann zur Seite.

Thomas legte ihn auf den Strohsack und deckte ihn zu.

„Du brauchst Hilfe, auch wenn du es nicht glauben willst!“, sagte der Cowboy leise und ging dann zu Impala um sich etwas verspätet um das Tier zu kümmern.
 

Am Morgen stand Dean gewaschen und mit sauberen Kleidern neben der Kutsche als die Familie zur Kirche aufbrechen wollte. Ihm ging es noch immer nicht besser, aber wenigstens die Augenringe waren nicht mehr so schwarz.

Mühsam würgte er ein paar Bissen von dem Maisbrot hinunter, das Sarah ihm in die Hand gedrückt hatte.

„Willst du nicht lieber hierbleiben und schlafen?“, fragte Sarah, doch er schüttelte stur den Kopf und kletterte auf den Kutschbock.
 

Kurz vor El Paso begann Hoffnung in seinen Augen zu leuchten. Vielleicht? Vielleicht wusste Sammy ja inzwischen wieder wer er war?

Die hasserfüllten Blicke seines kleinen Bruders zerrissen ihn noch ein Stückchen mehr.

‚Verzeih mir, Sammy‘, bettelte Deans Blick als er noch einmal den seines Bruders streifte.

‚Vergiss es!, Nie!‘, war die stumme Antwort.
 

Die Bewohner des Ortes standen auf Wades Seite, oder wohl eher auf der Seite von Eloise Duncan, die mit dem jungen, unter Amnesie leidenden, Mann einen Ersatzsohn gefunden hatte und regelrecht aufgeblüht war und die nicht bereit war den jungen Mann an einen dahergelaufenen Cowboy zu verlieren. Sie hatte ihr Bestes getan, Sam, oder Wade, wie er sich jetzt nannte, ins Gewissen zu reden und ihm zu erklären, dass jemand der nicht da war, wenn er ihn am nötigsten gebraucht hätte ja wohl nicht sein Bruder sein konnte. Und hatte die in Wade gärende Wut und seinen Hass auf den Mann, der behauptete sein Bruder zu sein, noch weiter geschürt.
 

Apathisch hockte der Winchester auf dem Kutschbock als sie zur Ranch zurück fuhren und genauso apathisch ließ er sich zu dem späten Brunch führen, den es sonntags nach der Kirche immer gab.

Er war schuld. Er hatte versagt und Sam nicht beschützt wie er es John geschworen hatte. Es war alles umsonst gewesen! Sein Pakt, das Jahr, die Wochen nach dem Höllenhund. Ja, Sam lebte, aber er hatte ihn trotzdem verloren. Das Wichtigste in seinem Leben!
 

Es gab kalten Braten zum Brunch.

Alleine der Geruch brachte Deans Magen dazu sich schon wieder zu verklumpen. Er stand auf, stolperte zur Tür und verschwand.
 

„Jetzt reicht es!“, knurrte Richard. „Der Junge bringt sich um!“, und erhob sich.

„Ich kümmere mich darum. Wenn Ihr noch einmal diesen Tee kochen würdet?“, erklärte Thomas und schaute zu Mrs. Margaret, die nickte.

Er fand seinen Freund wieder würgend hinter der Scheune.

„Hat das was mit dem Buch zu tun?“, wollte er geradeheraus wissen und gab Dean eine Flasche Wasser.

„Im weitesten Sinne?“, keuchte der als er ein paar Schlucke getrunken hatte.

„Gibt es Dämonen?“, fragte der Cowboy, als er Dean in die Scheune begleitete.

„Tom, bitte. Mein Leben ist versaut genug. Ich will dich damit nicht belasten.“

„Verdammt Dean! Du musst das nicht alleine tragen“, sagte er aufgebracht und drückte den Winchester auf seinen Strohsack.

„Was ist das?“, fragte er dann und fischte das Handy aus der, von seiner gestrigen „Dusche“ noch immer feuchten Jeans.

Der blonde Winchester schnappte nach Luft und versuchte das Teil wieder an sich zu bringen. Der Freund war schneller.

„Ein Telefon“, gab er auf.

„Was ist ein Telefon?“

Dean überlegte: „Das ist wie ein Brief. Nur das du hier die Stimme des Anderen hören kannst und er sofort antwortet.“

„Und das?“ Thomas’ Nägel kratzten leise über den Reißverschluss von Deans Jacke.

„Ein Reißverschluss“

„Wie kannst du Impala … fahren?“

„Weil Impala ein Auto ist.“

„Auto?“

„Eine Kutsche ohne Pferde, die fast von selbst fährt.“

„Jetzt bist du vollkommen durchgedreht!“

„Für dich muss es so klingen, ja!“

Wieder unterbrach Mrs. Margaret ihr Gespräch.

Dieses Mal brachte sie außer dem Tee auch eine Scheibe Maisbrot mit und wartete bis der Blonde eingeschlafen war.

„Lassen wir ihn in Ruhe, dann wird er schon wieder“, sagte sie leise und verließ die Scheune.

Thomas setzte sich neben den Schlafenden und begann zu grübeln. Konnte der wirklich Recht haben?
 

Entgegen Margarets Äußerung wurde Dean jedoch nicht wieder.

Wie ein Ertrinkender sich an einen Strohalm klammerte, so stürzte er sich in die Arbeit.

Er aß zu wenig und er schlief noch immer zu wenig, denn wenn ihn der Schlaf endlich doch übermannte, dann träumte er davon, dass Sam etwas passierte weil er nicht aufpasste oder zu langsam war und er wachte mit einem leisen, panischen Aufschrei schnell wieder auf.

Hatte er früher schon wenig von sich erzählt, so war er jetzt, was das betraf, stumm.

Hatten seine Augen früher vor Freude oft regelrecht geleuchtet, so war sein Blick jetzt trüb und immer irgendwie nach innen gerichtet.

Einzig Thomas drang immer wieder zu ihm durch. Die Hartnäckigkeit des Cowboys hatte Deans Schutzschild durchbrochen. Der Winchester erzählte ihm immer wieder von den Monstern aus seinem Leben und egal wie erschüttert Lowell auch war, seine Neugier war größer und er ließ sich nicht abschütteln.

Jacob betrachtete die Männer mit wachsender Eifersucht. Zu gerne wüsste er, worüber die beiden sprachen. Da es Dean jedoch half aus seiner Isolation zu kommen, konnte er, wie die anderen der Familie auch, sehen und so ließ er es geschehen.

Weihnachtsgeschenke

78) Weihnachtsgeschenke
 

Jeden Sonntag freute sich Dean auf die Kirche und jeden Sonntag schlich sich lähmende Angst vor Sams Reaktion in sein Herz.

Seinen Platz hinter der Säule hatte er zugunsten eines Platzes aufgegeben, von dem aus er seinen Bruder beobachten konnte. Wenn der schon nicht mit ihm reden wollte, so konnte er sich wenigstens einmal in der Woche davon überzeugen, dass es ihm gut ging.

Außerdem wusste er jetzt, warum seine Instinkte so sehr dagegen waren, dass er sich in Tucson auf den Weg nach Osten machen wollte.

Trotzdem würde er nach der nächsten Saison nach Osten aufbrechen und nach einem Weg nach Hause suchen und dieser Weg würde seinen kleinen Bruder mit einschließen.

Der hingegen verschwendete keinen Gedanken an den Cowboy, der ihn bedrängt hatte.

Er arbeitete weiter in dem kleinen Laden und war mit seinem Leben zufrieden.
 

„Wade? Könnt ihr diese Bücher zu Richter Hastings bringen?“, fragte der Besitzer und schob den Stapel über die Theke.

„Ich geh sofort“, nickte der Jüngere und stellte den Besen an die Wand. Er nahm die, nur mit einem dünnen Band zusammengebundenen, Bücher und ging zum Haus der Hastings‘.

Neugierig las er die Buchrücken bevor er sich auf den Weg machte.
 

„Guten Tag, Mrs. Hastings. Ich hab hier die Bücher, die Ihr Mann bestellt hat“, begrüßte er die Dame des Hauses, die ihm die Tür öffnete.

„Kommt rein, Wade. Ihr könnt die Bücher da auf den kleinen Tisch legen. Ich hole meinen Mann.“

Er nickte lächelnd und tat wie ihm geheißen. Unsicher ließ er sich auf der Stuhlkante nieder und schob ein wenig an den Büchern um weiter neugierig die Buchrücken lesen zu können.

Und dann fielen sie herunter, das dünne Band löste sich. Schnell versuchte er die Bücher wieder aufzusammeln. Das Gesetzbuch lag offen da und bevor er es zuschlug wollte er schnell einen Blick hineinwerfen.

Sam las sich darin fest.

„Ihr interessiert Euch für Recht?“, fragte plötzlich eine Stimme.

Wade zuckte zusammen und schaute erschrocken zu dem Mann.

„Ja, ich... irgendwie schon“, begann er.

„Wollt Ihr mehr lernen?“

„Gerne, aber …“

„Ich kann es Euch beibringen, wenn Ihr wollt?“

Sam strahlte: „Wollt Ihr das wirklich tun?“

„Ich könnte Euch dreimal in der Woche abends unterrichten.“

„Das wäre wirklich wundervoll, danke!“

„Gut, dann beginnen wir morgen Abend, acht Uhr!“

„Danke, Richter Hastings, ich werde pünktlich sein!“, sagte Sam und schüttelte dem Richter die dargebotene Hand.

Das war… Jura!

Wades Augen leuchteten noch als er wieder im Laden ankam und seinen Fast-Eltern davon erzählte.

Tief in seinem Inneren hatte er das Gefühl als ob sich ein langgehegter Wunsch erfüllen würde.

Jura! Er könnte Richter werden!

Sein Leben hier wurde immer besser! Inzwischen musste er seinen Aufenthalt in der Ebene fast als Glücksfall ansehen, wie auch immer er dahin gekommen war. Er war dem Schicksal dankbar, dass es ihn hierher verschlagen hatte!

Die Zukunft konnte kommen!
 

Am Weihnachtsmorgen wollte Dean am liebsten gar nicht aufstehen.

Schon am Tag davor gab es kein anderes Gesprächsthema als dieses ruhige Familienfest und er hatte sich noch weiter in sein Schneckenhaus verzogen. Immer wieder hatte er an sein eigentlich letztes Weihnachten denken müssen. Er hatte Sammy genervt, weil er dieses Fest feiern wollte und zum Schluss hatte Sam einen Tannenbaum aufgestellt und geschmückt und sie hatten sie sich in trauter Gemeinsamkeit ein Spiel angesehen. Das war das schönste Weihnachten, an das er sich erinnern konnte. Und nachdem er gerettet worden war, hatte er sich geschworen seine nächsten Weihnachten mit Sam zu feiern. Vielleicht auch noch bei Bobby. Sie waren Jäger und er brauchten keinen Klimbim drum herum, außer ein bisschen Ruhe und ein Hauch Familie. Seiner Familie.

Hier? Hier hatte er Sam, der nur ein paar Meilen weit weg und doch unerreichbar war.

Dean war sich inzwischen sicher, dass der Trickster für Sams Amnesie verantwortlich war, aber er konnte sich einfach nicht erklären warum Sam so abweisend war. Selbst wenn er ihn nicht mehr erkannte, müsste er doch interessiert sein ihn kennen zu lernen. Schließlich könnte er seinem kleinen Bruder ja etwas von ihrer Familie erzählen. Und wenigsten daran müsste der doch interessiert sein, oder? Er zumindest würde es wissen wollen, da war er sich sicher.

Er verstand Sams Ablehnung einfach nicht und dieses Weihnachten bei den Harrisons würde ihn nur noch mehr an das Dilemma seines Lebens erinnern.

Der Winchester überlegte was er heute machen konnte. Auf keinen Fall wollte er mit zu einem Familienessen gehen. Dieses Familienglück würden selbst seine inzwischen wieder recht solide gebauten Mauern nicht von ihm fernhalten können und gerade heute ging es ihm darum, sein Innerstes zu schützen.
 

Thomas war schon eine Weile wach und freute sich auf den Weihnachtstag. Alleine der Truthahn, den es an der langen Tafel für alle Familienangehörige und Cowboys geben würde, ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Aber würde sich auch Dean darauf freuen? Er mied Gesellschaft wo er nur konnte, seit der vermeintliche Bruder ihn so abgekanzelt hatte.

Immer wieder hatte er den Blonden, der an der gegenüberliegenden Wand der Scheune schlief, mit einem erstickten Aufschrei erwachen hören und daran hatte sich auch nicht viel geändert nachdem der ihm mehr oder weniger aus seinem Leben erzählte hatte. Er hatte sich einfach nicht abwimmeln lassen und immer wieder nachgefragt. Trotzdem konnte er noch immer nicht glauben, dass alles, was der Winchester erzählte, wahr sein sollte, aber er fand auch keinen Punkt, der das Erzählte als Lügen identifizierte. Dafür war Dean viel zu ernst und ließ sich auch nicht verwirren, egal wie sehr er es versuchte.
 

Er hörte wie der Winchester sich von einer Seite auf die andere wälzte und hoffte, dass der nicht wieder träumte.

Aber mit welchen Albträumen schlug sich Dean rum? Obwohl das eigentlich egal war, sein ganzes Leben schien ein Albtraum zu sein!

Thomas atmete erleichtert auf als er hörte, dass der Ältere aufstand.
 

Leise zog sich Dean an, nahm seinen Sattel und ging nach draußen.

Schnell zog sich auch Thomas an und folgte ihm.

„Willst du nicht mit reinkommen?“, fragte er ruhig. „Die Familie wird bestimmt schon auf uns warten.“

Der traurige Blick, den Dean ihm zuwarf war ihm Antwort genug. Er nickte nur, ließ ihn vom Hof reiten und ging ins Haus.
 

„Schläft Dean noch?“, fragte Margaret auch sofort, nachdem der Cowboy ins Haus getreten war.

„Er ist weggeritten“, antwortete der.

„Aber ich hab mich so beeilt, dass das Geschenk fertig wird“, sagte Sarah traurig.

„Du weißt doch, dass er sich noch mehr in sich zurückgezogen hat, seit er Sam gefunden hat und der nicht sein Bruder sein will“, sagte William.

„Ja, aber ich dachte, dass er wenigstens Weihnachten seine selbst gewählte Isolation aufgeben würde.“

„Ich denke gerade Weihnachten ist ein Fest der Familie und wir hier erinnern ihn bestimmt daran, dass er einen Bruder hat, der nicht weit weg ist und noch nicht einmal dieses Fest mit ihm verbringen will.“

„Ich verstehe Sam, oder Wade, oder wie auch immer er sich jetzt nennen mag, nicht! Er meidet Dean wo er nur kann und ist jedes Mal wütend, wenn sie sich über den Weg laufen“, sagte Margaret.

„Und ich verstehe nicht, warum du ihn jeden Sonntag wieder zwingst mit uns in die Kirche zu gehen. Du müsstest doch sehen, dass er danach noch mehr leidet“, konnte sich William den Seitenhieb nicht verkneifen.

„Es hat noch niemandem geschadet um Gottes Beistand zu bitten!“
 

Erst als es draußen schon dunkel war, kam der Winchester zurück. Müde und zerschlagen wollte er nur noch sein Pferd versorgen und dann auf seinen Strohsack und den Weihnachtstag abhaken.

Doch die Harrisons schienen auf ihn gewartet zu haben. Als er Impala abzäumte und trocken rieb, stand Sarah an der Koppel.

„Bitte komm rein Dean“, sagte sie nachdem er hinter seinem Pferd die Koppel schloss.

Er atmete einmal tief durch und nahm die Hasen und den Waschbären, die er geschossen hatte auf. Er wollte sie noch ausnehmen und abziehen.

„Kann ich mich erst waschen?“, wollte er mit rauer Stimme wissen.

„Ich kann warten!“, erklärte sie und brachte seine Beute in den Keller. Darum konnte sich William nachher noch kümmern.

Resignierend nickte er und ging zum Brunnen.

Schnell hatte er sich wenigstens den gröbsten Schmutz von Hals und Gesicht gewaschen und schüttelte sich das Wasser aus den Haaren. Sarah quiekte lachend. Sie hatte ein paar Tropfen abbekommen.

Dann folgte er ihr ins Haus. „Frohe Weihnacht“, grüßte er heiser und schaute sich um. Kein Baum erfüllte das Zimmer mit weihnachtlichem Licht. Kurz zog er die Augenbrauen zusammen. Wann wurde die Tradition denn eingeführt?

„Setz dich Junge und iss was“, sagte Margaret ruhig und schob die gebratenen Klöße aus der Pfanne auf den Teller.

Dankbar nickte der Winchester und schaufelte den Teller leer.

Ungeduldig wartete Sarah bis er fertig war.

„Wir haben ein Weihnachtsgeschenk für dich!“, platzte sie hervor, kaum dass er die Gabel niederlegte.

„Aber ...“

„Du gehörst zur Familie, also bekommst du wie alle ein Weihnachtsgeschenk.“

Er legte den Kopf schief und zuckte mit den Schultern.

„Ich hab aber keine Geschenke für euch. Das heißt, ich hab eine Kleinigkeit für Jacob. Aber sonst... Ihr habt soviel für mich getan und ich ...“

„Du musst uns nichts schenken“, sagte William.

„Aber...“, begann er wieder. Es war Dean irgendwie unangenehm. Bis jetzt hatte ihn niemand außer Sam und vielleicht Bobby beschenkt, im weitesten Sinne des Wortes. Mom und die Weihnachtsfeste, als sie noch lebte und an die er sich nur bruchstückhaft erinnerte, mal ausgenommen.

„Hier, mach es auf!“, platzte Sarah mit strahlenden Augen hervor und hielt ihm ein großes Paket hin.

Sie hielt die Spannung einfach nicht mehr aus.

Schnell riss er das Papier auf und entfaltete den Inhalt.

Ein Staubmantel aus dunklem Leder. Er zog sich den Mantel über, der wie angegossen passte.

Seine Augen leuchteten.

„Woher?“, wollte er atemlos wissen.

„Du hast William gegenüber mal gesagt, dass du diese Mäntel toll findest und außerdem brauchst du einen, wenn wir im Frühjahr wieder mit der Herde ziehen“, erklärte Thomas.

In diesem Moment kam Jacob in den Raum und hielt eine volle Papiertüte in der Hand, die er dem Winchester hinhielt. Doch bevor Dean sie nahm holte er aus seiner Hosentasche ein kleines Päckchen, das er dem jüngsten Harrison im Tausch gegen die Tüte gab.

Die Tüte war schwer. Schon fast hastig öffnete er sie und warf einen Blick hinein.

Seine Mundwinkel kräuselten sich und endlich zierte ein Lächeln sein Gesicht. Die Tüte war voll mit Bonbons und Zuckerstangen.

„Bevor dir dein Karamell zum Hals raus hängt“, grinste William.

„Danke!“

Und endlich wickelte auch Jacob sein Geschenk aus.

„Ein Messer“, freute sich der Jüngere.

„Du hast dein Messer vor ein paar Wochen verloren und dir meins geliehen und noch nicht wiedergegeben“, grinste Dean.

„Oh!“, schnappte Jake und wurde leicht rot. Hastig zog er Deans Messer aus der Tasche und gab es ihm zurück.

Der Winchester gähnte. Der Tag war anstrengend gewesen und die Nacht davor mal wieder nicht mit erholsamem Schlaf gesegnet.

„Du solltest dich ausruhen!“, sagte Margaret. „Willst du was um schlafen zu können?“

Das ließ sich Dean nicht zweimal sagen, aber ihr Angebot lehnte er ab. Er musste auch so zur Ruhe kommen können.

„Danke nochmal!“, strahlte er die Harrisons von der Tür aus an und ging dann in die Scheune. Den Staubmantel behielt er noch eine Weile an.

In dieser Nacht schlief er seit langem mal wieder ruhig durch.

Du kannst so bleiben wie Du bist

79) Du kannst so bleiben wie du bist
 

Der Gottesdienst am nächsten Tag dauerte extra lange, da der Priester über Menschlichkeit und Nächstenliebe predigte, die Völlerei zu Weihnachten anprangerte und auch noch lang und breit die Weihnachtsgeschichte erzählte.

Sam war kurz davor aufzustehen und dem arroganten Schnösel, der sich als sein Bruder ausgab, gehörig die Meinung zu geigen. Der Typ brannte ihm regelrecht Löcher in seinen Rücken.

Vor der Tür erwartete er den Mann und stellte ihn zur Rede: „Hört auf mich zu verfolgen!“

„Ich verfolge dich nicht.“

„Was ist es denn dann? Jedes Mal wenn Ihr in der Stadt seid, dann erkundigt Ihr Euch nach mir.

Jeden Sonntag brennt Ihr mir Löcher in die Schultern.“

„Du bist mein Bruder. Ich will wissen wie es dir geht!“

„Es hat Euch auch nicht interessiert, als ich in der Ebene fast gestorben wäre!“

Dean schob den Hut in den Nacken und schaute Sam direkt in die Augen. Trauer und Unsicherheit spiegelten sich in den grünen Pupillen wider.

Was sollte er seinem kleinen Bruder sagen? Die Wahrheit ganz bestimmt nicht. Solange der sich an nichts erinnerte, würde er ihn nur noch mehr verschrecken.

„Du warst weg und ich wusste nicht wohin und wieso du verschwunden bist.“

Ihr hättet mich suchen müssen, wenn ich Euch soviel bedeuten würde, wie Ihr immer wieder behauptet!“

„Ich habe dich gesucht.“

„Dann ja wohl nicht richtig!“

„Sammy, ich ...“, Himmel, von dem Trickster konnte er ja wohl schlecht erzählen! Warum musste sein kleiner Bruder auch sein Gedächtnis verlieren?

„Es reicht! Ich heiße Wade und ich lebe hier in El Paso bei den Duncans. Sie sind für mich mehr Eltern als Ihr je Bruder sein könntet!“

Deans Augen weiteten sich, dann wurde seine Miene undurchdringlich. Sam hatte ihm gerade sein Herz herausgerissen, doch das würde er ihm nie zeigen.

„Aber ich habe dich aufgezogen, Sam!“, brachte er tonlos hervor.

„Es ist mir egal! Ich habe hier ein Leben, eine Arbeit und Richter Hastings bringt mir das Gesetz bei, so kann ich später, wenn Ihr noch immer hinter dreckigen Rindern her rennt, einmal selbst Richter werden!“

„Ein neuer Versuch Jura, hmm Sam?“

„Was soll das heißen?“, fauchte der Jüngere verwirrt.

„Du hast schon mal versucht Anwalt zu werden, das Studium aber abgebrochen, weil …“

„Und deshalb sollte ich es am Besten auch gleich wieder aufgeben und mit Euch hinter den Rindviechern her rennen?“

„Sam, ich will doch nur, dass ...“

„Hört endlich auf mich Sam zu nennen! Ich bin Wade“, schrie Sam seinen angeblichen Bruder an. Es reichte ihm. Dieser furchtbare Mensch stellte ihm nach und wollte sich ihm in den Weg stellen. Er hatte es satt! Er wollte sein Leben leben und er wollte diesen Menschen nicht mehr sehen!

„Ich werde Euch nie meinen Bruder nennen!“ Er stieß Dean von sich und wandte sich ab.

„Wann bist du eigentlich zu diesem arroganten, egoistischen, kleinen Arschloch geworden, Sam?“, platzte dem Winchester jetzt endlich der Kragen.

„Ich bin kein …“

„Doch Sam, bist du und es ist meine Schuld.“ Dean klang nur noch traurig und müde. „Ich hab versucht den Grund für unser Leben von dir fern zu halten. Ich wollte wenigstens dir die Kindheit erhalten, die ich nicht hatte.

Es tut mir leid Sam, dass du Mom nie kennenlernen konntest! Es tut mir leid, Sam, dass ich es nicht geschafft habe, dir die Liebe zu geben, die sie dir hätte geben können, aber ich war doch auch noch ein Kind! Ich hab versucht unsere Familie zusammen zu halten, hab versucht deine Bedürfnisse irgendwie mit Dads Rache in Einklang zu bringen. Ich hab versucht, dich zu beschützen, so wie Dad es von mir verlangt hat und so wie ich es immer gewollt hatte. Und ich habe versucht, dir soviel Freiheiten zu ermöglichen, wie du sie brauchtest und ich sie nie hatte. Aber für dich war ich ja immer nur Daddys braver Befehlsempfänger. Egal was ich versucht habe, für dich war es nie genug.

Du wolltest es nicht verstehen.

Unser Leben ist nun mal nicht so verlaufen wie du es gewollt hast!

Aber hat mich mal einer gefragt was ich wollte?

Weißt du was SAM? Werd glücklich! Behalte deinen Namen, studiere Jura und lebe dein Leben!

Ich hoffe für dich, dass du dich nie an das Leben davor erinnern wirst, denn ich werde es dir nicht mehr erklären.“

Betroffen wandten sich die Umstehenden ab, blieben jedoch in Hörweite. Das wollte sich keiner entgehen lassen, geschah hier doch sonst kaum etwas.

Auch wenn ihre Sympathien eindeutig auf Wades Seite lagen, so konnte sich der eine oder andere doch nicht dagegen wehren, dass er dem Cowboy vielleicht doch Unrecht getan hatte, wenn er ihn als das ultimativ Böse ansah, als das Eloise ihn hingestellt hatte.

„Ich will von Euch nichts erklärt haben!“, knurrte der Jüngere hasserfüllt.

„Ich wäre für dich in die Hölle gegangen, Sam. Aber ich weiß nicht, ob ich es für Wade tun würde.“

Schnell wandte er sich ab, damit Sam das verräterische Glitzern in seinen Augen nicht sehen konnte.

Sein kleiner Bruder würde nie wieder zu ihm kommen, auch wenn er sich irgendwann doch erinnerte, und Dean betete, dass das nie der Fall sein würde. Nicht solange sie hier waren. Sollte doch wenigstens Sam glücklich werden!
 

Verdammt! So langsam sollte er mal lernen erst sein Gehirn einzuschalten und erst danach sein loses Mundwerk! Er hatte seinen Sammy verloren und jetzt hatte er ihn auch noch verstoßen, wie Dad damals. Er hasste sich dafür!

„Dean …?, begann Thomas, der wenige Schritte hinter ihm stand.

Der schüttelte nur den Kopf und wandte sich zum Saloon.

Er brauchte jetzt Nähe. Menschliche Nähe und etwas, von dem er sich einbilden konnte, dass es Liebe wäre!

„Dean?“, rief der Cowboy ihm hinterher.

„Lass ihn, Carrie wird ihn auffangen können“, sagte Jacob.

„Carrie? Geht er noch immer zu ihr?“

„Für ihn lässt sie jeden Mann sitzen und die anderen Mädchen haben das strikte Verbot auch nur in seine Nähe zu kommen.“

„So schlimm? Na vielleicht sollten wir heute hier bleiben“, sagte Jake.

„Reite du nach Hause. Mrs. Margaret hat den Sonntagnachmittag ja gerne ihre ganze Familie zum Essen da. Ich bleibe hier und passe auf Dean auf“, schlug Thomas vor.

Der jüngste Harrison nickte.
 

Was nahm der Kerl sich eigentlich heraus? Erst belästigte er ihn immer wieder und verfolgte ihn regelrecht und dann nannte er ihn auch noch egoistisch und arrogant?

Wade war mehr als nur entrüstet.

Er hatte nie nach Erklärungen gefragt und er hatte nie darum gebeten, dass dieser Cowboy auf ihn aufpasste. Das konnte er schon lange selbst! Er war erwachsen!

Er wollte hier leben und er wollte Richter werden und dafür brauchte er bestimmt keine die Hilfe von einem Viehhirten!

‚Was sollte das überhaupt? Er hatte versucht mir meine Kindheit zu erhalten und er wäre noch ein Kind gewesen? Ein Kind kann kein Kind erziehen!’ Wer weiß unter welchen Wahnvorstellungen der Mann litt?

Und wieder fragte sich Wade warum der Kerl so sehr darauf bestand, dass er sein Bruder wäre. Was versprach er sich davon? Sie hatten so gar nichts gemeinsam!

Immer wieder hatte er über seine Familie nachgedacht, hatte überlegt ob sie noch lebten und wo. Doch nie hatte dieser Dean dabei eine Rolle gespielt.

Nach wie vor verkrampfte sich sein Magen, wenn er auch nur an diesen Menschen dachte.

Nein! Der gehörte nicht zu seiner Familie!

Und er hoffte, dass der es endlich begriffen hatte und ihn künftig in Ruhe ließ.
 

Dean zog sich wieder in sein emotionales Schneckenhaus zurück.

Er arbeitete allein und er blieb auch an den Abenden für sich. Nur wenn es um neue Arbeiten ging, sprach er mit den Anderen.

Abends saß er oft auf dem großen Stein hinter der Scheune, starrte in den Sonnenuntergang und grübelte.

Er wollte und konnte hier niemanden mehr an sich heranlassen. Jeden, der ihm näher stand, verlor er.

Mom, Dad, Bobby und jetzt auch noch Sam.

Der Einzige, der noch uneingeschränkten Zugang zu ihm hatte, und der es schaffte ihm immer wieder ein Lächeln in das Gesicht zu zaubern war Impala, und auch den würde er verlieren.

Er wollte, er konnte diese ständigen Verluste einfach nicht mehr ertragen. Jeden Tag schien sich sein Herz weiter zu verkrampfen. Er wollte nicht so werden wie John, doch er schien auf dem besten Weg dahin.

Auch Thomas blockte er immer wieder ab.
 

Die Harrisons versuchten ihn öfter aus der Reserve zu locken, doch sie konnten seine Reaktionen bis zu einem gewissen Punkt auch nachvollziehen. Für mehr fehlte ihnen das Wissen um das Leben ihres Cowboys.

Nur Thomas wusste mehr als jeder Andere hier von Dean, aber auch er konnte die Liebe mit der der Blonde an seinem kleinen Bruder zu hängen schien nicht nachvollziehen. Sam war erwachsen, der konnte doch selbst auf sich aufpassen, oder? Auf der anderen Seite hatte der ihm nur einen Bruchteil seines Lebens erzählt, also was wusste er schon?
 

Margaret versuchte Dean auf ihre Art zu helfen.

„Bleib heute hier, schlaf dich aus“, sagte sie immer wieder zu ihm, wenn sie sich sonntags auf den Weg zur Kirche machten und er Impala neben die Kutsche lenkte.

„Nein. So kann ich mich davon überzeugen, dass es Sam gut geht.“

„Das können wir dir auch sagen. Du musst dich deshalb nicht so quälen.“

„Ich würde für Sam noch viel mehr tun. Egal was ich gesagt habe. Er ist mein kleiner Bruder!“

„Dean, bitte!“, versuchte jetzt auch Sarah ihn zurückzuhalten.

„Ich wäre für Sam in die Hölle gegangen und ich würde ihn auch hier nie einer Gefahr aussetzen.“

„Du wärest was?“, wollte William wissen, der neben Dean ritt. Der hatte diesen Satz schon zu Sam/Wade gesagt, aber er verstand ihn nach wie vor nicht. Wie konnte man freiwillig in die Hölle gehen wollen FÜR Jemanden?

Doch der Winchester schüttelte nur den Kopf und zog den Hut noch tiefer ins Gesicht. Er gab Impala die Sporen und galoppierte voraus.

Die Harrisons schauten sich wieder einmal fragend an. Dean war und blieb ein Rätsel und nicht nur Margaret nahm sich vor, für den Winchester zu beten.
 

Die Sonne war schon eine Weile hinter den Horizont verschwunden. Dean saß hinter der Scheune auf einem großen Stein und schaute zum Mond. Sein Handy hielt er in der Hand. Bis jetzt hatte er die Akkus geschont, doch heute hatte Sam ihm mal wieder erklärt, dass er ihn hasste. Eigentlich war das etwas, das jedes Mal passierte, wenn der ältere Winchester in den Gemischtwarenladen kam und dort Sam über den Weg lief, aber heute war der 24. Januar. Ein Tag, an dem er, außer in den drei Jahren, in denen Sam in Stanford war, immer wenigstens einen Glückwunsch von seinem Kleinen bekommen hatte und ein Tag, den Dean eigentlich nicht mehr hätte erleben dürfen, wie inzwischen so viele Tage davor.

Doch sein kleiner Bruder war heute mehr als nur ein wenig streitlustig und abweisend gewesen und hatte ihm mal wieder unterstellt ihm nachzuspionieren, dabei wollte er nur den Stoff für Mrs. Margaret abholen.

Er hatte nicht mal geantwortet, sondern nur die ebenfalls fast normalen, gleichlautenden, Vorwürfe von Mrs. Duncan über sich ergehen lassen, alles eingepackt, bezahlt und war gegangen.

Es schmerzte auch so genug.

Jetzt brauchte er einfach ein wenig Zuspruch aus seiner Zeit. Schließlich war er heute... ja wie alt eigentlich? Minus 123. Nichts mit dreißig! Da blieb ihm die dritte Null ja glatt erspart.

Er zog den Flachmann aus der Tasche und prostete dem Mond zu. Dann öffnete er sein Handy und suchte sich AC/DC „Highway to Hell“. Eigentlich befand er sich eher auf der „Road to nowhere“, zwischen allen Stühlen haltlos herum schliddernd.

Er wusste nicht wohin es gehen sollte. Sollte er nach Osten aufbrechen und einen Weg zurück suchen?

Die Hoffnung, dass er nach Hause kam, hatte er noch nicht aufgegeben. Seinen Lohn hatte er alle zwei Wochen auf die Bank gebracht. Der Brief mit den Anweisungen war schon geschrieben und ebenfalls hinterlegt. Solange er hier blieb, würde er weiterhin sein Geld sparen und auf der Bank hinterlegen.

Aber wollte er zurück? Hier war es ruhig, die Arbeit machte Spaß und wenn Sam…

Tief sog er die Luft in seine Lungen.

Nein, Sam würde sich hier wohl nicht erinnern und solange auch nur eine kleine Chance bestand, dass er den alten Sam zurückbekommen konnte, wollte er zurück.

Aber dachte er dann nicht schon wieder nur an sich? Sam war hier glücklich! Hatte er das Recht ihm das zu nehmen?

Noch einmal holte er tief Luft und zwang seine Gedanken in eine andere Richtung.

Er grübelte über den Brief an seine Mom nach. Wie konnte er ihr erklären, dass sie in der Nacht des 2. November 1983 auf keinen Fall aufstehen sollte, ohne dass sie ihn für verrückt erklärte? Aber besser wäre wohl, wenn sie ganz aus Lawrence wegziehen würden. Dann würde der Dämon nicht zu ihnen, sondern zu einer anderen Familie kommen.

Konnte er das mit seinem Gewissen vereinbaren? Wollte er einer anderen Familie dieses Leben aufzwingen?

Dean nahm noch einen Schluck.

Sie hatten sich an dieses Leben gewöhnt, aber würde eine andere Familie auch mit dieser Bürde fertig werden?

Andererseits, warum mussten sie das erleben? Warum durften sie kein normales Leben führen? Auch sie hatten ein Recht auf ihre Mutter!

Er würde den Brief an seine Mom schreiben und ihn, entweder in Lawrence hinterlegen, wenn er nach Osten ging, oder ihn mit einer weiteren Anweisung hier auf der Bank hinterlegen. Dann würden seine Eltern das Geld bekommen und aus Lawrence verschwinden. Dann gäbe es keinen Dämon und Sam und er würden nie hier landen und er müsste sich keine Gedanken darüber machen, ob er seinen Bruder aus diesem Leben reißen durfte!

Mit einem tiefen Zug trank er die Flasche leer und ließ dann wahllos einen Titel laufen. Das Telefon an seinem Ohr gepresst, ließ er sich ins Gras sinken.
 

„Dean, was...?“, fragte Jacob vorsichtig.

Der Winchester schrak auf. Hastig klappte er sein Handy zu. Er hatte schon zuviel Zukunft in diese Zeit gebracht.

„Was ist mir dir?“, wollte der Harrison wissen.

Schweigend schüttelte der Blonde den Kopf.

„Du bist ja sonst schon kaum gesprächiger als ein Stück Holz, aber heute reden die Felsen mehr als du.“

Wieder antwortete er nicht.

„Dean, was? Ist heute irgendwer gestorben, hast du Geburtstag oder was?“

Der Winchester starrte durch Jake hindurch.

„Du hast Geburtstag!“

„Und? Ein Tag wie jeder andere!“, knurrte der Ältere.

„Hast du nie Geburtstag gefeiert?“

„Doch irgendwie schon.“

„Dann komm mit rein und wir feiern noch ein bisschen. Und Mama backt dir morgen einen Kuchen. Du hättest aber auch eher sagen können, dass du Geburtstag hast“, plapperte der Harrison.

„Jake, bitte. Ich will keinen Kuchen und ich will keine Feier.“

„Aber…“

„Das einzige, was ich wirklich will: Mit Sam einen trinken gehen. Und das kann ich nicht.“

„Trotzdem. Sarah hat ein Geschenk für dich. Das heißt Mama und Sarah. Sie haben es gemeinsam gemacht. Aber für Weihnachten war der Staubmantel wichtiger und meine kleine Schwester hatte es nicht mehr geschafft. Inzwischen haben sie es schon seit einer Woche fertig und suchen nur nach einem Grund es dir zu geben.“

„Bitte Jake, lass mich heute einfach nur in Ruhe, okay!“

„Okay, dann gibt es morgen eine Nachgeburtstagsfeier.“

Dean war eigentlich alles egal, Hauptsache heute ließen sie ihn alleine. Er brummelte etwas, das wie eine Zustimmung klingen könnte, und rollte sich auf dem Boden zusammen. Er wollte sich nicht mehr bewegen müssen.

Jacob nickte betrübt. Wieso war Sam so abweisend, wieso musste sich Dean so quälen? Warum? Was war das für ein Ding, dass er so schnell in seiner Tasche verschwinden lassen hatte. Aus dem Ding kam etwas, das wie Musik klang. Musik, die er nicht kannte und die komisch klang.

Und wieder fragte sich Jacob wer Dean war und woher er kam.

Ein Stück "Heimat"

80) Ein Stück „Heimat“
 

Am nächsten Morgen erwachte Dean in seinem Bett. Er war in der Nacht frierend wach geworden und in die Scheune gestakst.

Leise stöhnend rieb er sich die Augen. Er hatte gehofft, dass er seinen Geburtstag ohne viel Aufhebens abhaken könnte. Leider konnte Jacob ihn wohl fast so gut lesen wie Sam, oder er hatte einfach nur gut geraten. Es war egal, das Ergebnis war das gleiche.

Er stand auf, wusch sich und ging dann in die Küche, frühstücken.

Dort wurde er von strahlenden Gesichtern und einem gesungenen „Zum Geburtstag viel Glück“ empfangen und verdrehte innerlich die Augen. Er wollte so was nicht! Ein „Herzlichen Glückwunsch“ würde ihm doch reichen, wenn man den Tag schon erwähnen musste!
 

Nach einem reichhaltigen Frühstück zeigte eine hibbelige Sarah auf den Schaukelstuhl in der Kaminecke.

„Für dich!“, strahlte sie.

„Aber...?“, fragte er verwundert und schaute auf den Quilt.

„Deine Decken sind ja auch nicht das Wahre!“

„Aber der ist doch viel zu wertvoll für mich, das kann ...“

„Paperlapap!“, fiel ihm Margaret ins Wort. „Das waren Stoffreste!“

Mit leuchtenden Augen betrachtete der Winchester das Wunder aus Stoff. Der Quilt bestand aus lauter blauen und grünen Vierecken, die farblich trotzdem wundervoll zusammenpassten. Er war dick gefüttert. Doch am meisten ließ ihn das gestickte Bild in der Mitte staunen. Es war sein Pferd!

„Das ist doch viel zu ...“, begann er erneut, nur um sich gleich darauf zu unterbrechen. „Das ist wunderschön!“

Seine Finger glitten immer wieder über das Bild. Es sah Impala wirklich sehr ähnlich.

„So was Schönes hab ich noch nie bekommen!“, stammelte er leise. „Ich weiß gar nicht ...“

„Deine Freude ist uns Dank genug!“, sagte Margaret und lächelte.

„Danke!“

„Hauptsache du verbringst die nächsten Tage nicht nur im Bett.“

„Das kann ich nicht versprechen“, lachte der Winchester.
 

Ein paar Wochen waren vergangen.

Inzwischen war es März und Dean würde bald sein Einjähriges feiern können.

Die vier jungen Männer von der Harrison-Ranch wollten endlich wieder einmal einen Männerabend machen. Obwohl Abend eigentlich das falsche Wort war, denn sie waren schon am späten Nachmittag in der Stadt. Sie suchten sich einen Tisch im Saloon und bestellten jeder einen Teller Chili con Carne.

Sam und der Richter saßen ebenfalls an einem Tisch, in der anderen Ecke des Saloons, und brüteten über Büchern. Dean freute sich ja, dass sein kleiner Bruder wieder in seinem Element war, aber dessen totale Ablehnung schmerzte nach wie vor. Ob Sam in Stanford genauso übereifrig über den Büchern gesessen hatte? Wirklich nur lernen? Keine Party? Das war ja wohl doof! Studenten feierten doch ständig irgendwelche Partys, oder?

Kaum waren sie mit essen fertig und die Biergläser auf dem Tisch, als auch schon Carren bei ihrem Traummann saß und der ihr bereitwillig einen Kuss gab.

Thomas grinste Jacob und William breit an.
 

Vier Indianer betraten den Saloon.

Die Männer schauten nur kurz auf, ließen ihren Blick über die Neuankömmlinge gleiten und drei von ihnen wandten sich schnell wieder ihrem Gespräch zu. Auch Sam und der Richter hatten nur kurz aufgeschaut. Dean erstarrte.

Das waren die ersten echten Indianer, die er in seinem Leben zu Gesicht bekam. Denn die, die er in ihrer Zeit getroffen hatte, hatten eher wie Weiße ausgesehen und waren soweit weg von ihrem ursprünglichen Leben, wie er von einem Urlaub auf Hawaii.

Traurig schüttelte er den Kopf. Diese hier sahen fast so aus, wie er sie sich immer vorgestellt hatte.

Und dann waren sie …

„Carren, geh nach oben in dein Zimmer und komm erst wieder runter wenn ich es dir sage!“, erklärte er leise, ohne seinen Blick von den vier Neuankömmlingen abzuwenden.

„Aber ich ...“

„Geh Carren, bitte!“, sagte er noch einmal und war gar nicht mehr der ruhige Dean. Plötzlich war er ein Mann, der genau wusste was er tun musste.

Carren ging mit einem irritierten Gesichtsausdruck nach oben. Sie konnte sich nicht erklären, warum? Indianer kamen hin und wieder in den Saloon und nur selten gab es Probleme. Außerdem konnte sie sich selbst helfen! Aber wenn Dean wollte, dass sie ging, würde sie tun was er sagte.

Auch Deans Begleiter blickten ihn verwundert an. So kannten sie ihren Freund gar nicht. Dean war immer ruhig und höflich, jetzt? Jetzt war er ein vollkommen anderer Mann.

„Ihr bleibt hier!“, forderte er und stand auf. Den Blick starr auf die Indianer gerichtet ging er zum Tresen.

„Dean, es sind nur Indianer! Die tun niemanden etwas. Sie wollen auch nur etwas trinken“, versuchte William ihn zu bremsen. Hatte die vielleicht etwas mit Deans Auftauchen in der Ebene zu tun? Hatten Indianer ihn dort ausgesetzt? Aber dann hätten sie Spuren finden müssen! Nein, das konnte es nicht sein.

Der Winchester reagierte nicht.

„Was willst du, Bleichgesicht?“, wollte der größte der Vier wissen.

„Christo!“, war alles was Dean antwortete und er klang dabei traurig und zu allem entschlossen zugleich.

Thomas erstarrte erschrocken.

Die Augen der Indianer färbten sich für einen Augenblick schwarz.

„Ein Jäger!“, kicherte einer der Vier. „Welch seltener Besuch!“

„Ich dachte immer ihr hättet eure eigenen Dämonen“, sagte der Winchester traurig.

„Wir sind nicht auf eure Körper festgelegt! Das wäre ja nur der halbe Spaß und zuviel der Ehre für euch! Außerdem, sie sind noch verwirrter als ihr, wenn wir sie wieder verlassen. Es ist so toll zu sehen, wie sie versuchen sich dann zurecht zu finden!

„Ihr scheint euch immer schon gern reden zu hören!“
 

„Was soll das schon wieder mit diesem Jäger?“, fragte William, während Thomas sich straffte. Auch er hatte die schwarzen Augen gesehen und wusste, was Dean da vor sich hatte, auch wenn er es schon bei seinem „Christo“ geahnt hatte. Zumindest hatte der ihm von Dämonen erzählt und davon, dass die in Menschen fuhren und durch die schwarze Augen zu erkennen waren.

Aber was sollte er jetzt machen? Wie konnte er Dean helfen? Wenn er den Winchester richtig verstanden hatte, dann waren Dämonen das Schlimmste, was es zu jagen gab.

„Dean hat doch mal erwähnt er wäre Jäger“, warf Jacob ein und schaute kurz zu seinem Bruder.

„Ja aber er hat uns nie erklärt, was er damit meinte“, bestätigte William.

„Mir schon, aber ich konnte nicht wirklich glauben dass es das wirklich gibt.“

„Was gibt? Und woher wissen die Indianer, dass er ein Jäger ist?“, hakte William nach.

„Es sind keine Indianer, nicht wirklich und er hat sich verraten!“, versuchte Thomas zu erklären was er selbst kaum verstand. Er erhob sich von seinem Stuhl, obwohl er noch immer nicht wusste, was er tun konnte. Dean hatte ihm einmal gesagt, dass es besser wäre einem Dämon aus dem Weg zu gehen.

Zumindest wenn man nicht Winchester hieß und damit seine Erfahrungen hatte und das Thema danach nie wieder aufgegriffen.
 

Deans Hand wanderte langsam zum Colt.

„Du weißt doch, Jäger, es gibt keine Waffe die uns töten kann“, lachte einer der Dämonen, also lass dein Spielzeug stecken.“

„Och, ich kenne schon zwei, die ihr fürchten solltet“, erklärte der Blonde ruhig und zog den Colt. „Und das ist eine davon.“
 

Auch Sam starrte auf die Ureinwohner. Auch er konnte sich nicht daran erinnern je einen Indianer gesehen zu haben, was nicht hieß, dass es auch so war. Aber warum musste dieser Kuhtreiber die denn gleich bedrohen? Sie hatten nun wirklich nichts getan!

Er hatte es schon immer gewusst, dass der Kerl nicht ganz dicht war. ‚Wer weiß, was der mit mir angestellt hätte!‘, überlegte er.
 

Der Jäger wurde lästig. Vielleicht konnte eine kleine Demonstration ihrer Macht ihn ja ruhigstellen, überlegte der Sprecher der Dämonen. Eine kleine Handbewegung seinerseits und schon wurde Dean durch den Raum geschleudert und prallte hinter dem Tisch, an dem er gesessen hatte, gegen die Wand.

Mit einem leisen Stöhnen landete er auf dem Boden.

William, Thomas und Jacob waren aufgesprungen und eilten jetzt zu Dean.

„Was? Was ist passiert? Was war das?“, bestürmten sie ihn mit Fragen.

„Wie ich das hasse!“, knurrte der Winchester.

„Wie kann ich dir helfen?“, wollte Thomas wissen.

„Ducken!“, keuchte Dean und stemmte sich in die Höhe. Zu gerne hätte er jetzt eine Dämonenfalle und Johns Tagebuch. Er wollte sie nicht erschießen müssen. Doch wann fragte schon mal einer, was er wollte. Er musste sie loswerden. Die Dämonen waren eine Gefahr für alle hier.

Sofort stürmte er wieder zum Tresen. Noch im Laufen hob er den Colt auf, der neben ihrem Tisch lag und schoss.

Sam und Richter Hastings sprangen erschrocken auf. Der Verrückte hatte Einen erschossen! Aber ...?

Noch während der eine Dämon flackernd starb, ließ die Handbewegung eines anderen Dean über den Tresen fliegen und hart gegen die, an der hinteren Wand aufgestellten, Flaschen prallen. Wieder landete er auf dem Boden.

Scherben regneten um ihn herum.

„Holt den Sheriff! Die Rothäute machen Ärger!“, drängte der Richter und lief die wenigen Schritte von seinem Tisch zu den Indianern vor dem Eingang. Sam folgte ihm wie ein Schatten.

Auch Deans Begleiter stürzten auf die Indianer zu. Sie hatten zwar keine Ahnung, was sie tun könnten, aber hier ging es nicht mit rechten Dingen zu, dass konnten sie erkennen und irgendwie mussten sie die, Was-auch-immer, doch von ihrem Freund ablenken können. Denn der wusste offensichtlich womit er es zu tun hatte.
 

Zwei weitere Dämonen betraten den Saloon und warfen einen erstaunten aber mitleidlosen Blick auf den toten Körper. Einer der Beiden trug zwei bewusstlose Kinder unter den Armen

„Was soll das? Was wollt ihr mit den Kindern. Lasst sie los!“, rief der Richter.

„Warum sollten wir?“, lachte einer der Indianer.

Glasscherben knirschten als Dean auf die Beine kam. Ächzend richtete er sich auf. Sein Schädel dröhnte. Er fasste sich an den Hinterkopf.

Eine Weile starrte er auf die blutverschmierte Hand ohne wirklich zu begreifen, was hier passiert war.

„Lasst die Kinder in Ruhe!“, forderte der Richter erneut.

„Nein! Kinderkörper sind gefragt! Lilith sucht schon lange nach einer neuen, passenden Hülle. Sie hat da spezielle Wünsche.“

Für einen Augenblick erstarrte Dean, dann schlug der Name „Lilith“ mit voller Wucht zu. Den Krallen des Höllenhundes in seinem Körper war er sich wieder schmerzlich bewusst. Er straffte sich.

Seine Augen suchten den Colt. Er musste einschreiten! Er war der einzige, der wusste, was genau hier passierte. Im Stillen verfluchte er sich für seine Unbekümmertheit. Er hatte kein Weihwasser dabei. Es war hier so ruhig gewesen, dass er angenommen hatte, hier wäre er in Sicherheit. Wie einfältig er doch war! Er wusste doch, was es alles auf der Welt gab! Warum nur hatte er kein Weihwasser dabei?

Fieberhaft suchte er nach einem Rosenkranz, aber er fand nichts.

Doch dann fiel sein Blick das Kreuz in der Mitte der Wand. Hektisch riss er es an sich und tauchte es in einen Eimer mit Wasser unter dem Tresen. Hastig sprach er den Segen und griff nach einem Glas. Er tauchte es in das Wasser, dann richtete er sich auf.

„Viele Grüße an Lilith!“, blaffte er und schüttete das Weihwasser über den Dämon, der ihm am nächsten stand.

Schreiend hielt sich der Getroffene die Hände vors Gesicht. Rauch kräuselte sich zwischen seinen Fingern hindurch.

„Langsam wirst du lästig, Jäger!“, sagte einer der schwarzäugigen Indianer genervt und riss den Winchester mit einer weiteren lässigen Handbewegung erneut von den Füßen. Wieder flog er durch den Raum und prallte hart gegen das Treppengeländer. Er schlug auf den Boden und blieb bewusstlos liegen.

„Und ihr bleibt wo ihr seid!“, befahl ein weiterer Dämon. Eine Handbewegung von ihm ließ die Cowboys in ihrer Bewegung erstarren.

Er wandte sich zur Tür: „Nehmt die zwei auch mit!“, sagte er noch und verließ den Saloon.

Sam und der Richter, ebenfalls unfreiwillig erstarrt, wurden gepackt und zu den Pferden gezerrt.

Kaum war der letzte Dämon wieder auf der Straße, als die Starre von den drei Männern fiel.

Schnell liefen sie zu Dean, der noch immer ohne Bewusstsein war.

„Thomas? Kannst du sie verfolgen? Dean dreht durch, wenn er zu sich kommt und erfährt, dass Sam entführt wurde“, sagte Jacob.

Thomas nickte und verschwand ebenfalls durch die Tür.

Sie trugen den Winchester zu Carren.

„Mein Gott, was ist mit ihm?“, rief sie erregt.

„Die Indianer“, erklärte William barsch.

Mit zitternden Fingern untersuchte sie den Bewusstlosen. Sie wusch die Wunde am Hinterkopf aus und verband sie genauso wie die Schnittwunde an der Handfläche der linken Hand.

Indianer

81) Indianer
 

Carren hatte sich einen Stuhl neben das Bett gezogen. Zärtlich hielt sie Deans Hand umschlossen und strich mit ihrem Daumen immer wieder über seinen Handrücken, während die Finger ihrer Linken durch seine kurzen Haare strichen.

Unruhig liefen die Männer im Zimmer auf und ab. Sie hatten versucht zu verstehen, was passiert war, doch sie waren zu keinem Ergebnis gekommen

Mit einem gequälten Knurren drehte sich der Winchester endlich auf die Seite und blinzelte.

„Sammy?“, fragte er heiser.

„Nein, wir sind es bloß“, antwortete Jacob.

Noch einmal blinzelte Dean und setzte sich dann auf. ‚Verfluchtes Dämonenpack‘, dachte er. Eine Gänsehaut lief über seinen Rücken. Er hatte vergessen wie furchtbar Dämonen aussahen.

Nein, er hatte es nicht vergessen, er hatte es verdrängt.

Lautlos schob sie ihren Stuhl zur Seite. Sie wusste, wie wichtig Dean sein Bruder war und dass sich sein Denken jetzt ausschließlich um ihn drehen würde. Viel zu oft hatte sie ihn nachts, wenn er träumte nach dem Jüngeren fragen hören.
 

„Dean? Was war das? Was ist dort unten passiert? Was war mit den Apachen?“, drängte William zu wissen. „Wieso konnten die ...“

Eine Handbewegung ließ ihn verstummen.

„Ich ...“ der Winchester schüttelte den Kopf, kniff die Augen zusammen. Da fiel er doch lieber vom Pferd.

„Ich kann es dir nicht erklären. Das ist eine Welt, die du nicht kennenlernen willst!“

„Aber Dean, wir waren dabei. Bitte!“

„Nein! Aber ich muss … Die Kinder. Sie sind unschuldig und … Oh mein Gott Lilith! Sie lebt! Aber wir …, Sam hat sie doch...“ Dean war übel. All die mühsam verdrängten Erinnerungen, all die Angst um Sam, um sein Leben und vor der Hölle kamen wieder in ihm hoch. Er atmete tief durch.

Natürlich lebte Lilith noch. Sie würde erst in 152 Jahren sterben.

Dean wollte sich mit den Fingern durch die Haare fahren, stoppte aber an dem Verband.

„Die Kinder?“, fragte er rau und schaute zu William.

„Sie haben sie mitgenommen!“

„Sie haben ...“, der Winchester schluckte. Dann holte er tief Luft und stand auf. Kurz schwankte er.

„Wohin?“

„Wir wissen es nicht, aber Thomas folgt ihnen.“

„Ist Sam in Sicherheit?“

„Dean ... Sie ...“, begann Jacob leise.

„Was ist mit Sam?“

„Ihn und den Richter haben sie auch mitgenommen.“

„Verdammt!“, fluchte der Blonde und zog die Brauen zusammen, als seine eigene Stimme seine Kopfschmerzen noch verstärkte.

‚Denk nach Dean, denk nach!‘, forderte er seinen brummenden Schädel auf.

„Wisst ihr wenigstens in welche Richtung sie sind?“, wollte er wissen.

„Nein, aber Thomas ist ein sehr guter Fährtenleser.“

Der Winchester überlegte. Seine Augen huschten hektisch hin und her. Wie konnte er die Dämonen besiegen und Sam und die Kinder retten?

„Ich muss zur Ranch zurück. Ich brauche Dads Tagebuch“, sagte er mehr zu sich selbst und ging zur Tür.

William stellte sich ihm in den Weg: „Nein, Dean. Du solltest dich ausruhen. Ich hole dir das Buch wenn du mir sagst wo es ist“, hielt er ihn auf.

„Es ist mein Job! Ich hab mein Leben lang nichts anderes gemacht!“, fuhr er den älteren Harrison wütend an. ‚Ich hab es mal wieder versaut!’, dachte er traurig, ‚Ich hätte auf Sam aufpassen müssen, jetzt wo er sich nicht mehr wehren kann noch mehr als sonst!’

Warum vermasselte er es nur immer wieder?
 

Der Mond stand hoch am Himmel als Thomas den Saloon wieder betrat.

Kurze Zeit später kam auch Dean zurück. Er nahm den Hut ab, zerrte den Verband herunter und wischte sich den Staub vom Gesicht. Was würde er jetzt für ein paar Aspirin geben? In seinem Kopf hämmerte es wie in einem Stahlwerk.

„Wasser“, warf er den Barmann zu und ignorierte dessen dümmlich fragendes Gesicht.

„Wo sind sie?“, wollte er von seinem Freund wissen.

„In einer kleinen Schlucht. Es sind wirklich keine Indianer. Ich hätte ihnen offen folgen können. Sie haben keine Spuren verwischt und sich nicht einmal umgesehen.“

„Das müssen sie auch nicht. Sie haben andere Mittel und Wege um sich zu schützen.“

„Aber was…“

„Lasst uns reiten!“, würgte der Winchester weitere Fragen ab und kippte das Wasser herunter.

Müde rieb er sich die Augen.

Während die Anderen ihre Pferde fertig machten, füllte er seine Wasserflasche mit Weihwasser.
 

Wortlos ritten sie in Richtung Westen.

Immer wieder versuchten die Harrison-Brüder ein Gespräch mit dem Winchester zu beginnen, doch sie hatten keinen Erfolg. Dean war so gar nicht der ruhige, manchmal fast schüchterne, introvertierte Mann, den sie kennen gelernt hatten. Er war hier ganz der Profi, den sein Vater und das Leben, das er bisher geführt hatte aus ihm gemacht hatten. Hier war er ganz eiskalter Jäger. Keine Gefühlsregung drang nach außen und verriet wie es in ihm aussah.

Die Brüder gaben auf. Sie würden warten, bis Dean sich wieder so benahm, wie er normalerweise war.

Oder war das der echte Dean?
 

Als die Sonne aufging kamen sie an einen Canyon.

„Da drin sind sie verschwunden“, sagte Thomas und betrachtete die Spuren vor dem Ausgang, „und hier sind keine Hufabdrücke, die herausführen, also sind sie noch drin.“

Dean sah ihn fragend an.

„Der Canyon hat nur einen Zugang.“

„Okay!“, sagte Dean, kontrollierte den Colt und drückte Jacob die Zügel seines Pferdes in die Hand.

„Was soll das?“, fragte der Jüngere irritiert.

„Pass auf ihn auf!“

„Wieso? Die Pferde können sich gut selbst kümmern. Wir kommen mit dir mit!“

„Ihr bleibt hier!“

„Du wirst Hilfe brauchen!“, sagte Thomas.

„Ihr wisst nicht, was auf euch zukommt und ich werde genug zu tun haben, da kann ich nicht noch auf euch aufpassen.“

„Aber wir können dir helfen, es sind Indianer!“

„Nein, Indianer hätten einen Posten hier am Eingang aufgestellt, sie hätten ihre Spuren hierher verwischt und es mir schwer gemacht ihnen nachts zu folgen. Nichts dergleichen haben sie gemacht. Es sind wirklich keine“, überlegte Thomas. „Aber du wirst trotzdem Hilfe brauchen.“

„Nein, ihr helft mir mehr, wenn ihr hier bleibt“, erklärte er und holte tief Luft. Sein hämmernder Schädel verursachte ihm Übelkeit.

„Dean ...“

„Okay!“, der Winchester verdrehte die Augen. Tom hatte Recht. „Thomas kommt mit. Aber halte dich im Hintergrund!“

Der Cowboy nickte und schaute interessiert zu, wie Dean etwas aus dem Tagebuch in seine Hand schrieb. Dann legte der den Stift zwischen die Seiten, schloss das Buch und hielt es Tom hin.

„Wenn ich nicht weiter komme, dann lies es einfach vor!“, sagte er und schob Thomas in Richtung Canyon.
 

Die beiden Zurückgelassenen schauten sich verwundert an.

Jetzt mussten sie schon wieder zusehen wie ihre Cowboys zusammen etwas unternahmen und sie wie kleine Kinder stehenließen. Nicht, dass sie ihnen die Freundschaft nicht gönnten, aber irgendwie fühlten sie sich ausgeschlossen. Außerdem waren sie mehr als nur neugierig, was hier gespielt wurde.

„Was war das eigentlich?“, nahm Jacob die Diskussion wieder auf, die sie in dieser Nacht schon fast zu oft erfolglos geführt hatten.

„Ich habe keine Ahnung, aber ich weiß, dass auch Indianer nicht flackernd sterben.“

„Ja, und sie können einen Menschen auch nicht einfach so durch die Luft werfen, schon gar nicht mit nur einer Handbewegung.“

„Ach verdammt! Wir zerbrechen uns hier die Köpfe und kommen doch zu keinem Schluss! Ich denke wir sollten Dean fragen. Wenn sie in einer Stunde nicht wieder hier sind, dann folgen wir ihnen!“, bestimmte der Ältere.
 

Die Fesseln scheuerten an seinen Handgelenken und doch rieb er die Stricke immer weiter über den Stein in seinem Rücken. Irgendwann mussten diese Seile doch nachgeben!

„Hört auf Wade, Ihr werdet Euch nur noch mehr verletzen. Eure Gelenke bluten schon“, raunte ihm der Richter zu.

„Irgendetwas müssen wir doch tun.“ Außerdem hielt ihn das davon ab, sich weiter Gedanken über das Geschehen zu machen, die zu keinem Ergebnis führten. Immer wieder versuchte er Indianer, die flackernd starben und einen Mann, der ohne sichtliche Berührung durch die Luft geworfen wurde in Einklang mit seinem Wissen zu bringen, ein vollkommen sinnloses Unterfangen. Da konzentrierte er sich lieber darauf seine Stricke zu durchtrennen.

„Die Armee wird uns befreien.“
 

Eine Weile war nur das leise Weinen der Kinder zu hören.

„Seid ruhig“, bellte einer der Indianer die beiden an, die daraufhin noch lauter schnieften.

„Klappe, hab ich gesagt!“, brüllte er und schlug dem Jungen ins Gesicht.

„Lass die Kinder in Ruhe!“, schrie Sam und richtete sich mühsam auf.

„Oder was?“, wollte der Indianer wissen und boxte dem Weißen in den Magen.

Japsend knickte San ein und plumpste keuchend wieder auf seinen Hintern.

„Die Armee wird kurzen Prozess mit ihnen machen!“, versicherte ihm der Richter leise.

„Mich würde interessieren, warum sie uns entführt haben“, wollte der Jüngere nach einer Weile wissen.

„Sie wollen Lösegeld erpressen, oder Alkohol“, antwortete der Richter mit einer Verachtung in der Stimme, die ihn schaudern ließ.

„Aber sie hätten im Saloon doch den Alkohol bekommen können. Sie hätten ein paar Flaschen mitnehmen können.“

„Vielleicht hat der Kerl, der behauptet Euer Bruder zu sein, sie bei irgendetwas gestört?“

„Der ist schuld, dass wir entführt wurden?“ Sams Bauchschmerzen verschlimmerten sich, als die alte Wut wieder zuschlug. Nur zu gern war er bereit die Schuld für seine missliche Lage dem Mann zuzuschieben, der immer wieder versuchte ihm das glückliche Leben zu vergällen, das er hier führte.

„Seine Handlungen werden dazu beigetragen haben“, bestätigte der Ältere.

„Er hat einen der Indianer erschossen! Ich werde dafür sorgen, dass er sich vor Gericht verantworten muss!“

„Wade, es war nur ein Indianer!“

„Er hat einen Menschen erschossen!“, protestierte der Jüngere.

„Indianer und Sklaven stehen weit unter uns. Es ist kein Verbrechen sie zu erschießen“, erklärte der Richter beiläufig.

Sam schüttelte den Kopf. War das sein Verständnis von Recht?
 

Langsam schlichen Dean und Thomas an den Felsen entlang. Der Sand dämpfte ihre Schritte.

Sie hatten etwa ein Drittel des Canyons abgesucht, als sie einen dunklen Spalt in der Felswand sahen. Angestrengt lauschte Dean.

Leise Geräusche drangen aus der Spalte an sein Ohr, doch er konnte sie nicht eindeutig einem Menschen zuordnen. Er wollte sich gerade in die Spalte zwängen, als ein leises Wimmern an sein Ohr drang und gleich darauf hörte er ein klatschendes Geräusch.

Ein wütendes Knurren drang jetzt an sein Ohr.

„Nicht mehr lange, dann ist es euch egal, was mit den anderen passiert. Dann seit ihr nur noch Gast in eurem eigenen Körper!“

Dean überlegte, ob er sich in die Spalte zwängen sollte. Doch er wusste weder wo die Dämonen waren, noch würde Sam ihm helfen. Dann grinste er, suchte sich einen Stock und zeichnete eine Dämonenfalle vor die Spalte.

„Was wird das?“, fragte Thomas flüsternd.

„Eine Dämonenfalle. Wenn sie einmal drin sind, dann können sie nicht mehr raus.“

Und dann begann Dean mit einem sichernden Blick in seine Hand laut und deutlich:

„Deus, conditor et defensor genisis humani, qui hominem ad imaginem tuam formasti: resice super hunc famulum tuum, qui immundi spiritus appetitur....“
 

Die Dämonen in der Höhle krümmten sich zusammen. Schnell drängten sich zwei durch den Spalt nach draußen und landeten in der Falle. Wütend starrten sie zu dem Winchester, der sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte.

Die beiden in der Falle starrten konzentriert auf den Boden.

Ein leichter Wind kam auf.

„... sinccerus, debitum praebere famulatum per Dominum. Amen.“

So langsam sollte er den Exorzismus doch auswendig können! Wenn er sich im Lateinischen nur nicht immer in den Zeiten verhauen würde! Aber er hatte das wichtigste ja in der Hand stehen.

Schnell machte er weiter: „Adjuro te, serpens antique, per judicem vivorum et mortuorum, per factorem tuum, per factoruem mundi, per eum, qui habet potestatem mittendi te in gehennam.....“

Die Dämonen in der Höhle schrien vor Schmerzen.

Der Wind wurde stärker.

„... Imperat tibi majestas Christi imperat tibi Deus Pater, imperat tibi Deus Filius, imperat tibi Deus spiritus sanctus. Imperat.....“

Inzwischen tanzten Windhosen durch die enge Schlucht und wirbelten den Sand auf. Thomas kauerte sich an der Felswand zusammen, sein Gesicht so gut es ging schützend.

Der Winchester musste die Augen zusammenkneifen. Hustend sprach er weiter.
 

Auch die Brüder vor der Schlucht duckten sich verwundert, als die ersten Sandböen über sie hinweg pfiffen.
 

„... Adjuro ergo te, draco nequissime, in nomine Agni immaculati, qui ambulavit super aspidem et basiliscum....“

Der Sand drang Dean in Augen, Nase und Mund. Immer wieder musste er husten und bekam kaum noch Luft. Der Sand knirschte zwischen seinen Zähnen.

„... tibiquepossit hic famulus tuus et corde firmatus et mente sincerus, debitum praebere famulatum. Per Dominum. Amen.“

Die beiden Dämonen brachen in die Knie. Sie rissen die Köpfe nach oben und schwarzer Qualm drang aus ihrem Mündern. Auch die Indianer in der Höhle brachen zusammen.

Der Wind erstarb augenblicklich.

Dean knickte in die Knie und hustete und würgte den Sand aus seiner Lunge.

Endlich war er in der Lage sich zu erheben und drängte sich in die Höhle.

Schnell hatte er den Gefangenen die Fesseln durchgeschnitten und schob sie nach draußen wo sie von Thomas in Empfang genommen wurden.
 

Der Winchester wandte sich den Indianern zu.

“Alles okay bei euch?”, wollte er heiser wissen.

Sie starrten ihn nur verwirrt an.

„Das waren Dämonen der Weißen. Wisst ihr noch, wo sie in euch eingedrungen sind?”

Wieder starrten sie ihn nur an.

“Ich kann euch leider nicht weiter helfen. Ich habe nichts, das ich euch dagegen geben könnte. Können eure Götter euch vielleicht schützen?”, fragte er.

Wieder nur dieser fragende, verängstigte Blick.

“Ruht euch aus und dann kehrt zu eurem Stamm zurück.”

Er hoffte, dass sie ihn verstanden, dann drängte auch er sich durch die Spalte nach draußen.
 

“Was ist mit den Indianern? Habt Ihr sie gefesselt? Ich werde den Sheriff sofort hierher schicken und sie verhaften lassen”, sagte der Richter und setzte sich in den Sand.

“Ihr werdet gar nichts. Die Indianer können nichts dafür.” Wieder musste er husten und nahm dankbar die Wasserflasche entgegen, die Thomas ihm hinhielt.

“Aber ...”

“Nichts aber! Sie sind genauso Opfer wie Ihr oder ... Wade oder die Kinder! Und wenn Wade noch Sam wäre, könnte er Euch das auch erklären.”

“Ich bin nicht Sam!”

“Leider!”, sagte Dean gequält und verdrehte, schon wieder hustend, die Augen. Selbst jetzt musste sein kleiner Bruder rumzicken. Konnte er nicht einfach “Danke” sagen?

“Ihr habt uns befreit, wie auch immer, aber ihr seid auch schuld daran, dass sie uns entführt haben. Ich werde Euch nicht um den Hals fallen oder euch gegen meine innere Überzeugung nur dafür als meinen Bruder anerkennen!”, sagte Sam und wandte sich ab um dem Richter aufzuhelfen.

Dean verdrehte nur wieder die Augen und ging zu den Kindern. Wieso nur war Sam so ein arrogantes Arschloch?

“Hallo, ich bin Dean!”, stellte er sich vor. “Und wie heißt ihr?”

“Bethanny Langdon. Mein Papa ist der Arzt. Ihr müsst mich doch kennen, schließlich ward Ihr schon bei uns! Und das ist Jason Waxman, der Sohn des Pfarrers.”

“Natürlich kenne ich Euch, Miss Langdon. Eure Teeparties sind legenär“, grinste er leicht. “Hallo ihr zwei. Was haltet ihr davon, wenn wir hier verschwinden?”

Die Kinder nickten sofort.

“Wisst Ihr, wo die Pferde stehen?”, wollte der Winchester von Sam und dem Richter wissen.

„Sie haben sie weiter in den Canyon getrieben.“

„Passt bitte auf die Kinder auf“, bat er und ging mit Thomas nach hinten.
 

Bald kamen sie mit zwei Pferden wieder.

„Was ist mit den Anderen?“, wollte Sam wissen.

„Die Apachen wollen bestimmt auch nach Hause und die Kinder können bei uns mit reiten.“

„Aber das … Diese Rothäute haben uns entführt und soweit ich gesehen habe Euch verletzt und Ihr wollt sie ziehen lassen?“

„Natürlich!“, krächzte er.

„Aber ….“

Der Blonde nahm die beiden Kinder an die Hand und ging, eskortiert von seinem Freund, langsam mit ihnen zum Ausgang des Canyons.
 

„Dean, Tom? Seid ihr okay?“, fragte Jacob auch sofort, als er den blassen Mann mit den roten Augen und die Kindern auf sich zukommen sah.

„Uns geht’s gut!“, antwortete er auch gleich, doch sein müdes Gesicht sprach eine andere Sprache.

„Könnt Ihr reiten, Richter?“, fragte er den älteren Mann und der hievte sich sofort auf eines der mitgebrachten Pferde. Auch Sam stieg auf und hielt sich in der Nähe seines Mentors um dem gegebenenfalls helfen zu können, und um nicht in die Nähe seines angeblichen Bruders zu kommen.

Dean hob den kleinen Jungen zu Thomas auf‘s Pferd, schwang sich dann auf Impalas Rücken und ließ sich von Jake die kleine Bethanny hochreichen.

Langsam ritten sie zurück nach El Paso.

Bruder zu verschenken?

82) Bruder zu verschenken?
 

Träge hingen die Cowboys in ihren Sätteln und ließen die Pferde gemächlich Richtung El Paso trotten.

Sie alle waren müde und Dean außerdem noch körperlich angeschlagen.

Es hatte ihm auch nicht viel geholfen, dass er das ganze Weihwasser getrunken hatte, seine Kehle fühlte sich noch immer an, als hätte er eine halbe Wüste inhaliert. Außerdem meldete sich jetzt, da er mehr Ruhe hatte, sein Kopf wieder pochend und auch die Prellungen spürte er als dumpfe Schmerzen.

Eigentlich wollte er nur noch ein Bett und eine Woche schlafen.

Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Wann hatte er das je gekonnt?
 

Die Kleine in seinen Armen zitterte wieder stärker und er legte seinen Staubmantel dichter um sie.

„Aber du bist gar nicht böse!“, stellte sie plötzlich mit kindlicher Überzeugung fest und schob ihre Nase weiter aus dem Mantel um zu ihm hoch schauen zu können.

„Warum sollte ich das sein?“, fragte er heiser.

„Weil du Wade wegnehmen willst.“

„Wer sagt das denn?“

„Mrs. Duncan sagt, du willst uns Wade wegnehmen.“

„Hm …“

„Warum?“, fragte sie neugierig.

„Wade ist mein kleiner Bruder, aber er kann sich nicht daran erinnern.“

„Warum nicht?“

„Er war sehr krank und da hat er es wohl vergessen.“

„Willst du ihn wegnehmen, damit er sich erinnert?“

„Ich will ihn nicht wegnehmen. Aber er ist alles, was ich von meiner Familie noch habe und ich möchte gerne, dass er das auch weiß und ich möchte wieder etwas mit ihm zusammen machen können. Er fehlt mir“, gab er offen zu.

Das Mädchen überlegte eine Weile: „Das ist traurig. Aber wenn er nicht mehr dein kleiner Bruder ist, kannst du dann mein Bruder sein? Ich wollte immer einen großen Bruder haben. Ich werde dich auch nie vergessen und ich würde dich auch immer zu meinen Parties einladen“, erklärte sie dann voller Überzeugung.

Ein Lächeln huschte über Deans Gesicht: „Ich weiß nicht, ob das so gut wäre. Was würden deine Eltern dazu sagen?“

„Die würden dich bestimmt auch mögen.“

„Und wenn ich weg muss?“

„Du willst weg?“

„Vielleicht.“

„Dann kommst du ja vielleicht später wieder.“

„Ich weiß nicht“, sagte er leise und musste erneut lächeln. Die Kleine hatte es doch tatsächlich geschafft ihn ein wenig von seinen Kopfschmerzen abzulenken.
 

Sam ritt unterdessen zwischen Jacob und Thomas, der den schlafenden Jason ebenfalls in seinen Mantel gewickelt hatte.

„Ich möchte Euch danken, dass Ihr uns befreit habt“, wandte er sich von einem zum anderen.

„Da solltet Ihr zu Dean gehen. Ohne ihn würdet Ihr noch immer in der Höhle sitzen“, sagte Jacob.

‚Schon wieder dieser Dean!‘ Sam verdrehte die Augen.

„Was ist das mit ihm und Euch? Warum wollt Ihr ihm nicht einmal zuhören?“, fragte Thomas gerade heraus.

„Wisst Ihr, was ich nicht verstehe? Wenn ich meine Erinnerungen verloren hätte und mir würde jemand eine Möglichkeit bieten, diese vielleicht wiederzufinden. Ich würde diese Hand mit Freuden ergreifen. Aber Ihr? Ihr sträubt Euch mit Händen und Füßen. Was habt Ihr gegen Dean?“, ergriff der jüngste Harrison das Wort.

„Ich … Ich bin hier glücklich. Ich habe hier ein Leben, ein glückliches Leben und ich habe immer wieder den Eindruck, dass der mich hier rausreißen will, dass er mich zu irgendetwas zwingen will, was ich nicht möchte. Ich will Richter werden und das kann ich wohl kaum, wenn ich mit ihm hinter dummen Rindviechern her reite und Staub schlucke!“, knirschte Sam ungehalten. Er wollte nicht schon wieder über dieses leidige Thema ‚Dean Winchester‘ reden. Am besten wäre es, wenn der Kerl endgültig aus seinem Leben verschwinden würde! Warum ließen sie ihn nicht einfach in Ruhe.

„Habt Ihr Euch gerade zugehört? Ich … Ich … Ich! Wie egoistisch kann ein Mensch noch sein? Habt Ihr Euch nie gefragt, wie es ihm dabei geht? Wie es sich anfühlen muss, seinen Bruder zu finden und von dem immer wieder weggestoßen zu werden? Es ist wirklich kein Wunder, dass Dean keine Nähe zulässt, wenn Ihr so auf seinen Gefühlen herum trampelt!“ Jacob war lauter geworden, als er es eigentlich wollte, aber diese Ablehnung regte ihn auf und Thomas nickte zustimmend.

„Er behauptet mein Bruder zu sein, aber wo war er, als ich durch die Ebene geirrt bin? Er hätte doch an meiner Seite sein müssen, oder?“ Herausfordernd reckte Wade sein Kinn in die Höhe.

„Hätte er?“, fragte Jacob aggressiv und musste sich bremsen um diesen aufgeblasenen Kerl nicht vom Pferd zu zerren und ihm seine Faust ins Gesicht zu schlagen.

„Hätte er? Mein Bruder und ich haben Dean vor fast einem Jahr etwa zwei Stunden nördlich von El Paso gefunden. Er war ausgetrocknet und von der Sonne schwer verbrannt. Er hatte Eine Schusswunde an der Schulter, die vielleicht eine Woche alt war. Sein Handgelenk, Knie und Fußgelenk waren dick geschwollen und er hatte etliche, teilweise schwere Prellungen am ganzen Körper. Woher sollen wir denn wissen, dass nicht Ihr schuld daran ward?“

Sam schluckte: „Warum sollte ich das getan haben?“

„Warum sollte Dean Euch allein in der Ebene gelassen haben?“

Darauf wusste der auch keine Antwort.

„Und noch etwas. Zu der Zeit, als man Euch in El Paso gefunden hat, war Dean mit uns in Tucson die Herde verkaufen. Wir waren zwar nicht die ganze Zeit zusammen, aber um von Tucson nach El Paso und wieder zurück zu reiten hätte er mehr Zeit gebraucht als diese fünf Tage, die wir da waren.“

Sam wollte Einspruch erheben.

„Ich weiß durchaus, dass es gut möglich ist, diese Strecke in der Zeit zurückzulegen, problemlos sogar. Gegen Eure Vermutung, er hätte es doch getan, spricht aber, dass Thomas und ich den zweiten und vierten Abend mit ihm verbracht haben und dass wir ihn dafür jedes Mal aus der Bibliothek zerren mussten und: Der Hengst war viel zu ausgeruht und übermütig um kurz vorher so eine Anstrengung gehabt zu haben. Außerdem Dean würde sich nie von seinem Pferd trennen.“

„Ich … muss nachdenken!“, stammelte Sam und schaute sich nach dem Richter um.

Der ritt aber neben dem Winchester und so ließ er sich einfach ein Stück zurückfallen.

„Das sollte er wirklich! So was Egoistisches hab ich ja noch nie gesehen. Der hat Dean gar nicht verdient!“, knurrte Jacob.
 

Der Richter hatte sein Pferd neben Dean gelenkt.

„Wie geht es der Kleinen?“, fragte er.

„Gut. Danke der Nachfrage, Euer Ehren“, flötete sie aus dem Mantel hervor und zauberte ein Lächeln auf die Gesichter der Männer.

„Das freut mich zu hören, junge Dame!“, antwortete der Richter.

„Ich möchte mich bei Euch bedanken“, fuhr er an Dean gewandt fort und reichte ihm seine Hand hinüber.

„Das hätte jeder getan.“

„Was war passiert? Vor der Höhle sah es aus als hätte ein Sandsturm getobt und Ihr saht auch mächtig zerzaust aus, wenn Ihr mir diese Ausdrucksweise verzeiht.“

Der Winchester zuckte nur mit den Schultern.

„Ihr wollt nichts dazu sagen?“

„Es war recht stürmisch“, entgegnete Dean und überlegte kurz warum die Falle gehalten hatte. Bei dem Sturm hätte sie lange verweht sein müssen. Aber eigentlich war es ihm egal. Es hatte funktioniert und das war die Hauptsache.

„Warum wolltet Ihr die Rothäute nicht unserer Gerichtsbarkeit übergeben?“

„Hätte sie ein gerechter Prozess erwartet?“

Der Richter schwieg. Natürlich hätten sie keinen Prozess bekommen. Warum auch?

„Ihr wollt mir also nicht sagen, was Ihr getan habt?“, hakte er nach, denn das interessierte ihn wirklich.

Dean schüttelte den Kopf.

„Und wo kam der ganze Rauch plötzlich her?“

„Wir haben sie ausgeräuchert. Irgendwie“, grinste der Blonde, dann wandte er seinen Blick wieder nach vorn, wo ein Trupp Reiter zu sehen war, der auf sie zugeprescht kam.

„Behalt die Nase unten“, sagte der Winchester zu Bethanny und diese duckte sich sofort etwas weiter in den Staubmantel, schielte aber noch immer über den Kragen. Schließlich wollte das Mädchen wissen, wer ihnen da entgegen kam.
 

Schon bald erkannten sie Sheriff Paxton und einige Männer aus der Stadt.

„Richter“, grüßte der Sheriff und tippte mit der Hand an seinen Hut.

„Clifford hat uns alarmiert, dass ihr entführt wurdet. Er sagte die Harrison-Jungs sind mit zwei ihrer Cowboys ebenfalls los, wusste aber nicht wohin.

Wie haben bei Tagesbeginn Suchtrupps in alle Richtungen losgeschickt, da wir keine Spuren finden konnten. Schön Euch unverletzt zu sehen. Geht es den anderen auch gut?“

„Ja wir sind alle wohl auf. Dank der jungen Männer hier.“

„Was ist mit den Rothäuten?“

„Die sind tot“, log der Richter.

Dean nickte ihm dankbar zu. Er wollte nicht, dass die Apachen für etwas getötet wurden, was sie nicht getan hatten.

„Ich bin müde, und ich möchte nach Hause“, meldete sich Bethanny und zupfte an Deans Jacke.

„Ich auch“, erklärte er ruhig.

„Wir können auch schneller reiten!“, erklärte sie.

„Meinst du?“

„Ja-ha.“

„Okay. Dann gut festhalten.“

Langsam trabte Dean an und als er Impala die Haken in die Flanken schlug und der Hengst im gestreckten Galopp über die Ebene flog, jauchzte die Kleine vor Vergnügen.

Der Rest folgte ihnen weniger schnell.
 

Endlich ließ sich der Winchester in El Paso vor dem Haus der Langdons aus dem Sattel gleiten.

Er hob die Kleine herunter und konnte sie sofort an ihre Eltern weitergeben, die durch den Hufschlag vor ihrer Tür aufgescheucht worden waren.

Überglücklich schlossen sie ihre Tochter in die Arme.

Mrs. Langdon bekam kein vernünftiges Wort heraus. Sie wischte sich immer wieder die Tränen aus den Augen und schniefte leise. Der Doktor schüttelte Dean die Hand und übersah im Überschwang seiner Gefühle, dass der immer wieder zusammenzuckte.
 

Ein paar Minuten später traf auch der Rest ein.

Sie brachten die Kinder ins Sprechzimmer des Arztes und der Sheriff ritt zum Pfarrhaus um dem Reverend die freudige Mitteilung zu machen, dass sein Junge unversehrt wieder da war.

Die Freude der Eltern nahm kein Ende. Immer mehr Stadtbewohner kamen angelaufen um die Helden zu begrüßen und ihnen die Hände zu schütteln.
 

Dem Winchester wurde das alles zuviel. Sein Körper verlangte nach seinem Recht. Seine Muskeln schmerzten. Die Großschmiede in seinem Kopf nahm ihren Betrieb wieder auf und die Sonne, die sich in den Fenstern der Häuser spiegelte, brannte in seinen Augen.

Er zog Impala ein Stück zu Seite und lehnte sich dagegen. Müde schloss er die Augen.

„Ich … Ich … Danke!“, sagte Sam ohne große Herzlichkeit in seiner Stimme.

„Schon gut S … Wade. Vergesst es!“ Der Ältere schaffte es nicht, die Traurigkeit ganz aus seiner Stimme zu verbannen.

„Komm schon, Winchester, Carrie hat bestimmt ein warmes Bett für dich!“, drängte sich Jacob zwischen die Brüder. Deans Augen leuchteten kurz auf, weniger wegen Carren, eher wegen dem warmen Bett, aber auch sie würde er nicht ausschlagen.

Der jüngere Harrison schlug ihm kameradschaftlich auf den Rücken und Dean knickte kurz ein. Ein Keuchen entrang sich seiner Kehle. Genau an der Stelle hatte sein Rücken äußerst schmerzhaft mit dem Treppenpfosten Bekanntschaft gemacht.

„Doc! Könnt Ihr Euch meinen Freund hier mal anschauen?“, rief Jacob während der Blonde schon wieder gequält die Augen schloss. Konnte der nicht leiser brüllen?

„Komme sofort!“

„Ich bin okay, okay? Ich brauch nur ein Bett!“, knurrte Dean und schlurfte zum Saloon.

Kurz überlegte er, ob er vorher noch was essen sollte, doch er würde wohl beim Essen einschlafen und so schnell verhungerte auch ein Dean Winchester nicht. Also erstmal schlafen!

Doch zuvor würde er …

„Ich kümmere mich um Impala, geh du ins Bett“, sagte William in diesem Moment und nahm ihm die Zügel aus der Hand. Er hatte die Stunden, in denen Dean das Tagebuch holen war, genau wie Jacob zum schlafen genutzt.

Dean brummelte dankbar.
 

Die Untersuchung ließ er schon halb schlafend über sich ergehen und als der Arzt ihn bat sich auf’s Bett und auf den Bauch zu legen, schlossen sich seine Arme automatisch um das Kissen. Er gab ein zufriedenes Schnaufen von sich und war eingeschlafen.
 

Dr. Langdons Untersuchung war gründlich und keinesfalls schmerzfrei für den Patienten, denn er wollte sicher gehen, dass es nur Prellungen waren, die die unterschiedlichsten Blautöne auf dem geschundenen Körper vor ihm hatten entstehen lassen und er fragte sich, wie der Mann dabei schlafen konnte. Doch die einzige Reaktion war ein kurzes Knurren.

Schnell verteilte er kühlende Salbe auf dem Rücken und verband die Schnittwunde an der Hand neu, nachdem er sie noch einmal gereinigt hatte.

Auch das hatte der Winchester schlafend über sich ergehen lassen.

Mit einigen Ermahnungen, dass er auf keinen Fall aufstehen sollte, ließ er Carren mit ihm allein.
 

Am Abend bekam Dean Besuch.

Zaghaftes Klopfen kündigte ihn an und noch bevor er „Herein“ sagen konnte, öffnete der Arzt die Tür und Bethanny drängelte sich an ihm vorbei. Dean schaute etwas erschrocken, war er doch splitternackt unter seiner Decke. Schnell angelte er nach seinem Shirt und zog es sich über.

„Wir haben dir was zu essen mitgebracht!“, erklärte die Kleine und hopste auf sein Bett. „Papa sagte, du bist ganz schlimm krank!“

„So schlimm nun auch wieder nicht!“, wehrte er ab.

„Ihr solltet schon noch ein oder zwei Tage im Bett bleiben. Die Prellungen sind nicht ohne und Ihr hab eine leichte Gehirnerschütterung.“

Mrs. Langdon reichte ihm einen Topf Gulasch und Maisbrot und freute sich, wie schnell sich dieser leerte.
 

Zufrieden und leicht schläfrig streckte sich der Blonde wieder in seinem, wohl eher Carrens, Bett aus.

Bethanny drückte ihm einen Kuss auf die Wange und entschwand aus dem Zimmer.

„Mama, wenn Wade ihn doch nicht als Bruder will, kann ich ihn dann kriegen?“

„Das solltest du vielleicht besser Dean fragen“, hörte er noch den Dialog zwischen Mutter und Tochter, bevor Doc Langdon die Zimmertür schloss und er wieder in Morpheus Arme sank.

Ein Jäger im Wilden Westen

83) Ein Jäger im Wilden Westen
 

Ein paar Wochen nach der gelungenen Rettungsaktion ging das Leben seinen gewohnten Gang. Dean war Sam nicht mehr begegnet und er war ganz froh darüber. Konnte er mit dessen Ablehnung doch noch immer nicht umgehen. Trotzdem überzeugte er sich weiterhin jeden Sonntag ob es seinem kleinen Bruder gut ging. Aber er war froh, dass Sam ihn ignorierte.
 

Eines Abends kam Esra von der weiter entfernten Winterweide zur Ranch geritten.

„Die Rinder sind in Panik geraten. Keine Ahnung warum, vielleicht war es eine Schlange. Sie haben einen Zaun niedergetrampelt. Es ist nicht viel passiert. Ein paar sind verletzt, aber nichts Schlimmes“, beruhigte er die Harrisons schnell. „Wir haben sie auf die zweite Weide getrieben. Aber wir müssen die Zäune reparieren.“

Schnell wurde das Baumaterial zusammengesucht und Thomas, Jacob, William und Dean machten sich mit Esra auf den Weg.

Die Arbeit dauerte keine zwei Tage.
 

Auf dem Rückweg gerieten sie in ein seltenes aber nicht ungewöhnliches Unwetter. Es stürmte und goss, und schon bald waren die Männer bis auf die Haut durchnässt.

„Wenn wir einen kleinen Umweg reiten und versuchen bei McGregor Unterschlupf zu finden?“, schrie Jacob seinem Bruder entgegen.

William nickte. Und schon bald brachten sie ihre Pferde vor dem kleinen Farmhaus zum Stehen und Jacob klopfte an die Tür.

Argwöhnisch, mit einem Gewehr in der Hand, öffnete Amos McGregor.

„Was wollt ihr?“, knurrte der Alte.

„Wir sind die Harrison-Jungs mit zwei unserer Cowboys. Wir wollten fragen, ob wir uns bei Euch in der Scheune unterstellen können?“

„Ihr lauft doch nicht etwa schon die ganze Zeit da draußen rum?“, wollte der Alte wissen und musterte die Männer weiter. ‚Harrison? Fiel der Name nicht in Zusammenhang mit dem Dämon im Saloon?‘, überlegte er.

Hier waren Neuigkeiten selten und was er gehört hatte klang sehr verworren. Er hatte sich das Ganze aus der aufgebauschten Geschichte, die Clifford ihm euphorisch aufgetischt hatte, zusammensuchen müssen.

Ein Indianer der flackernd starb, ein Mann, der durch den Raum geflogen war. Außerdem hatten die Rothäute den Winter, oder wie der Kerl hieß, als Jäger bezeichnet.

Hier konnte er die Fakten hoffentlich aus erster Hand bekommen.

„Doch, Sir!“, antwortete Jacob.

„Dann stellt eure Pferde unter und kommt rein.“

Thomas und Dean nahmen den Brüdern die Pferde ab und brachten die Tiere in den kleinen Stall, zäumten sie ab und rieben sie trocken. Dann rannten auch sie zum Haus.

In der Tür stutzte der Winchester. Irgendetwas erregte sein Interesse, doch bevor er es näher erkunden konnte, drängte Thomas ebenfalls in die trockene Wärme und schob ihn schon fast rüde durch die Tür.
 

Irritiert musterten die Cowboys die in Decken gehüllten Harrison-Brüder.

„Los raus aus dem nassen Zeug!“, forderte der Alte und zeigte auf den Ofen.

„Stellt euch nicht so an, ich hab schon mehr Männer im Adamskostüm gesehen und keine Angst, die Decken reichen!“

Die beiden schauten sich irritiert an, dann nickten sie und kamen der Aufforderung nach. Langsam schälten sich aus ihrer Kleidung.

McGregor nahm den Hut ab, den er auch im Haus trug, strich sich seine weißen Haare aus der Stirn und setzte den Hut wieder auf. Dann goss er den beiden Kaffee ein. Währenddessen ließ er den großen Blonden nicht aus den Augen. Ihm war dessen Zögern beim Betreten seines Hauses aufgefallen. Auch seine Kleidung war irgendwie anders als üblich und die Uhr an seinem Handgelenk?

Außerdem schien er ein bewegtes Leben hinter sich zu haben. Er hatte jede Menge Narben, teilweise schon sehr verblasst.

Die beiden Cowboys hingen ihre Kleidung auf die Leinen über dem Ofen und wickelten sich in die Decken, die auf den Stühlen lagen. Dankbar griffen sie nach den dampfenden Kaffeebechern.

Schweigen breitete sich aus.

„Habt ihr Hunger?“, wollte der Alte wissen.

„Wenn Ihr so fragt“, antwortete William lächelnd.

McGregor lächelte ebenfalls und schob den großen Topf über das Feuer.
 

„Wer bist du?“, fragte der Hausherr nach dem Essen gerade heraus und schaute Dean an.

„Dean Winchester!“, antwortete der Blonde und zog irritiert die Augenbrauen zusammen.

Amos stand auf und ging zu Deans Jacke. Seine Finger glitten über den Reißverschluss, während er seinen Blick weiter fragend auf den Winchester gerichtet hielt.

Dean schüttelte nur den Kopf.

Erneut nahm er seinen Hut ab, wischte sich die Haare aus dem Gesicht und setzte seine Kopfbedeckung wieder auf. Er hatte eine ziemlich genaue Vorstellung, wer und was Dean Winchester war, und er war sich fast sicher, dass, wenn er mit seiner Vermutung Recht hatte, der Junge mehr als nur misstrauisch sein würde. „Du gehörst hier nicht her. Deine Kleidung ist fremd.“

„Ich komme aus Kansas“, sagte Dean ruhig, so als ob das alles erklärten würde. Hinter seiner ruhigen Fassade allerdings brodelten die Gedanken. Wer war der Alte? Was wusste er und worauf wollte er genau hinaus?

„Du bist ein Jäger!“

Deans Blick wurde ausdruckslos. Das war es also. Doch woher wusste der Alte das? Aber dann fielen ihm die Symbole ein, die seine Aufmerksamkeit erregt hatte. McGregor war auch einer!

Er hätte nicht erwartet, hier Jäger zu finden und er würde sich gerne mit ihm unterhalten, aber er wollte die Harrisons schützen. Sie hatten schon zuviel von seiner Welt gesehen.

„Keine Ahnung wovon Ihr sprecht“, sagte er ruhig.

„Ihr arbeitet also noch immer im Geheimen.“ Amos war in seinem Leben als Jäger auch immer wieder auf Ablehnung und Hass gestoßen und hatte schnell lernen müssen, dass die wenigsten Menschen breit waren, ihm zu glauben, wenn er von Dämonen und bösen Geistern sprach. Selbst wenn sie seine Hilfe gerne angekommen hatten, kaum waren sie ihr Problem los, wollten sie ihn nicht mehr in ihrer Gesellschaft haben.

Deans Antwort war ein fragend irritierter Blick.

William folgte dieser komischen Unterhaltung mit wachsendem Interesse und Thomas wartete gespannt, ob und was Dean jetzt von sich preisgeben würde. Immerhin schien McGregor zu wissen wovon er sprach.

„Du hast uns auch mal gesagt, du wärst Jäger. Warum streitest du es jetzt ab, Dean?“, platzte der ältere Harrison heraus.

In den Augen des Winchester flackerte für eine Sekunde Wut auf.

Amos nickte. Er konnte den Jungen nur zu gut verstehen, aber er war auch neugierig. Der Junge stammte nicht von hier und wenn er seine Kleidung und die Uhr richtig deutete auch nicht aus dieser Zeit und er war neugierig, wie die Jäger in Deans Zeit waren.

„Woher wusstest du, dass sie besessen waren?“

Wieder antwortete Dean nicht, sondern musterte nur den Inhalt seiner Tasse.

Der Alte holte tief Luft. Hier musste er wohl härtere Geschütze auffahren und sein Wissen preisgeben, wenn er etwas von dem Jungen hören wollte.

„Ich hatte eine Familie. Frau, zwei wunderschöne Töchter und einen kleinen Jungen. Wir lebten auf einer Farm in Illinois. Nichts Großes, aber wir hatten ein gutes Auskommen.

Eines Tages kam ich von der Jagd zurück. Ich wurde von einer fremden Frau empfangen und noch bevor ich fragen konnte, was sie in unserem Haus wollte, zerrte sie mich mit einer Kraft hinein, die sie nicht hätte haben dürfen.“ Er schloss die Augen und holte tief Luft. Die Trauer über die Ereignisse war für kurze Zeit in seinen Zügen zu lesen. „Meine Frau und die Mädchen hingen hilflos an einer Wand aber ich konnte nichts finden, was sie hielt. Ich wollte zu ihnen und sie da runter holen, doch ich konnte mich nicht bewegen. Den Jungen hatten sie an einen Stuhl mitten im Raum gefesselt.

Ein Mann stand neben ihm. Er starrte mich böse lachend mit gelben Augen ...“

Dean stand so schnell auf, dass sein Stuhl krachend nach hinten kippte. Seine Decke rutschte von den Schultern.

Geistesabwesend fasste er sie, bevor sie ganz zu Boden gleiten konnte und trat ans Fenster. Blicklos starrte er in die verregnete Dunkelheit. Für einen kurzen Augenblick bebten seine Schultern, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle.

Der Gelbäugige! Azazel. Der Dämon, der auch das Leben seiner Familie zerstört hatte.
 

Die drei Anderen fühlten sich eher wie in einem falschen Traum.

Selbst Thomas kannte nur einen Bruchteil von Deans Leben. Aber er erinnerte sich daran, dass Dean kurz von einem Gelbäugigen gesprochen hatte.
 

Die Brüder starrten von Dean zu McGregor und wieder zurück. Wovon sprach der Alte? War er verrückt geworden? Aber Dean schien genau zu wissen, worum es ging. Was lief hier? War Dean auch verrückt?

Der Winchester brauchte Bewegung. Unruhig tigerte er hin und her.

„Du kennst ihn?“, fragte Amos leise. „Ich habe versucht ihn zu finden, aber ich habe ihn nie wieder gesehen.“

Der Blonde blieb stehen und schaute zu dem alten Mann. Für einen kurzen Augenblick zierte ein grimmiges Lächeln sein Gesicht: „Ich hab ihn erschossen!“

„Du hast was? Dämonen kann man nicht erschießen. Man kann sie nur exorzieren und in die Hölle zurückschicken!“, erklärte McGregor aufgebracht.

„Ich habe ihn erschossen Er ist tot! Tot und vergessen und wird nie wieder eine Familie zerstören!“

Dean holte den Colt und legte ihn auf den Tisch.

„Samuel Colt hat ihn 1835 für einen Jäger gemacht. Er kann alles töten.“

Ehrfürchtig betrachtete Amos die Waffe. „Ich halte die einzige Waffe in der Hand mit der man Dämonen wirklich töten kann“, flüsterte er.

„Es gibt noch einen Dolch, aber den rückt Ruby nicht raus“, nuschelte der Blonde leise.

„Ruby? Auch eine Jägerin?“

„Nicht direkt, Ruby steht auf ihrer eigenen Seite. Sie ist ein Dämon. Eine Abtrünnige ihrer Rasse, wenn man so will. Aber das ist eine lange Geschichte.“

„Ein Dämon der Dämonen jagt?“, wunderte sich der Alte und strich sie wieder einmal die Haare aus dem Gesicht. „Sagst du mir jetzt woher du wusstest, dass die Indianer besessen waren?“

„Ich kann sie sehen“, antwortete der Blonde leise.

McGregor sprang auf und zielte auf Dean: „Ich habe nie von einem Menschen gehört, der Dämonen sehen kann! Nur sie selbst können sich erkennen! Nur Dämonen können Dämonen sehen! Was bist du!“

„Ich …“ ein unglückliches Grinsen huschte über sein Gesicht, „ich denke ich bin kein Dämon. Du kannst es gerne nachprüfen.“

„Aber wieso kannst du sie dann sehen?“

„Weil ich jetzt eigentlich ein gemütliches, warmes Plätzchen in der Hölle bewohnen sollte. Wir konnten meinen Pakt im letzten Augenblick brechen.“

„Wer ist denn so blöd einen Pakt zu schließen?!?“, polterte der Alte los, erschrocken darüber, dass es Jemanden gab, der so etwas wirklich in Betracht gezogen und auch noch geschlossen hatte.

Aber irgendwie musste er Dean auch bewundern. Wenn er eher von dieser Möglichkeit gewusst hätte.

Auch wenn er sich vor der Hölle fürchtete, vielleicht hätte er…
 

Die Drei auf der Couch zuckten erschrocken zusammen, so andächtig hatten sie der Unterhaltung gelauscht. Hier tat sich eine vollkommen neue Welt auf. Eine Welt die sie nicht verstanden, die sie aber trotzdem faszinierte und vollkommen fesselte.

„Sam war tot und ich hätte ohne ihn nicht leben können!“, sagte der Blonde leise. „Ich war die Jagd so müde. Ich wollte, ich konnte einfach nicht mehr weiter machen, schon gar nicht ohne Sam.“

„Sam?“

„Mein kleiner Bruder. Mom starb über Sammys Kinderbettchen an die Zimmerdecke gepresst. Aus ihrem Bauch tropfte Blut und überall um sie herum schlugen Flammen aus der Decke. Ich habe ihn aus dem Haus getragen. Damals war ich vier Jahre und Sam sechs Monate. Seit dem passe ich auf ihn auf.

Ich würde jederzeit mein Leben für seins geben“, er schluckte. Jetzt konnte er auch den Rest seines Lebens erzählen.

Dean holte tief Luft: „Seitdem ist John … Dad mit uns durchs Land gezogen und hat alles gejagt, was übernatürlich und böse war. Für Sam und mich gab es keinen anderen Weg, als auch Jäger zu werden.

Ich hab mit zwölf meinen ersten Exorzismus durchgeführt, mit vierzehn den ersten Geist verbrannt und mit sechzehn meinen ersten Vampir vernichtet. Sam hat versucht auszubrechen. Aber der Gelbäugige hat seine Freundin auf die gleiche Weise getötet wie Mom 22 Jahre vorher. Seitdem sind“, Dean schluckte hart, „waren wir zusammen unterwegs und haben so viele Mistkerle erledigt wie wir nur finden konnten.“

„Ihr, du gehörst hier nicht her, hab ich Recht? Woher kommst du?“, bohrte Amos nach.

„Ich wurde am 24. Januar 1979 in Lawrence, Kansas geboren.“

Gemeinschaftliches Aufkeuchen unterbrach Dean.

Wie sollten sie es auch glauben. Er warf hier mit Zahlen um sich, die so utopisch waren, wie es für ihn Engel oder Marsmännchen waren.

Er erzählte einfach weiter: „Wir haben in Santa Fe einen Trickster gejagt und der hat uns irgendwie hierher versetzt. Seitdem zermartere ich mir den Kopf wie wir zurückkommen können, aber ich finde nichts.“

„Ein Trickster kann die Zeit überwinden?“, fragte Amos skeptisch. Er hatte schon soviel unglaubliches gesehen, warum sollte es dann nicht auch möglich sein, durch die Zeit zu reisen.

„Ich denke eher, dass es Loki war.“ Deans Augen leuchteten. Nach fast einem Jahr Schweigen konnte er endlich mit jemandem reden, der ihn verstand. Hier musste er nicht lügen oder sich rausreden, wenn ihm doch mal ein unbedachtes Wort rausgerutscht war. Hier konnte er sein, wie er war, mal abgesehen davon, dass Amos McGregor ihr irgendwie an Bobby erinnerte, obwohl der ihm so gar nicht ähnlich sah, bis auf die grauen Haare.

Nein, sein alter Freund war eher grau und Amos weiß. Seine Frisur war wohl eher ein seit langem rausgewachsener Kurzhaarschnitt. Immer wieder schafften es einige Strähnen ihm, trotz Hut, in die Augen zu fallen und er strich sie mit der immer gleichen Geste wieder zurück. Doch bevor er seinen Hut wieder aufsetzen konnte, waren die Strähnen meist schon wieder zurückgefallen. Außerdem war Amos ein ganzes Stück älter, vermutete Dean und durch und durch ein Cowboy.

„Der Gott des Schabernacks und der Betrüger?“

„Genau der!“

Amos nickte nur überlegend.

„So auf Anhieb weiß ich nichts über ihn, aber ich hab einige Bücher hinten, vielleicht finde ich da etwas.“
 

Lange unterhielten sich die beiden Jäger. Amos hatte, wie auch immer diese Ausgeburten der Hölle es angestellt hatten, zusehen müssen, wie die Dämonen in die Körper seiner Familie eindrangen und war dann von ihnen fast zu Tode prügelten worden, bevor seine Frau, getrieben durch die Kreatur in ihr, erst die Kinder und dann sich selbst getötet hatte. Danach verschwanden die Höllenkreaturen wieder und er war endlich bewusstlos zusammengebrochen.

Ein Nachbar hatte ihn gefunden und wieder gesund gepflegt. Danach war er Jäger geworden.
 

Die Drei auf der Couch kamen sich etwas vergessen vor und doch bemühten sie sich ja kein Geräusch zu machen, um die Aufmerksamkeit der Jäger nur nicht auf sich zu lenken.

Wann würden sie je wieder von solch faszinierenden Dingen hören?

Dämonische Indianer

84) Dämonische Indianer
 

„Zu den besessenen Indianer gibt es eine Legende“, erzählte Amos einige Kaffee später.

Interessiert sah Dean den Älteren an.

„Vielleicht können wir es beenden.“

„Der Häuptling eines Apachen-Dorfes, ‚Einäugige Krähe‘, hatte mit einer Gruppe weißer Siedler einen Friedensvertrag abgeschlossen. Er wollte, dass sein Dorf überlebt. Weiße Händler verkauften Alkohol an die Krieger seines Dorfes und stachelten die Männer auf. ‚Einäugige Krähe‘ hat immer wieder versucht seine Krieger zur Ordnung zu rufen. Der Alkohol war stärker. Die Krieger überfielen die Farmen und so wurde der Vertrag kein halbes Jahr später gebrochen. Die Apachen wurden gejagt und sie jagten die Siedler. Zu guter Letzt wurde das Dorf niedergebrannt. Der Häuptling starb auf der Flucht an seinen Schussverletzungen. Mit seinen letzten Worten hat er seinen Stamm verflucht. Eine Squaw hat es später erzählt.“

„Einen Fluch kann man nicht brechen!“, sagte Dean niedergeschlagen. „Höchstens umgehen.“

„Diesen vielleicht doch. Er besagt, solange es auch nur noch einen winzigen Knochen von ‚Einäugiger Krähe‘ gibt, sollen die Dämonen der Weißen die Körper der Krieger seines Stammes gegen sie benutzen können. Er wollte damit wohl die Siedler und seine Männer bestrafen.“

„Und?“

„Sie haben ihn mit allen Ehren bestattet.“

„Warum haben sie ihn nicht verbrannt?“, wollte Dean wissen. „Dann hätten wir das Problem erst gar nicht.“

„Dann hätten sie ihm den Übergang in ihre Welt verweigert. Er war ein angesehener Häuptling.“

Der Winchester überlegte eine Weile, dann nickte er langsam.

„Jetzt müssten wir nur noch wissen, wo er beerdigt wurde.“

„In einer Schlucht nicht weit von hier. Sie haben dort alle hochrangigen Krieger bestattet.“

„Ja aber ...“, begann Dean verwirrt.

„Ich bin zu der Schlucht und wollte es beenden. Aber kaum war ich ein Stück in diese Schlucht hinein geritten kam ein Sandsturm auf. Ich musste umdrehen. Immer wieder habe ich es versucht und jedes Mal gab es diesen Sturm. Ich bin nie weiter als vielleicht hundert Meter in die Schlucht gekommen. Außerdem weiß ich nicht, welches Grabmal das des Häuptlings ist. Das müssten wir dann auch noch in dem Sturm suchen.“

„Aber seine Überreste sind in dieser Schlucht?“

„So regelmäßig wie der Sandsturm aufkam, wenn ich sie betreten hatte ...“

Eine Weile schwiegen sie.

„Das ist ein Argument. Wo ist die Schlucht?“

„Ich zeige sie dir.“

„Okay. Ich besorge das Nötige. Eine Woche, dann sollte ich alles haben.“

„Gut. Ich bereite mich vor.“

„Wir wollen auch mit! Wir wollen helfen!“, platzte Jacob jetzt heraus.

„Nein!“

„Du brauchst Hilfe!“

„Ich werde auch Amos nicht mit in die Schlucht nehmen. Es ist mein Job Dämonen zu vernichten. Ich will keinen von euch den Gefahren aussetzen.“ Ein drohender Blick ließ McGregor verstummen, noch bevor er überhaupt Luft geholt hatte.

„Aber du kannst mit deinem Leben spielen?“, fragte Thomas.

„Ich bin ein Jäger. Ich weiß zumindest womit ich es zu tun habe!“

„Aber wir könnten es lernen!“, knurrte William.

„Ich will Mrs. Margaret nicht unter die Augen treten und ihr erklären müssen, dass einer ihrer Söhne gestorben ist, weil ich meinen Job nicht oder schlecht gemacht habe. Außerdem sollst du die Ranch erben und weiter führen, und Jake sollte mal darüber nachdenken Sarah zu heiraten und mit ihr glücklich und zufrieden alt zu werden, bevor ich es tue!“

Jacob starrte ihn mit großen Augen an.

„Aber du kannst sterben?!?“, mischte sich jetzt auch Thomas in die Unterhaltung ein.

„Ich habe hier niemand, der um mich trauern würde.“

„Und wir, und Sam?“

„Der heißt jetzt Wade und verleugnet unsere Verwandtschaft!“

„Dean?!?“

„Es ist mein Job, so wie ihr eure Rinder hütet. Ich wurde dafür ausgebildet und werde es nicht zulassen, dass ihr euer Leben für mich wegwerft.“

„Ist dein Leben so wenig wert?“

„Mein Leben ist egal.“

„Dean?“, fragte Jacob erschrocken.

„Nein! Ich werde nicht weiter mit euch diskutieren!“, erklärte er und ging nach draußen.

„Lasst ihn. Er versucht euch zu schützen.“

„Aber wir wollen ihm helfen! Und bei den Indianern, die die Kinder und den Richter entführt hatten war ich auch dabei!“, protestierte Thomas.

„Das weiß er, aber er ist der Meinung, sein Leben ist durch die Erfahrungen, die er machen musste schon verdorben genug und er will euch dieses Schicksal nicht zumuten. Versucht ihn bitte zu verstehen.“

„Aber...“

„Ich würde es genauso machen“, sagte Amos ruhig.

Die Cowboys schwiegen für‘s erste.
 

Thomas folgte seinem Freund.

„Dean, auch wenn du das jetzt nicht hören willst und es vielleicht auch nicht dulden wirst: Du bedeutest uns etwas und wir wollen dich genauso wenig verlieren, wie du uns der Gefahr aussetzen willst.“

Der Winchester holte tief Luft …

„Ich verstehe dich und ich weiß, dass ich wahrscheinlich nur einen Bruchteil der Macht eines Dämons mitbekommen habe, aber wir können dir trotzdem helfen. Denk drüber nach!“

„Ich möchte euch nicht in Gefahr bringen, auch wenn ich weiß, dass ich zumindest Amos nicht davon abhalten werden kann, mir zu folgen. Es ist einfach so: Bei Sam musste ich nichts sagen. Er wusste, was los war und was passieren könnte und was wir tun mussten. Wir waren ein eingespieltes Team und jeder hat den Rücken des anderen gedeckt. Euch müsste ich alles erklären und dann immer noch auf euch aufpassen und wenn ich meine Augen bei euch habe, kann mir was Wichtiges entgehen, etwas, das uns alle umbringen kann.

Ich hab hier schon genug Chaos in eure Welt gebracht. Ich werde euch nicht auf eine vielleicht tödliche Mission mitnehmen!“

„Dean …“

„Nein! Und das ist mein letztes Wort!“
 

Die Woche war schnell vergangen und Dean hatte alles soweit vorbereitet, wie er es konnte.

Die Brüder und Thomas hatten immer wieder versucht ihn umzustimmen, und selbst Margaret und Sarah war die geladene Stimmung unter den jungen Männern nicht entgangen. Aber bislang hatte sich Dean als sturer erwiesen. Lediglich das Zugeständnis, dass sie bis zur Schlucht mitkommen durften, hatten sie ihm abringen können und der Winchester war schon deswegen mehr als verärgert über sich.

Egal, er würde sie auf keinen Fall mit hinein nehmen.

Morgen wollten sie nach El Paso, das Salz holen, und dann würde er diesen Fall erledigen.

Er kontrollierte gerade zum wiederholten Mal den Colt, als ein Mann mit einem Packpferd auf den Hof geritten kam.

Überrascht riss der Winchester die Augen auf. Es war … Wade!

Er versuchte sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen, der sein Herz noch immer verkrampfen ließ.

„Ich bringe Euch das Steinsalz, dass Ihr bestellt habt, und ich soll die drei Pferde für Mr. Jones mitnehmen“, sagte Sam unpersönlich.

„Sie sind noch bei Robert auf der Winterweide. Wir haben nicht erwartet, dass Mr. Duncan sie so schnell braucht. Du kannst gerne mitkommen und sie selbst holen.“

Der Blonde starrte zum Horizont. Warum hatte er … Wade dieses Angebot gemacht? Der wollte doch eh nichts von ihm wissen. Und jetzt auch noch Zeit mit ihm verbringen zu müssen? Das würde wieder an seine Substanz gehen. Er wusste einfach nicht, wie er mit seinem Nicht-Bruder umgehen sollte.

„Ich ...“ begann Sam unsicher, doch dann überlegte er, dass er vielleicht ein paar Fragen beantwortet bekommen könnte, wenn er versuchen würde mit Dean zu reden.

Er holte tief Luft. Könnte er die Abneigung, die sich schon wieder durch seine Eingeweide fraß, so lange zurückhalten oder gar überwinden? Im Moment bezweifelte er das. Am liebsten würde er einfach gehen.

Doch er ignorierte diese Gefühle und nickte.

„Geht ins Haus. Mrs. Margaret hat bestimmt Kaffee für Euch“, sagte Dean distanziert. „Ich packe das Pferd ab.“ Schnell wandte er sich ab und nahm die Pferde mit zur Scheune.

Es hatte ihn jede Menge Kraft gekostet seinen kleinen Bruder so zu behandeln, aber er wollte seine Gefühle nicht noch mehr verletzen lassen.
 

Am nächsten Morgen ritten Jacob, Thomas, Dean und Sam los.

„Wir machen noch einen kurzen Abstecher“, sagte Jacob zu Sam, „aber es liegt am Weg.“

Sam nickte und folgte ihnen, darauf hoffend, dass der Ritt nicht zu lange dauern würde.
 

„Warum hat Dean mich nicht gesucht?“, fragte er Jacob. Der schien ihm noch am ehesten unparteiisch.

„Er war sich ganz sicher, dass ihr nicht hier sein konntet und ich muss sagen, bei dem was ich inzwischen von ihm weiß – er hat Recht gehabt.“

„Aber…?“

„Nein, dazu müsst Ihr ihn selbst fragen.“

„Ich habe ihn so oft weggestoßen. Ich glaube nicht, dass er noch mit mir reden will.“

„Tja, das ist Euer Problem“, erklärte Thomas barsch.

„Ihr mögt mich nicht!“, stelle Sam leise fest.

„Ihr seid mir ziemlich egal. Ich brauche Euch nicht und ihr mich nicht. Aber ich mag nicht, wie Ihr mit Dean umgeht. Er ist etwas Besonderes und Ihr solltet froh sein, ihn als Euren Bruder zu haben. Ich jedenfalls bin wirklich froh, ihn meinen Freund nennen zu dürfen!“

Wieder nickte Sam. Aber er konnte seine Gefühle nun mal nicht abschalten. Vielleicht ergab sich ja noch eine Gelegenheit mit dem Mann zu sprechen, den Bethanny so unverblümt als ihren neuen großen Bruder bezeichnete und wegen dem sich Mrs. Langdon und Eloise fast gestritten hatten.

Er hatte ihr Gespräch nur zufällig mitbekommen, sich aber weder getraut den Raum zu betreten noch „die Flucht“ zu ergreifen.

„Bitte Eloise, denkt darüber nach! Ihr habt Euren Sohn verloren! Und gerade Ihr müsstet das Gefühl des Verlustes doch kennen. Warum bekämpft ihr Dean dann regelrecht? Ihn lasst ihr diesen Verlust immer wieder spüren, denn er sieht seinen Bruder, der, auch dank Eurer Ablehnung, einem einfachen Treffen mit seinem Bruder so feindlich gesonnen ist. Auch dank Euch finden die Zwei nicht zueinander. Bitte denkt darüber nach, Eloise.“

Danach hatte er nur noch das Schlagen einer Tür gehört und sich in sein Zimmer geschlichen. Wieder hatte er über seinen „Bruder“ nachgedacht und war zu keinem Ergebnis gekommen.

Als Mr. Duncan von der Salzlieferung und den Pferden sprach, hatte er sofort gefragt, ob er das übernehmen dürfte. Und jetzt war er hier und noch keinen Schritt weiter.

Dean ritt voraus und so blieb ihm nicht anderes übrig als ihm Löcher in den Rücken zu brennen.

Er kam nicht umhin Deans Reitstil zu bewundern. Sein angeblicher Bruder hielt sich so souverän im Sattel, als ob er darin geboren worden wäre. Ihm selbst hingegen war das Reiten wohl nicht in die Wiege gelegt worden, er tat sich schwer im Sattel.

Und gerade, als Sam sich dazu durchgerungen hatte mit Dean sprechen zu wollen, verabschiedete sich der Ältere.

„Ich hole Amos ab!“

„Ihr werdet uns wohl schnell eingeholt haben“, sagte Thomas und schielte zu Sam hinüber.

Dean grinste, nickte und gab Impala die Sporen.

Er liebte es über die Prärie zu jagen.
 

Schnell war er am Ziel und klopfte an die Haustür.

„Komm rein, ich bin gleich soweit“, rief Amos und ging in sein Arbeitszimmer.

„Du kannst ruhig hier reinkommen“, sagte er als er Dean im Wohnzimmer hörte.

Der Winchester schaute in das Arbeitszimmer und ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

„Du heißt nicht zufällig Singer?“

„Nein, warum?“

„Wir haben einen Freund, Bobby Singer, du könntest sein Urgroßvater sein, bei dem sieht es genauso aus.“

„Ich habe mir meine Bücher und Aufzeichnungen vorgenommen. Ich dachte, ich könnte vielleicht etwas zu deinem Problem finden.“

„Und?“

„Bis jetzt leider nichts.“

„Ich danke dir trotzdem für deine Mühe.“

„Du musst dich nicht bedanken. Wir sind Jäger und sollten uns helfen!“

„Dann bist du weiter als viele Jäger in meiner Zeit. Es gibt nur wenige, die sich helfen. Die meisten sind Einzelgänger. Selbst mein Vater hat uns nicht alles erzählt.“

„Und so hat er euch auf Dämonen losgelassen?“

„Hmhm. Wir hätten mehr Menschen retten können und bestimmt auch weniger Fehler gemacht, wenn wir mehr gewusst hätten. Aber John ist tot.“

„Das tut mir leid!“

Dean nickte. Er wusste nicht wie er reagieren sollte. Dads Tod war so lange her und er hatte hier eher selten an seinen Vater gedacht.

Amos McGregor packte seine Waffen zusammen und bald darauf waren sie auf dem Weg.
 

„Ist das dein Bruder?“, wollte der Alte wissen, als er die drei Reiter erblickte.

„Ja.“

„Das Reiten hat er nicht von dir!“

Wieder musste Dean grinsen, dann schlossen sie zu den anderen auf.

Himmlischer Beistand

85) Himmlischer Beistand
 

Die Sonne stand hoch am Himmel als sie bei der Schlucht ankamen.

„Hier ist es?“, wollte Thomas wissen.

„Ja, hier ist es!“, bestätigte Amos.

Dean stieg ab und wollte gerade die Tasche mit dem Steinsalz von Sattelknauf nehmen, als sich seine Nackenhaare aufstellten. Den Colt ziehend fuhr er herum.

„Was bist du und was willst du?“, fragte er und richtete die Waffe auf den Mann, der plötzlich hinter ihnen stand.

Seine Augen weiteten sich erstaunt. Der Mann war auf keinen Fall ein Mensch. Er schien innerlich zu leuchten. Aber das konnte ja wohl nicht sein. Es gab keine himmlischen Lichtwesen! Konnten Dämonen jetzt schon solche Illusionen hervorrufen?

„Ihr gehört nicht hierher“, sagte der mit unpersönlicher Stimme.

„Schon klar, und du bist kein Mensch!“, erklärte Dean mit ironischem Unterton in der Stimme und musterte ihn ungeniert. Der Kerl trug einen zerknitterten schwarzen Mantel, darunter ein weißes Hemd und eine ebenso zerknitterte schwarze Hose. Ein Zylinder vervollständigte seinen Aufzug.

„Ich habe euch schon eine Weile beobachtet. Ihr müsst in eure Zeit zurückkehren.“

„Du bist ja ein ganz Schlauer! Warum sollten wir?“, spottete der Winchester.

Der Fremde schaute fragend.

„Was bist du?“, knurrte Dean. Seine Waffe ruckte nach oben. Auch die Anderen zielten inzwischen auf den Kerl. Sie hatten dieser seltsamen Unterhaltung sprachlos zugehört. Der Mann war einfach so hier aufgetaucht, oder hatten sie ihn übersehen, als sie hierher kamen.

Aber das konnten sie nicht glauben. Zwei Jäger waren an ihrer Seite, und auch wenn sie die ganze Tragweite von dem was Amos und Dean damit meinten noch lange nicht begriffen hatten, so wussten sie doch, dass ihnen ein Mann nicht entgangen wäre.

„Ihr könnt mir nichts anhaben“, erklärte der Zylinderträger und hob seine Hände.

Dean schoss.

Der Fremde schaute auf seine Brust. Ein kleiner Blutfleck war alles, was der Treffer zurückließ.

Sofort stellte sich der Blonde vor die anderen Männer. Amos machte zwei Schritte und baute sich neben Dean auf.

„Weiche Dämon!“, rief der alte Mann und spritzte ihm Weihwasser ins Gesicht.

„Ich bin kein Dämon“, erklärte der Fremde. „Ich bin ein Engel.“

„Ja klar und Einhörner schießen Regenbögen aus ihren Hintern!“, lästerte der Blonde.

„Das ist dein Problem. Du glaubst nicht!“

„Warum sollte ich? Mom hat an Engel geglaubt und keiner hat ihr geholfen

Der Fremde nickte. Hier würden Worte nichts bringen. Auch wenn er nicht verstand, warum der Mann so skeptisch war. Aber er hatte einen Auftrag auszuführen.

Hinter dem Rücken des angeblichen Engels entfaltete sich etwas, dass wie Schatten von Flügeln aussah.

„Ich kann dir helfen“, sagte der Engel.

„Du? Wie?“, fragte der Blonde giftig. Er hatte diese Flügeldinger zwar gesehen, aber Dämonen konnten

vieles, warum nicht auch eine weitere optische Täuschung erzeugen?

„Du musst auf die Dunkelheit zugehen!“, sagte der Geflügelte und verschwand.

Dean keuchte. Woher …? Konnte das wirklich ein Engel gewesen sein? Aber … Konnte der …? Verwirrt starrte er auf die Stelle, an der der Mann gerade noch gestanden hatte.

Hinter sich nahm er das erstaunte Murmeln seiner Begleiter wahr.

„Konnte das …?“

„Ein Engel?“

„Gibt es Engel wirklich?“

Der Winchester schüttelte den Kopf und verbannte diese Gedanken auf später. Aber was meinte der mit der Dunkelheit, der er folgen sollte? Er war doch eh schon auf einem dunkeln Pfad, oder?

„Ihr bleibt hier!“, bestimmte er und schaute Amos flehend an. Sie hatten sich auf dem Weg hierher fast gestritten aber letztendlich hatte Dean ihn überzeugen können, bei den Anderen zu bleiben. Eine Stunde hatte er Zeit, das richtige Grab zu finden, dann würde der alte Jäger ihm folgen. Er hoffte, dass es nicht so viele waren, die er würde öffnen müssen. Eigentlich war es von vornherein Blödsinn, das allein durchziehen zu wollen. Doch er hatte sich seiner Behauptung, das allein durchziehen zu müssen, verrannt und seine Sturheit hinderte ihn daran, jetzt Hilfe zuzulassen.

Sam hielt sich abseits. Er war immer mehr der Meinung, dass dieser Ritt vollkommene Zeitverschwendung war. Der Mann, der angeblich sein Bruder war, benahm sich immer seltsamer und er war sich sicher, dass er mit dem keine Minute etwas zu tun haben wollte. Nein, dieser Ritt war eine dämliche Idee und Eloise hatte Recht, wenn sie ihn und alle anderen Stadtbewohner vor diesem Irren warnte!
 

Dean schloss seine Jacke und den Staubmantel, warf er sich die Tasche mit dem Steinsalz über die Schulter, steckte die beiden Flaschen mit dem Petroleum ein und ging los.

„Dean, wir ...“, rief Jacob ihm hinterher.

Der Blonde reagierte nicht. Er zog sich das Halstuch vor die Nase und drückte den Hut tief ins Gesicht.

Schnell schritt er aus.

Seine Augen huschten über die Steine und den rötlichen Sand vor ihm. Unbewusst suchte er nach dieser Dunkelheit, der er angeblich folgen sollte.

Was hatte dieser Dämonenverschnitt damit gemeint? Der Dunkelheit folgen? Das hieße dann doch er müsste nach Westen, oder? Gab es noch andere Dunkelheiten? Eine Höhle?

Die Schlucht bog nach Westen ab.

Wieder prüfte Dean den Weg vor sich. War es die richtige Schlucht? Hatte Amos sich getäuscht?

Hier gab es keinen Sandsturm, nicht mal ein Lüftchen wehte.

Und dann sah er diese Dunkelheit!

Links, vielleicht eine halbe Meile vor ihm gab es eine Stelle von der absolute Finsternis auszugehen schien.
 

Sam schaute dem Blonden hinterher und als der hinter einer Ecke verschwand, hatte er das plötzliche, nicht zu unterdrückende, Bedürfnis ihm folgen zu müssen. Er wusste nicht warum, aber er rannte Dean, alle Bedenken über Bord werfend, mit großen Schritten hinterher.

„Wade! Bleibt hier!“, rief Thomas, doch der hörte nicht.

Jacob, Amos und Thomas schauten sich an. Wie auf Kommando setzten sie sich gleichzeitig in Bewegung und gingen ebenfalls in die Schlucht hinein.
 

Kaum hatte Dean die Dunkelheit vor sich entdeckt, kam Wind auf und steigerte sich schnell zu einem Sturm. Sand wurde vom Boden aufgewirbelt und tanzte in kleineren Sandhosen um ihn herum.

Sie trieben auseinander und wieder zusammen und vereinigten sich zu einer einzigen rotierenden rotbraunen Masse.

Der Sturm fuhr ihm in die Kleidung. Er klatschte ihm seine Chaps um die Beine, nur um Sekunden später von hinten zu kommen und sie wie Segel aufzublähen.

Der Winchester taumelte durch den Sturm. Mal musste er sich gegen die Kraft der aufgebrachten Luftmassen stemmen, die ihn scheinbar mit aller Macht von seinem Ziel abhalten wollten. Augenblicke später stolperte er hilflos nach vorn, weil der Wind nun von hinten kam.

Der Sand hatte sich fast sofort durch jede noch so kleine Ritze seiner Kleidung gedrängt und scheuerte bei jeder Bewegung über seinen Körper. Sein Gesicht fühlte sich an, als hätte er versucht sich mit Sandpapier zu rasieren und die Augen tränten. Immer wieder musste er husten, weil er Sand einatmete.

‚Hab ich je Sammys Sandkuchen probiert?’, überlegte er und war sich zumindest jetzt sicher, wenn er es nicht getan hatte, nichts verpasst zu haben.

Verbissen hielt er auf die Dunkelheit zu, die selbst in den tobenden Sandmassen noch zu sehen war.
 

Endlich erreichte er den wohl größten Steinberg hier im Tal. Die Dunkelheit schien wie eine schwarze klebrige Masse aus den Ritzen der Steine zu quellen.

Hier sollten die Überreste des Häuptlings begraben sein?

Die Steine würde er zur Seite räumen können, aber wie sollte er bei diesem Wind ein Feuer entfachen?

Diese Frage verschob er auf später und begann die Steine aus dem Monument zu lösen.

Plötzlich hörte er im Tosen des Windes ein Geheul, das er nicht zuordnen konnte. Waren das Menschen oder Wölfe? Er schüttelte den Kopf. Besser er beeilte sich hier.

Eine Bewegung ließ ihn erstarren. Und dann schälten sich vier Männer aus dem tobenden Sand.

Mit einem Kopfschütteln quittierte er die Hilfe und die Männer griffen auch sofort zu und warfen die Steine zur Seite.

Plötzlich schossen Pfeile aus dem tosenden Sand.

„Indianer!“, schrie Amos und warf sie hinter dem Steinberg in Deckung. Der Wind riss ihm das Wort förmlich von den Lippen.

Eine Weile blickten sie auf den Pfeil, der zwischen den Steinen des Grabmales steckte und im Sturm vibrierte. Plötzlich verschwand er.

„Geister!“, sagte Dean.

Schnell sprangen die Männer in Deckung und feuerten mit ihren Schrotflinten in den Sturm.

„Wir sollten zusehen, dass wir hier fertig werden!“, brüllte Amos.

Sie wussten ja nicht mal, ob sie überhaupt getroffen hatten, oder ob der Sturm das Salz einfach auseinander geweht hatte.

Die Männer nickten und kämpften weiter mit den Steinen und gegen den Sandsturm.
 

Deans Augen tränten, wie die seiner Mitstreiter, und er grübelte was er tun könnte.

Dann begann er die abgetragenen Steine zu einem Kreis um das Grab zu legen.

„So dicht wie möglich!“, brüllte er Thomas zu. Der nickte und half mit. Kaum war der Ring halbwegs geschlossen machte Dean auf der Innenseite einen Salzkreis. Als er diesen geschlossen hatte, erstarb der Sturm im Inneren. Nur die Pfeile, die die im Sturm versteckten Indianergeister immer wieder auf sie regnen ließen, durchdrangen den Kreis und diesmal lösten sie sich nicht auf.

Keiner der Männer hatte jedoch Zeit sich darüber Gedanken zu machen.
 

Endlich war die oberste Hälfte des Grabes freigelegt.

Wieder regnete es Pfeile und gerade als Jacob sich darüber wundern wollte, dass kein Pfeil sie traf schrie Sam auf und brach zusammen. Zwei Pfeile ragten aus seinem Rücken.

„Sam!“, schrie Dean und stürzte zu seinem Bruder.

„Ganz ruhig Sammy, es wird gleich besser!“, versuchte er zu trösten. Rasch hatte er den Jüngeren auf die Seite gelegt, schälte sich hektisch aus seinem Mantel und der Jacke, rollte sie zusammen und legte sie Sam unter Kopf und Brust.

„Dean, du solltest die Knochen verbrennen, vorher können wir ihm nicht helfen“, erklärte Amos ruhig.

Der Winchester nickte widerwillig.

„Amos hat Recht“, sagte er leise zu Sam. „Ich bin gleich wieder da!“

So schnell er nur konnte verteilte er das Steinsalz über den Knochen, schüttete Petroleum darauf und zündete es an. Mit einem Fauchen erfassten die Flammen die Leichenreste.

Ein wahrer Platzregen an Pfeilen ging auf sie nieder.

Thomas keuchte leise und auch Jacob schrie erstickt auf. Doch gerade als Dean sich zu seinen Freunden umdrehen wollte, jagte eine riesige Stichflamme auf ihn zu und er musste sich mit einem Hechtsprung in Sicherheit bringen. Er prallte mit seiner Schulter unsanft auf dem Steinkreis. Dann rollte er sich ab.

Sofort tauchte ein recht durchsichtiger Indianer vor ihm auf und rammte ihm ein Messer seitlich in seinen Oberschenkel. Er knurrte vor Schmerzen und rollte sich zusammen als er den nächsten Pfeilhagel kommen sah.

Ein heißer Schmerz zuckte durch seinen Arm. Der Winchester stemmte sich in die Höhe und sprang zurück in den Salzkreis wo er sich das Messer aus der Hüfte zog. Amos kümmerte sich um Jacob.

Das Feuer erlosch und sofort flaute auch der Sturm ab und der Sand legte sich langsam.

Der ältere Winchester ging zu seinem Bruder: „Es wird weh tun.“

Sam nickte und biss die Zähne zusammen. „Macht schon!“

Der Blonde biss seine Zähne ebenfalls zusammen, wünschte sich, dass nicht sein kleiner Bruder sondern er da liegen würde und er wenigstens Verband und Desinfektionsmittel hatte. Er holte tief Luft und begann dann Sam, unter Zuhilfenahme seines Messers, von den Pfeilen zu befreien.

Dean arbeitete langsam und bedächtig und jedes Mal, wenn Sam vor Schmerzen aufstöhnte, musste er schlucken. Es war doch nicht das erste Mal, dass er ihn versorgen musste und doch tat es ihm immer wieder weh.

Die Pfeile schienen keine lebenswichtigen Organe verletzt zu haben, Sams Atem ging gleichmäßig und ihm lief kein Blut aus Mund oder Nase. Aber trotzdem verlor er noch jede Menge Blut! Deans Finger waren großflächig damit bedeckt, es machte sie klebrig und rutschig zugleich und er musste sie sich an seinen Hosen abwischen bevor er weitermachen konnte.
 

Er hielt die Luft an, während er den zweiten Pfeil aus der Wunde zog und ihn, genau wie den anderen zuvor, achtlos beiseite warf bevor er Sam aus den Fetzen seines Hemdes einen Druckverband machte, der hoffentlich seinen Blutverlust eindämmen und seine Wunde ausreichend schützen würde.

„Wade?“, fragte er leise und beugte sich zu ihm hinunter.

„Bin da“, sagte der schwach.

„Ruht Euch aus. Wir versorgen Thomas und Jacob und dann hole ich die Pferde“, erklärte er ihr weiteres Vorgehen. Leicht nickend ließ sich der Jüngere wieder auf den Boden sinken.
 

„Dean!“, Amos legte ihm die Hand auf die Schulter. „Wir müssen deine Verletzungen auch noch versorgen.“

Der Blonde nickte und biss die Zähne zusammen, während Amos ihm half Hemd und Shirt auszuziehen.

Schnell warf er einen Blick auf die Wunde an der Schulter. Es war ein nur Streifschuss, doch der Pfeil hatte einen tiefen Riss in seinem Muskel hinterlassen.

„Verbinde es einfach. Da ist auf jeden Fall Sand drin. Die kriegen wir hier nie sauber“, knirschte er.

„Ja, wir reiten gleich zu mir und versorgen euch richtig“, nickte Amos und schlang ihm einen der übriggebliebenen Streifen von Sams Hemd um den Arm.

Schnell zog Dean sich wieder an und band den letzten Hemdstreifen um sein Bein.
 

„Ihr habt gute Arbeit geleistet“, sagte der Engel, der gerade wieder erschienen war.

Erschrocken fuhren die Männer herum.

„Kannst Du nicht vorher Bescheid sagten? Irgendwann erschießt dich noch mal einer!“, blaffte der Winchester. „Außerdem hättest uns ruhig helfen können, oder hätte das deinen Heiligenschein verbogen?“

„Ich durfte euch nicht helfen!“

„Und was willst du dann hier?“

„Ich habe für euch einen Weg in eure Zeit“ erklärte der Engel.

„Du kannst uns zurückschicken?“

„Nein, soweit reichen meine Kräfte nicht, aber ich kann euch erstarren lassen und in eurer Zeit wieder wecken.“

„Bist du dir sicher?“

„Natürlich!“

„Ich will zurück!“, erklärte der Blonde ohne weiter nachzudenken. Wer weiß, wann er sonst einen Weg nach Hause finden würde.

„Für euch wird nur ein Moment vergehen.“

„Darf ich mich von meinen Freunden verabschieden?“

„Beeil dich!“

Schnell schloss er die Freunde in seine Arme.

„Es wird einen Krieg geben. In fünf Jahren werden die Südstaaten gegen die Nordstaaten kämpfen.

Bitte haltet euch da raus. Die Südstaaten werden verlieren. Die letzten Truppen kapitulieren am 23. Juni 1865 in Texas. Bitte, versucht euch da nicht mit reinziehen zu lassen“, bat er sie eindringlich.

Die Männer schauten ihn skeptisch an.

„Bitte!“, drängte er noch einmal.

Sie nickten unsicher. Aber er schien ja wirklich aus der Zukunft zu kommen. Vielleicht hatte er ja Recht?
 

Dean setzte sich an die Steine des Grabmales und zog den bewusstlosen Sam in seine Arme. Sein kleiner Bruder war letztendlich doch den starken Schmerzen erlegen und in die Bewusstlosigkeit geglitten.

„Ich oder einer meiner Brüder wird euch wieder aufwecken“, erklärte der Engel nochmals.

„Dann mach endlich!“, forderte der Winchester und verdrehte die Augen. Wenn der noch mal so was von sich gab, würde er abspringen und den Rest seiner Zeit hier verbringen oder nach einem anderen Weg suchen. Geheuer war ihm das Ganze absolut nicht.

Der Engel hockte kniete sich neben Sam und legte ihm zwei Finger auf die Stirn. Der Körper auf Deans Schoß erstarrte.

„Wann willst du geweckt werden?“, fragte der Geflügelte.

„5. Oktober 2008“, antwortete Dean wie aus der Pistole geschossen und der Engel legte auch ihm zwei Finger auf die Stirn. Deans Kopf sackte auf seine Brust und dann erstarrte auch er.

Der Engel hielt seine Hände über die Winchesters.

„Warte!“, rief Jacob gerade noch rechtzeitig.

„Warum?“

„Kannst du ihnen noch etwas mitgeben?“

„Mitgeben?“

„Seinen Quilt und die Satteltaschen seines Pferdes.“

„Satteltaschen? Quilt? Was ist das? Zeige es mir!“, forderte der Engel und legte seine Hand auf Jacobs Stirn.

Dieser dachte an die Dinge, die er Dean gerne als Andenken mitgeben wollte und zwei Handbewegungen des Geflügelten später lagen diese neben den Brüdern.

Jetzt endlich ließ der Engel einen Steinberg über den beiden entstehen, der von den Grabmälern um ihn herum nicht zu unterscheiden war.

„Wirst du sie auch wiederfinden, wenn es soweit ist?“, fragte Thomas skeptisch und Amos nickte bestätigend.

Der Engel verschwand ohne eine Antwort.

Zurück in die Zukunft

86) Zurück in der Zukunft
 

Lautes Hupen ließ Dean aufschrecken. Sein Bein war eingeschlafen und sein ganzer Körper kribbelte als hätte eine Kolonie Ameisen ihn in ihrem Haufen eingearbeitet. Sand knirschte zwischen seinen Zähnen.

Blinzelnd schaute er sich um.

Es war dunkel. Immer wieder huschten Scheinwerfer über sie hinweg und das Brummen von Autos erfüllte die Luft.

Er lehnte an einem Baum. Um ihn herum standen noch mehr davon und unter seiner Hand fühlte er Gras. Das war definitiv nicht der Platz, auf dem er gerade noch gesessen hatte.

Er wusste nicht wo geschweige denn wann er war.

Der Engel wollte sie zurückschicken. Oder vor, wie immer man das sehen wollte. Hatte er das? War es überhaupt ein Engel gewesen? Waren sie in der Nähe des Motels?

Sein Bein machte sich mit immer stärkerem Kribbeln bemerkbar. Der Winchester schaute nach unten.

Sam!

Mit leisem Stöhnen schlug der Jüngere die Augen auf und versuchte sich aufzusetzen.

„Wie geht es dir?“, fragte der Blonde ruhig.

„Mein Rücken tut weh!“

„Wir sollten hier weg“, sagte der Ältere und warf die Decken von den Schultern.

Mühsam stand er auf. Sein Oberschenkel brannte, aber er ließ sich nichts anmerken, sondern sammelte die Decken auf und legte sie zusammen. Er warf sich die Satteltaschen über die Schulter, umfasste Sam, der unter Zuhilfenahme des Baumes aufgestanden war und klemmte sich auch noch das Bündel Decken unter den Arm. Dann zog er Sam mit sich nach Süden. Die meisten Autos schienen dahin zu fahren, also hatte er sich auch für diese Richtung entschieden. Nach wenigen Schritten mussten sie eine breite Straße überqueren. Und fanden sich an einem Friedhof wieder.

‚Wie passend‘, dachte Dean sarkastisch.

Langsam humpelten sie durch die Nacht.
 

Wieder und wieder schielte der Ältere zu seinem kleinen Bruder. War er das? Hatte er seinen Sammy wieder? Er traute sich nicht zu fragen.

Der Jüngere setzte einfach nur ein Bein vor das anderen. Er war froh, dass Dean nichts fragte und zum vielleicht ersten Mal in seinem Leben wollte er auch nicht reden. Seine Gedanken zerfaserten, kaum dass er versuchte sich auf etwas zu konzentrieren.

Immer wieder fuhren Autos an ihnen vorbei, die Dean als ziemlich modern einstufte, also schienen sie doch in der richtigen Zeit gelandet zu sein. Jetzt musste er nur noch eine Zeitung finden, um zu wissen wann und wo sie waren.

Wie er Zeitreisen hasste.

Immer öfter strauchelte Sam neben ihm. So langsam musste er einen Unterschlupf für sie finden. Sein kleiner Bruder würde sich nicht mehr lange auf den Beinen halten können.

Links auf den Friedhof gab es ein Gebäude. Es stand nicht unbedingt weit abseits, aber seine Rückseite war von Bäumen gesäumt. Hier würden sie fürs Erste unterkommen können.

„Bitte, ich kann nicht mehr!“, keuchte der Jüngere leise.

„Noch ein bisschen, da vorn ist eine Halle. Da können wir ausruhen“, sagte Dean und hoffte nur, dass es die Wahrheit war. Der Kleine konnte wirklich kaum noch laufen. Er hing mehr an ihm, als dass er sich selbstständig aufrecht hielt.
 

„Bleib hier, Sam, ich schau mal, ob ich einen Eingang finde.“ Es dauerte etwas, doch dann hatte Dean die Tür geknackt und sie konnten hinein.

Er holte seinen Bruder und bereitete ihm aus den Decken ein halbwegs bequemes Lager.

„Ich will noch mal los. Du bist hier sicher!“, erklärte er voller Zuversicht und hoffte, dass er Recht hatte.

„Durst!“, krächzte der Jüngere.

Sofort kramte er in den Satteltaschen und holte eine Flasche Weihwasser hervor, das würde es auch tun, und hielt die Flasche an Sams rissige Lippen.

„Ich bring dir mehr mit“, sagte Dean leise und drückte noch einmal Sams Schulter. Dann ging er und hoffte, dass er schnell wieder hier sein würde. Sam fühlte sich heiß an. Er musste dringend ein Bett für ihn finden. Und er musste herausfinden, wo und wann sie waren.
 

Als er wieder an der Straße stand schaute er sich um. Von rechts waren sie gekommen, also lief er nach links.

Bald wies ein Schild auf einen Supermarkt hin und er ging hinein. Vielleicht konnte er hier für seinen kleinen Bruder etwas stehlen?

Gleich am Eingang war ein Zeitungsstand, der Dean Winchester ziemlich aus dem Konzept brachte.

Einerseits war er ja erleichtert, das Jahr stimmte und sie waren sogar wieder in Santa Fe, aber jetzt war Anfang Dezember! Sie hatten fast zwei Monate verloren! Die eh schon geringe Hoffnung auf das Motelzimmer zerplatzte wie eine Seifenblase. Wo sein Baby wohl war? Den Gedanken daran, dass sie verkauft worden sein könnte oder schlimmeres raubte ihm den Atem und er untersagte ihn sich kategorisch.

Die Menschen starrten ihn an. Er schob seinen Hut in den Nacken und kratzte sich am Kopf. Warum nur? Hier würde er wohl nichts stehlen können. Also brauchte er Geld.

Die Dollars die er in der Tasche hatte würden ihn wohl höchstens als Dieb ins Gefängnis bringen. Wie sollte er auch erklären, dass er die Münzen mit dem Prägejahr 1854 nicht gestohlen sondern redlich verdient hatte? Außerdem sah er überall Überwachungskameras.

„Guck mal, Mom! Ein echter Cowboy! Wie im Film!“, krähte ein kleiner Junge und starrte den Winchester mit großen Augen an.

Er schob sich den Hut wieder in die Stirn und schloss seinen Staubmantel, als könnte der ihn schützen.

Die Chaps klatschten leise gegen seine Beine als er schon fast aus dem Laden flüchtete, doch er spürte es schon lange nicht mehr.
 

Dean wanderte etwas ziellos durch die Straßen. Er war in einem Viertel mit kleineren Häuschen gelandet.

Eines der Häuser lag etwas tiefer hinter Sträuchern versteckt und zog deshalb die Aufmerksamkeit des Cowboys auf sich.

Zweimal schlich er um das Haus, dann versuchte er sich an der Hintertür. Die war nicht mal abgeschlossen und schwang einfach nach innen auf, als er leicht dagegen drückte.

Leise huschte er ins Haus und durchsuchte das Erdgeschoss.

Im Bad fand er Aspirin und Verbandsmaterial und in der Küche nahm er ein paar Flaschen Wasser mit und schaute in den Kühlschrank. Die Familie, die hier lebte schien nicht wirklich an Überfluss zu leiden.

Es tat ihm fast leid, die Menschen bestehlen zu müssen, doch jetzt musste er erst einmal an Sam und sich denken. Er packte noch eine Tiefkühlpizza ein. Die würden sie zwar kalt essen müssen, aber essen musste sein!

In einer Schublade fand er noch etwas Kleingeld. Damit würde er auf jeden Fall Bobby anrufen können.

Seine Münzen wollte er noch sparen, die konnte er vielleicht in einer Pfandleihe versetzen.
 

Schnell war er wieder aus dem Haus verschwunden.

Auf dem Weg zu Sam fand er auch eine Telefonzelle.

„Bobby, hier ist Dean!“, ließ er dem Älteren kaum Zeit sich zu melden, nachdem der nach dreimal Klingeln abgenommen hatte.

Nur ein leises Japsen kündete davon, dass der Mann am anderen Ende der Leitung noch dran war.

„Bobby, bitte! Kannst du uns abholen? Sam ist angeschossen worden.“

„Dean?“, fand Bobby endlich seine Sprache wieder.

„Ja, Bobby. Wie sind wieder da!“

„DEAN?“, fragte er noch einmal vollkommen verwirrt.

Jetzt wusste der Blonde nichts mehr zu sagen.

Wo ward ihr?“

„Können wir das bitte später klären? Sam...“, drängelte der ältere Winchester.

„Aber ja, wo seid ihr?“

„Santa Fe.“

„Ich kann in 24 Stunden da sein. Wo?“

„An der 84. ist ein Friedhof. Ich warte da an der Abfahrt auf den Alamo Drive“, antwortete der Blonde müde.

„Wie geht es dir, Dean?“

„Ich bin okay.“

Bobby nickte. Dean war alles andere als okay, das konnte er hören. Er musste so schnell wie möglich zu den Jungs. Nicht nur Sam brauchte Hilfe.

„Beeil dich bitte, Sam ...“

„Ich fahre gleich los.“

„Danke“, sagte der Winchester und legte auf. Er schaute auf die Uhr. Es war fast elf. Noch 24 Stunden, dann wäre Bobby da und würde ihnen helfen.

Nur 24 Stunden mussten sie noch durchhalten.

Bobby legte ebenfalls auf. Vollkommen erschlagen blieb er einfach nur sitzen und starrte ins Leere.

Die Jungs, waren wieder da! Wo waren sie gewesen? Warum hatten sie sich nicht gemeldet?

Egal! Seine Jungs waren wieder da und sie brauchten Hilfe. Alles andere musste warten!

Warum Dean kein Auto geknackt hatte um direkt zu ihm zu kommen, fragte er sich kurz, aber dann fiel ihm wieder ein, wie der Junge geklungen hatte. Und Sam war verletzt.

Endlich stand er auf und verfiel in Hektik.

Er warf ein paar Kleidungsstücke der Jungs in eine Tasche, packte die, seinen und den Verbandskasten der Jungs in einen Van, derzeit das einzige fahrbereite Auto, und machte sich auf den Weg. Er wollte so schnell wie möglich nach Santa Fe. Mit dem Wagen würde er zwar doppelt soviel Zeit brauchen wie vor zwei Monaten, als er geflogen war, doch er wusste ja nicht, was mit den Jungs war. Sam war verletzt und Dean klang auch nicht gut. So konnte er sie ohne Probleme mitnehmen und er hatte seine Waffen dabei! Schließlich wusste er noch immer nicht was passiert war!

Außerdem er wollte nicht noch Zeit damit vertun herauszufinden, ob und wann der nächste Flug nach Santa Fe ging.

Die Jungs waren wieder da! Wo die wohl gewesen waren? Was hatten sie die ganze Zeit gemacht? Und wieso war Dean ohne sein Auto verschwunden? Das konnte unmöglich freiwillig gewesen sein!

Bobby schnaufte und zwang sich, seine Aufmerksamkeit auf die Straße zu richten.
 

Dean beeilte sich wieder zu Sam zu kommen.

Sein Oberschenkel brannte und das Laufen fiel ihm immer schwerer. Auch wenn er es ungern zugab, auch er brauchte Ruhe.

Er fand seinen Bruder noch immer schlafend. Die Pizza legte er auf den Boden, damit sie auftauen konnte. Es war zwar nicht das Beste, aber es würde auch so gehen müssen.

„Sam? Hey, komm schon“, weckte er seinen kleinen Bruder vorsichtig. Kaum hatte der Jüngere die Augen aufgeschlagen, schob er ihm auch schon zwei Tabletten zwischen die Zähne und hielt ihm die Flasche Wasser an die Lippen.

Der Jüngere schaffte es ein paar Schlucke zu trinken, als er auch schon wieder einschlief.

Dean nahm ebenfalls zwei Tabletten und trank etwas. Er setzte sich an die Wand und zog seinen Bruder auf seinen Schoß, breitete die Decken über sie beide aus, legte sich seinen Quilt um die Schultern und war auch bald darauf eingeschlafen.
 

„Ich verachte dich!“, dröhnte es in seinen Ohren.

Sam stand ihm gegenüber. Er blinzelte kurz. Wo waren sie und wie waren sie hierher gekommen?

„Aber warum...?“, stotterte er verwirrt. „Sammy?“

„Hast du schon wieder einen Blackout gehabt? Kannst du dich schon wieder an nichts erinnern?

Dann zu allerletzten Mal: Ich bin nicht Sammy! Es heißt Sam! Wie oft muss ich dir das noch erklären Du bist so zurückgeblieben! Du behinderst mich wo du nur kannst. Ohne dich wäre ich schon viel weiter Du bist so nutzlos! Du bist wertlos! Ich verfluche dich, Dean, so wie dich Dad schon verflucht hat. Verschwinde ich will nie wieder etwas mit dir zu tun haben!“, brüllte der Jüngere.

„Sam?“, fragte Dean hilflos.

Vom Himmel stieß etwas herab, das wie ein riesiger Vogel aussah, und landete neben Sam.

„Er ist dämonisch, Dean. Das ist nicht mehr dein Bruder! Ich werde dich von ihm befreien!“

„Aber er ist doch mein kleiner Bruder!“, protestierte der Blonde. „Und wer bist du?“

„Ich bin ein Engel, Dean. Das siehst du doch!“, erklärte das Wesen und deutete auf seine Flügel, die hinter seinem Rücken zu sehen waren.

„Er darf nicht mehr auf der Erde sein“, sagte der Engel und verwandelte sich plötzlich in einen Greif.

Er stieg in die Luft und bevor Sam sich versah, wurde er an den Schultern gepackt und in die Luft gehoben. Hilflos strampelte er mit den Beinen.

Dean packte zu und hielt sich an Sams Füßen fest. Auch er wurde mit in die Höhe gerissen.

„Lass los, du Trottel! Wegen dir wird er mich noch fallen lassen!“, fauchte Sam und begann mit den Beinen zu strampeln.

Der Ältere konnte sich nicht mehr halten und stürzte.

Sam hing noch immer in den Fängen des Greifs und lachte.

Dean fiel ins Bodenlose. Immer weiter entfernte er sich von Sam.

Erfiel und fiel immer weiter und Sam wurde immer kleiner, aber sein Lachen dröhnte weiter in seinen Ohren.
 

Panisch riss der Blonde seine Augen wieder auf. Sein Atem kam stoßweise. Müde rieb er sich über sein Gesicht, dann schaute er sich mit brennenden Augen um.

Tageslicht fiel durch die Ritzen an der Tür. Er schaute auf seine Uhr. Acht Uhr dreißig.

Sanft schob er Sam die schweißnassen Haare aus der Stirn und legte seine Hand erneut auf dessen Schulter. Ein paar Minuten blieb er einfach nur sitzen, dann schob er seinen Bruder vorsichtig von sich.

Sein Arm brannte, genau wie die Wunde an seinem Oberschenkel. Auch um Sams Wunde musste er sich kümmern.

Routiniert versorgte er erst Sams, dann seine Verletzungen und überlegte kurz, ob er die Chaps wieder anlegen sollte. Aber er müsste sie so oder so tragen und um seine Hüften geschnallt waren sie leichter als über die Schulter gelegt, also schnallte er sie wieder um.

Leise ächzend ließ er sich wieder an die Wand gestützt nieder und zog Sam erneut auf seinen Schoß.

Er lehnte seinen Kopf wieder an die Wand in seinem Rücken und schloss die Augen. Bis jetzt hatte er es gut umgehen können, über seinen Traum nachdenken zu müssen, aber auch jetzt wollte er sich nicht damit befassen.

Sams Gewicht auf seinen Beinen beruhigte ihn.

Dean dachte an Impala und die Prärie, die unter dessen Hufen weg flog.

Langsam driftete er wieder ins Traumland.

In guten Händen

87) In guten Händen
 

Vier Stunden später wachte er vom Kribbeln seiner Beine auf. Sein Rücken schmerzte so stark, dass er die Wunde an seinem Arm kaum noch fühlte. Er musste aufstehen.

Diesmal weckte er den Jüngeren auf, flößte ihm zwei Tabletten und einen halben Liter Wasser ein und ließ ihn wieder auf die Decken sinken. Erneut kontrollierte er die Schusswunden und betete, dass die Zeit schneller verging bis Bobby kam. Sam brauchte ein richtiges Bett. Außerdem mussten die Wunden richtig gesäubert werden. Sie hatten schon rote Ränder! Seine Aktion vorhin hatte auch nicht viel gebracht.

Warum hatte das Geflügel sie nicht gleich geheilt? Warum waren die Wunden nicht von selbst verheilt? Immerhin waren sie fast 153 Jahre in der Zeit erstarrt, eingefroren oder was auch immer mit ihnen in dieser Zeit passiert war.

Ein eisiger Schauer rann über seinen Rücken.

Mit einiger Überwindung aß er die halbe aufgetaute Pizza und lief dann wie ein Tiger im Käfig hin und her.

Schweiß rann über seinen Rücken und der Sand, der noch immer in jeder Pore seines Körpers klebte, juckte immer schlimmer. Was würde er jetzt für eine Dusche geben.

Dean ließ sich neben Sam auf dem Boden nieder. Gleich darauf war er in eine Art Dämmerzustand gefallen.

Immer wieder tauchte er daraus auf, wurde aber nicht wirklich wach. Erst eine Stunde vor Bobbys Ankunft ließen seine Instinkte ihn richtig aufwachen.

Er versorgte Sam, der noch immer nicht ansprechbar war, trank ein paar Schlucke Wasser und würgte noch einen Bissen Pizza runter. Dann ging er zum ausgemachten Treffpunkt.

Schweiß lief über seinen Rücken und ließ ihn frieren.
 

Bobby war fast die ganze Strecke durchgefahren. Nur zum Tanken und für ein paar Snacks und Kaffees hatte er sich Zeit genommen. In Santa Fe hatte er zwei Zimmer in einem Motel in der Nähe des Treffpunktes gesucht. Er hatte sich in sein Bett gelegt und war, dank der Fähigkeit eines Jägers immer und unter allen Umständen Schlaf zu finden, auch bald eingeschlafen.

Knapp vier Stunden später weckte ihn sein Wecker. Schnell warf er sich ein paar handvoll Wasser ins Gesicht und fuhr los.

Seine Jungs waren wieder da! Gleich würde er sie treffen. Die Hände zitterten ihm vor Aufregung.

Das war ihm ja noch nie passiert!
 

Er parkte den Wagen am Straßenrand und schaute sich suchend um. Er sah niemanden.

Plötzlich wurde die Beifahrertür geöffnet und ließ ihn zusammenfahren. Ein waschechter Cowboy ließ sich auf den Beifahrersitz fallen.

„Dean?“

„Hast du Bargeld dabei?“, fragte der Blonde heiser, ohne auf die Frage einzugehen.

Ja! Es war Deans Stimme, wenn auch rauer und geschwächter, als er sie in Erinnerung hatte.

„Vielleicht zweihundert Dollar“ antwortete er.

„Kannst du mir hundert geben?“, wollte der Blonde leise wissen. „Ich hab Schulden, sozusagen.“

Der Ältere holte seine Brieftasche hervor und gab dem Winchester das Geld.

Der hielt es in seiner Hand, als könnten die Scheine jederzeit verschwinden, wenn er nicht gut genug darauf aufpasste.

Sofort lotste Dean seinen Freund zu einem Supermarkt und nachdem er den Markt mit vollen Tüten wieder verlassen hatte, zu dem Haus, in das er am Tag zuvor eingebrochen war.

Vor der Tür kramte er einen Zettel aus der Tasche und schrieb ein Wort darauf.

‚SORRY‘

Dann stieg er aus, stellte die Tüten vor die Tür und klingelte Sturm. Erst als er sah, dass das Licht im Haus anging, rannte er zum Van und rutschte mit einem breiten Grinsen wieder auf den Beifahrersitz.

„Was war das denn?“, wollte Bobby wissen, als er um die nächste Ecke fuhr.

„Ich musste gestern in das Haus einbrechen. Wir hatten nichts mehr. Weder Geld noch Lebensmittel oder Verbandszeug und Sam brauchte Hilfe. Die Leute da haben aber auch nicht viel.“

„Dean Winchester, Jäger alles Übernatürlichen und Retter der Armen und Benachteiligten?“, grinste der Ältere. ‚Und der Beschützer von Witwen, Waisen und Sam …‘, fügte er in Gedanken hinzu.

„Ich wollte nicht, dass sie wegen uns … Weil wir…“ Er brach ab und wischte sich mit der Hand über das heiße Gesicht. Dann schob er den Hut weiter ins Gesicht.

„Wir müssen zum Friedhof“, sagte Dean noch schnell.

„Ihr ward zwei Monate weg, Dean! Wo ward ihr?“, stellte Singer die Frage, die ihm am meisten auf der Seele brannte.

„Hm“, brummte der Winchester, lehnte sich an die Kopfstütze, schob den Hut noch tiefer uns Gesicht und war eingeschlafen bevor Bobby weiter fragen konnte.

Dem Blonden war jedoch nicht viel Ruhe vergönnt.

„Dean, wir sind da“, weckte ihn Bobby fast sofort wieder.

Einen Augenblick musste er überlegen, wo er jetzt sein sollte und starrte verwirrt aus dem Fenster, dann lotste er seinen Freund zu der Halle, in der Sam lag. Kaum hatte Bobby angehalten stieg er aus und ging zielstrebig auf die Halle zu.

Bobby stieg ebenfalls aus und schaute dem Winchester hinterher. Verwundert schüttelte er den Kopf.

Wieso trug Dean diese Kleidung und was ihn noch stärker verwunderte: Warum sah es so aus, als wäre die Cowboykluft ganz natürlich für ihn?

Dabei wusste er nicht mal, ob Dean reiten konnte. Trotzdem oder gerade weil er den Jungen so intensiv musterte, war ihm aufgefallen, dass er immer stärker hinkte. ‚Hoffentlich ist das nichts Schlimmeres.‘

Er musste sich beeilen, denn Dean, über den er hier so intensiv nachdachte, war gerade in der Halle verschwunden.
 

„Sam? Wach auf, Bobby ist hier. Wir können hier verschwinden. Bobby hat ein Zimmer für uns und wenn du dich ausgeschlafen hast, dann fahren wir nach Sioux Falls und du kannst dich da richtig auskurieren.“

Der Jüngere blinzelte und setzte sich mit Deans Hilfe auf.

Der Blonde legte die Decken zusammen, warf sich die Satteltaschen über die Schulter und half dann mit Bobbys Hilfe dem Jüngeren auf die Beine.

Schwer stützte sich Sam auf seine Helfer und ließ sich nach draußen führen.
 

„Was ist mit Sam?“, wollte der Ältere wissen.

Der Blonde antwortete nicht. Er schwitzte und fror gleichzeitig und war einfach nur glücklich in einem Auto zu sitzen und sich darauf verlassen zu können, dass Bobby sie in ein Bett brachte. Doch er musste sich auch noch um Sam kümmern. Er konnte ihre Pflege nicht nur auf die Schultern seines Freundes packen. Nicht solange sie nicht in Sioux Falls in Sicherheit waren und nicht, solange Sam nicht wieder auf dem Damm war. Er musste doch wissen ob sein Bruder wirklich wieder Sam war.

„Dean?“, hakte Bobby nach.

„Ja?“, schrak der Blonde auf.

„Was ist mit Sam?“

„Er ist von Geisterindianern angeschossen worden. Zwei Pfeile im Rücken. Wir haben es so gut es ging versorgt.“

„Geisterindianer?“

Der Blonde holte tief Luft. Er wollte die Fahrt eigentlich für ein paar Minuten Schlaf nutzen, doch Bobby hatte ein Recht auf die vollen Informationen: „Wir mussten die Knochen des Apachen-Häuptlings verbrennen. Seine toten Krieger hatten was dagegen. Sie haben uns schwer zu schaffen gemacht.“

Singer schluckte. Das wollte er gerne genauer wissen, aber im Moment gab es andere Prioritäten. Deans Worte waren immer schleppender gekommen, also erkundigte er sich erstmal: „Und wie geht es dir?“

„Ich bin okay!“

„Du hast wirklich nichts abbekommen?“ Bobby glaubte ihm nicht.

„Ich bin okay!“

Der Ältere nahm sich vor, später noch einmal mit ihm zu reden.

Doch jetzt sollten sie erstmal Sam versorgen.
 

Im Motel angekommen brachten sie den Jüngeren ins Zimmer und ließen ihn auf einen Stuhl sinken.

Vorsichtig zogen sie ihm seine Kleidung aus. Überall rieselte Sand heraus.

Während Bobby sich die entzündeten Wunden auf Sams Rücken anschaute, hatte Dean seinen Blick auf eine andere Region von dessen Körper gerichtet. Ein kurzes Grinsen huschte über sein Gesicht.

Sein kleiner Bruder hatte sich ebenfalls wund geritten. Nicht so schlimm wie er damals, aber es hatte schon seinen Grund, dass er keine Shorts mehr drunter trug.

Sie schoben den Jüngeren ins Bad und drängten ihn in die Wanne. Schnell hatten sie ihn soweit gewaschen, dass sie sich seiner Wunden annehmen konnten.

Dean setzte sich auf den Rand und zog seinen kleinen Bruder an sich, so dass er in der Wanne kniete und sich auf Deans Schoß abstützen konnte. Das war zwar für ihn nicht besonders bequem, aber sie konnten die Wunden so am einfachsten reinigen.

Immer wieder keuchte Sam und zuckte zusammen, egal wie vorsichtig Bobby war.

Es dauerte eine Weile, doch dann hatten sie es geschafft und den jüngeren Winchester, in ein Handtuch gewickelt, zurück ins Zimmer geschoben.

Während Bobby die Pfeilwunden mit Antibiotika-Salbe bestrich und anschließend verband, kümmerte sich Dean um die wundgeriebenen Stellen an Sams Körper.

Schnell zogen sie ihm Shirt und Shorts über und steckten das frierende, zitternde Häufchen Mensch unter die Decken. Dean legte noch einige ihrer Decken und den Quilt darüber, dann rutschte er auf das Nachbarbett und richtete sich auf eine lange, unbequeme Nacht ein.

„Du solltest auch schlafen“, drängte ihn der Freund.

„Ich habe fast den ganzen Tag verschlafen und du bist heute gefahren und wirst wahrscheinlich auch morgen fahren müssen. Leg dich hin, ich passe auf Sam auf.“
 

Bobby nickte und verließ das Zimmer der Jungs. Dean hatte Recht. Er brauchte Ruhe, aber trotz allem dachte er über den Jungen nach. Wann immer er dem Blonden in die Augen schauen wollte, war der ihm ausgewichen. Er bewegte sich eckig und zuckte immer mal wieder zusammen oder verzog das Gesicht, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Und er schwitzte.

Und warum sagte er immer nur Sam? Sonst wäre jedes zweite Wort Sammy gewesen. Heute ist er mit seinem Bruder sehr vorsichtig umgegangen, fast schon distanziert. Er konnte sich keinen Reim darauf machen und nahm sich vor am nächsten Morgen unbedingt mit Dean zu reden.
 

Der Blonde wartete noch fast eine Stunde, nachdem ihr Freund das Zimmer verlassen hatte, nur um sicher zu gehen. Dann endlich ließ er die Schmerzen zu, die er trotz der Tabletten, die er in einem unbeobachteten Moment genommen hatte. Er stöhnte als er sich aufrichtete.

Wie sehr sehnte er sich nach Schlaf, sich einfach fallen lassen können. Nichts mehr fühlen. Er wollte so gerne schlafen.

Doch noch musste er auf seinen kleinen Bruder aufpassen.

Noch einmal wechselte er die Wadenwickel, dann ging er duschen.
 

Umständlich kämpfte er sich aus seinen Sachen. Eine Weile fummelte er schon fast hilflos an der Schnalle seiner Chaps herum, bevor er den Gurt mit seinen zitternden Fingern zu fassen bekam und die ledernen Beinlinge zu Boden glitten. Ein weiterer Kampf mit den Jeans und endlich konnte er in die Wanne klettern. Unter dem heißen Wasser schaffte er es, sich ein bisschen zu entspannen. Solange, bis der Strahl auf seine Wunden traf. Der Schmerz ließ ihn in die Knie gehen. Nur mühsam unterdrückte er den Schrei, der sich in seiner Kehle nach außen drängte.

Er ließ sich auf seinen Hintern fallen, griff entschlossen nach der Brause, die ihm entglitten war und hielt das warme Wasser solange über seine Verletzungen, biss er nur noch die prasselnden Tropfen fühlte.

Immer wieder verschwamm seine Sicht hinter grauen Schlieren und er musste mehrfach blinzeln, um wieder klarer sehen zu können.

Plötzlich wurde ihm schwarz vor Augen. Die Brause entglitt seinen zitternden Fingern. Sein Kopf schlug auf den Wannenrand als er das Bewusstsein verlor.
 

Ächzend kam er zu sich.

Sein Kopf dröhnte und seine Wunden hackten in Rhythmus seines Herzens. Lauwarmes Wasser umspülte sein Hinterteil.

Blind tastete er neben sich. Seine Hand fand einen Halt und er stemmte sich stöhnend in die Höhe.

Seine Hand sackte etwas tiefer und er kippte aus der Wanne. Unbewusst hatte er den Hebel des Wasserhahns geschlossen.

Noch einmal kontrollierte er die Wunden, fürs Erste sahen sie sauber aus, wischte das Blut weg, das in dünnen Fäden Arm und Bein hinunterlief und verband sich umständlich. Allerdings war er sich sicher, dass das nicht das letzte Mal war, dass er sie gesäubert hatte.

Er hinkte ins Zimmer zurück und schickte einen stummen Dank an den Freund, der saubere Kleidung für sie mitgebracht hatte.

Schnell zog er sich wieder an. Die Shorts ließ er allerdings unbeachtet. Sie mussten noch zurück und es reichte wenn einer sich wund geritten hatte.

Nach einem Blick auf Sam richtete er sich wieder auf seinem Bett ein um über seinen Bruder zu wachen.

Er schaffte es nicht.

Immer wieder fielen ihm die Augen zu und er träumte von seinem Hengst, der sich in einen Dämon verwandelte, von Präriefeuern und Viehsterben.
 

Schweißgebadet und zitternd erwachte er wieder.
 

Am nächsten Morgen betrat der ältere Jäger mit Kaffee und ein paar Donuts für Dean das Zimmer.

Der Blonde rutschte vom Bett, streckte seine verspannten Muskeln und griff nach einem Kaffee. Er nahm den ersten Schluck und verzog das Gesicht.

Amos hatte wirklich einen scheußlichen Kaffee gekocht!

Widerwillig aß Dean einen halben Donut und brachte den Älteren schon wieder dazu sich Sorgen um ihn zu machen.

„Lass uns los!“, sagte Bobby und Dean lauschte dem Klang der Stimme nach. Jetzt klang Amos auch noch fast so wie Bobby!

Sie schafften es Sam soweit zu wecken, dass Bobby ihm eine der Hammertabletten einflößen und ihn in den Van bringen konnte.

Als Singer ins Zimmer zurück kam schnallte sich Dean gerade seine Chaps um. Den Hut hatte er die ganze Nacht nicht abgesetzt.

‚Wie ein echter Cowboy‘, dachte Bobby mal wieder. ‚Hut und Stiefel werden nie ausgezogen und abgelegt. Obwohl … Dean hat noch seine Boots an.’

„Hast du alles gepackt?“

„Ja“, sagte der Blonde und warf sich die Satteltasche über die Schulter.

„Dann können wir“, lachte der Ältere und schlug ihm auf die Schulter.

Dean keuchte. Schnell riss er sich wieder zusammen, straffte sich und ging nach draußen.

Und wieder schaute der Ältere seinem Freund hinterher und fragte sich, was mit dem Winchester nicht stimmte.

Wade, Sam, Wade

88) Sam, Wade, Sam
 

Als Bobby aus der Tür des Zimmers trat, sah er Dean suchend über den Platz schauen und hörte ihn leise pfeifen.

„Warum pfeifst Du?“

„Nach Impala.“

„Impala? Der steht bei mir auf dem Schrottplatz. Ich bin mit dem Van hier.“

„Wieso steht mein Pferd auf dem Schrottplatz?“, fragte der Blonde verständnislos. Und seit wann hatte Amos einen Schrottplatz? Warum gab es hier überhaupt Schrottplätze?

„Dein Pferd? Ich bin mit dem Auto hier!“ Besorgt musterte der Ältere seinen Jungen. Dean war eindeutig nicht mehr Herr seiner selbst!

Deans Augen weiten sich. Seine Pupillen huschten hektisch hin und her.

„Amos? … Wo ... ich … Bbby?“, fragte er keuchend und sackt in sich zusammen.

Schnell fing der Ältere ihn auf.

Die Hitze, die von dessen Körper ausging konnte er selbst durch die vielen Lagen Bekleidung spüren, genauso wie das Zittern.

Feine Schweißperlen standen auf Deans Gesicht.

„Komm Junge, ich bring dich zu Sam“, sagte er leise und wollte zum Van.

„Nein!“, unbeholfen begann der Blonde sich zu wehren. „Ich … Er heißt … Wade. Er … Ich … will nicht … Er hasst mich! … nur wissen … ihm geht“, stammelte er.

„Sam hasst dich?“, fragte Bobby erschüttert.

„Wade!“, keuchte Dean traurig. Und in diesem einen Wort lag der ganze Schmerz, die ganze Wut und Angst, die er empfand, seit Sam ihn das erste Mal so abgekanzelt hatte.

„Ich bring dich erst Mal ins Zimmer und schau mir deine Verletzungen an.“ Der Ältere schluckte. Sein Junge hatte wie ein kleines Kind gelungen, dass eine Scheibe zerschossen und jetzt Angst hatte, dass seine Eltern ihn anbrüllen würden. Was war nur zwischen den Brüdern passiert?

Willenlos ließ sich Dean mitziehen.
 

Vorsichtig legte Bobby den Blonden auf’s erste Bett und drehte ihn auf den Bauch. So vorsichtig wie möglich und so fest wie nötig wanderten seine Hände über Deans Kehrseite.

Außer einer dicken Beule am Hinterkopf fand er nichts!

Aber der Winchester musste schlimmere Verletzungen haben! Dieses Fieber konnte nicht von einer Gehirnerschütterung kommen!

Er drehte den Jungen wieder auf den Rücken und tastete Deans Körper auch hier ab.

Kaum hatte er das rechte Bein berührt, zeigte ein leises Japsen und der sofort einsetzende Fluchtreflex, dass er die Stelle gefunden haben musste.

Sofort öffnete er Deans Hose und zog sie ihm bis zu den Knien.

Wieso hatte der Blonde nichts drunter? Hatte Dean wirklich als Cowboy gelebt? Seine Kleidung ließ diesen Schluss zu und auch wie natürlich er sich darin bewegte.

War es also doch kein Mythos, dass Cowboys …?

Wo waren die Jungs gewesen?

Der Verband war frisch. Dean musste sich in der Nacht noch verbunden haben. Vorsichtig löste er die Binden. Die Wunde war heiß und die Ränder rot. Eindeutige Zeichen für eine Entzündung.

Besorgt warf er einen Blick auf den Winchester. Der starrte mit fiebrig glänzenden Augen ins Leere.

Er deckte ihn zu.

Kurz überlegte er, ob er die Jungs nicht besser in ein Krankenhaus bringen sollte, doch den Gedanken verwarf er schnell wieder. Die Wunden waren nicht so schlimm, dass er sie nicht behandeln konnte. Außerdem hatte Dean eine regelrechte Krankenhausphobie und würde alles tun um da so schnell wie möglich wieder zu verschwinden. Und was passieren würde, sollten die Jungs tatsächlich vor rund 150 Jahren gelebt haben und in ihrem Fieber davon erzählen, wollte er sich nicht wirklich ausmalen.

Nein, er würde sie mit nach Hause nehmen und wenn die Verletzungen und das Fieber wirklich schlimmer werden sollten, konnte er sie in Sioux Falls immer noch in ein Krankenhaus bringen.

„Ich hol schnell den Verbandskasten“, sagte er und wartete nicht auf eine Reaktion, die wohl ohnehin nicht kommen würde.

Im Zimmer zurück befreite er Dean von seinem Mantel und der Jacke. Bei jeder Bewegung zuckte der Winchester keuchend zusammen. Schnell hatte Bobby ihm auch noch sein Hemd ausgezogen und sah den Verband an dessen Arm.

„Verdammt Junge! Warum sagst du denn nichts!“, schimpfte er leise und löste den Verband. Das sah nach einem Streifschuss aus, nach einem ebenfalls entzündeten Streifschuss.

Er brachte Dean ins Bad.
 

Nachdem Bobby die Wunden gründlich gesäubert und neu verbunden hatte zog er Dean wieder an, diesmal auch Shorts. So schnell würde der Junge wohl auf kein Pferd mehr steigen. Danach legte er die Sitze im Van um, damit er die Jungs nebeneinander legen konnte. Nachdem er Dean dann auch noch eine dieser Hammertabletten gegeben und ihn zu Sam gelegt hatte, fuhr er los.
 

Am Abend des nächsten Tages waren sie in Sioux Falls.

Wieder versorgte er die Wunden der Brüder, die schon viel besser aussahen, als noch am Tag zuvor, und brachte sie dann in ihre Betten.

Müde ließ er sich auf seins fallen und starrte in die Dunkelheit.

Die Entzündungen in den Wunden der Jungs hatte er bekämpfen können, aber wie sah es in ihnen aus? Immer wenn Dean halbwegs wach gewesen war, hatte sein Blick sofort seinen Bruder gesucht, doch er hatte nie etwas gesagt. Kein Wort, keine Frage. Nur diese Mischung aus Angst, Hoffnung und Selbstvorwürfen, die nur Dean zustande brachte, war in seinen Augen zu lesen gewesen. Ohne einen Ton von sich zu geben, hatte er seine Wunden kontrollieren lassen und schien jedes Mal regelrecht dankbar gewesen zu sein, wenn er wieder eine dieser Hammertabletten bekam, die ihn ins schmerzlose Vergessen hatten abtauchen lassen.

Sam war weniger kooperativ gewesen, hatte aber auch nicht die Kraft sich wirklich gegen ihn wehren zu können.

Über seinen Grübeleien schlief Bobby ein.
 

Der nächste Morgen führte ihn als Erstes zu den Brüdern. Beide schliefen noch und beide hatten noch Fieber, auch wenn Sams langsam zurück zu gehen schien.

Er ging duschen und fluchte mal wieder über die Geräusche, die dieses Ding von sich gab. So langsam würde er wirklich mal anfangen müssen, sein Haus zu renovieren. Er hatte seit dem Tod seiner Frau nur noch Flickschusterei betrieben. Hauptsache es funktionierte.

Schnell hatte er sich abgetrocknet und gefrühstückt und brachte den Brüdern etwas zu essen.

Dean trank kommentarlos die angebotene Hühnerbrühe und ließ ihn ohne Proteste die Wunden versorgen. Leider sagte er aber auch sonst kein Wort und würgte die Tablette trocken hinunter, weil Bobby nicht schnell genug das Wasserglas zur Hand hatte.

„Dean!“, schimpfte der Ältere besorgt und hielt ihm das Glas an die Lippen.

Schuldbewusst senkte der Blonde den Blick, trank das Wasser und drehte sich auf die Seite. Er war eingeschlafen noch bevor das Opiat seine Wirkung entfalten konnte.

Besorgt schüttelte Bobby den Kopf. ‚Was war das denn?’ Er konnte sich keinen Reim auf Deans Verhalten machen.

Sam war ebenfalls nicht gesprächiger, aber wie erwartet, etwas schwerer zum Essen zu überreden.

Danach fuhr Bobby einkaufen und setzte sich dann zu Dean.

Der Junge war selbst im Schlaf noch angespannt.

Was war nur zwischen den beiden passiert. Wieso hieß Sam jetzt Wade, und wieso hasste er seinen großen Bruder? Das Leben der Winchester-Brüder war bestimmt nicht leicht gewesen und Dean mehr als enttäuscht, dass sein kleiner Bruder nicht mit ihnen jagen wollte sondern lieber auf College ging, aber das war Jahre her und seitdem waren sie wieder unzertrennlich geworden und zogen zusammen durchs Leben.

Er glaubte nicht, dass die Brüder sich jemals gehasst hatten.
 

Die Kleidung der beiden hatte er gewaschen. In ihren Taschen hatte er einige Münzen mit dem Prägedatum 1850 bis 1854 gefunden. Sollten die Jungs wirklich in dieser Zeit gefangen gewesen sein?

Ihre Kleidung ließ jedenfalls den gleichen Schluss zu.

Sein Blick fiel wieder auf den Quilt, den er über Deans Decke gelegt hatte. Eine wundervolle Arbeit, die auch aus dieser Zeit stammen könnte.

Seine Frau hatte auch einige dieser Decken gemacht und ihm vieles darüber erzählt.
 

Drei weitere Tage waren vergangen und Bobby saß wie üblich über seinen Büchern und versuchte etwas über den Trickster oder Loki zu finden, das er noch nicht wusste, und das ihn in die Lage versetzten würde diesem ein für alle Mal wenigstens seine Späße hier zu vermiesen und ihn in seine Welt zu verbannen, als er oben leise Schritte hörte.

Er ging nach oben.

Sam stand vor der Tür zu Deans Zimmer.

„Warum gehst du nicht rein?“, wollte der Ältere wissen.

„Ich will ihn nicht wecken.“

„Und warum stehst du dann hier?“

„Ich wollte sehen, wie es ihm geht und …“, unschlüssig brach er ab.

„Was und?“

„Weißt du wo mein Laptop ist?“, wechselte er abrupt das Thema.

„Der steht im Wohnzimmer. Aber bevor du dich dahinter vergräbst will ich mir deinen Rücken ansehen.“

Unwillig nickte der Winchester, ging zurück in sein Zimmer, setzte sich und zog sein Shirt aus.

Er spürte ein unangenehmes Ziehen, als die Finger des Freundes über die Wunden glitten, aber es tat nicht mehr wirklich weh. Nicht so, wie ihn sein Verhalten der letzten sechs Monate Dean gegenüber schmerzte.

„Alles okay, aber übertreib es nicht“, sagte Bobby und entließ den Jüngeren.

Sam nickte und ging nach unten.

Schnell hatte er sein Spielzeug aufgeklappt, hochgefahren und stöhnte frustriert, dass dieses Instrument allen Wissens erstmal etliche Updates aus dem Netz zog, installierte und dann bestimmt auch noch heruntergefahren werden wollte.

Sie können weiterarbeiten während die Updates installiert werden. Was für ein Hohn.

Wenn er es täte, würden ihn die ständigen Hinweise, dass er den Laptop neu starten müsste in den Wahnsinn treiben oder er würde einen Hinweis bersehen und der Rechner sich selbstständig runterfahren. Egal was er machen würde, alles wäre nervig!
 

Bobby machte Sam ein Sandwich und brachte es mit zwei Bier ins Wohnzimmer.

„Weißt du was mit dir passiert ist?“, wollte er wissen.

Der Jüngere schaute ihn über den Rand seines Laptops schuldbewusst an und eine Traurigkeit, die sich Bobby nicht erklären konnte, schlich sich in seine Züge.

„Ich kann mich an alles erinnern, leider! Aber ich …“, er wusste nicht mehr was er sagen sollte, starrte auf die Tastatur seines Rechners und brach ab.

Der ältere Jäger zuckte mit den Schultern und vertiefte sich dann wieder in seine Recherchen. Wenn Sam nicht reden wollte, dann sollte er es lassen. Er hoffte nur, dass er mit seinem Bruder sprach, wenn der wieder auf den Beinen war.
 

Sam hackte auf der Tastatur herum, ohne dass er wusste, was er suchte, was er suchen sollte. Es gab wohl selbst im allwissenden Netz keine Anleitung wie er sich bei Dean entschuldigen könnte. Die Ausrede: ‚Das war der Trickster’, wollte er nur bedingt zulassen!

Dass er mit Dean nicht hatte reden wollen, sondern ihn immer wieder von sich gestoßen hatte, das war ganz alleine seine Schuld!

Er verstand sich nicht!

Wie sollte ihn dann Dean verstehen, oder Bobby? Und der hatte eigentlich für so fast alles Verständnis.

Nein, erst mal musste er sich selbst erklären.
 

Eine dünne Schneeschicht lag auf den Fensterrahmen, als der Hausherr am nächsten Morgen seine Augen aufschlug. Müde kämpfte er sich aus dem Bett und schaute auf seinem Weg ins Bad bei Sam vorbei.

Erleichtert atmete er auf, der Junge schlief in seinem Bett. Hatte er dem Internet also doch noch den Rücken gedreht und war schlafen gegangen. So viel Einsicht schien er dann wohl doch gehabt zu haben.

Er hatte sich ja gestern Abend, oder eher heute früh, den Mund fusslig reden können. Sam hatte nicht auf ihn gehört. Aber vielleicht hatten ihn auch nur die Schmerzen in seinem Rücken dazu gezwungen.
 

„Verdammte Dusche!“, knurrte er, als er aus dem Bad kam und fast in Dean lief.

„Du bist wach?“, fragte er unnützerweise.

„Oder ich schlafwandle!“

„Dean!“

„Danke!“

Bobby schaute ihn fragend an.

„Dass du uns da rausgeholt hast.“

„Für euch mache ich fast alles, Junge. Du weißt, dass Familie nicht beim Blut aufhört!“

„Danke!“, sagte der Blonde noch einmal ruhig und drückte sich an dem Älteren vorbei ins Bad.

„Wie geht’s Sam?“, wollte er noch wissen, bevor er die Tür schloss.

„Der war gestern schon wach. Hat aber nichts gesagt.“

Dean nickte und Bobby meinte kurz Trauer auf seinem Gesicht gesehen zu haben, doch dann schloss sich die Tür und er war sich nicht mehr so sicher, was er überhaupt gesehen hatte.

Der Junge schien wieder okay zu sein.

Er klopfte kurz an die Tür: „Wenn du hier fertig bist, komm in die Küche. Ich will mir deine Verletzungen noch mal anschauen!“

„Mach ich!“, klang es dumpf hinter der Tür und schon rumorte es wieder in den Rohren.
 

Der Tisch war gedeckt, als Dean mit Shorts und T-Shirt bekleidet in die Küche kam.

„Ohne dich würden wir jetzt ziemlich alt aussehen!“, sagte der Winchester und schaute dem Freund in die Augen.

„Ihr würdet das auch für mich tun“, sagte der Ältere voller Überzeugung.

„Jederzeit“, lächelte der Blonde und seine Augen strahlten warm.

Schnell bekam er einen Topf Kaffee in die Hand gedrückt und dann kontrollierte Bobby die Verletzungen.

„Sehen gut aus“, kommentierte er. „Kannst dich anziehen. Hier ist es nicht sonderlich warm.“

„Hmhm“, machte Dean und leistete der Aufforderung Folge.

„Hast du noch Schmerzen?“

„Ich …“ begann er „Es ist auszuhalten“, sagte er dann, als er Bobbys Blick sah.

„Überanstrenge dich nicht und wenn es schlimmer wird, sagst du sofort Bescheid!“, forderte der Hausherr.

„Ich…“, wollte Dean aufbegehren, doch dann nickte er nur. Bobby hatte es nicht verdient jetzt angefahren zu werden. Nicht, nach allem, was er für ihn und seinen Bruder getan hatte.
 

„Was ist mit dir und Sam?“, wollte Singer wissen als Dean wieder in der Küche war.

„Das musst du ihn fragen.“

„Der ist so schlimm wie du! Er sagt nichts!“

„Bobby, ... ich ...“

„Schon gut, Junge.“

„Der Impala?“, wollte Dean wissen und wappnete sich gegen das Schlimmste.
 

„Der steht hinten.“

„Du hast ihn geholt?“ Jetzt leuchteten die Augen im herrlichsten Grün.

„Die Besitzerin des Motels hat mich angerufen. Ihr ward eine Woche verschwunden und sie hat das Zimmer aufgebrochen. Ich bin hingefahren, hab euch tagelang gesucht aber nichts gefunden und der Trickster hatte ein paar sehr unschöne Antworten. Ihr wärt tot, meinte er.“

„Das waren wir zu der Zeit wohl auch“, überlegte der Blonde.

„Wo wart ihr?“

„Eher wann!“

„Dean! Lass dir nicht wieder alles aus der Nase ziehen!“

„1855 in der Nähe von El Paso. Aber ich ...“

Nasse Füße platschten die Treppe herunter.

„Oben kommt kein Wasser mehr!“, informierte ein an der Tür vorbeihuschender Sam und war im unteren Bad verschwunden.

„Ach verdammt. Da ist bestimmt irgendwo was mit den Rohren!“, knurrte Bobby.

„So wie das klingt auch kein Wunder. Wann hast du das letzte Mal was daran gemacht?“, wollte der Blonde wissen.

Als meine Frau noch lebte haben wir alles erneuern lassen, danach hab ich höchstens mal was geflickt.

„Sei mir nicht böse, aber so sieht es hier auch aus!“

„Mich stört es nicht!“

„Ich wollte nicht ...“, versuchte Dean unsicher einzulenken.

„Nein, du hast ja Recht. So langsam müsste ich wirklich mal was machen.“

Dean = wertlos

89) Dean = wertlos
 

Wegen der unterbrochenen Dusche noch immer ziemlich angefressen, schlurfte Sam in die Küche, murmelte sich ein kaum zu verstehendes „Morgen“ in seinen nicht vorhandenen Bart und ließ sich, ohne Dean eines Blickes zu würdigen, auf seinen Stuhl fallen.

Hoffnungsvoll musterte der Blonde seinen Bruder, doch der ignorierte ihn. Er senkte seinen Blick niedergeschlagen auf den Teller.

Irgendwie hatte er darauf gehofft, dass Sam sich vielleicht für seine Worte entschuldigen würde.

Aber warum sollte der? Er hatte ihn schon wieder aus einem sicheren Leben gerissen, hatte ihm schon wieder seinen Lebenstraum zerstört. Wieder einmal hatte er nur an sich gedacht und nicht gefragt, was der Jüngere wollte.

Er war und blieb ein Egoist! Sam hatte schon Recht, wenn er auf ihn wütend war und nichts mit ihm zu tun haben wollte.

Dean schaute noch einmal kurz zu seinem Bruder und zog dann den Kopf wieder ein. Ausgiebig musterte er den Kaffee in seiner Tasse.
 

Sam seinerseits hockte wie ein Häufchen Elend vor seinem Teller und wusste einfach nicht, wie er Dean ansprechen sollte. Zu schwer wog das, was er ihm alles an den Kopf geworfen hatte. Würde sein Bruder ihm je verzeihen können?

‚Was ist nur geschehen und wie lange soll das jetzt so gehen?’, fragte sich Bobby und verteilte Rühreier und Speck auf den Tellern. Auch er hatte noch keine Idee, wie er die Jungs zum Reden bringen konnte.

„Langt kräftig zu“, sagte er, „und dann kümmern wir uns um die Rohre.“

Der Blonde nickte, als er Bobbys Blick auf sich ruhen fühlte und stocherte auf seinem Teller herum.

Konnte er wenigstens Bobby helfen?

In Sams Nähe hatte sein eh schon kaum noch vorhandenes Selbstwertgefühl einen weiteren Rückzug angetreten. Er hatte versagt! Er hatte nicht auf Sam aufgepasst und ihn verloren, und dann, als er geglaubt hatte, ihn wiedergefunden zu haben, hatte er ihn richtig verloren, wohl eher vertrieben! Er hatte es nicht geschafft, ihn zu überzeugen. Und er hatte sich selbst verloren! Wer war er? WAS war er? Ein Jäger? Ein Cowboy? Daddy kleiner Soldat?

Er war ein egoistischer Versager! Was konnte er überhaupt noch? Das letzte Jahr war er hinter Rindviechern hergejagt. Das konnte er! Und auf der Ranch? Da hatte er sich wohlgefühlt, und er hatte gewusst, was zu tun war. Niedere Arbeiten! Dafür war er zu gebrauchen, Aber für mehr?

Er brauchte einen Job, um sich selbst zu beweisen, wer er war und um sich selbst zu finden.

Aber er hatte doch den Fluch des Häuptlings gebrochen.

Hatte er das? Er war verschwunden, bevor er es hätte überprüfen können.

Hatte er auch die Harrisons verraten? Hatte er sie in seine Welt gestoßen und hilflos darin untergehen lassen?

Dean hatte keinen Hunger mehr.
 

Traurig beobachtete Bobby die Brüder und schüttelte den Kopf. Sie waren sich wirklich ähnlich! So unterschiedlich und doch so ähnlich. Über ihre Gefühle reden und offen mit dem anderen umgehen konnten sie beide nicht. Was hatte sich nur zwischen ihnen abgespielt?
 

Das Frühstück endete so frostig wie es begonnen hatte.

Dean stand plötzlich auf und flüchtete regelrecht aus der Nähe seines Bruders, und der schaute seinerseits so schuldbewusst aus der Wäsche, als wollte er sagen: ‚Ich hab’s verdient, dass er vor mir wegläuft.’

Bobby schüttelte nur wieder den Kopf. Das konnte ja noch heiter werden mit den beiden.
 

„Du wolltest nach den Rohren schauen“, stellte Dean fest, als er wieder in die Küche kam und verschwand leicht hinkend im Keller.
 

„Was ist zwischen dir und Sam?“, fragte der Ältere, kaum dass er hinter dem Winchester stand.

„Bobby ich …“, er brach kopfschüttelnd ab.

„Warum sollte Sam dich hassen?“, bohrte er nach.

„Wieso? Woher …?“ fragte der Blonde erschrocken.

„Du hast auf dem Parkplatz in Santa Fe zu mir gesagt, dass er dich hassen würde!“

„Oh, mein …“, keuchte Dean und schüttelte traurig den Kopf. „Dazu solltest du besser Sam fragen. Er hat es mir nie erklärt und ich … Bobby, lass uns bitte das Thema wechseln, ja?“, bettelte der Blonde regelrecht.

Der Ältere holte tief Luft und nickte, mal wieder.

„Gab es noch Tote?“, wollte Dean wissen.

„Tote?“

„Santa Fe, der Trickster?“

„Ja, es sind noch zwei Personen gestorben. Einer wurde in ein Reh verwandelt und ist von der Polizei erschossen worden, bevor jemand etwas erklären konnte, und eine Frau ist in einem Brunnen ertrunken. Ich konnte es nicht verhindern, denn eigentlich hab ich eher euch gesucht.“

„Verdammt!“, fluchte der Blonde und starrte zu Boden. Sie hatten es wieder nicht geschafft Menschenleben zu retten! Er hatte es nicht geschafft! Er hätte sich erst um ihren Fall kümmern müssen, bevor er an sich hätte denken dürfen!

„Dean!“, versuchte Bobby seine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. Er wusste inzwischen ziemlich genau, was jetzt in dem Jungen vorgehen musste und wie falsch das war. Dean durfte sich nicht für alles die Schuld geben! Und wieder einmal verfluchte er John für dessen Erziehung!

„Die Rohre“, sagte der Jüngere, nachdem er noch einmal tief durchgeatmet und seine Schuld geschluckt hatte. Er hatte es nicht geschafft den Trickster zu töten. Wieder nicht.
 

Die Beiden gingen zu dem Wasserkessel. Ein leises Tropfen kündete von dem Malheur.

Wasser lief an dem Warmwasserrohr herab.

„Was meinst du?“, fragte Bobby.

„Willst du meine ehrliche Meinung wissen?“, fragte Dean unsicher, nachdem er ein paar Mal um die Kessel gekrochen war und die Rohre abgeklopft hatte.

„Ich dachte du bist immer ehrlich zu mir!“

„Abreißen, neu bauen!“, kommentierte der Winchester diese Antwort.

„So ehrlich solltest du auch wieder nicht sein!“

„Auf jeden Fall sollten die beiden Kessel erneuert werden und die Rohre natürlich auch. Und bei der Gelegenheit würde ich auch die Elektrik neu machen“, erklärte er ruhig.

„Das hab ich befürchtet.“

„Also um die Wasserrohre kommst du nicht drumrum und der Kessel hier macht es auch nicht mehr lange.“

„Hast du Ahnung davon?“, wollte der Ältere jetzt interessiert wissen. Dean schien wenigstens im Moment wieder der Alte zu sein.

Deans Gedanken wanderten zurück.

Er war gerade von einer Jagd zurückgekommen. Eigentlich hätte er ins Bett gemusst, er war vollkommen übermüdet. Doch die Jagd war auf der gesamten Linie ein Desaster gewesen.

Er hatte den Poltergeist vernichten können, aber erst nachdem der fast alle Familienmitglieder getötet hatte. Dean wusste, dass er mit diesem Wissen nicht würde schlafen können, oder jede Menge Alkohol intus haben musste. Also war er zu Dave gefahren und hatte gehofft, dass der Arbeit für ihn hatte. Seine Hoffnung war nicht enttäuscht worden.

David Garrison war der ortsansässige Bauunternehmer in Greensburg, Indiana gewesen.

‚Wahrscheinlich ist er das noch’, überlegte der Blonde.

Wenn Dad ihn nicht brauchte und nichts für ihn hatte, war er zu Dave gegangen und hatte da gearbeitet. Von Abriss bis zum Möbel schleppen gab es da immer etwas zu tun für ihn, und Dave hatte Dean recht schnell alleine arbeiten lassen.

„Du gehörst eigentlich in ein Bett“, hatte Dave den Winchester empfangen und resigniert mit den Schultern gezuckt als der nur stur den Kopf geschüttelt hatte.

„Ich hab einen neuen Auftrag rein bekommen. Komplettsanierung. Das klingt als wäre das was für dich“, hatte Garrison gegrinst und war mit Dean zu dem Haus gefahren. Er hatte alles markiert, was raus musste und den Blonden dann allein gelassen.

Als er zum Feierabend wiederkam, hatte er nicht schlecht gestaunt. Er hatte drei Tage für den Abriss eingeplant gehabt. Dean hatte schon fast die Hälfte allein an diesem einen Tag geschafft.

Im Motel war er hundemüde ins Bett gefallen und konnte traumlos schlafen.

Dean wäre gerne geblieben, aber Dad hatte mit seinem Verschwinden seine Wünsche zunichte gemacht, genauso wie er Sams Träume zerstört hatte.

„Dean?“, hakte Bobby energischer nach.

„Ja, ich…“ der Blonde schüttelte den Kopf. Seine Erinnerungen wollte er nicht erzählen und die Gefühle gegenüber John, die gerade wieder hochgekocht waren, nicht erklären.

„Hab schon ein paar gesehen, die nicht so schlimm aussahen, aber doch erneuert wurden. Ich kann dir zwar alles rausreißen, wenn kein Wasser mehr in den Rohren ist, und Fliesen legen traue ich mir zur Not auch zu, aber das Anschließen? Soweit bin ich nicht gekommen“, antwortete er und seine Stimme klang traurig. Die Erinnerungen an Dave taten weh. Er wäre wirklich zu gerne geblieben. Wie inzwischen an mindestens einem weiteren Ort.
 

Überlegend kratzte sich der Hausbesitzer am Bart. Aber irgendwann hatte es ja so kommen müssen.

Warum dann nicht jetzt?

„Weißt du denn, wo die Rohre langgehen?“, wollte der Blonde wissen.

„Ja durch den Flur.“

Langsam hinkte Dean nach oben.

„Wo genau?“, wollte er dann wissen.

„Hier irgendwo“, deutete der Hausbesitzer auf die Wand zwischen Flur und Küche.

„Irgendwo? Ich besorg mir ein bisschen Werkzeug und baue das EMF schnell um. Dann kann ich damit die Rohre finden“, sagte er und war schon aus dem Haus verschwunden.

Keine Stunde später hatte er die Rohre aufgespürt.

„Wir lösen die Verkleidung und sägen dann ein Stück von der Wand raus. Das können wir nachher mit ein paar Gipsbinden wieder ankleben.

Der Ältere grinste Dean an. Woher der das wohl wieder wusste?

„Mein Freund kommt in ´ner Stunde“, informierte er dann. „Der wird sich das anschauen und dann sein Urteil fällen. Er ist Heizungs- und Sanitärbauer.“

„Und was ist mit dem Bad oben?“, wollte Dean wissen.

„Was soll mit dem sein?“

„Na ja, der wird die Rohre komplett erneuern. Wasser, Abwasser. Da muss er oben auch aufhacken.

Willst du die Heizung gleich mit neu machen?“

„Wenn wir einmal dabei sind?“ Der Hausherr strahlte. Das war Dean, wie er ihn kannte.
 

Die Zwei gingen nach oben. Sam, der ihrer Unterhaltung mehr oder weniger zugehört hatte, folgte ihnen. Auch wenn er die Gegenwart seines Bruders lieber noch mied, bis er zu einem Ergebnis gekommen war, wie er ihn ansprechen, sich erklären und entschuldigen konnte, neugierig war er doch.

Also wartete er auf der Treppe.

Dean schaute sich aufmerksam um. Einige Fliesen waren gesprungen, die Dusche hatte ihre besten Tage hinter sich, genau wie der Rest in dem Raum und die Feuchtigkeit war in das Holz des Fensters gekrochen. Es war verquollen und ließ sich kaum noch öffnen.

„Was sagt der Fachmann?“, schoss Bobby ins Blaue.

„Siehst du hier einen?“, fragte der Blonde unsicher.

„Was würdest du machen, wenn es dein Haus wäre?“, versuchte Bobby Dean weiter aus der Reserve zu locken. Vielleicht konnte er ja so erfahren, was er über das sesshaft werden dachte?

Sam riss erstaunt die Augen auf, als er das hörte. Er kam noch eine Stufe höher und sah zu Bobby. Der nickte dem Jüngsten einmal zu.

„Ich weiß nicht …“

„Dean!“

„Wenn es meins wäre? Irgendwo muss man anfangen“, sagte er mehr zu sich selbst, „warum nicht hier? Kommt drauf an, wie viel Geld ich hätte.“

„Sagen wir, es ist genug da.“

„Na dann! Ich würde alles komplett raushacken. Neues Fenster, die Außenwand isolieren und neu verkleiden. Neue Rohre, und die Elektrik würde ich auch gleich mitmachen. Fliesen, ´ne neue Heizung und dann, nach und nach, das ganze Haus durchsanieren.“

„Wenn es dein Haus wäre?“

„Wenn es mein Haus wäre!“

„Dann los!“, sagte Bobby bevor er es sich wieder anders überlegen konnte.

„Aber du … ich meine, ich …“, stammelte der Blonde.

„Was Dean! Du hast gesagt es muss erneuert werden, und ich stimme dir zu. Warum nicht hier beginnen?“

„Aber das … ich hab doch von so was keine Ahnung! Bobby, ich bin in Motels aufgewachsen! Ich …“ Der Winchester war regelrecht schockiert. Bobby wollte tun, was er sagte?

„Dean!“, versuchte der Freund ihn zu beruhigen. „Ich denke schon eine halbe Ewigkeit darüber nach, und jetzt sind die Rohre nun mal zu und müssen raus. Also können wir auch ganze Arbeit leisten.“
 

Bobbys Freund bestätigte den Winchester und so beschlossen die beiden Älteren, dass sie nach dem Mittagessen losfahren und alles Nötige einkaufen würden.

Sam hatte sich mit der Begründung zurückgezogen, dass er dabei nur stören würde und die irritiert fragenden Blicke der Anderen ignoriert.

Dean hatte gehofft, bei der Arbeit mit Sam ins Gespräch kommen zu können.

Baustelle

90) Baustelle
 

Nach dem Mittagessen, das ebenso frostig war wie das Frühstück, fuhren die beiden Älteren mit dem Van einkaufen, und Sam machte einen längeren Spaziergang. Sein Füße trugen ihn zu dem Wäldchen in dem Dean vor … eigentlich war es erst ein paar Monate her, dass sein Bruder sich, auch mit Hilfe dieses Parcours, wieder ins Leben gekämpft hatte, aber irgendwie schien für sie unterschiedlich viel Zeit vergangen zu sein und irgendwie lag ein ganzes Leben dazwischen.

Der Parcours war noch da. Nur dass es heute viel zu kalt und matschig war, um eine Runde darüber zu drehen.

Langsam, den dumpfen Schmerz in seinem Rücken ignorierend, er hatte ihn verdient, schlenderte Sam durch die Hindernisse.

Damals war er der Stärkere von ihnen gewesen. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte er wirklich auf Dean aufpassen und sich um ihn kümmern … dürfen! Ja, Dean hatte es zugelassen, dass er sich um ihn kümmerte! Und was hatte er in El Paso gemacht? Er hatte Dean weggestoßen! Er hatte seine Hilfe nicht annehmen wollen, hatte sich an das geklammert, was er hatte und was ihn in Sicherheit wiegte. Er hatte nicht zugelassen, dass ihm sein großer Bruder half. Und was noch viel schlimmer wog: Er hatte Dean beschimpft und beleidigt! Hatte ihm vorgeworfen, neidisch zu sein und ihm sein Glück zu missgönnen. Dabei war Dean wahrscheinlich der Letzte, der ihm sein Glück nicht gönnen würde.

Vielleicht würde er ein bisschen davon abhaben wollen, aber letztendlich wäre es ihm wichtiger ihn in Sicherheit und glücklich zu wissen.

Verdammt! Warum hatte es Dean nicht energischer versucht?

Immer weiter steigerte sich der Winchester in seine Wut auf sich UND Dean und wusste zum Schluss nicht mehr, was er überhaupt noch denken oder fühlen sollte. Sein Bruder hätte ihn lassen sollen, wo er war!
 

Durchgefroren kam Sam von seinem Spaziergang zurück. Sämtliche Türen standen offen und Bobby wischte gerade die Treppe. In der Wand zur Küche klaffe von oben bis unten ein breites Loch, in dem die Rohre zu sehen waren.

„Warum lässt du das nicht Dean machen? Der hat ja hier auch rumgedreckt“, wollte er schroff wissen.

„Weil der oben alles abklebt und ich in meinem Haus auch was machen kann!“, knurrte der Hausherr.

Wenn Sam nicht bald mit seinem Bruder redete, würde er die beiden in seinen Panikraum sperren und warten bis sie sich geeinigt hätten.

Sam schnaufte nur, verdrehte seine Augen und verschwand nach oben in sein Zimmer.

Dort warf er sich auf sein Bett und surfte im Internet. Er suchte in El Paso nach den Duncans, und fast wie von allein landete er irgendwann auf der Seite von Stanford, und er schaute nach, ob und wann man sich anmelden konnte.

„Nein!“, schalt er sich laut! „Nicht so!“

Doch dann begann das Hämmern und Bersten der Fliesen, und er schickte seine Anfrage ab.
 

Wie ein Wilder drosch der ältere Winchester auf die Wände ein. Das dumpfe Pochen, das durch seinen Körper pulsierte konnte von seinen noch lange nicht verheilten Wunden oder von der allgemeinen Anstrengung bei dem Abbruch sein, er wollte es nicht wissen, aber es betäubte seinen Körper und sein Denken und er war dankbar dafür.

Außer der Duschwanne hatte er abmontieren, was er abmontieren konnte und alles vor die Tür gestellt.

Danach hatte er das Zimmer so dicht wie möglich abgeklebt und jetzt ließ er seiner Wut, seinem Frust, freien Lauf.

Stunden später ließ er den Hammer fallen. Seine Muskeln zitterten und seine Knie waren weich wie Pudding. Die Maske vor seiner Nase war mit Staub so zugesetzt, dass er kaum noch genügend Luft bekam.

Seine Knie gaben endgültig nach und er ließ sich auf die noch intakte Duschwanne fallen. Langsam schaute er sich um. Sein Vernichtungswerk war umfassend gewesen. Bis auf die Ecke, in der die Dusche stand, und das Fenster hatte er alles von den Wänden geholt. Gleich würde er hier noch aufräumen, und dann hatte er morgen vielleicht noch einen halben Tag zu tun. Bobbys Freund kam aber erst in vier Tagen! Was sollte er denn bis dahin machen, um Sam aus dem Weg gehen zu können? Oder wäre er vielleicht morgen schon stark genug für eine Konfrontation mit seinem kleinen Bruder?

Dean bezweifelte es. Sein Selbstvertrauen war viel zu angeknackst.
 

Bobby kämpfte sich durch die zwei Schichten Folie. Anerkennend hob er die Augenbrauen.

„Ich räum gleich noch auf“, sagte der Blonde matt.

„Du gehst runter duschen. Dein Essen steht im Ofen. Und dann will ich mir deine Verletzungen noch mal anschauen.“

„Aber ich hab den Dreck hier gemacht…“

„Und jetzt gehst du essen. Ich räume auf.“

Müde nickte Dean und erhob sich.
 

Er war wirklich müde und beim Essen wäre er fast eingeschlafen, doch jetzt lag er schon eine gefühlte Ewigkeit in seinem Bett und drehte sich von einer Seite auf die andere. Und konnte nicht einschlafen.

Unruhig wälzte er sich auf den Bauch und zog sich den Quilt über den Kopf. Der Geruch von Stroh hing noch immer darin. Und sofort machte sich ein Gefühl von Heimweh in ihm breit.

Heimweh? Wann hatte er denn je Heimweh gehabt? Ganz am Anfang, nach Moms Tod wollte er ein Zuhause. Er wollte nach Hause, doch John hatte sie durch das Land geschleift.

Am Anfang hatte er es gehasst, immer wieder der Neue in der Schule sein zu müssen, doch das hatte sich irgendwann gelegt. Er musste keine Freundschaften pflegen, denn selbst wenn er sich die Zeit genommen hätte, welche aufzubauen, sie wäre eh bald danach Geschichte gewesen, und er hatte Sam und genügend Aufgaben von John, um den Tag ohne wirkliche Freizeit rumzukriegen.

Und als er sich für Mädchen zu interessieren begann? Da hatte dieses Leben genügend Vorteile.

Er war der Neue in den Schulen. Exotisch genug, damit die Mädchen seine Nähe suchten. Und er war schnell genug wieder weg, bevor sie merken konnten, wenn er mal wieder mit mehreren was hatte.

Ja, es war hin und wieder aufgefallen, und die Szenen die darauf folgten waren unschön und manchmal hatte er sich auch eine Ohrfeige eingefangen, aber hey, was sollte es, ein paar Tage später war er auf einer neuen Schule und konnte von vorne beginnen. Es hat ihn kaum gestört. Nur, dass er niemandem erzählen durfte, was er tat, das störte! Das schmerzte!

Wieder drehte er sich in seinem Bett.

Er vermisste die weite Ebene, Impala, den Geruch von Stroh und Thomas` Atem, um einschlafen zu können.

Erschrocken setzte er sich auf. THOMAS´ Atem? Früher war es Sam gewesen!

Sein Magen krampfte sich zusammen. Wie sollte das nur weiter gehen? Was sollte er denn jetzt tun?
 

Auch Sam wälzte sich in seinem Bett hin und her.

Er überlegte, wie er Dean am besten zu einer Aussprache bringen konnte! Verdammt, vor ein paar Monaten wollte der doch noch mit ihm knutschen, um eine Kellnerin loszuwerden. Und jetzt? Okay, Dean war betrunken gewesen, aber trotzdem! Sie hatten sich so nahe gestanden, und jetzt?

Er nahm sich vor, Morgen mit Dean zu reden. Vielleicht konnten sie ja zu einem Punkt kommen, der irgendwo in der Nähe von dem lag, was sie damals hatten, als Dean ihn aus Stanford geholt hatte um Dad zu finden.

Wie zur Bestätigung nickte Sam sich selbst zu und schlief dann doch recht schnell ein.
 

Das Krachen des Vorschlaghammers gegen die Wand riss ihn am nächsten Morgen aus dem Bett.

Sein Bruder wütete also wieder im Bad! Hätte der ihm nicht vorher Bescheid sagen können? Hätte der ihn nicht vorher wecken können? Wut kochte in seinem Inneren.

Das Vorhaben mit Dean zu reden zerbröselte unter dessen Hammerschlägen.
 

Der Tag war verflogen, ohne dass sich die Winchesters wirklich über den Weg gelaufen waren. Bis zum Mittag hatte Dean sein Zerstörungswerk beendet und das Zimmer aufgeräumt. Doch mit der Sanierung mussten sie warten, da Bobby zu einem Unfall gerufen wurde.

Dean nahm sich unterdessen den Impala vor und kontrollierte, was er nach zwei Monaten stehen für überprüfenswert hielt.

Zärtlich strich seine Hand dabei immer wieder über den schwarzen Lack, und nachdem er fertig war, ließ er sich einfach auf den Fahrersitz fallen und inhalierte den ureigenen Geruch seines Babys. Hier war er zuhause!

Sam fühlte sich ausgeschlossen. Er hatte immer wieder in der Tür gestanden und zu Dean rübergeschaut. Vielleicht brauchte der ja seine Hilfe? Aber nein, Dean schaffte es wohl allein und fragen, sich vielleicht noch anbiedern, wollte er auf keinen Fall.
 

Am nächsten Morgen begannen die beiden Älteren, das Bad wieder herzurichten. Sie bauten das neue Fenster ein, verlegten neue Kabel und isolierten Wände und Decke. Nur die Stellen, an denen die Rohre noch erneuert werden mussten, ließen sie offen.
 

Sam hatte Bobby am Morgen gefragt, ob sie Hilfe brauchen würden, doch der hatte abgewinkt – das Bad wäre zu klein für drei. Also kümmerte er sich um das Essen, grübelte und wurde immer wütender auf seinen Bruder, der ihn offensichtlich regelrecht ausschloss! Okay, eigentlich hatte er Bobby gefragt, aber der stand ja offensichtlich auf Deans Seite und tat was der wollte. Also hatte Dean ihn abgelehnt!

Er wollte die Handwerker gerade zum Abendessen holen, als Dean ihm auf der Treppe mit einem vollen Schuttkübel entgegen kam. Er blieb mitten auf der Treppe stehen und hinderte seinen Bruder am weitergehen.

„Du gehst mir aus dem Weg!“, stellte der Jüngere ruppig fest.

„Ja, und wenn du nicht schon wieder unter Amnesie leidest, dann weißt du auch warum!“, entgegnete der Blonde. Er war müde und wollte jetzt auf keinen Fall über seine Gefühle diskutieren. Zwei Nächte ohne Schlaf hatten ihn mehr als nur mürbe gemacht. Er versuchte den Kübel etwas anders zu fassen, damit er ihm nicht aus den Händen rutschte.

„Ich habe es nicht so gemeint!“

„Ach nein? Was von Stinkender Viehtreiber, wertloser Versager, minderbemittelter Idiot oder du gönnst mir mein Leben nicht, hast du denn nicht so gemeint? Oder welches Mal hast du es nicht so gemeint? Denn das hast du mir nicht nur einmal an den Kopf geworfen! Ich weiß, dass ich nichts wert bin und es ist mir auch egal, wenn Geister oder Dämonen mir das immer wieder an den Kopf werfen, aber von dir hätte ich ein kleines bisschen mehr als diese lahme Entschuldigung erwartet!“

Sam schnappte einen Moment nach Luft, und sein Bruder nutze die Gelegenheit und drängelte sich an ihm vorbei. Er hatte keine Lust, den Schutt von der Treppe zu fegen.
 

Dean brachte den Kübel weg und stakste dann mit weichen Knien zu seinem Baby. Das hätte so nie passieren dürfen! Mit zitternden Fingern versuchte er eine Weile die Tür zu öffnen und ließ sich dann erleichtert auf den Fahrersitz fallen.

Keine Minute später saß Bobby neben ihm.

„Dean?“, fragte er leise.

Langsam drehte der Blonde seinen Kopf zu ihm.

„Du bist nicht wertlos!“

„Ich …“, brach er hilflos ab.

„Was ist passiert?“, wollte Bobby wissen.

„Ich …“, wieder stockte er.

„Das mit Sam, das müsst ihr selbst klären, aber du hast mir immer noch nicht erzählt wo genau du warst“, versuchte er Deans Gedanken in eine leicht andere Richtung zu lenken. So verträumt wie er auf den Quilt geschaut hatte, als er gestern Abend nach ihm gesehen hatte, musste die Zeit schön gewesen sein.

Stockend begann Dean zu erzählen, was der Trickster ihm gesagt hatte und wie er im Nirgendwo aufgewacht war. Er erzählte, dass ihn die Harrisons aufgelesen und aufgepäppelt hatten, und als er von Impala und seinem Leben als Cowboy berichtete begannen seine Augen zu leuchten. Die Worte sprudelten regelrecht aus ihm heraus.

„Wie seid ihr wieder hierher gekommen?“, fragte der Ältere nach.

„Da ist plötzlich ein Wesen erschienen. Er meinte, er wäre ein Engel! Ich weiß nicht, was er war, aber der Colt konnte ihn nicht verletzten! Er meinte, er würde uns schon eine Weile beobachten und wir würden nicht in diese Zeit gehören. Er hat uns … er nannte es eingefroren. Und wir sind in Santa Fe wieder wach geworden. Aber es gibt doch keine Engel!“

„Warum nicht?“

„Mom hat an die geglaubt. Sie hat immer, wenn sie mich ins Bett brachte, gesagt, dass Engel auf mich aufpassen würden! Aber wo waren sie mein ganzes Leben lang? Wo waren sie als Mom starb?“, fragte er bitter.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Bobby leise.

Eine Weile schwieg der Winchester.

„Du hast nicht zufällig einen Amos McGregor in deiner Ahnenreihe?“, wollte er plötzlich wissen.

„Nein! Warum?“

„Der war so sehr du, dass du sein Klon sein könntest“, sagte er und erntete ein entrüstetes Schnaufen, was ihm ein Lächeln entlockte.

‚Endlich’, dachte Bobby, ‚endlich ist es wieder Dean.’ Doch das Lächeln zerbröselte viel zu schnell.

„Ich hab Angst, dass ich sie mit dem Häuptlings-Job in unsere Welt gerissen habe. Dass die Dämonen auf sie aufmerksam geworden sein könnten! Ich könnte mir das nie verzeihen!“
 

Die beiden Männer hatten noch eine ganze Weile einfach nur im Impala gesessen. Erst als sich die Kälte unangenehm in ihren Körpern bemerkbar machte, gingen sie schweigend durch den stärker werdenden Schneeregen ins Haus zurück.
 

Sam beobachtete sie misstrauisch.
 

Der blonde Winchester ging unter die Dusche und verkroch sich, nachdem Bobby noch einmal seine Wunden kontrolliert und für gut befunden hatte, in seinem Zimmer. Die Tür hatte er leise hinter sich geschlossen.

Ein Abschied ist kein Abschied

91) Ein Abschied ist kein Abschied
 

Bobby stand in der Küche, starrte aus dem Fenster und überlegte, wie er den Jungs helfen konnte.

‚Schneeregen’, grummelte er in Gedanken, ‚den ganzen Tag schon, und jetzt fängt es auch noch an zu stürmen! Gut dass wir das Fenster drin haben.’

Und die Kaffeekanne war auch leer.

Bobby schnaufte leise und setzte neuen Kaffee auf. An den Küchenschrank gelehnt wartete er, dass das Lebenselixier durchlief.

Das Verhalten der Brüder zerrte an seinen Nerven, und auch wenn Dean ihm jetzt einiges erzählt hatte, so waren auch sie noch nicht zum Grund dieses Desasters vorgedrungen.

Sein Blick glitt über Sam, der gesagt hatte, dass er im Internet nach einem neuen Fall suchen wollte.

Was er wirklich tat, konnte Bobby nicht erkennen. Sam klickte nur hin und wieder mit der Maus und die Tastatur hatte er schon eine Weile nicht mehr berührt.

Dabei sollte er sich besser mal mit seinem real existierenden Bruder unterhalten.

Die Kaffeemaschine spuckte den letzten Tropfen in die Kanne und Bobby kippte das heiße Gebräu in die Tassen.

Eine stellte er neben Sam und riss den aus seinen Gedanken.

„Du solltest endlich mit ihm reden!“, mahnte er.

„Ich weiß“, grummelte Sam und starrte auf seine Tasse. „Aber ich... Er geht mir aus dem Weg!“

„Du weißt wo er ist! Sonst kann ich dir auch nicht helfen. Ich weiß nicht was zwischen euch passiert ist!“

„Du hast doch ewig mit Dean gesprochen!“, ein leiser Vorwurf klang in Sams Stimme mit.

„Wir haben nicht über dich gesprochen. Er hat mir erzählt was er in dem Jahr erlebt hat. Und dass er Angst hat, dass er die Menschen da in den Fokus der Dämonen gebracht haben könnte.“

„Dean, der sich immer um alle sorgt, die nicht zu seiner Familie gehören!“

„Sam! Das ist der größte Blödsinn, den ich je aus deinem Mund gehört habe! Um dich sorgt er sich am meisten!“

Betreten senkte der Jüngere den Kopf.

„Ich weiß ja selber nicht wie ich mich fühlen soll. Auf der einen Seite ist Dean mein Bruder und alles was ich an Familie noch habe, und ich liebe ihn! Aber dann kochen immer wieder die Gefühle hoch, die der Trickster mir angehext hat. Ich kann sie einfach nicht für immer verdrängen. Ich bin mir ja nicht mal sicher, dass sie wirklich nur von dem Trickster entfacht wurden. Sie brechen immer wieder durch“, erklärte er unglücklich.

„Was für Gefühle, Sam? Was hat der Trickster mit dir gemacht?“

„Du wirst dich vor ihm ekeln, ihn hassen, sobald du ihn nur siehst!“, zitierte er. „Und genauso empfinde ich zwischendurch immer wieder, selbst jetzt noch. Aber dann kommen da wieder die alten Gefühle für ihn durch. Bobby, ich weiß nicht weiter! Ich will doch nicht ohne Dean leben!“

„Geh zu ihm. Erkläre ihm wie es war, wie du dich gefühlt hast und was der Trickster dir gesagt hat.“

„Dean wird es nicht verstehen. Für ihn ist Familie alles!“

„Dean versteht mehr als du denkst!“

Doch Sam schüttelte nur den Kopf.

Bobby holte tief Luft und nahm die Tasse für Dean.

Langsam stieg er die knarrende Treppe nach oben.

Er fand den Blonden auf der altersschwachen Couch in seinem Zimmer hockend. Seinen Quilt hatte er halb über seine Knie gezogen und seine Finger strichen immer wieder zärtlich über die Stickerei.

Deans Blick war leer auf den Boden gerichtet.

Er konnte es einfach nicht fassen. Er hatte geglaubt, wenn er erst mit Sam zusammen und wieder in ihrem Leben war, dann wäre alles wieder in Ordnung.

Aber nichts war auch nur halbwegs in Ordnung. Sam ging ihm aus dem Weg und hasste ihn immer noch, und er wurde das Gefühl nicht los, seine andere Familie im Stich gelassen zu haben.

„Du kannst nichts mehr tun. Sie sind tot, Dean, schon seit Jahren“, versuchte Bobby den Blonden zurückzuholen.

„Ich weiß“, sagte er, doch der Blick, den er seinem Ersatzvater zuwarf, strafte seine Worte Lügen.

Wie sollte er es auch glauben? Seine Wunden schmerzten noch und erinnerten ihn an das Messer, das er im Beisein von Thomas und Jacob von dem Indianergeist ins Bein gerammt bekommen hatte. Und an den Pfeil, der ihn gestreift hatte. Der Quilt roch noch nach Stroh und seine Chaps, der Staubmantel, selbst sein Hut rochen nach Pferd. Nach seinem Pferd. Nach Impala!
 

Endlich nahm er den Kaffee entgegen, den Bobby ihm schon die ganze Zeit hinhielt. Er trank einen Schluck und verzog das Gesicht. Er war so weit in seinen Erinnerungen versunken, dass selbst der Kaffee hier falsch schmeckte. Dabei war er so, wie Bobby ihn schon immer kochte.

„Ich weiß nicht, ob es richtig war zurückzukommen“, sagte er plötzlich in die Stille des Raumes.

„Es fühlt sich so falsch an! Ich wollte Sammy wiederhaben, und ich wollte, dass alles wieder so wird, wie es vorher war, aber jetzt weiß ich nicht, ob es da nicht besser war. Ich …“, er schüttelte den Kopf, „ich hab das Gefühl, ich hab alles falsch gemacht. Sam war doch da glücklich!“

„Dean, lass ihm noch etwas Zeit. Seine Gefühle fahren gerade Achterbahn.“

Ein bitterer Zug legte sich um Deans Mund: „Wenn es um meine Gefühle geht, will er doch auch mit mir reden!“

„Komm mit runter, Dean“, bat Bobby.

Mechanisch nickte der Blonde, doch sein Blick war schon wieder leer und schien die ausgeblichenen Dielenbretter einfach zu durchdringen.

Der Hausherr zuckte mit den Schultern und wandte sich ab. Hier würde er heute nicht viel ausrichten können. Vielleicht trieb der Hunger den Blonden ja nach unten.
 

Doch Bobby sollte sich täuschen.

Erschöpft kroch der Winchester in sein Bett, den Quilt fest in seine Arme geschlossen.
 

Sam stocherte lustlos in seinem Salat herum. Immer wieder wanderte sein Blick zu dem leeren Stuhl an seiner Seite.

Wie sich die Situationen doch glichen und wie sehr sie sich gleichzeitig unterschieden.

Vor ein paar Monaten hatte er auch schon hier gesessen. Doch damals war es ein schweigender Dean gewesen. Und er konnte sich noch gut daran erinnern, wie sehr ihn das genervt hatte.

Sam holte tief Luft. Morgen! Morgen würde er mit Dean reden.
 

Mitten in der Nacht schreckte Dean aus dem Schlaf hoch.

Er wusste nicht was ihn geweckt hatte, und so versuchte er wieder einzuschlafen.

Es wollte ihm nicht gelingen. Hellwach starrte er in die Dunkelheit.

Regen und Schnee klatschten an das Fenster, und Dean kuschelte sich noch fester an seinen Quilt, als ob der die Wärme von El Paso gespeichert hätte.

Im seinem Magen bildete sich ein Klumpen.

Er versuchte ruhig zu atmen und sich damit zu beruhigen. Doch der Klumpen wurde mit jedem Atemzug größer und schwerer und schmerzhafter. Und dann hatte er sich bis in seine Kehle ausgebreitet und schnürte ihm die Luft ab.

Leise ächzend setzte er sich auf und stellte die bloßen Füße auf die kalten Dielen.

Aber auch die Kälte wollte nicht helfen.

Und dann wusste er es.

Er würde fahren. Jetzt gleich würde er nach El Paso fahren und sich von ihnen verabschieden. Die Gräber sollten zu finden sein, und dann konnte er sich auch gleich noch vergewissern, dass sie ein Leben gehabt hatten! Ein richtiges Leben, nicht das, was Sam und er ihr ganzes Leben lang führten.

Leise zog er sich an und stopfte seine Sachen in die Tasche.
 

Jägerohren waren auch im Schlaf wachsam, und wenn er jetzt hier die Treppe runterpoltern würde, dann hätte er mindestens Bobby neben sich, noch bevor er an der Haustür sein würde.

Er wollte auch kein Licht machen. Er wollte heimlich verschwinden. Die Schuhe lose an den Füßen tappte er leise nach unten in die Küche und schaute in den Kühlschrank.

Der Winchester hatte zwar noch immer keinen Hunger, aber so hatte er wenigstens etwas Licht und konnte sich in Ruhe die Schuhe zubinden. Außerdem würde es so klingen, als ob er den Kühlschrank plündern würde und niemand würde auf die Idee kommen, dass er abhaun wollte.
 

Schnell war er aus der Tür und schob mit dem Jackenärmel wenigstens soviel Scheibe am Impala frei, dass er etwas sehen konnte. Dann stiegt er ein, startete den Motor und schoss vom Hof bevor Sam oder Bobby, die das Klappen der Haustür nach unten getrieben hatte, an der Tür sein konnte.
 

Erst außerhalb der Hörweite von Bobbys Schrottplatz hielt er an und befreite die Scheiben vom Eis.

Das Tuckern des Motors beruhigte ihn einigermaßen.

„Hab ich dir gefehlt, Baby?“, fragte er leise und strich mit der Hand über die Dachkante.

„Ich hab dich vermisst!“, erklärte er ihr leise und rutschte auf den Fahrersitz. Einen Augenblick genoss er das Gefühl des Leders an seinem Rücken und das leichte Vibrieren des Lenkrades unter seinen Fingern. Und er wusste, dass er nicht gelogen hatte. Er hatte sein Baby vermisst.

Natürlich hatte es ihm Spaß gemacht auf Impalas Rücken über die weite Prärie zu jagen, aber sein Baby brachte ihm doch einige Annehmlichkeiten, die er nicht missen mochte.

Ruhig legte er den Gang ein und rollte los.

Nur ein paar Tage, dann wäre er wieder zurück. Nur ein paar Tage Ruhe. Danach würde er bestimmt auch in der Lage sein, sich Sams Aus … Sams Gestammel anzuhören.

Er konnte seinen Kleinen ein Stück weit verstehen. Und er glaubte ihm auch, dass der Trickster seine Finger im Spiel hatte. Aber warum hatte Sam nie versucht, trotz seines Widerwillens, trotz seines Hasses, das Gespräch mit ihm zu suchen? Warum hatte er ihn immer wieder abgeblockt? Sam hatte ihm vorgeworfen, dass er ihn in der Wüste hatte krepieren lassen wollen. Er hatte nicht mal den Gedanken zugelassen, dass Dean gar nicht in seiner Nähe gewesen sein könnte, hatte nie auf Jacob oder Thomas gehört, die ihm versichert hatten, dass sein Bruder schon ein halbes Jahr vor ihm halbtot bei ihnen aufgetaucht war, und dass er immer nach Sam gesucht hatte.

Sam hatte nie nachgefragt, obwohl er ihm gesagt hatte, dass er sein Bruder sei, seine Familie.

Nein, Dean wollte nicht glauben, dass der Trickster an allem Schuld gewesen sein soll! Sam war nicht nur nach Stanford abgehaun, er hatte sich auch schon vorher aus dem Staub gemacht und sich einen Dreck darum geschehrt, wie es ihm dabei ging und was John mit ihm gemacht hatte.

Wütend schüttelte er den Kopf. Er wollte jetzt nicht darüber nachdenken.

Er wollte die Fahrt genießen!

Schnell drehte er das Radio an. Wie sehr hatte er seine Musik vermisst. AC/DC, Metallica, Led Zeppelin, CCR … Es war doch gut, in dieser Zeit zu leben! Sein Auto, seine Musik …

Dean drehte voll auf.
 

Lustlos kaute Sam an seinem Bagel. Dean war in der Nacht verschwunden und hatte sich bis jetzt nicht gemeldet! Hatte er ihn vertrieben? Wo wollte sein Bruder hin? Warum hatte er nicht wenigstens eine Nachricht hinterlassen?

Wie ein geprügelter Welpe schaute er zu Bobby.

„Schau mich nicht so an! Ich weiß, dass ich heute Nacht gesagt habe, dass er einfach nur mal raus muss. Ich hab mich geirrt!“

„Aber er muss doch was gesagt haben!“, bettelte der Jüngere.

„Was soll er gesagt haben. Du kennst ihn. Er redet nicht über seine Gefühle und du hast ihn mit deinem Schweigen, mit deiner Ablehnung auch nicht zum Reden ermutigt!“

„Ich weiß!“, nuschelte der Lange und stand auf. Unschlüssig stand er in der Tür und überlegte, was er jetzt tun könnte, dann wandte er sich zur Treppe und ging nach oben.

Missmutig ließ er sich auf Deans Bett fallen. Hatte er seinen Bruder wirklich vertrieben?
 

Dean lehnte am Kotflügel seines Impalas und genoss die wenigen Sonnenstrahlen, die sich hin und wieder auf die Erde verirrten. Er war kurz vor Wichita, und sein Magen knurrte besorgniserregend.

Er grinste. Er hatte wieder Hunger! Gleich neben ihm stand ein Schild, das auf ein Diner hinwies. Dort würde er sich den Bauch vollschlagen.

Er angelte sein Handy aus der Hosentasche und wählte Bobbys Nummer.

„Wo steckst du?“, blaffte der zur Begrüßung in den Hörer.

„In der Nähe von Wichita.“

Bobby schwieg.

„Es tut mir leid. … Ich wollte nicht so abhaun, aber ich hatte das Gefühl, dass ich nicht mehr atmen könnte. Ich musste einfach raus!“

„Willst du …?“

„Nein. Ich wollte dir nur Bescheid sagen und mich entschuldigen, bei dir entschuldigen“, Dean holte tief Luft. „Ich möchte nicht mit ihm reden und bitte sag Sam nicht wohin ich fahre. Ich brauch die Zeit für mich!“

„Wohin …?“

„Ich will nach El Paso, mich verabschieden. Ich … Ich muss es einfach wissen! Für mich.“

„Aber …“

„Sam? Diesmal ist es an ihm den ersten Schritt zu tun. Wenn er es wirklich will, wird er mich zu finden wissen. Und sonst wird er warten müssen bis ich wieder da bin!“

Er schloss sein Telefon und stopfte es zurück in seine Tasche.
 

„… Florida, Naples wird auch dieses Jahr nicht von der Selbstmordwelle verschont. Wie schon in den letzten beiden Jahren steigt die Selbstmordrate in den Wochen vor Weihnachten in Naples wieder rasant in die Höhe.“

Diese Radiomeldung ließ Dean aufhorchten. Selbstmordrate steigt in die Höhe? In den letzten Jahren auch schon? Ob er sich das mal anschauen sollte?

Erstmal würde er bis zu diesem Diner weiterfahren und sich mit vollem Magen überlegen was er tun würde. Er lenkte den Impala wieder auf die Straße.

Von El Paso nach Naples

92) Von El Paso nach Naples
 

Sam starrte Bobby mit großen Augen an. Er war beim ersten Klingeln des Telefons aufgesprungen und nach unten gerannt

„Wer war das?“

„Mein Freund.“

„Aber…?“

„Er wollte wissen welche Farbe die Fliesen bekommen sollen!“

„Und welche?“, wollte er mit einem mehr als ironischen Unterton wissen.

„Pink und Mint!“

„Wo fährt Dean hin, Bobby!“, Der Jüngere wusste, er ahnte nicht nur, er wusste, dass das Dean am anderen Ende der Leitung gewesen war und er wollte verdammt noch mal wissen, was der gesagt hatte und wo er hinfuhr!

„Er hat es mir nicht gesagt, SAM!“

„Du hast gestern mit ihm gesprochen. Er muss doch irgendwas gesagt haben!“

„Verdammt Sam! Lass dein schlechtes Gewissen nicht an mir aus! Wenn du ihn nicht so abgewiesen, so ignoriert hättest …“

„Ich hab ihn nicht …“, unterbrach Sam aufgebracht.

„Wir drehen uns im Kreis, Sam. Lass es gut sein“, versuchte der Ältere zu beschwichtigen.

„Entschuldige“, nickte Sam. „Was soll ich denn jetzt machen?“

„Morgen kommt mein Freund und macht die Rohre und alles, was dazu gehört, neu, dann könnte ich deine Hilfe brauchen. Es sei denn, du willst weiterhin hier hocken und deiner vertanen Chance nachtrauern. Er wird wiederkommen, Sam!“, wehrte er ein Auffahren des Jüngeren ab. „Oder du suchst ihn.“

Tief holte der Jüngere Luft, dann nickte er. „Ich denke wir brauchen beide eine Auszeit. Ich helfe dir!“

„Sollen die Fliesen wirklich pink werden?“, wollte er noch wissen.

„Raus hier!“, knurrte der Ältere lachend.
 

Eigentlich hatte er ja heute noch ein ganzes Stück fahren wollen, doch die inzwischen drei, mehr oder weniger, durchwachten Nächte ließen seine Augen immer wieder zufallen. Außerdem hatte er sich beim Essen entschlossen, dass er dieser mysteriösen Selbstmordserie auf den Grund gehen wollte.

Er verstand zwar nicht genau, warum diese immer im Dezember war und warum jedes Jahr, aber das sollte für einen erfahrenen Jäger wie ihn nicht schwer herauszufinden sein, wenn denn wirklich etwas Übernatürliches der Grund dafür sein sollte.

Dean wischte sich mit der Hand über das Gesicht und griff nach der Kaffeekanne.

Kalter Kaffee! Brrr! Mit einem leisen Schnaufen rollte er sich aus dem Bett und schlurfte zur Küchenzeile um sich frischen Kaffee zu kochen.

Im Kofferraum des Impalas hatte er seine Kiste mit den verschiedenen Kaffeesorten gefunden und jetzt wollte er mal wieder nach der besten Mischung für sich suchen.

Aber eigentlich … Sein Blick wanderte zur Uhr.

18:07

Wieder rieb er sich müde über sein Gesicht. Sein Magen grummelte auch.

Der Winchester ließ die Kaffeekanne Kaffeekanne sein und klappte seinen Laptop zu, den hatte er sich in Wichita geleistet. Wenn er auch alleine loszog, um Geister zu jagen, so hatte er doch keine Lust tagelang in irgendwelchen Bibliotheken zu hocken und die dortigen Computer zu nutzen. War schon eine gute Idee diese ganzen Recherchearbeiten vom Bett aus machen zu können.

Noch besser, oder eher zeitsparender für ihn, wäre Sam, aber der schmollte ja noch immer bei Bobby.

Ob zu Recht, darüber wollte er jetzt nicht nachdenken. Jetzt wollte er etwas essen gehen.
 

Keine Stunde später war er in seinem Zimmer zurück machte es sich auf seinem Bett gemütlich. Er wollte noch weiter nach den Ereignissen in Naples suchen, aber keine zehn Minuten später fiel ihm sein Kinn auf die Brust und er war eingeschlafen.
 

Zweieinhalb Tage waren vergangen, seit Dean abgehauen war. Bis jetzt hatte sich Sam in Bezug auf seinen Bruder zurückhalten können. Bis jetzt war seine Zeit mit Bobbys Bad gefüllt gewesen. Sie hatten, nachdem sämtliche Rohre verlegt worden waren, die Wände isoliert, mit Gipskarton verkleidet und alles verspachtelt. Aber nun musste der Fliesenleger in den Raum, und für Bobby und Sam gab es nichts zu tun.

Wieder schielte er zu seinem Laptop.

Jeden Abend hatte er die Position von Deans Handy geortet und inzwischen wunderte sich auch Bobby, wieso der Junge Richtung Florida fuhr.

Erneut zuckte Sams Hand in Richtung Hosentasche, aber er wollte nicht der kleine, quengelige Bruder sein, der nach seinem Großen brüllte, nur weil der ihn mal ein paar Tage alleine ließ.

Sollte Dean sich doch zuerst melden.

Und trotzdem überprüfte er den Standort von Deans Handy.

Naples, Florida????

Was wollte sein Großer den da?
 

Die Sonne schien auf den leicht staubigen Lack des schwarzen ´67 Chevrolet Impala, der jetzt vor einem großen Bürohaus parkte.

Dean stieg aus und betrachtete sich das Spiegelbild seines Babys in der verspiegelten Fensterfront.

Mit einem schnellen Griff zog er seine Kleidung gerade und fuhr sich noch einmal durch die Haare, dann ging er zielstrebig auf das Gebäude zu.

„Hallo“, grüßte er mit einem schüchternen Lächeln den Mann am Empfang, „mein Namen ist Thomas Henry McGregor. Ich hab gehört, dass sie einen Sicherheitsmann suchen?“

„Sie wollen sich bewerben?“, fragte der Mann und musterte ihn unverhohlen.

„Ja?“

„Haben Sie ihre Unterlagen dabei?“

„Nein. Ich hab keine. Das … Na ja, das ist etwas kompliziert. Das würde ich gerne mit Ihrem Personalmanager selbst besprechen.“

Wieder musterte der Mann ihn und nickte dann.

„Ich frage nach, ob Mr. Fleischman vielleicht Zeit hat“, erklärte der dunkelhäutige Mann, der wirklich jedes Klischee eines Sicherheitsbeamten bediente. Er hatte kurze Haare, einen Stiernacken und locker zwanzig Kilo Übergewicht. Das Sprechfunkgerät baumelte vor seiner Brust.

Während der Mann telefonierte musterte Dean den Eingangsbereich.

Metallene Kunst hing an den Wänden. Irgendwelche Reliefs, die wohl Fische und Neptun darstellen sollten, aber einfach auch Algen oder Wellen sein könnten.

Langsam schritt er über den grauen Granit und warf immer mal wieder einen Blick nach draußen auf sein Baby.

Für einen Augenblick stand sein Hengst vor der Tür.

Dean blinzelte und zog verwundert die Brauen zusammen. Was sollte das denn jetzt? Wurde er jetzt von seinen eigenen Geistern gejagt?

„Mr. McGregor?“, riss ihn der Bass des Wachmannes aus seinen Gedanken.

„Ja?“

„Mr. Fleischman erwartet Sie. Nehmen Sie den Fahrstuhl, 14. Etage, links, Zimmer 15.“

„Danke!“
 

Zögernd klopfte er an die genannte Tür.

Die Tür öffnete sich und eine attraktive ältere Dame strahlte ihn herzlich an.

„Nur nicht so ängstlich, junger Mann, wir fressen hier nur kleine Kinder“, lachte sie und leise flüsternd fügte sie hinzu: „und missgelaunte Chefs.“

„Das sollten Sie dann aber nur nachts und heimlich machen“, grinste der Winchester zurück.

Sie lachte herzlich und ging dann zu ihrem Schreibtisch.

„Mr. Fleischman? Mr. McGregor ist hier.“

„Schicken Sie ihn rein, Tara.“

„Sie können durchgehen, und viel Glück!“, lächelte sie ihn aufmunternd an.
 

Mr. Fleischman begrüßte Dean mit einem festen Händedruck.

„Nehmen sie Platz!“, wies er den Winchester auf den Stuhl gegenüber seines Schreibtisches.

„Sie möchten unser Sicherheitsteam verstärken. Haben Sie schon in der Branche gearbeitet?“

„Ja, vor einigen Jahren, bevor …“ Dean brach ab und fuhr sich unsicher durch die Haare. Dann stand er auf und ging zu der breiten Fensterfront. Er warf einen suchenden Blick nach draußen.

Dann straffte er sich und ging zu seinem Platz zurück. In seinen Augen strahlte Entschlossenheit.

„Wenn Sie mich einstellen wollen? Ja, ich würde gerne hier arbeiten.

Hören Sie Mr. Fleischman. Ich werde Ihnen meine Lebensgeschichte erzählen, aber Sie werden sie nicht nachprüfen können, denn mein Name ist falsch.“

Der Personalmanager musterte den jungen Mann vernichtend. Was bildete der sich ein? Aber dass er das sofort so sagte, rang ihm irgendwie auch ein bisschen Respekt ab. Zuhören konnte er ihm ja. Mal sehen, was er aufzutischen hatte. Rausschmeißen konnte er ihn dann immer noch.

„Dann erzählen Sie mal!“

„Bis zu meiner Hochzeit habe ich in einer kleinen Sicherheitsfirma gearbeitet, die inzwischen leider verkauft worden ist. Danach hab ich im Familienunternehmen meiner Frau den landesweiten Einsatz unserer Trucks geleitet. Ich meine, mir war klar, dass ich da nicht wirklich etwas zu sagen hatte, ihr Vater und ihre Brüder hatten das Ganze gut im Griff und ich hab da nur eingeheiratet. Aber ich war verliebt und mir war es egal. Ich dachte, das würde sich schon geben.

Egal! Vor ein paar Tagen habe ich zufällig ein Gespräch der Familie mitbekommen. Es ging um Menschenhandel und Diamanten. Ich dachte wirklich, so was gäbe es nur im Film. Mein Gott wie blauäugig ich doch war!“, müde wischte er sich mit der Hand übers Gesicht.

„Ich hab noch in der Nacht ein paar Sachen gegriffen und bin verschwunden.

Hören Sie: Ich werde mich bestimmt nicht mit der Familie meiner Frau anlegen. Da kann ich mir auch gleich eine Kugel durch den Kopf jagen, aber ich wollte damit auch nichts zu tun haben. Ich will einfach nur neu anfangen und das Ganze vergessen.

Also wie gesagt, ich hab schon in der Sicherheitsbranche gearbeitet und wenn Sie mich einstellen wollen?“

Unverwandt musterten die eisgrauen Augen des Personalmanagers den jungen Mann.

Die Geschichte klang so unwahrscheinlich, dass sich niemand so etwas ausdenken würde, wenn es nicht doch wahr wäre. Der junge Mann rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her.

„Okay, ich glaube Ihnen Ihre Geschichte und stelle Sie ein. Vier Wochen Probezeit. Sie können morgen anfangen. 8 Uhr.

Karl Kruger, der Leiter unseres Sicherheitsteams wird Sie dann einweisen.“

„Danke“, lächelte der Winchester schüchtern und schüttelte die dargebotene Hand.

„Ich nehme an, Sie wollen Ihr Geld bar?“

„Ich denke schon.“

„Dann bis morgen!“

„Auf Wiedersehen“

Dean begriff selbst nicht, dass das so geklappt hatte. Aber was soll’s! Der Mensch musste auch mal Glück haben!
 

Auf dem Bett lagen jede Menge Notizen verstreut.

Deans Magen grummelte und er rieb sich die Schläfen. Seine Augen brannten und sein Kopf schmerzte.

Er saß jetzt seit geschlagenen sechs Stunden vor dem Rechner, kippte Kaffee in sich hinein und versuchte eine Ursache für die Selbstmorde zu finden.

Mit einem tiefen Atemzug klappte er den Laptop zu und lehnte seinen Kopf an die Wand hinter sich.

Noch einmal ging er alle Fakten durch.

Die Opfer hatten alle in dem Gebäude gearbeitet. Die freie Stelle im Sicherheitsteam, die er jetzt besetzen sollte, war ebenfalls durch Selbstmord freigeworden.

Das Haus war in den späten Siebzigern gebaut worden. Davor hatte eine kleine Handelsvertretung an dieser Stelle gestanden. Ob die allerdings etwas damit zu tun hatte, hatte er noch nicht klären können.

Außerdem vermutete er, dass es mit den Entlassungen in dem Bürogebäude zu tun haben musste. Es gab immer annähernd so viele Selbstmorde wie Entlassungen, nie mehr. Nur dass die Selbstmörder nicht zwangsläufig nur die waren, die ihre Papiere erhalten hatten. Die, die entlassen worden waren, stellten sogar die kleinere Gruppe der Opfer dar.

Er kam nicht weiter und sein knurrender Magen half ihm auch nicht beim Denken.

Dean rollte sich aus dem Bett und ging in einem nahe gelegenen Restaurant essen.
 

Sam hatte sich in wenigen Stunden zum Überwachungsexperten gemausert.

Sein Laptop thronte auf einem gefährlich instabil aussehenden Bücherstapel mitten auf dem, als solcher nicht mehr zu erkennenden, Couchtisch, so überladen wie der war. Außerdem standen etliche Bücherstapel um den Tisch herum.

Ein kleiner, blinkender Pfeil auf dem Monitor zeigte auf eine Straße in Naples und der jüngere Winchester wusste auch schon, dass da ein kleines Restaurant war.

„Ich hoffe für dich, dein Bruder wird das nie erfahren. Der reißt dir den Arsch auf!“, sagte Bobby und stellte einen Topf Kaffee auf eine freie Ecke des Couchtisches.

Der Jüngere nickte nur und griff nach der Tasse.

„Danke“, sagte er leise und widmete sich wieder seinen Ausdrucken.

„Ich frage mich, was ihn nach Naples gezogen hat“, sagte er mehr zu sich selbst.

„Ich glaube nicht, dass er ursprünglich dahin wollte“, sagte Bobby.

„Du hast mir gesagt, du wüsstest nicht wohin …“

„Ich habe gesagt, dass ich nicht GLAUBE, dass er nach Florida wollte.“

„Sondern?“, fragte der Winchester jetzt ziemlich spitz.

„Wenn du mal nicht so egoistisch wärst und nur an deine Probleme denken würdest: Dein Bruder war ein ganzes Jahr da. Er hatte da auch Freunde gefunden! Vielleicht zählst du mal 1 und 1 zusammen!“, polterte der Ältere los und Sam zuckte erschrocken zusammen.

„Du meinst er wollte nach El Paso?“

„Das denke ich, ja. Er wird wissen wollen, ob der Fluch wirklich gebrochen wurde.“

„Ein Fluch? Wir haben da einen Fluch bekämpft? Aber einen Fluch kann man nicht bekämpfen!“

„Dean sagte, dass die Dämonen die Körper der Indianer solange ungehindert nutzen durften, wie noch ein Stückchen Knochen des Häuptlings existierte.“

„Dämonen in den Indianern“, überlegte der Winchester. „Dean war ziemlich erschüttert, als er seinen ersten Indianer gesehen hatte. Die kamen in den Saloon und wollten wohl was trinken. Er hat seine … Oh man, was war Carry eigentlich für ihn?

Er hat sie hoch geschickt und ist auf die Indianer zu. Er muss … Bobby er muss gewusst haben, dass sie besessen gewesen waren! Er muss es da schon gewusst haben! Aber woher?“

„Vielleicht hat er ihre schwarzen Augen gesehen?“

„Möglich“, grübelte der Jüngere weiter. Er stellte seine leere Tasse ab und griff wieder nach den Nachrichten, die er sich vorhin ausgedruckt hatte.

Bobbys Rechner war zwar langsamer als sein Laptop, aber als Überwachungsmonitor für Dean konnte er nur seinen Laptop nutzen. Dazu war die antiquierte Maschine auf dem überfüllten Schreibtisch nicht in der Lage. Ihr Freund sollte sich mal einen neuen Rechner zulegen!

So musste er sich mit der Langsamkeit von Bobbys PC zufrieden geben.
 

„Was hast du?“, wollte der Ältere nach einer Weile Schweigen wissen.

„Ich hab mir ein paar Artikel ausgedruckt. Aber ich bin noch nicht wirklich auf etwas gestoßen, das Dean für einen Fall halten könnte.

Quallen, ein renoviertes Bad und ein blinkender Pfeil

93) Quallen, ein renoviertes Bad und ein blinkender Pfeil
 

Seit gefühlten zwei Wochen hockte der blonde Winchester jetzt auf einem unbequemen Stuhl in einer kleinen, fast fensterlosen Kammer, den Lüftungsschlitz unter der Decke wollte er nicht als solches bezeichnen, und las sich die Vorschriften durch, die Kruger ihm in die Hände gedrückt hatte. Und so dick wie das Buch war, würde er noch für eine Weile Lesestoff haben.

Die Zeiger an der Uhr über der Tür wollten ihm allerdings einreden, dass er noch nicht mal eine Stunde hier saß.

Bevor er seine Uniform, ein weißes Hemd an dessen Brusttasche ein Schild mit dem Namen Thomas H. McGregor prangte, eine dunkle Krawatte und eine genauso dunkle Hose, bekommen hatte, hatte ihn Kruger durchs ganze Haus geschleppt und ihm erklärt, wann wo der Reinigungstrupp durchging. Diesen sollte das Sicherheitsteam besonders im Auge behalten! Immerhin war hier schon einiges gestohlen worden.

Außerdem hatte Kruger ihm erklärt, dass das Gebäude rund um die Uhr besetzt war, da sich in zwei Etagen ein Call-Center eines Finanz- und Versicherungsdienstleisters befand, das 24 Stunden erreichbar war.

„Sie arbeiten in der Spätschicht. Martin Smith Jr. ist Ihr Partner. Das hier ist Ihre Schlüsselkarte.

Damit kommen sie überall rein. In der Probezeit öffnet Ihre Karte sicherheitsrelevante Bereiche nur nach der Verifikation einer zweiten Karte. Sie müssen also mit Ihrem Partner zusammen die Rundgänge in diesen Bereichen machen“, hatte ihn Kruger wissen lassen.

Dean mochte ihn nicht. Der Mann war kalt und wenn der noch ein wenig durchscheinend wäre, dann wäre es ihm eine Freude, ihm die Schrotflinte zwischen die Rippen zu halten.
 

Endlich kam Kruger wieder.

„Ich denke, das reicht für heute. Sie können jetzt eine halbe Stunde Pause machen. Die Kantine in der 14. ist wirklich gut. Danach melden Sie sich am Empfang. Dann sollte auch Mr. Smith da sein. Richten Sie sich nach dem was er sagt. Ich werde Sie im Auge behalten!“ Mit diesen Worten wurde Dean aus dem Loch entlassen.
 

‚Wenn der Sekundenzeiger noch langsamer ginge, würde die Zeit rückwärts laufen!’, überlegte der blonde Winchester und rutschte auf seinem Stuhl nach vorn.

„Warum drehst du nicht einfach eine Runde durchs Haus? Bis zur 14. kommst du doch“, schlug Martin Jr. vor. Sein neuer Partner schien ja förmlich Hummeln im Hintern zu haben. „Du sitzt nicht gerne, oder?“

Dean schüttelte den Kopf. „Meinst du wirklich, ich kann gehen?“

„Das ist unser Job. Ich bleibe hier. Reicht schon, wenn ich nachher mit dir die Runden durch die oberen Stockwerke und den Keller machen muss.“

„Okay“, nickte der Blonde lächelnd und war vom Stuhl runter und am Fahrstuhl bevor sein Partner noch ein Wort sagen konnte.

„Lass dir Zeit!“, rief er ihm noch nach.
 

Langsam lief Dean seine Runde, schaute hier und da mal in die Büros und kam so Stockwerk für Stockwerk weiter nach oben.

Gerade wollte er den Fahrstuhl wieder verlassen, als ihn ein Aktenberg auf hochhackigen Schuhen fast über den Haufen rannte. Er versuchte auszuweichen, konnte ein Fallen der Ordner aber nicht verhindern.

„Schuldigung“, nuschelte die junge Dame und beeilte sich, die Ordner wieder aufzusammeln und ihren Minirock dabei nicht höher als erlaubt rutschen zu lassen.

Für eine Schrecksekunde betrachtete der Winchester das Schauspiel, dann bückte er sich und half ihr.

„Ich hätte doch einen Wagen nehmen sollen“, stöhnte sie leise.

„Wo soll’s denn hingehen?“, wollte er wissen.

„Ins Archiv runter.“

„Ich helfe Ihnen!“, sagte er und behielt den größeren Stapel auf den Armen.

„Danke!“, strahlte sie ihn an. „Sind Sie neu hier?“

„Ja, mein erster Tag.“

„Na dann, herzlich willkommen hier.“

„Danke.“
 

„Ed?“, rief sie kaum dass sich die Türen des Aufzuges im Keller geöffnet hatten. „Ich hab einen Stapel Akten. Wohin?“

„Er will lieber alles selbst wegräumen“, flüsterte sie Dean zu.

„Bringen Sie sie her!“, hörten sie den Mann aus einer Ecke antworten und gingen auf die Stimme zu.

Ein leises Pling ertönte und dann war das Öffnen einer Mikrowellentür zu hören.

Sie bogen um die Ecke und vor ihnen stand ein alter Mann vor einer fast genauso alten Mikrowelle.

Er trug eine graue Stoffhose, ein helles Hemd und darüber einen dunkelblauen Westover. Die Ärmel seines Hemdes steckten in dunkelgrauen Ärmelschonern.

Der Mann sah wirklich so aus, als würde er in das Archiv gehören.

„Legen sie sie hier auf den Tisch“, forderte der Mann leise aber bestimmt.

Kaum hatte der Winchester seinen Stapel abgelegt, als er auch schon zu der Mikrowelle hinüber ging und diese interessiert musterte.

„Die muss doch fast so alt sein wie ich“, stelle er staunend fest.

„Sie ist aus dem Jahre 1979“, lächelte Ed.

„Sie ist so alt wie ich“, grinste der Blonde. „Erstaunlich, dass sie noch funktioniert.“

„Sie funktionieren ja auch noch“, konterte der Alte.

„Ja, aber in mir kriegt man Essen höchstens vernichtet, aber nicht heiß“, lachte Dean und hielt ihm die Hand hin. „Ich bin Thomas McGregor.“

„Ich kann noch lesen“, sagte Ed und zeigte auf das Namensschild. „Ich bin übrigens Eddison Garcia. Aber alle nennen mich Ed.“

„Hallo Ed!“, lächelte Dean warm.

„Wollen Sie auch was? Ich …“, deutete Ed auf seine dampfende Schüssel.

„Nein, ich war vorhin oben in der Kantine, danke“, wehrte er ab.

„Hm. Mikrowellenfutter“, stöhnte Garcia.

„Das aber auch.“

„Ja, da haben Sie Recht. Aber ich hab es gestern selbst gekocht.“

„Dann will ich nicht länger stören“, verabschiedete sich der Winchester und ging zurück zu seinem Partner.
 

Am frühen Abend drehten sie zusammen ihre Runde. Immer wieder musste Dean auf den übergewichtigen Smith warten, den schon die langen Gänge außer Atem brachten.

„Du solltest was dagegen tun“, sagte Dean, als sein Partner endlich im Fahrstuhl stand und sich den Schweiß von der Stirn wischte.

„Dieses Wetter macht mich fertig“, sagte er schnaufend und musterte den Blonden.

„Du kannst das wohl nicht verstehen. Ich hab schon einiges abgenommen, aber ich muss Cortisontabletten nehmen, und die Betablocker machen mir das Leben auch nicht einfacher.“

Der Winchester nickte verstehend. Auch wenn er nicht genau wusste, was die Medikamente zusammen alles bewirken konnten, so konnte er sich doch noch gut an den letzten Sommer erinnern. Auch wenn seine Voraussetzungen damals ganz andere waren und er keine solchen Medikamente bekommen hatte.

„Sag mal, kannst du die Runden ab morgen nicht alleine gehen? Wenigstens solange, bis die Schwüle wieder weg ist?“, fragte Martin plötzlich.

„Ich kann doch in die oberen Etagen nicht rein.“

„Und wenn ich dir meine Karte gebe?“, fragte der Dunkelhäutige.

„Wenn ich dir damit helfen kann? Und Kruger mich dafür nicht sofort rausschmeißt.“

„Der ist schon lange weg. So übergenau wie der tut, so pünktlich ist der hier weg.“

„Okay, ab morgen geh ich alleine“, sagte der Blonde als sich die Aufzugtüren im Keller öffneten.

„Danke!“

Martin Smith Jr. war sichtlich erleichtert, und Dean freute sich darauf, seine Nachforschungen in Ruhe weitertreiben zu können.
 

Lange nach seinem Partner kam er zum Empfangsbereich zurück. Er hatte sich bei Ed festgequatscht. Martin lächelte nur. Solange der Jungspund ihm die Lauferei abnahm war es ihm egal, wo der seine Zeit vertrödelte.
 

Kopfschüttelnd starrte Sam auf den blinkenden Pfeil, der Deans Handy anzeigte.

„Was macht der seit Stunden dort?“, knurrte er und holte sich einen neuen Kaffee. Inzwischen brauchte er das Zeug schon genauso sehr wie sein Bruder, und irgendwann würde er ihn wohl auch noch ganz schwarz trinken, überlegte er, obwohl es ihn schon alleine bei dem Gedanken schüttelte.

Der jüngere Winchester ließ sich wieder auf der altersschwachen Couch nieder und starrte weiter auf den Stadtplan von Naples und den Pfeil darin.

Wieder rief er sich die Seite mit den Nachrichten der Stadt auf.

Nichts.

Nichts, was er nicht auch schon vor Stunden überflogen hätte.

Hatte Dean ihn einfach verlassen? War er in ein neues Leben aufgebrochen? Immerhin hatte er schon im letzten Jahr ehrlich gelebt. Aber warum dann Naples? Wäre er dann im Westen nicht besser aufgehoben? Und wenn er wirklich ein neues Leben hätte beginnen wollen, hätte er dann nicht sein Handy ausgeschaltet? ‚Oh man! Ich klinge schon wie eine verlassene Ehefrau!‘, schalt sich Sam in Gedanken. ‚Gut, dass es nur Gedanken sind. Bobby würde mich auslachen!‘

Wieder schaute er auf den Pfeil und begann noch einmal die Nachrichten der letzten Woche aus Naples durchzugehen.
 

„Oh mein Gott!“, keuchte Sam plötzlich und starrte den älteren Jäger an, der eben ins Zimmer gekommen war und sich erschrocken aufrichtete.

„In dem Bürohaus, in dem Dean die ganze Zeit ist, gab es mehrere Selbstmorde!“, platzte der Jüngere atemlos hervor. Er warf die Papiere auf das Sofa und griff nach seinem Laptop.

„Sam?“, sagte Bobby ruhig.

„Was?“, keifte der. „Wenn Dean sich da …“, erschrocken brach er ab. Es auszusprechen würde die Möglichkeit greifbar machen.

„Meinst du nicht, dass Dean dazu nicht bis Naples hätte fahren müssen?“

„Verdammt noch mal, Bobby, Dean ist …“, unschlüssig brach er ab, fuhr sich ungeduldig durch die Haare und ließ seine Arme wieder sinken. Bobby hatte Recht. Wenn Dean sich hätte umbringen wollen, dann hätte er jede Möglichkeit genutzt, die sich ihm geboten hätte.

„Ich glaube auch nicht, dass er doch noch in die Hölle will.“

„Was hat das denn mit der Hölle zu tun?“, wollte Sam aufgebracht wissen.

„Selbstmörder kommen in die Hölle, heißt es landläufig“, erklärte der Ältere ruhig. „Außerdem bewegt sich dein Pfeil.“

Sofort wandte sich Sam zu seinem Bildschirm um und atmete erleichtert auf, als er sah, dass sich der Pfeil tatsächlich bewegte, bei dem kleinen Restaurant einen Zwischenstopp einlegte und dann bei dem Motel wieder anhielt.
 

Müde blinzelte der blonde Winchester gegen das Sonnenlicht, das sich einen Weg zwischen den Vorhängen hindurch in sein Zimmer bahnte.

Er wollte heute einige Hinterbliebene besuchen, also schaltete er den Fernseher ein, um nicht gleich wieder einzuschlafen. Er hatte sich die halbe Nacht mit Internetrecherchen um die Ohren geschlagen aber noch immer nichts gefunden, das vielleicht einen rächenden Geist erklären könnte.

Selbst beim Bau des Gebäudes hatte es keine besonderen Vorkommnisse gegeben, niemand war gestorben oder verunglückt und es hatte sich auch niemand von der Baustelle in den Tod gestürzt.
 

Der Nachrichtensprecher berichtete von Unmengen von Quallen, die an den Strand gespült worden waren, und er bat die Menschen die Strände in den nächsten Tagen möglichst zu meiden, bis die Stadt diese wieder freigeben würde. Die Tiere wären zwar nicht wirklich giftig, könnten bei Berührung aber zu Hautreizungen führen.
 

Dean zuckte mit den Schultern und angelte nach seinem Laptop um zu überprüfen, ob es zwischen den Selbstmorden und den Quallen vielleicht einen Zusammenhang gab.

Schnell konnte er diese Vermutung zur Seite schieben. Diese Quallenplage gab es zu ersten Mal.
 

Sam rieb sich stöhnend den Nacken.

Er legte die Blätter beiseite und stand auf um sich in der Küche einen Kaffee zu holen.

Bobby kam ebenfalls gerade herein.

„Schon was Neues?“

„Nein, ich weiß immer noch nicht, warum Dean in Florida ist und was er da sucht.“

„Und warum rufst du ihn nicht an?“

„Ich will das klären, wenn er wieder hier ist.“

„Du schiebst das ganz schön auf die lange Bank!“

„Nein. … Ja, irgendwie schon. Aber ich möchte das persönlich mit ihm klären, es ihm ins Gesicht sagen können. Ich möchte ihm in die Augen schauen können, wenn ich mich entschuldige“, sagte er leise.

„Und was treibt Dean heute?“

„Er hat zwei Adressen besucht, von denen ich nachher noch klären will, was da ist. Ich hab mir erstmal die Nachrichten angeschaut und überlege immer noch, ob ihn die Selbstmorde nach Naples gelockt haben könnten. Es waren in den letzten Wochen mehr als normal. Ich suche gerade nach einer Gemeinsamkeit der Opfer.“

Bobby brummelte etwas Unverständliches und kümmerte sich dann um die Wäsche.

Das Bad hatten sie gestern fertig eingeräumt. Es war schon erstaunlich wie dieser Raum gleich strahlte und wie verkommen die anderen Zimmer dagegen aussahen. Vielleicht sollte er doch darüber nachdenken, demnächst die anderen Zimmer so nach und nach zu renovieren. Möglicherweise würden die Jungs dann öfter hier bleiben?

Oh Mann! Er wurde langsam wirklich alt, wenn er jetzt schon über solche Dinge nachdachte!

Eddison Garcia

94) Eddison Garcia
 

Etwas abgehetzt bog Dean um die Ecke. Gleich würde er in die angenehme Kühle seines Arbeitsplatzes eintauchen können. So langsam vermisste er die Kälte, die es jetzt in South Dakota gab. Im letzten Jahr hatte er nun wirklich genug Wärme getankt. Er wollte eigentlich nur noch diesen Fall abschließen und dann bei Bobby ein ruhiges Weihnachten verbringen und sich mit Sam aussprechen.
 

Vor dem Bürogebäude gab es einen regelrechten Menschenauflauf. Polizeiwagen standen mit blinkenden Lichtern kreuz und quer auf dem Vorplatz und alle starrten nach oben.

Der Blick des Winchester folgte ganz automatisch.

Auf dem Rand des Daches stand ein Mensch!

Ohne nachzudenken hetzte der Winchester in das Gebäude und schlidderte an Martin Jr. vorbei zum Fahrstuhl.

Der stand im 15. Stock.

„Verdammt!“, fluchte der Blonde und wandte sich zum Treppenhaus.

„Tom, du…“, rief ihm sein Partner hinterher.

Dean hetzte nach oben: 20 Stockwerke, getrieben von der Angst, zu spät zu kommen.

Was genau er da oben machen wollte, wusste er nicht, aber er musste es schaffen, bevor derjenige sprang.

15. Etage …

‚Noch fünf Etagen!’, versuchte er sich anzuspornen.

Seine Lunge brannte und die Muskeln in den Oberschenkeln wurden langsam schwer und schmerzten.

Aber er hetzte weiter. Davon würde er nicht sterben. Der Mensch da oben vielleicht schon!
 

Und dann stand er vor der Tür. Ein paar Mal atmete er tief durch. Langsam schob er die Tür auf und trat auf’s Dach hinaus.

Der Wind pfiff hier oben ganz schön. Vorsichtig schaute er sich um.

Die Stimmen kamen von der anderen Seite, und er umrundete den Aufbau, bis er die Personen am Rand stehen sah.

Zwei Polizisten und der Chef vom Sicherheitsteam, Kruger.

„Kommen Sie, wir können doch darüber reden!“, hörte Dean Kruger sagen. ‚Das würde mich eher zum Springen animieren’, überlegte der Winchester.

„Bleiben sie weg!“, sagte der Mann an der Kante und Dean stutzte. Ed? Eddison wollte sich vom Dach stürzen? Eddison wollte … Aber sie hatten gestern eine halbe Ewigkeit geschwatzt und der alte Archivar hatte ihm erzählt, dass er nur noch zwei Jahre arbeiten musste und dann endlich in Rente gehen würde. Er hatte von seinem Häuschen und dem Garten, den er über alles liebte, erzählt und von seiner Katze, die im Sommer Junge bekommen hatte, von denen noch zwei bei ihm geblieben waren. Und davon, dass die Nachbarin die Katzen hasste und immer mit Steinen bewarf.

Eddison hatte nicht so geklungen, als würde er sein Leben hassen und dem ein Ende setzen wollen!

Verdammt! Was lief hier?
 

Langsam, und immer darauf bedacht einen Polizisten zwischen sich und Eddison habend, damit der ihn nicht sah, schob er sich immer weiter an die Männer heran. ‚Warum eigentlich?’, fragte er sich und trat aus dem Schatten des Polizisten.

Jetzt konnte er Ed genauer sehen. Der Mann stand an der Kante, genauso als ob er gerade einen Ordner wegräumen wollte.

Dean war entsetzt!

Bedauernd hob Eddison Garcia die Schultern, drehte sich um und sprang. Er ließ sich nicht fallen, er sprang!

Sekunden schienen zu Minuten zu werden.

Dean überbrückte die wenigen Schritte, die ihn noch von der Kannte trennten und hechtete hinterher.

Hart prallte er mit seinem Oberkörper gegen die Kante. Der Schmerz raubte ihm die Luft, aber er bekam auch ein Stück Stoff zu fassen.

Schraubstockartig schlossen sich seine Finger. Er schob sich weiter über die Kante.

„Bitte Ed, nimm meine Hand!“, bettelte er. „Fass zu! Ed! Meine Hand!“

Hinter ihm bellte Kruger: „Was mischen Sie sich hier ein? Wir hatten die Lage unter Kontrolle! Und wo ist überhaupt Ihre Uniform?“

Einer der Polizisten versuchte Dean zu helfen und hängte sich ebenfalls über die Brüstung.

Eddison lächelte bedauernd und dann rutschte seine Hand aus dem Ärmelschoner und er stürzte in die Tiefe.

„NEIN!“, schrie Dean. Mit einem Mal schien jegliche Spannung aus seinem Körper zu weichen. Haltlos sackte er in sich zusammen, noch immer halb über der Brüstung hängend.

Der eine Polizist fasste den Winchester an der Schulter, zerrte ihn zurück und redete auf ihn ein.
 

Wie in Trance ließ er sich auf das sichere Dach zurückziehen. Er sah, dass der Mann seinen Mund bewegte, doch er verstand nichts. Das Blut rauschte in seinen Ohren.

Kruger baute sich vor Dean auf: „Was haben Sie sich dabei gedacht? Wir hätten ihn retten können, wenn Sie nicht…“

„Sie hätten gar nichts gekonnt. Der Mann ist gesprungen, bevor er versucht hat ihn zu halten! Ihr Kollege war der einzige, der aktiv versucht hat ihn zu retten. Sie sollten stolz auf ihn sein!“, erklärte der zweite Polizist mit Nachdruck.

Dean rappelte sich auf: „Ich muss mich noch umziehen!“, sagte er zusammenhanglos und ging mit eckigen Schritten zur Treppe zurück.

„Sie sollten ihn nach Hause schicken!“, schlug ein Polizist vor, doch Kruger winkte nur ab.
 

„Du solltest nach Hause gehen“, sagte Martin Jr. und legte Dean seine riesige Hand auf den Arm.

Der Winchester zuckte zusammen, schaute auf, schüttelte den Kopf und starrte dann wieder auf seine Hände.

Er hatte Ed nicht halten können! Er hatte ihn nicht halten und er hatte ihn nicht retten können. Dabei war er doch hierher gekommen, um dem Sterben ein Ende zu machen!

Er hatte versagt! Schon wieder!

Jeder, den er zu halten versuchte, flutschte ihm durch die Finger. Hatte er Sam auch verloren?

Gestern hatte er sich noch mit Eddison unterhalten. Der alte Mann hatte ihm so viel über das Gebäude erzählt und über die kleine Handelsvertretung, die vorher hier stand. Da hatte er auch schon als ‚Mädchen für alles’ gearbeitet. Staubsauger hatten sie damals noch vertrieben. Später hatten sie auch noch Mikrowellen verkauft.

Das Schätzchen in seinem Archiv war noch aus der Zeit.

Irgendwann wollte der Besitzer noch mehr verdienen und ... ist pleite gegangen. Eddison Garcia fand in dem neuen Bürohaus eine neue Anstellung.

Dean hatte nicht bemerkt, dass Ed selbstmordgefährdet war. ‚Verdammt noch mal! Er konnte es nicht merken! Ed wollte nicht sterben! Irgendetwas in diesem Haus hatte ihn dazu getrieben. Aber was?’
 

Irgendwann rappelte Dean sich auf und drehte seine Runde durch das Haus.

Martin hatte ihn begleiten wollen, doch der Winchester hatte abgelehnt. Martin lief nicht gerne und er selbst brauchte Bewegung und Zeit um in Ruhe über alles nachdenken zu können.

Dean ging in den Keller.

Das Absperrband fetzte er einfach ab.

In Eddisons Büro ließ sich der Winchester müde auf den alten Stuhl fallen.

Hier roch es noch nach Ed und es sah aus, als würde er jeden Augenblick wiederkommen.

Blicklos starrte er auf den Schreibtisch. Er musste schlucken, als der Verlust mit aller Macht zuschlug. Seine Rippen zogen sich schmerzhaft zusammen und er hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen.

Hektisch riss er das kleine Fenster auf.

‚Wieso? Ich hab Ed doch nicht mal richtig gekannt!’, grübelte er über seine Reaktion.

Eine Böe fegte durch das Zimmer und wirbelte einige Blätter durcheinander.

Leise fluchend schloss Dean das Fenster wieder und sammelte die Zettel zusammen.

Einer davon hatte sich hinter der antiken Mikrowelle verklemmt und er musste das Teil anheben um ihn hervorangeln zu können. Dabei fiel sein Blick auf ein kleines Schildchen, das an einer der hinteren Ecken angebracht war.

Neugierig zog er das Gerät weiter vor und las: Ernest Hanson, Außendienst und eine Telefonnummer, die wohl schon lange nicht mehr in Betrieb war.

Mit einem kurzen Grinsen schob er die Mikrowelle wieder zurück, legte die Blätter auf einen Stapel und ging wieder nach oben.
 

Die letzten Stunden hatten sich fast endlos in die Länge gezogen. Dabei war er die Hälfte der Zeit im Haus unterwegs gewesen.

Alle schienen davon gehört zu haben, dass er versucht hatte, Eddison zu retten, und es gab niemanden im Haus, der Ed nicht gemocht hatte.

Jeder, der ihm über den Weg lief, drängte ihm ein paar Worte auf. Tröstende, fassungslose, belanglose Worte, und bei jedem sah er sich gezwungen irgendwie zu antworten, dabei wollte er einfach nur seine Ruhe haben! Schnell verlagerte er seinen Rundgang in die wenig frequentierten Gänge und Räume des Hauses.
 

Jetzt stand er am Strand und hatte endlich seine Ruhe. Den Impala hatte er auf einem kleinen Parkplatz, ein paar Meter weiter, geparkt.

Das Meer schwappte in kleinen Wellen leise auf den Sand.

Ein trauriges Lächeln huschte über sein Gesicht als er an sein Geständnis in Baltimore denken musste.

‚Mein Name ist Dean Winchester. Ich bin Wassermann. Ich liebe Sonnenaufgänge, lange Spaziergänge am Strand und verspielte Frauen.’

Hier ging keine Sonne auf. Es war kurz vor elf, nachts. Aber einen Spaziergang wollte er machen. Er musste sich unbedingt bewegen. Dean Winchester und Spaziergänge. Wenn das kein Widerspruch an sich war. Aber Sam würde es ja nie erfahren und er würde es niemandem erzählen, also was soll‘s.

Die Hände tief in den Taschen seiner Jacke vergraben, lief er über den festen Sand.

Ob es hier schön war? Am Strand in der Sonne liegen, baden gehen? Kindern beim Toben zuschauen?

Er wusste es nicht. Sam und er hatten nie wirklich toben dürfen. Alles war immer irgendwie Training gewesen.

Jetzt lagen hier überall Quallen herum und vertrockneten. Und jede neue Welle schwemmte weitere Gallertdinger an.

Deans Gedanken wanderten wieder zu Ed. Warum war er gesprungen? Er hatte, soweit Dean wusste, keinen Grund gehabt, aus dem Leben scheiden zu wollen.

„Verdammt!“ Dean tat gegen einen kleinen Hügel, dass der Sand nur so auseinander spritzte.

Mutlos lief er weiter.

Er war hergekommen um das Sterben zu beenden und er hatte versagt!

Brachte er Unglück? Seinen kleinen Bruder hatte er jetzt schon zum zweiten Mal aus einem sicheren Leben gerissen. Und wahrscheinlich hatte er auch die Harrisons in den Fokus der Dämonen gebracht!

Ob er vielleicht verflucht war? Lag es an ihm, dass Mom gestorben war? Er hatte Sam aus Stanford geholt! Wäre Jessica noch am Leben, wenn sein kleiner Bruder bei ihr geblieben wäre?

Tiefer und tiefer trieb er in einem Strudel aus Selbsthass und Verzweiflung.

Immer wieder machte er alles falsch! Immer wieder riss er andere ins Unglück!

Warum hatte Dad ihn nicht sterben lassen können? Er und Sam wären ohne ihn besser dran gewesen!
 

Eine zierliche Gestalt lief über den Strand und sammelte … Dean stutzte. Sammelte sie wirklich Quallen ein, um sie wieder ins Wasser zu bringen? Wider Willen musste er grinsen.

„Ist das nicht sinnlos?“, wollte er wissen, als er das Mädchen, als das sich die zierliche Gestalt herausgestellt hatte, erreicht hatte.

„Sie sind so wunderschön“, erklärte sie mit einer melancholisch klingenden Stimme, die etwas ganz tief in Dean zum Vibrieren brachte.

„Ich hab sie mir noch nie genauer betrachtet. Als Kind hat sich mein kleiner Bruder davor geekelt.“

„Sie sind nicht eklig!“, fauchte sie.

Der Winchester hob abwehrend die Hände.

Fasziniert schaute er in ihre Augen. Sie waren so unergründlich wie das Meer in der Dunkelheit.

„Es wird eine Lösung geben“, sagte sie zuversichtlich und streckte ihre schmale Hand nach ihm aus.

Dean zuckte zurück. Wieso eine Lösung? Wofür? Für die Quallen?

Sie ließ sich jedoch von seiner Reaktion nicht beirren und legte ihre Hand auf seine Wange.

Die Kühle ihrer Haut und das Wechselspiel des Mondlichts auf den Wellen, das sich in ihren Augen widerspiegelte, schien den Orkan an negativen Gedanken und Gefühlen in seinem Inneren verstummen zu lassen. Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen um sich ihm entgegen recken zu können.

Ihre Lippen waren genauso kühl wie ihre Hand, stellte der Winchester verwundert fest, bevor ihn ihr Kuss regelrecht fesselte.

„Du solltest dich ausruhen“, sagte sie, „es war ein anstrengender Tag.“

„Ja“, krächzte er heiser und nickte müde. Langsam wandte er sich ab und ging zu seinem Wagen zurück.

Seine Bewegungen waren schleppend. Er fühlte sich nur noch ausgelaugt. Selbst die Verzweiflung, die ihn eben noch fast aufgefressen hatte, war verschwunden.

Kurz überlegte er, ob er nicht gleich im Impala schlafen sollte, doch er verwarf diese Idee und fuhr zu seinem Motel zurück.

Unergründlich dunkle Augen

95) Unergründlich dunkle Augen
 

Sam genoss die Ruhe bei Bobby. Er wollte Dean seinen Fall bearbeiten lassen und dann mit ihm reden. Vielleicht war es wirklich gut so, dass sie eine Auszeit voneinander nahmen. Obwohl sie die ja eigentlich schon gehabt hatten, ein halbes Jahr lang. Oder war es mehr?

Für Bobby waren sie zwei Monate verschwunden gewesen. Er selbst war definitiv im Oktober in El Paso angekommen und Mitte April wieder verschwunden und Dean? Der hatte ihrem Freund gegenüber etwas von einem Jahr erzählt. Auch Jacob hatte ihm bestätigt, dass Dean im März dort angekommen sein musste. Hatte der Trickster sie so unterschiedlich durch die Zeit geschickt?

War es wirklich ein Engel gewesen, der sie zurückgeholt hatte? Er würde Dean fragen müssen.

Es gab so vieles, was er mit seinem Bruder klären musste. Nicht nur seine verrückt spielenden Gefühle.

Ein weiterer Blick zu seinem Laptop zeigte ihm, dass Dean vielleicht schon im Bett war.

Er hätte erwartet, dass sein Bruder mehr durch die Bars ziehen und seine Freiheit genießen würde.
 

Keuchend und nach Luft schnappend erwachte der Blonde. Hektisch strampelte er sich frei und setzte sich auf.

Ganz langsam nahmen seine Augen die Umgebung auf und seine Atmung normalisierte sich wieder.

Er saß in seinem Bett in seinem Motelzimmer in Naples und die Sonne schien durchs Fenster herein.

Mit einem bedauernden Stöhnen ließ er sich wieder fallen. Er wollte weiter schlafen. Er wollte dieses Gefühl von Freiheit, von Unbeschwertheit und Freude wieder fühlen, das es hier nicht gab.

Dean dachte an die Kleine von gestern Abend zurück. Sie war komisch gewesen, selbst für ihn. Quallen einsammeln!? Das war verrückt! Ihre Augen …

Wieder sah er diese unergründlich tiefen Augen vor sich. Noch einmal holte er tief Luft und stand auf. Vielleicht konnte er noch ein paar Angehörige besuchen.

Diese Aussicht ließ seinen Tag gleich noch viel düsterer aussehen.

Schwerfällig schlurfte er unter die Dusche.

Warm prasselten die Tropfen auf seinen Körper und lösten wieder diese unbeschwerte Freude in seinem Inneren aus.

Er hatte das Gefühl freier atmen zu können. Verwirrt schüttelte er den Kopf. So ein Quatsch! War er ein Fisch? Obwohl … Dean grinste. Er war Wassermann.

Energisch drehte er den Wasserhahn zu und trocknete sich ab. Er brauchte dringend Urlaub. Keine Monster, lange schlafen, nachts durch die Bars ziehen und unverbindlichen Sex mit Frauen, die er nie wieder sehen würde. Mit Carren hatte er im letzten Jahr ja schon fast sowas wie eine feste Beziehung gehabt. Zumindest war er ihr treu gewesen. Eher aus Mangel an Gelegenheit, als weil er in ihr wirklich mehr gesehen hätte, aber immerhin. So lange hatte er es mit keiner Frau ausgehalten.

‚Oh man! Du brauchst wirklich mal wieder eine heiße Frau und eine Nacht Sex, Winchester!’, dachte er und zog sich an.

Jetzt musste erstmal ein schneller Kaffee aus dem Automaten reichen, und dann wollte er die letzten drei Familien der Hinterbliebenen der diesjährigen Selbstmörder besuchen. Und wenn er Glück hatte, würde er vielleicht einen Hinweis bekommen, dem er nachher in den Archiven noch nachgehen konnte. Vielleicht konnte er ja auch noch Eds Passwort knacken und sich seinen Rechner anschauen, wenn den die Polizei nicht schon beschlagnahmt hatte.

Irgendwie musste er das, was die Menschen da zum Selbstmord trieb, doch finden können. Er konnte doch nicht alles verlernt haben! Schließlich war er doch auch alleine jagen gewesen, bevor er Sam geholt hatte.

Und wenn er nichts fand? Wenn es doch an ihm lag? Wenn er Unglück brachte? Was dann?

Wie eine Lawine brachen seine Schuldgefühle vom Vortag wieder über ihn herein.

Dean schluckte schmerzhaft und schüttelte dann den Kopf. Darüber konnte er nachdenken, wenn er hier nicht weiter kam. Jetzt sollte er zusehen, dass er die Familien besuchte. Immerhin wollte er weder zu spät zu seinem Job kommen, noch einen weiteren Vormittag bei Kondolenzbesuchen vertrödeln.

Er straffte sich und ging zu seinem Wagen.

Bevor er ausparkte, schaute er in den Rückspiegel und erstarrte. Wieder schauten ihm die unergründlich tiefen, fast nachtschwarzen Augen entgegen. Bedauernd schloss er die Lider und als er sie wieder öffnete, starrte er nur noch in seine eigenen glanzlosen Augen.

Der Winchester schüttelte den Kopf und fuhr los.
 

„Oh mein Gott! Bobby!“, brüllte der jüngere Winchester in Richtung Küche und startete den kleinen Film, den er sich jetzt schon zum dritten Mal angesehen hatte, erneut, als er den Älteren hinter sich spürte.

Vor einem Bürogebäude standen eine Menschenmenge, jede Menge Polizei und ein Leichenwagen.

Dann schwenkte das Bild. Ein übergewichtiger Schwarzer in Uniform stand vor der Kamera. Sichtlich erschüttert erzählte er, dass sich ein langjähriger Mitarbeiter vom Dach gestürzt hatte und dass sein Kollege versucht hätte, den Mann zu retten, ihn aber nicht hatte halten können.

„Dean war die letzten Tage da!“, erklärte Sam schockiert. „Ich muss zu ihm!“

„Aber er lebt. Warum …?“, begann Bobby irritiert.

Schweigend klappte der Jüngere das Fenster zu und deutete auf das Textfenster darunter. Langsam fuhr er mit dem Cursor unter einem Satz entlang.

Ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, Thomas McGregor, hat noch versucht den Mann zu halten, konnte letztendlich jedoch nichts gegen die Schwerkraft ausrichten.

Immer wieder huschte der Pfeil unter dem Namen hin und her.

„Dean!“, keuchte Sam leise.

„Woher willst du wissen, dass er es war, der…“

„Zu der Zeit war er im Gebäude. Thomas hieß der Cowboy, der immer an Deans Seite war und McGregor …“

„War der Name des alten Jägers“, ergänzte Bobby.

„Dean hat versucht den Mann zu retten! Ich muss zu ihm. Er braucht jetzt Hilfe!“

„Das befürchte ich auch. Er war eh schon angeschlagen! Flieg hin!“

Hektisch suchte Sam sich eine Flugverbindung nach Naples.

„Ich kann erst morgen früh einen Flieger kriegen!“, stellte er leicht panisch fest und zeigte auf die Flugverbindung, die auf seinem Laptop stand. „Hast du ein Auto für mich?“

„Sam! Selbst wenn du jetzt losfährst und durchfahren würdest, wärst du frühestens eine Stunde vor dem Flieger da. Es sind an die 28 Stunden bis Naples. Und du musst auch noch schlafen und essen. Sam, bitte! Selbst wenn ich mitkommen und wir uns abwechseln würden, wir wären, wenn überhaupt, kurz vor dem Flieger da.“

Ergeben und frustriert nickte Sam. Die Welt hatte sich gegen ihn verschworen.

Also tat er, was er am besten konnte, er stürzte sich in die Recherchearbeit. Vielleicht fand er ja einen Ansatz um die Selbstmorde zu beenden.
 

„Thomas?“, fragte der übergewichtige Wachmann mit leicht genervtem Unterton in der Stimme.

„Ja?“, schreckte der Blonde hoch.

„Du starrst jetzt seit geschlagenen zehn Minuten auf meine Wasserflasche. Wenn Du was trinken willst, dann sag es doch einfach?“ Der Selbstmord von Eddison hatte seinen Partner mehr mitgenommen, als der zugeben wollte. Thomas hätte zu Hause bleiben sollen, überlegte er.

„Ich …?“, verwirrt schaute er zu seinem Kollegen. Dann wanderte sein Blick wieder zu der Flasche und er schüttelte den Kopf. Was war nur los mit ihm? Wieder hatte er diese unergründlich tiefen Augen gesehen. In ihnen hatte soviel Freiheit gelegen, dass er … wieder schüttelte er den Kopf. ‚Reiß dich zusammen, Winchester. Du hast einen Fall zu klären!’, schalt er sich in Gedanken und stand auf.

„Ich dreh die Runde“, sagte er mit fester Stimme.

„Lass dir Zeit. Hier ist meine Karte.“

„Okay. Bis nachher“, grinste der Winchester traurig.

Doch schon im Fahrstuhl überfiel ihn wieder dieses bedrückende Gefühl. Er musste an die Angehörigen denken, die er heute Morgen besucht hatte. An die Trauer, die in den Familien regelrecht greifbar war. Er würde wohl nie wirklich damit umgehen können, Menschen trauern zu sehen, ohne an seine Verluste erinnert zu werden.
 

Wieder durchsuchte er einige Akten.

Frustriert legte er seinen Kopf in seine Hand und schloss die Augen. Er holte tief Luft. Warum machte er das hier eigentlich? Niemand interessierte sich für diese Selbstmorde. Selbst in den Zeitungen war es nur eine Fußnote. Und auch wenn er etwas finden und dieser Serie ein Ende setzen würde. Es wäre doch egal! Keiner würde sich bei ihm bedanken. Keiner würde sich je an ihn erinnern. Warum also sollte er seine Zeit hier überhaupt vergeuden.

Aber war es nicht egal ob hier oder woanders? Es interessierte sich doch eh niemand für ihn! Sam hatte sich bis jetzt nicht gemeldet, also war er wohl auch dem letzten Menschen egal, dem er vielleicht etwas bedeutet hatte.

Wieder fiel ihm sein Traum ein. Dieses Gefühl von Freiheit. Keine Ängste, keine Bedenken, keine Schuldgefühle. Hatten Fische überhaupt Gefühle?

Frei wie ein Fisch im Wasser. Dieser Gedanke war mit einem mal übermächtig in ihm. Übermächtig und sehr verlockend.

Wütend schloss er die Akten und verstaute sie wieder in den Regalen.

Sollte sich doch ein anderer den Kopf darüber zerbrechen, was hier vor sich ging! Ihm war es egal, so wie er allen egal war!
 

Der Tag neigte sich dem Ende und inzwischen bereute er diese so einfach weggeworfene Gelegenheit, eine Lösung für das Problem hier zu finden. Er hatte nichts in der Hand, hatte nichts vorzuweisen, das diesem Tag einen Sinn gegeben hätte.

Nichts, das seine Schuldgefühle dämpfen würde! Er fühlte sich miserabel.
 

Dean saß im Impala und überlegte, ob er nicht einfach in eine Bar fahren und sich dort die Kante geben sollte. Vielleicht konnte er dann ja schlafen oder vielleicht fand er sogar eine Frau, die ihn seine Probleme für ein paar Stunden vergessen lassen würde.

Und wie auf Kommando tauchten diesen Augen wieder vor ihm auf und schienen ihn zu locken, schienen ihm die Lösung seiner Probleme zu versprechen.

Ihr Ruf war den ganzen Tag immer stärker geworden.

Er startete den Wagen.

Die Augen verschwanden.

Das ruhige Grollen seines Babys beruhigte ihn ein wenig, und er lenkte die schwarze Schönheit auf die Straße.
 

Ziellos fuhr er umher, bis er plötzlich, kurz vor Mitternacht, auf dem kleinen Parkplatz anhielt, auf dem er schon am Vortag gestanden hatte. Ob die Kleine wieder da war?

Er stieg aus und ging zum Strand. Langsam schlenderte er über den festen Boden. Sandstrand hatte er sich irgendwie anders vorgestellt. Weicher.

Langsam ging er zu der Stelle an der er sie gestern getroffen hatte.

An jeder Ampel hatte er ihre Augen gesehen. Jede Ampel, die hierher führte, war grün und ein Hinweis für ihn gewesen, auch wenn ihm das eigentlich erst jetzt auffiel.
 

Sie war nicht da, auch wenn wieder jede Menge Quallen am Strand lagen, von denen Morgen nichts mehr übrig bleiben würde.

Dean ließ den Kopf hängen. Doch dann schien ihre Stimme durch die Luft zu schweben.

Sie rief ihn und er schaute wieder geradeaus.

Vor ihm auf dem Meer, keine hundert Meter entfernt war eine winzige Klippe auf der sie saß. Sanft schlugen die Wellen gegen die Steine, und das Wasser um sie herum schien sie regelrecht zu beleuchten.

„Komm zu mir Dean!“, sagte sie leise. „Komm und alle deine Sorgen werden vergessen sein.“

„Aber ich …“, stammelte er abwehrend.

„Sam will dich nicht, Dean, sonst hätte er sich schon lange gemeldet. Und allen Anderen bist du auch egal Dean. Niemand interessiert sich für dich, und niemand dankt dir für das, was du getan hast. Komm her Dean, ich will dich!“

Alles in ihm schrie danach zu ihr zu gehen, doch er blieb stehen.

„Komm Dean, es ist so einfach. Du musst nur zu mir kommen.“

Der Winchester straffte sich. Eine Chance wollte er Sam noch geben. Eine!

Er holte sein Handy aus der Tasche und schaute darauf.

Nichts! Kein Anruf in Abwesenheit. Keine SMS.

Er stopfte sein Telefon wieder in die Tasche, dann zog er sich die Lederjacke aus und warf sie hinter einen Busch.

Sie hatte Recht! Er war allen egal. Keiner wollte ihn, keiner brauchte ihn und niemand würde sich dafür interessieren, wenn er einfach verschwinden würde!

Ohne noch einmal zu zögern ging er ins Meer.

Das Wasser spülte ihm um die Waden, doch es störte ihn nicht. Schnell war er bis zur Hüfte in den dunklen Fluten. Eine Welle schlug ihm, wie um ihn zur Umkehr zu zwingen, gegen den Körper.

Dean grinste nur und sprang mit einem eleganten Hechtsprung in die Fluten.

Mit ruhigen, kräftigen Zügen kraulte er auf’s Meer hinaus.

Nicche

96) Nicche
 

Sam streckte seine schmerzenden Muskeln. Er hatte die ganze Zeit im Internet nach Zeitreisen gesucht. Irgendwie konnte es doch nicht nur ihnen passiert sein, dass sie durch die Zeit geschickt worden waren, aber er hatte keinen wirklichen Ansatz gefunden, dem es nachzugehen gelohnt hätte.

Auch darüber würde er mit Dean reden wollen und müssen.

Müde rieb er sich über die Augen und schloss das Fenster auf seinem Laptop.

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht als er den Pfeil in Naples sah. ‚Morgen bin ich bei dir. Wäre doch gelacht wenn wir dieses und unsere anderen Probleme nicht lösen und noch vor Weihnachten wieder bei Bobby wären’, dachte er und wollte auch dieses Fenster gerade schließen.

Der Pfeil verschwand.

Sams Lächeln gefror.

„Oh mein Gott! Nein, nein, nein! Dean! Verdammt!“, keuchte er panisch.

Bobby kam aus der Küche zu ihm und schaute ihn fragend an.

„Deans Handy sendet nicht mehr. Wenn er sich jetzt…?“, er wollte es nicht aussprechen aus Angst, dass es wahr werden könnte.

„Meinst du, wenn er sich was antun würde, würde sein Handy automatisch aufhören zu senden?“

„Wenn es kaputt ist?“

„Und wenn er einfach vergessen hat es aufzuladen?“

„Dean vergisst nie …“

„Auch dein Bruder ist nur ein Mensch, Sam!“

„Aber …“

„Du hast noch nie vergessen dein Handy zu laden, oder?“

„Doch“, ließ sich der jüngere Winchester kleinlaut hören.

„Es ist okay, Sam. Geh ins Bett. Morgen bist du bei ihm und dann wirst du dir blöd vorkommen, auch nur an so was gedacht zu haben“, versuchte der Hausherr zu beruhigen.

Sam nickte und trottete ins Bett. Das komische Gefühl in seinem Magen war trotz Bobbys Versicherung geblieben. Noch neunzehn Stunden. Wäre er doch nur gefahren! Dann hätte er wenigstens das Gefühl haben können, etwas zu tun, auch wenn er in neunzehn Stunden noch nicht da wäre.

„Verdammt!“, flüsterte er leise in die Dunkelheit seines Zimmers. Tränen drängten sich in seine Augen und der Kloß in seinem Hals wurde immer dicker. „Bitte Dean, halte durch! Bitte! Ich will dich nicht verlieren! Bitte! Ich bin ein Idiot, aber bitte, bitte, warte auf mich!“, bettelte er tonlos in sein Kissen.

Warum nur hatte er sich nicht mal kurz bei seinem großen Bruder gemeldet? Eine SMS, irgendwas, dass seinem Bruder sagte, dass er mit ihm reden wollte, dass er ihn vermisste.
 

Deans Beine begannen zu schmerzen. Tausend kleine Nadeln stachen in die Muskeln seiner Arme.

Doch er kraulte immer weiter auf sie zu.

Wie eine Lichtgestalt, wie die Verheißung aller Wünsche erschien sie ihm dort auf ihrem Felsen und der Weg zur Erlösung war steinig.

„Lass dich fallen“, flüsterten ihm die Wellen zu, doch er wollte nicht. Er wollte zu ihr.

„Lass dich fallen“, rief auch sie ihm zu, aber er wollte doch zu ihr! Warum sollte er sich dann einfach fallen lassen? Wenn er sich fallen ließe, würde er sie nie erreichen. Er würde sterben!

Oder war das das Ziel? Ruhe und ewiger Frieden? Konnte er es nur so erreichen?

„Lass dich fallen, Dean. Ich werde dich auffangen“, sagte sie erneut.

Er hielt inne und schaute zurück zum Ufer.

Die Lichter der Stadt blinkten in weiter Entfernung. Zum Umdrehen war es definitiv zu spät. Aber wieso? Sie war doch …

Wieder schaute er zu den Lichtern der Stadt und dann zurück zu ihr. Ihr Felsen thronte noch immer vielleicht hundert Meter vor ihm im Wasser.

„Lass dich fallen Dean“, flüsterte das Meer um ihn herum mit ihrer Stimme. „Lass dich fallen und komm zu mir.“

Und diesmal hörte er auf ihre Stimme.

Angenehm kühle Schwärze umfing ihn, als er ganz langsam tiefer sank.

Über sich konnte Dean die verschwommenen Umrisse des Mondes sehen. Quallen zogen schwerelos schwebend an ihm vorbei. Staunend schaute er ihnen nach.

Doch dann wurde der Drang nach Sauerstoff in seinem Körper übermächtig. Seine Muskeln zogen sich krampfhaft zusammen. Panisch begann er um sich zu schlagen. Er wollte doch nicht sterben, er wollte atmen! Leben!

Aber die rettende Oberfläche war viel zu weit entfernt.

Sein Mund öffnete sich und die ersten Tropfen perlten über seine Lippen. Doch bevor Dean den ersehnten Atemzug tun konnte war sie neben ihm und presste ihm etwas vor die Nase, das wie eine Luftblase aussah.

Hektisch schnappte er nach Luft.

„Ganz ruhig Dean, du bekommst gleich mehr davon“, sagte sie und für einen winzigen Augenblick wunderte sich der Winchester warum er sie verstehen konnte.

Sie umfasste seine Taille und zog ihn mit sich.
 

Vor ihm ragte plötzlich eine massiv aussehende Wand auf. Erschrocken versuchte er sich aus ihrem Griff zu befreien, doch sie hielt ihn fest. Er strampelte und wollte ihr wenigstens eine andere Richtung geben. Nichts half. Wieso hatte sie soviel Kraft?

Sie steuerte genau auf die Mauer zu. Er schaffte es gerade noch die Arme schützend vor sein Gesicht zu reißen, bevor der befürchtete Aufprall kam.
 

Mit einem schmatzenden Geräusch flutschte er durch diese Wand und prallte unsanft einen Meter tiefer auf den Boden. Er wälzte sich auf den Rücken und blieb für Minuten einfach nur liegen, froh wieder Sauerstoff in seine Lungen pumpen zu können.

Gerade als er sich wieder auf die Beine kämpfte und begann sich in dem Raum umzusehen, trat die Kleine wieder auf ihn zu.

Sie lächelte ihn kühl an.

„Hallo Dean. Ich freue mich, dich hier begrüßen zu können. Hier bei mir“, sagte sie und machte den letzten Schritt auf ihn zu.

Unsicher schaut der Winchester auf den Boden. Wasser tropft an ihm herab und breitet sich in einer immer größer werdenden Pfütze um ihn herum aus. Er fühlt die Kühle ihrer Hand an seiner Wange und jetzt endlich hob er den Blick.

Da waren sie wieder! Diese wundervollen, unergründlich tiefen Augen und alles, was er in seinem Leben noch wollte, war, sich in diesen Augen auf ewig zu verlieren.

Wieder reckte sie sich ihm entgegen und ihre Lippen trafen sich zu einem leidenschaftlichen Kuss.

Atemlos keuchend musste er den Kuss abbrechen. Bedauernd schaute er sie an, doch sie lächelte nur.

„Ruh dich auch Dean, es war ein harter Weg hierher“, erklärte sie mit ruhiger Stimme, in der er das Rauschend der Wellen hören konnte. Sanft drängte sie ihn die Stufen hinauf, den Gang entlang, in dem er gelandet war. Am Ende dieses Ganges war ein runder Raum in dem ein Diwan stand. Zu eben diesem schob sich ihn.

Dankbar ließ er sich in die weichen Polster fallen.

„Schlaf Dean“, sagte sie und drückte ihm einen weiteren Kuss auf die Lippen.

Seine Hand hielt sie zurück.

„Mir ist so kalt“, murmelte er leise.

„Daran wirst du dich gewöhnen“, sagte sie kühl, küsste ihn noch einmal und rauschte davon. Ein eisernes Gitter schloss sich hinter ihr und versperrte ihm den Weg in den Gang zurück.

Frierend rollte er sich so eng wie möglich zusammen. Seine Zähne schlugen gut vernehmlich aufeinander.

Irgendwann übermannte ihn die Erschöpfung und er schlief ein.
 

In dieser Nacht fand Sam keinen Schlaf. Unruhig drehte er sich von einer Seite auf die andere. Er fand tausend Gründe warum Deans Handy nicht mehr zu orten war und doch blieb die Angst um seinen Bruder, die ihm deutlicher als anderes andere sagte, wie sehr er seinen Bruder liebte und vermisste.

Spätestens jetzt wurde ihm wieder klar was der Trickster ihm genommen hatte.

Wie sehr musste dann Dean unter dieser Trennung gelitten haben, wo für ihn Familie doch alles war.
 

Der Tag begann.

Er hörte wie Bobby aufstand und ins Bad ging und schälte sich aus seinen Decken. Sofort begann er seine Tasche zu packen.

„Nicht mehr lange Dean, dann bin ich bei dir!“, nuschelte er leise, aber bestimmt.
 

Als Dean wieder erwachte fror er noch immer, nicht mehr so schlimm wie bei seiner Ankunft hier, aber ihm war kalt. Leise ächzend richtete er sich auf und schaute sich um.

Der Raum sah aus, als hätte jemand eine Blase auf den Boden gelegt. Keine einzige Ecke war zu sehen. Von der Decke hing eine leuchtende Kugel und im Raum verteilt standen Becken in denen es ebenfalls leuchtete. Überall lagen Kissen herum.

Diese Blase schien zu leben. Zumindest sah es so aus, als ob sie pulsierte.

Die Außenwand schillerte in allen Regenbogenfarben und schien mit einer dunkelgrünen Schicht überzogen zu sein, die nur an wenigen Stellen einen Blick nach draußen zuließ.

Langsam ging der Winchester auf eines dieser Fenster zu und schaute hinaus.

Draußen schien es hell zu sein. Das Wasser leuchtete türkisblau und überall schwammen Fische in prächtigen Farben umher.

Ein leises Geräusch brachte ihn dazu sich umzudrehen.

Durch das eiserne Tor kam sie in den Raum. Sie trug eine Schale in ihrer Hand.

„Schön, dass du wach bist, ich hab hier etwas zu essen für dich“, sagte sie und reichte ihm die Schale.

Der Winchester lächelte. Sein Magen knurrte schon eine Weile. Er warf einen Blick in die Schüssel und schob sie mit einem angewiderten Gesichtsausdruck schnell wieder von sich.

„Was ist das?“, wollte er entrüstet wissen.

„Algensuppe! Unsere Leibspeise!“

„Meine ganz bestimmt nicht! Habt ihr kein Fleisch oder Fisch oder so was?“

„Du erwartest, dass wir Geschöpfe essen, die sich das Meer mit uns teilen?“, fragte sie wütend.

„Wir essen doch auch, was mit uns auf der Erde lebt.“

„Wir sind nicht wie ihr!“

„Algen leben auch im Meer!“, konterte er.

„Du hast das Mensch-Sein hinter dir gelassen um mit uns hier zu leben. Du wirst auch das menschliche Essen hinter dir lassen.“

„Kann ich mir das …“, begann er und sah zu ihr. Sofort versank er wieder in ihren Augen.

„Ich …“ stotterte er hilflos.

Mit funkelnden Augen schaute sie ihn noch eine Weile an, dann reckte sie sich zu ihm hinauf und küsst ihn wieder.

„Iss!“, fordert sie, nachdem sie den Kuss beendet hatte, und der Winchester griff wortlos nach der Schale und aß.

Als die Schale leer war, nahm sie sie wieder an sich.

„Du solltest dich hinlegen!“, forderte sie leise.

„Warum?“

„Du wirst es gleich spüren. Die Verwandlung ist sehr schmerzhaft.“

„Warum Verwandlung?“, keuchte er und ließ sich folgsam auf den Diwan sinken.

„Ich will dich behalten“, sagte sie.

„Aber ich …“

„Nach und nach werden sich in dir Kiemen bilden. Ein Zusatz in deinem Essen bringt deinen Körper dazu. Es wird schmerzhaft werden, aber wir haben Zeit. Das Ritual, um dich vollends zu einem von uns zu machen, können wir nur bei Vollmond durchführen. Bis dahin werden deine Lungen langsam verkümmern und die Kiemen diese Arbeit übernehmen. Solange wirst du hier im diesem Raum leben müssen. Wenn du dann zu uns gehörst, wirst du irgendwann auch die Kraft haben hin und wieder an Land gehen zu können.

Je länger du lebst umso mehr Zeit wirst du außerhalb des Wassers verbringen können. Aber jetzt ruh dich aus.“

„Wie heißt du?“

„Sind Namen so wichtig?“, wollte sie wissen und er nickte.

„Nicche“, antwortete sie und ließ ihn wieder allein.

Passwortgeschützt

97) Passwortgeschützt
 

Endlich landete der Flieger in Fort Meyers. So schnell er nur konnte lief Sam zum Mietwagenschalter und holte sich seinen Wagen ab. Er wollte nur noch zum Motel und mit Dean reden.
 

Als er bei dem Motel ankam, stand der Impala nicht davor, doch das war noch kein Grund zur Sorge, zumindest versuchte Sam, sich das einzureden. Ohne nennenswerten Erfolg allerdings.

Er nahm sich ein Zimmer und fuhr als erstes seinen Laptop hoch, um nach Deans Handy zu suchen.

Es war noch immer ausgeschaltet.

‚Okay, Sam, bleib ruhig! Dean war um die Zeit immer noch in diesem Bürohaus!’, versuchte er sich zu beruhigen. Vielleicht hatte er ja sein Handy zum Laden rausgelegt und es dann heute Morgen vergessen.

„Klar! Dean vergisst sein Handy!’ Das war so wahrscheinlich wie eine Sonnen- und Mondfinsternis zur gleichen Zeit.

Sam zwang sich, seine Sachen auszupacken.

Als er danach wieder auf die Uhr schaute waren keine zwanzig Minuten vergangen.

Sam überlegte, dass sein Bruder immer erst so gegen Mitternacht hier aufgelaufen war, also würde er jetzt erst einmal in Ruhe etwas essen.

In Ruhe! Fast hätte er laut gelacht. Die Ruhe hatte er nicht! Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und sein ganzer Körper schien vor Sorge zu vibrieren.

Himmel! Dean war einmal nicht erreichbar, und er lief Amok. Wie musste sich dann erst sein Bruder gefühlt haben, als er weggelaufen war. Damals nach Flaggstaff, oder auch in El Paso. Nie wieder wollte er einfach abhauen. Und da spielte es auch keine Rolle, dass er es nicht mehr musste. Er hatte sich für dieses Leben entschieden und für seinen Bruder! Trotzdem. Er versprach Dean hier und jetzt, hoch und heilig, dass er nie wieder verschwinden würde!

Am liebsten würde er jetzt Deans Zimmer durchsuchen. Vielleicht fand er ja da schon eine Erklärung für dessen Verschwinden, oder besser für das Verschwinden seines Handys, aber jetzt war hier auch noch zuviel los.

Wenigstens hatte er, als er sich bei der Anmeldung in das Buch eingetragen hatte, Deans Handschrift erkannt und wusste, dass er in Zimmer 27 wohnte.

Auf dem Weg zu dem kleinen Restaurant, in dem Dean auch immer gegessen hatte, fuhr er an dem Haus vorbei, in dem sein Bruder seine Nachmittage und Abende zu verbringen pflegte.

Es war ein Bürohochhaus, in dem immer noch Licht brannte.

Zu gern hätte Sam einen Blick in das Haus geworfen, aber die verspiegelten Fenster verhinderten das hervorragend. Ob Dean wohl hier unten saß und gerade einen Blick auf sein Auto warf?

Unweigerlich schaute sich der Dunkelhaarige nach Deans schwarzer Schönheit um, doch er konnte ihn nirgends finden. Aber die hatten hier bestimmt auch eine Tiefgarage.
 

Es war noch immer nicht Mitternacht, als Sam wieder im Motel ankam, und dabei hatte er schon extra lange auf seinem Salat herumgekaut und sich sogar noch ein Steak mit gebackenen Bohnen und Bratkartoffeln gegönnt.

Jetzt war ihm schlecht. Und Ruhe hatte er auch keine mehr! Er grinste schief. Die hatte er vor dem Essen auch nicht gehabt!
 

Sichernd schaute er sich vor Deans Zimmer noch einmal um. Dann zog er den Dietrich aus seiner Tasche und hatte das Schloss binnen Sekunden geknackt. Schnell huschte er in die schützende Sicherheit des Zimmers.

Er ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht. In Deans Zimmer standen zwei Betten. Und auf dem unbenutzten Bett lag ein Laptop.

Sein Bruder hatte sich einen Laptop zugelegt!

Aber warum eigentlich nicht? Ihr Herangehen an die Fälle ist zwar unterschiedlich, aber letztendlich kamen sie zu denselben Ergebnissen.

Sofort setzte er sich auf das Bett und fuhr Deans Rechner hoch.

Neben dem Laptop lag ein Block auf dem mehrere Blätter beschrieben waren. Auch diese Notizen wollte er durchgehen.

Mit dem Lesen der Notizen hatte er keine Probleme, er verstand sie nur nicht!

Eddison - Karl Kruger – Fleishman – Alicia Smith – Costa Tumulka standen wahllos auf einem Zettel, wobei Costa Tumulka durchgestrichen war.

Auf einem anderen Blatt standen mehrere Zahlenpaare, mit denen Sam genauso wenig anfangen konnte, wie mit den Namen.

11 – 9 - 3; 7 – 7 - 4; 20 – 17 - 6; 8 – 8 – 7; 15 – 14 – 11 und 9 – 8 – 2

Dazu würde er Dean fragen müssen.

Er schaute auf den Bildschirm des Laptops und verdrehte die Augen.

Passwortgeschützt!

Okay, das konnte ja nicht so schwer werden. Schließlich war Deans Handy-Pin 0815!

Er probierte alle Geburtstage, Deans Nummernschilder, Impala, Samuel, Winchester, selbst Bobby musste dran glauben. Nichts!

„Verdammt Dean! Das gibt’s doch nicht! Wieso kann ich dein Passwort denn nicht knacken?!?“, knurrte Sam sichtlich überrascht. Dann würde er den Laptop wohl oder übel mitnehmen und an seinen anschließen müssen. Sein Programm zum Passwort-knacken würde ihm schon Zugang zu Deans Rechner verschaffen.
 

Vorsichtig öffnete er die Tür und spähte hinaus. Niemand war zu sehen. Schnell huschte er aus dem Zimmer und verschwand in seinem.

Nach einer Weile hatte er auch Zugang zu Deans Rechner.

Zwei Ordner fand er auf dem Desktop.

In einem waren Akten zu Personen die in den Jahren 1992 bis 2003 Selbstmord begangen hatten und im anderen Ordner befanden sich die Jahre 2003 bis 2008.

Diesen Ordner schien Dean wohl noch nicht durchgesehen zu haben. Zumindest konnte Sam keine Zusammenhänge zwischen den Personen feststellen.

Also zurück zum ersten Ordner.

Eine ganze Weile ging er die einzelnen Akten durch, ohne auch hier einen Zusammenhang finden zu können. Okay, alle Opfer waren im Alter von 27 bis 63. Aber das konnte doch wohl nicht der einzige Zusammenhang sein, oder?

Wieder ging er die Akten durch, und endlich fand er den Punkt, der seinen Bruder zu dieser Sortierung bewogen haben musste.

Sie alle hatten in dem Bürogebäude gearbeitet, in dem auch Dean die letzten Tage gewesen war.

Apropos Dean!

Müde rieb sich der jüngere Winchester über die Augen und schaute zur Uhr. Fast vier!

„Verdammt!“, fluchte er laut. Wieder war er so tief in seinen Recherchen versunken gewesen, dass er die Welt um sich vergessen hatte. Irgendwann würde ihn mal ein Dämon töten und er würde es noch nicht mal mitbekommen!

War Dean da? Hatte er den Impala nur überhört?

Schnell stand er auf und wollte zum Fenster gehen. Seine Beine streikten kribbelnd. Er musste erst ein paar Mal auftreten und seine Muskeln massieren, bis er gefahrlos zum Fenster gehen konnte.

Der Impala war nicht zu sehen.

Schnell zog er sich die Dateien auf seinen Rechner und ging dann mit dem Laptop unterm Arm zu Deans Zimmer.

Er klopfte zweimal laut gegen die Tür, wartete kurz und hatte dann binnen Sekunden das Schloss erneut geknackt.

Wie sehr freute er sich auf das dumme Gesicht seines Bruders, wenn der gleich wach werden würde und ihn vor sich stehen sehen würde.

Er wurde enttäuscht. Dean war nicht da.

Den Laptop warf er auf’s Bett zurück, verließ das Zimmer und rannte, die aufkommende Panik verdrängend, um die Anlage.

Kein Impala.

Zurück in seinem Zimmer rief er die Seite auf, mit der er Deans Handy in den letzten Tagen geortet hatte.

Es war noch immer nicht wieder eingeschaltet.

So langsam ließ sich die Panik nicht mehr verdrängen.

Wo war sein Bruder? Was war passiert? Er hatte doch nicht etwa auch Selbst…

Nein diesen Gedanken verbat er sich! Dean würde das nie tun!

Sofort wählte er sich in die Seite ihres Netzbetreibers ein und keine halbe Stunde später schüttelte er ungläubig den Kopf.

Selbst wenn Dean hier im Meer baden gehen würde, was nicht wirklich von der Hand zu weisen wäre, waren sie schließlich schon in kälteren Gewässern geschwommen, sein Handy hätte er bestimmt nicht mitgenommen.

Der letzte Standort von dem Deans Handy gesendet hatte, war etwa zwanzig Meter im Meer!

Langsam wurde Sam wütend. Wo war sein Bruder und wieso konnte er ihn nicht finden?!?
 

Aus dem Mund des Mannes auf dem Diwan entkam ein leises Stöhnen, als er sich auf den Rücken drehte um seine schmerzenden Muskeln zu strecken.

Seine Augen öffneten sich träge, und er schaute sich um.

Noch immer befand er sich in der dunklen Blase, die nur durch die paar Becken grünlichblau beleuchtet wurde.

Warum war er eigentlich hier?

Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Alles um ihn herum wirkte so zusammengewürfelt und es roch muffig.

Sein Körper schmerzte und er fror.

War es hier wirklich so viel besser als … ja wo war er hier eigentlich? Vielleicht sollte er das erst einmal herausbekommen.

Leise ächzend stand er auf und ging zu der bunt schillernden Wand. Gerade als er sie berühren wollte kam Nicche wieder und ein Blick in ihre wundervollen Augen ließ ihn alle Fragen vergessen.

„Komm Dean, die Sonne geht bald auf und ich dachte mir, du könntest ein paar wärmende Strahlen gut vertragen. Dein Körper wird sich erst nach und nach an die Gegebenheit hier anpassen. Deswegen wirst du auch hier bleiben müssen, bis deine Umwandlung abgeschlossen ist.“

Er nickte ohne den Sinn ihrer Worte wirklich verstanden zu haben und griff nach ihrer Hand, die sie ihm hinhielt.
 

Kurz vor halb sechs Uhr am Morgen zeigte ein blinkender Pfeil den Standort des Impalas an. Sam hatte ein altes Handy seines Vaters geortet.

Der Wagen stand in der Nähe des Ortes, der der letzte Sendeplatz von Deans Telefon gewesen war!

Schnell griff er nach seiner Jacke und den Autoschlüsseln und hetzte die Treppen des Motels hinunter. So schnell er meinte, durch die fast leeren Straßen der noch schlafenden Stadt fahren zu können, jagte er zum Strand.

Er fand den Impala verlassen auf einem kleinen Parkplatz stehen und parkte seinen Wagen daneben.
 

Dean würde sein Baby doch nie alleine lassen, oder? Dean würde doch nie …

Tränen traten in Sams Augen. Er wusste nicht mehr, was Dean tun oder nicht tun würde. Für ihn waren sie sechs Monate getrennt gewesen, für Dean waren es mehr als zwölf. Und er war zu seinem Bruder nicht wirklich nett gewesen, weder während ihrer Zeit in El Paso noch danach. Die Gefühle, die der Trickster im ihm entfacht hatte, hatten eine längere Wirkung gehabt, als ihm lieb war. Und auch jetzt war er sich noch nicht sicher, wie er reagieren würde, wenn er Dean wiedersehen würde. Wäre es wieder ihr brüderliches Verhältnis oder würden diese negativen Gefühle erneut die Oberhand über ihn gewinnen.

Wieso reagierte er eigentlich so auf Gefühle? Er war doch ein vernunftbegabtes Wesen und als solches doch viel eher kopfgesteuert!

Dean war der Gefühlsmensch in ihrem Team.
 

Langsam lief er über den Strand. Seine Augen folgten dem über den Sand hüpfenden Lichtkegel seiner Taschenlampe. Vielleicht hatte sich Dean ja unter einen Baum oder Strauch gesetzt und genoss die Einsamkeit und das Rauschen des Meeres?

Auch diese Illusion hielt nicht lange an. Am Rand des Lichtkegels tauchte plötzlich ein hingeworfenes Stück Stoff auf, dass sich bei näherem Hinsehen als Deans Lederjacke entpuppte.

„DEAN!“, schrie Sam über den Strand.

„DEAN!“, brüllte er dem Meer entgegen.

„DEAN!“

Er hatte sich weder verabschieden können, als sein Bruder aufgebrochen war, noch hatte er sich für den Mist entschuldigen können, den er verzapft hatte. Dean durfte einfach nicht tot sein! Nicht so und nicht jetzt! Das war nicht fair!

Tränen liefen über sein Gesicht.

„Nicht nach allem, was wir durchgestanden haben!“, bettelte er schniefend.

Eine Idee

98) Eine Idee
 

Die Sonne ging über der Stadt auf und die Wellen klangen plötzlich, als ob sie gegen Buhnen liefen.

Sam wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und starrte auf’s Wasser hinaus.

Vor seinen Augen, wenige hundert Meter vom Strand entfernt lag eine kleine Felseninsel im Meer.

Auf dieser Insel saß eine … NIXE …

Eine echte Nixe! Ihre Schwanzflosse hing halb ins Wasser.

Und auf ihrem Schoß lag ein Mensch.

„DEAN!“

Das konnte doch nicht wahr sein. Sein Bruder … eine Nixe… Wie war Dean denn an die gekommen und wieso war er bei ihr? Freiwillig?
 

Schwerfällig wandte Dean sein Gesicht der Sonne entgegen. Die Wärme tat ihm gut. Sein Körper schmerzte und er hatte das Gefühl, als würden tausend Flöhe über ihn laufen.

„DEAN!“, brüllte Sam wieder.

Deans Kopf ruckte ein Stückchen nach unten, seine Augen fixierten die Gestalt am Strand.

„Sam?“, flüsterte er ungläubig und versuchte mit einer unkoordinierten Bewegung nach ihm zu greifen.

„Er ist nur ein Trugbild Dean. Es will nur sehen wie du leidest“, erklärte sie ihm beruhigend. „Er hat dich gehen lassen, hat dich beschimpft. Er liebt dich nicht.“

Dean schaute kurz zu ihr und blickte dann wieder zu Sam, seine Hand ein Stück weiter nach ihm ausstreckend.

„Sammy?“, sagte er und klang dabei so verloren.

„Er belügt dich, Dean. Er ist nicht so wie du. Ich liebe dich, Dean. Ich will mit dir zusammen sein, für immer!“, sagte sie und beugte sich zu ihm herab.

Wieder küsste sie ihn.

Mit einem zufriedenen Seufzen ließ er sich in ihren Schoß sinken. Seine Hand langte unbewusst nach oben und begann mit einer ihrer langen Haarsträhnen zu spielen. Immer wieder ließ er sie durch seine Finger gleiten.

Sein Gesicht wandte er wieder der Sonne entgegen.

„Vergiss ihn Sam! Er will dich nicht mehr und in wenigen Tagen wird er dich vergessen haben!“, sagte sie zu dem jüngeren Winchester am Strand.

„Nie!“, schrie der wütend zurück. „NIE! Dean ist mein Bruder und ich werde nicht zulassen, dass du …“

„Du kannst ihn nicht retten Sam. Nur wer ihn wirklich liebt hätte überhaupt eine Chance. Aber du bist viel zu egoistisch um jemand anderen, als dich selbst, wirklich zu lieben.“

„Dean ist mein Bruder! Ich würde mein Leben für ihn geben!“
 

„Das sind Phrasen, Sam, und das weißt du. Vergiss ihn einfach. Er wird beim nächsten Vollmond einer von uns und dann fast unendlich lange leben.“

„Ich werde Dean retten!“

„Selbst wenn du ihn genug lieben würdest, um es überhaupt zu versuchen, es ist nahezu unmöglich! Lass es!“, erklärte sie energisch und schaute wieder zu dem ihr ergebenen Mann.

Zärtlich strich sie über seine Wange. Ein verträumtes Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

„Wir müssen wieder zurück“, sagte sie.

Bedauern flackerte in seinen Augen. Die Sonne hatte ihm gut getan.
 

Ungläubig musste Sam vom Strand aus zusehen, wie die Insel sank, hin und her gerissen zwischen dem Verlangen sich ins Wasser zu stürzen und zu Dean zu schwimmen und den Gedanken daran, dass er zuerst etwas über dieses Wesen herausfinden sollte, das seinen Bruder da in seinen Fängen hatte.

„DEAN!“, schrie er immer wieder bis nur noch schäumendes Wasser von den eben noch sichtbaren Felsen kündete.

Wenige Minuten später hatten sich die Fluten beruhigt und nichts blieb mehr von seinem Bruder, außer seiner Angst um ihn. Tränen drängten sich in seine Augen. Und der Kloß in seinem Hals machte ihm das Atmen schwer.

Ungläubig schaute er noch eine ganze Weile auf das Meer. Wie war Dean denn in die Fänge einer Nixe gekommen?

Hektisch wühlte er in seiner Hosentasche und zog sein Handy hervor.

„Was weißt du über Nixen?“, ließ er Bobby kaum Zeit sich zu melden.

„Nixen?“

„Ja, Nixen, Sirenen oder von mir aus auch noch andere Wasserwesen, die im Meer leben!“

„Wieso willst du was über Nixen wissen?“

„Dean. Er ist irgendwie einer in die Falle gegangen, wie auch immer sie das angestellt hat. Er ist… war vollkommen apathisch und nachdem sie ihn geküsst hatte, war er nur noch auf sie fixiert“, erklärte er betrübt.

„Ich schaue was ich finden kann.“

„Danke“, sagte Sam und legte auf. Er ging zu den Autos zurück und entschied sich, ohne lange nachdenken zu müssen, den Impala mitzunehmen. Der Mietwagen war ihm in diesem Augenblick vollkommen egal.
 

Bobby stand überlegend vor seinen Büchern. In welchem würde er am schnellsten etwas finden?

Vielleicht sollte er tatsächlich mal eine Grundsanierung seines Hauses in Betracht ziehen. Mit anschließender Neusortierung seiner Bücher. Manchmal fiel es selbst ihm schwer, hier etwas zu finden.

Und wenn er in das obere Bad ging? Es passte so überhaupt nicht in sein Haus und in sein Leben. Alles drehte sich hier nur um Altes und Böses. Einzig die Jungs waren ein echter Lichtblick. Aber vielleicht war es ja Zeit für einen Neuanfang? Er könnte den Jungs hier ein Zuhause bieten. Einen Ort an den sie zurückkommen und sich ausruhen könnten. Außerdem hatte er ja noch eine Überraschung für Dean.

Aber um ihm die zeigen zu können, müsste er erst einmal etwas finden um ihn aus den Fängen dieser Nixe, oder was auch immer sie war, zu befreien.

Nach kurzem Suchen nahm er sich ein Buch aus dem Regal und begann zu lesen.
 

Sam gähnte, rieb sich die schmerzenden Augen und stemmte sich dann in die Höhe, um zur Toilette zu gehen. Er hatte inzwischen gefühlte zehn Liter Kaffee getrunken und noch immer keine passable Lösung gefunden.

Er hatte das Internet abgesucht und von Sindbad bis Ariel, von Anderson bis Disney, alles mögliche gefunden. Nur keinen Weg, wie er Dean befreien konnte.

‚Nur wer ihn wirklich liebt kann ihn befreien!’, ging ihm der Satz immer wieder durch den Kopf.

Was würde man alles tun, wenn man jemanden wirklich liebt? Man will dass es ihm gut geht und man würde im schlimmsten Falle sein Leben für ihn geben.

Aber ist das Liebe?

Dean wollte damals, dass er lebte, weil er das normale Leben kennen würde und weil er selbst müde war und eigentlich nicht mehr leben dürfte.

Ja, Dean liebte ihn und war bereit sein Leben für ihn zu geben.

Der Gedanke ließ Sam nicht mehr los.
 

Inzwischen wurde es schon wieder dunkel.

Der jüngere Winchester hatte von diesem Tag nicht wirklich etwas mitbekommen, doch inzwischen war sein Entschluss gereift.

Er nahm den Impala und fuhr wieder zum Strand.

Sam wusste nicht, ob die Idee jetzt gut oder doch eher saublöd war, aber er wusste, dass Dean das Gleiche für ihn machen würde.

Er holte sein Handy aus der Tasche und wählte Bobbys Nummer.

„Ich hab noch nichts Konkretes“, wurde Sam empfangen.

„Such weiter, bitte.“

„Daran hättest du mich nicht erinnern müssen!“

„Ich rufe auch wegen etwas anderem an. Ich will was versuchen.“

„Sam?“, fragte der Ältere, Unheil ahnend.

„Wenn ich mich bis morgen Mittag nicht gemeldet habe, dann komm bitte her und versuche Dean zu befreien. Am elften Januar ist Vollmond.“

„Was hat das mit dem Vollmond zu tun?“

„Dann will sie ihn zu einem der ihren machen.“

„Sam, was hast du vor?“ Bobby ahnte nichts Gutes.

„Versprich mir, dass du Dean befreist“, forderte der Jüngere eindringlich.

„Ich verspreche es dir, aber was hast du …“

„Danke, Bobby“, sagte Sam leise und legte auf. Mit einem weiteren Tastendruck hatte er sein Handy ausgeschaltet.

Bis auf die Shorts zog er sich aus und legte seine Kleidung ordentlich zusammengefaltet zwischen ein paar Sträuchern ab.

Noch einmal holte er tief Luft und ging dann ins Meer.

Mit ruhigen Zügen schwamm er immer weiter auf den Horizont zu. Hin und wieder hielt er an und schaute sich suchend nach der Insel um, doch er konnte sie nicht finden. Aber auch das verwunderte ihn nicht wirklich. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie auftauchen würde.

Und doch ließen sich seine Bedenken nicht so einfach abschalten. War es richtig, nur aufgrund einer Ahnung in den Tod zu gehen? Ja, verdammt! Er ging in den Tod. Aber wenn Dean zu einem Nix, Sam musste grinsen, zu einem Wassermann wurde? Mann, auch das war er schon. Wenn also Dean zu einem im Wasser lebenden Wesen wurde und nichts mehr von seiner Welt wissen sollte, dann wollte er auch nicht mehr in dieser Welt leben. Vielleicht würden sie ihn ja auch hier unten aufnehmen? Dann könnte er weiter auf seinen Bruder aufpassen. Oder der auf ihn.

Wassertretend drehte er sich im Kreis.

Die Lichter der Stadt waren nur noch winzige Punkte.

Sollte er doch wieder zurück schwimmen? Würde er es bis an den Strand schaffen?
 

Sam holte noch einmal tief Luft und ließ sich dann einfach nach unten sinken.
 

Der Drang endlich Luft zu holen wurde immer stärker. Doch noch war sein Wille das ihn Bestimmende.

Er öffnete seine Augen und blickte sich um. Bedrückende Schwärze umfing ihn, nur die leicht fluoreszierende Meeresoberfläche hob sich von dieser Schwärze ab.

Sein Körper schrie inzwischen nach Sauerstoff und sein Willen erschlaffte.

Der Überlebenskampf begann.

Hektisch strampelnd versuchte er die Oberfläche zu erreichen. Seine Lunge schrie danach endlich wieder mit Luft gefüllt zu werden und dann öffnete sich sein Mund er tat den lange ersehnten Atemzug.

Wasser flutete durch die Luftröhre und er begann zu husten, um dieses Wasser wieder los zu werden.

Immer mehr Wasser strömte in seine Lungen. Sein Körper verkrampfte sich und dann versank er in der erlösenden Dunkelheit.
 

Leblos sank Sams Körper zu Boden.
 

Bobby versuchte immer wieder, Sam zu erreichen, doch es ging jedes Mal nur die Mailbox dran.

Er schloss die Augen und holte tief Luft. Ein Stoßgebet zum Himmel schickend holte er sich die Flasche Whiskey. Wie sollte er die Stunden bis Mittag überstehen? Wieso hatte er sich überhaupt von Sam dazu überreden lassen?

„Oh Gott! Bitte lass sie das lebendig überstehen!“, betete er und nahm einen tiefen Schluck.
 

Hustend und würgend kam Sam zu sich. Immer wieder krümmte sich sein Körper zusammen, und er spuckte salziges Wasser, dessen Geschmack ihn sofort wieder würgen ließ.

Endlich schien sich sein Magen zu beruhigen. Stöhnend rollte er sich auf die Seite und blieb noch eine Weile auf dem harten Felsen liegen, froh einfach nur zu atmen.

Doch dann regte sich seine Neugier.

Er hätte tot sein müssen! Wo war er und warum war er hier? War er in Deans Nähe? Wo war Dean?

Leise ächzend stemmte er sich in eine sitzende Position und schaute sich um.

Er war in einer Art Kuppelbau. Die Innenseite der Kuppel schillerte in allen Farben, soweit er das bei der hier herrschenden Dämmerung sagen konnte.

Der Raum war leer. Nur bloßer Felsen, auf dem er saß.

An einer Seite dieser Kuppel gab es ein eisernes Tor.

Langsam stemmte sich Sam in die Höhe und begann, die kahle Kuppel zu erforschen. Obwohl es hier eigentlich nichts gab. Aber er wollte nicht noch länger auf dem Boden sitzen und frieren.

Die Luft roch muffig und auf dem Boden bildeten sich kleine Rinnsale.

„DEAN!“, rief er, doch sein Ruf schien ungehört zu verhallen.
 

Der Winchester trat noch einen Schritt an die Kuppel heran und wollte gerade einen Finger ausstrecken um sie zu berühren, als sich das Tor mit einem Trommelfell quälenden Kreischen öffnete.

„Sam!“, begrüßte ihn die junge Frau kalt, die durch die Tür trat, und in der Sam die Nixe erkannte, auf deren Schoß sein Bruder gelegen hatte.

„Wo ist Dean und wo bin ich hier?“, wollte er sofort wissen.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du kommst, Sam. Ich hätte nicht erwartet, dass dir soviel an deinem Bruder liegt, dass du dein Leben für ihn riskierst“, erwiderte sie, ohne auf seine Frage einzugehen.

„Wo ist er?“

„Er gehört mir!“

„Dean gehört niemandem! Aber er ist mein Bruder und ich werde alles daran setzen, dass er mit mir zurück in unsere Welt kommt!“
 

„Er hat sich frei entschieden hier zu sein.“

„Das will ich von ihm selbst hören, ohne, dass er unter deinem Bann steht.“

„Er kam freiwillig hierher!“

„Sagst du! Gib ihn frei!“

„Du willst ihn also wirklich zurück?“

„Wenn du es so sehen willst? Bring mich zu ihm und dann lass uns hier verschwinden!“

„Dean gehört mir und was ich einmal für mich bestimmt habe, gebe ich nicht mehr so einfach her! Aber ich gebe Dir eine Chance, vielleicht findest du ihn ja“, knurrte sie wütend.

„Du hast gesagt, wenn ich ihn wirklich liebe, kann ich ihn retten!“

„Genau das! Warte hier!“, befahl sie und rauschte durch das Tor davon, das sich schrecklich quietschend wieder schloss.

Jetzt war Sam genauso schlau wie vorher. Was hatte sie vor und wo war Dean und wo war er? Wieso lebte er überhaupt noch?

Unruhig begann er auf und ab zu gehen.

Wässrige Trugbilder

99) Wässrige Trugbilder
 

Schnell schwamm Nicche zu Deans Aufenthaltsraum. Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen. Dieser aufgeblasene, arrogante Fatzke würde seinen Bruder nie wieder mit an Land nehmen, und dann würde sie ihn vor Deans Augen ertrinken lassen. Danach wäre der Wachs in ihren Händen. „Als wenn er das nicht jetzt schon wäre“, wisperte sie leise.

Schnell wandelte sie ihren Körper wieder zu einem zweifüßigen Wesen und schlüpfte in den Gang zu Deans Raum. Leise näherte sie sich dem Tor und spähte hindurch.

Sehr zu ihrer Freude hatte sich der Blonde schon wieder etwas von der nächsten Stufe der Wandlung erholt. Er saß apathisch vor sich hinstarrend auf dem Diwan.

„Hallo Dean“, grüßte sie freundlich.

Sein Kopf ruckte in ihre Richtung, doch seine Augen blieben trüb.

„Wie geht es dir?“

„So kalt!“, erwiderte er mit klappernden Zähnen und stand auf, die Arme fest vor seine Brust gepresst.

„Komm, wir machen einen Ausflug“, sagte sie und hielt ihm ihre Hand hin.

Kurz flackerte Freude in seinen Augen. Er tapste mit steifen Muskeln auf sie zu, ließ sich an der Hand nehmen und stolperte hinter ihr in den Gang.

„Hol tief Luft“, forderte sie und ging die Stufen weiter nach unten bis zu einem von Felsen umschlossenen Becken. Kaum war sie im Wasser gelandet, als sich ihr Körper schon wieder veränderte.

Sie zog den Blonden mit sich.

„Keine Angst“, wisperte sie und klebte ihm erneut diese Art Luftblase über Mund und Nase.

Schnell schwamm sie, ihn hinter sich herziehend, los.

Einige Fische tollten um sie herum, schwammen kreuz und quer und schienen ihren Fang zu begutachten. Nicche lächelte. Schon bald würde er ganz ihr gehören, und dann würde sie mit ihm durch die Tiefen der Meere toben, und vielleicht würde es auch endlich einmal Nachwuchs geben. Viel zu lange schon musste sie auf eine neue Brut verzichten.

Sie warf einen Blick auf ihn. Er würde es schaffen. Er würde ein echter Wassermann werden!
 

Bald waren sie an einer weiteren Höhle angekommen.

Nicche schwamm unter den Eingang, nahm Dean die Luftblase ab und schob ihn nach oben.

Als sie sich wieder in einen Zweibeiner gewandelt hatte und ebenfalls in die Höhle gestiegen war, ging sie zu ihm.

Zitternd stand er vor ihr. Hier war es kälter als in seiner Höhle, und das kalte Wasser hatte auch nicht zu seinem Wohlbefinden beigetragen.

Wieder nahm sie seine Hand und zog ihn hinter sich her in einen recht hell erleuchteten Raum, in dem ein kleiner glasklarer Teich war.

Nicche drehte sich zu ihrem Schützling um und küsste ihn wieder. Dabei ließ sie ihre Finger über seine Schläfe und Wange gleiten.

„Still jetzt“, flüsterte sie in sein Ohr und Dean erstarrte.

Sie drehte ihn zum Wasser um, trat an den Rand des Teiches und betrachtete sein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche. Es war perfekt.

Die Worte, die sie dann murmelte, erinnerten eher an das Gluckern eines Ausgusses als an eine Sprache.

Als sie verstummte, richtete sie sich ein Stückchen auf und ließ ihren Blick über den Teich gleiten. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht und sie klatschte zweimal schnell in die Hand.

Deans Spiegelbild richtete sich auf und glitt dann, einer Handbewegung von Nicche folgend, an die hintere Wand.

Noch fünf Mal wiederholte sie das Ritual.

Zufrieden schritt sie an den sieben Deans entlang.

„Mal sehen wie gut dein Sammy dich kennt, wie sehr er dich liebt, und wie dringend er dich wiederhaben will“, lächelte sie kaltherzig. Eine weitere Handbewegung vor Dean ließ seine Konturen ebenso verblassen, wie die seiner Spiegelbilder.

Mit einigen wilden Armbewegungen vermischte die Nixe Kopien und Original und dann stellte sie ihre sieben Deans hintereinander auf.
 

Unruhig und frierend lief Sam in seinem Raum hin und her. Die Wand hatte er inzwischen an mehreren Stellen in Augenschein genommen und war zu der Ansicht gekommen, dass das hier wohl so etwas wie eine Seifenblase sein musste.

Endlich öffnete sich die eiserne Tür wieder mit diesem plombenziehenden Kreischen, und eine Art Frosch kam in den Raum.

„Fo-folgt mi-mir“, quakte er und watschelte wieder nach draußen.

Sam beeilte sich, hinter dem Wesen herzukommen. Er wurde in einen Thronsaal geführt.

„Wa-wartet hi-hier!“, forderte der Frosch und deutete vor den Thron.

Nicche kam, mit einer edlen Robe aus schillernden Fischschuppen und einer ebensolchen Schleppe bekleidet.

Langsam ließ sie sich auf ihrem Thron nieder.

„Das alles, alle Geschöpfe des Meeres könnten Dean gehören. Willst du ihm das alles wegnehmen?“

„Dean macht sich nicht viel aus Besitz! Und das, was ihm am Wichtigsten ist hast du nicht hier“, antwortete er.

„Und was sollte das sein?“

„Seine Familie“

„Wir alle werden seine Familie sein.“

„Ich will, dass er selbst entscheiden kann, was er will, ohne deine Manipulationen!“

„So sei es denn“, erwiderte sie schnippisch und klatschte in die Hände.

Eine zweiflüglige Tür an der Seite des Thronsaales öffnete sich und Dean kam heraus.

„Dean“, strahlte Sam und wollte auf seinen Bruder zu eilen.

Der Name und sein Lächeln blieben ihm im Hals stecken, als er einen zweiten Dean in den Saal kommen sah und dann noch einen und noch einen.

Sams Herz krampfte sich zusammen.

Endlich standen die sieben Wesen reglos in einer Reihe vor Sam, der sie noch immer ungläubig anstarrte.

„Was hast du mit Dean gemacht?“, schrie er wütend und wollte sich auf die Nixe stürzen.

„Einen Schritt weiter und du bekommst noch nicht einmal diese Chance!“, donnerte sie.

Sam erstarrte.

„Wenn du den Echten erkennst, darfst du ihn mitnehmen“, erklärte sie huldvoll und ließ sich wieder auf ihren Thron nieder.

„Bis zum nächsten Gongschlag und denke daran, du darfst dir jeden nur ein Mal ansehen! Und wehe du fasst sie an!“

Der jüngere Winchester überlegte fieberhaft, wie er seinen Bruder hier wohl finden könnte.

Alle sieben schienen unter einem Bann zu stehen. Alle sieben starrten aus halbgeschlossenen trüben Augen ins Leere.

Eingehend betrachtete er sich den Ersten.

Mit einem mulmigen Gefühl im Magen ging er zum Nächsten. Dean hätte ihn bestimmt sofort erkannt, wenn es andersherum gewesen wäre. Sein Bruder konnte sich immer auf seine Instinkte verlassen, und wenn es um ihn, Sam, ging, dann erst Recht.

Aber war das jetzt auch noch so?

Wieder musterte er den Dean vor sich.

Er wollte gerade zum Nächsten gehen, als er kurz stutzte.

Konnte es sein? Dieser Dean schien zu zittern. Ganz leicht nur bebten die blauen Lippen und wenn er ganz genau hinsah, war da nicht am Hals auch ein Puls zu sehen?

Er versuchte jede Gefühlsregung in sich zu verschließen und ging zum Nächsten. Auch diesen musterte er eindringlich.

Nein, hier war weder das Zittern noch ein Puls sichtbar. Er brauchte noch einen Vergleich und schritt zum Nächsten.

Nicche ließ ihre Finger kreisen und schon wechselten die Drei, an denen Sam schon vorbei gegangen war, ihre Plätze.

Immer wieder machte sie dieses Spiel, sobald der jüngere Winchester weiter rückte.

Endlich war Sam an der Reihe Deans vorbei und sich jetzt ganz sicher, dass nur der eine einen Pulsschlag hatte. Er drehte sich zu Nicche und schaute sie düster an.

„Und? Welchen meinst du mitnehmen zu wollen?“, fragte sie mit einem gönnerhaften Lächeln.

Sam ging die Reihe wieder zurück.

Noch einmal ließ er seine Augen über die verräterischen Punkte der Gestalten wandern.

„Dieser!“, sagte er und zeigte auf den mittleren Dean in der Reihe.

Als er zum letzten Dean gewechselt war, hatte er das falsche Spiel der Nixe gesehen.

„Du bist dir ganz sicher?“, fragte sie eisig.

„Dieser ist Dean!“

„Dann solltet ihr euch beeilen!“, ließ sie verlauten und machte eine Handbewegung, als wollte sie einen Krümel von ihrem Kleid wischen. Die sechs Kopien platschten als große Wasserpfützen auf die Steine.

Der echte Dean hielt sich noch einige Sekunden länger auf den Beinen, dann gaben seine Knie nach und auch er ging zu Boden. Sofort krampfte sich sein Körper zusammen und er erbrach grünes, schleimiges Zeug.

Nicche würdigte die Brüder keines Blickes, stieg von ihrem Thron und verließ den Raum.
 

Ein Grummeln und Rumpeln ging durch den Fußboden, und immer wieder schienen ihn leichte Erdstöße zu erschüttern.

Besorgt schaute sich Sam nach einem Ausweg um. Doch solange Dean dieses schleimige Zeug erbrach konnte er hier nicht weg. Er hockte sich hinter seinen Bruder und strich ihm immer wieder über den Oberarm und murmelte beruhigende Worte.

Endlich schien sich der Blonde zu beruhigen.

Sofort zog Sam ihn in eine sitzende Stellung und lehnte ihn gegen seine Brust. Er wollte ihm noch etwas Ruhe gönnen.

Ein weiterer Erdstoß ließ ihn aufschrecken.

Schnell stemmte er sich in die Höhe und zerrte seinen Bruder auf die Beine

„Los, wir müssen weg hier!“, drängte er und wandte sich zum Ausgang.

Nach zwei Schritten blieb er stehen und drehte sich zu seinem Bruder um.

Der stand noch immer an derselben Stelle und starrte orientierungslos ins Leere.

Sam machte zwei Schritte auf ihn zu und packte sein Handgelenk.

„Komm, Dean, wir müssen hier raus!“, sagte er und rannte zum Ausgang, den Blonden einfach hinter sich her zerrend.
 

Immer weiter irrten sie durch endlos scheinende Gänge, die dann doch plötzlich vor einer Wand endeten.

Sam hatte schon lange die Orientierung verloren, aber er hatte immer wieder das Gefühl, dass sie aufwärts liefen.
 

Der Gang, dem sie nun schon eine Weile folgten, endete in einer Höhle mit einem Wasserbecken.

Der Boden unter ihnen bebte immer stärker.

Sam schaute sich hektisch um. Langsam schien die Panik seinen ganzen Körper zu erfassen. Von seinem Bruder war noch immer keine Reaktion gekommen. Apathisch stolperte der hinter ihm her und war mehr als einmal gegen ihn gelaufen, wenn er stehen geblieben war.

Sam wollte gerade wieder in den Gang zurückkehren, als er sah, dass das Wasser in dem Becken heller war als die Umgebung.

„Hol tief Luft“, befahl er seinem Bruder.

Das Beben wurde immer stärker und er konnte Wasser rauschen hören. Sie mussten hier raus.

Er schubste Dean ins Wasser und sprang hinterher.

Kaum war er eingetaucht, bremste er seinen Schwung und suchte nach seinem Bruder.

Dean versuchte an die Oberfläche der Höhle zurück zu kommen.

Sam griff sein Handgelenk und zerrte ihn erneut hinter sich her, der Helligkeit entgegen.
 

Kurz bevor der Druck in seinen Lungen so groß wurde, dass er ihm nachgegeben und das Wasser eingeatmet hätte, durchbrach sein Kopf die Wasseroberfläche.

Die Sonne ging gerade über der Stadt auf, doch Sam hatte keinen Blick für diese Schönheit.

Wassertretend zog er Deans Hand nach oben und packte dann mit seiner anderen Hand zu. Er bekam den Kragen von Deans Hemd zu fassen und zerrte den Kopf seines Bruders daran über Wasser.

„Hey Dean!“, rief er ihn leise und gab ihm eine schallende Ohrfeige.

Deans Kopf ruckte in die Höhe, er begann zu husten und Wasser zu spucken und sackte dann kraftlos in sich zusammen. Fast drohte er wieder zu versinken.

Sam legte sich auf den Rücken, zog Dean auf seinen Bauch und begann langsam auf das Ufer zuzuschwimmen.

Es war ein weiter Weg, doch das Meer schien ihnen gut gesonnen zu sein, es war ruhig und ein leichter auflandiger Wind trieb sie sachte Richtung Stadt.
 

Sie hatten vielleicht die Hälfte der Stecke geschafft, als Dean plötzlich begann um sich zu schlagen.

Er wollte weg, wollte von Sam runter.

Der Jüngere schluckte einiges an Wasser, bevor es ihm gelang, die Handgelenke des Blonden zu fassen, sie mit seiner Hand zu umschließen und auf Deans Bauch zur Ruhe zu zwingen.

Der Körper des Blonden erschlaffte wieder.

Ermittlungsergebnisse

100) Ermittlungsergebnisse
 

Sam war kurz davor aufzugeben, als er endlich Sand unter sich fühlte.

Er rutschte noch ein paar Meter auf den Strand, und dann blieb er erschöpft liegen, Dean noch immer auf seinem Bauch haltend.

Der jüngere Winchester schloss die Augen und versuchte seine Atmung wieder zu beruhigen.

Er hatte Dean wieder! Er hatte es geschafft, er hatte es wirklich geschafft!

Jetzt mussten sie nur noch ihre Unstimmigkeiten bereinigen, und dann konnten sie zusammen mit Bobby Weihnachten feiern.

Langsam begann Sam zu frieren.

Er schob Dean von sich und unterdrückte die sich verstärkende Sorge, als er sah wie Dean sich fast sofort zusammenrollte. Schnell stand er auf und sah sich suchend um.

Wo waren sie gelandet? Wo hatte er seine Sachen gestern Abend gelassen.

War es gestern Abend gewesen? Ein kurzer Blick zu Dean überzeugte ihn, dass sein Bruder zwar blass aber sonst unverletzt war, und atmete, und dann machte er sich auf die Suche nach seiner Kleidung.

Der jüngere Winchester hatte schon wieder Glück. Sie waren nicht allzu weit weg von seinem Startplatz entfernt wieder ans Ufer gespült worden. Hastig wischte er sich soviel Sand wie möglich vom Körper, zog er sich an und ging dann zu seinem Bruder zurück.

Dean lag noch immer zusammengekrümmt auf dem Boden, hatte aber sein Gesicht der Sonne zugewandt und schien jeden einzelnen Strahl zu genießen. Er fror. Seine Zähne klapperten laut vernehmlich, und er zitterte am ganzen Körper.

Sam legte ihm eine Hand auf den Arm: „Komm, wir fahren ins Motel. Da kannst du dich aufwärmen.“

Träge öffneten sich Deans Lider und gaben einen Blick auf stumpfe Augen frei.

Mehr passierte nicht.

Sam seufzte. Was hatte dieses Fischweib mit seinem Bruder angestellt? Erneut fasste er zu und zwang seinen Bruder auf die Beine.

Dean hing mehr auf ihm, als dass er selbst ging, als sie zum Auto stolperten.

Sam drängte ihn auf den Beifahrersitz des Impala und fuhr zum Motel zurück.
 

„Ich lass dir Wasser ein, dann kannst du dich aufwärmen“, sagte Sam, als sie im Zimmer angekommen waren und ging ins Bad. Er ließ lauwarmes Wasser in die Wanne laufen. So kalt wie Dean sich angefühlt hatte, würde sich selbst das für ihn heiß anfühlen.

Als er zurückkam stand der Blonde noch immer mitten im Raum und hatte sich nicht gerührt.

Sam seufzte. Irgendetwas stimmte mit seinem Bruder ganz und gar nicht, aber er war zu müde, um das jetzt zu ergründen. Er half ihm aus der nassen Kleidung und schob ihn in die Wanne.

Das kalte Wasser drehte er zu und ließ langsam heißes zulaufen. So würde sein Bruder wohl langsam wieder auftauen, hoffte er.

Schnell holte er in dem kleinen Laden gegenüber ein paar Flaschen Wasser und belegte Brote. Dann schrieb er eine SMS an Bobby, in der er ihm mitteilte, dass er Dean hatte, dass es ihnen soweit ganz gut ging und er sich melden würde, sobald sie wieder wach waren.

Kurz überlegte er, ob er jetzt noch was essen sollte, doch der restliche Sand scheuerte so sehr auf seiner Haut, dass er ihn nicht noch länger ertragen wollte.

Er schälte sich aus seiner Kleidung und ging unter die Dusche. Nicht, ohne vorher einen Blick auf seinen Bruder geworfen zu haben.

Dean schien es soweit gut zu gehen. Seine Lippen waren nicht mehr so blau und er zitterte kaum noch, aber seine Augen waren noch immer geschlossen und irgendwie lag ein abwesender Ausdruck auf seinem Gesicht.

Was hatte dieses Miststück nur mit ihm gemacht?
 

Nachdem Sam sich wieder angezogen hatte, holte er seinen Fisch aus dem Wasser. Ein trauriges Lächeln huschte bei dem Gedanken über sein Gesicht. Er half Dean beim Abtrocknen und Anziehen und versuchte ihn dann dazu zu bringen, etwas zu essen.

„Komm schon Dean, das Sandwich ist wirklich nicht schlecht“, versuchte er es immer und hielt dem Blonden das Sandwich direkt vor die Nase.

Der Ältere dreht angewidert seinen Kopf zu Seite.

Sam wusste nicht ob er jetzt lachen oder weinen sollte. Auf der einen Seite war das die erste Reaktion von Dean, seit er ihn da rausgeholt hatte, auf der anderen Seite war ein Dean, der nicht essen wollte, besorgniserregend.

Sam beließ es bei einem leisen Seufzen und brachte den Blonden ins Bett.
 

Irgendetwas hinderte ihn am Atmen. Immer weniger Sauerstoff füllte seine Lungen und immer größer wurde der Druck auf seiner Brust. Panisch schlug Dean um sich, bis er endlich erwachte und sich schwer atmend aufsetzte. Sein Hals brannte und der Druck auf seiner Brust blieb.

Es dauerte eine Weile, bis er einen halbwegs klaren Gedanken fassen konnte. Durst!

Schnell stürzte er ins Bad, drehte den Wasserhahn auf und trank hastig soviel er nur bekommen konnte.

„Wenn nichts mehr kommt ist die Leitung leer.“

Der Blonde trank noch ein paar Schlucke und schaute sich dann um.

Sam stand grinsend hinter ihm, doch beim Anblick seines Bruders musste er schon wieder schlucken.

Wasser lief über sein Kinn und tropfte auf sein Shirt, und noch immer lag ein Schleier auf seinen Augen. Er schien zu überlegen, was Sam ihm jetzt hatte sagen wollen.

„Wir haben Wasser im Kühlschrank. Leg dich wieder hin und ich hole dir eine Flasche.“

Dean nickte langsam und ging dann zurück ins Zimmer.

Wieder seufzte Sam leise. Was immer diese kleine Schlampe mit Dean gemacht hatte, schien seinen Einfluss nur langsam zu verlieren.

Er stellte eine Flasche Wasser neben Deans Bett und legte sich ebenfalls wieder hin.
 

Am frühen Nachmittag erwachte Sam als erster. Ein Blick zu seinem Bruder beruhigte ihn in soweit, als dass er sah, dass der noch schlief, wenn auch unruhig. Er würde gleich mit Bobby telefonieren und ihn fragen, was sie gegen dieses schuppige Weib unternehmen konnten, und vielleicht wusste der Freund ja auch, wie lange Dean noch an den Nachwirkungen seines Aufenthalts da zu knabbern haben würde.

Er zog sich an, stellte Kaffee an und ging zu dem Diner ein paar Straßen weiter, um ihnen etwas zu essen zu holen.

Noch einmal vergewisserte er sich, dass Dean noch schlief und stellte dabei fest, dass der fast die ganze Flasche Wasser ausgetrunken hatte. Knapp 2 Liter! Ob das mit dem Salzwasser zusammenhing, in dem er gewesen war? Aber eigentlich hätte Dean doch auch in einem luftgefüllten Raum sein müssen, so wie er, oder?

Kopfschüttelnd machte er sich auf den Weg.
 

Der ältere Winchester erwachte, weil er schon wieder diesen Druck auf seiner Lunge fühlte. Seine Blase drückte und er hatte Durst. Nach kurzer Überlegung verschwand er zuerst im Bad.

Als Sam wieder ins Zimmer kam, hatte er sich angezogen und saß auf seinem Bett.

„Ich hab was zu essen mitgebracht“, erklärte der Jüngere ruhig.

Dean stellte die halbleere Flasche neben sein Bett und kam zum Tisch.

„Bobby lässt dich grüßen. Er ist froh, dass du wieder da bist“, sagte Sam.

Der Blonde nickte nur.

„Weiß er, was sie ist?“, fragte er nach einer ganzen Weile, und Sam musste erst überlegen, was Dean meinen konnte, bevor er antwortete.

„Er denkt sie ist eine Sirene.“

„Sirene. Wie bei Sindbad?“

„So ähnlich, ja. Er meint sie würden ihre Opfer mit einer Art Gift soweit beeinflussen, dass die dann das tun, was die Sirene von ihnen will. Sie zwingen ihnen quasi ihren Willen auf.“

„Gift“

„Ja, Bobby sagt, das Gift könnte vielleicht durch Berührung übertragen werden, oder durch Körperflüssigkeiten“, forschend sah er seinen Bruder an, doch der reagierte nicht auf diese Spitze.

„Und wie lange wirkt das Zeug?“

„Darüber gibt es keine Angaben. Aber Bobby sagt, man kann sie mit einem bronzenen Messer mit dem Blut eines Opfers töten. Er meinte, dass in dem Blut wohl ihr eigenes Gift wäre und dass das für sie tödlich wäre.“

Wieder nickte Dean nur. Er schob seinen Teller zur Seite. Und schon wieder hatte Sam einen Grund zur Sorge. Dean hatte nicht mal die Hälfte gegessen.

„Was ist mit dir?“, wollte er also wissen.

„Ich bin okay!“, kam es lahm zurück.

Sam nickte nur, er wollte sich nicht mit Dean streiten. Nicht nach den letzten Tagen bei Bobby.
 

Der Blonde erhob sich, brachte seinen Teller weg und holte sich die Flasche Wasser, aus der er wieder einen großen Schluck nahm.

„Warum bist du hier?“, wollte er unvermittelt wissen.

„Alter, ich hab dir den Arsch gerettet!“

Dean schwieg. Eigentlich müsste er sich jetzt bei seinem kleinen Bruder bedanken, das wusste er, aber er war sich nicht so sicher, ob er das auch wollte. Wollte er leben? Hier leben?

Nicches Stimme war immer noch in seinem Kopf und flüsterte ihm zu, dass Sam ihn nicht brauchte und nicht wollte, und dass er mit ihr besser dran wäre und ein nicht wirklich kleiner Teil in ihm gab ihr Recht. Der andere Teil plädierte für Sam. Immerhin war der hier und hatte ihn da rausgeholt. Also schien er sich ja doch Sorgen um ihn gemacht zu haben. Hatte er?

Fragend schaute er zu seinem kleinen Bruder.

Der holte tief Luft. Eine Erklärung würde er hier wohl nicht bekommen.

„Ich hab versucht dich anzurufen, und es ging immer nur die Mailbox dran. Wir haben uns Sorgen gemacht, also bin ich hergekommen“, sagte er dann. Nie würde er zugeben, dass er Dean regelrecht überwacht hatte.

Der Blonde stellte die Flasche ab, stand auf und ging zu seiner, noch immer nassen, Hose und zog sein Handy aus der Tasche.

Ein klägliches Lächeln huschte über sein Gesicht. Das Teil konnte wirklich nicht mehr benutzt werden.

„Weswegen bist du eigentlich hergekommen?“, wollte der Jüngere jetzt wissen. Vielleicht half ihnen ein normaler Arbeitsalltag ja zu einem normalen Verhältnis zurück, denn er war sich sicher, dass Reden jetzt wohl nicht viel bringen würde.

„Es gibt hier periodisch Selbstmordserien“, begann Dean langsam und suchte aus dem Berg, aus Laptops und Zetteln auf dem Tisch, seinen Block heraus, „die scheinbar keinen Zusammenhang bieten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nichts mit einem Monat oder dem Wetter zu tun, obwohl die Selbstmorde meistens im Dezember waren. Mondphasen und diese Quallenplage spielen auch keine Rolle.“

Dean stockte. Er schien überlegen zu müssen, was er als nächstes sagen wollte.

„Ich hab rausgefunden, dass die Opfer dieser Serien alle in dem Bürogebäude gearbeitet haben.

Immer wenn es eine Entlassungswelle gab, gab es diese Selbstmorde.“ Er blätterte unschlüssig in seinem Block und trank noch einen Schluck, bevor er weiter sprach.

„Das komische ist, dass die wenigsten Selbstmorde von denen begangen wurden, die gefeuert worden waren.“ Er starrte auf seine Zahlen.

„1992 wurden elf Personen entlassen, es gab neun Selbstmorde. Nur drei von diesen Selbstmördern hatten ihre Papieren bekommen. 1993 waren es bei sieben Entlassungen sieben Selbstmorde.“ Er legte den Block vor Sam und deutete auf die einzelnen Zahlenpaare.

„1994, 1996, 1999, 2000.“

Dean fiel es immer schwerer sich zu konzentrieren. Hinter seinen Schläfen hatte sich ein stechender Schmerz eingenistet.

„Es waren immer annähernd so viele Selbstmorde wie Entlassungen, nie mehr. Das Ganze fing 1992 an, und die erste Tote war Alicia Smith, eine Sekretärin, die im Sommer darauf heiraten wollte. Ihr Verlobter war vollkommen niedergeschlagen, als er von ihrem Selbstmord hörte und auch ihre Familie hatte keine Anzeichen bemerken können, dass sie sich umbringen wollte. Sie war ein lebenslustiger Mensch, der …“ Dean rieb sich die Schläfen. Sein Magen rebelliert und seine Hände zitterten leicht.

„Sie war in der Kirche sehr engagiert, sang im Kirchenchor und half bei der Kinderbetreuung. Sie war übrigens nicht gekündigt worden.“

Mit zitternden Fingern griff er nach der Wasserflasche und trank sie leer. Dann atmete er ein paar Mal tief durch.

„Geh ins Bett, Dean. Ich kann hier weiter machen“, sagte Sam mitfühlend und half seinem Bruder sich hinzulegen. Der schien wirklich unter Entzugserscheinungen zu leiden.
 

Schon wieder wachte Dean schwer atmend auf, und schon wieder hatte er Durst, als wäre er einen Tag durch die Wüste gelaufen.

Mit der Wasserflasche in der Hand schlurfte er zur Toilette. So langsam kam er sich vor wie ein Durchlauferhitzer. Kalt rein, warm raus.

Als er sich wieder ins Bett legte, konnte er Sams Blick in seinem Rücken spüren.

Er wollte seinen kleinen Bruder nicht beunruhigen, aber er war sich sicher, dass er so nicht lange durchhalten würde. Das war definitiv kein Leben! Aber wie konnte er es ändern? Und vor allem, wie wollte er es ändern?

Sam schien sich wirklich Sorgen um ihn zu machen, und er selbst hatte einfach zuviel gewollt. Er war davon ausgegangen, dass Sam wieder normal war, wenn sie wieder in ihrer Zeit waren, aber scheinbar waren die Gefühle einfach stärker, als dass sie so einfach verschwanden, nur weil sich ihre Lebensumstände wieder geändert hatten.

Sam war hierher gekommen, weil er ihn nicht erreichen konnte, und er hat ihn aus den Fängen der Sirene geholt, auch wenn er ihn damit nicht befreit hatte. Sie geisterte durch seine Träume und ihre Stimme in seinem Kopf rief und lockte ihn permanent.

Er musste sie loswerden, wenn er wieder in sein Leben wollte.

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Soweit er sich erinnern konnte lag in den Tiefen des Impala ein bronzenes Messer.

Zufrieden mit seiner Entscheidung schlief er wieder ein.

Zurück im Meer

101) Zurück im Meer
 

Sams Blick wanderte immer wieder zu seinem Bruder. Er machte sich Sorgen um ihn. Dean schien wirklich unter Entzugserscheinungen zu leiden. Was hatte dieser Fisch mit ihm gemacht, und wie war er überhaupt in dessen Fänge geraten?

Er seufzte. Sicherlich war seine Ablehnung schuld daran. Wenn er seine Gefühle besser unter Kontrolle gehabt hätte, dann wäre Dean gar nicht erst abgehauen. Er wusste doch wie verletzlich der äußerlich so gefühlskalte Dean Winchester innerlich sein konnte, wie schlecht sein Bruder mit Ablehnung umgehen konnte, wenn sie von ihm, Sam, ausging. Und er hatte ihn im letzten halben Jahr mit soviel Ablehnung bombardiert, das konnte ja nicht spurlos an Dean vorübergehen.

Würde es Dean besser gehen, wenn diese Nixe tot wäre?

Aber wie konnten sie an sie herankommen, oder würde Dean ihr dann wieder verfallen? Vielleicht sollten sie noch ein paar Tage warten, bis ihr Einfluss auf Dean noch weiter zurückgegangen war.

Er würde seinen Bruder Morgen genau beobachten.
 

Müde rieb er sich über die Augen.

Sam hatte jetzt alle Akten durchgearbeitet, die Dean auf seinem Rechner hatte, aber er war ebenfalls zu keinem Ergebnis gekommen. Wie sollten sie die Ursache für diese seltsame Selbstmordserie finden können? War es einer, der früher entlassen worden war, der sich jetzt als Geist wahllos rächte? Aber wer? Und wie sollten sie das je rausfinden?

Er klappte den Rechner zu. Heute würde er nicht mehr weiter kommen. Seine Augen brannten und die Zeilen verschwammen immer wieder. Ihm fehlte Schlaf.

Morgen würde er mit Dean reden. Vielleicht hatte der ja eine Idee.

Sam schlurfte ins Bad.
 

Gerade als er ins Bett kriechen wollte, wurde Dean wieder unruhig. Seine Atmung rasselte regelrecht durch seine leicht geöffneten Lippen.

Der Jüngere ging zu seinem Bruder. Die Flasche neben seinem Bett war leer.

Sam holte eine neue und kam genau in dem Moment zurück als sich der Blonde aufsetzte und keuchend nach der Flasche tastete. Sie fiel leise polternd um und Dean stemmte sich in die Höhe.

Träge öffnete er die Augen und zuckte zurück.

Sam stand vor ihm.

„Dean, was ist los mit dir?“, fragte er besorgt.

„Ich hab Durst!“, antwortete der Blonde und streckte seine Hand zur Flasche aus.

„Deine Lunge rasselt, als ob du eine Lungenentzündung hättest. Das kommt nicht vom Durst“, erklärte der Jüngere. Sein Bruder schien mehr aus- als einzuatmen. Das war auf jeden Fall nicht normal.

„Gib mir die Flasche, SAM!“, keuchte der und stemmte sich wieder in die Höhe. Hastig grabschte er nach der Flasche, drehte den Verschluss auf und schüttete sich das Wasser in den Hals.

Langsam ließ er sich wieder auf die Bettkante sinken. Er trank noch ein paar Schlucke und wartete dann, bis sich seine Atmung normalisierte.

„Das ist nicht normal, Dean!“, begann Sam erneut. „Wieso kannst du besser atmen wenn du was getrunken hast. Das ist unlogisch!“

„Ich weiß es nicht, Sam“, begann der Blonde matt, „aber ich kann dir sagen, was gleich logisch sein wird!“

Sam schaute erwartungsvoll.

„Wenn du mich nicht gleich ins Bad lässt, kannst du in dem nassen Bett schlafen!“

„Oh“, entwich es ihm und er machte einen Schritt zurück.

Dean ging ins Bad.

Er musste einen Weg finden. So schnell wie möglich, denn er hatte nicht den Eindruck, dass sein Zustand besser wurde. Was hatte sie mit ihm gemacht? Seine Erinnerungen waren verschwommen.

Eigentlich konnte er sich nur daran erinnern, dass ihm kalt gewesen war und dass er irgendetwas Grünes zu essen bekommen hatte. Und an die Schmerzen, die dem Essen folgten.

Er musste handeln!

„Soll ich dich nicht besser ins Krankenhaus bringen?“, wollte Sam wissen, kaum das Dean aus dem Bad zurückgekommen war.

„Und was sollen die tun, mich in ein Aquarium stecken oder aufschneiden und sezieren?“

„Die könnten …“, kopfschüttelnd brach der Jüngere ab. Dean hatte wahrscheinlich Recht.

„Lass uns morgen darüber reden. Bitte! Ich bin einfach nur fertig.“

Sam nickte betrübt.
 

Endlich war Sam eingeschlafen.

Dean ging ins Bad. Schnell zog er sich an, schrieb seinem kleinen Bruder einen Zettel und schlich sich aus dem Zimmer.

Das Grollen des Impala riss Sam auf dem Schlaf.

Nur mit Shorts und T-Shirt bekleidet rannte der Jüngere auf den Parkplatz.

„DEAN!“, brüllte er dem davonfahrenden Wagen hinterher.

„Verdammt!“ Dieser sture Idiot. Warum musste er alleine losziehen? Warum konnte er ihn nicht wecken, und sie würden es gemeinsam durchstehen!

‚Warum? Weil ich von ein paar Wochen, Monaten, in Santa Fe genauso gehandelt habe’, überlegte er frustriert. Sie sollten wirklich an ihrer Kommunikation arbeiten!

Niedergeschlagen ging er in ihr Zimmer zurück. Auf dem Tisch lag ein Zettel.

»Tut mir Leid, Sam. Ich muss das selbst lösen. So kann ich nicht leben und Ärzte sind wohl keine Lösung. Und ich glaube auch nicht, dass es von alleine weggeht. Dean«

Er ließ sich auf einen Stuhl fallen. Was hatte Dean jetzt vor? Wenn er die Nixe töten wollte, würde er Unterstützung brauchen, aber er war alleine los. Fieberhaft überlegte der Jüngere, was er machen konnte.

Schnell fuhr er seinen Laptop hoch und suchte die Umgebung des Strandabschnittes ab, an dem er Dean gestern gesucht hatte. Dann rief er sich ein Taxi und zog sich an.
 

Dean stellte den Impala wieder auf dem kleinen Parkplatz ab, auf dem er schon die letzten Tage gestanden hatte. Zärtlich strich er seinem Baby über das Armaturenbrett. Abschiedsschmerz machte sich in ihm breit. Vielleicht würde er seine Schönheit nie wieder sehen.

„Lass dir von Sam nichts gefallen“, sagte er leise, dann trieb ihn der größer werdende Druck auf seiner Lunge zum Handeln.

Schnell stieg er aus und holte sich das bronzene Messer aus dem Kofferraum, das er in die Scheide an seinem Knöchel steckte.

Mit schnellen Schritten war er am Meer und ging hinein.

Diesmal musste er nicht sehr weit schwimmen. Wasser um ihn herum hatte nicht denselben atemerleichternden Effekt wie Wasser trinken. Was sie mit ihm gemacht hatte, schien sich nur in seinem Inneren abgespielt zu haben.

Seine Lunge schrie nach Sauerstoff, seine Muskeln verkrampften.

Mit einem grimmigen Lächeln auf den Lippen versank er. Das war also der Anfang von Ende. Seinem oder ihrem, das würde sich zeigen.
 

Es dauerte nicht lange, bis sie vor ihm auftauchte.
 

Da waren sie wieder, diese unergründlich tiefen Augen. Deans Herz machte einen Satz, schlug dann doppelt so schnell weiter, und er verlor sich in ihnen.

„Hallo Dean. Hattest du Sehnsucht nach mir?“

Dean nickte.

Ein breites Lächeln zierte ihr Gesicht und sie drückte ihm wieder diese Luftblase aufs Gesicht und brachte ihn in den Raum, der ihn schon vorher beherbergt hatte.

„Ich habe dich vermisst“, sagte sie und küsste ihn wieder.

Er strahlte sie, schon wieder leicht frierend, mit verklärten Augen an.

„Hast du Hunger?“, fragte sie und er nickte.

Wieder küsste sie ihn fordernd. Ihr Gift lullte ihn ein. Sam war Geschichte. Dean gehörte ihr. Er war zu ihr zurückgekommen.

„Warte hier“, sagte sie und ging mit einem breiten, siegessicheren Lächeln, ihm etwas zu essen holen.
 

Sam rannte wie von Furien gehetzt über den Anleger des kleinen Jachthafens, zu dem das Taxi ihn gebracht hatte. Er betete zu einer höheren Macht, dass Dean es schaffen und nicht wieder dem Gift dieses Fisches verfallen würde.

Hektisch sah er sich um. Er brauchte ein Boot!

Zwischen zwei Jachten sah Sam ein Schlauchboot mit Motor. Angeln lagen darin. Es schien dem Mann zu gehören, der gerade an ihm vorbei gegangen war und der eine Schwimmweste trug.

Er schaute ihm hinterher. Der Mann verschwand in dem kleinen Imbiss, der vor dem Steg stand.

Ohne längere Überlegungen kletterte Sam in das Boot und startete den Motor.

Dean war wichtiger als das Angelvergnügen des Mannes.

Er steuerte das Schlauchboot auf’s Meer hinaus.
 

Aber wo sollte er Dean suchen? Wo war die Stelle an der er Vorgestern „ertrunken“ war?

Er kurvte jetzt schon eine ganze Weile auf dem Meer herum und wurde immer verzweifelter. Sollte er noch einmal ins Wasser springen und ertrinken? Würde er Dean noch einmal so retten können?
 

„Komm zu mir“, sagte sie, nachdem er das grüne, schleimige Zeug gegessen hatte, und klopfte mit ihrer Hand auf den Diwan neben sich. Dean legte sich zu ihr und kuschelte sich an sie. Hier wollte er bleiben.

Hier bei ihr, egal was sie mit ihm noch machen würde.

Zärtlich strich sie ihm über die Haare. Er war zufrieden und fühlte sich wohl bei ihr. Sie war alles was er noch wollte.

Seine Muskeln verkrampften sich.

Nicche stand auf und ging zu der goldenen Tür.

Sie musste sich nicht mit ansehen, wie er litt.

Sie wollte Leben. Das, was er durchmachte, war irgendwie Sterben. Er starb als Mensch, um dann beim nächsten Vollmond nach dem Ritual als Nix wiedergeboren zu werden.

Noch einen Blick warf sie auf ihn.

Dean lag zusammengekrümmt auf dem Diwan, seine Zähne mahlten aufeinander.

„Sam ist deiner nicht wert. Er hat dich schon vergessen!“, sagte sie gehässig und wand sich nun endgültig zum Gehen.

Sam.

Dieser Name traf auf eine empfindliche Stelle in seinem Körper.

Sam.

Etwas in ihm zerriss. Etwas, das ihre Augen mit ihm gemacht und das seine Erinnerungen, das ihn blockiert hatte.

Keuchend schnappte er nach Luft.

Sam!

Deans Hand glitt zu seinem Knöchel. Schnell zog er das Messer aus der Scheide und drückte sich die Klinge in die Wade.

Er biss sich auf die Oberlippe um den Schmerz zu bekämpfen.

Mit wenigen Schritten war er bei Nicche.

„Sam ist mein Leben. Du bist meiner nicht wert!“, keuchte er.

Sie drehte sich um und Dean rammte ihr den Dolch ihr ins Herz.

Ungläubig schaute sie ihn an und starb mit weit aufgerissenen Augen.

Kaum berührte ihr Körper den Boden, als auch schon der Felsengang von einem dumpfen Grollen erschüttert wurde. Erde und kleinere Steinchen fielen von der Decke.

Dean schaute sich hektisch um. Wie konnte er hier raus? War er dazu verdammt, hier mit ihr zu sterben?

Immer mehr Steine fielen vor ihm zu Boden und Wasser tropfte von den Wänden und vereinigte sich zu kleinen Bächen.

Ein bedrohliches Rauschen klang ihm vom anderen Ende des Ganges entgegen.

Hektisch schaute er sich in seiner Zelle um.

Ein Sturzbach brach über den Gang herein. Die Luftblase in der Dean bis eben noch gestanden hatte platzte.

Die Wassermassen erfassten ihn und wirbelten ihn herum.

Felsengebilde stürzten ein. Überall entstanden Strudel und Strömungen gegen die Dean ankämpfen musste, um nicht noch näher an die fallenden Steine zu kommen.

Doch dann stürzte der halbe Felsen in sich zusammen. Die Flutwelle erfasste den Winchester und riss ihn gegen das Steinmassiv.

Hektisch versuchte er aus dem Sog zu kommen. Es war unmöglich.

Ein Stein traf ihn am Kopf und seine Bewegungen erstarben.

Ganz sanft trieben ihn die Strudel an die Oberfläche.

Aufgewärmt

102) Aufgewärmt
 

Sam starrte auf den kochenden Ozean vor sich. Was passierte hier?

Ein Seebeben?

„Dean!“, brüllte er immer wieder über das brodelnde Wasser. Tränen drängten sich in seine Augen.

Hatte er seinen Bruder verloren?

Sam schniefte und wischte sich die Nase am Ärmel ab.

Und dann sah er etwas an der Wasseroberfläche treiben.

Sofort lenkte er das Boot dahin.

Das Etwas versank langsam wieder.

Sam sprang hinterher. Er bekam ein Stück Stoff zu fassen und zerrte es mit sich an die Oberfläche.

Mit einem Arm klammerte er sich am Bootsrand fest, mit der anderen Hand kämpfte er darum den bewusstlosen Körper aus dem Wasser und in das Boot zu bekommen.

Es war Dean!

Gott sei Dank!

Mit letzter Kraft kletterte der jüngere Winchester hinterher.

Sein Bruder atmete nicht und seine Haut war eiskalt. Doch ihn hier auf dem wackeligen Boden des Schlauchbootes wiederzubeleben würde nicht viel bringen.

Sam ließ sich auf den Boden fallen und zog Dean an sich. Mit Höchstgeschwindigkeit jagte er zu dem Anleger zurück.
 

„Ich habe hier einen Notfall! Ich brauche einen Arzt!“, brüllte er, kaum dass er in Hörweite war.

Zwei Männer, die gerade ihr Boot klar machen wollten, sprangen auf den Landungssteg. Einer holte sein Handy hervor und wählte den Notruf, während der zweite Sam half, das Boot festzumachen. Dann zog er den noch immer leblosen Dean auf den Steg und half auch Sam aufs Trockene.

Sofort kniete der sich neben seinen Bruder und versuchte dessen Atemwege frei zu bekommen. Dann begann er mit seinen Wiederbelebungsversuchen.

Immer wieder zwang er Dean Luft in die Lungen und immer wieder presste er dessen Brustkorb zusammen.

Es hätten Stunden vergangen sein können, oder Minuten, es war ihm egal. Er würde nicht aufgeben.

Und dann ging ein Ruck durch Deans Körper. Der Blonde hustete und würgte und spukte Wasser.

Sam half seinem Bruder sich auf die Seite zu drehen.

Das Würgen wurde schlimmer. Halb über den Steg hängend spukte er wieder dieses grüne, schleimige Zeug aus, bis nur noch Magensäure kam.

Vollkommen entkräftet und leicht zitternd sackte er in sich zusammen und wäre wohl wieder ins Wasser gefallen, wenn Sam ihn nicht gehalten hätte.
 

In der Ferne hörten sie die Sirene eines Krankenwagens. Schnell kam sie näher und hielt schon bald vor dem Anleger.

Sanitäter stürzten den Steg entlang und knieten sich neben die Brüder.

„Was ist passiert?“, wollte einer der Helfer wissen.

„Wir wollten Angeln. Meinem Bruder ist plötzlich schwindlig geworden. Er ist ins Wasser gestürzt und untergegangen. Ich musste nach ihm tauchen. Als ich ihn rausgeholt hatte, war er bewusstlos und musste wiederbelebt werden.“

Der Sanitäter nickte.

„Der Patient ist bradykard und an der Grenze zu einer mittelgradigen Hypothermie“, sagte der zweite Sanitäter.

Sam schaute etwas ratlos.

„Stark unterkühlt und sein Herz schlägt sehr langsam“, erklärte der Sanitäter neben Sam. „Wie lange war er unter Wasser?“

„Ich ... Keine Ahnung. Es hat wohl eine Weile gedauert, bis ich ihn gefunden hatte“, schüttelte der Winchester bedauernd den Kopf.

„Kein Problem. Dass er so ausgekühlt ist, hat ihm wahrscheinlich das Leben gerettet. Wir bringen ihn ins Krankenhaus.“

„Kann ich mitfahren?“

„Kommen sie“, sagte der Sanitäter. Sie hatten Dean in der Zwischenzeit auf die Trage gelegt und festgeschnallt und brachten ihn jetzt zum Krankenwagen.
 

Der Mann, dem das Schlauchboot gehörte, hatte nichts von Sams „Diebstahl“ bemerkt. Er war hinter den Sanitätern zum Anleger gekommen und wunderte sich jetzt nur, dass soviel Wasser in seinem Boot war.
 

Im Krankenhaus wurde der ältere Winchester noch einmal gründlich untersucht und dann in Wärmedecken gepackt und in ein Zimmer geschoben.

„Darf ich zu ihm?“, fragte Sam Dr. Matthews, der ihn gerade über den Zustand seine Bruders aufgeklärt hatte.

„Ja natürlich. Wir wärmen ihn jetzt mittels Infusion und erwärmter Atemluft wieder auf und wenn die Blutuntersuchung keine neuen Befunde ergibt, können sie ihn morgen wieder mit nach Hause nehmen.“

„Danke, Doktor“, verabschiedete sich Sam an der Tür zu Deans Zimmer und ging hinein.

Er nahm sich einen Stuhl, stellte ihn neben das Bett, in dem sein Bruder lag, und setzte sich. Sofort griff er nach dessen Hand. Kalt und schlaff lag sie in seiner.

„Ich hasse es, dich so zu sehen. Vor allem, weil ich immer irgendwie daran schuld bin. Wenn ich das Messer nicht weggeworfen hätte, dann hättest du den Deal nicht schließen müssen und wenn ich Dad damals erschossen hätte, dann wäre nichts von alldem passiert. Vielleicht könnten wir jetzt ein normales Leben führen“, sagte Sam leise. Eigentlich müsste sein Bruder jetzt etwas dagegen sagen, und irgendwie wartete er auch auf eine Reaktion, doch die konnte nicht kommen. Er selbst hatte dem Arzt gesagt, dass sein Bruder sich in Krankenhäusern mehr als nur unwohl fühlte und der hatte veranlasst, dass mit der erwärmten Kochsalzlösung auch ein Beruhigungsmittel in Deans Venen tropfte.

Trotzdem schaffte es der Blonde kurz vor Mittag aufzuwachen.

Sofort suchten seine Augen den Raum ab und fanden Sam. Dass er in einem Krankenhaus lag, hatte er zwar registriert, aber noch nicht wirklich verarbeitet.

„So kalt“, nuschelte er in die Atemmaske.

„Du warst ziemlich lange im Wasser und total unterkühlt, als ich dich rausgeholt habe. Was ist passiert?“

„Sie ist tot.“

In dem Moment ging die Tür auf und der Arzt kam, gefolgt von einer Schwester, in den Raum.

„Oh schön, sie sind wach. Ihre Temperatur normalisiert sich auch langsam.“

Dean schaute den Mediziner nur fragend an.

„Wie lange wird es noch dauern?“, wollte Sam wissen.

„Zwei bis drei Stunden, dann dürfte ihnen wieder richtig warm sein“, erklärte er an Dean gewandt.

„Allerdings hat unser Labor einige Ungereimtheiten in ihrem Blut gefunden.“ Er bedeutete der Schwester, erneut Blut abzunehmen.

„Das heißt?“, wollte der jüngere Winchester wissen und machte ihr Platz.

„Wir wissen es nicht. In seinem Blut sind ungewöhnliche Zellen festgestellt worden, die jedoch bei einer zweiten Untersuchung nicht mehr zu finden waren. Wir wollen das nochmals kontrollieren.“

Sam nickte überlegend.

„Will raus!“, meldete sich Dean, trotz der Beruhigungsmittel in seinem Kreislauf recht bestimmt, kaum dass die Schwester einen Tupfer fest auf seine Armbeuge drückte.

Der Arzt und Sam schauten sich überrascht an. Sie waren davon ausgegangen, dass der Patient wieder schlief.

„Wenn wir in Ihrem Blut nichts mehr finden und Sie wieder eine normale Körpertemperatur haben, steht dem nichts im Weg. Allerdings sollten sie zur Überwachung noch bis morgen hier bleiben.“

„Ich will hier raus!“

„Gut. Der Tropf ist fast durchgelaufen, dann bekommt ihr Bruder auch keine Medikamente mehr. Wenn die Blutwerte okay sind, mache ich gleich seine Papiere fertig.“

„Danke, Doktor und tut mir leid. Ich dachte wirklich …“

„Schon okay. Ihr Bruder hat einen ziemlich starken Charakter.“

Sam nickte grinsend. Das war ziemlich freundlich ausgedrückt für ‚sturer Dickschädel‘.

Er setzte sich wieder an Deans Seite und legte seine Hand auf Deans Arm. Der fühlte sich nicht mehr ganz so eisig an.
 

Drei Stunden später ließ sich ein erschöpfter Dean auf den Beifahrersitz des Impala fallen.

Sofort startete der Jüngere den Wagen und fuhr Richtung Motel.

An einer Ampel musterte Sam seinen Bruder besorgt: „Du hättest doch noch über Nacht bleiben sollen.“

„Schlafen kann ich auch im Motel!“

„Versprichst du mir wenigstens, dass du wirklich schläfst und nicht wieder abhaust?“

„Wenn du mich so lieb bittest, Sammy!“

Sams Kopf ruckte zu seinem Bruder. Sammy hatte der ihn seit Monaten nicht mehr genannt. Und auch wenn ihm sein Spitzname noch immer nicht wirklich gefiel, so bedeutete er aus Deans Mund doch so etwas wie Normalität und Vertrauen.

„Dean, du hast Sammy gesagt!“

„Ich weiß“, nuschelte der Blonde müde.

„Ist jetzt wieder alles klar zwischen uns?“

„Deine Ablehnung tat weh und ich kann es auch heute noch nicht verstehen, aber ich versuche zu akzeptieren, dass du nicht gegen das, was der Trickster mit dir gemacht, hat ankommen konntest.

Verdammt Sammy, du hast mir den Arsch gerettet, auch wenn ich das nicht gerne zugebe. Aber ohne dich wäre ich wohl mit ihr draufgegangen.“

„Gibst du also zu, dass du mich brauchst?“

„Werd bloß nicht übermütig!“, brummelte der Blonde und versuchte ein Gähnen zu unterdrücken.

„Hast du Hunger?“, wollte Sam wissen.

„Hmhm.“

„Und wie sieht es mit deinem Wasserverbrauch aus?“

„Ich glaube den Drang, die Wasserleitung leer trinken zu wollen, hab ich überwunden. Ich bin will nur noch eine heiße Dusche, was essen und dann schlafen.“

„Dann hol ich uns mal schnell was“, sagte der Jüngere und deutete auf das Diner gleich gegenüber.
 

„Wir brauchen ein neues Bronzemesser“, sagte Dean unvermittelt beim Essen.

„Nein, wir müssen es nur holen. Ich hab es neben der Notaufnahme in einen Busch geworfen. Du hattest es im Bund deiner Hose.“

Der Blonde fragte sich kurz, wie es dahin gekommen war, dann nickte er nur.

„Sie hatte mich wieder“, fuhr er nach einer Weile fort.

„Und wie konntest du sie trotzdem töten?“

„Sie hat etwas gesagt, das bei mir einen, sagen wir, wunden Punkt getroffen hat“, sagte der Ältere kryptisch und auf Sams fragenden Blick fügte er nicht weniger erklärend hinzu: „Es gibt da etwas, jemanden, den ich freiwillig nie alleine lassen würde.“ Dann erhob er sich und schlappte ins Bad..

„Gibt’s noch irgendetwas, das ich zu den Selbstmorden wissen müsste?“, rief Sam ihm hinterher. Er wollte sich noch weiter mit ihrem eigentlichen Fall beschäftigen.

„Eddison Garcia war sowas wie das Gedächtnis des Hauses. Wir sollten uns mal bei ihm umschauen“, erklärte der Blonde und schlug die Tür hinter sich zu.
 

Dean kam aus dem Bad, warf das Handtuch weg, mit dem er sich die Haare trocken gerubbelt hatte und ließ sich auf sein Bett fallen.

„Was wird das?“, wollte Sam wissen, als er sah wie er schwerfällig nach seinem Hemd angelte.

„Wir fahren zu Eds Haus?“

„Du gehst jetzt ins Bett und schläfst, und ich werde mal sehen, was ich aus den Personalakten der Mitarbeiter erfahren kann. Ich will mir besonders diese Alicia Smith mal anschauen.“

„Sie ist sauber!“
 

„Sie vielleicht, aber möglicherweise gab es jemanden in ihrer Umgebung, der sie gehasst hat und der es geschafft hat sie in den Selbstmord zu treiben und jetzt rächt sie sich. Oder jemand wollte sie für sich und hat sich aus unerwiderter Liebe getötet und …“

„Schon gut Sammy.“

„Du schläfst jetzt und danach schauen wir uns bei deinem Eddison um, wenn du das unbedingt willst.“

Dean schaffte es noch zu nicken, dann war er auch schon eingeschlafen. Sam deckte seinen Bruder zu und war froh, dass diese Episode ihres Lebens nur eine solche gewesen war und er seinen Bruder wieder hatte.
 

Kurz nach Mitternacht wachte Dean auf. Er drehte sich auf die andere Seite und wollte Sam eigentlich nur ein bisschen zuschauen, bis er wieder einschlafen würde, aber sein Kleiner schien Zuspruch nötig zu haben.

Frustriert rieb der sich die Augen. So ungern er es zugab, Alicia und ihr Umfeld waren sauber.

„Welche Laus hat dir denn die Leber versalzen?“, wollte der Ältere wissen und setzte sich grinsend auf.

„Das heißt Suppe, Dean, oder gelaufen.“

„Welche Laus ist denn in deiner Suppe rumgelaufen?“

Sam verdrehte die Augen: „So ungern ich es auch zugebe. Du hattest Recht!“

„Wie war das. Kannst du das noch mal wiederholen? Ich hab dich gerade so schlecht gehört!“

„Du hast mich ganz genau verstanden und ich werde dein Ego nicht noch mehr streicheln und es wiederholen.“

„Mistkerl!“

„Idiot! Ich hatte einfach nur gehofft, dass wir diesen Fall noch vor Weihnachten beenden und dann zu Bobby fahren könnten“, klagte der Jüngere.

„Dann lass uns jetzt gleich Eddisons Wohnung unter die Lupe nehmen. Und Morgen könntest du an seinem Arbeitsplatz suchen. Da kann ich nicht mit. Die kennen mich.“

„Dann los“, nickte der Jüngere. Dean würde nur schwer Ruhe geben. Der Tatendrang stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Tagebücher

103) Tagebücher
 

„Warum bist du so erpicht darauf, dich hier umzusehen?“, wollte Sam wissen, kaum dass sie in Eddison Garcias Küche standen.

„Vielleicht deshalb?“, antwortete Dean und deutete auf die drei Katzen, die um ihre Beine strichen und jämmerlich maunzten.

Sam schüttelte den Kopf. Das Helfersyndrom seines Bruders nahm bedenkliche Ausmaße an.

„Du bist aber nicht nur deshalb hier, oder?“, fragte er skeptisch.

Der Blonde überging die Frage und sprach einfach weiter: „Ed hat mir erzählt, dass er Katzen hat und dass er die nicht rauslassen kann, weil die Nachbarin sie mit Steinen bewirft. Aber ich dachte er hätte Familie.“ Der Blonde schüttelte den Kopf und durchsuchte die Küche nach Futter für die Vierbeiner.

Der Jüngere musterte seinen Bruder noch irritierter. Ging es doch nur um die Katzen?

„Ich hab mich in den Häusern aller Opfer dieses Jahres umgesehen, in der Hoffnung irgendeine andere Parallele zu finden als die, dass sie alle in einem Gebäude gearbeitet hatten. Aber bis jetzt hab ich nichts anderes gefunden.“ Dean verteilte den Inhalt einiger Dosen Katzenfutter in die blank geleckten Schüsseln.

Sam wartete weiter auf eine schlüssige Erklärung.

„Aber nein, ich bin nicht nur deshalb hier. Eine Angestellte aus einem der Büros hat mir erzählt, dass Ed so was wie das Gedächtnis des Hauses war und dass er Tagebuch geschrieben hat. Vielleicht hat er das ja auch privat.“

„Was versprichst du dir davon?“

„Ich weiß nicht. Es ist eine Spur, vielleicht. Mehr haben wir nicht und ich hab auch keine Idee, wo wir sonst ansetzen sollten. Wir können denen ja schlecht sagen, dass sie nie wieder jemanden entlassen dürfen, oder?“

Sam nickte überlegend. Sein Bruder hatte Recht und jetzt machte das hier auch einen Sinn.

„Was machen wir mit ihnen, wenn wir gehen?“, wollte er dann wissen und zeigte auf die Katzen, die gierig ihre Näpfe leerten.

„Vielleicht will Bobby ja wieder ein Haustier?“

„Willst du die Katzen zwei Tage im Impala durch halb Amerika kutschieren?“

„Wir könnten ein Fenster offen lassen, oder wir rufen die Tierrettung an.“

„Das klingt ganz gut.“

„Was das Fenster oder die Rettung?“

„Die Tierrettung.“

„Okay, dann haben wir das Problem ja schon mal geklärt. Jetzt lass und das Haus untersuchen.“

Sam nickte und machte sich auf den Weg ins Obergeschoss während der Blonde im Erdgeschoss von einem Zimmer zum nächsten ging.

Er war gerade in einem der Arbeitszimmer, als ihm ein in Leder gebundenes Buch vor die Füße fiel.

Sichernd schaute er sich um. Nichts war zu sehen. Er spürte auch keine plötzliche Kälte.

Irritiert kratzte er sich am Kopf.

Langsam bückte er sich und hob das Buch auf. Ein schneller Blick hinein sagte ihm, dass es sich um ein Tagebuch handeln musste.

In dem Regal, aus dem es gefallen war, standen noch fast vierzig weitere Bände.

„Na toll“ stöhnte der ältere Winchester. Aber einen Versuch war es wert. Sie würden die Bücher mitnehmen.
 

„Hier gibt es nichts zu finden“, erklärte Sam, als er wieder nach unten kam.

„Nichts, außer den Tagebüchern hier“, ließ sein Bruder verlauten.

„Die willst du doch nicht alle mitnehmen?“

„Doch, will ich.“

„Na dann viel Spaß beim Lesen.“

„Ich dachte, du hilfst mir?“

„Vergiss es!“

Der Blonde schmollte, doch Sam ließ sich nicht erweichen.

„Ich fahre morgen in das Bürohaus. Mal sehen, was ich herausbekomme.“

Dean verdrehte die Augen. Sein Klugscheißer meinte wohl, wieder besser zu sein als er! Aber er sagte nichts dazu. Sollte Sam doch suchen. Vielleicht hatte er ja wirklich was übersehen. So wie er die letzten Tage drauf war, könnte das durchaus sein, obwohl er hoffte, dass seine Arbeit nicht unter seiner Stimmung litt, denn dann müsste er sich wohl einen neuen Job suchen. So würde er nicht mehr lange leben. Bei der Jagd brauchte er all seine Aufmerksamkeit!
 

Dean rieb sich über die Augen und setzte sich träge auf.

Sein Blick wanderte zur Uhr und er stöhnte frustriert. Er wusste doch, warum er Lesen hasste. Es war langweilig und ermüdend und seinem Bewegungsdrang total abträglich! Und selbst so, wie er las dauerte es ewig!

Sein Bruder war schon vor einer gefühlten Ewigkeit aufgebrochen um sich als FBI-Agent in dem Bürohaus umzuhören und er hatte versprochen etwas zu Essen mitzubringen, wenn er zurückkommen würde. Nichts dergleichen war bis jetzt passiert, und so langsam war seine Laune auf dem absoluten Nullpunkt und er dem Hungertod nahe.

Er hatte von den vierzig Büchern gerade mal acht geschafft und lesen machte hungrig!

Genervt seufzte er, stand auf, um eine weitere Kanne Kaffee zu kochen, und verschwand dann im Bad.
 

Als er sich wieder auf sein Bett warf, kam der Bücherberg auf seinem Nachttisch ins Wanken und kippte um.

Die Welt hatte sich gegen ihn verschworen!

Er stand erneut auf, sammelte seinen Lesestoff wieder zusammen und baute einen neuen Berg vor seinem Bett. Dann fielen die Dinger wenigstens nicht so tief.

Mit einem weiteren Seufzer nahm er sich Buch Nummer neun und vertiefte sich in dessen Lektüre.
 

„Musstest du dich gegen ein Buchmonster wehren oder warst du einfach nur frustriert?“, wollte Sam grinsend wissen als er ihr Zimmer wieder betrat.

Dean warf das Buch, in dem er gerade las, augenblicklich auf sein Bett und stand auf: „Hast du was zu essen mit? Ich verhungere hier!“

„Dagegen hilft Bücher werfen aber auch nicht!“

„Nein, aber vielleicht sollte ich dich mit den Büchern erschlagen. Dann hätte ich mein Baby hier und mir selbst was holen können, und ich wäre dich Klugscheißer los!“

Sam schluckte. Dean auf leeren Magen ärgern zu wollen war wohl keine so gute Idee. Er warf seinem Bruder das Buch zu, das an der Zimmertür gelegen hatte und stellte die volle Tüte auf dem Tisch ab.

Der Blonde schmiss das Buch auf sein Bett. Es blieb geöffnet liegen und schien sich von selbst auf eine bestimmte Seite zu blättern.

Irritiert schaute der Ältere auf das Buch, das jetzt, geöffnet, ganz ruhig auf seinem Bett lag. Er ging zu dem Buch und nahm es auf. Einen kurzen Blick auf die Seite werfend, wollte er es zuklappen und endlich was essen, als zwei Worte seine Aufmerksamkeit magisch auf sich zog.

Ernest Hanson

Wo hatte er den Namen schon mal gehört?

Schnell überflog er die Seite. Dann blätterte er ein paar Seiten zurück, setzte sich auf sein Bett und begann intensiv zu lesen. Vergessen waren Hunger und Essen.
 

Sam verfolgte dieses Schauspiel staunend. Das hatte er ja noch nie erlebt, dass sein Bruder Essen vergaß!

Wenige Minuten später ließ der Blonde das Buch sinken und starrte gedankenverloren ins Leere.

Der Jüngere stand auf und ging zu ihm. Sanft legte er ihm seine Hand auf den Arm.

„Dean?“ fragte er leicht besorgt. Nicht dass der sich doch noch in den Fängen dieser Sirene befand und gleich wieder, wie unter Hypnose, zu ihr rannte.

„Was?“, schreckte der Ältere auf und starrte Sam an.

„Was ist mit dir? Du willst nicht wieder ins Wasser gehen?“

„Nein, ich …“, brach der Blonde seinen Erklärungsversuch ab. Er wusste nicht, wie er ein Gefühl beschreiben sollte.

Sam nahm das ominöse Buch aus Deans Hand und begann nun ebenfalls darin zu lesen.

Ernest ist tot. Ich denke er hat sich seine Kündigung zu sehr zu Herzen genommen. Der Job war das Letzte, das ihm noch Halt gegeben hat und dann schickt dieser Jungmanager ihn auf die Straße nur weil er angeblich seine Quote nicht mehr brachte!

Diese Kündigung hatte ihn wohl zu sehr aufgewühlt. Er muss die rote Ampel übersehen haben. Und den Truck, der sich näherte. Die Polizei sagte er habe nicht viel gespürt. Hoffentlich! Und hoffentlich kann er jetzt in Frieden ruhen.

Komisch nur, dass seine letzte Lieferung fast nichts abbekommen hat, sein Auto war kaum noch als solches zu erkennen.

Ich werde sie hier behalten und damit auch die Erinnerung an ihn.

Auf Wiedersehen Ernest Hanson!
 

„Die Mikrowelle!“, platzte Dean plötzlich heraus und stand auf.

„Dean?“, fragte sein Bruder ratlos.

„Ernest Hanson war Handelvertreter. Er hat Mikrowellen verkauft, nehme ich an. Und seine letzte Lieferung, diese bestimmte Mikrowelle ist bei Eddison im Archiv gelandet. Sein Name steht auf einem kleinen Schild auf der Rückseite des Gerätes.“

„Und was hat das mit den Selbstmorden zu tun?“

„Geister entstehen doch durch einen gewaltsamen Tod.

Der Unfall!

Hanson war über seine Kündigung stinksauer und hätte dem Typen, der ihn gefeuert hat, bestimmt gerne mehr als nur die Meinung gegeigt. Er stirbt und sein Geist hält sich an der Mikrowelle fest. Ed hat sie im Archiv stehen und in Betrieb. Vielleicht kann der Geist übers Stromnetz im ganzen Haus sein Unwesen treiben.

„Ist aber ziemlich weit hergeholt“, überlegte Sam.

„Er rächt sich wahllos an den Mitarbeitern. Geister gehen nicht mehr rationell vor, das wissen wir.

Oder hast du eine bessere Idee?“

„Nein. Ich hab bei meinen Befragungen auch nichts Neues erfahren.“

„Dann sollten wir dem nachgehen“, sagte Dean und versuchte gar nicht erst, das triumphierende Grinsen aus seinem Gesicht zu verbannen.

Sam verdrehte die Augen, überging die Anspielung aber ohne weiteren Kommentar.

„Und wie hast du dir das vorgestellt?“, fragte er stattdessen.

„Du fährst noch mal hin, erzählst was von neuen Spuren, die du überprüfen müsstest, und zerstörst die Mikrowelle. Außerdem klären wir, ob Hanson beerdigt wurde und wenn ja, wo. Und dann kommt unser übliches Salzen und Verbrennen“, erklärte der Ältere während er zum Tisch ging, in der Tüte kramte und sich mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck über den ersten Burger hermachte.

„Okay, dann suche ich gleich mal, wo Hanson beerdigt wurde, und heute Nacht gehen wir buddeln.“

„Hmhm“, nuschelte der Blonde mit vollem Mund. „Vorher bringen wir die Bücher zurück.“
 

Fahles Mondlicht tauchte den Friedhof in ein gespenstisches Licht. Ein leichter Wind ließ die Äste eines alten Baumes gequält ächzen. Niemand würde freiwillig zwischen den Gräbern herumschleichen.

Und doch huschten zwei helle Lichtkegel über die Grabsteine.

Die Brüder hatten zwar den Ort von Hansons letzter Ruhestätte gefunden, jedoch keinen Hinweis darüber, wo genau der Mann begraben worden war.

Mit einem kurzen Blick trennten sie sich und begannen in unterschiedlichen Richtungen zu suchen.
 

Ein plötzlicher Windstoß drängte den Blonden nach rechts. Verwundert schaute er sich um.

Da war nichts, was diesen eisigen Schauer, der ihm über den Rücken rann, erklären konnte. Irritiert schüttelte er den Kopf und wollte in seiner ursprünglichen Richtung weitersuchen.

Wieder drängte ihn etwas nach rechts.

„Ed?“, fragte er, einer plötzlichen Eingebung folgend, in die Stille.

Sanft strich ihm der Wind über den Arm.

„Bist du das wirklich?“ Jetzt redete er schon mit dem Wind! So langsam sollte er sich mal untersuchen lassen. Er hatte es ständig nur mit dem Bösen zu tun und war vor ein paar Wochen von einer Zeitreise zurückgekommen. Das musste ja Spuren auf seiner Psyche hinterlassen.

Dean schnaufte gequält. Wenn er jemandem von seinem Leben erzählte, würde der ihn umgehend einweisen lassen.

Wieder strich der Wind beruhigend über seinen Arm.

Der Winchester seufzte leise. Er hatte Edison von ganzem Herzen Ruhe gewünscht. Er wollte seine Leiche nicht ausbuddeln und verbrennen müssen. Mal abgesehen davon, dass er noch nicht mal beerdigt worden war.

„Du weißt wo Hanson begraben wurde?“

Der Blonde erhielt einen leichten Stoß in den Rücken und lief los.

Unbeholfen stolperte er zwischen Grabreihen hindurch.

Endlich blieb er vor einem zugewucherten Grab stehen. Er entfernte die Blätter vom Stein.

„Danke“, flüsterte er in die Stille des Friedhofes und schaute sich nach Sam um.

Winchestersche Festroutine

104) Winschestersche Festroutine
 

Suchend wanderte Deans Blick über die Gräberreihen, doch er konnte Sam nirgends sehen. Schnell kramte er in seiner Hosentasche, um ihn anzurufen. Da war kein Handy.

„Verdammt!“, fluchte er. Das hatte er ja bei seinem Ausflug ins Wasser ersäuft. Er würde sich wohl ein neues kaufen müssen. Ob Sam die Karte noch retten konnte?

Grummelnd machte er sich auf den Weg. Gut, dass der Friedhof nicht so groß war. Als er den

Mittelgang erreicht hatte, sah er auch den Schein von Sams Taschenlampe.
 

„Ich hab ihn gefunden“, sagte er, als er ihn erreicht hatte.

Erschrocken fuhr Sam zusammen. „Schleich dich doch nicht so an!“, fauchte er.

„Ich hab mich nicht…“

„Schon gut, Dean. Wo liegt er?“, fragte der Jüngere leicht genervt. Wieso war er denn jetzt so schreckhaft und wieso hatte er Dean nicht kommen hören? Hatte die Zeit in El Paso ihn unvorsichtig werden lassen? Aber in Stanford hatte er doch auch nichts verlernt. Oder war Dean zum Indianer geworden?

Der Ältere verdrehte die Augen und deutete dann in die Richtung, in der das Grab lag.
 

Sie zogen einen Salzkreis um das Grab und begannen zu graben.

Schon bald kletterte Dean leise keuchend aus dem Loch. So gut er sich auch zu fühlen schien, sein Körper hatte seinen Ausflug ins Meer wohl doch noch nicht so ganz weggesteckt.

Sam musterte ihn besorgt, schaufelte dann aber umso verbissener weiter. Wenn er mit Dean geredet hätte, dann wäre der nicht hierher gekommen, und selbst wenn, wäre er wohl nicht in die Fänge der Nixe geraten. Also musste er jetzt eben versuchen einen Teil seiner Schuld so abzutragen.

‚Oh man, jetzt fange ich auch schon so an, wie Dean’, innerlich verdrehte er die Augen. Und doch fühlte er sich schuldig an Deans Bad.
 

„Ich mach weiter!“, erklärte der Blonde nach einer Weile und sprang wieder in das Grab. Der Jüngere nickte dankbar. Auch er war außer Atem.
 

Bald nachdem Dean wieder angefangen hatte zu graben, stieß er mit seinem Spaten auf einen dumpf klingenden Hohlraum. Ein paar gezielte Schläge später lagen die Knochen im bleichen Mondlicht vor ihnen. Schon fast hektisch verteilte Sam das Salz darüber.

„Hey“, motzte der Blonde, „kannst du mich vielleicht erstmal rauskommen lassen, oder willst du mich auch loswerden?“

„Nein, Dean! Aber verdammt, irgendetwas ist hier mit uns in dem Kreis. Vielleicht haben wir den Geist von diesem Hanson hier mit uns eingeschlossen?“

„Es ist nicht Hanson!“

„Woher willst du das wissen?“

„Ich weiß es einfach.“

„Dean!“, blaffte Sam genervt.

„Hanson hätte uns schon lange angegriffen“, erklärte der Blonde das Offensichtliche unwirsch.

„Und du weißt, wer es ist?“

„Vielleicht“, nuschelte er und kippte das Benzin über die Knochen. Schnell warf er ein Streichholzbriefchen hinterher und war dankbar dafür, dass das Fauchen der Flammen ihn für einen Augenblick jeder weiteren Frage Sams enthob.

Er hatte Angst davor, dass Ed jetzt ebenfalls als Geist hier sein Unwesen treiben könnte. Er wollte den Mann nicht verbrennen müssen.

Dean schüttelte über sich selbst den Kopf. Er hatte doch noch nie Probleme damit, eine Leiche zu verbrennen.

Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gedacht, war ihm auch klar, dass er keine Probleme damit hatte, Eds Leiche verbrennen zu müssen, sondern damit, sich Ed als bösartigen Geist vorzustellen.
 

Schweigend schaufelten die Brüder das Grab wieder zu.

Sam schulterte seine Schaufel und ging zum Hauptweg. Nach wenigen Schritten blieb er stehen und drehte sich um.Dean stand noch immer mit einem Bein im Kreis und blickte zum Grab.

„Danke Ed!“, er holte tief Luft. „Bitte sag mir, dass ich dich jetzt nicht auch noch verbrennen muss“, bat er mit trauriger Stimme.

Wieder strich etwas beruhigend über seinen Arm.

Der Blonde nickte, rammte seine Schaufel in den Boden und unterbrach so den Salzkreis.

Ein Leuchten erschien vor ihm im Kreis und er konnte in dem milden Licht einen Umriss erkennen, der ihn an Ed erinnerte.

„Leb wohl“, grüßte er leise und Licht und Umriss verschwanden in der Nacht.

Mit geringer Anstrengung zog der Winchester seine Schaufel aus dem Boden und ging zu Sam. Ein warmes Lächeln umspielte seine Lippen.

„Was war das?“, wollte der Jüngere.

„Eine optische Täuschung?“

„Klar, optische Täuschung!“

„Hmhm!“
 

Noch immer lächelnd ließ sich der blonde Winchester auf den Fahrersitz seines Wagens fallen. Ed würde nicht als Geist auf der Erde bleiben. Er war an einem besseren Ort.

Der Fall war abgeschlossen. Und wenn er jetzt noch mit Sam reden und sie ihre Probleme klären würden, dann wäre alles wieder, wie es sein sollte.

Schlagartig verzog sich sein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Reden. Er und Sam reden.

Das hatten sie noch nie gekonnt, wenn es um sie ging. Auch wenn sein kleiner Bruder öfter mal gewollt hatte, dass er einen Seelenstrip hinlegte, wenn er es wirklich getan hatte, dann hatte der Kleine nicht damit umgehen können und er wollte ihn mit seinem verqueren Innenleben auch nicht belasten.

Nein, er hatte seine Probleme schon immer alleine lösen müssen.

Aber er wusste auch, dass er diesmal wohl nicht ums Reden drum herum kommen würde.
 

„Du bist ja noch hässlicher als dein Kumpel vom Vorjahr“, grinste Dean den Tannenbaum an, der für das morgige Weihnachtsfest auf der Kommode, neben dem Fernseher stand, als er ihr Motelzimmer am späten Nachmittag des folgenden Tages schwer beladen betrat. Er schielte zu seinem Bruder, der in einem Topf rührte.

Kaum hatte Sam die Worte vernommen, drehte er sich auch schon wütend blickend um und holte tief Luft. Wusste Dean überhaupt, wie schwer es war hier und heute noch einen Baum zu bekommen?

„Aber ich mag dich, du passt zu uns “, schnitt er dem Jüngeren grinsend jede Erwiderung ab. Er legte eine seiner Tüten neben den Baum und ging mit dem Rest in die Küche um den Kühlschrank zu füttern.

Eine weiße Styroporschachtel nach der anderen fand ihren Weg in die Kälte.

„Willst du eine Horde Vielfraße verköstigen?“, fragte Sam.

„Nee, das ist unser Festmahl für morgen.“

„Was hast du denn alles gekauft?“, wollte der Jüngere wissen und griff nach einer Schachtel.

„Finger weg, das ist eine Überraschung!“ Dean schlug seinem Bruder auf den Arm.

„Ey, ich will ja nur wissen, ob da auch ein bisschen was Gesundes dabei ist, oder ob du nur an dich gedacht und jede Menge Burger eingekauft hast!?!“

„Als ob ich dich je hätte hungern lassen!“, der Blonde war angesäuert.

„Nein, aber trotzdem …“

„Das wirst du morgen schon erfahren. Heute hab ich das für dich!“, sagte er und drückte Sam eine Packung Salat in die Hand.

„Da! Und jetzt sei ruhig und iss deinen Keks!“

Der Jüngere zog den Topf vom Herd und ging zu dem kleinen Tisch. Bedächtig aß er seinen Salat und beobachtete Dean, der den Kühlschrank weiter fütterte und dann mit zwei Papiertüten und einem Teller zu ihm an den Tisch kam. Er schaute zu, wie der Blonde die Tüte aufriss und den Burger auf den Teller schob, die Tüte zusammen knüllte und lässig Richtung Papierkorb warf.

‚Er hätte Basketballspieler werden sollen’, überlegte Sam. Der Wurf war perfekt.
 

Eine Weile herrschte gefräßiges Schweigen. Zumindest im Raum.

In Sams Kopf tobte ein Sturm aus Gedanken. Den ganzen Tag über hatte er versucht, sich die Worte für seine Entschuldigung zurecht zu legen, hatte versucht, eine Erklärung für sein Verhalten zu finden.

Er wollte die Schuld nicht nur auf den Trickster schieben. Immerhin hatte er sich von seinen Gefühlen leiten und von Eloise einlullen lassen. Nicht einmal hatte er rationell über seine Situation nachgedacht, denn dann hätte er zu dem Schluss kommen müssen, dass er mit Dean hätte reden müssen. Aber er hatte sich in seinem Wohlfühlkokon eingeigelt und jeden bekämpft, der diese Blase hätte zerstören können.

‚Mein Gott, wie sehr muss ich Dean damit verletzt haben? Er würde sich immer wieder für mich opfern und ich stoße ihm einen Löffel in die Brust und drehe den auch noch.’ Am liebsten würde er sich selbst verprügeln für soviel Unsensibilität. Er hatte den Schmerz in Deans Augen gesehen, wenn er ihm wieder eine Abfuhr erteilt hatte, und er wusste, wie sehr Dean unter seinen Reaktionen gelitten haben musste. Sein Bruder war nun mal ein Familienmensch.

„Dean, ich … es…“, begann er stotternd mit seiner Erklärung.

Langsam und noch immer kauend hob der Blonde seinen Kopf und Sam konnte in dessen Blick soviel Zuneigung und Verständnis lesen, dass er unweigerlich schlucken musste.

„Aber warum?“, fragte er fast tonlos.

„Ich bin der Nixe sehenden Auges in die Fänge gerannt, und ich bin gewillt dein Verhalten auf den Trickster zu schieben.“

„Trotzdem hätte ich mit dir reden müssen!“

„Wahrscheinlich hättest du das müssen, ja. Aber es ist vorbei. Vergiss es einfach und lass uns wie gewohnt weitermachen.“

„Aber warum Dean. Ich meine, ich…“

„Du bist hier, Sammy und du hast mir den Arsch gerettet!“

„Und wenn ich gleich bei Bobby mit dir geredet hätte, wärst du gar nicht erst in die Fänge dieser Nixe gekommen.“

„Dann wäre es ein Anderer gewesen und die Selbstmorde wären auch weiter gegangen.“

Der Jüngere holte tief Luft und nickte. Es war sinnlos, mit Dean zu reden. Sein Bruder hatte ihm mal wieder schon lange alles vergeben und wie üblich die Schuld bei sich gesucht. Wann würde das endlich aufhören?

Sam berichtete kurz, wie er die Mikrowelle ins Jenseits befördert und was er den restlichen Tag über gemacht hatte.

Dean hörte kauend zu. Hin und wieder huschte ein Lächeln über sein Gesicht, war er doch mal wieder um ein ausschweifendes Gespräch drumrum gekommen. Sie waren wieder zusammen und die Welt um zwei Missgeburten ärmer.
 

„Was hältst du jetzt von Eierpunsch und einem Spiel im Fernsehen?“, wollte der Jüngere wissen, nachdem er geendet hatte und Dean wohl nichts von seinem Tag erzählen wollte.

„Das soll wohl unsere Weihnachtstradition werden?“

„Dann hätten wir auch endlich mal was ganz Normales.“

Dean grinste. Er brachte ihr Geschirr in die Küche und zwei Gläser des heißen Getränks mit zurück.

Sam hatte den Fernseher eingeschaltet und nahm sein Glas entgegen.

Bevor Dean sich setzte griff er noch nach der Tüte, die er unter den Baum gelegt hatte und gab sie Sam.

„Frohe Weihnachten, kleiner Bruder.“

Überrascht blickte der Jüngere in die Tüte und holte einen Cowboyhut daraus hervor. Fragend schaute er zu Dean.

„Deiner sah dämlich aus“, kommentierte der den Blick.

Sams Lächeln fiel etwas schief aus. Er fischte das kleine Päckchen aus dem Hut und setzte ihn auf.

„Schon besser“, grinste der Blonde, prostete Sam zu und trank einen Schluck, während der das Päckchen auspackte. Heraus kam ein mp3-Player mit Kopfhörern.

„Nicht, dass du mir irgendwann ´nen Soldaten in meinen Kassettenspieler stopfst“, grinste Dean breit.

„Hab ein paar Lieder draufgespielt.“

„Danke Dean!“ Auch Sam holte ein kleines Päckchen hervor und reichte es seinem Bruder.

„Deine alte Karte ist drin“, sagte er als Dean sein neues Handy begutachtete und sich durch das Menü klickte.

„GPS?“, wollte der Blonde verwundert wissen.

„Ja, falls du mal wieder wegrennst, kann ich dich leichter finden.“

„Bei dir ist die Gefahr größer.“

„Ich hab auch mir auch eins geholt. Wenn du mir dein Passwort gibst, spiel ich dir die Software morgen auf deinen Laptop.“

„I3M8P5A0L2A0, das weißt du doch schon.“

Der ertappte Blick Sams sprach Bände.

Dean grinste nur weiter und nahm noch einen Schluck Eierpunsch.

Kaputtes Bett mit Folgen

05) Kaputtes Bett mit Folgen
 

Selbst Sam fiel das Aufwachen heute etwas schwerer, was nicht unbedingt an dem Eierpunsch lag, dem sie Beide gestern Abend noch gut zugesprochen hatten. Weder Dean noch er waren wirklich betrunken gewesen, als sie in ihre Betten gekrochen waren.

Der Fall war gelöst und sie hatten keinen neuen. Außerdem war heute Weihnachten. Warum also nicht ausschlafen?

Vorsichtig blinzelte Sam zum Bett seines Bruders. Der lag kaum sichtbar unter seinen Decken. Nur das leichte Heben und Senken eben dieser Decken zeigte Sam, dass alles gut war. Bei der Erinnerung an Deans voller Inbrunst hervorgebrachtes „Ausschlafen“, als der sich hatte ins Bett fallen lassen, huschte ein Lächeln über sein Gesicht.

Und genau das würde er jetzt auch noch tun. Dean würde nie erfahren, dass er nach zehn noch im Bett lag und selbst wenn.
 

Ein paar Stunden Später blinzelte der Jüngere erneut zu seinem Bruder hinüber. Diesmal war wesentlich mehr von ihm zu sehen, wach war er allerdings noch immer nicht.

Sam stand auf. Er kochte Kaffee, ging duschen und untersuchte dann, womit Dean die nächste Hungersnot zu bekämpfen gedachte.

Das war ja ein regelrechtes Festmahl, das er da in den Schachteln entdeckte.

Rinderbraten mit Orangenmarmelade, Süßkartoffelbrei, Kürbiskuchen, Möhren mit Ahornsirup, Weihnachtseiscreme, Muffins, Cocktail Frikadellen, Cranberry-Soße.

Wann sollten sie das denn alles essen?

Jetzt würde er erstmal die GPS-Software auf Deans Laptop spielen. Dabei konnte er auch gleich seinen neuen mp3-Player ausprobieren.
 

Fast jedes neue Lied brachte ihn dazu, einen Blick auf seinen schlafenden Bruder zu werfen, hatte der doch fast alle seine Lieblingslieder auf das kleine Gerät gespielt. Woher wusste der das?

Sam schluckte. Er klappte Deans Laptop zu, holte sich seinen Rechner und Deans altes Handy und begann einen weiteren Versuch, die Daten, die sich noch auf dem Telefon befanden zu retten. Das hatte sich sein Großer jetzt mehr als verdient!
 

In aller Ruhe deckte Sam den Tisch. Es war inzwischen früher Nachmittag und er hatte fast alle Daten wiederherstellen und auf das neue Telefon überspielen können. Den Rest hatte er sich aus dem Internet besorgt.

So langsam machte er sich Sorgen um seinen Bruder. Wie lange konnte der denn schlafen? Hatte Dean keinen Hunger?

Der Geruch nach Essen breitete sich im Raum aus und jetzt begann sich auch der Blonde zu regen. Verschlafen stemmte er sich in die Höhe, hob noch einmal schnuppernd seine Nase und tapste dann mit geschlossenen Augen ins Bad.

Dieses Schauspiel fand Sam immer wieder auf´s Neue erheiternd. Irgendwann sollte er es mal filmen.
 

„Was hast du heute noch vor?“, fragte der Jüngere als sie sich die Köstlichkeiten schmecken ließen.

„Faulenzen. Haben wir schon ewig nicht mehr.“

„Du kannst doch nicht den ganzen Tag verschlafen wollen?“

„Warum nicht? Wir wollen morgen früh zu Bobby!“

„Und du willst durchfahren?!?“

„Warum nicht? Wir müssen nur noch deinen Mietwagen zurückbringen.“

„Die machen erst ab 10 Uhr auf.“

„Das schaffen wir. Ich wollte eh vorher noch zu Eds Wohnung. Ich will wissen, ob die Katzen raus sind.“
 

Inzwischen waren sie unterwegs zu Bobby, in der Nähe von Cape Girardeau, ungefähr zwei Stunden vor St. Louis. Aus den Lautsprechern kam relativ leise „Led Zepplin“.

„Wärst du gerne geblieben?“, fragte Sam und schaute von seinem Laptop auf. Müde rieb er sich über die Augen. Wie Dean so lange und ohne Unterbrechungen fahren konnte, würde ihm wohl immer ein Rätsel bleiben.

„Wo, in Naples? Bestimmt nicht!“, Dean blickte seinen Bruder gespielt irritiert an.

„Du weißt genau, was ich meine!“

„Du warst glücklich da.“

„Ich habe gefragt, ob DU da bleiben wolltest! Du sollst nicht immer alles von mir abhängig machen!“, Sam verdrehte genervt die Augen.

„Du bist mein kleiner Bruder! Ich werde mich immer danach richten, was für dich das Beste ist!“

„Dean!“, wie sehr er doch seinen Gluckenbruder-Dean hasste. Aber er wusste auch, dass der einfach nicht anders konnte. Viel zu sehr hatte sich dieses Verhaltensmuster bei ihm eingeprägt. Warum nur?

Das konnte doch nicht nur Dads Erziehung sein, oder? Ob Dean je aus dieser Schiene herauskommen würde?

„Was spielt das jetzt noch für eine Rolle? Wir sind zurück. Warum also diese Frage?“

„Einfach weil ich es wissen will. Bitte, Dean! Wärst du gerne geblieben?“

Der Blonde holte tief Luft. Sein Blick blieb starr auf die Straße gerichtet als er antwortete: „Wenn du du gewesen wärst, warum nicht. Du hattest dein Jura und mir hat die Arbeit draußen mit den Rindviechern Spaß gemacht. Vielleicht hätte ich auch hin und wieder mit Amos losziehen und jagen können. Es war friedlich da.“

„Und dann hättest du irgendwann Bethanny geheiratet“, grinste der Jüngere.

Deans Kopf ruckte abrupt zu Sam. Unglauben war in seinen Augen zu lesen.

„Die Kleine stand auf dich.“

„Ich bin zwanzig Jahre älter als sie!“
 

„Jetzt nicht mehr“, feixte der Jüngere.

„Jetzt ist sie auch tot!“

„Damals waren zwanzig Jahre kein Hinderungsgrund und sie schien wirklich zu bekommen, was sie wollte. Sie hat in den letzten Wochen überall verkündet wie sehr sie dich mag und dass sie dich heiraten würde.“

„Wir haben euch befreit. Das waren kindliche Schwärmereien, mehr nicht! Außerdem war Carren viel eher mein Fall.“ Der Blonde schüttelte den Kopf bei dem Gedanken daran, dass er die Kleine hätte heiraten können. Heiraten, Familie, nein, das war in seinem Leben nicht vorgesehen.
 

„Carren war aber nicht standesgemäß.“

„Was meinst du wie egal mir das gewesen wäre.“

„Du hättest also kein Problem damit gehabt vor 150 Jahren zu leben?“

„Nein, ich denke nicht. Obwohl ich mein Baby vermisst habe!“, zärtlich strich er über das Armaturenbrett.

„Und irgendwie vermisse ich jetzt den Hengst“, fügte er kaum hörbar hinzu.
 

„Dean, willst du nicht doch ´ne Pause machen?“, fragte der Jüngere besorgt.

„Bis zu Bobby halte ich schon noch durch“, antwortete der und unterdrückte ein Gähnen. Sie hatten gerade getankt und sich mit Kaffee eingedeckt.

Unbewusst massierte sich der Ältere seinen schmerzenden Nacken. Kurz versuchte er dann noch erfolglos die verspannten Muskeln seiner Schultern zu lockern.

Für ihn stand völlig außer Frage, Sam hinter das Lenkrad zu lassen. Wäre ja noch schöner, wenn er sich durch die Gegend kutschieren lassen würde. Noch war er fahrtüchtig.

Wenige Minuten später hatten sie schon wieder den Asphalt unter den Rädern.
 

Leise seufzend setzte Dean den Blinker zu Bobbys Schrottplatz.

Das Rumpeln der Räder, als sie über den unebenen Untergrund rollten war wie Musik in seinen Ohren, es war fast wie nach Hause kommen. Ein zu Hause für sich und alle die er liebte.

Schnell schaltete er den Motor aus,und stemmte sich aus seinem Sitz. Seine Muskeln protestierten schmerzhaft.
 

Bobby war, kaum dass er den Impala gehört hatte, zur Tür gelaufen. Die Jungs waren wieder da!

Mit stoischer Ruhe wartete er auf der Veranda auf sie.

„Ich dachte schon, ihr kommt heute nicht mehr.“

„Davon hätte uns nur eine Armee Geister mitten auf der Straße abhalten können, oder du wärst vollkommen eingeschneit!“, grinste der Blonde und ließ sich von Bobby in eine feste Umarmung ziehen.

'Wäre das schön, wenn Bobby unser Vater wäre!' Dean blinzelte verwirrt. Hatte er das jetzt wirklich gedacht? Er gehörte eindeutig ins Bett.

„Wie geht’s dir, Junge?“, wollte der Ältere leicht besorgt wissen.

„Ich bin okay. Sammy hat mir den Arsch gerettet“, gab der Blonde zu. „Diesmal wäre es ohne ihn wirklich in die Hosen gegangen. Aber bilde dir nicht zuviel drauf ein, kleiner Bruder!“

Habt ihr noch Hunger oder wollt ihr euch gleich hinlegen?“, fragte der Hausherr.
 

„Ich würde gerne noch duschen“, sagte Sam und Bobby nickte.

Die Brüder gingen nach oben und Dean verzog sich in sein Zimmer.

Der alte Jäger war froh seine Jungs wieder im Haus zu haben.
 

Sam genoss seinen Aufenthalt in dem neuen Bad noch etwas länger als eigentlich üblich. Hier roch es noch immer so wundervoll neu und die Rohre gaben keine komischen Geräusche mehr von sich. Aber das Schönste daran war: Er hatte mitgeholfen, dieses Zimmer so herzurichten.

Es war ein wirklich tolles Gefühl, länger etwas von seiner Arbeit zu sehen.

Er gähnte. Schnell machte er sich fertig und ging nun ebenfalls, einen kurzen Blick zu Dean werfend, in sein Zimmer.
 

Dean schlief schon fast, als es plötzlich im Nebenzimmer krachte. Sofort war er aus dem Bett. Mit dem Messer in der Hand stürmte er in Sams Zimmer.

„Was?“, fragte er verwirrt.

Der Jüngere wühlte sich aus seinen Decken, schaute sich verdattert um und danach fragend zu seinem Bruder. Er musste lachen. Der Blonde stand, den Dolch einsatzbereit vor sich in der Faust, in der Tür und schaute sich hektisch suchend nach einem Gegner um.

Bobby war inzwischen ebenfalls zu ihnen gestoßen und stimmte in Sams Gelächter mit ein.

Dean ließ den Dolch sinken, schaute noch einmal zu Bobby und musste dann ebenfalls lachen.

Sam war mit seinem Bett zusammengebrochen.

„Geh rüber, du kannst in meinem Bett schlafen“, wandte sich Dean an seinen Bruder, als er halbwegs wieder zu Luft gekommen war.

„Aber da schläfst du doch.“

„Ich kann auf der Couch schlafen.“

„Dean ...“

„Geh ins Bett Sam!“, bestimmte er, ganz großer Bruder.

Der Jüngere nickte und schlappte in Deans Zimmer. Noch nie hatte Sam einen Widerspruch gewagt, wenn Dean diesen Ton anschlug.
 

Bobby hatte sich grinsend in sein Schlafzimmer zurückgezogen. Er sollte wohl morgen mal nach neuen Möbeln Ausschau halten. Die waren alle nicht mehr besonders gut und eigentlich war es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die anderen auseinanderfielen.

Bislang hatte ihn das kaum gestört, doch seit er das neue Bad hatte, musste er öfter darüber nachdenken. Vielleicht konnten sie ja in den nächsten Tagen ein bisschen was machen. Dann wären die Jungs hier und Dean hätte eine Chance sich ein normales Leben anzuschauen. Obwohl Renovieren ja eigentlich kein normales Leben, sondern eher eine Ausnahmesituation war. Aber er würde wieder mal etwas anderes sehen, als die oft genug schäbigen Motelzimmer, in denen sie immer nächtigten.
 

Dean besah sich unterdessen den Schaden, den sein Lulatsch angerichtet hatte und schob dann kurzerhand die Rahmenteile zur Seite und wühlte sich auf der Matratze unter die Decken. Er war zu müde um noch darüber nachzudenken, wo er schlief. Er wollte es einfach nur noch tun.
 

Der Jüngere kuschelte sich in das, noch von Dean, warme Bett. Er hörte seinen Bruder im Nachbarzimmer rumoren, dann kehrte Stille ein.

Er drehte sich auf die Seite und starrte aus dem Fenster in die sternenlose Nacht.

Wieso schaffte es Dean immer wieder, dass er sich wie ein kleiner Junge fühlte und tat was sein Bruder ihm sagte? Er war erwachsen verdammt! Er hatte drei Jahre Uni hinter sich und als Dean hier flach gelegen hatte, war er derjenige, der sich um ihn gekümmert hatte und doch waren sie, kaum das Dean wieder auf den Beinen war, fast sofort in ihre alten Rollen zurückgerutscht. Dean der große Bruder und er der Kleine, der beschützt werden musste, obwohl er seinem Bruder bei seinem letzten Abenteuer ja auch das Leben gerettet hatte. Zweimal um genau zu sein.

Was hatte Dad nur mit seinem ältesten Sohn angestellt, dass der noch immer alles Mögliche auf sich nahm, um ihn zu schützen und dafür zu sorgen, dass es ihm gut ging? Das taten doch nur Eltern, oder sie sollten es tun. Aber Dean?

Dean wäre sogar für ihn in die Hölle gegangen.

Tränen drängten sich in seine Augen. Er schniefte und kniff die Augen zu. Er wollte nicht weinen, er wollte nicht, dass Dean sich für ihn opferte und er wusste nicht, wie er ihm das begreiflich machen sollte.

Warum nur? Warum stellte Dean ihn immer noch über sein eigenes Wohl?

Fest an Deans Quilt gekuschelt schlief er über seinen Grübeleien ein.

Fallende Decken

106) Fallende Decken
 

„Konntest du nicht schlafen?“, wollte Bobby wissen, als er in die Küche kam und zu seiner Verwunderung einen Dean am Tisch sitzen sah, der die erste Tasse Kaffee schon vor sich stehen hatte.

„Doch. Hab schon schlechter geschlafen.

Bobby riss die Augen auf. Der Blonde war sogar schon so wach, dass er antwortete. Das war nicht normal.

„Wie lange bist du schon wach?“, fragte er deshalb.

„Eine Weile“, kam es einsilbiger zurück.

Der Ältere begann Frühstück zu machen. Dean deckte den Tisch und ließ sich dann wieder auf seinem Stuhl nieder und rührte sich nur noch, wenn er die Kaffeetasse an den Mund führte.

Bobby lächelte. Das war schon eher sein Dean. Sein Dean? Hatte er eben wirklich SEIN Dean gedacht?

Er würde sich glücklich schätzen, wenn das wirklich seine Jungs wären. John hatte solche guten Söhne eigentlich nicht verdient!

Wieviel Grundlage hatte Mary gelegt, dass Dean nicht auf die schiefe Bahn geraten war und wie fest hatte ihn die Liebe zu Sam an seinen kleinen Bruder gekettet? Sehr fest, wenn er bedachte, was Dean breit war, für seinen kleinen Bruder zu tun.

Bobby hatte einen Kloß im Hals. Die Jungs hatten ein Zuhause verdient! Er nahm sich vor, die Beiden gleich zum Frühstück zu fragen, ob sie nicht öfter herkommen, oder vielleicht sogar hier eine Art Zuhause haben wollten. Dafür musste er dann aber wirklich neue Möbel besorgen.
 

Sam kam in die Küche und ließ sich auf seinem Stuhl nieder. „Morgen“, nuschelte er müde und nahm dankbar lächelnd die Tasse Kaffee entgegen, die Bobby ihm hinhielt. Dean leerte inzwischen seine zweite Tasse und sah sich jetzt in der Lage an einem eventuellen Gespräch teilzunehmen.

Aber noch gab es keins.
 

„Ich will nachher los, und nach ein paar neuen Möbeln schaun. Ich dachte mir, wenn ihr Lust habt…“ begann Bobby zögernd. Er kaute schon die ganze Zeit mehr auf diesem Problem als auf seinem Frühstück herum. Wie sollte er beginnen und den Jungs den Vorschlag machen hier sozusagen einzuziehen?

„Was hältst du davon, wenn wir vorher renovieren? Der Wasserfleck in Sammys Zimmer ist schon so lange da, wie ich dich kenne und dein Schlafzimmer könnte auch etwas Farbe vertragen. Außerdem kommt da inzwischen an einigen Ecken die Tapete runter“, stellte der Blonde ruhig fest.

Bobby schnappte nach Luft wie ein Karpfen auf dem Trockenen und Sam starrte seinen Bruder mit großen Augen an.

„Du willst da oben renovieren?“, fragte der Hausherr, nachdem er sich davon erholt hatte, dass Dean den Vorschlag gemacht und seiner Idee quasi zugestimmt hatte, bevor er sie aussprechen konnte, und er den freudigen Schrecken mit einer Tasse Kaffee herunter gespült hatte.

„Hast du davon überhaupt Ahnung?“, platzte Sam heraus.

„Ich kann´s ja versuchen“, knütterte Dean.

„Und wie hast du dir das gedacht?“, hakte Bobby eine ganze Weile später nach.

„Du sortierst aus, was du behalten willst, und Sam und ich schleppen runter, was weg soll. Dann können wir irgendwann ein hübsches Freudenfeuer machen. An Silvester oder so.“

„Du denkst auch nur ans verbrennen, alter Brandstifter!“, nahm Sam das jetzt einfach mal hin. Bobby würde ja wohl nicht so blauäugig sein und Dean bei solchen Dingen vertrauen. Obwohl, bei den Rohren und dem Bad hatte er das ja auch, und so schlecht hatte sich sein Bruder gar nicht angestellt. Bis er verschwunden war.

„Dann ist dein Zimmer aber auch mit dran!“, dem Älteren gefiel die Idee.

„Meins ist doch noch gut!“

„Also wenn dann alle!“, platze Sam heraus. Er wollte einfach nicht mehr bevorzugt behandelt werden.

„Du willst oben komplett renovieren?“, fragte Dean verwundert.

„Aber ich…“, stotterte der Jüngere. So hatte er sich das nicht gedacht.

„Nötig hätten es alle Zimmer“, überlegte der Blonde.

„Und wie lange soll das dauern?“, maulte Sam.

„Du bekommst Internetverbot und dann geht es doppelt so schnell!“

Bobby grinste breit. So liebte er seine Jungs. Er legte seinen Kopf schief und nahm sich die Zeit seinen Kaffee auszutrinken bevor er antwortete: „Dann los, Jungs.“

Die Brüder schauten sich verwundert an. Sie hätten beide nicht geglaubt, dass ihr Freund darauf einging, aber gut. Dann los. Sie räumten den Tisch ab und brachten ihre Sachen in den Impala. Bobby würde für seine Sachen den Rest seines Hauses brauchen.
 

„Das kann alles weg“, erklärte Bobby den Jungs ein paar Stunden später und ging wieder in sein Schlafzimmer um wortwörtlich die Koffer zu packen.

Immer wieder verschwand er im Keller und die Brüder warfen sich nicht nur einen fragenden Blick zu.

„Ihr könnt euch im Wohnzimmer einrichten“, erklärte der Ältere, als ihm die Brüder mit den Matratzen beladen entgegen kamen.

„Und wo willst du dann schlafen?“, fragte Dean regelrecht bestürzt. Das kam ja nun mal gar nicht in Frage, dass Bobby irgendwo kampierte und sie sich im Wohnzimmer rumfläzten.

„Kommt mit, ich zeig es euch.“

Er wartete, bis die Beiden ihre Schlafgelegenheiten losgeworden waren und ging voraus in den Keller.

An der hinteren Wand war eine rostige Eisentür, die er jetzt öffnete. Dahinter kam ein großer Raum zum Vorschein. Die Wände waren komplett mit Eisen verkleidet.

„Was ist das?“, fragte Dean staunend.

„Mein Panikraum. Wenn ich mal irgendwelchen übernatürlichen Besuch kriegen sollte. Die Wände sind aus Eisen. Er hat eine autarke Lüftung und Wasserversorgung. Alles ist mit Dämonenfallen gesichert.

Hier kommt keiner rein.“

„Du hast einen eigenen Panikraum? Das ist ja irre!“, strahlte Dean übers ganze Gesicht. „Hast du den schon mal gebraucht?“

„Zum Glück noch nicht. Aber man kann ja nie wissen.“

„Wahnsinn!“, kam es anerkennend vom Blonden und seine Augen leuchteten als er den Raum langsam und ausgiebig in Augenschein nahm.

Auch Sam hatte ein breites Grinsen im Gesicht stehen. Bobby hatte wirklich an alles gedacht.

„Wann hast du den denn gebaut?“, wollte der Jüngere wissen.

„Hatte ein freies Wochenende“, erwiderte der Hausherr.

Schon wieder grinsten die Brüder.

„Ich bin oben soweit und wollte Mittag machen“, sagte Bobby, „wenn ihr hier mit bewundern fertig seid, könnt ihr rauf kommen.“

„Was willst du von deinem Schlafzimmer behalten? Wir haben oben sonst alles raus“, hielt Sam ihn auf.

Sein Bruder war noch ganz in der Bewunderung von Bobbys Genialität versunken.

„Kann alles weg. Ist wirklich an der Zeit mal neu anzufangen.“

Sam nickte und nachdem er seinen Bruder aus dem Keller bekommen hatte, waren sie auch schnell mit dem Ausräumen fertig.

„Geh schon mal runter, ich nehm noch die Lampe ab“, erklärte Dean und kletterte auf die Leiter.

Er setzte den Schraubenzieher an und kniff murrend die Augen zusammen.

Holzstaub rieselte herab.

Der Blonde stocherte mit dem Schraubenzieher ein wenig an der Decke herum und erstarrte erschrocken, als sich ein Brett löste und zu Boden polterte. Mit einem unschönen Knirschen sackte die Decke an einer Seite nach unten und Dean sah zu, dass er von der Leiter und aus dem Zimmer kam. So schlimm hatte die Decke im Bad nicht ausgesehen.

Sowie er die Tür hinter sich zuschlug, polterte es laut, und Sam und Bobby kamen aus der Küche gestürzt.

„Brichst du gleich ganz ab?“, wollte Bobby wissen.

„Was hast du denn jetzt schon wieder angestellt? Du wolltest doch nur die Lampe abnehmen“, schimpfte Sam und der Blonde starrte verlegen zu Boden. Er wollte die Tür öffnen, aber mehr als einen Spaltbreit schaffte er es nicht. Immer wieder rammte er seine Schulter gegen das Türblatt und endlich hatte er es soweit geschafft, dass er ins Zimmer schlüpfen konnte.

Eine Weile rumorte es im Schlafzimmer und dann öffnete Dean hustend und würgend die Tür.

Es dauerte eine ganze Zeit, bis er sich soweit beruhig hatte, dass er wieder sprechen konnte.

„Da haben die Holzwürmer ganze Arbeit geleistet. Ich hoffe nur, dass die Balken nicht auch noch zerfressen sind“, krächzte er, immer wieder vom Husten unterbrochen.

Bobby nickte nur.

„Und warum musst du deshalb gleich die ganze Decke runter holen. Da hätte man doch bestimmt auch was anders gegen die Holzwürmer machen können!“, erklärte Sam vorwurfsvoll.

„Klar. Kannst ja ein Rudel Spechte einziehen lassen, aber ich bezweifle das Bobby dann hier noch schlafen will!“

Der Jüngere blickte seinen Bruder finster an.

„Da ist nichts mehr zu machen. Sei froh, dass die Decke nicht runtergekommen ist, als du drunter gelegen hast.“ Dean zuckte mit den Schultern, suchte aber trotzdem eine Bestätigung in Bobbys Augen.

Es war sein Haus, das er da demoliert hatte.

„Kommt erstmal essen, dann sehen wir weiter“, sagte Bobby ruhig.
 

Nachdem Dean sein Essen regelrecht runtergeschlungen hatte, seine Befürchtungen ließen ihm keine Ruhe, konnte er Entwarnung geben. Die Deckenbalken waren imprägniert, da hatte kein Holzwurm seine Zähne hineingeschlagen. Und so entschieden Bobby und Dean spontan, die Decken komplett herunter zu reißen und Gipskartonplatten drunter zu schrauben. Wenn die Holzwürmer in einer Decke saßen, würden sie wohl auch in den anderen ein Festmahl halten.

Sam starrte ungläubig von einem zum anderen und verstand größtenteils nur Bahnhof. Woher kannte sein Bruder all diese Fachausdrücke und woher kannte der sich überhaupt so gut mit sowas aus? Sie hatten doch immer nur in Motelzimmern gelebt und nie eine Renovierung mitgemacht.

„Woher weißt du das alles?“, platzte er also heraus, kaum dass die beiden Fachmänner einmal gleichzeitig schwiegen.

„Was meinst du wohl, was ich gemacht habe, als du an der Uni warst und Partys gefeiert hast?“

„Zu Hause rumgesessen, ferngesehen und gewartet, dass Dad dich brauchte“, antwortete Sam schnippisch.

Dean schüttelte nur den Kopf. Er hing die Tür aus und griff sich den ersten Stapel Holz, um ihn nach unten zu tragen. Bobby folgte ihm wortlos mit dem nächsten Stapel, und da sich Sam etwas blöd vorkam, hier alleine noch länger rumzustehen, folgte er.
 

Dean genoss das warme Prasseln auf seinem Körper. Aber er spürte auch, dass das Wasser kälter wurde und er sich beeilen musste, wenn er nicht ganz im Kalten stehen wollte.

Bobby hatte sich schon vor einer Weile zurückgezogen und Sam hatte er auch ins Bett geschickt, als nur noch eine Ecke in Bobbys Schlafzimmer von Tapete zu befreien war. Sie konnten schließlich nicht zu zweit da stehen. Dafür war einfach kein Platz.

Jetzt fühlte er sich nur noch hundemüde und zufrieden. Er hatte ganz vergessen, wie viel Spaß solche Arbeiten machen konnte.

Schon halb schlafend kroch er unter seine Decken.

„Dean?“

„Hm?“, brummelte der Ältere.

„Woher kannst du das alles?“, musste der Jüngere seine Frage unbedingt noch einmal loswerden.

Vielleicht war sein Bruder ja jetzt zu einer Antwort bereit.

Allerdings war das Einzige, das er zu hören bekam, Deans gleichmäßige Atemzüge. Er musste wohl oder übel bis morgen warten.
 

Sie wurden vom feinen Aroma des Kaffees geweckt und mit einem herzhaften Frühstück begrüßt.

Dean bekam, wie üblich kein Wort heraus, aber das war eigentlich auch nicht nötig. Jeder wusste, was zu tun war und verschwand in einem der oberen Zimmer, um dort die Tapeten von den Wänden zu reißen. Sam verschob seine Frage auf später.
 

Im Flur trafen sie wieder aufeinander. Bobby ging in die Küche, um, angetan mit einer schicken weißen Kochschürze, die allen deutlich verkündete, dass ein „Chefkoch“ an Herd stand, das Essen zuzubereiten.

Der Jüngere ergriff seine Chance und stellte endlich die Frage, die ihm schon so lange unter den Nägeln brannte: „Dean, woher kannst du das alles?“

„Wenn … Dad mich nicht für irgendeine Jagd brauchte und ich auch keinen eigenen Job hatte, hab ich bei `nem Bauunternehmen gearbeitet. Wohnraumsanierung und Neubau. Und du wirst es nicht glauben, es hat sogar Spaß gemacht!“

Sam staunte. Sein Bruder hatte immer noch verborgene Talente, von denen er nichts wusste. Nach so langer Zeit, in der sie aufeinander hockten, hatte er eigentlich angenommen, Dean in- und auswendig zu kennen.
 

Nach dem Essen wollten Dean und Bobby zum Baumarkt fahren und das Material für die Decken und neue Fenster kaufen.

„Jetzt willst du es aber wirklich wissen“, hatte Dean den Vorschlag kommentiert.

„Das Fenster im Bad ist auch neu, also!“

Sam sollte derweil schon mal die Türen von der alten Farbe befreien.
 

Fluchend warf der Jüngere den Holzklotz samt Schleifpapier gegen eine Wand, als er den Pickup kommen hörte.

Er war noch immer mit der ersten Seite der ersten Tür beschäftigt. Sein Rücken schmerzte, seine Hände fühlten sich verkrampft an und er hatte mehr als einen Splitter im Finger.

Wütend stapfte er nach unten.

„Den Scheiß kannst du alleine machen!“, pflaumte er den Blonden auch sofort an.

„Kann ich machen, Sammy. Wenn du die Platten unter die Decke schraubst.“

„So schwer kann da ja wohl nicht sein!“

„Schrauben nicht, nein. Die Platte am Stück lassen, schon eher“, grinste Dean.

„Fass erstmal mit an. Das Zeug muss hoch. Alles in die kleine …“, Bobby stockte. In die kleine Rumpelkammer, hatte er sagen wollen, doch da schliff Sam ja an den Türen.

„Alles in mein Zimmer“, vollendete der ältere Winchester den Satz.

„Wer hat Dean hier eigentlich zum Boss bestimmt?“, knütterte Sam und warf seinem Bruder einen bösen Blick zu.

„Wir haben dir auch was mitgebracht, womit du die Farbe wesentlich besser runter bekommst“, versuchte der Hausherr beruhigend auf Sam einzureden und sich das Grinsen zu verbeißen, was ihm ziemlich schwer fiel, denn eigentlich amüsierte er sich prächtig über die Brüder. ‚Wie ein altes Ehepaar‘, grinste er in Gedanken.
 

Als der Pickup leer geräumt war, bekam Sam die Lötlampe, die Dean extra für ihn besorgt hatte in die Hand gedrückt und beschäftigte sich murrend wieder mit den Türen, während die beiden Älteren in Bobbys Schlafzimmer die Decke neu verkabelten, isolierten und dann die Platten darunter schraubten.

Verspätete Geschenke

ich wünsche euch allen ein wunderschönes Herbstwochenende. Die Sonne von gestern hat sich leider verzogen. Also bleibt wohl nur noch die Alternative zu einem Waldspaziergang... Couch, Buch, Kuchen und Latte Macciato...

verspätete Geschenke

107) Verspätete Geschenke
 

„Dean“, klang Sams leicht genervte Stimme von unten herauf.

Der Blonde streckte sich und ließ Handfeger und Kehrschaufel in den Eimer neben sich fallen.

Zufrieden lächelnd schweifte sein Blick durch das Zimmer.

Hier waren sie soweit fertig. Das neue Fenster war eingesetzt, die Wände verkleidet, nur noch tapezieren, streichen und ein neuer Teppich und dann konnte Bobby sein Schlafzimmer wieder beziehen. Sie waren gut vorangekommen.

„DEAN!“

„Ja“, rief er und räumte Leiter und Eimer in Sams Zimmer.

‚Sams Zimmer.’ Wie schnell er das auch für sich als richtig übernommen hatte. Früher hatten sie da zu zweit geschlafen. Wie üblich in einem Bett, und John hatte in dem Zimmer geschlafen, in dem er jetzt schlief. Bald würde hier nichts mehr an seinen Vater erinnern, und auch er würde ihn gerne ganz aus seinen Gedanken verdrängen.

John hatte Sam und ihm selbst mit seinem Kreuzzug jede Möglichkeit auf Normalität genommen, und auch wenn er immer versucht hatte ein guter Sohn zu sein, das konnte und wollte er seinem Vater nicht verzeihen. Nicht für sich selbst und schon gar nicht für Sam!

„DEAN!“, brüllte Sam wütend von unten herauf! „Komm jetzt gefälligst runter. Wir wollen hier zu machen, es muss hier unten nicht noch kälter werden!“

Der Blonde grinste breit. Er stürzte nach unten ins Bad und kam ein paar Minuten später, frisch geduscht in die Küche.

„Wer soll das denn alles essen?“, fragte er eher rhetorisch und ließ sich auf seinen Stuhl fallen.

„Du, wer sonst?“, entgegnete Bobby.

Das ließ sich Dean nicht zweimal sagen und schaufelte sich erst den Teller voll und diesen dann in Rekordzeit wieder leer.
 

Den Jahreswechsel verbrachten sie, jeder, mit einem Bier und einem Glas guten Whiskey, seinen Gedanken nachhängend.

Was würde dieses Jahr bringen?

Bobby schaute von einem Winchester zum anderen. Was hatten die Jungs vor? Würden sie sesshaft werden? Sam könnte wieder studieren und Dean? Das, was der Ältere der Beiden hier ablieferte, war mehr als nur gut. Er war sich sicher, dass Dean jederzeit einen Job im Innenausbau bekommen könnte.

Außerdem waren da auch noch seine Mechanikerkenntnisse. Auch in einer Werkstatt würde Dean jederzeit einen Job bekommen.

Aber egal, was die Jungs letztendlich machen wollten, er würde sie unterstützen und sich freuen, wenn sie öfter bei ihm wären.
 

Auch Sam wünschte sich, dass sie dieses unstete Leben beendeten.

Selbst in El Paso hatte es ihn zum Jura gezogen und ihm wieder gezeigt, wie stark der Wunsch, diesen Beruf auszuüben, doch in ihm war. Aber er würde auf keinen Fall in einem Hörsaal sitzen können, wenn er Dean auf der Straße wusste.

Vielleicht würde Dean dieses Lebens bald überdrüssig und sie konnten sich eine Heimat suchen.

Soweit er wusste, hatte sich sein Bruder in El Paso wirklich wohl gefühlt.
 

Dean wusste nicht, was er sich für das neue Jahr wünschen sollte. Er war zufrieden mit dem, was er hatte. Sam lebte, er lebte und sie waren dabei sich hier bei Bobby eine Art Basislager einzurichten.

Aber er wollte nicht auf Dauer an einem Ort leben. Er brauchte diese ständigen Veränderungen in seinem Leben. Freundschaften schließen? Eine Familie gründen?

Nein, das war nichts für einen Winchester! Er würde ständig Angst um seine Lieben haben müssen.

Sammy war in seiner Nähe. Auf ihn konnte er aufpassen. Meistens jedenfalls, und wenn der nicht wieder nachts abhaute.

Das einzige was er sich für dieses neue Jahr wünschte, war dass sie so vielen übernatürlichen Mistkerlen wie nur möglich in den Arsch treten würden. Dann müsste er weder über ein Heim noch über eine Familie für sich nachdenken. Dann müsste er sich nicht eingestehen, dass er Angst davor hatte, in einem normalen Leben nicht bestehen zu können.

Entschieden kippte er seinen Whiskey hinunter und goss sich das Glas wieder voll.

Ein Winchester hatte keine Angst!
 

„Mach Schluss Dean, so langsam muss ich ja Angst haben, dass du vor Müdigkeit von der Leiter kippst, oder das Haus anzündest“, drängelte Sam.

„Ich will das hier fertig machen. Hab nur noch den Rahmen und dann mein Zimmer.“ Er deutete auf den Türrahmen, in dem er auf der kleinen Leiter hockte. „Dann können wir morgen lackieren und übermorgen die Tapeten an die Wände bringen. Sonst dauert das noch länger.“

Sie hatten die letzten Tage ohne Pause durchgezogen.

Sam schüttelte nur den Kopf. Sein Bruder hatte sich an der Renovierungsaktion regelrecht festgebissen und heute morgen beschlossen, dass sie erstmal die Türen fertig machen sollten, bevor er mit dem Tapezieren beginnen wollte und da er hier mehr oder weniger der Chef dieser Aktion war, wurde gemacht, was er sagte.

„Die Arbeit läuft dir nicht weg“, versuchte Sam seinen Bruder zum Feierabend zu überreden, doch der schnaubte nur kurz und machte dann mit dem Abflämmen des Rahmens weiter.
 

„Irgendwie komm ich mir ausgeschlossen vor, dabei ist es doch mein Haus“, sagte Bobby am nächsten Morgen. Sam schaute mit einer Miene zu seinem Bruder, die deutlich besagte, dass der hier das Sagen hatte. Aber von dem war noch keine Antwort zu erwarten. Er starrte mit halbgeschlossenen Augen in seinen Kaffee.

„Kannst du für mein Baby einen Satz neuer Federn auftreiben?“, fragte Dean, nachdem er einen Schluck getrunken hatte, und Sam und Bobby schauten erst sich und dann den Blonden verdutzt an.

„Es spricht!“, kommentierte der jüngere Winchester und kassierte einen Knuff gegen die Schulter.

„Wann brauchst du die?“, wollte der Ältere wissen.

„Vielleicht schon morgen. Ich weiß nicht wie schnell die Farbe an den Türrahmen trocknet. Eventuell müssen wir noch einen Tag warten, bis wir die Türen einhängen können und vorher will ich mit dem Tapezieren nicht anfangen.“

Bobby nickte: „Ich schau mal, was ich tun kann.“

„Und wenn wir gleich noch unter den Fenstern das Isolierzeug drunter machen, dann könnte dein Freund die Heizungen wieder anbringen.“

Wieder nickte der Hausherr: „Ich rufe ihn nachher an.“

Sam musterte seinen Bruder: „Wo hast du das alles gelernt?“, fragte er dann.

„Als du in Stanford warst und … John wie üblich alleine losgezogen ist, hab ich mir Arbeit bei einer Firma gesucht, die von Abbruch über Sanierung bis zum Umzug alles gemacht hat. Die haben auch viel mit Dämmung gearbeitet. Bei Dave konnte ich ´ne Menge lernen und er hat sogar meine unplanmäßige Abwesenheit, wenn ich doch mal mit zur Jagd sollte, ohne Fragen hingenommen.“

„Du wärst gerne da geblieben?“, wollte Sam jetzt wissen.

„Ja. Dave hat mich in den fast drei Jahren viel alleine machen lassen und es hat echt Spaß gemacht.“

Dean zuckte mit den Schultern. „Ist anders gekommen, wie so vieles in unserem Leben.“

Er stand auf und ging nach oben. Dort wartete Arbeit.
 

Sam und Bobby schauten sich an, und in ihren Augen war das Bedauern nur zu deutlich zu sehen.

Bobby schüttelte den Kopf. ‚Was hatte John seinen Kindern nur angetan? Warum durften sie nicht wenigstens ein halbwegs normales Leben führen? Ich hätte meinen Kindern das Jagen auch beigebracht, aber ich hätte sie trotzdem leben lassen!’, überlegte er traurig.
 

Dean schwieg sich den Tag über aus. Er pinselte den Lack auf die Rahmen und hoffte, dass alles bis morgen früh trocknen würde, obwohl er sich fast sicher war, dass es das nicht tun würde.

Seine Gedanken wanderten mal wieder zu John, und die Arbeit, die er hatte war nicht dazu geeignet sie davon abzulenken.

John! Dean konnte sich noch gut daran erinnern, dass Dad mit ihm gespielt hatte. Aber dann, nach Moms Tod war da nichts mehr gewesen. Niemand der ihm etwas erklärte, der ihm half die Leere in sich zu verstehen. Da war niemand, der ihn in den Arm genommen und getröstet hätte. Allein Sammy hatte ihm Wärme gegeben und die Geborgenheit, nach der er sich so gesehnt hatte. Es war als wäre sein Vater plötzlich verschwunden und durch einen anderen Mann, einen Fremden, ersetzt worden. Kaum ein Lächeln und nur selten freundliche Worte hatte dieser Mann für seine Kinder übrig und Dean hatte immer mehr das Gefühl gehabt, dass es seine Schuld war, dass Mom gestorben war.

Ja, heute konnte er verstehen, wie John sich damals gefühlt haben musste. Es tat weh, einen geliebten Menschen zu verlieren.

Er selbst hatte mit diesen Schmerzen leben müssen. Er hatte damit leben müssen, dass Dad für ihn gestorben war. Sams Tod hatte ihm die Luft zum Atmen genommen und sein Herz zerrissen, und er hatte nur einen Ausweg gesehen und das Dämlichste getan, das er überhaupt hatte jemals tun können, und er hatte Sam zugemutet, ihn langsam sterben zu sehen. Aber trotzdem konnte er es John nicht verzeihen, Sam so aufwachsen gelassen zu haben. Dad hätte für sie da sein müssen, aber er hatte sich in seiner Rache verrannt und so seinem Ältesten die Verantwortung für ein Baby aufgeladen. Einem knapp Fünfjährigen!

Dean schluckte. Nein! Er konnte, er wollte John nicht länger als Vater ansehen. Er hatte Respekt vor ihm, aber ein Vater war er nicht!

Da war Bobby wesentlich mehr Vater, als es John je gewesen war, und das in der kurzen Zeit.

Er schüttelte energisch den Kopf und versuchte die Gedanken zu verscheuchen.

Sie schmerzten zu sehr!
 

Missmutig kam Dean tags darauf an den Frühstückstisch.

Er hatte die Nacht schlecht geschlafen und eben war seine, wider besseren Wissens gehegte Hoffnung zunichte gemacht worden. Die Rahmen waren noch zu feucht um die Türen schließen zu können.

Sam und Bobby warfen sich einen verwunderten Blick zu. Was hatte Dean denn jetzt schon wieder die Petersilie verhagelt?

„Dean? Was ist los?“, wollte der jüngere Winchester wissen.

„Wir können nicht weiter. Der Lack ist noch nicht trocken.“

Bobby jubelte innerlich, versuchte aber ein betrübtes Gesicht zu machen, hatte er doch jetzt Zeit Dean seine Schätze zu zeigen, die er in weiser Voraussicht für den Jungen im Schuppen eingelagert hatte. Wie sehr freute er sich Deans Strahlen zu sehen, wenn er ihm die ganzen, fast neuen, Ersatzteile für dessen schwarze Schönheit zeigen würde.
 

„Kannst du mal mitkommen, Dean? Ich hab da was, womit ich nicht weiter weiß“, bat Bobby, kaum dass er seinen Kaffee ausgetrunken hatte.

Der Blonde schaute etwas verwirrt. Bobby wusste nicht weiter? Er schüttelte den Kopf und erhob sich schwerfällig. Er folgte dem Freund, der sich schnell umwandte und vor sich hin grinsend zum Schuppen ging.

Auch Sam folgte. Schließlich wollte auch er wissen, wobei Dean dem Älteren helfen können sollte und er selbst nicht.

Bobby öffnete die Tür und schaltete das Licht ein, dann trat er zur Seite.

„Für dich!“, sagte er noch.

Dean stand in der Tür und erfasste im ersten Moment überhaupt nicht, welche Pracht sich ihm da bot.

Dann fiel sein Blick auf einen Scheinwerfer, den er unzweifelhaft seinem Baby zuordnen konnte, und seine Miene hellte sich auf. Da lagen Ersatzteile für bestimmt zwei Impala.

Seine Augen wurden groß, das Leuchten darin immer stärker, und dann fingen sie an vor Freude zu funkeln.

Bobby lächelte breit, als das Strahlen sich über Deans ganzes Gesicht ausgebreitet hatte. Genauso hatte er es sich gewünscht.

„Das ist alles …“, stotterte der Blonde leise.

„Für dich!“, wiederholte sich Bobby.

Dean konnte nicht anders, er fiel seinem Freund um den Hals.

„Danke!“, keuchte er noch immer fassungslos aber glücklich. Sein Tag war gerettet.

„Du kannst die Bühne hinten nehmen“, sagte der Ältere, als sie sich voneinander gelöst hatten, und schon schoss Dean aus dem Schuppen und zu seinem Baby.

„Wann hast du …“ fragte Sam und deutete auf das Ersatzteillager.

„Immer wenn mir was in die Finger fiel. Entweder hätte es Dean brauchen können oder, wenn das Schlimmste eingetreten wäre, dann hätte ich dir den Wagen ja wieder flott machen müssen.“

Sam nickte nur und war froh, dass Dean das alleine konnte.

Er nutzte den Tag für seine Internetrecherchen, die er in den letzten Tagen so schmählich vernachlässigt hatte, und sein Bruder und Bobby schraubten gemeinsam in der Kälte am Impala.

Außerdem kam Bobbys Freund an diesem Abend noch und schloss ihnen die Heizungen wieder an.

Farbenspiele

108) Farbenspiele
 

„Verdammt Sam, wie oft hab ich dir jetzt eigentlich schon vorgebetet, dass du die Kanten richtig mit Kleister einstreichen sollst?“, motzte Dean nun schon zum … er hatte vergessen zu zählen.

Wie erwartet hatten sie an diesem Morgen die Türen wieder einhängen können und waren jetzt dabei Bobbys Schlafzimmer zu tapezieren.

„Stell dich nicht so an, hält doch!“

„Ja, von wegen hält doch. Das werden wir morgen sehen, wie das hält.“

„Mein Gott, Dean, nur weil du mal was besser kannst als ich, musst du noch lange nicht den großen Max raushängen lassen!“

„Wenn ich morgen wegen deinem ‚hält doch’, nicht streichen kann, dann leg ich mich in die Sonne und du kannst sehen wie das hier voran geht!“, pflaumte Dean zurück.

„Draußen ist es eiskalt und morgen soll es auch so werden! Da hast du schneller eine Erkältung als du dich hinlegen kannst!“

„Jungs! Ihr benehmt euch wie ein altes Ehepaar!“, grinste Bobby.

„Ich lass mich scheiden!“, kam es wie aus einem Munde und der Hausherr fragte sich mal wieder, wie die Brüder so lange so gut miteinander auskommen konnten. Aber wahrscheinlich waren sie wirklich wie ein altes Ehepaar. Sie zofften sich oft, aber getrennt würden sie eingehen.
 

Zwei Tage später hockte Dean in Sams Zimmer vor einem Eimer und mischte Farben zusammen. Im Moment hatte er ein wundervolles Pink. Das wollte er gerade mit schwarz soweit abdunkeln, bis daraus ein sattes Weinrot geworden war und er es dann als Streifen in der ehemaligen Rumpelkammer, die ein kleines Wohnzimmer werden sollte, an die Wand bringen wollte, als Sam in sein Zimmer platzte und sich kurz umschaute.

Dean war vor noch nicht lange fertig und da er bis eben die Ecken ausgebessert hatte, sahen die Wände ziemlich scheckig aus.

„Hier fehlt Farbe und überhaupt! Wie sieht das denn aus? Ich wusste doch, dass ich mein Zimmer alleine hätte streichen sollen, bei mir sieht das nicht so scheckig aus!“, motzte der Jüngere.

Dean riss der Geduldsfaden.

Er hatte in der Nacht noch die losen Tapetenecken angeklebt, die es nicht gegeben hätte, wenn Sam auf ihn gehört und richtig eingekleistert hätte, damit sie heute Morgen sofort mit dem Streichen anfangen konnten und war dementsprechend müde. Außerdem ging ihm Sams ständiges Meckern gehörig auf den Zeiger. Er schmiss den Quirl, mit dem er gemischt hatte, in die Farbe, starrte Sam wütend an und brüllte: „Raus!“

Der Jüngere verstand jetzt gar nichts mehr und schaute dementsprechend unschuldig aus der Wäsche. Wieso stellte sich Dean denn jetzt so an?

„Verschwinde hier und zwar sofort, bevor ich meine Befehle vergesse und dir das Genick breche. Kaum ist mal ein anderer als du derjenige, der etwas besser weiß schon meckerst du ständig rum. Ich hab es satt Sam. Geh und hock dich vor deinen Computer. Nerv das Internet aber lass mich hier in Ruhe!“

Sam schaute noch immer unschuldig zu seinem Bruder. Dann zuckte er mit den Schultern und drehte sich zur Tür.

„Du hast da übrigens meine Wand verkleckst. Sieh zu, dass das du das wieder weg machst, ich mag kein Pink!“, zickte er noch leise und verließ den Raum.

„Das darf doch nicht…“, knurrte Dean und besah sich das Malheur.

Plötzlich blitzte es in seinen Augen auf und ein kurzes Grinsen huschte über sein Gesicht.
 

Bobby musste drei Mal nach Dean rufen, bis der endlich zum Essen kam.

Ein selbstzufriedenes Strahlen zierte sein Gesicht. Er hatte einige pinkfarbene Spritzer auf der Nase und auch seine Hände waren bekleckert. Schnell vertilgte er seine Portion.

„Muss das Klebeband noch runterkriegen, bevor die Farbe richtig trocken ist“, erklärte er mit vollem Mund und schon war er wieder verschwunden.

Der Ältere zog überlegend die Augenbrauen zusammen. Deans Strahlen verhieß nichts Gutes. Zumal sich die Brüder heute Morgen angebrüllt hatte, oder um es genau zu sagen: Zumal Dean seinen Bruder rausgeschmissen hatte.

Auch Sam schwante Böses. Er half Bobby noch den Tisch abräumen und das Geschirr abwaschen, dann machte er sich auf den Weg nach oben.

Dean war in Bobbys Schlafzimmer und hatte beste Laune. Aus dem Radio scherbelte CCR und er sang mit, während er die Tapete abklebte, um dann die Wand mit dem für Bobby ersonnenen Muster zu verzieren. Der Blonde hatte sich für helles Braun und Grün entschieden, da der Inhaber des Zimmers so gar keine Meinung dazu hatte.

Sam öffnete die Tür zu seinem Zimmer und blieb wie angewurzelt stehen.

Es dauerte eine Weile, bis er den Anblick verarbeitet hatte, der sich ihm bot. Dann schrie er los:

„DEAN!“

Keine Reaktion.

Er stürmte aus seinem Zimmer in Bobbys: „Dean!“

„Was´n los Sammy?“, fragte der Blonde unschuldig.

„Was hast du mit meinem Zimmer gemacht?“

„Na das was du wolltest!“

„Ich habe gesagt, dass ich weder gesprenkelt noch pink mag!“, zeterte Sam.

„Oh!“, Dean schaute ihn treudoof an, „dann hab ich das in meiner Blödheit wohl falsch verstanden. Tja Sammy, vielleicht solltest du dann dein Zimmer allein machen, du kannst ja eh alles besser!“, konterte Dean und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

„Darauf kannst du Gift nehmen. Komm meinem Zimmer bloß nicht mehr zu nahe!“, fauchte der Jüngere und stapfte davon.

Dean grinste die Wand an.

„Ich möchte aber auch kein pink“, ließ Bobby sich vernehmen. Er war zu dem Blonden getreten und schaute sich fasziniert dessen Klebebandkunstwerk an.

„Kriegst du auch nicht“, erwiderte der, „aber ich hatte ein für alle Mal Sams Besserwisserei satt.

Jetzt soll er sehen, wie er die Farbe da wieder runter kriegt.“

„Du glaubst nicht, dass er es schafft?“

„Nein, ich hab ordentlich Abtönpaste reingemischt. Die drückt sich durch wenn er zu nass drüber streicht.“

„Meinst du nicht, dass das zu weit geht?“

Dean holte tief Luft und zuckte mit den Schultern: „Er soll einfach mal von seinem hohen Ross runter. Und ich werd mir dann die Nacht um die Ohren schlagen und das Zimmer neu tapezieren.“

Bobby schüttelte den Kopf. „Kann ich dir was helfen?“, wollte er wissen.

„Ja das hier unten kannst du braun streichen.“

Gemeinsam machten sie das Zimmer fertig.

„Dann können wir ja morgen Teppich kaufen fahren“, überlegte Bobby.

„Nimm Sammy mit. Ich hab nebenan noch zu tun.“

Der Ältere lächelte.
 

„Dean? Kannst du mir mal helfen kommen?“ Sam stand ziemlich geknickt in der Tür und schaute seinen Bruder mit seinem besten Welpenblick an.

„Was hast du denn?“, stellte Dean sich völlig ahnungslos.

„Komm einfach mit, bitte!“

Der Blonde grinste innerlich. Er legte die Farbrolle zur Seite und folgte dem Jüngeren.

In Sams Zimmer sah er dessen Problem auf den ersten Blick.

Sam war zu stolz gewesen Dean sofort zu fragen, wie er die Abtönpasten-Verzierungen am Besten verschwinden lassen konnte und hatte munter drauf los gepinselt. Die Farbe war hartnäckiger als er, und so war die Wand jetzt total verschmiert und voller hässlicher dicker Farbklumpen.

„Du hättest nur fragen müssen, Sam, nur einmal anerkennen müssen, dass du nicht immer der Bessere von uns Beiden bist.“ Er holte tief Luft. „Fahr mit Bobby Teppich kaufen und ich versuch das hier zu beheben.“

„Danke, Dean!“, sagte der Jüngere kleinlaut und flüchtete schon fast aus seinem Zimmer.

Dean machte seine Malerarbeiten noch fertig und verschwand dann in Sams Zimmer.
 

Skeptisch musterte Bobby den älteren Winchester, als der zum Frühstück in die Küche geschlurft kam. Er sah aus als hätte er in seinen Klamotten… ‚Nein’, korrigierte sich der Ältere in Gedanken, ‚Dean sieht aus als hätte er gar nicht geschlafen.’

„Du gehörst in ein Bett!“, stellte er also fest und hielt ihm trotz allem eine Tasse dampfenden Kaffee vor die Nase.

Dean griff zu. Er ließ sich auf den Stuhl fallen. Vorsichtig legte er seine Linke, die er bis eben unter seinem Hemd versteckt hatte, auf den Tisch und Sam und Bobby zogen erschrocken die Luft ein.

„Kannst du dir das nachher mal anschaun?“, fragte er in den Raum hinein, ohne Jemanden anzuschauen.

Sams Blick wanderte zu Bobby und der nickte sofort.

„Du gehörst in ein Bett“, sagte Bobby bestimmt, doch Dean schüttelte nur stur den Kopf: „Will fertig werden.“

Vorsichtig wickelte Bobby die Hand aus dem Verband. Die Wunde war glatt und tief und hatte gerade erst aufgehört zu bluten. Dean musste Schmerzen haben! Der Jäger zog die Wundränder leicht auseinander.

„Das muss ich reinigen! Was hast du gemacht?“, wollte er dann wissen.

„Teppich“

„Du hast heute Nacht Teppich verlegt?“

„Hm.“

Bobby drückte die Wundränder wieder gegeneinander, knüllte den alten Verband zusammen und drückte ihn in Deans Hand.

„Willst du vorher was essen?“

Der Blonde schüttelte den Kopf.

Der alte Jäger zuckte mit den Schultern und ging in sein Arbeitszimmer. Mit einer Flasche Whiskey kam er wieder.

„Trink“, forderte er Dean auf, der nur stur den Kopf schüttelte.

„Du trinkst jetzt und wenn ich mit dir fertig bin legst du dich hin und schläfst dich aus.

„Aber nur wenn Sam seinem Zimmer fern bleibt!“, resignierte der Blonde leicht schmollend.

„Warum?“, wollte der wissen.

„Überraschung!“

„O-kay“, versprach der Jüngere und brannte jetzt natürlich noch mehr darauf, sein Zimmer zu sehen.

Aber wenn Dean ihn überraschen wollte, würde er schweren Herzens warten.

Der Blonde nahm die Flasche und trank.

„Halt seinen Arm fest, Sam“, forderte Bobby, der Deans Hand schon so platziert hatte, dass sie über den Tisch hing. Er stellte einen Eimer darunter und begann die Wunde auszuwaschen.

Sam presste Deans Arm fest auf den Tisch, und doch war der, mehr als einmal, versucht die Hand wegzuziehen. Es brannte höllisch. Er knurrte durch die zusammengebissenen Zähne.

„Das ist zu tief, ich muss es nähen, Dean“, erklärte der Freund leise und wieder nickte der Blonde nur.
 

Endlich war Bobby fertig und die Hand ordentlich verbunden.

Sam half seinem Bruder auf die Beine und zu seiner Matratze.

Mit einem dankbaren Schnaufen ließ sich Dean darauf nieder und war bald darauf eingeschlafen.

„Du solltest immer mal wieder nach ihm schauen“, sagte der Ältere und stellte ein Glas Wasser und ein paar Schmerztabletten neben Deans Kopf.

Danach schaute er sich an, was Dean in der Nacht noch gemacht hatte. Er warf auch einen kurzen Blick in Sams Zimmer. Die Wände waren neu tapeziert.

Warum klammerte sich der Junge nur so sehr an ihr unstetes Leben? Er könnte doch ohne weiteres sesshaft werden und ein normales Leben leben. Deans ganze Arbeit hier bei der Sanierung seines Hauses war mehr als nur gut. Und wieder einmal hoffte Bobby, dass Sam seinen Bruder irgendwann dazu würde überreden können.
 

Einen Tag später war es endlich soweit.

„Jetzt mach endlich die Tür auf, Sammy!“, drängte Dean. Er wollte wissen, ob es sich gelohnt hatte, dass er sich die letzte Nacht um die Ohren geschlagen und heute morgen einen Anschiss von Bobby kassiert hatte, weil die Wunde an seiner Hand wieder blutete.

Aber wie hätte er denn sonst streichen sollen?

Sam öffnete die Tür und trat in sein Zimmer. Langsam drehte er sich um seine Achse.

„Wow, Dean das sieht toll aus.“ Die Augen den jüngsten Winchesters leuchteten.

Aus Deans Gesicht verschwand die Anspannung und machte einem Strahlen Platz.

„Dann könnt ihr ja gleich Möbel kaufen fahren“, lachte der Blonde und schlug seinem Bruder kameradschaftlich auf die Schulter.

„Du kommst mit!“, erklärte Bobby kategorisch.

„’n Bett und ’nen Schrank werdet ihr ja wohl ohne mich einkaufen können“, wand sich Dean wie ein Aal.

„Dann kann ich bei Sam noch den Teppich verlegen und mein Zimmer muss auch noch gestrichen werden.“ Und dann schaute er zu Sam: „Das bezahlen wir aber selber!“

Sam nickte.

„Nein, es ist mein Haus und es sind meine Gästezimmer, auch wenn ihr die einzigen Gäste sein werdet, die da wohnen werden. Ich bezahle und du kommst mit!“ Bobbys Tonfall duldete keinen Widerspruch.

„Außerdem braucht deine Hand Ruhe!“

Der Blonde ließ den Kopf hängen. Sam grinste.

„Und trotzdem bezahlen wir das selber!“, raunte Dean seinem Bruder zu und trottete hinter seinem Freund her.

Der grinste breit. Er würde die Möbel selbst bezahlen. Die Jungs hatten hier genug Arbeit reingesteckt. Es war schließlich sein Haus. Und wenn er es jetzt so betrachtete, dann fand er die Idee wirklich gut. Es war so hell und freundlich. Das Obergeschoss leuchtete richtig. Irgendwann würde er bestimmt auch das Erdgeschoss so schön haben wollen, aber wenn er daran dachte, sein Arbeitszimmer ausräumen zu müssen. Nein, das hatte Zeit. Hauptsache die Jungs kamen nicht auf die Idee, da jetzt sofort weiter machen zu wollen.

Tattoo

109) Tattoo
 

Wider Erwarten hatte Dean beim Einkaufen doch Spaß gehabt. Sie hatten sich jeder ein großes Bett, einen Schrank und einen Schreibtisch mit Stuhl ausgesucht. Aussuchen müssen … Bobby hatte darauf bestanden. Sam hatte noch ein Bücherregal bekommen und Dean eine kleine Couch. Außerdem gab es für jeden noch einen Sessel dazu.

Und Bobby hatte ohne mit der Wimper zu zucken bezahlt. Den Protest der Jungs hatte er mit der Drohung, ihnen nie wieder zu helfen, abgewürgt.

Zähneknirschend hatten sich die Winchesters gefügt, obwohl sie genau wussten, dass Bobby diese Drohung nie wahr werden lassen würde.
 

Diese Nacht konnten Sam und Bobby in ihren neuen Betten schlafen, während Dean sich in sein Zimmer verzog um zu streichen. Den bösen Blick des Hausherrn ignorierte er genauso, wie die mehrfach angebotene Hilfe.

„Meinst du nicht, dass du es ein wenig übertreibst?“, wollte Bobby beim Frühstück wissen und Sam nickte zustimmend.

„Bin fertig“, nuschelte der Blonde und kämpfte fast erfolglos darum, die Augen offen zu halten.

„Du gehst nachher ins Bett und schläfst ein paar Stunden!“, forderte der Hausherr und sein Blick ließ keinen Widerspruch zu.

„Ich will gleich noch den Teppich reinlegen, dann kann ich den heute Abend schneiden“, versuchte Dean es trotzdem.

„Dean!“

„Bobby?“

„Okay, Sam hilft dir und dann legst du dich hin.“

Der Blonde nickte.

Und wirklich, nachdem Sam und er den Teppich ausgerollt hatten, verzog sich der Ältere auf seine Matratze und war auch gleich darauf eingeschlafen.
 

Zum Abendbrot kämpfte sich Dean an den Tisch. Er aß kaum etwas.

„Dean! Schau mich mal an!“, forderte der Hausherr.

Der Blonde hob seinen Kopf und sah zu Bobby.

Kaum sah der die leicht fiebrig glänzenden Augen, als er den Blonden auch schon die Hand auf die Stirn legte. Dean wagte nicht die wegzuschlagen.

„Du hast Fieber!“

Keine Antwort war auch eine Antwort.

Jetzt schaute auch Sam sich seinen Bruder genauer an.

„Ich will mir gleich noch mal deine Hand anschauen“, sagte Bobby. Hoffentlich hatte er nichts übersehen, als er die Hand gereinigt hatte. Eine Entzündung wünschte er dem Jungen wirklich nicht.

Dean nickte nur und ließ sich folgsam von Bobby den Verband entfernen.

Zu seiner Erleichterung konnte der Ältere nichts finden. Wahrscheinlich hatte es Dean nur übertrieben und sein Körper forderte jetzt so die Ruhe ein, die er brauchte. Trotzdem wollte er kein Risiko eingehen.

„Ich werde es noch mal säubern und dann legst du dich wieder ihn. Sam halt seinen Arm fest.“

Der Jüngere fasste zu. Diesmal musste er nicht zu fest halten, Dean knurrte zwar immer mal wieder schmerzerfüllt, hielt aber sonst ruhig.

„Okay, du kannst wieder ins Bett gehen. Willst du noch 'ne Tablette?“

Schon im Gehen schüttelte der Blonde den Kopf.

Sam folgte ihm und breitete noch eine Decke über Dean. Er hatte dessen leichtes Zittern gefühlt.

„Eigentlich ist es unfair. Wir haben oben neue Betten und Dean kampiert hier unten auf einer durchgelegenen Matratze. Außerdem hat er Fieber.“

„Wir sollten sein Zimmer fertig machen“, stimmte Bobby nickend zu.
 

Kurz vor Mitternacht weckte Sam seinen Bruder und schaffte ihn nach oben.

Der Blonde kippte in sein neues Bett und brummelte zufrieden als Sam die Decken über ihn legte.

Er schien die ganze Aktion nicht wirklich registriert zu haben, und der Jüngere wollte liebend gerne das Gesicht sehen, wenn Dean aufwachte und nicht wusste wo er war.

Noch einmal schaute er in die Rumpelkammer gleich neben der Treppe, die jetzt ebenfalls nach frischer Farbe roch und zu einem gemütlich eingerichteten Wohnzimmer geworden war, und ging dann ebenfalls zu Bett.
 

Am nächsten Tag hatte Dean Coucharrest. Er wurde in Decken gepackt und mit heißem Kaffee versorgt und die beiden Anderen räumten noch auf.

Dean fühlte sich unnütz.
 

„Sagt mal Jungs, jetzt wo da oben fast alles neu ist, wollt ihr nicht öfter herkommen? Was haltet ihr davon?“, fragte Bobby nachdem er sich am Schreibtisch auf seinen Stuhl hatte fallen lassen. Sie waren oben gerade fertig geworden und er wollte diese Frage jetzt loswerden. Viel zu lange spukte sie schon in seinem Kopf umher.

Lange schauten sich die Brüder in die Augen. Ein Lächeln schlich sich in ihre Gesichter, dann nickten sie.

„Darf ich dann auch wieder aufstehen?“, wollte der ältere Winchester wissen. Er hatte entgegen seiner morgendlichen Befürchtung, sich schon bald zu langweilen, fast den ganzen Tag verschlafen.

„Ich will mir morgen deine Hand noch mal anschauen, und wenn sie gut aussieht, dann darfst du aufstehen.“

Der Blonde ließ sich wieder gegen die Couchlehne fallen und lächelte. Er fühlte sich gut, umsorgt und glücklich. So war er schon lange nicht mehr behandelt worden, wenn er doch eigentlich gesund war. Er fühlte sich fast zu Hause.

Was würde Mom dazu sagen?

Er schloss die Augen.

„Hast du Schmerzen, Dean?“, wollte Sam wissen, als er sah, wie der die Augen schloss und seine Zähne zusammen biss.

Fast konnte der Ältere seine Mom lächeln sehen. Sie würde dieses Zuhause gutheißen.

„Nein, mir geht’s gut, Sam“, erwiderte er leise.
 

Am nächsten Morgen beendete Bobby Deans Coucharrest und der Blonde war mehr als froh darüber.

Er musste dem Freund aber versprechen, sich noch mindestens zwei Tage zu schonen.

„Willst du danach hier unten weiter machen?“, fragte Dean eher rhetorisch.

„Gott bewahre, nein. Ich muss erstmal in meinem Arbeitszimmer Ordnung schaffen.“

„Das kannst du beim Einräumen besser.“

„Auch wieder wahr. Aber...“

„Dean!“, rief Sam seinen Bruder zu sich und bewahrte Bobby so vor einer Entscheidung.

„Was gibt es?“

„Ich denke ich hab was, das wir uns ansehen sollten.“

Der Blonde ging in die Küche, nahm Tassen aus dem Küchenschrank, füllte Kaffee für Sam und sich hinein und setzte sich dann seinem Bruder gegenüber.

„Bin ganz Ohr.“

„Im Glacier Park sind vier Jäger verschwunden.“

„Und was sollte das mit uns zu tun haben? Ich meine das ist furchtbar, aber noch lange kein Grund für etwas Übernatürliches.“

„Schon, aber da oben ist es seit über einer Woche um die minus 20 Grad und es liegen fast zwei Meter Schnee und es schneit immer wieder.“

„Hm!“

„In den letzten Jahren hatten sie weder so viel Schnee, noch war es so kalt. Und dann noch die verschwundenen Jäger.“

„Einfach mal wieder ein kaltes Jahr oder Klimaveränderung?“, warf der Blonde ein.

„Dann müsste es wärmer werden!“, schmollte der Jüngere.

„Behalt es im Auge, Sammy, noch finde ich nicht, dass es etwas für uns ist.“

Sam nickte.
 

Bobby hatte ihnen schweigend zugehört. Jetzt wandte er sich an Dean: „Zeig mir deine Hand.“

Ergeben befolgte der Winchester die Anweisungen.

Vorsichtig tastete der Ältere die Schnittwunde ab und drückte immer mal wieder fester zu. Der blonde Winchester gab sich jede Mühe weder das Gesicht zu verziehen noch geräuschvoll die Luft zwischen den Zähnen durchzuziehen. Doch Bobby konnte er nichts vormachen. Dem blieben seine Reaktionen nicht verborgen.

„Zwei Tage Ruhe, mindestens!“, erklärte er barsch und verband die Hand wieder.

„Aber ...“, begann Sam zu protestieren, noch bevor Dean selbst etwas sagen konnte.

„Wenn du willst, dass dein Bruder seine Hand weiterhin uneingeschränkt gebrauchen kann, dann lässt du ihm die Zeit. Es wäre zwar bedauerlich, wenn wegen dieser Verzögerung ein Mensch sterben müsste, aber wenn er die Hand nicht mehr richtig bewegen und dann nicht mehr auf die Jagd gehen kann, dann sterben wahrscheinlich mehr Menschen. Also! Und du spar dir den bettelnden Hundeblick, sonst sperre ich dich draußen in die Hütte!“, fuhr er den Blonden auch gleich noch an.

Die Brüder tauschten noch einen Blick und ergaben sich Bobbys Worten.

Der Jäger hatte ja Recht. Es brachte nichts, wenn Dean zum Krüppel wurde. Sie würden wahrscheinlich dieses Mal nicht so viel Glück und eine Ruby an ihrer Seite haben. Also wartete Dean, bis seine Hand unnötig dick, wie er fand, wieder verbunden worden war.

„Muss ich wieder auf die Couch, oder darf ich draußen spielen, Dad?“, konnte sich der Blonde trotzdem nicht verkneifen.

Bobby holte tief Luft, brummte etwas Unverständliches, das noch nicht mal ein Bär verstanden hätte, und kochte frischen Kaffee.
 

Am nächsten Vormittag griff Dean nach seiner Jacke und bedeutete Sam, ihm zu folgen, als er auf die Veranda trat.

„Ich wollte nach Sioux Falls. Kommst du mit?“

„Was willst du denn da?“

Dean tippte nur auf die Stelle kurz unter Sams linkem Schlüsselbein und der wusste sofort, was sein Bruder meinte.

„Du willst ein neues Tattoo?“

Von Wollen konnte keine Rede sein, und wenn er ganz ehrlich zu sich war, dann war er eigentlich sogar froh gewesen, dass der Höllenhund es zerfetzt hatte. Doch sie jagten weiterhin solche Kreaturen und da war es bestimmt sinnvoller, es sich wieder stechen zu lassen.

„Wir haben es uns damals nicht ohne Grund machen lassen.“

Sam nickte und grinste seinen Großen an: „Dann werd ich bei dir mal Händchen halten.“

Dean grummelte vor sich ihn und warf Sam die Autoschlüssel zu. Sollte der Kleine sich doch betätigen.

Mit der eingewickelten Hand konnte er nicht eh wirklich zufassen.

Schnell hatten sie sich abgemeldet.
 

Bobby schaute skeptisch als Dean durch die Tür ins Haus geschlichen kam und sich auf die Couch fallen ließ. Er legte den Kopf auf die Rückenlehne, schloss die Augen und versuchte die Schmerzen zu ignorieren. Die Tätowierung brannte unangenehm in der Haut.

Der Tätowierer hatte ein paar Mal betont, dass er jetzt nur noch diese neue, gesunde Tinte verwenden würde, die die Heilung unterstützte, die weniger Schadstoffe enthielt und viel hautfreundlicher war.

Davon spürte der Blonde nichts, im Gegenteil, er kämpfte gegen den Drang an sich die Schutzfolie herunter zu reißen und so lange zu kratzen, bis die Tinte wieder aus seinem Körper war. Er hatte das Teil nicht gemocht, als sie es sich das erste Mal hatten stechen lassen. Jetzt mochte er es noch weniger, und das obwohl es nur noch halb so groß war, wie das erste.

‚Das vergeht wieder!‘, versuchte er sich in Gedanken zu beruhigen.

„Was ist mit Dean?“, wollte Bobby wissen.

„Er hat sich das Tattoo erneuern lassen.“

„Und?“

„Er hasst es!“

Ein schiefes Lächeln huschte über das Gesicht des Älteren, als er nickte: „Da muss er jetzt wohl durch.“ Er ging zu seinem Schreibtisch und holte den guten Whiskey hervor. Fragend sah er zu Sam, der sofort den Kopf schüttelte. Bobby füllte zwei Gläser, eins davon bis fast zum Rand, und ging zum Sofa.

„Hier trink und dann leg dich hin“, sagte er und hielt ihm das Glas vor die Nase.

Dean blinzelte, setzte sich auf und nahm den Whiskey mit einem dankbaren Nicken. Ohne Nachzudenken kippte er die goldbraune Flüssigkeit mit drei Schlucken in sich hinein, verzog kurz das Gesicht und reichte das Glas an Bobby zurück.

„Danke“, krächzte er und kippte in die Waagerechte. Hier konnte er sich wirklich mal fallen lassen.

Schnell verrieten seine ruhigen Atemzüge, dass er eingeschlafen war.

„Meinst du, dass das Tattoo notwendig war?“, wollte der Ältere von Sam wissen.

„Ich weiß es nicht. Er hat es das letzte Mal schon gehasst, aber wenn Ruby Recht hat, und in der Hölle ist ein Monat zehn Jahre, dann bekämpfen sie sich da unten schon seit über achtzig Jahren. Meinst du nicht, dass sie so langsam damit fertig sein müssten?“

„Ich weiß es nicht. Von mir aus könnten sie ewig miteinander in Clinch liegen.“

„Von mir aus auch, aber ich glaube nicht, dass wir noch lange vor den Dämonen Ruhe haben werden, und dann ist es bestimmt besser, wenn sie sich nicht in uns festsetzen können.“

Bobby nickte nur.
 

Sam hatte sich hinter seinem Laptop verkrochen und war in den Weiten des WorldWideWb abgetaucht. Diesmal suchte er nach dämonischen Aktivitäten.

„Was gibt’s Neues in Montana?“, wollte der Ältere wissen und schob die Decke von Deans Hüften wieder über seine Schultern.

Der jüngere Winchester sah ihm unter seinen langen Strähnen hervor verstohlen zu. ‚Bobby wäre ein guter Vater gewesen‘, überlegte er.

„Nichts“, beeilte er sich zu sagen, als er den Blick des Älteren fragend auf sich gerichtet fühlte. „Es schneit noch immer.“

Bobby nickte.

„Was ist mit Dean?“, fragte Sam im selben Moment.

„Ich würde sagen, er hat Fieber, wenn ich das nicht für fast unmöglich halten würde. Seine Hand verheilt gut und ich glaube nicht, dass ihm ein Tattoo so sehr zu schaffen machen könnte.“

„Kann man psychologisch Fieber bekommen? Dean mochte das Teil noch nie. Er sieht es nur als üble Notwendigkeit.“

Bobby kratzte sich am Kopf, schob seine Mütze wieder in die richtige Position und nahm sich ein Buch über schwarze Magie. Er ließ sich mit einem Bier auf dem Sessel nieder und begann zu lesen.

Jedes Mal, wenn er umblätterte warf er einen Blick auf den Schlafenden.

Fröstelaera

110) Fröstelära
 

„Hey Alter, hoch mit dir. Schlafen kannst du auch in deinem Bett!“, versuchte Sam seinen Bruder zu wecken, als er und Bobby in ihre Betten wollten. Doch Dean blinzelte ihn nur kurz verschlafen an, rollte sich weiter zusammen und schlief weiter.

„Das kann doch nicht nur von dem Tattoo kommen, oder?“, schaute er den Hausherrn fragend an.

„Er hat es die letzten Tage einfach übertrieben. Lass ihm die Ruhe, dann ist er bald wieder fit!“

Sam nickte und brachte seinen Bruder mit etwas Mühe auf die Beine und nach oben in sein Bett.

Den nächsten Tag verbrachte der Blonde dann dösend und fernsehend auf der Couch.
 

„Alles klar bei dir?“, wollte der alte Jäger von Dean wissen, als er am darauffolgenden Morgen in die Küche kam und ihn am Herd stehen und Rührei machen sah.

„Ich denke schon“, antwortete der Blonde und schaufelte sich Rührei mit Toast auf den Teller. Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen und begann zu essen, kaum dass Bobby ebenfalls saß.
 

„Haben dich die Bettwanzen gebissen?“, fragte der Blonde seinen Bruder, als er in die Küche geschlurft kam und sich mürrisch die Augen rieb. Allerdings war er schon recht reaktionsschnell.

„Au!“, schimpfte Dean und rieb sich, den von seinem jüngeren Bruder, malträtierten Oberarm.

„Die Jäger im Glacier Park werden noch immer vermisst und inzwischen liegen da zweieinhalb Meter Schnee“, erklärte er eindringlich und ließ sich auf den letzten freien Stuhl fallen.

„Und?“, wollte der Blonde wissen.

„Das ist nicht normal!“

„Was? Dass Jäger vermisst werden?“

„Nein, Dean! Dass da so viel Schnee liegt!“

„Klimaerwärmung?“

Wieder knuffte Sam seinen Bruder in die Schulter. „Das müsste dann eher EISZEIT heißen!“

„Vielleicht ist es nur ´ne Fröstelära!“

„Dean!“

„Was?“

„Stell dich nicht blöder an als du bist!“

„Was denn, nur weil es da mal mehr schneit als üblich, drehst du gleich ab. Woanders regnet es mehr oder es ist schon seit Ewigkeiten trocken. Wenn wir allen Wetterkapriolen den Kampf ansagen würden, dann müssten wir zuerst dich töten. Mit deinem riesigen Körper und der Wärme, die der produziert, könnte man glattweg die Pole schmelzen.“ Schnell ging der Blonde in Deckung und Bobby grinste sich in seinen Bart.

„Verdammt noch mal! Dean! So was kann auch von Dämonen hervorgerufen werden!“ Sam klang genervt.

„Ach, du meinst, denen ist es in der Hölle zu heiß und jetzt wollen sie zur Abwechslung mal Ski fahren?“

Sam stand so schnell auf, dass sein Stuhl nach hinten kippte, und rannte mit seinen langen Beinen aus dem Haus.

„Meinst du nicht, dass du zu weit gegangen bist?“, wollte Bobby leise wissen. Das breite Grinsen war seiner Stimme noch anzuhören.

„Ich finde Schneemann bauen ja ganz lustig, aber mehrere Tage durch den Schnee kriechen, nur weil ein paar Freizeitjäger zu blöd sind wieder nach Hause zu finden, ist so gar nicht das, was ich unter Spaß verstehe.“

„Du sollst die Welt vor dem Bösen retten und das ist selten Spaß.“

„Ich wusste, da war ein Haken“, antwortete der Blonde und warf theatralisch die Arme in die Luft.

Dann stand er auf und ging nach draußen zum Impala. Wenn Sammy los wollte, sollten wenigstens ihre Waffen gereinigt und in Schuss sein.
 

„Einer der Jäger ist heute Nachmittag in der Rangerstation von West Glacier aufgetaucht. Er war fast erfroren und vollkommen verängstigt, und er hat von einem riesigen Wolf erzählt, der seine Freunde vor seinen Augen zerrissen hat. Sie hätten immer wieder auf den Wolf geschossen, und er war sich ganz sicher, dass sie ihn auch getroffen haben. Aber das schien dem Tier nichts ausgemacht zu haben.“

„Die Fieberfantasien eines Mannes, der, wie du schon sagtest, fast erfroren ist?“, wollte Dean mit unschuldigem Blick wissen.

„Er hat die Ranger förmlich angebettelt ihn zu verhaften, weil sie gewildert hatten.“

„Und? Der kann sich genauso gut auch nur verlaufen haben und ist eine Weile durch die Kälte und den Schnee geirrt?“

„Dean! Durch minus zwanzig Grad irrt man nicht einfach so ´ne Weile! Ich möchte mir das gerne ansehen. Der riesige Geisterwolf ist mir nicht geheuer!“

„Ich weiß nicht, Sammy.“

„Aber dein Geisterhund war hochwichtig und musste sofort untersucht werden!“

„Der hatte auch Menschen getötet und wurde von mehreren Personen gesehen.“

„Bitte, Dean!“

„Ist ja schon gut. Wir fahren morgen los. Das heißt wenn Bobby mich von dem dicken Verband befreit und ich heute die Waffen komplett gereinigt kriege.“

Bobby nickte nur und Sam strahlte: „Ich besorg uns ein Motel!“, rief er und verschwand im Arbeitszimmer.

Dean und Bobby schauten sich an, zuckten mit den Schultern, und dann begann der Ältere, Deans Hand von dem Verband zu befreien und sie noch einmal zu kontrollieren.

„Versprich mir aber, deine Finger nicht sofort wieder überall rein zu stecken. Die Hand braucht noch Schonung“, nickte der Ältere, sich wohl bewusst wie zweideutig man seine Äußerung auslegen konnte und wickelte nur noch einen kleinen Verband um die geschundene Hand.

Der Blonde grinste breit.
 

„Und wie geht es deinem verwirrten Jäger?“, wollte Dean wissen, als er die letzte Waffe reinigte. Sam sah ihn an und schluckte. Das, was jetzt kommen würde, sagte er Dean nicht wirklich gern, auch wenn es wohl bewies, dass er recht hatte, aber es würde Dean dazu bringen, sich mal wieder die Schuld dafür zu geben.

„Es sind in der letzten Nacht zwei Kinder aus einer kleinen Siedlung in der Nähe von West Glacier verschwunden.“

„Kinder?“, keuchte der Blonde.

„Ja. Sie wurden abends von ihren Eltern ins Bett gebracht und waren am Morgen nicht mehr da. Wolfsspuren führten von den Häusern ein paar hundert Meter weit weg und waren dann plötzlich verschwunden.

Dean starrte mit leeren Augen auf den Boden. Wenn er sich nicht so gesperrt hätte, könnten sie heute schon da sein. Wenn er nicht so an dieser häuslichen Idylle hier gehangen hätte, wären die Kinder vielleicht nicht verschwunden.

„Das ist Quatsch, Dean!“, riss Bobby ihn aus seinen Grübeleien.

Der Blonde starrte seinen Freund an. War er so leicht zu durchschauen?

Der Ältere holte eine Flasche Whiskey aus seinem Schreibtisch und goss drei Gläser halb voll. Dann reichte er eines davon an Sam und das Zweite an Dean weiter. Das letzte Glas behielt er selbst.

„Runter damit und dann geht ihr schlafen und morgen fahrt ihr ausgeruht los.“

Dean musterte ihn mit einem skeptischen Blick. Dann nickte er und schüttete das Zeug hinunter. Er trug sein Glas in die Küche und ging mit schweren Schritten nach oben.

„Wenn es um Kinder geht ist er unausstehlich. Ich hoffe er kann schlafen“, sagte Sam leise.

„Deshalb der Whiskey“, erwiderte Bobby genauso leise.
 

Der Morgen graute gerade, als die Jäger in der Küche saßen und frühstückten.

Der Blonde bekam kaum etwas runter und sah aus, als hätte er die Nacht nicht viel geschlafen.

„Du bist nicht schuld daran, dass die Kinder verschwunden sind, Dean!“, sagte Bobby mit fester Stimme.

„Aber wenn ich sofort auf Sam gehört hätte und wir ...“

„Auch wenn ihr sofort hingefahren wärt, ihr hättet nichts ändern können!“, wütend und traurig zuckte der Hausherr mit den Schultern. Dean war mal wieder ganz im Alles-ist-meine-Schuld-Modus, und er hatte noch immer keinen Weg gefunden, ihm das endlich mal auszureden. ‚Das hast du ganz toll gemacht, John Winchester‘, fluchte er in Gedanken. ‚Wie kann man seinem Kind nur so einen Scheiß einreden!‘ Schon alleine dafür hätte der noch ein paar Jahre Hölle verdient. Wie konnte man bei der Erziehung seines Kindes nur so viel falsch machen. Wahrscheinlich gab sich Dean auch noch die Schuld an Marys Tod. Der Blonde hatte mehr oder weniger zusehen müssen, wie seine Mom starb und er hatte immer bewundernd zu John aufgeschaut und alles getan, was der von ihm verlangt hatte, aus Angst auch noch den Rest seiner Familie zu verlieren. Dean hatte nie Fehler machen dürfen und wenn er sich doch mal einen erlaubt hatte, dann hatte John ihn mit Missachtung gestraft. Für Dean war das schlimmer als jede Prügel, die er hätte beziehen können.

Bobby schaute auf den Älteren und mit einem Mal war ihm klar, dass Dean den Verlust seiner Mom zwar verdrängt, aber nie wirklich verarbeitet hatte. ‚Oh Gott, wie kann ich dem Jungen nur helfen?‘, grübelte der Ältere.

„Können wir los?“, riss Sam die kleine Gemeinschaft aus ihren Gedanken.

Sofort kippte Dean den Rest Kaffee hinunter und war an der Tür, noch bevor jemand einen Wimpernschlag machen konnte.

Bobby folgte ihm und zog ihn, bevor er sich dagegen wehren oder auch nur einen weiteren Schritt von der Veranda machen konnte, in eine feste Umarmung.

„Es ist nicht deine Schuld, Dean. Das war es nie!“, sagte er so leise, dass es nur der Blonde hören konnte und der verspannte sich.

„Nein. Und jetzt seht zu, dass ihr die Kinder findet und macht die Welt ein bisschen sicherer, okay?“, das Letzte hatte er laut ausgesprochen. Er drückte den Jungen noch etwas fester an sich und gab ihn dann frei, um Sam die dargebotene Hand zu schütteln. Der war schon immer etwas reservierter was Umarmungen anging.

Dean warf seine Tasche in den Kofferraum, und nachdem Sam auf seinem Platz saß jagte er in einer Staubwolke vom Hof.

Bobby sah ihnen hinterher und holte tief Luft. „Alles Gute, Jungs“, murmelte er leise und ging ins Haus. Er wollte einen Anruf tätigen.
 

Schweigend, die Musik so laut gedreht, dass gar nicht erst der Gedanke an eine Unterhaltung aufkommen konnte, steuerte Dean den Impala über die Straßen.

Sam griff nach dem Lautstärkeregler und drehte die Musik leiser.

„Ich weiß, dass du das wahrscheinlich nicht hören willst. Über Nacht sind noch zwei Kinder verschwunden und heute Morgen haben sich fünf Männer aufgemacht die Kinder zu suchen.“

Deans Kiefermuskeln verspannten sich und Sam war sich sicher, dass nur die noch immer ziemlich laute Musik verhinderte, dass er hörte wie die Zähne seines Bruders aufeinander mahlten.

„Hast du schon eine Idee, was es sein könnte?“, wollte der Blonde nach einer ganzen Weile wissen.

Sam schüttelte den Kopf: „Ich bezweifle, dass das Land jetzt von einer Horde Geisterhunden heimgesucht wird. Aber wenn ich die Aussagen des Wilderers und die Pfotenabdrücke im Schnee, die nach ein paar Metern verschwanden, als Tatsache hinnehme, müsste es etwas in der Richtung sein. Ich suche gerade, in welchen Mythologien es Hunde oder Wölfe gibt und ob ich die irgendwie mit dem Fall hier in Zusammenhang bringen kann.“
 

„Lass uns hier ein Motel suchen. Da hinten war ein Laden in dem wir uns mit der passenden Kleidung eindecken können. In West Glacier schneit es noch immer“, sagte Sam als sie durch eine Stadt kamen und Dean brummte etwas Undeutliches. Er wäre lieber noch weiter gefahren. Sie hatten nicht viel mehr als die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht, und er wollte so schnell wie möglich hin, denn wenn er sofort auf Sam gehört hätte, könnten sie jetzt schon da sein und da half es ihm auch nicht, dass Bobby ihm erklärt hatte, dass es nicht seine Schuld war. Selbst sein Verstand stimmte Bobby zu.

Das Gefühl in seinem Inneren, das ihn fast zu zerfressen drohte, sagte aber etwas anderes. Und es schmerzte, dass schon wieder Kinder die Leidtragenden waren.
 

Sie hatten ein kleines Motel gefunden und eingecheckt. Jetzt standen sie im Eingangsbereich des Kaufhauses und versuchten sich zu orientieren.

„Wir sollten möglichst dicke Sachen kaufen. Die Temperatur da ist schon auf minus 22 Grad gefallen“, sagte Sam leise.

Dean nickte und steuerte eine niedliche rothaarige Verkäuferin an, die auch sofort bereit war ihm die gewünschten Stücke zu bringen und ihn auch bei den Größen zu beraten.

Nicht dass er das wirklich wollte, aber sein Charme schien noch immer der Alte zu sein.

Sam lächelte. So gefiel ihm sein Bruder wesentlich besser.

Leider hielt das nicht lange an.

Am nächsten Morgen saß die alte Verdrießlichkeit wieder mit im Wagen.

Sam war erneut im Internet versunken und las sich durch alles, was mit Wölfen zu tun hatte. Vieles davon konnte er ziemlich schnell als Märchen abtun. Doch einiges hörte sich interessant an.

Er drehte den Lautstärkeregler runter.

„Bei den Inuit gibt es eine Legende über einen riesigen Wolf, der die Jäger tötete, die nachts allein auf die Jagd gingen.“

„Inuit?“

„Ja, Eskimos. Aber sie selbst möchten als Inuit bezeichnet werden. Das heißt übrigens Mensch.“

„Das meinte ich nicht. Ich weiß wer die Inuit sind. Aber kannst du mir bitte sagen, wo hier Eskimos herkommen sollen? Wir sind in Montana, nicht in Alaska.“

Sam schwieg.

„Und das mit dem Wolf ist ja schön, aber die Kinder waren nicht jagen. Und auch nicht allein draußen, oder meinst du, es sind gleich vier Kinder so blöd, allein in die Nacht zu gehen? Bei dem Wetter?“

Der Jüngere schüttelte den Kopf.

„Aber was ist sonst …“

Wieder herrschte Schweigen im Wagen.

Willkommen in West Glacier

111) Willkommen in West Glacier
 

„Verdammt!“, fluchte der Blonde plötzlich und versuchte den schlingernden Impala wieder unter Kontrolle zu bekommen. Sam sah erschrocken auf.

Sie waren nicht mehr weit von West Glacier entfernt. Die Dunkelheit hatte sich schon vor einer Weile über das Land gelegt und der Schneefall, in den sie am späten Nachmittag hinein gefahren waren, war immer dichter geworden und hatte sich inzwischen zu einem leichten Schneesturm ausgewachsen.

„Ich hatte gehofft, dass wir es noch bis West Glacier schaffen würden. Ich will hier nicht unbedingt im Schnee übernachten. Das könnte ungemütlich werden“, sagte Dean leicht keuchend als er den Impala am Straßenrand zum Stehen gebracht hatte.

„Wie weit ist es noch?“, wollte Sam wissen.

„Nicht mehr so weit, aber selbst wenn wir nur noch zwei Meilen hätten, in dem Schneetreiben würden wir uns hilflos verirren.“

„Und jetzt?“

„Ich weiß nicht. Der Wind verweht die Straße immer weiter. Ich ...“, Dean zuckte unschlüssig die Schultern.

Beide schauten in das dichte Schneetreiben, das im Scheinwerferlicht zu sehen war. Plötzlich schlug sich Dean den Kragen seiner Lederjacke hoch und stemmte sich gegen die Tür.

„Dean, wohin willst du?“, wollte Sam wissen, doch sein Bruder rutschte von seinem Sitz und musste noch aufpassen, dass er sich nicht den Arm in der zuschlagenden Tür einklemmte. Der Wind trieb ihn schnell hinter den Wagen. Er startete einen erfolglosen Versuch am Impala vorbei und auf der Straße nach vorn zu laufen. Er wollte schauen, ob da überhaupt noch ein Durchkommen möglich war, doch er schaffte es nicht mal bis zur Motorhaube, so stark blies ihm der Wind entgegen.

„Was machst du?“, versuchte Sam seinen Bruder noch einmal zu fragen, als er sah wie der den Kofferraumdeckel öffnete.

Schnell hatte der Blonde gefunden, was er suchte und warf die Klappe wieder zu. Der Weg zurück ins Innere des Wagens war weitaus schwieriger, da er sich gegen den Wind stemmen musste.

Mühsam öffnete er die hintere Tür auf der Fahrerseite und warf den schneebedeckten Packen, den er in den Armen hielt hinein, dann rutschte er auf den Sitz und ließ mit einem erleichterten Schnaufen die Tür wieder zufallen, während Sam den Packen als ihre Winterjacken, die gefütterten Hosen und die dicken Schlafsäcke identifiziert, die er nach einer kurzen Diskussion mit Dean in dem Laden auch noch auf den Berg ihrer Winterklamotten gepackt hatte.

Der Ältere strubbelte sich den Schnee aus den Haaren und zog sich etwas umständlich die dicke Hose an. Dann breitete er den Schlafsack auf dem Fahrersitz aus und zog sich seine Jacke aus. Sam schaute ihm mit großen Augen zu. Doch als Dean sich die dicke Jacke anzog und über die Lehne auf seinen Sitz kletterte, beeilte er sich seinen Beispiel zu folgen.

„Das heißt dann wohl, dass wir heute nicht weiter kommen“, stellte er ruhig fest.

Der Blonde schüttelte nur den Kopf und zog den Reißverschluss des Schlafsacks bis zu seiner Nase hoch.

„Keine Chance bei dem Sturm“, fügte er dann doch noch hinzu, „und wenn kein Wunder geschieht, dann sind wir morgen früh eingeschneit und mit etwas Pech auch erfroren.“

Sam atmete hörbar aus. Er mummelte sich ebenfalls in die wärmenden Sachen und versuchte sich so gut es ging auf die Nacht vorzubereiten.

„Wenn wir das hier überstehen, sollten wir wenigstens eine Thermoskanne mit heißen Kaffee im Wagen haben, wenn wir mal wieder in solche eisigen Gefilde reisen wollen“, nuschelte er in seine Decke.

Sein Bruder gab nur ein Knurren von sich, von dem der Jüngere nicht mal sagen konnte, worauf sich das jetzt bezog, und ließ seinen Kopf gegen die Scheibe sinken.

Keine wirklich gute Idee, wenn man bedachte, dass sich ihre Atemluft jetzt schon zu kleinen weißen Wölkchen kondensierte. Vielleicht sollten sie einfach zusammen rutschen und sich gegenseitig wärmend unter den Decken verkriechen. Doch bevor er den Gedanken aussprechen konnte, verkündeten Deans ruhige Atemzüge, dass er schlief.

Sam wunderte sich etwas, doch dann fiel ihm wieder ein, dass ihn letzte Nacht etwas geweckt hatte, von dem er sich fast sicher war, dass es die Unruhe seines Bruders war. Der hatte zwar gesagt, dass er nur auf Toilette musste, aber er war sich fast sicher, dass der schon eine ganze Weile im Zimmer auf und ab getigert war.

Weit kam der Jüngere mit seinen Überlegungen allerdings auch nicht, bevor ihm ebenfalls die Augen zu fielen.
 

„Wenn ich bedenke, dass ich jetzt gemütlich am Kamin sitzen könnte“, brummte der Fahrer des Schneepfluges und starrte missmutig in das scheinbar noch dichter werdende Schneetreiben. Die Heizung hatte die Fahrerkabine auf annehmbare Temperaturen aufgeheizt. Der letzte Rest Kaffee schwappte leicht in der Tasse auf der Ablage hin und her.

Immer wieder mal schüttelte der bärtige Mann seinen Kopf. Er lebte schon seit einer halben Ewigkeit in der kleinen Gemeinde und sie hatten auch schon einige harte Winter erlebt, aber was in diesem Jahr hier passierte, daran konnten sich noch nicht mal die ganz Alten erinnern und auch William hatte dafür keine Erklärung.

Doch bevor sich Jeremiah Kokrine, genannt Jem, noch weitere Gedanken über das Wetter machen konnte, fiel sein Blick auf einen weißen Schneeberg am Straßenrand, der vorhin noch nicht da gewesen war und der verdächtig nach einem Auto aussah.

Er lenkte den Schneepflug kurz vor dem Schneehaufen an den Straßenrand und stieg vor sich hin brummelnd aus.

Der Schneesturm schien eine Pause eingelegt zu haben und so konnte er ohne größere Anstrengungen laufen. Schnell überzeugte er sich, dass es wirklich ein Auto war.

„Städter!“, knurrte er abfällig und begann den Schnee von der Seitenscheibe zu wischen.
 

Deans Instinkte schlugen Alarm, als etwas neben seinem Kopf hin und her wedelte. Sofort war er wach und richtete sich etwas auf.

„Hey, ihr Trottel“, brüllte dieses Etwas und schlug gegen die Scheibe.

Der Blonde öffnete schnell seinen Schlafsack und dann die Tür, bevor der Blödmann da draußen noch das Fenster zerdrosch. Seine Instinkte hatte ihn sehr schnell unter der Rubrik ‚lästig aber keine Bedrohung’ eingestuft.

Etwas unelegant plumpste er dem Mann vor die Füße, hatte sich aber schnell wieder gefangen. Sofort wanderte sein Blick zu dem bullernden Schneepflug.

„Können Sie uns bis West Glacier mitnehmen?“, fragte er ohne einen Gruß.

„Wenn ich nicht für den Tod von euch unterbelichteten Städtern verantwortlich sein will, werd ich das wohl müssen!“, brummte der Mann.

Der Blonde schluckte jede Bemerkung herunter. Er beugte sich in den Impala und drehte den Zündschlüssel. Mit einem satten Brummen erwachte die schwarze Schönheit.

Sam blinzelte ihn an.

„Kannst mal die Scheiben freiräumen“, wies Dean seinen kleinen Bruder an und schlug die Tür wieder zu. Schon wieder ging er zum Kofferraum und holte die Schaufel raus.

„Wozu braucht ihr eine Schaufel?“, fragte der Bärtige und bemühte sich Dean, der eine Bahn vom Impala zum Pflug freischaufelte, möglichst im Weg zu stehen.

„Damit verbuddle ich die Leichen derer, die mir blöde Fragen gestellt haben!“

„Was wollt ihr eigentlich bei uns?“ ließ Jem sich nicht beirren und latschte Dean auf die Schaufel.

„Schnee schippen!“, knurrte der auch sofort angefressen und riss sein Werkzeug zurück.

Jeremiah Kokrine ruderte haltsuchend mit den Armen.

„Wir wollen Urlaub machen. Das letzte Jahr war nicht wirklich einfach für uns“, beeilte sich Sam die Wogen zu glätten und seinen Bruder auszubremsen. Er hatte die unterschwellige Wut in Deans Stimme sehr wohl gehört und hoffte nur, dass der dem Fremden nicht noch die Schaufel um die Ohren schlagen würde.

Warum der allerdings nur im Weg stand und seinen Bruder auch noch auf dem Kieker zu haben schien, konnte selbst Sam nicht verstehen. Er hoffte nur, dass Dean sich soweit im Griff hatte und dem Typen erst an die Wäsche ging, wenn sie in ihrem Motel angekommen waren. Obwohl, Dean konnte einen LKW fahren, der würde vermutlich auch mit einem Schneepflug klar kommen, oder?
 

Kokrine fummelte seine Uhr aus ihrer Verpackung aus Jacke, Pullover und Handschuh und warf einen Blick darauf. ‚Verdammt!’ Er war jetzt schon fast zu spät. William hatte ein Treffen einberufen. Sie sollten über die neuesten Ereignisse reden wollen. Darüber, dass die Kinder verschwunden waren und über die Fünf, die ohne eine Zustimmung losgezogen waren um ihre Kinder zu suchen.

Den Kamin, von dem er gerade noch geträumt hatte, konnte er für heute wohl vergessen.

Wenigstens Yuri schien diesen Abend etwas erträglicher machen zu wollen und hatte ihren weltberühmten Hackbraten versprochen und er stand hier mit zwei totalen Trotteln rum. Warum hatte er eigentlich angehalten? Die hätten doch nie mitbekommen, dass er vorbei gefahren wäre! Egal, jetzt stand er hier und half mal wieder ein paar unterbelichteten Städtern aus der Patsche. Dann hatte er beim Essen wenigstens was zu erzählen.

War ja eh schon ziemlich merkwürdig der Monat. Der Jäger, der aus freien Stücken zugegeben hatte, gewildert zu haben, nur um hier weg zu kommen. Dabei wäre es ihnen bestimmt nicht aufgefallen. Bei dem Schneefall.

Ob Yuri auch Peter Jones eingeladen hatte? Sonst würde er morgen mal zu ihm fahren und sich die Einzelheiten zu den Wilderern geben lassen. Das hatte ihn nicht betroffen, auch wenn er sowas wie der Ortsvorstand hier war. Um die Angelegenheiten des Parks kümmerten sich die Ranger um Peter.

Hey, die beiden Trottel schienen fertig zu sein. Hätte er ihnen gar nicht zugetraut. Er ging zu seinem Schneepflug und kletterte ins Führerhaus. Schnell lenkte er wieder auf die Straße und fuhr so schnell er konnte in den Ort. Vielleicht wartete Yuri ja auf ihn. Ach verflixt, er hätte fragen sollen, wo die Beiden hin wollten.
 

„Verdammt!“, fauchte Dean und trat in die Bremsen, „das macht der doch mit Absicht!“

Schlingernd kam der Impala rechtzeitig zum Stehen und Dean riss die Tür auf. Es war nicht das erst Mal, dass er wegen offensichtlich Nichts eine Vollbremsung auf schneeglatter Straße hinlegen musste.

„Bitte Dean, diesmal hat er doch wirklich gehalten“, versuchte Sam seinen Bruder zu beruhigen. Aber so ganz konnte er dessen Verdacht nicht von der Hand weisen. Er kam sich schon wie einer dieser Wackeldackel vor. Aber er würde sich hüten, das Dean zu erzählen. Der würde ihn glatt auf die Hutablage sperren.

„Was soll der Scheiß?“, wütete Dean auch sofort los.

Sam legte ihm eine Hand auf den Arm und hoffte, dass sich diese Geste beruhigend auf Dean auswirken würde. Tat sie natürlich nicht. Der Blonde riss seinen Arm los und war noch immer kurz davor auszusteigen.

„Bitte Dean, es bringt doch nichts.“

„Wenn ich auch nur einen Kratzer an meinen Baby habe, ich werf ihn eigenhändig diesem Wolf zum Fraß vor!“

„Bitte Dean, er hat uns geholfen und …“

„Geholfen, ja klar! Er stand mir die ganze Zeit im Weg rum, hat uns als Trottel beschimpft und …“

„Ohne ihn wären wir vielleicht erfroren!“

„Das bezweifle ich. Sammy, wir haben bei einigen von Dads Überlebenstrainings schon in wesentlich kälteren Hütten übernachtet und sind nicht erfroren.“

Damit hatte Dean natürlich Recht. „Damals haben wir aber beide in einem Schlafsack übernachtet“, versuchte Sam trotzdem einen Einwurf.

Immerhin schloss Dean die Tür wieder.

„Das ist es also was dich anmacht, Samantha? Dann hoffe mal, dass unser Motelzimmer nicht geheizt ist. Dann darfst du vielleicht in mein Bett, aber wehe du klaust mir die Decke!“

Der Jüngere schluckte. Das hatte er nicht beabsichtigt, aber immerhin hatte er es geschafft Dean abzulenken. Nur würde er sich jetzt wohl die nächsten Tage wieder mit ‚Samantha’ anreden lassen müssen. Hm!
 

Der Mann war aus seinem Fahrerhaus geklettert und kam auf sie zu.

„Dean, bitte“, beschwor Sam seinen Bruder. Doch der ignorierte ihn und kurbelte sein Fenster herunter.

„Wem wollt ihr hier eigentlich auf die Nerven gehen?“, fragte Kokrine auch sofort unfreundlich.

„Yuri Mackey“, antwortete Sam schnell.

„Ihr wollt mir diesen Abend auch wirklich ruinieren“, brummelte er so laut in seinen Rollkragen, dass ihn die Brüder verstehen konnten. „Als wäre da nicht schon genug anderer Stress, der bei dem Essen auch noch auf den Tisch kommen wird!“ Dann holte er tief Luft.

Sam hatte seine Hand noch immer auf Deans Arm liegen und drückte, wie er hoffte, beruhigend zu.

„Ich muss in die Richtung“, sagte der Bärtige und deutete nach links. „Zu Yuri müsst ihr etwa eine Meile da lang“, er zeigte nach rechts. „Aber da werdet ihr wohl zu Fuß gehen müssen. Mit der Karre kommt ihr hier nicht durch!“

„Und was wird mit dem Wagen?“, fragte Sam, bevor sich sein Bruder von dem Schock erholen konnte.

Der Kerl hatte den Impala als Karre bezeichnet! Wenn er sich Deans Hass bis jetzt nicht zugezogen hatte, nun war er ihm gewiss. Lebenslang!

„Ich schieb da vorn ´ne kleine Bucht, da könnt er die reinstellen. Und wenn das Wetter bleibt und Yuri einen Platz für den Schrotthaufen hat. Morgen Vormittag räume ich die Straße da hoch wieder. Dann könnt ihr ihn hinfahren“, schon hatte der Mann sich umgedreht und ging wieder zu seinem Schneepflug.

Dean, vollkommen weiß im Gesicht, erwachte aus seiner Erstarrung. Mit fahrigen Bewegungen versuchte er die Tür zu öffnen. Doch zum Glück für Kokrine rutschte er immer wieder ab.

„Dean?“

Der Blonde reagierte nicht und fuhr fort den Türgriff zu suchen.

„Dean!“

Langsam wurde die Atemfrequenz des Blonden besorgnisserregend.

„DEAN!“ Sam fasste mit beiden Händen Deans Gesicht und zwang ihn, ihn anzusehen.

„Versuch ganz langsam zu atmen. Wir werden weder die Kinder finden noch kannst du dem Typen für diese Beleidigung eine reinhaun, wenn du hier erstickst.“

Diese ruhige Argumentation schien bis zu dem Blonden durchzudringen. Er nickte und versuchte langsamer zu atmen.

Das Wissen eines Schamanen

112) Das Wissen eines Schamanen
 

Jeremiah Kokrine interessierte nicht, was die beiden Typen in dem Auto trieben. Die waren doch eh schwul! ‚Zwei Männer machen zusammen Urlaub. Klar! So wie die sich ständig betatscht haben, können die das ihrer Großmutter erzählen!’ Er schob eine kleine Bucht frei und gab dann seinem Gefährt die Sporen. Er wollte nur noch nach Hause, sich umziehen und dann zu Mackay, diese nervende Angelegenheit hinter sich bringen. Sie hatten ihn zwar zum Ortsvorstand gewählt, aber nur weil er die Kontakte zur Wirtschaft und Politik in der Gegend hatte. Und weil es seinem Ansehen gut tat, hatte er das Amt angenommen. Jetzt musste er sich halt auch um solche Fälle kümmern. Eigentlich war es ihm doch egal, wenn Andere zu blöd waren auf ihre Kinder aufzupassen.

Er hoffte nur, dass er seinem Sohn noch ‚Gute Nacht‘ wünschen konnte. Der Junge war inzwischen zehn und noch immer sein ganzer Stolz.
 

Dean hatte sich wieder gefangen. Der gequälte Ausdruck in seinen Augen machte eiskalter Wut Platz.

Sam ließ sein Gesicht los bevor er noch das Ziel dieses Zornes wurde. Er wollte nicht in der Haut des Typen stecken, wenn Dean ihm wieder begegnete.

Der Blonde ließ den Wagen an und fuhr in die Bucht.

„Macht dir nichts draus, Baby. Dem Typen brech ich die Nase, wenn ich ihn wieder seh. Mit ´nem schönen Gruß von dir, okay?“, tätschelte Dean das Armaturenbrett.

Der Jüngere stieg schnell aus. Er wollte keinen Lachanfall riskieren, auch wenn er Deans Reaktion hier ganz gut verstehen konnte. Er ging zum Kofferraum und lud ihr Gepäck aus.

Der Blonde füllte noch einen Seesack mit Waffen, und dann machten sie sich auf den Weg, den der Typ ihnen gewiesen hatte.
 

Sam ging mit seinen langen Beinen voran.

Der Blonde fluchte immer wieder leise vor sich hin. Der Schnee war nur an der Oberfläche verharscht und darunter wunderbar fluffig. Leider sanken sie so immer wieder bis über die Knie ein.

„Man, können wir uns nicht mal einen Fall im Warmen suchen? Hawaii! Ein paar heiße Blondinen aus den Händen fieser Surfer-Geister retten und am Abend Mai Tai´s am Pool schlürfen? Oder Pina Coladas oder Caipis?“ Wieder brach er durch die Schneedecke, verstummte, während er sich daraus hervor arbeitete.

„Du hast Flugangst, schon vergessen?“ Sam lächelte. So gefiel ihm sein Bruder schon besser.

„Dann eben South Beach!“, knurrte der Blonde und klopfte sich sinnloserweise den Schnee von den Jeans. Er hatte, bevor sie sich auf den Weg gemacht hatten, die dicke Hose wieder ausgezogen weil er sich so eingepackt nicht hatte bewegen können. Jetzt waren die Jeans durchgeweicht und nass, und er hatte das Gefühl, den Schnee schon in der Unterhose zu haben. Seine Füße fühlte er schon nicht mehr.

„Obwohl ich für ein paar heiße Girl und leckere Drinks meine Flugangst bekämpfen könnte. Wir könnten uns da ja zur Ruhe setzen“, fügte er leicht verträumt hinzu.

„Und dein Baby? Willst du sie verlassen?“

„Man, du kannst auch jeden Traum zerstören!“, gespielt wütend funkelte der Blonde den Rücken seines Bruders an und wischte sich noch einmal den Schnee von der Hose.

Sam ging es mit seinen langen Beinen auch nicht viel besser. Und das empfand Dean wenigstens als kleine Gerechtigkeit.
 

Der Jüngere brach schon wieder ein. Doch diesmal blieb er wie erstarrt im Schnee stecken. Schnell ließ der Ältere sein Gepäck fallen und arbeitete sich nach vorn.

„Sammy?“, fragte er besorgt, und das erstarrte, schmerzverzerrte Gesicht seines kleinen Bruders trug auch nicht zu seiner Beruhigung bei.

„Sammy?“, fragte er noch einmal und fasste seinen Arm.

„Mein Fuß. Ich bin umgeknickt“, presste der Jüngere hervor und wurde Zeuge eines Schauspiels, das er ohne die Schmerzen bestimmt amüsant gefunden hätte.

Dean wühlte sich wie ein Irrer durch den Schnee, um an den Fuß seines Kleinen zu kommen.

Sam ließ sich auf seinen Hintern fallen und japste, als er dabei sein Gelenk bewegen musste.

„Das wird jetzt wahrscheinlich weh tun“, erklärte der Ältere ruhig, nachdem er das Gelenk, das Sam in einem komischen Winkel hielt, so vorsichtig wie möglich abgetastet hatte. Der Jüngere nickte und biss die Zähne zusammen. Trotzdem konnte er einen leisen Schrei nicht unterdrücken als Dean den Fuß bewegte.

„Gebrochen scheint nichts, aber er ist schon jetzt leicht geschwollen. Meinst du, du schaffst es bis zum Motel?“

Sam nickte tapfer.

„Na, wenigstens hast du nicht schon wieder einen Schuh verloren.“ Dean duckte sich unter einem halbherzigen rechten Haken seines Bruders hindurch.

Lachend wühlte er sich aus dem Schnee und lief zu seinen Sachen zurück. Er schulterte die Tasche mit seiner Kleidung und den Seesack und kam dann wieder zu Sam. Er legte dessen Arm um seine Schulter, umfasste seine Hüfte und zog den Jüngeren dann fest an sich.

„Dann mal los, Sammy!“

Schon bald war Dean nicht nur äußerlich nass. Sein kleiner Bruder hing fast mit seinem gesamten Gewicht auf ihm.

Langsam stapften sie durch den Schnee. Selbst auf der Straße, die an diesem Tag bestimmt schon einmal geräumt worden war, lag das Zeug schon wieder mehr als kniehoch. Wenigstens der Wind hatte sich komplett gelegt.
 

Endlich tauchte ein Licht zwischen den Bäumen auf.

Sam schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Sein Fuß pochte stark, und auch wenn sein Bruder keinen Ton von sich gegeben hatte, er konnte an seinem keuchenden Atem hören, dass der am Ende seiner Kräfte war.
 

Sie hatten gerade geklingelt, als die Haustür auch schon förmlich aufgerissen wurde.

„Da seid ihr ja endlich!“, begrüßte sie eine Frau Mitte vierzig. Sie trug ihr schwarzes, mit einigen silbernen Fäden durchsetztes Haar schulterlang und die Ponyfransen hingen ihr in die Augen, die die Brüder warm anstrahlten.

Die Winchesters starrten nur verwirrt.

„Wir hatten schon eher mit euch gerechnet, obwohl ich mir ja nicht so sicher war, ob ihr überhaupt kommt. Aber Ukpik meinte, ihr hättet hier was zu erledigen, also würdet ihr auch kommen.“

Jetzt verstanden die Beiden erst Recht nur noch Bahnhof und wechselten einen Blick.

„Ich bin Yuri Mackay.“

Sam versuchte sein Gewicht etwas mehr auf seinen gesunden Fuß zu verlagern und japste, als er dabei seinen gezerrten leicht belastete. Schnell hängte er sich wieder voll an Dean, und der schwankte kurz, als er das zusätzliche Gewicht auffangen musste. Besorgnis flackerte über sein Gesicht und er schaute wieder zu Sam.

„Ach, wie unaufmerksam von mir! Da drüben ist das Bad. Da könnt ihr duschen.“

Dean blickte fragend.

„Du willst den Kleinen doch nicht erst noch die Treppen zu eurem Zimmer hoch schleppen und ihn dann wieder runterhumpeln lassen“, fragte sie.

„Runter könnte ich ihn ja schubsen“, fand der Blonde seine Sprache wieder. Die Frau war ihm sympathisch. Sie war etwas mehr als einen Kopf kleiner als er, aber sie strahlte soviel Respekt aus, wie er es bis jetzt nur bei Ellen erlebt hatte, und ihre Augen waren wieder warm auf die Brüder gerichtet.

Außerdem, wann hatte zuletzt jemand „Kleiner“ zu Sam gesagt?

„Na?“, drohte die Frau lachend.

„Dean!“

„Bring ihn da rüber und danach zeig ich dir euer Zimmer.“ Sie drückte Sam das frische Handtuch in die Hand, das sie schon die ganze Zeit hielt.

„Na komm, Hinkebein“, sagte der Ältere und schob den Jüngeren in die angewiesene Richtung und wartete vor der Tür bis Sam mit Duschen fertig war. Vielleicht brauchte er ja doch seine Hilfe.
 

Kurze Zeit später brachte er einen sauberen, aufgewärmten Sam zurück in den Flur.

„Du kannst ihn gleich zu meinem Mann bringen“, sagte Yuri, die aus der Küche kam, „und dann folgst du mir in euer Zimmer. Ich hab keine Lust, dich hier durchs Haus schniefen zu sehen.“

„Ja, Ma’am“, antwortete Dean kleinlaut.

Er brachte Sam zu dem Inuit, der schon auf sie gewartet zu haben schien.

„Willkommen, in meinem Haus. Ich bin William „Ukpik“ Mackay“, begrüßte er die Brüder.

Leicht enttäuscht musterte Dean den Mann. Einen Inuit hatte er sich anders vorgestellt. Er war etwas kleiner als er selbst, kräftig gebaut und trug ganz normale Kleidung. Irgendwie hatte er Fell erwartet.

‚In einer gut beheizten Wohnung‘ erklärte er sich in Gedanken und schüttelte innerlich den Kopf über sich.

„Sam und Dean Winchester“, stellte sie der Blonde vor, indem er beim Nennen ihrer Namen auf sie deutete. „Mein Bruder hat sich ...“

„... den Fuß verstaucht. Ich seh schon. Bring ihn her. Ich werd es mir ansehen.“

Der Blonde tat wie ihm geheißen, doch als er sich merklich zitternd daneben stellen und Sam Beistand leisten wollte, wurde er unmissverständlich des Zimmers verwiesen.

Sam grinste und legte seinen Fuß, wie angewiesen, auf den kleinen Hocker.

Mit sanften Handgriffen kontrollierte Ukpik das Gelenk.

„Ist nicht so schlimm, wie es aussieht“, sagte er, „aber eine Weile solltest du es schonen. Hast du Skischuhe? Die sind fest genug.“

Sam schüttelte den Kopf.

„Ich glaube wir haben noch ein Paar Neue hier. Meine Frau kann nichts wegwerfen“, erklärte er. „Im letzten Winter wollten wir nach Alaska, aber unsere Tochter hatte die Windpocken bekommen und wir sind hier geblieben. Ich wollte die Schuhe nie haben, aber sie meinte es wäre besser. Du kannst sie gerne mal anprobieren. Sie könnten dir passen, ich hab ziemlich große Füße“, lachte er leise.

Sam nickte nur geistesabwesend.

„Darf ich Sie etwas fragen?“, wollte er wissen während sein Gelenk mit einer undefinierbaren Paste in einem unappetitlichen gelb-braun bestrichen wurde.

Der Mann nickte freundlich.

„Ihre Frau sagte, Sie hätten uns erwartet. Wie? Können Sie hellsehen?“

„Nein“, lachte William. „Aber ich habe um Hilfe gebeten und ihr seid gekommen.“

„Aber wir wollen hier nur Urlaub machen. Mein Bruder hatte vor einer Weile einen schweren Unfall und jetzt …“

Ukpik schüttelte den Kopf.

„Ihr seid vieles, aber keine normalen Urlauber!“

„Wir … wieso?“

„Normale Urlauber sehen anders aus.“

Sam runzelte die Stirn: „Wie?“

„Normale Urlauber wären nicht hierher gekommen. Nicht bei diesem Wetter. Sie hätten sich nicht mit einem gezerrten Knöchel hierher geschleppt. Und sie wäre neugieriger gewesen. Ihr habt etwas Professionelles im Blick.“

Sam starrte seinem Gegenüber in die Augen. „Wie?“, stammelte er verwirrt. So etwas hatte ihnen noch nie jemand gesagt.

„Ich hab schon viele Jäger gesehen, die Eisbären oder Wölfe jagen. Dein Bruder ist ähnlich. Er hat dich hier herein gebracht und sich als erstes umgesehen. Fluchtmöglichkeiten, Deckung und dann hat er mich gemustert. Erst danach hat er mit dir diesen Raum wirklich betreten.“

„Das ist mir noch nie aufgefallen.“

„Das hat vielleicht zwei oder drei Sekunden gedauert, und ich bin mir nicht mal sicher, ob es ihm bewusst ist. Er ist ein Jäger. Geschmeidig wie eine Raubkatze, verbissen wie ein Wolf und ruhelos.“

Der Blick des Winchesters flackerte kurz.

„Du wärst gerne sesshaft?“ Es war eher eine Feststellung als eine Frage, die der Schamane hier machte.

Sam starrte auf seine Hände.

„Ich kann nur sehen was ist, nicht was geschehen wird, auch wenn meine Frau das gerne behauptet, und ich sehe nur, dass er sein Revier noch nicht gefunden hat. Das heißt aber nicht, dass es nicht in nächster Zukunft geschehen kann.“

Sam nickte und blickte dem Mann direkt in die Augen.

„Ich weiß. Und ich werde die Hoffnung nicht aufgeben. Aber er ist mein Bruder und der Letzte, der mir von meiner Familie geblieben ist. Er hat fast alles für mich getan und würde alles für mich geben. Mein Zuhause ist an seiner Seite. Und wenn das der Beifahrersitz des Impala ist, dann ist mir das auch Recht.“

Ukpik nickte.

„Woher wissen Sie das alles? Ich meine, keiner macht sich die Mühe uns genauer zu betrachten. Wir kommen und gehen, und wenn wir helfen konnten, dann sind alle zufrieden.“

„Mein Name ist William Mackey, aber alle nennen mich nur Ukpik. Das ist mein Inuit-Name und bedeutet Eule. Meine Mutter war eine Inuit und ihr Vater war der Schamane im Dorf. Warum die Götter mich ebenfalls für würdig befunden haben, mit ihnen in Verbindung treten zu können, obwohl ich noch nicht einmal mehr in unserer Heimat lebe, weiß ich nicht. Als die Wolfsspuren hier zum ersten Mal auftauchten, hab ich die Götter um Hilfe gebeten und dann habt ihr angerufen und jetzt seid ihr hier.“

Der Winchester schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, ob wir hier so willkommen sind.“

Der Schamane schaute zur Tür in der Dean gerade frisch geduscht auftauchte.

„Alles okay bei dir, Sammy?“, wurde der Hausherr einer Antwort enthoben und Sam drehte sich zu seinem Bruder um.

In Deans Blick konnte er dessen Besorgnis nur zu deutlich sehen.

„Ist nicht so schlimm. Ich kann von Mr. Mackay Skischuhe kriegen, dann kann ich auch in den nächsten Tagen laufen.“

Die grünen Augen richteten sich dankbar auf den Schamanen und huschten dann wieder zu Sam. Viel zu deutlich lag der Selbstvorwurf darin, nicht an so etwas Simples wie Skischuhe gedacht zu haben.

„Mein Schuh hat das Schlimmste abgefangen“, versuchte Sam den Blonden zu beruhigen.

Ukpik lächelte. Der Ältere gefiel ihm immer besser.

Eisige Nacht

113) Eisige Nacht
 

„Wenn du hier nur dumm rumstehst, dann kannst du mir beim Tisch decken helfen!“, sagte Yuri hinter Dean, und der zuckte zusammen. Er hatte sie nicht kommen gehört. Sein Blick huschte zu Sam, der breit lächelte, und wanderte dann zu ihr.

„Na los!“

Wieder schaute er zu seinem Bruder, der nickte.

„Ja, Ma’am!“

Dean marschierte hinter ihr her in die Küche und bekam dort eine große Platte voll mit dampfendem Hackbraten in die Hände gedrückt.

„Bring es rüber und nicht naschen!“

„Nein, Ma’am!“

„Ich hab hier noch ein paar Brocken. Wenn du willst kannst du gleich was kriegen.“

Der blonde Winchester strahlte über das ganze Gesicht, und Yuri musste lachen. Er strahlte wie ein kleiner Junge, dem sie lang ersehnte Süßigkeiten angeboten hatte. Sie fischte die Stückchen aus der Soße und legte sie auf einen Teller, den sie Dean in die Hände drückte, als er wiederkam. Fragend schaute er zu ihr und sie nickte.

Sofort schob er sich den ersten Brocken in den Mund und begann mit einem seligen Lächeln zu kauen.

„Dasch isch läka!“, erklärte er, während er sich schon das nächste Stück in den Mund schob.

Sie lächelte wieder.

An der Tür klingelte es.

„Finger waschen, wenn du fertig bist und dann kannst du noch den Kartoffelbrei mitbringen, ja?“

Dean nickte und leckte, kaum dass sie aus der Küche war, den Teller ab.

Hier würde er es eine Weile aushalten können.
 

Jeremiah Kokrine hatte seine Frau untergehakt.

Er hatte seinem Sohn noch ‚Gute Nacht‘ gewünscht und war dann mit ihr auf den Motorschlitten gestiegen und zu den Mackeys gefahren. Er stand gerade vor der Tür, seine Hand schwebte über der Klingel, um sein Kommen anzukündigen, als er Schritte im Schnee hörte. Er drehte sich um und sah Peter Jones und dessen Frau Elena zusammen mit Jonah „Nanouk“ Mackay und Alice auf sie zusteuern.

Er klingelte und strahlte Yuri an, die ihnen die Tür öffnete. Die Aussicht auf ihren leckeren Hackbraten hatte seine Laune binnen Sekunden auf einen Höchststand gebracht, den sonst nur noch sein Sohn Justin schaffte.

Yuri und Ukpik begrüßten ihre Gäste herzlich und baten sie, sich die dicken Wintersachen auszuziehen und ins große Esszimmer durchzugehen. Der Hausherr holte den Topf Glühwein und Yuri verteilte schon die Vorsuppe.
 

Dean kam mit der Schüssel Kartoffelbrei aus der Küche. Essen im Kreise der Familie war nicht so sein Ding, aber der Hackbraten war lecker und wenn er sich den Bauch vollgeschlagen hatte, dann konnte er sich ja auch mit einem Gähnen verabschieden. Er hatte ihr Zimmer nur kurz begutachten können, aber die Betten sahen gemütlich aus.

Yuri hatte ihm erklärt, dass sie eigentlich ihr Motel etwas weiter die Straße runter hatten, doch bei dem Wetter war kein Urlauber da und sie hatten die Brüder in ihrem Gästezimmer einquartiert.

Er betrat den Raum und die Fröhlichkeit, die eben noch in seinen Augen geglitzert hatte, wich dem emotionslosen Ausdruck, bei dem selbst Sam oft genug Schwierigkeiten hatte, Deans wahre Gefühle zu deuten. Mit mehr Schwung als nötig stellte er die Schüssel ab. Lieber drei Tage mit knurrendem Magen im Zimmer hocken, als bei einem Essen mit diesem unfreundlichen Typen auch nur zehn Minuten am Tisch sitzen.

Schnell verließ er den Raum wieder und prallte kurz hinter der Tür fast mit seinem Bruder zusammen.

„Dean, was …“, begann Sam und wurde von Yuris Ruf unterbrochen.

„Setzt euch, Jungs, damit wir anfangen können.“

Der Blonde verdrehte die Augen, holte tief Luft und wandte sich mit einem ergebenen Ausdruck auf seinem Gesicht um. Sanft wurde er von dem Jüngeren in das Zimmer geschoben.

Ein Blick in die Runde und Sam wusste sofort, warum sein Bruder flüchten wollte. Er schaute ihn kurz an. Dean starrte zur Decke und setzte sich so, dass er Jeremiah möglichst nicht sehen musste.

Schnell stellte Yuri die Anwesenden einander vor.

William hatte die Brüder beobachtet und grinste in sich rein. Natürlich hatte er auch die stumme Unterhaltung gesehen. ‚Was haben die beiden mit Jeremiah? Waren sie sich schon begegnet?’ Er brauchte nicht lange auf die Antwort zu warten.

„Ihr habt es ja glatt bis hierher geschafft!“, dröhnte der Bärtige lachend.

Die Brüder warfen sich nur einen Blick zu.

„Ihr kennt euch?“, wollte Yuri wissen.

„Ja, ich hab die Zwei auf der Straße aufgelesen. Die wäre da glatt erfroren, wenn ich nicht gekommen wäre. Sie wollten im Auto schlafen“, erklärte er abfällig und fuhr dann sofort an den Ranger gewandt fort. „Hast du schon was von den Fünfen gehört, die gestern los sind?“

„Nein, aber bei dem Wetter hab ich damit auch nicht gerechnet.“

„Wie kann man nur bei dem Schneesturm losziehen“, überlegte der Bärtige und schaute Unterstützung heischend zu Jonah. Er würde ihn nie mit seinem Inuit-Namen ansprechen. Die fand er lächerlich!

„Du wärst als Erster losgestürmt, wenn dein Sohn da draußen wäre“, antwortete dieser.

„Mein Sohn zieht nicht mitten in der Nacht los!“

„Dein Wort in Gottes Ohr“, sagte der Ranger nur und schaute dann zu Sam.

„Bei den Temperaturen solltet ihr wirklich nicht im Auto schlafen“, erklärte er ruhig.

Die Brüder warfen sich schon wieder einen ihrer vielsagenden Blicke zu. Was wussten die denn schon?

Wie oft hatten sie tagelang draußen im Schnee kampiert? Und damals waren die Schlafsäcke noch nicht so isoliert wie heute.

Die Brüder antworteten nicht.

Kokrine schaute zu Peter Jones, dem Ranger, und dann wieder zu Dean. „Wenn ihr das Maul schon nicht aufkriegt, wenn euch ein Ranger was sagt, dann könntet ihr euch jetzt wenigstens bei mir bedanken, dass ich euch bei der Kälte aus eurer Schrottkiste geholt habe!“, polterte er.

Jetzt reichte es dem Blonden. Er erhob sich betont langsam und baute sich zu seiner vollen Größe und Breite auf. „Danke, dass mein Bruder sich sein Fußgelenk gezerrt hat, als wir uns durch den Schnee hierher kämpfen durften, obwohl Sie mit Sicherheit schon wussten, dass Sie keine Stunde später ebenfalls hierher kommen würden!“, erklärte er mit schneidend kalter Stimme und ging zur Tür.

Bevor er den Raum verließ drehte sich Dean noch einmal um und schaute zu Yuri: „Danke für das Essen, aber ich ziehe die Gesellschaft meines knurrenden Magens dieser hier vor!“ Er grüßte William mit einem Nicken und verließ den Raum. Schnell hatte er sich seine Winterjacke, die noch immer hier unten am Haken hing, gegriffen und das Haus verlassen.

Sam folgte ihm hinkend.

„In den beiden steckt mehr als ihr vermutet“, sagte der Hausherr und sah bedauernd zur Tür. So hatte er den Abend nicht ausklingen lassen wollen. Und Yuri nahm sich vor, den Winchesters gleich etwas Essen nach oben zu bringen.
 

Sam war seinem Bruder gefolgt und starrte jetzt auf dessen Rücken. Er konnte selbst durch die dicke Winterjacke sehen, wie verkrampft Dean war.

„Dean?“, versuchte er es trotzdem.

„Du wärst nicht erfroren“, sagte der Blonde nach einer ganzen Weile so leise, dass Sam es kaum verstehen konnte. „Ich hätte nie zugelassen, dass dir was passiert Sammy!“

Der Jüngere schluckte.

Er machte einen weiteren Schritt auf den Blonden zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Sie kennen uns nicht“, kam es von dem Blonden so, als würde er eher zu sich reden. „Sie kennen uns nicht und meinen, uns Vorschriften machen zu müssen.“ Warum konnten die sie nicht einfach in Ruhe ihren Job machen lassen? Warum musste immer wieder jemand sich verpflichtet fühlen, ihnen gute Ratschläge zu geben? Sie ließen die Menschen doch auch in Ruhe ihr Leben leben!

„Lass sie reden. Wir finden die Kinder und dann sind wir hier wieder weg und kommen nie mehr her!“

Der Blonde reagierte nicht.

„Komm mit rein Dean. Es ist eisig hier draußen.“

„Geh rein, Sammy. Du hast keine Jacke an.“

„Wenn du mitkommst!“

„Ich bleib noch einen Augenblick hier draußen.“

„Dann warte ich auch.“

„Geh rein, Sam. Bitte!“

Der Jüngere konnte hörten, wie mühsam sein Bruder darum kämpfte, ruhig zu bleiben. Er wusste, dass Dean ihn nicht sehen konnte, und doch nickte er. Er wollte ihn jetzt nicht alleine lassen, aber die Kälte kroch immer tiefer in seine Knochen, und eine Erkältung war jetzt das letzte, was er wollte, also nahm er zögernd seine Hand von Deans Schulter und wandte sich dem Haus zu.

Der Schnee knirschte unter seinen Schuhen.

In der Tür drehte sich Sam noch einmal um und schaute zu seinem großen Bruder. Er hoffte, dass Dean wirklich gleich kommen würde, und ging in ihr Zimmer.
 

Der Blonde starrte in den nachtschwarzen Himmel, der mit funkelnden Sternen überzogen war. Wie schnell sich das Wetter doch von einem Schneesturm zu nicht minder gefährlicher eisiger Kälte wandeln konnte.

Er drehte sich zu Haus und machte zwei, drei Schritte darauf zu.

Die erleuchteten Fenster wirkten freundlich und einladend, doch er konnte sich nicht dazu durchringen, das Haus zu betreten. Sein Körper vibrierte von unterdrückter Wut. Diese Menschen kannten Sam nicht, diese Menschen kannten ihn nicht, wie konnten sie sich dann dazu aufschwingen, ein Urteil über sie und ihre Fähigkeiten zu fällen.

Hektisch huschten seine Augen über das Haus, die Straße und den angrenzenden Wald.

Und dann explodierte sein Körper.

Als wäre er von Dämonen getrieben, hetzte er, so schnell es der hohe, verharschte Schnee zuließ, die Straße entlang. Weiter und weiter rannte er. Die Kälte brannte in seinem Hals und schmerzte in den Lungen. Doch er konnte nicht anhalten. Noch nicht. Nicht ohne irgendwen oder sich selbst ernstlich zu verletzen.

Und dann schälte sich ein matt glänzender, halb verwehter schwarzer Umriss aus der Dunkelheit vor ihm.

Der Impala.

Seine Instinkte hatten ihn zu dem einzigen Zuhause geführt, das er hatte.

Vielleicht würde Bobbys Haus einmal zu etwas in der Art werden, vielleicht würde er ein richtiges Zuhause finden, doch jetzt war der Impala neben Sam die einzige Konstante in seinem Leben.

Er lief zu seinem Baby und schaufelte die hintere Beifahrertür frei. Dann kroch er in die vertraute Stille. Auf dem Rücksitz lagen noch ihre Schlafsäcke und die dicken Hosen. Schnell hatte er sich diese angezogen und wühlte sich in die Schlafsäcke. Hier würde er auf keinen Fall erfrieren.

Für eine Weile blieb sein Blick noch an den funkenden Punkten über ihm hängen bevor er sich komplett in der beginnenden Wärme verkroch. In seinem Inneren herrschte wieder friedliche Ruhe und so schlief er ein.
 

Auch Sam lag in seinem Bett und starrte auf das Fenster. Er wartete auf Dean, doch der schien wohl noch Zeit zu brauchen. Am liebsten würde er wieder aufstehen und noch unten humpeln um diesem arroganten Affen eine reinzuhauen. Wie konnte er Dean UND den Impala so beleidigen!?!

Er holte tief Luft und verkroch sich noch etwas tiefer unter den Decken.
 

Schnee verklebte seine Hosenbeine und verwandelte seine Unterschenkel langsam aber sicher in Eisklumpen. Sein Magen knurrte schon seit einer halben Ewigkeit und er wusste, dass er wohl auch noch eine ganze Weile knurren würde. Die Dämmerung setzte zwar gerade ein, aber Dad machte noch keine Anstalten einen Rastplatz zu suchen.

Gestern Abend, als er den Impala auf den Parkplatz hatte rollen hören, war doch für einen Moment die Hoffnung in ihm aufgekeimt, dass sie Deans Geburtstag nachfeiern würden, schließlich war Dad nicht da gewesen. Er hatte sich geirrt.

Dad war zur Tür hereingekommen, und so mürrisch wie er dreingeschaut hatte, hatte er sofort gewusst, dass der Job nicht gut verlaufen war. Seit er das Tagebuch gelesen und Dean es ihm bestätigt hatte, wusste er, was sein Vater wirklich machte. Monster jagen!

Dean hatte ihm sofort ein Bier gebracht und ihm etwas zu essen gemacht. Es hatte Dads Laune nicht wirklich gehoben. Und so hatte Dean ihn schlafen geschickt und war auch bald zu ihm ins Bett gekrochen. Das war eine der schönen Seiten, wenn ihr Dad da war. Er konnte sich an Dean kuscheln, wenn er wieder Albträume hatte, ohne dass er sich erst orientieren musste, wo er war. Mal abgesehen davon, dass er, wenn er bei Dean schlief, kaum Albträume hatte.
 

Unbewusst kuschelte sich Sam noch tiefer in die Decken und murrte ein wenig frustriert, weil die erträumte Wärme fehlte.

Traumhafte Erinnerungen

114) Traumhafte Erinnerungen
 

Schnell tauchte Sam wieder tiefer in seinen Traum.
 

Am Morgen waren sie ziemlich früh aus dem Schlaf gerissen worden. Dad hatte ihnen nur gesagt, dass sie ihre Rucksäcke packen und in zwanzig Minuten auf dem Parkplatz warten sollten, sie würden dieses Wochenende draußen verbringen.

„Aber Dean hatte doch …“, hatte er einen Einwurf versucht, doch Dad war schon aus der Tür gestürmt.
 

Er wusste, dass sein Bruder dieses Wochenende mit einem Mädchen verbringen wollte, jetzt durfte er durch dem verschneiten Wald hetzen und heute war erst Donnerstag!
 

„Jetzt beeilt euch mal! Je langsamer ihr seid um so später rasten wir!“, knurrte ihr Vater über seine Schulter, und Dean schaute sich zu ihm um. Die beiden Älteren hatten ihn schon fast hoffnungslos abgehängt. Sein großer Bruder blieb stehen und wartete.

„Komm Kleiner, ich trag dich ein Stück. Und dann gibst du mir deinen Rucksack und hältst dich an meiner Jacke fest“, sagte der Blonde und nahm ihn Huckepack. Noch schien sein Bruder sein Gewicht kaum zu bemerken.

Dean beeilte sich, schnell wieder hinter Dad zu kommen und ihn möglichst nichts von ihrer Aktion hier merken zu lassen.

Sam starrte auf den Rücken seines Vaters und fragte sich, was passiert war. So gereizt hatte er ihn selten erlebt. Nicht, wenn er wiedergekommen war.
 

Am frühen Abend kamen sie an einen kleinen Fluss.

Sie waren erschöpft und hungrig, und Dad hatte wohl endlich ein Einsehen und versprochen, dass sie auf der anderen Seite rasten würden.

Er konnte nicht mehr. Trotz der Bewegung war ihm irgendwie kalt. Sein Hals brannte und er hatte das Gefühl, dass seine Beine Tonnen wiegen würden. Warum musste Dad sie nur so durch den Wald scheuchen?

Nur zu gerne ließ er sich von Dean den Rucksack abnehmen und sah ihm hinterher, wie der leichtfüßig von Stein zu Stein sprang und ihre Rucksäcke ans andere Ufer brachte. Wie sehr bewunderte er seinen großen Bruder!

Er selbst fühlte sich seit einer Weile irgendwie unbeholfen. Immer öfter stolperte er oder ihm rutschten Sachen aus den Händen. Er hasste sich dafür und wurde immer unleidlicher, je öfter sowas passierte. Er fühlte sich wie ein Tollpatsch und schaute immer wieder bewundernd zu seinem großen Bruder. Dean bewegte sich wie eine Katze. Schnell, leichtfüßig, und genau wie sie, schien er immer wieder auf die Füße zu fallen. Und genauso träge konnte er auch sein.

Ein kurzes Lächeln huschte bei diesem Gedanken über sein Gesicht.

Aber sein Bruder hatte ihm erklärt, dass er jetzt so langsam anfangen würde richtig zu wachsen und da wäre das normal. Dean wusste einfach alles und er erklärte es ihm auch immer wieder.

Am gegenüberliegenden Ufer des Flüsschens machte der Größere kehrt und kam zu ihm zurück, um ihm zu helfen.
 

Er achtete mehr auf seinen großen Bruder als auf den Stein, auf den er springen wollte. Er rutschte ab und ruderte hilflos mit den Armen, um doch noch irgendwie sein Gleichgewicht halten zu können.

Fast wie in Zeitlupe kippte er nach hinten.

Sein großer Bruder sprang.

Die Steine im Fluss waren lose und rutschig und er landete mit seinen Füßen im Fluss.

Mit einer verzweifelten Aktion riss der Blonde ihn an sich und verlor so selbst endgültig das Gleichgewicht. Dean fiel in das eisige Wasser.

Der Jüngere landete mit seinem Hintern auf dessen Bauch. Binnen Sekunden kroch ihm die eisige Nässe durch die Hosen. Er war so geschockt, dass er nicht mal weinte.

Fast sofort stand sein Dad vor ihm. Er hatte sie wohl fallen sehen, seinen Rucksack weggeworfen und war in den Fluss gestürzt. Hastig riss er Sam aus Deans Händen und streckte dann die Hand zu Dean aus. Doch wie sollte er seinen älteren Sohn aus dem Wasser ziehen ohne selbst den Halt zu verlieren und mit Sam in das eisige Wasser zu fallen? Er stand hier alles andere als sicher!

Hektisch sah John sich um und hetzt mit seinem Jüngsten wieder zum Ufer.

Der Jüngste begann zu weinen. Warum half Dad Dean nicht?

Doch noch bevor er die Frage laut aussprechen konnte, setzte Dad ihn am Ufer ab und bellte ihn an: „Sie zu, dass du aus den nassen Sachen kommst.“

Und schon sprang er wieder in den Fluss.

Er, Sam, war gar nicht in der Lage, sich zu rühren. Sein ganzer Körper zitterte vor Kälte und seine Finger verweigerten die Kooperation beim Öffnen des Hosenknopfes. Seine Augen füllten sich erneut mit Tränen. Aber er wollte doch sehen, dass Dad Dean rettete und dass es seinem großen Bruder gut ging!
 

Der Blonde hatte sich inzwischen auf Hände und Knie gekämpft. Und begann am ganzen Körper zu zittern. Seine Zähne schlugen laut vernehmlich aufeinander. Er war unfähig, sich weiter

zu rühren. Seine Muskeln streikten und eine Stimme in ihm erklärte ich beständig, dass er, wenn er auch nur eine Hand vom Boden löste, sofort wieder komplett in das Wasser kippen würde.

Dean fühlte die Hände kaum, die ihn grob packten und nach oben zerrten. Er wurde ans Ufer geschoben, ebenfalls energisch ermahnt, dass er sich ausziehen sollte, ohne dass er begriff, dass John wirklich ihn meinte. Sein Denken war komplett eingefroren. Er wusste nur, dass er fror. Jämmerlich fror.
 

Dad war wieder bei ihm. Er sagte nichts, schimpfte nicht. Hastig öffnete er die Hose und streifte sie von seinem kleinen Körper. Schnell hatte er ein Handtuch aus seinem Rucksack geholt und rubbelte ihn trocken. Gleich darauf drängte er ihn in die kalte, aber trockene Ersatzkleidung und wickelte den Kleinen in einen Schlafsack.

„Ich mach gleich Feuer, dann kochen wir Tee“, sagte er mit beruhigendem Ton und schlang noch eine Decke um ihn.

Dad drehte sich um, und beide schaute sie zu Dean.

Deans Augen waren glasig ins Nirgendwo gerichtet, die Arme hatte er um sich geschlungen. Zu mehr war er nicht fähig.

„Dean?“, flüsterte der Jüngste ängstlich.

Dad war mit zwei großen Schritten bei seinen Ältesten und begann ihn aus Jacke, Pullover und Hemd zu pellen. Immer wieder musste er Deans Hände zur Seite schlagen, der sich mit aller, ihm noch zur Verfügung stehenden Kraft dagegen wehren wollte, hier in der Kälte ausgezogen zu werden. Doch John war stärker. Er rieb den Blonden trocken und versuchte gleichzeitig die Blutzirkulation wieder anzukurbeln. Dean war unnatürlich weiß.

Auch er wollte ihm helfen, doch Dad, jetzt endgültig am Ende seiner Nerven, brüllte ihn an, sitzen zu bleiben. Er zog Dean die trockenen Sachen über, hängte ihm den Schlafsack um die Schultern und machte sich dann daran, auch dessen untere Körperhälfte trocken zu legen.
 

Kaum saßen seine Söhne dick eingemummelt nebeneinander, als er begann Feuer zu machen. Sam war schon wieder erstaunlich mobil, doch sein großer Bruder starrte noch immer apathisch geradeaus.

Immer wieder schaute der Jüngere zu seinem Bruder. Tränen bildeten sich in seinen Augen und liefen, ohne dass er es verhindern konnte, über seine Wangen. Er wollte, dass Dean in Ordnung war, er wollte in einem Diner etwas essen und dann neben Dean auf der Couch sitzen und Trickfilme gucken. Er schniefte laut.
 

Dad kochte Tee, den er ihnen in die kalten Hände drückte, holte unzählige Tannenzweige, die er auf den Boden legte und baute das Zelt darüber auf. Er schickte seine Söhne hinein, Dean musste er zwingen aufzustehen und sich zu bewegen, und dann wurden sie unter einer dicken Schneeschicht begraben.

Er hatte wirklich Angst, dass Dad sie so nicht wieder finden würde, aber der hatte ihn beruhigt und ihm erklärt, dass Schnee wärmen würde, und er hatte einige Luftlöcher in die Schneeschicht gemacht.

‚So ein Quatsch! Schnee ist kalt und bleibt kalt‘, hatte Sam sich überlegt.

„Bleibt in dem Zelt. Ich hole den Wagen!“, befahl John und stapfte durch die Nacht davon.
 

„Dean?“, fragte er immer wieder, doch mehr als ein leises Rascheln, das durch die Bewegungen beim Atmen entstand, war von seinem Bruder nicht zu hören. Entschlossen kroch er aus seiner wärmenden Hülle, wickelte diese auch noch um Dean und krabbelte dann zu ihm unter die Decken.

Deans Augen waren noch leicht geöffnet, aber er reagierte nicht. Er hatte sich so eng wie nur möglich zusammen gerollt und es kostete den Kleinen einige Anstrengungen und Bitten, bis sein Bruder sich etwas öffnete. Ganz schnell kroch er in Deans Arme, presste sich fest an ihn und war gleich darauf eingeschlafen.
 

Ein Scharren über ihm weckte ihn.

Er drehte sich auf den Rücken und schaute zu seinem Bruder, dessen Gesicht er schemenhaft in dem dämmrigen Grau erkennen konnte.

„Dean?“, fragte er leise. Es war so gar nicht typisch für seinen Bruder, dass er bei solchen Geräuschen noch schlief.

Und dann brach Dad durch den Schnee.

„Kommt raus. Ich hab Tee gekocht und der Impala steht eine Stunde von hier“, forderte der, und Sammy begann sich aus den Decken zu schälen.

„Dean?“, fragte er wieder. Sein Bruder regte sich nicht, hatte aber die Augen leicht geöffnet.

Er kroch aus dem Zelt und lief schnell zum nächsten Baum. Seine Blase meldete sich schon fast schmerzlich.

Doch als er sich eigentlich endlich erleichtert fühlen müsste, schoss ein neuer Schmerz durch seinen Unterleib. Sofort hielt er inne. Was sollte er denn jetzt tun?

„Los raus, Dean! Beweg dich!“, hörte er seinen Vater ungehalten bellen, und er schaute zum Zelt.

John schaufelte schon ihren Unterschlupf frei.

Da Dean sich noch immer nicht rührte, zerrte John ihn kurzerhand aus dem Zelt und stellte ihn auf die Beine.

Erschrocken musterte der Jäger den Jungen, und auch Sam starrte zu ihm. Sein Bruder war blass und seine Augen trüb. Er stand einfach nur da.

Noch immer drückte Sams Blase und er versuchte erneut sich zu erleichtern. Wieder stach ihm ein Schmerz in seinen Unterleib und er krümmte sich leicht zusammen.
 

Keuchend erwachte Sam und presste seine Hände automatisch auf seinen Bauch.

Es dauerte eine Weile, bis er registrierte, dass der Schmerz nur in seinem Traum in seinem Bauch gewütet hatte, und jetzt seinem verstauchten Knöchel entsprang.

Sein Blick wanderte zum Nachbarbett, doch die Hoffnung, da seinen Bruder schlafen zu sehen, wurde enttäuscht. Verdammt, wieso hatte er ihn gestern Abend allein gelassen? Er hatte doch gespürt, wie aufgewühlt der noch gewesen war.

Ihn jetzt suchen zu wollen, würde jedoch nichts bringen. Draußen war es noch dunkel, und mit seinem Knöchel würde er so nicht weit kommen.

Frustriert ließ er sich wieder in seine Kissen fallen und dachte über den Traum nach.
 

Dad hatte Dean auf dem Weg zum Wagen regelrecht vor sich hergetrieben, da der immer wieder einfach stehen geblieben war.

Irgendwann hatten sie den Impala erreicht und er durfte vorne sitzen. Dean war, kaum dass Dad die hintere Tür geöffnet und „los, rein“, gesagt hatte auf die Rückbank gekrochen. Ihn da vor dem Motel wieder raus zu bekommen, war auch zu einem Kraftakt gewesen.

Dad hatte sie zuerst zusammen in die Wanne und dann getrennt in die Betten gesteckt. Sie hatten sich beide eine dicke Erkältung mit hohem Fieber und er selbst auch noch eine Blasenentzündung eingefangen gehabt.

Dean war zwei Tage überhaupt nicht ansprechbar gewesen. Und an dem Tag, an dem er zum ersten Mal wieder aufgestanden war, hatte Dad abends einen Anruf bekommen.

„Such dir einen anderen, ich kann das nicht machen, die Jungs sind krank!“, hatte John Winchester wütend ins Telefon gebellt und den Hörer dann zurück auf die Gabel geknallt. Wie ein gefangenes Raubtier war er danach durch das Zimmer getigert.

Am Morgen darauf hatte sich Dean aus dem Bett gequält, um etwas zu essen. Er und Dad hatten sich unterhalten und als er, Sam, zu ihnen kam hörte er noch, wie Dean heiser sagte: „Fahr Dad, bevor noch jemand stirbt.“

„Bist du sicher?“

„Ich bin okay, Dad!“

Wie oft hatte er diesen Satz inzwischen von seinem Bruder gehört. Er fragte sich wirklich, ob der Satz je der Wahrheit entsprochen hatte.

Keine Stunde später war Dad verschwunden gewesen.

Dean hatte sich hustend, schniefend und immer wieder nach Luft japsend über den Tag gerettet. Am nächsten Morgen war er kaum aus dem Bett gekommen und nach dem Frühstück hatte er sich auf wackligen Knien bis zum Sofa geschleppt. Er hatte sich darauf fallen lassen, war zur Seite gekippt und egal wie sehr Sam versucht hatte seinen Bruder zu wecken, Dean hatte nicht reagiert.

In seiner Panik hatte er Onkel Bobby angerufen.

Fünf Stunden später war der Freund bei ihnen gewesen und hatte sie beide, nach einem weitere erfolglosen Versuch Dean zu wecken, in seinen Wagen gebracht und ins Krankenhaus gefahren.

Dean wurde über Nacht an einen Tropf angeschlossen und er selbst bekam Antibiotika gegen seine noch nicht ausgeheilte Blasenentzündung.

Am nächsten Tag hatte Bobby sie mit zu sich genommen.

Dean hatte noch fast eine Woche gebraucht, bis er wieder auf den Beinen war und Dad hatte sich von Bobby einen gehörigen Anpfiff eingefangen. Danach war er sogar fast zwei Wochen mit ihnen bei Bobby geblieben.

Die Legende von Amaruq

115) Die Legenden von Amaruq
 

Sam atmete erneut tief durch und setzte sich auf.

Vorsichtig, um die Schmerzen in seinem Fuß nicht noch zu verstärken, humpelte er zum Schrank und zog sich an. Schnell schlüpfte er in die Skischuhe, die Yuri ihm am Abend noch gegeben hatte. Sie passten perfekt.

Langsam machte er ein paar Schritte. William hatte Recht! Er hatte wirklich wunderbaren Halt in den Schuhen. So konnte er die nächsten Tage überstehen.

Wenn er nur wüsste …

In diesem Augenblick hörte er, wie der Schneepflug vorbeifuhr und gleich danach das wohlbekannte Grollen des Impalas.

Erleichtert atmete Sam auf und hastete so schnell wie er es mit seinem Fuß konnte, die Treppe hinunter.

„Toll, dass du auch schon kommst! Was hat dich hergetrieben? Der Hunger?“

„Dir auch einen wunderschönen guten Morgen, Sammy!“, grinste der Blonde.

Kurz verschlug es dem Jüngeren die Sprache. Er konnte sehen und spüren, dass Dean wieder mit sich und der Welt im Einklang war. Trotzdem! Er hatte sich Sorgen um seinen großen Bruder gemacht!

„Wo warst du? Du wolltest gleich nachkommen!“

Schuldbewusst senkte Dean den Blick: „Ich brauchte Bewegung. Wenn ich gestern mit dir mitgekommen wäre, ich weiß nicht, was noch passiert wäre.“

Sam nickte. Er konnte Dean ja verstehen, aber das änderte nichts an der Tatsache.

„Ich hab mir Sorgen gemacht!“

Der vorwurfsvolle Blick seines kleinen Bruders war wie ein Schlag in den Magen. Er hatte sich gut gefühlt und nicht daran gedacht, dass Sammy sich Sorgen machen könnte. Außerdem war er der große Bruder, verdammt noch mal, und er hatte sich Sorgen um Sam zu machen, nicht umgekehrt!

„Hunger hab ich aber auch.“

„Dann kommt mal frühstücken“, sagte Yuri und die Jungs zuckte zusammen. Sie hatten sie nicht kommen gehört.

William saß ebenfalls am Tisch.

„Du hast was von Motorschlitten gesagt, Sam?“, warf Dean die Frage in den Raum.

„Ja, wir haben welche in der Garage. Vollgetankt. Wollt ihr ´ne Runde drehen?“, antwortete der Schamane anstelle von Sam.

„Klar, wir wollen in unserem Urlaub doch nicht nur in unserem Zimmer sitzen und in den Schnee starren.

Da hätten wir auch zuhause bleiben können.“

Der Jüngere nickte nur. Deans Laune war ihm unheimlich. Sein Bruder war ausgeruht und sprühte regelrecht vor Leben. Was hatte der in der Nacht gemacht?
 

Nach dem Frühstück brachte Dean ihre restlichen Sachen in ihr Zimmer und für Sam, als er zurückkam, seine dicke Jacke mit.

„Dann will ich euch die fahrbaren Untersätze mal zeigen“, lächelte Ukpik.

Dean stopfte seine Handschuhe in die Jackentaschen und folgte dem Schamanen mit leuchtenden Augen.

„Seid ihr lange weg?“, fragte der Inuit.

„´ne Stunde, vielleicht zwei. Ich will erst sicher sein, dass Sams Knöchel mitspielt. Außerdem ist es schon zu spät für ´ne größere Tour“, antwortete der Blonde schnell und fing sich einen bösen Blick seines Bruders ein.
 

„Wir sollten endlich anfangen nach den Kindern zu suchen!“, fauchte der seinen Bruder auch sofort an, als er den Schamanen außer Hörweite wähnte. „Oder willst du, dass noch mehr Kinder verschwinden oder vielleicht sogar sterben?“

„Schieb deine dreckigen Finger ruhig in die Wunde und pople darin herum!“, knurrte Dean leise. Er wollte auch lieber gestern als heute nach den Kindern suchen.

„Aber ich ...“

„Verdammt Sam! Ich werde bestimmt nicht dein Leben aufs Spiel setzen, egal wie viele ich damit auch retten könnte!“

„Mir geht’s gut!“

„Klar, und dann rutscht du irgendwo weg, weil dein Knöchel eben doch nicht hält und ich kann dir nicht sofort helfen. Vergiss es! Außerdem ist es wirklich schon zu spät. Wir drehen heute eine Runde um den Ort, schauen uns die Häuser an, aus denen die Kinder verschwunden sind und morgen machen wir uns auf die Suche.“

Sam nickte nur. Sein Bruder hatte ja Recht, auch wenn er das nur ungern zugab und er außerdem noch sauer auf ihn war, wegen der letzten Nacht.

„Wo hast du eigentlich geschlafen?“

„Im Impala.“

„Im … aber wie?“

„Ich brauchte Bewegung, also bin ich einfach losgerannt. Bin am Impala gelandet. Die Schlafsäcke waren wirklich eine gute Idee, Sammy!“

Der Jüngere grinste. Sein Bruder gab zu, dass er auch gute Ideen hatte.

„Als ich heute morgen mein Baby gerade freischaufeln wollte kam der Trottel mit seinem Schneepflug vorbei und hat sie restlos zugeschoben. Immerhin ist er hierher gefahren. Trotzdem, irgendwann dreh ich ihm den Hals um!“

„Deiner Laune hat das morgendliche Schaufeln aber keinen Abbruch getan“, feixte Sam.

„Lass uns fahren!“ Schnell hatte Dean sein Gefährt angeworfen und jagte die, trotz Schneepflug, verschneite Straße hinunter.

Der Jüngere beeilte sich, ihm zu folgen.
 

Zwei Stunden später waren sie zurück und mit den Resten des Hackbratens bewirtet worden.

„Treiben Sie mit allen Ihren Gästen so einen Aufwand?“, wollte der Blonde von Yuri wissen.

„Nein. Nur mit so erhofften und netten wie euch.“

Wieder starrte Dean sie fragend und überrascht an. Dass sie eine höhere Macht hierher geführt haben sollte, wollte er nicht gelten lassen. Selbst den Engel, der sie aus dem 19. Jahrhundert zurückgebracht hatte, würde er leugnen, wenn ihn jemand danach fragen sollte. Zu tief war der Frust über die Nicht-Rettung seiner Mom und das was diese geflügelten Wesen auf der Erde alles zuließen, in ihm verwurzelt.

Nein, es gab keine Engel! Genauso wenig wie es andere höhere oder helfende Mächte gab.

Er konnte einfach nicht an sie glauben.
 

Nach dem Essen hatten sich die Brüder in ihr Zimmer verzogen und brüteten über ihren Laptops.

Dean versuchte in den Standorten der Häuser, aus denen die Kinder verschwunden waren, ein Muster zu erkennen. Doch selbst wenn er die Unterkunft der Jäger dazu nahm, da gab es nichts zu finden.

Sam las sich durch die Mythologie der Inuit und Flathead.

Der Blonde stöhnte frustriert, klappte seinen Rechner zu und holte sich einen Kaffee.

„Hast du was über die Bewohner herausgefunden?“, wollte er von Sam wissen und setzte sich auf sein Bett.

„Sie sind zu 15% Inuit, zu 35% Flathead und zu 50% Weiße.

„Und was sollen wir daraus erkennen, außer dass das Zusammenleben zwischen Ureinwohnern und uns Weißen doch funktionieren kann?“

„Wenn man nicht sofort auf sie schießt!“, stichelte der Jüngere.

„Danke Sam, das hab ich jetzt gebraucht!“

„Wenn wir schon bei dem Thema sind, woher hasst du eigentlich gewusst, dass sie besessen waren?“, hakte Sam nach. Das fragte er sich schon länger.

„Ich …“, Dean stockte. Sam wusste nicht, dass er Dämonen sehen konnte und er wollte es ihm auch nicht erzählen, nicht jetzt. Er hatte lange mit Sams Visionen gehadert und jetzt kam er mit etwas ähnlichem? Nein!

„Ich habe ihre Augen gesehen“, erklärte er also.

Sam war das Zögern aufgefallen, aber er wollte nicht nachfragen. Es könnten so viele Möglichkeiten sein, weswegen Dean gezögert hatte und er war ja noch immer nicht in El Paso gewesen, um sich zu vergewissern, dass die Familie, seine Familie weiterhin ein normales Leben gelebt hatte.

Der jüngere Winchester nickte nur.

„Zu welchem Bevölkerungsteil gehören die verschwundenen Kinder?“

Sam tippte auf seiner Tastatur herum, dann sagte er: „Ein Weißer, ein Flathead und zwei Inuit.“

„Okay, nehmen wir an, dass es mit den Inuit zu tun hat und der Wolf tatsächlich Amaruq wäre. Wieso sollte der hier sein? Er ist nicht sein Revier. Müsste ihn dann nicht jemand gerufen haben?“

„Wäre möglich, oder aber er ist so eine Art Rachegeist, der überall da auftaucht, wo Unrecht geschieht. Die Jäger haben gewildert.“

„Meinst du, das kann ein Geist unterscheiden? Außerdem hast du gesagt, dass in der Legende steht, dass er Jäger tötet, die alleine unterwegs waren. Die fünf werden sich nicht getrennt haben und selbst wenn. Die Kinder sind aus ihren Häusern verschwunden!“

Sam überlegte eine Weile.

„Wir sollten William fragen. Er müsste uns doch etwas zu seiner Mythologie sagen können.“

Dean nickte. „Ist eh fast Zeit fürs Abendessen.“

„Im nächsten Leben wirst du ein Wal. Dann kannst du den ganzen Tag fressen.“

„Aber der frisst doch nur Krill! Das ist dann eher was für dich!“

Sam verdrehte die Augen. Seinem Bruder fiel doch immer was Passendes als Antwort ein.
 

„Wie kommt eigentlich ein Inuit wie Sie hierher mach Montana?“, wollte Sam beim Essen wissen.

Dean warf ihm einen irritiert fragenden Blick zu. Wieso fragte Sam sowas?

„Ich bin nur ein halber Inuit. Mein Vater war ein Arzt aus New York, den es aus irgendeinem Grund nach Alaska verschlagen hat. Er hat eine Frau kennengelernt und mein Bruder und ich wurden geboren.

Er wollte nie wieder weg.

Ich wollte New York kennenlernen und bin mit 37 hingefahren. Die Stadt war mir ein Graus. Viel zu hektisch für so ein Landei wie mich. Wieso mich die Götter letztendlich hierher geschickt haben weiß ich nicht, aber sie werden schon ihre Gründe gehabt haben.“

Dean verdrehte nur die Augen. Schon wieder Götter! Der letzte Vielleicht-Gott mit dem sie es zu tun hatte, hatte sie in die Vergangenheit katapultiert.

„Aber das war nicht das, was du eigentlich wissen willst“, stellte der Mann an Sam gewandt, ruhig fest.

Die Brüder warfen sich einen ihrer beredeten Blicke zu und Sam schluckte. Dieser Mann war ihm unheimlich!

„Der Jäger, der vor ein paar Tagen ziemlich verwirrt aufgegriffen wurde, hat von einem Wolf gesprochen….“

„Amaruq. Es gibt Legenden zu ihm.“

„Erzählen Sie sie uns?“, fragte Dean.

„Gerne. Also: Es war einmal ein Jäger. Er ging jeden Tag auf die Jagd und er war sehr erfolgreich.

Doch er war einsam. Er war von Wölfen aufgezogen worden, aber diese hatten entschieden, dass er ein Mensch sein musste. Die Menschen ihrerseits hatten entschieden, dass er ein Wolf sein musste, eben weil Wölfe ihn aufgezogen hatten. Und da weder Wölfe noch Menschen ihn haben wollten, lebte er allein.

Er sehnte sich nach Gesellschaft. Immer wieder beobachtete er die Menschen von einem Versteck aus, denn wenn sie ihn gesehen hätten, wäre sie fortgelaufen.

Auch die Wölfe konnte er nur von einem Versteck aus beobachten, denn auch sie wären davongelaufen, wenn sie ihn gesehen hätten, war er für sie doch viel zu sehr Mensch.

Und so lebte der Jäger sehr einsam und wurde immer trauriger.

Eines Tages kam er an das Meer und sah dort ein Mädchen sitzen, das damit beschäftig war einen Korb zu flechten.

Sie schaute auf und sah ihn.

‚Warum bist du so traurig?‘, wollte sie von ihm wissen.

‚Weil ich alleine bin. Alle meiden mich, denn ich bin weder Mensch noch Tier.‘

‚Oh‘, sagte sie, ,ich könnte dir helfen?‘

‚Du?‘, fragte er verwundert und schaute auf ihren Körper, der halb Wasser und halb Mensch war.

‚Ich bin Sedna, die Göttin des Meeres.‘

Kurz überlegte Amaruq, dann fragte er sie: ‚Was muss ich tun?‘

‚Du musst mir deine Seele geben. Dafür mache ich dich zum Freund aller Menschen.’“

Dean schüttelte missbilligend den Kopf. Das war keine Göttin, das war ein Dämon!

‚Sie werden zu dir kommen wenn sie Schutz brauchen, sie werden dich bewundern, respektieren und verehren‘“, fuhr Ukpik unbeirrt mit seiner Erzählung fort.

„Kurz überlegte der Mann, dann stimmte er dem Handel zu.“

Wieder wechselten die Brüder einen Blick.

„‚Ich werde dir meine Seele geben!’, antwortete Amaruq’“, fuhr Ukpik fort und Dean schloss gequält die Augen.

„Kaum hatte er diese Worte gesagt, da fühlte er, wie seine Muskeln steif wurden und sich verhärteten.

Er schaute an sich herab und sah, dass er zu Stein wurde.

Er wollte schreien, doch er bekam keinen Ton heraus.

Sednas Kichern hallte über das Wasser, als sie ins Meer zurückkehrte.

Amaruq aber stand da. Seine Beine waren mit der Erde verbunden und seine Arme weit ausgestreckt.

Er konnte sehen und hören, aber er konnte nichts sagen. Wütend verfluchte er seine Leichtgläubigkeit und wünschte sich, diesen Pakt nie eingegangen zu sein. Doch dann kam eine Gruppe Menschen daher.

‚Schaut mal!‘, riefen sie. ‚Ein Mensch aus Stein!‘

Letztendlich hatte Amaruq viele Freunde. Sie respektierten und verehrten ihn und sie kamen zu ihm um Schutz zu suchen. Er konnte ihnen zuhören und zusehen. Nur mit ihnen reden konnte er nicht“, beendete der Schamane seine Geschichte.

„Das war schön!“, sagte Sam bedächtig.

„Nein, das war grausam! Was nutzt es ihm, wenn sie ihn verehren. An ihrem Leben kann er ja doch nicht teilhaben. Also ist er immer noch einsam!“, schnaubte der Blonde.

„Aber was ist mit der Legende, dass Amaruq Jäger holt?“, wandte er sich dann an Ukpik.

„Das ist eine weitere Erzählung. Er holt sich die Jäger, die so vermessen sind nachts allein jagen zu wollen“, sagte der Schamane.

„Und Sie glauben daran“, stellt Dean fest.

„Ich bin ein Schamane. Ich kann mit den Göttern reden. Ich sollte daran glauben, meinst du nicht?“

Wieder schnaubte der Blonde. Es war eine blöde Frage.

„Aber die fünf waren doch zusammen, oder?“, brachte Sam das Gespräch in eine andere Richtung.

„Vielleicht hatten sie sich getrennt?“, überlegte der Hausherr und beobachtete seine Gäste interessiert.

Dean gähnte demonstrativ: „Wir sollten ins Bett, wenn du morgen eine Runde über den See drehen willst“, sagte er zu Sam.

„Der hält doch, oder?“

„Aber natürlich.“ Der Schamane lachte.

Die Brüder verabschiedeten sich und gingen in ihr Zimmer während der Schamane noch lange über sie nachdachte.

Die Bestätigung einer Legende

116) Die Bestätigung einer Legende
 

„Wieso wusste er, was du wissen wolltest? Und vor allem, was weiß er sonst noch über uns?“, fragte der Blonde aufgebracht, kaum, dass sie in ihrem Zimmer waren. Woher, wenn nicht von Sam, sollte der Alte soviel mehr über sie wissen als er es eigentlich konnte?

„Er weiß, dass wir Jäger sind und zwar keine normalen Jäger!“

„Du hast ihm unser Leben erzählt?“, seit wann war sein Bruder so redselig? Das passte so gar nicht zu Sam. Nicht in dieser Beziehung!

„Nein, Dean. Das hat er mir gesagt, als er meinen Fuß verbunden hat. Du hast uns verraten.“

„Ich hab was??? Ich hab doch kaum mit ihm geredet“, brauste der Blonde auf.

Die kurze Genugtuung, die Sam gefühlt hatte, als er Deans Gesichtszüge entgleisen gesehen hatte, wich einem schlechten Gefühl. Sein Bruder hatte ja wirklich nichts gesagt.

„Er meinte, dass du, bevor du mit mir den Raum betreten hast, dich erst sichernd umgesehen hättest. Du hättest ihn regelrecht taxiert.“

Der Blonde schüttelte verwirrt den Kopf. Er hatte den Schamanen kurz gemustert, ja, aber dass dem das aufgefallen war, wunderte ihn. Das hatte noch nie einer bemerkt. Er würde vorsichtig sein müssen, was Ukpik anging.

Er brauchte Zeit zum Denken.

Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und verschwand im Bad.

Sam starrte seinem Bruder hinterher. Das war dem garantiert noch nicht passiert, dass ihn jemand so genau beobachtete. Was Dean wohl sagen würde, wenn er ihm erzählte, wie der Schamane ihn charakterisiert hatte?
 

Die Sonne war am nächsten Morgen noch nicht aufgegangen, als die Winchester-Brüder schon, den Schnee von den Schuhen tretend, in die Ranger-Station kamen.

Jones schaute von seinem Schreibtisch auf. Ganz offen musterte er die beiden. Der Blonde hatte zumindest Courage und es war ihm auch egal, was andere über ihn dachten. So wie der an dem Abend aus dem Zimmer gestürmt war, hatte er sich schon ein bisschen Respekt verdient.

Graham Snow, einer seiner Ranger, stand neben ihm. Er schnaufte leise.

Jones schaute fragend zu ihm, doch der Flathead gab keine Erklärung ab.

Der blonde Winchester hatte sich inzwischen zu seinem Bruder gedreht und sprach leise mit ihm.

Die beiden trennten sich, und während der Dunkelhaarige sich die Ausstellungsstücke anschaute und langsam auf sie zukam, ging der Blonde zur Karte und studierte diese.

Die Augen des Flathead verfolgten jede Bewegung des Blonden.
 

Sam hatte Jones´ Schreibtisch fast erreicht, als die Tür aufgerissen wurde und Kokrine regelrecht mit ihr ins Haus fiel.

„Du musst sofort einen Suchtrupp zusammenstellen!“, keuchte er.

„Warum?“, wollte der Leiter der Rangers wissen.

„Verdammt noch mal! Stell endlich den Suchtrupp zusammen! Mein Sohn ist verschwunden!“

„Justin ist weg?“

Die Winchesters warfen sich einen Blick zu. Sam schien zu fragen, ob sie bei der Suche helfen wollten.

Dean lehnte es mit einem kurzen Kopfschütteln ab und Sam schaute resignierend.

Graham hatte diesen Blickwechsel gesehen und nahm sich vor die beiden weiterhin im Blick zu behalten.

„Davon rede ich doch die ganze Zeit!“, polterte Kokrine aufgebracht.

„Und du hast….“

Ich bin kein unterbelichteter Städter, wie die da“, er zeigte auf die Brüder, „Natürlich habe ich alles abgesucht! Es gab kurz hinter dem Haus Wolfsspuren, doch die hörten keine hundert Fuß weiter wieder auf! Jetzt mach endlich und such meinen Jungen!“

„Es ist noch zu dunkel, um etwas zu unternehmen. Setz dich und trink einen Kaffee. Ich trommle inzwischen die Ranger zusammen, und sobald es richtig hell ist fahren wir los“, sagte Jones schnell, als der Vater schon wieder auffahren wollte, und griff nach dem Telefonhörer.

„Aber ich weiß wirklich nicht wo wir noch suchen sollen. Wir haben bei jedem verschwundenen Kind alles im Umkreis von zehn Meilen abgesucht“, fuhr er leise fort und wählte dabei die erste Nummer.

„Dann nehmt eben ein größeres Gebiet!“

„Was meinst du Jeremiah, wie weit kommt ein Kind bei dieser Kälte und im Dunkeln?“ Hatten sie nicht gestern noch über genau diese Thema gesprochen?

„Das ist mir scheißegal wie weit ein normales Kind kommen könnte! Es geht um meinen Sohn!“

Wieder warfen sich die Brüder einen Blick zu.

Bevor Jones antworten konnte, ging erneute die Tür auf.

Zwei Männer stolperten in den Raum, wobei der eine den anderen stützte. Schwer ließ der Eine seinen Freund auf einen Stuhl sinken.

„Josef, Paul, was ist passiert? Wo sind die anderen?“, fragte Sam sofort und ließ den Hörer auf die Gabel fallen.

„Amaruq“, brachte der Verwundete erschöpft hervor.

„Wir sind Richtung Norden, am Fish Creek entlang. Immer wieder sind wir ausgeschwärmt. Michael war links von mir. Plötzlich hörte ich ein Rauschen in meinem Sprechfunk und dann einen erstickten Schrei.

Ich hab versucht die anderen zu erreichen, aber nur Paul antwortete. Wir sind nach links, um sie zu suchen. Wir haben sie nicht gefunden, aber plötzlich stand ein riesiger Wolf vor uns.“

„Amaruq“, erklärte Paul leise aber mit fester Stimme. „Holt Ukpik!“
 

„Er hat die Schneemobile zerstört und uns gejagt. Wir konnten gerade so entkommen. Paul hat sich sein Bein an einem Felsen aufgerissen, aber Amaruq schien uns nur vertreiben zu wollen.“

Schnell wählte Graham den Notruf und dann rief er Ukpik an.

Dean warf seinem Bruder einen weiteren Blick zu.

Unbemerkt schlichen sich die Winchesters aus dem Raum. Sie starteten ihre Schneemobile und jagten Richtung Norden.
 

Sam hatte Mühe seinem Bruder zu folgen.

Endlich drosselte Dean das Tempo und wartete, bis sein Bruder zu ihm aufgeschlossen hatte. Er ließ den Motor verstummen.

„Was denkst du, wo sind sie hergekommen?“, wollte Sam auch sofort wissen.

„Sie werden zehn bis fünfzehn Meilen geschafft haben. Mehr denke ich nicht. Also sollten wir da anfangen zu suchen.“

Sam nickte und zog den Reißverschluss seiner Jacke schnell wieder zu.

Auch Dean vermummte sich erneut. Es war zwar nicht mehr so kalt wie noch am Tag zuvor, eisig war es aber noch immer.
 

Die Kreise, die sie zogen, wurden immer größer, und Dean immer unruhiger.

„Ich weiß, dass sie hier sind, verdammt“, schimpfte er, wütend auf sich selbst, los. Vor kurzem hatten seine Instinkte noch auf ein Kalb reagiert und hier konnte er die Kinder nicht finden!

„Dean, bitte. Das hilft uns auch nicht. Lass uns morgen weitermachen.“

„Aber wir…“

Sam schüttelte energisch den Kopf und deutete nach Norden.

Dort war der Himmel fast schwarz und diese Schwärze kam sehr schnell näher.

„Wir sollten zusehen, dass wir hier wegkommen. Wenn wir auch noch im Schneesturm verschwinden, hilft das niemandem.“

Dean zwang sich zu nicken. Sam hatte Recht, und doch sperrte sich alles in ihm, die Kinder noch eine Nacht hier draußen zu lassen.

Noch einmal schaute er zu Sam, dann startete er den Motor und fuhr langsam, Sam den Vortritt lassend, zurück Richtung Ranger-Station.

Immer wieder schaute er sich um.

Die schwarze Wand kam beängstigend schnell näher.

Gerade wollte er zu Sam aufschließen und ihm bedeuten, dass sie sich besser beeilen sollten, als vor ihnen ein riesiger schwarzer Wolf auftauchte.
 

Abrupt bremste der Jüngere ab und wandte sich zu Dean.

Der Wolf kam näher.

Ein kurzer Blick der Brüder und schon wendeten sie ihre Schlitten und jagten zurück nach Norden.

Sie hofften, den Wolf irgendwie abhängen, oder umrunden zu können, doch jedes Mal wenn sie dachten, sie hätten etwas Abstand gewonnen, war das schwarze Untier dichter hinter ihnen als zuvor.

Sie trennten sich, versuchten ihren Verfolger wenigstens von dem Bruder abzulenken, doch der schien ihre Absicht zu durchschauen und blieb einfach mittig kurz hinter ihnen. Es war fast so, als wüsste er, dass sie schleunigst zur Ranger-Station mussten, und den Weg schnitt er ihnen permanent ab.
 

Doch dann hatte der Wolf wohl plötzlich genug von dem Spiel.

Er machte ein paar lange Sprünge auf Sam zu und rammte ihm, noch bevor Dean, der genau in diesem Moment zu seinem Bruder schaute, auch nur schreien konnte, seine Schnauze in die Seite und stieß ihn vom Schlitten.

Sam flog mit solcher Wucht in den Schnee, dass er sich mehrfach überschlug und dann für einen Moment orientierungslos liegen blieb.

Gerade als er sich soweit gesammelt hatte, um sich in Sicherheit bringen zu wollen, wo immer diese auch sein konnte auf einer eisig kalten, blendend weißen, ebenen Fläche, stand der Wolf über ihm und blies ihm seinen stinkenden Atem ins Gesicht.

Er erstarrte und schloss die Augen.

Wieder und wieder spürte er die Schnauze in seiner Seite, doch das Vieh biss nicht zu. Es rollte ihn nur hin und her.

Dean jagte so schnell er nur konnte zu seinem Bruder. Noch bevor er sein Gefährt komplett zum Stehen gebracht hatte, sprang er ab. Hektisch wühlte er sich durch die Schichten seiner Oberbekleidung um an den Colt zu kommen.

Ohne zu zielen feuerte er mehrere Schüsse auf den Wolf ab.

Das riesige Tier ließ von Sam ab und wandte sich dem Angreifer entgegen.

Mit wenigen Sätzen war er bei Dean.

Der Schneesturm verschluckte sie.

Ein wütendes Knurren vermischte sich mit dem Toben des Sturmes und dann packte der Wolf Dean an der Hüfte und riss ihn von den Beinen. Ohne große Kraftanstrengung schleuderte er seinen Gegner durch die Luft.

Hart schlug der Winchester auf den vereisten Schnee. Der Aufprall raubte ihm für einen Moment die Besinnung.
 

Langsam kam er wieder zu sich. Es kostete ihn einiges an Kraft seine Augen zu öffnen, waren die doch von Schnee verklebt.

Seine Hand fuhr zur Hüfte und er machte sich darauf gefasst, viel Blut zu sehen, doch da war nichts!

War er so lange bewusstlos gewesen, dass das Blut getrocknet, oder gefroren war? Mühsam versuchte er sich soweit aufzusetzen, um die Wunde zu begutachten, die er zweifellos haben musste. Der Sturm riss an seiner Kleidung und peitschte ihm immer neue, spitze Eiskristalle ins Gesicht.
 

Der Schmerz schoss durch seinen Körper. Stöhnend ließ er sich wieder auf den Rücken sinken.

Schwerfällig drehte er sich auf den Bauch.

Um ihn herum tobte der Schneesturm behinderte ihn bei Atmen. Seine Hüfte brannte heiß von dem Biss des Wolfes, doch sein Bein fühlte sich an, als hätte er es eben aus dem Gefrierschrank geholt.

Er versuchte sich aufzurichten.

Nach mehreren erfolglosen Versuchen gab er auf und kroch, sein nutzloses Bein hinter sich her ziehend, in die Richtung, in der er Sam vermutete. Mehrfach schaute er sich um, doch den Wolf konnte er nirgends sehen. Wie auch? Um ihn herum waren beißende eisige Kristalle und ein lautes Toben.

Warum hatte das Vieh ihn nicht getötet? Die Chance hatte er.

Deans Bein kribbelte. Vielleicht konnte er sich ja vielleicht gleich auf allen Vieren vorwärts bewegen?

Der Sturm schien ein wenig nachgelassen zu haben.

Zentimeterweise kämpfte er sich vorwärts, immer seiner tastenden Hand folgend. Aber das, wonach er so sehr suchte, fand er nicht.

Erneut hielt er inne und ließ seine heiße Stirn auf den kalten Schnee sinken.

Wo war sein kleiner Bruder nur? Hatte der Wolf ihn verschleppt, nur weil er wieder nicht auf ihn aufgepasst hatte?

„Nein!“, brüllte er das Weiß unter sich an. Sam war nicht verschleppt worden. Sam war hier in der Nähe, und er musste ihn nur finden.

Wenn er das ganze Areal kreisförmig absuchen würde, würde er ihn finden.

Mit neuer Kraft schleppte er sich vorwärts.
 

Das Einzige, das er fand, war sein Schneemobil.

Die Zähne so fest zusammengebissen, dass sie knirschten, richtete er sich daran halb auf. Sein Bein schien ihn wieder tragen zu können. Er wollte nicht weg hier. Er wollte Sam finden. Zusammen würden sie dann schon einen Weg in die Sicherheit finden. Für einen Augenblick ließ er sich an sein Fahrzeug gelehnt nieder und versuchte neue Kraft zu schöpfen.

„SAM!“, brüllte er in das tobende Grau, doch das Wort wurde ihm ungehört von den Lippen gerissen.

Dean suchte auf allen Vieren weiter. Mehrmals brach er ganz zusammen und schaffte es doch jedes Mal wieder, sich hoch zu kämpfen. Er wusste nicht, wie er es in diesem Sturm überhaupt schaffte.

Blind vom Schnee krabbelte er weiter.
 

Wieder stieß er auf sein Schneemobil.

„SAM!“, brüllte er verzweifelt und ließ sich zitternd neben seinem Schlitten auf den Boden sinken.

Er konnte nicht mehr, und er wollte nicht mehr. Aber er würde Sam hier nicht alleine sterben lassen.

Eine Weile hockte er in der tobenden Kälte, seinen Kopf auf die Knie gelegt. Dann übernahm sein Überlebenswille sein Handeln.

Ohne weiter nachzudenken, stemmte er sich in die Höhe, scharrte das Fahrzeug halbwegs frei, startete es und fuhr, eher darauf liegend, langsam durch den tobenden Sturm.
 

Schon lange hatte er die Orientierung verloren und doch behielt er stur die Richtung bei, von der er meinte, dass sie die richtige wäre.

Vor ihm tauchte schemenhaft ein Licht in der grauen Masse auf.

Verwundert zog er die Augenbrauen zusammen und hielt darauf zu.

Vor dem Haus stoppte er sein Fahrzeug und stolperte zum Eingang. Ein paar Mal musste er sich dagegen stemmen, dann schwang sie auf und er fiel sprichwörtlich mit der Tür ins Haus.

Die Männer in dem Raum sprangen auf und ein Teil von ihnen stürzte zur Tür, um diese wieder zu schließen, während die anderen sich dem Neuankömmling zuwandten.

Hilfe für Sam

117) Hilfe für Sam
 

Viel zu viele Hände versuchten Dean aus seiner dicken Kleidung zu befreien.

Halbherzig begann er sich zu wehren. Immer stärker schlug er um sich, bis eine Stimme befahl, ihn in Ruhe zu lassen.

Leise ächzend stemmte er sich in die Höhe und blinzelte.

Die Wärme brannte in seinem Gesicht, und dann endlich erkannte er William und Peter Jones. Auch Kokrine konnte er am Tisch ausmachen und noch einige andere unbekannte Männer.

Er war in der Rangerstation gelandet.

„Sam!“, krächzte er heiser.

Die Männer starrten ihn verständnislos an.

„Mein … kleiner Bruder ist … da draußen: Wir müssen ihn suchen!“

„Niemand geht jetzt da raus!“, sagte Jones.

„Sie müssen mir helfen, ihn zu finden! Er ist doch alles…“ erklärte er verzweifelt, doch er brach ab, als er in die Gesichter schaute. Hier würde er keine Hilfe bekommen. Traurig schüttelte er den Kopf. Dann drehte er sich zur Tür und machte ein paar Schritte auf sie zu.

Sofort stellte sich der Schamane ihm in den Weg.

„Dean! Bei diesem Sturm können wir niemanden finden.“

„Ich kann. Ich werde Sam nicht alleine da draußen lassen. Ich muss ihn finden!“

„NEIN! Dean! Auch du wirst nicht mehr da raus gehen!“

„Du hast mir gar nichts zu befehlen!“, wütete der Blonde.

„Du stirbst, wenn du jetzt wieder da raus gehst!“

„Das ist mir egal!“

William packte den Winchester bei den Jackenaufschlägen.

„Du wirst nirgendwohin gehen!“, fuhr er ihn an.

„Aber Sam…“

„Entweder ist dein Bruder schon lange erfroren oder aber er lebt noch. Dann werden wir ihn finden sobald der Sturm aufgehört hat!“

Der Blonde starrte in die Augen des Schamanen, als suche er nach einer Antwort. Dann senkte er den Blick.

„Wenn du jetzt wieder da rausgehst, was wird dann aus Sam, wenn du in dem Sturm umkommst?“

Dean ließ den Kopf hängen. Er wusste, dass Ukpik Recht hatte, aber trotzdem fühlte es sich falsch an, so als würde er seinen kleinen Bruder verraten!

Unsicher begann er sich aus seiner dicken Jacke zu befreien.

Der Schamane legte ihm die Hand auf die Schulter. Dean schlug sie weg. Selbst wenn Sam … Er verbot sich den Gedanken und es war auch egal. Hier würde er wenn weder Trost suchen noch wirklich finden.

Ein Bild blitzte hinter Williams Stirn auf.

„Nebenan ist Feuer im Kamin. Geh rüber und ruh dich aus. Ich bring dir gleich einen Tee.“

„Kaffee“, krächzte der Winchester.

„Du sollst dich ausruhen, schlafen. Du bekommst bestimmt keinen Kaffee!“

Resigniert ging Dean leicht hinkend in das angewiesene Zimmer. Sein Bein brannte noch immer, aber es trug ihn wenigstens wieder.

Nanouk, Williams Bruder und Helaku, ein weiterer Inuit, tauschten einen wissenden und traurigen Blick.
 

Dean saß am Boden vor dem Kamin. Seine Beine hatte er angewinkelt und die Unterarme auf die Knie gelegt. In den Händen hielt er eine Tasse Kakao. Den Tee hatte er kategorisch abgelehnt und Kaffee hatte Ukpik ihm ebenso kategorisch verweigert.

Das Feuer in seinem Rücken prasselte leise, tauchte den Raum in ein flackerndes rötliches Licht, und der Schneesturm rüttelte mit unverminderter Stärke an den geschlossenen Fensterläden. 'Die müssten doch bald zugeschneit sein', überlegte Dean, 'Ich hasse Schnee.'

Er hörte die Männer im Nachbarzimmer streiten, doch es war ihm egal.
 

„Ich werde das Leben meines Sohnes und unserer Kinder keine Sekunde dafür aufs Spiel setzen, um diesem unterbelichteten Städter zu helfen, seinen ebenso dämlichen Bruder zu finden. Wer weiß, ob die überhaupt Brüder sind, so wie die sich immer anschauen und …“

„Es reicht, Jeremiah!“, polterte der Schamane. „Egal was du willst, wir werden ihn begleiten!“

„Amaruq hat ihn gezeichnet“, sagte Helaku leise.

„Ich weiß. Und ich bete zu den Göttern, dass es nicht zu spät sein wird. Aber wenn wir ihm sofort helfen werden wir unsere Kinder nicht wiedersehen“, da war sich William sicher.

„Du willst sein Leben gegen das der Kinder setzen?“, fragte Graham erschrocken. Auch wenn er nur die Legenden um Amaruq kannte, so hatte er doch in mehr als einer Erzählung gehört, was mit Männern passierte, die der Wolf gezeichnet, aber nicht getötet hatte.

„Die beiden, Dean und sein Bruder Sam, sind nur wegen unserer Kinder hier“, erklärte der Schamane

„Die …“, wollte Kokrine erneut auffahren. Ein einziger Blick Ukpiks brachte ihn zum Schweigen.

„Ich weiß nicht, welche Vergangenheit die Brüder teilen. Sie hat beide aber mehr zusammengeschweißt als es Brüder normalerweise sind. Und Dean würde sich nicht helfen lassen, solange sein Bruder noch da draußen ist“, stellte der Schamane mit trauriger Stimme ruhig fest.
 

Ein Mann betrat den Raum. Dean sah nicht mal auf.

„Wir werden dich begleiten“, sagte Nanouk schlicht.

Grüne Augen trafen auf die tiefschwarz erscheinenden des Eskimos. 'Inuit' hatte Sam ihn immer wieder vorgebetet, 'Es heißt Inuit, Dean. Eskimo bedeutet Fischfresser und ist eine Beleidigung!' Dean lächelte.

Doch der Inuit sah, dass das Lächeln eher nach innen gerichtet war. Der Blonde war mit all seinen Gedanken bei seinem Bruder und das fand der Andere nur richtig. Er verließ den Raum wieder.

Den Winchester interessierte diese Ankündigung nicht wirklich. Er wäre auch ohne ihre Hilfe aufgebrochen. Sammy war da draußen und wenn der Sturm nachgelassen haben würde, würde er losziehen. Nein! Sobald es hell war, würde er losgehen und Sam suchen. Dieser blöde Sturm war ihm völlig egal. Er würde Sam finden oder mit ihm erfrieren!

Dean stellte die leere Tasse beiseite, erhob sich, legte ein paar Scheite nach und hoffte, so die Kälte in seinem Inneren zu vertreiben, die sich mit langen spinnengleichen Fingern von der Stelle, an der der Wolf ihn gepackt gehalten hatte, in ihm auszubreiten schien. Langsam tasteten sie sich quer durch seinen Unterleib und nach oben zu seinem Herzen.

Er hatte, gleich nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, seine Hüfte kontrolliert, aber nur ein paar dunklere Abrücke, die er nicht einmal dem Wolf zuordnen konnte, kündeten noch von dem Biss.

Als ihm die Augen immer wieder zufielen, rollte er sich vor dem Kamin zusammen.
 

Ukpik betrat den Raum, lächelte, als er den Blonden auf dem Boden liegen sah, nahm eine Decke vom Sofa und breitete sie über Dean. Dabei fühlte er dessen wachsamen Blick die ganze Zeit auf sich ruhen.

Der Blonde wollte nicht schlafen, doch die Müdigkeit wurde immer stärker.

Noch im Einschlafen überlegte Dean, ob der Schamane ihm etwas in den Kakao getan hatte, damit er zur Ruhe kam.

Bevor er ein Ergebnis hatte, war er jedoch wirklich eingeschlafen.
 

Dean erwachte stöhnend. Der Boden war nicht wirklich bequem gewesen, und die vom Kamin erhoffte Wärme hatte ihr Versprechen auch nicht halten können. In seinem Bauch hatte sich die Kälte festgesetzt und auch seine Lunge fühlte sich komisch klamm an. Er zog die Schulterblätter zusammen und ein Schauer rann über seinen Rücken. Aber das alles war nichts gegen die Kälte, die Sammy fühlen musste. Sammy, der immer noch in der Kälte draußen war.

Er ließ sich auf dem Rücken fallen und streckte sich.

Ein Blick zum Kamin verriet ihm, dass das Feuer verloschen war.

Er stand auf und legte die Decke wieder über das Sofa.

Durch das Fenster ließen sich erste graue Schemen erkennen und er hörte, dass der Schneesturm sich gelegt hatte.
 

In der kleinen Küche der Ranger-Station erwartete ihn eine mollige Wärme und Ukpik streckte ihm  einen Tasse dampfenden Tee hin.

Dean knurrte unwirsch.

„Trink, es wird dich wärmen!“

Der Blonde schüttelte angewidert den Kopf, doch der Schamane ließ sich nicht beirren und drängte ihm die Tasse förmlich auf. Dean nahm sie widerstrebend und trank einen Schluck.

Das Zeug schmeckte so wie es roch.

Ungeduldig ließ er sich auf einen Stuhl plumpsen und hoffte, den Rest der Tasse in den Ausguss kippen zu können. Er wartete nur noch darauf, dass die Sonne über den Horizont kroch. Dann würde er endlich aufbrechen und Sam holen.

Wärme breitete sich zaghaft in seinem Bauch aus und vertrieb ein paar der eisigen Spinnenfinger.

Verwundert lauschte Dean in sich hinein und nahm noch einen zögerlichen Schluck. Wieder wartete er und wieder schien sich das Phämomen zu wiederholen.

Er kippte den Tee in sich hinein und Ukpik lächelte wissend.
 

Endlich standen zehn Männer, dick eingemummelt, mit Motorschlitten vor dem Haus und ließen ihren Blick über das gleißende Weiß bis zu den Bergen schweifen. Das hieß, Dean tat dies und die Weißen unter den Männern, musterten den blonden Städter ungläubig. Weder den Inuit noch dem Flathead war es gelungen, die Zweifel über den Winchester zu zerstreuen. Der sollte den Weg noch wissen? Der sollte sich durch dieses Nur-Weiß zu seinem Bruder und ihren Kindern führen können? Der fand doch nur den nächsten Diner! Wenn überhaupt! Dass er gestern Nacht zu ihnen gekommen war, war auch nur Zufall gewesen! Wer weiß, wo der zuvor sich verkrochen hatte.
 

Dean bekam von den finsteren Blicken nichts mit, und selbst wenn, war es ihm egal. Er hatte all seine Sinne auf Sam gerichtet und er wusste, dass er ihn finden würde.

Die Ebene lag vor ihm im Nordwesten und er wusste, dass er von da gekommen sein musste, aber sein Orientierungssinn sagte ihm eindeutig, dass er gestern von Westen gekommen war. Er kratzte sich am Kopf und wunderte sich, dass er überhaupt hier angekommen war. Der Sturm hatte ihn ganz schön abgetrieben.

Egal. Er setzte sich die Kapuze auf und zog sie fest zu, dann schob er sich die Schneebrille auf die Nase, schloss den Kragen seiner Jacke und ging zu seinem Motorschlitten. Er startete ihn und jagte mit Höchstgeschwindigkeit los. Er wollte nur noch zu Sam und es war ihm egal, ob ihm einer folgte oder nicht!
 

Nach über einer Stunde bremste er ab, fuhr einen leichten Bogen und hielt endlich ganz an. Er stieg ab und lief ein paar Schritte. Er brach bei jedem Schritt bis über die Knöchel in den verharschten Schnee ein.

Unschlüssig stand er da und schaute sich um. Der Wolf hatte sie weiter getrieben als er es für möglich gehalten hatte.

Sein Fuß kickte ein paar Schneebrocken beiseite.

Er bückte sich und schob noch etwas mehr Schnee weg. Traurig schüttelte er den Kopf, sein Fund war nicht zu gebrauchen.

Dean schloss die Augen und konzentrierte sich. Er wusste, dass sein Sammy-Radar ihn finden würde.

Letztendlich hatte er ihn immer gefunden. Egal wo er war.

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Er war in der Nähe! Sammy war ganz in der Nähe!
 

„Das ist ein verhätschelter Städter. Wie kannst du dem glauben. Er wird uns weder zu seinem Bruder, und schon gar nicht zu unseren Kindern führen!“, grollte Jeremiah.

„Du solltest vertrauensvoller sein“ wandte Nanouk ein und Ukpik zeigte auf die Stelle, an der Dean eben noch gestanden hatte. Unter der oberen Schneeschicht lag ein steifgefrorener Handschuh.

Kokrine ging zu der Stelle und starrte nun seinerseits auf diesen Handschuh. Er schüttelte den Kopf.

Der bewies gar nichts!

Der Blonde war einige hundert Meter weiter in die Schlucht hinein gerannt, warf sich auf die Knie und begann, vor einer blendend weißen Wand, wie ein Wilder den Schnee zur Seite zu schaufeln.

Immer hektischer buddelte der Blonde.

Plötzlich griff er mit einer Hand ins Leere. Schnell schob er den Schnee zur Seite und vergrößerte die Öffnung vorsichtig. Dann ließ er sich nach vorne gleiten und rutschte in das Loch. Etwas unsanft landete er auf dem Boden. Er rappelte sich wieder auf und griff sofort nach seinem Bruder.

„Sammy?“

Der jüngere Winchester reagierte kaum. Er hockte zusammengekauert an der gegenüberliegenden Wand dieses Schneeloches. Ein paar Zweige ragten aus einer Wand.

Wie es entstanden war und wie Sam es gefunden hatte, war Dean ziemlich egal. Wichtig war nur, dass er es hatte, denn diese verhältnismäßige Wärme hier drin hatte ihm das Leben gerettet. Aber trotzdem wollte sich Dean nicht vorstellen, wie es war, ganz allein in dem Schneesturm. Er kniff die Augen zusammen. Schuldgefühle machten sich in ihm breit. Er hatte seinen kleinen Bruder alleine gelassen! Er war in die Wärme geflüchtet und hatte Sammy hier alleine gelassen! Wenn er nur etwas besser gesucht hätte!

„Sammy?“, versuchte es der Blonde erneut, und der Kopf seines Bruders ruckte etwas in die Höhe.

Dean zerrte sich die Handschuhe von den Händen, legte beide Hände an Sams Wangen und hob seinen Kopf an: „Komm schon Sammy. Sieh mich an. Sag was!“ forderte er eindringlich und versuchte seine Angst zu verstecken. Der Jüngere war so entsetzlich blass mit dunkelblauen Lippen. Deans Herz krampfte sich zusammen. Warum nur hatte er gestern nicht besser gesucht?

„Kalt“ flüsterte der Brünette müde.

Dean nickte. „Warte“, sagte er leise und kletterte wieder aus dem Loch.

Da drin war es schon fast angenehm warm gewesen, überlegte er und begann hastig, seine dicke Jacke zu öffnen und schob sie von den Schultern. Dann pellte er sich so schnell es ging aus seinen vier Lagen Oberbekleidung, zog sich Hemd und Jacke wieder an und wollte zurück in das Loch schlüpfen.

„Dein Bruder?“ Nanouk hielt Dean am Arm fest.

Nickend riss sich der Blonde unwirsch von der Hand los und rutschte wieder in das Loch. Natürlich war da sein Bruder!

„Komm Sam, wir müssen dich aufwärmen“ forderte er und begann auch dessen Jacke zu öffnen. Sams Hände wollten ihn immer wieder daran hindern, ihn noch weiter auszuziehen.

„Sammy, lass das. Durch die dicken Klamotten bringt das nichts“ erklärte der Blonde leise.
 

Draußen telefonierte Gabriel Green, Chef der örtlichen Feuerwehr, mit dem Hubschrauberteam.

Die Wirkung eines Bisses

118) Die Wirkung eines Bisses
 

Endlich hatte der Blonde seinen kleinen Bruder von seinem Zwiebellook befreit. Er hängte ihm dessen Jacke wieder über die Schultern und rutschte dann ganz dicht an Sam heran, zog ihn in eine feste Umarmung, so dass ihrer beider blanke Haut aufeinander traf. Sofort kuschelte sich Sam noch dichter an seinen Bruder und Dean legte seine Arme um Sam. Zog seine Jacke fest auf Sams Rücken zusammen.

„Es wird alles wieder gut“ flüsterte er, „Ich lass dich doch hier nicht erfrieren.“

Die Kälte, die von Sams Körper ausging und sich mit den in seinem Inneren wartenden, eisigen Spinnenfingern zu vereinen schien, war ihn egal. Er hatte seinen kleinen Bruder gefunden. Sammy lebte und das musste so bleiben. Nur das zählte!

Dean zuckte zusammen, als der Jüngere seinen Kopf in seiner Halsbeuge vergrub und die kalte Nase die empfindliche Haut traf.

Stumm hockten sie so aneinander gepresst und fühlten den beruhigenden Herzschlag des Anderen, der ihnen versicherte, dass sie beide am Leben waren.
 

Dean spürte die eisigen Spinnenfinger, die sich weiter durch seinen Körper krochen. Sie erreichten seine Wirbelsäule und tasteten sich langsam aber stetig Wirbel für Wirbel nach oben.

Sam schien langsam wieder aufzutauen. Er begann sich zu regen.

„Dean?“, flüsterte der Jüngere leise.

„Wer sonst, kleiner Bruder?“, lächelte der Blonde und versuchte sein Erschrecken zu verbergen. Sam klang so furchtbar schwach.

„Hilfe ist unterwegs“, versicherte er nicht nur seinem Bruder.

Und wie zur Bestätigung war ein leises, stetig näher kommendes Rotorengeräusch zu hören.
 

Der Hubschrauber landete.

Dean versuchte seinen widerstrebenden Bruder wieder in seinen Zwiebellook zu packen. Sam fand diese Idee alles andere als toll. Wollte er doch diese angenehme Wärmequelle nicht verlieren.

Der Ältere schaffte es trotzdem und drängte Sam mit sanfter Gewalt aus seinem Schneeloch.

Mehrere Hände griffen von außen zu und zogen erst den jüngeren, dann auch den älteren Winchester ans gleißende Tageslicht.

Sam wurde sofort von den Sanitätern in Empfang genommen, an eine vorgewärmte Infusion angeschlossen und in Wärmedecken gepackt auf eine Liege gelegt.

Inzwischen verpackte Dean seinen frierenden Körper ebenfalls wieder in seine vier Lagen Oberbekleidung plus dicke große Jacke und stapfte dann zu Sam.

Der lag warm eingepackt auf einer Liege und schaute ihm entgegen.

„Hey, kleiner Bruder.“

„Dean. Kommst du mit?“, fragte er leise.

„Die Kinder sind noch da draußen“, erklärte der Blonde ruhig und Sam nickte. Es war immer dasselbe mit seinem Bruder. Wenn es um Kinder ging kannte er keine Freunde mehr. Aber genau das mochte Sam an ihm. Er war immer für die Schwächsten da und er würde sich wundern, wenn Dean jetzt davon abweichen würde, zumal er selbst ja in Sicherheit war und versorgt wurde.

„Du weißt, wo sie sind?“

„Ich denke, ich kann sie finden“, sagte er und wusste, dass es keine leere Phrase war. „Außerdem müsstest du mich schon ko schlagen, wenn ich hier mitfliegen soll“, grinste der Blonde.

„Das hilft auch nicht!“, flüsterte der Jüngere leise und hielt seinen Bruder die Hand hin. „Pass auf dich auf.“

„Mach ich, Sammy. Wir sehen uns.“ Der Blonde kletterte wieder aus dem Helikopter, lief den Sicherheitsabstand zurück und sah dem Blechvogel hinterher, der seinen kleinen Bruder entführte, in die Sicherheit entführte, hoffte er.

Dann schloss er die Augen, konzentrierte sich auf seine Aufgabe. Er war sich plötzlich ganz sicher, dass sie die Kinder in einer kleinen Schlucht nicht weit von hier finden würde.

Inzwischen schon stark hinkend, lief Dean zu seinem Motorschlitten.
 

Helaku und Nanouk schauten auf den Blonden und wiesen den Schamanen auf dessen unrhythmischen Gang hin. Ukpik nickte besorgt. Amaruqs verhängnisvolle Fänge taten ihr Werk.
 

Dean startete sein Fahrzeug und wartete, wie schon auf dem Weg zu Sam, nicht darauf, dass ihm die anderen folgten, auch wenn er diesmal auf jeden Fall ihre Hilfe brauchen würde. Sollte er sie wirklich finden? Nein, für ihn bestand kein Zweifel daran, dass er die Kinder fand aber er konnte er sie nicht allein zurück bringen.
 

Kurz entschlossen jagte Dean an der angesteuerten Schlucht vorbei und in die kleinere daneben hinein. Er dachte nicht darüber nach, warum er seine Richtung doch noch änderte. Es fühlte sich einfach richtig an.

Keine zehn Minuten später hielt er seinen Motorschlitten zwischen den Bäumen an. Er stieg ab und wandte sich nach rechts. Hier war es wesentlich schwerer durch den Schnee voran zu kommen. Die Bäume hatten einen Großteil des Windes abgehalten, und so war die Schneedecke locker, und er sank immer wieder bis an die Knie in der lockeren weißen Masse ein.

Hinter ihm kämpften sich auch die anderen Männer durch den Schnee.

Woher wollte der Städter wissen, wo ihre Kinder waren? Verschwendeten sie hier nicht doch kostbare Zeit? Nicht nur eine der dick verpackten Gestalten fragte sich das. Der war doch nun wirklich ein Weißer und hatte keine Vorfahren, die sich noch auf ihre Instinkte verlassen mussten, oder? Sie wollten ihn fragen. Bei dieser Frage waren sie weder gestern noch vor zwei Tagen zu einer Antwort gekommen. William hatte ihnen immer wieder nur versichert, dass die beiden etwas Besonderes wären und sie ihnen vertrauen sollten.

Hoffentlich irrte sich der Schamane hier nicht gewaltig! Dass der Typ seinen Bruder gefunden hatte, konnte schließlich auch nur Zufall gewesen sein, oder?

Mit diesen Gedanken kämpften sie sich durch die Spur, die der Winchester ihnen gemacht hatte.
 

Dean arbeitete sich auf einen Steinhaufen zu. Der Schweiß rann ihm den Rücken hinunter und doch war in seinem Inneren eine Kälte, die nicht weichen wollte. Er war sich sicher, dass die Kälte von dem Wolfsbiss ausging. Er ahnte, dass das riesige Tier ein mächtiger Geist sein musste und er vermutete, dass der Biss nichts Gutes für ihn verhieß. Er hoffte nur, dass er die Kinder rechtzeitig finden und Sammy auch ohne ihn zurechtkommen würde. Über seinen Zustand machte er keine Illusionen. Die Schmerzen, die der Kälte folgten, wurden immer schlimmer und es würde nicht mehr lange dauern, bis er sich kaum noch rühren können würde, ohne vor Schmerzen nicht wenigstens die Luft anhalten zu müssen, wenn nicht gar zu schreien.
 

Endlich war er bei den Steinen angekommen und begann den Schnee vor ihnen wegzuschaufeln.

Neben ihm halfen auch die anderen Männer, und dann zwängte sich Dean durch die entstandene Spalte.

Sofort zog er seine Taschenlampe hervor und leuchtete die Wände ab.

Die Männer starrten sich irritiert an. Woher wusste der das? Selbst Graham, der diese Gegend wie seine Westentasche kannte, hatte keine Ahnung davon, dass hier eine Höhle war!

Der Mann wurde ihnen unheimlich.

War er vielleicht doch von den Göttern gesandt? War er ein hilfreicher Geist? Aber warum sollte er dann in Gestalt eines Weißen auftauchen und nicht als Flathead oder Inuit? Verwirrt schauten sie zu William, doch der lächelte nur wissend.

Helaku schob sich ohne zu zögern hinter dem Winchester durch den Spalt und schaltete ebenfalls seine Taschenlampe an.

Kurz schauten sich die beiden Männer in die Augen.

„Hilfe!“, drangen ängstliche Rufe an ihre Ohren. Dean lief sofort los, während der Inuit den draußen wartenden Helfern Bescheid gab, dass sie hier richtig waren. Dann folgte er dem Winchester.

Keine zehn Meter weiter musste der abrupt bremsen, um nicht in das Loch zu fallen, das sich vor ihm auftat. Dean leuchtete hinein und sah sechs verschreckte Kinder, vier oder fünf Meter tiefer in dem Loch hockend, ängstlich in das Licht blinzelnd.

„Wir holen euch da raus“, beruhigte der Blonde die Kleinen. Dann leuchtete er die Steine ab und begann ohne auf die mahnenden Worte seines Begleiter zu hören, die Wand hinab zu steigen.

„Keine Angst, wir holen euch hier raus“, erklärte er den Kindern erneut und reichte ihnen zuerst eine Flasche Wasser.

Ein Seil fiel an der Wand hinab.

„Also los!“, der Blonde griff sich das erste Kind. „Kannst du klettern?“, fragte er, und als er ein Nicken als Antwort bekam, band er dem Jungen das Seil um die Brust.

„Okay, dann los!“, sagte Dean aufmunternd und nickte Helaku zu.

Und schon wurde der Kleine nach oben gezogen.

Nach und nach befreiten sie alle Kinder aus dem Loch.
 

Die eisigen Spinnenfinger hatten sich inzwischen unermüdlich Deans Wirbelsäule hinaufgearbeitet und waren schon fast an seinem Hals angekommen. Entgegen seiner Annahme hatte er jedoch nicht mit stärker werdenden Schmerzen zu kämpfen, sie waren stark, aber erträglich, seine Bewegungsfähigkeit nahm jedoch rapide ab. Ihm fiel es immer schwerer seine Hände zu koordinieren, und er war kaum noch fähig seine Arme zu heben.

Endlich war das letzte Kind oben und wurde von seinem Vater überglücklich in die Arme geschlossen.

„Los, Dean, jetzt du!“, forderte Helaku den Blonden auf, und der versuchte die Wand wieder nach oben zu klettern. Er hatte vielleicht den halben Weg nach oben zurückgelegt, als die Kälte durch seinen obersten Halswirbel kroch und in seinem Gehirn explodierte. Eher erschrocken als vor Schmerzen keuchte der Blonde auf, und seine Hände versagten ihm komplett den Dienst.

Er fiel.

Schmerzhaft fühlte er den Aufprall, doch er war nicht mehr in der Lage, ihn abzufangen. Er war noch nicht mal in der Lage zu schreien, geschweige denn, sich zu bewegen.

Panik stieg in ihm auf. Er konnte keinen Finger rühren, nicht sprechen. Er konnte ja noch nicht mal die Augen schließen.

Gut, dass wenigstens die Kinder diesen Absturz nicht mit ansehen mussten, überlegte er. Sie waren schon nach draußen gebracht worden.

Sofort begann Nanouk die Wand hinabzusteigen. Er befestigte das Seil um Deans Brust, hievte ihn sich auf den Rücken und begann den Aufstieg.

Deans Kopf fiel auf die Schulter seines Trägers und der Blonde kam sich so jämmerlich hilflos und ausgeliefert vor.

Der Inuit trug ihn mit einer Leichtigkeit nach oben, löste ihn dann wieder von seinem Rücken und ließ ihn vorsichtig auf den Boden gleiten.

Dort nahm Nanouk ihn auf die Arme und trug ihn ins Freie.

Dean wurde auf dem Schnee abgelegt und sein Träger verschwand aus seinem Blickfeld. Ukpik erschien. Und die Kinder.

„Was ist mit ihm?“, fragte einer der Jungs.

„Amaruq hat ihn gezeichnet“, erklärte der Schamane.

‚Woher weißt du das?’, wollte Dean wütend fragen, doch kein Ton verließ seine Kehle.

„Muss er sterben?“

„Nur ein starker Krieger kann das überleben“, antwortete William.

Ein dicker Klumpen bildete sich in Deans Kehle. Nicht weil er sterben würde, sein Leben war egal. Er hatte es gefühlt, und er hatte keine Angst davor. Er war Jäger und als solcher immer dem Tod ausgesetzt. Sie wussten nie, ob sie das Ende eines Falles überleben würden, und jetzt, da Lilith nicht mehr war, brauchte er auch die Hölle nicht mehr zu fürchten. Aber es war einfach der falsche Zeitpunkt. Fast wollte er laut loslachen. Gab es überhaupt den richtigen Zeitpunkt? Im vorigen Jahr hätte er sterben müssen, da hatten sie alles getan um genau das zu verhindern. Davor hatte er sich mehr als nur einmal gewünscht einfach aus diesem Leben zu verschwinden. Er war müde gewesen und ausgelaugt. Nachdem er jedoch vor den Auswirkungen seiner blödesten Idee gerettet worden war hatte sich sein Verhältnis zum Sterben geändert. Er wusste, dass es noch immer jederzeit vorbei sein konnte, doch er hatte gehofft, noch länger mit seinem kleinen Bruder und Bobby leben und jagen zu können. Und es tat ihm leid, dass er sich von keinem der beiden hatte wirklich verabschieden können.

Eine einzelne Träne rann über seine Schläfe.
 

Die Männer verteilten inzwischen die mitgebrachten Werkzeuge und Seile auf die anderen Motorschlitten und machten Dean in dem Anhänger so gut es ging Platz. Dann hoben sie ihn hinein und deckten ihn mit einigen Fellen zu. Einer der Männer wollte ihm die Kapuze tiefer ins Gesicht schieben.

„Nein!“, forderte der Schamane barsch, „Er muss sehen können!“

Erschrocken zog der Mann die Hand zurück.

Dean war irritiert. Warum sollte er sehen? Was wusste William über seinen Zustand?

So schnell es ging, jagten sie zurück zu ihrem Dorf.

Ein Rabe begleitete ihre Fahrt und der Schamane nahm es als gutes Zeichen.

Die Zeremonie

119) Die Zeremonie
 

Sam war inzwischen ohne große Schäden oder Erfrierungen wieder aufgetaut und absolut nicht bereit, länger als nötig in der Klinik zu bleiben, vor allem, wo sich die Rückkehr des Suchtrupps angekündigt hatte.

Er stand mit den anderen am Ortsrand und schaute den Männern erwartungsvoll entgegen. Sein Blick wurde immer besorgter, als er Dean nicht entdecken konnte.

So schnell es der teilweise weiche Schnee zuließ lief er zu William. Doch noch bevor er ihn erreicht hatte, fand er seinen Bruder reglos in dem Anhänger liegend.

„Dean!“ Er stürzte zu ihm, doch der reagierte nicht sondern starrte weiter unter halb geschlossenen Lidern in den Himmel.

„Bereitet sofort den Zeremonieraum vor und heizt die Sauna“, forderte der Schamane, fast alle Männer hasteten davon und überließen es den vor Glück weinenden Frauen, ihre Kinder wieder in Empfang zu nehmen und ins Krankenhaus zu bringen. Ihre Freude über deren unversehrte Rückkehr musste noch warten, bis der, dem sie das zu verdanken hatten ebenfalls gerettet war.

Jeremiah Kokrine stand unschlüssig im Weg.

„Was ist mit Dean?“, bedrängte Sam den Schamanen und hielt ihn am Ärmel fest. Unwirsch wandte sich Ukpik zu dem jungen Winchester.

„Amaruq hat ihn gezeichnet, und je länger wir warten, umso sicherer wird dein Bruder sterben!“

Sam keuchte erschrocken. „Der Wolf gestern, war das ….“

Der Schamane hatte sich schon wieder abgewandt und ging zu einer der drei kleinen Hütten, die unter ein paar Bäumen am Ortsrand standen. Er hatte noch so viel zu tun bevor sie die Zeremonie durchführen konnten, und es tat ihm leid, den jungen Mann so abkanzeln zu müssen, doch wenn dessen Bruder überhaupt eine Chance haben wollte, musste er sich beeilen. Er wollte das Leben des Winchesters nicht auf seine Seele, oder die der Kinder laden, denn er wäre gestorben, weil er sie gerettet hat und das würde die Kinder ihr ganzes Leben lang begleiten.

„Bereitet ihn für die Zeremonie vor“, wandte er sich noch an Jonah, der bei ihm geblieben war. Dieser nickte, und rief Alice und Yuri zu sich. Mit wenigen Worten erklärte er die Situation, und die Frauen eilten mit besorgten Gesichtern in die zweite der drei Hütten.

Sie füllten einen großen Holzbottich mit heißem Wasser, gaben aromatische Kräuter und Öle hinzu.

Jonah hob Dean aus dem Anhänger und folgte ihnen langsamer.
 

Sam wollte bei seinem Bruder bleiben und lief hinter dem Mann her, der ihn quasi entführte.

„Egal was du siehst oder hörst, und egal wie falsch es dir vorkommen sollte,“ hielt Helaku, der gerade mit einer großen Kiepe voller Holz zu einer der Hütten wollte, ihn auf, „bitte bedenke, dass es unsere Götter sind, die wir um Beistand bitten, und dass es um sein Leben geht.“

Sam erstarrte, schluckte und nickte dann. „Kann ich bei ihm bleiben?“, wollte er unsicher wissen.

„Ja, aber halte dich zurück.“

Der Winchester nickte dankbar und beeilte sich, Nanouk zu folgen, auch wenn er das ungute Gefühl in seinem Inneren nicht ganz unterdrücken konnte. Was würden sie mit Dean machen? Würden sie ihm wehtun? Er wollte nicht, dass sein Bruder schon wieder leiden musste!
 

So unbeweglich wie Dean äußerlich auch war, in seinem Gehirn liefen die Gedanken Amok.

Er hatte gehört, was Sam gesagt hatte und er wollte ihn auf keinen Fall dabei haben. Mit aller Macht versuchte er sich irgendwie bemerkbar zu machen, doch kein Laut drang über seine Lippen. Kein Muskel rührte sich. So viele Menschen hatten ihnen immer wieder unterstellt, sie könnten sich telepathisch unterhalten. Er hatte es immer wieder an ihren Gesichtern ablesen können, wenn ein Blick genügte um zu wissen, was Sam dachte. Jetzt war der Moment gekommen, an dem er sich nichts so sehr wünschte, als das sie es wirklich könnten. Er wollte nicht, dass sein kleiner Bruder mit ansehen musste, was sie mit ihm veranstalteten, denn er glaubte nicht, dass das etwas Schönes werden würde.

Was würden sie überhaupt mit ihm machen? Hielten sie ihn doch für tot und wollten ihn auf die letzte Reise schicken? Sollte er lebendig begraben werden?

Wussten sie, dass er noch lebte? Ihre Aussagen von wegen ‚Amaruq hatte ihn gezeichnet’ ließ diesen Schluss zu, aber was konnten sie jetzt noch tun? Ihm das Sterben erleichtern? Seine Seele besänftigen und ihn töten? Er hatte keine Ahnung. Was könnten sie jetzt noch tun, um ihn am Leben zu erhalten. Würde das überhaupt ein Leben sein? Er wollte niemandem zur Last fallen und so hoffte er, dass sie ihn einfach sterben lassen würden. Er hatte als Jäger gelebt und er würde als Jäger sterben.

Genauso wie er es sich immer vorgestellt hatte.
 

Der Inuit hatte ihn auf etwas Hartem abgelegt und den Raum verlassen.

Dean kam sich wie ein totes Stück Fleisch vor, wie eine leblose Schlenkerpuppe. Er versuchte seine Angst zu verdrängen und an etwas Schönes zu denken. An Sammys Lachen, wenn er ihm etwas erlaubte, was Dad mit Sicherheit verboten hätte. Oder damals als sie ihr eigenes kleines Feuerwerk zum 4. Juli gemacht hatten. Aber das Gefühl wurde immer stärker. Nichts tun zu können, aber alles mitbekommen zu müssen, das wünschte er wirklich niemandem. Das war entwürdigend!

Die Frauen entkleideten ihn, ließen ihn in einen Bottich gleiten und begannen, ihm die Haut vom Körper zu schrubben. So fühlte es sich jedenfalls für Dean an und er wollte schreien, wollte aus dem Bottich.

Aber da er sich weder wehren, noch etwas dagegen sagen konnte, war er dazu verdammt, alles schweigend zu ertragen.

Wieder rann eine Träne über sein Gesicht.

‚Bitte lasst mich einfach in Ruhe sterben!’, schrie er immer wieder in Gedanken. Warum hatte ihn der Wolf nicht sofort getötet?

Wie aus weiter Ferne drang rhythmisches Trommeln an seine Ohren, und gleich darauf fiel ein Chor aus ständig an- und abschwellendem, wortlosem Gesang in das Trommeln ein.

Sie hoben ihn aus dem Bottich und trockneten ihn flüchtig ab. Dann trug Nanouk, der den Raum wieder betreten hatte, ihn nackt wie er war, durch die eisige Kälte, die auf seiner noch feuchten Haut brannte, zu den Trommeln und dem Gesang und legte ihn mitten im Raum auf etwas Hartem ab.
 

Der Inuit legte etwas über Deans Hüfte und verschwand dann aus dessem Blickfeld.

Der Raum war schon jetzt vollkommen verräuchert, und der Rauch kratzte in Deans Kehle, doch er konnte nicht husten. Krampfhaft versuchte er zu schlucken. Wenigstens das schien noch zu klappen.

Die Trommeln und der Gesang wurden immer fordernder und schienen irgendetwas in seinem Inneren zu berühren und brachten es unangenehm zum Vibrieren.

Er fühlte sich ausgeliefert, und dieses Vibrieren in seinem Inneren ließ sich seinen Magen verkrampfen.

Außerdem wurde der Rauch noch dichter und brannte in seinen Augen. Immer verzweifelter versuchte er sie zu schließen. Warum konnten sie nicht wenigstens das für ihn tun. Schon bald würde ihn die Dunkelheit ohnehin überrennen.

Tränen liefen über seine Schläfen.

Dean versuchte sich abzulenken und auf seinen Körper zu konzentrieren.

Von seiner rechten Hüfte strahlten Schmerzen und Kälte in seine Glieder und krochen mit den schon bekannten schmalen, langen Spinnenbeinen durch seinen Körper. Einen Teil seines Herzens hatten sie schon mit Beschlag belegt, und er wusste, wenn sie erst seinen ganzen Körper durchdrungen hätten, würde er sterben. Doch es war ihm egal. Er hoffte, dass das möglichst bald passieren würde. Er wollte nur noch, dass die Schmerzen aufhörten und dass sie alle hier ihn in Ruhe sterben ließen.
 

Sam sah die glitzernde Tränen an Deans Schläfe herab laufen und wünschte sich, dass er seinem Bruder beistehen könnte. Doch Ukpik und Nanouk hatten ihm beide noch einmal unmissverständlich begreiflich gemacht, dass er sich, um des Leben seines Bruders willens, still verhalten sollte.
 

Der Schamane trat zu Dean, hob seinen Kopf etwas an und flößte ihm ein zähflüssiges Gebräu ein. Der Blonde schluckte und war für einen Augenblick dankbar dafür, dass das Kratzen in seinem Hals nachließ.

Heiß rann die zähe Brühe seine Kehle hinab und erreichte seinen Magen. Das Gefühl der Dankbarkeit verschwand als eine Welle Schmerzen ihn zusammenfahren ließ. Sein Körper verkrampfte sich, riss ihn von der Unterlage, auf der er lag, und schüttelte ihn durch.
 

Der Schamane schürte das Feuer am Rand der Hütte und warf ein neues Bündel Kräuter hinein. Aromatischer Rauch stieg auf.

Dann trat er wieder zu Dean und flößte ihm erneut etwas von der zähen Brühe ein.

Wieder schüttelten Krämpfe den nackten Körper, schlimmer als zuvor.
 

Mit vor Entsetzen geweiteten Augen starrte Sam auf den Altar in der Mitte des Raumes, sah wie Deans Körper immer heftiger zuckte und wie er sich immer mehr verkrampfte.

Sie taten seinem Bruder weh und das Letzte, was Sam für Dean wollte, war, dass er Schmerzen leiden musste, weil er, Sam, mal wieder nicht alleine hatte auf sich aufpassen können!

„Hört auf, bitte!“, bettelte Sam und sprang auf.

Warum taten sie seinem Bruder noch mehr weh?

Er wollte zu Dean. Er wollte ihn von dem Tisch zerren und ihn aus diesem Raum schaffen.

„Nein“, sagte der Schamane mit einer Ruhe und Überzeugung in der Stimme, die Sam wieder auf seinen Hocker sinken ließ. „Wenn wir das jetzt nicht machen wird er unweigerlich sterben!“

„So stirbt er doch auch!“

„Ja, vielleicht. Aber er ist kräftig. Wenn er das übersteht wird er leben. Ohne das hier“, sein Arm beschrieb einen Kreis durch die Hütte, „stirbt er auf jeden Fall.“

‚Bitte bringt Sam hier raus!‘, flehte Dean in Gedanken. Sams Stimme hatte so verzweifelt geklungen, und er wollte nicht, dass der Kleine sich Sorgen um ihn machen musste! Er wollte ihn glücklich wissen, aber dazu musste er leben wollen. Sam konnte genauso wenig ohne ihn leben, wie er ohne Sam. Das hatte ihn das Jahr gezeigt, in dem sie versucht hatten seinen Pakt zu brechen.
 

Sam nickte mechanisch. Er sank auf seinem Hocker in sich zusammen. Tränen liefen über seine Wangen.

Er machte sich nicht die Mühe, sie wegzuwischen, denn der Rauch und die Sorge um Dean trieben ihm immer neue in die Augen.
 

Trommeln schlugen. Und die Männer in der Hütte begannen sich langsam vor und zurück zu bewegen.

Wieder trat Ukpik zu Dean und flößte ihm auch noch den Rest des Bechers ein.

Dean sah sich schlucken. Er fühlte sich völlig losgelöst. Die letzte Krampfattacke hatte ihn aus seinem Körper gerissen. Er sah wie sich sein Körper erneut aufbäumte, doch es war ihm egal. Er war frei. Frei zu gehen wohin er nur wollte. Er würde nie wieder Schmerzen haben.

Und dann blickte er zu Sam. Seinem Sammy, der verloren auf seinem Hocker saß. Sie hatten sich gerade erst wiedergefunden nach ihrem Wildwest-Abenteuer. Tränen liefen über dieses so vertraute Gesicht. Er wollte bleiben, wollte Sammy die Tränen wegwischen.
 

Die Trommeln schlugen immer schneller und die Männer wiegten sich im selben Rhythmus. Sie sangen in immer wieder auf- und abschwellender Lautstärke, und irgendetwas in diesem Gesang band Dean an seinen Körper. Seine Chance zu gehen hatte er verstreichen lassen. Und so verharrte er reglos wartend was weiter passieren würde.

Vielleicht konnten sie ihm ja doch helfen?
 

Sam verkroch sich immer mehr in seiner Ecke. Er sah seinen Bruder total verkrampft auf dem Altar liegen. Er wollte zu ihm, doch irgendetwas war in dem Gesang, dass ihn an seinen Platz fesselte. Der Rauch kratzte in seiner Kehle und trieb ihm weitere Tränen in die Augen. 'Als ob er nicht eh schon heulen müsste!', Sam schniefte. Diese Zeremonie schien endlos zu sein.
 

Das Feuer im Raum war fast heruntergebrannt. Ukpik hatte Dean noch drei weitere Becher von diesem Zeug schlucken lassen, und sein Körper hatte jedes Mal mit immer schlimmer werdenden Krämpfen reagiert. Sam wunderte sich, dass sein Bruder noch nicht vom Tisch gefallen war.
 

Etwas zerrte plötzlich an Dean.

Langsam und unmerklich hatten sich der Rhythmus der Trommel und des Gesanges geändert.

Die, jetzt in den Tönen innewohnende, Kraft drängte ihn zurück in seinen Körper.

Wie eine riesige Welle überrollten ihn die Schmerzen. Jeden einzelnen verspannten Muskel schien er zu spüren. Er wollte schreien.

Kein Ton kam über seine Lippen.

Beistand ohne Worte

120) Beistand ohne Antworten
 

Die Männer kamen taumelnd auf die Beine. Auch sie hatte die Zeremonie mitgenommen.

Einer nach dem anderen schlurften sie sich nach draußen. Tief sogen sie die eisige, reine Luft in ihre Lungen.

Helaku und Graham legten Felle auf den Boden. Dann hoben sie Dean vom Altar und ließen ihn auf die weichen Häute gleiten. Sie rieben seinen ganzen Körper mit einem aromatischen Öl ein, massierten es in jeden Zentimeter seine Haut. Danach legten sie seine Hände auf sein Herz und begannen, ihn so fest es nur ging, in die weichen Häute zu wickeln. Zum Schluss verschnürten sie ihn wie ein Baby in einem Steckkissen. Sie hoben ihn hoch und trugen ihn wieder mit Gesang in die Hütte, in der er zuvor schon gewaschen worden war.
 

Sam war ebenfalls aufgestanden und ins Freie getorkelt, froh endlich wieder reinen Sauerstoff in seine Lungen pumpen zu können. Doch bevor er die Hütte verließ, warf er einen hoffnungsvollen Blick auf seinem Bruder. Er sah dessen trübe, blicklosen Augen und seine Knie wurden weich. Als hätte ihm jemand den Boden unter den Füßen weggezogen, taumelte er nach draußen. Nach ein paar Schritten schlug er in den Schnee. Er drehte sich auf die Seite, rollte sich zusammen und ergab sich seinen seelischen Schmerzen. Die Kälte fühlte er nicht und auch nicht die Tränen, die heiß über sein Gesicht rannen.

Es war einfach nicht gerecht, dass immer Dean leiden musste!

Er spürte, wie sie ihm auf die Füße halfen und in ein Haus führten, und er fühlte, wie sie ihm eine klare wohltuende Flüssigkeit zu trinken gaben. Müdigkeit breitete sich in ihm aus.

„Dean!“ keuchte er, dann sackte sein Kopf auf seine Brust und er schlief ein.
 

Der ältere Winchester lag in einem Raum, der in den Wintermonaten als Sauna genutzt wurde.

Dampfschwaden umwaberten ihn. Ihm war heiß. Er wollte aus dem Raum, wollte sich wenigstens von den Fellen befreien, doch er konnte sich nicht rühren. Schweiß trat ihm aus jeder Pore und rann seinen Körper hinunter in die Felle. Seine Haut brannte und es juckte fürchterlich.

Langsam löste sich alles um ihn herum auf und auch die unangenehmen Gefühle schwanden. Die dem Wasser beigefügten Kräuter benebelten seine Sinne, und das Öl, mit dem sie ihn eingerieben hatten, tat sein Übriges: Sein Geist ging auf Wanderschaft.

Er fühlte sich frei. Frei wie ein Adler im Wind.

'Ich habe Flugangst, verdammt!'

Das Bild schlug um. Er war ein Fisch im Wasser.

Eine blondgelockte Nixe drängte sich in sein Sichtfeld.

'Na toll, das wird mich bestimmt ablenken.'

Wieder wandelte sich das Bild. Pferde jagten über die Prärie und er war eines davon. Der Wind umspielte ihn, seine weit geblähten Nüstern pumpten jede Menge Sauerstoff in seine Lungen. Seine Hufe trommelten auf den harten Boden. Vor sich sah er einen kleinen Wald, doch er bremste nicht ab sondern donnerte mit unvermittelter Geschwindigkeit hinein.

Und noch einmal änderte sich das Bild.

Er hockte vor einer Höhle. Seine Gefährtin säugte gerade die Welpen. Es waren nur drei Junge, doch sie entwickelten sich gut. Er gähnte und streckte sich auf dem weichen Moos aus. Die Sonne erwärmte seinen Pelz. Die Kleinen hatten genug getrunken und tapsten jetzt auf riesigen Pfoten unbeholfen auf ihn zu, um ihn in Schwanz und Pfoten zu beißen und an seinem Fell zu ziehen. Gutmütig ließ er es über sich ergehen und leckte seinen Welpen hin und wieder beruhigend über die Schnauze, wenn sie es gar zu toll trieben. Es waren zwei Weibchen und ein Rüde.

Er hörte ein leises Geräusch und drehte den Kopf. Über den Hügel kam ein weiterer großer graubrauner Wolf. Er blaffte kurz zur Begrüßung, als dessen Gefährtin an seiner Seite erschien. Auch sie war trächtig. Bald würde sich sein Rudel weiter vergrößern und sie würden noch mehr Beute heranschaffen müssen. Träge ließ er den Kopf auf die Pfoten fallen und döste ein.
 

Erschrocken keuchte Dean als er fühlte wie er hochgehoben wurde.

„Nich!“ nuschelte er undeutlich. Sie hatten ihn abrupt in die Wirklichkeit zurückgerissen und er hatte Angst. Angst, dass sie ihm wieder etwas zu trinken geben würden, von dem er Krämpfe bekam. Die Schmerzen waren gerade halbwegs abgeklungen.

Er wollte zurück. Zurück in den Wald, in die Ruhe.

Und er hatte Recht gehabt. Sie flößten ihm wieder etwas ein. Er wollte seinen Kopf wegdrehen, doch die ließen ihm keine Chance auch nur den Versuch zu starten, ob er sich bewegen konnte. Sie hielten ihn fest und zwangen ihn zu schlucken. Hilflos wartete er auf die Krämpfe und stellte erstaunt fest, dass sie nicht kamen, noch nicht vielleicht.

Gleich nachdem der Becher leer war, begannen sie ihn aus den Fellen zu wickeln.

Endlich konnte er wieder atmen. Er fühlte sich gut und ignorierte seine leicht benebelten Gedanken.

Die Krämpfe schienen ihm tatsächlich ersparrt zu bleiben.

Erschrocken quiekte Dean, als sie ihn in den Schnee gleiten ließen und ihn mit noch mehr von dem weißen, kalten Zeug abrieben.

Sein Gehirn schaltete ab. Das war eindeutig zu viel. Er schwitzte und fror gleichzeitig. Seine Zähne klapperten gut vernehmlich, und er zitterte immer stärker.

Dean fühlte, wie er wieder hochgehoben und in etwas gewickelt wurde. Dann trugen sie ihn in einen Raum, rieben ihn, nicht gerade zärtlich, trocken und massierten wieder dieses aromatische Öl in seine Haut.

Nur am Rande seines Bewusstseins bekam er noch mit, dass sie ihn wieder fest in weiche, dicke Felle packten. Noch einmal wurde er hochgehoben und wenig später auf einen weicheren Untergrund gelegt.

Sofort schlief er richtig ein.
 

Irritiert setzte Sam sich auf und rieb sich die Augen. Draußen war es hell. Ob noch immer oder schon wieder konnte er nicht sagen.

Wo war er, was war passiert? Wieso hatte er seine Kleidung noch an und wieso lag er nicht in seinem Bett? 

Langsam schaute er sich um. Wo war Dean?

„Dean!“ Rasend schnell prasselten die Ereignisse der letzten Tage auf ihn ein.

Hektisch schlug er die Decke zur Seite und ohne sich weiter anzuziehen wollte er zur Tür rennen. Er kam genau zwei Schritte weit, bis sich sein verstauchter Knöchel schmerzhaft meldete.

Über sein eigenes Ungeschick fluchend, hoppelte er zu der Couch zurück und zog sich die Skischuhe an. Dann endlich verließ er den Raum und schaute sich suchend um.

Yuri stand in der Küche und lächelte ihn freundlich an.

„Wo ist Dean?“, wollte der Winchester ohne Gruß wissen.

„Er liegt in der Hütte. Ich bringe dich gleich hin. Aber erstmal solltest du etwas essen.“

„Ich will nichts essen, ich will zu Dean!“

„Dein Bruder ist noch lange nicht über den Berg, und es wird ihm bestimmt nicht helfen, wenn du dich auch noch zu Grunde richtest. Also setzt du dich jetzt hierher und isst! Dann nehme ich dich mit hinüber zu ihm.“

Sam resignierte, humpelte zu dem Stuhl, den sie ihm gewiesen hatte und ließ sich darauf fallen.

„Wie geht es ihm?“, wollte er wissen und begann das Sandwich zu essen, das Yuri ihm hingestellt hatte. Lustlos kaute er darauf herum.

„Er schläft“, antwortete sie, und als sie Sams Miene sah, fügte sie mitfühlend hinzu: „Der erste Schritt ist gemacht, aber bis er wieder rumlaufen kann, wird es noch ein weiter Weg.“

„Was ist mit ihm? Was heißt ‚Amaruq hat ihn gezeichnet’“, wollte er jetzt endlich wissen.

„Ich denke, das sollte dir mein Mann erklären.“

Entmutigt nickte Sam. Er hatte endlich auf Antworten gehofft.

„Williams Geist wandelt bei unseren Göttern. Außerdem muss sich von der Zeremonie ausruhen. So etwas macht er nicht alle Tage und sie hat ihn sehr mitgenommen.“

Der Winchester schob den Teller zur Seite. Er hatte einfach keinen Hunger, und solange er nicht wusste, was mit seinem Bruder war, wollte er auch nicht noch mehr Zeit mit Essen vertun.

Yuri nickte traurig. Auch sie nahm das Schicksal der Brüder sehr mit. Sie mochte die beiden und da spielte es keine Rolle, dass sie auch noch die Kinder gerettet hatten. Sie hätte die Brüder auch ins Herz geschlossen, wenn sie nur als einfache Urlauber zu ihnen gekommen wären.
 

Sie zogen sich ihre dicken Jacken über und gingen durch die Kälte zu den drei Hütten.

Kurz klopfte Yuri an die Tür und trat dann, ohne eine Antwort zu erwarten, ein.

Erstaunt schaute sich Sam um. Helaku und Graham saßen an einem kleinen Tisch an dem drei Stühle standen. Karten lagen auf dem Tisch. In der hintersten Ecke stand ein Bett, über dem ein Traumfänger in der leichten Brise, die mit ihnen zur Tür hereingekommen war, schaukelte. Nanouk hockte vor dem Bett.

Er hatte sich zur Tür gedreht und die Neuankömmlinge gemustert. Jetzt stand er auf und kam nach vorn.

„Er schläft“, lächelte er sie an, „und schwitzt.“

„Das ist gut! Ich will ihm auch gleich noch einen Becher geben“, sagte Yuri und Sam schaute fragend von einem zum anderen, doch er bekam keine Antwort.

„Danke, dass er nicht allein sein musste“, sagte er dann und ging zum Bett. Es bedeutete ihm sehr viel, zu wissen, dass jemand bei seinem Bruder war, als er es nicht konnte, wusste er doch wie ungern Dean alleine war. War er das noch?

Betrübt stellte er fest, dass er keine Ahnung mehr hatte, wie es in seinem Bruder aussah. Dieser verdammte Trickster hatte es geschafft, sie zu entfremden und sie hatten noch keinen Weg gefunden zu dem Miteinander zurück zu finden, dass sie noch in Bangor hatten.

„Er hat uns unsere eigene Arroganz vor Augen geführt, indem er uns unsere Kinder zurückgebracht hat“, wehrte Graham den Dank ab und riss Sam aus seinen trübsinnigen Gedanken.

„Aber auch wenn er das nicht getan hätte: Niemand sollte das alleine durchstehen müssen“, fügte

Helaku hinzu.

Der Winchester nickte betroffen. ‚Das durchstehen müssen’, hallte, ein ungutes Gefühl hinterlassend, in seinem Kopf nach. Er half Yuri seinen Bruder aufzurichten und von der Kapuze, die ihm bis tief ins Gesicht hing, zu befreien, um ihm einen Becher der dampfenden Flüssigkeit einzuflößen.

Kaum war der Becher leer, ließen sie ihn wieder in die Waagerechte gleiten. Sie setzte ihm die Kapuze wieder auf und zog die Decke bis an dessen Nase.

Schweiß lief Dean über das Gesicht und in seine Augen. Er gab ein unwirsches Schnaufen von sich.

Sam suchte einen Lappen, um seinem Bruder wenigstens hier Erleichterung zu verschaffen.

Yuri lächelte und reichte ihm ein Tuch.

„Muss…?“, begann er und wischte Dean über das Gesicht. „Muss er so sehr schwitzen?“

„Je mehr umso besser“, sagte sie nur und verließ dann den Raum.

Sam nickte und versuchte eine halbwegs gemütliche Stellung auf dem Stuhl zu finden.

„Du bist so ein Idiot, Dean“, sagte er leise und blendete die Anwesenheit der drei Männer vollkommen aus, „wann lernst du endlich, mehr auf dich, als auf alle anderen, zu achten? Mir bleibt immer nur an deinem Bett zu sitzen und aufzupassen, dass du wieder gesund wirst.“ Wieder wischte er den Schweiß von Deans Gesicht.

„Schlaf! Ich bleibe hier“, fuhr er dann leise fort. Wie oft hatte sein Bruder an seinem Bett gesessen, als sie noch Kinder waren. Diese Rollen hatten sie eindeutig getauscht.

Nur im Unterbewusstsein bekam er mit, dass die Drei den Raum verließen.
 

Wenig später kamen sie zurück und holten den Blonden. Sam folgte ihnen misstrauisch. Was hatten sie vor? Wollten sie ihm wieder weh tun?

Es schmerzte ihn sehen zu müssen, dass er Recht behielt.

Etwas abseits schaute er zu, wie sie seinen Bruder aus den Fellen wickelten, ihn wieder in den großen dampfenden Holzzuber packten und seine, ohnehin schon gerötete, Haut schrubbten.

Deans Zähne mahlten aufeinander und er wimmerte leise. Und als wenn das nicht schon ausreichte, damit Sam sich miserabel fühlte, ließ auch seine verkrampfte Haltung nur zu gut erkennen, wie furchtbar das für ihn war.

Der Jüngere musste sich zwingen, nicht zu dem Bottich zu laufen und Dean aus den Fängen seiner Peiniger zu reißen. Warum nur taten sie ihm so weh? Hatte er nicht schon genug gelitten?

Wieder drängten sich Tränen in Sams Augen.

Dann wurde der ältere Winchester wieder in die Sauna gelegt und, als er genug geschwitzt hatte, mit Schnee abgerieben, bis er endgültig krebsrot war.

Sie trugen ihn wieder in die Hütte und rieben ihn trocken.

Fest in weiche, saugfähige Felle gewickelt, steckten sie ihn wieder in sein Steckkissen und legte ihn zurück auf das Bett.

Gleich darauf kam Yuri wieder zu ihnen. Sie brachte Decken für Sam mit und zeigte auf eine Klappliege an der Wand. „Auch du solltest schlafen.“

„Ich bleibe hier, danke!“

„Er bekommt für die Nacht ein stärkeres Schlafmittel und wird dir also bestimmt nicht weglaufen. Schlaf! Bis er wieder aufstehen darf, wird es noch dauern.“

Sam nickte leicht, half ihr Dean erneut zum Trinken zu bewegen, und ging dann, unter ihrem strengen Blick, zur Liege, die er sich neben Deans Bett zog und sich dann darauf ausstreckte.

Schneller als gedacht war auch er eingeschlafen.

Ein grimmiges Versprechen

121) Ein grimmiges Versprechen
 

Er erwachte erst, als Yuri am nächsten Morgen mit einem Frühstück für ihn und einem weiteren Becher für Dean die Hütte betrat.

Erschrocken richtete er sich auf und schaute betreten zu seinem Bruder.

Dean lag noch genauso wie am Abend und doch nahm sich Sam fest vor, ihn nicht wieder allein zu lassen.

Vielleicht hatte Dean nach ihm gerufen und er hatte es nicht gehört? Das schlechte Gewissen ließ sich nicht so schnell vertreiben.

Egal was für ein Schlafmittel sie ihm gaben, bei seinem großen Bruder wusste man nie, wann der aufwachte. Das hatte er schon mehr als einmal erleben müssen.

Er half Yuri dabei, ihm das Gebräu einzuflößen und war froh, das nicht trinken zu müssen. Auch wenn sie schon Schlimmeres getrunken hatten, es roch widerlich! Er versuchte den Geruch zu ignorieren und aß ein wenig Müsli. Danach räumte er die Liege weg und machte es sich erneut auf dem Stuhl so gemütlich wie möglich.

„Mein Mann wird morgen zu dir kommen. Heute will er noch im Gespräch mit unseren Göttern verbringen und sie darum bitten, auf deinen Bruder aufzupassen.“

Sam nickte wieder nur. Diese Aussage half ihm kein Bisschen weiter. Er bewachte dann den ruhigen Schlaf seines Bruders.

Alle zwei Stunden kam Yuri mit einem Becher dampfendem Gebräu und sie flößten es Dean ein, und irgendwann begleiteten Helaku und Nanouk sie. Doch da sie Sam keine nähere Auskunft über Deans Zustand geben konnten oder wollten und er an einem einfachen Gespräch nicht interessiert war, ließen sie die Brüder schnell wieder allein.
 

Der Tag verging fast unbemerkt. Nur die abendliche Quälerei Deans brachte eine Abwechslung, die Sam allerdings wieder nur aus der Ferne beobachtete und von der er nicht wusste, warum sie seinen Bruder so malträtierten, und ob das überhaupt notwendig war. Yuri hatte zwar versucht ihm zu erklären, dass es keine Alternative gab, wenn Dean leben sollte, doch er wollte es so nicht einfach hinnehmen.

Wann konnte er endlich mit William reden? Wann würde er endlich Antworten bekommen und wie lange sollte das hier noch gehen?

Sam hockte stur auf seinem unbequemen Stuhl, und auch als Yuri ihn aufforderte, sich hinzulegen, blieb er sitzen. Diese Nacht würde er an Deans Seite wachen.

Am Mittag hatte er mit Bobby telefoniert und ihm gesagt, dass es ihnen soweit gut ging und dass sie die Kinder gefunden hätten. Er hatte nichts von Deans Zustand verlauten lassen, aber natürlich schien Bobby wieder etwas geahnt zu haben und fragte nach dem Blonden. Bobbys Ahnungen schienen so ähnlich wie Deans Instinkte zu funktionieren.

Sam hatte ihn angelogen und gehofft, dass es nicht allzu offensichtlich war. Er hatte ihm erklärt, dass sich sein Bruder erkältet hätte und dass er im Bett liegen und schlafen würde. Wenigstens der letzte Teil war nicht gelogen.

Bobby hatte sich damit zufrieden gegeben, aber Sam wusste in demselben Moment, dass er ihm nicht geglaubt hatte und in ein paar Tagen nachfragen würde und er hoffte, dass er dann Genaueres über Deans Zustand und ihren Fall wusste, oder besser noch, Dean wieder ansprechbar wäre.

Er musste unbedingt mit William reden! Hoffentlich war der bald mit seinen Göttern fertig!
 

Schweigen senkte sich über das Tal und breitete sich in der Hütte aus. Nur das gelegentliche Knacken der Holzscheite und Deans leises Atmen durchbrachen die Stille.

Sam zog die Decke, die Yuri ihm bei ihrem letzten Besuch um die Schultern gelegt hatte, fester zusammen. Immer wieder wischte er Dean den Schweiß vom Gesicht und hoffte, dass sein Bruder wirklich friedlich schlief und nicht nur so aussah.
 

Der nächste Tag begann genauso wie der davor.

Yuri kam alle zwei Stunden und Sam wich nicht von Deans Seite.

Erst nachdem sie Dean am Abend wieder dieser Schocktherapie von Scheuerbad, Sauna und Schnee unterzogen hatten und Sam darauf wartete, dass Yuri zum letzten Mal für heute kommen würde, änderte sich diese Routine.

William begleitete sie.

Diesmal übernahm er es, Dean zum Trinken zu bringen.

Yuri legte Sam erneut die wärmende Decke um die Schultern, drückte ihm einen Becher mit einer dampfenden Flüssigkeit in die Hand und wünschte ihm eine gute Nacht.

Dankbar nickte er ihr zu, dann schaute er fragend zu dem Schamanen, der mit Dean fertig zu sein schien, wohl aber noch nicht gehen wollte. So lange hatte er auf eine Gelegenheit gewartet, mit William reden zu können und jetzt, wo er diese so unvermittelt bekam, fehlten ihm die Worte.

„Könnt ihr die vielen Felle nicht weglassen, oder ihm wenigstens ein bisschen mehr Bewegungsfreiheit geben?“, stellte Sam die erste Frage, die sich klar in seinem Kopf heraus kristallisierte, nachdem er einen Schluck getrunken hatte, „er glüht ja regelrecht.“

„Es ist wichtig, dass er schwitzt. Das Gift. Nein, es ist eigentlich kein Gift, aber ich finde kein besseres Wort dafür“, erklärte er. „Das Gift, die Kälte, die Amaruqs Biss in Dean gepflanzt hat, wird durch das Schwitzen daran gehindert, sich in seinem Körper festzusetzen. Er schwitzt sie regelrecht aus. Deshalb ist es auch wichtig ihm immer wieder dieses Gift aus der Haut zu waschen, damit nichts davon wieder in ihn eindringen und sich doch noch in seinem Körper festsetzen kann.

Der Schamane nickte, schüttelte den Kopf und holte sich einen Stuhl, um sich neben den jungen Winchester zu setzen. Das hier würde länger dauern. Aber zuerst wollte er etwas erklären und um Vergebung bitten.

„Wir müssen uns bei euch entschuldigen“, sagte er unvermittelt und vollkommen zusammenhanglos. „Vor allem bei Dean. Schon als er während des Schneesturmes in die Ranger-Station gestolpert kam haben wir gesehen, dass Amaruq ihn gezeichnet hatte. Es schrie uns förmlich an. Wir hätten ihm sofort helfen müssen. Aber ich habe auch gespürt, dass er das nicht wollte, dass er sich nicht ruhig hinlegen würde, solange du und unsere Kinder noch da draußen waren. Wir hätten ihn natürlich zwingen können, sich helfen zu lassen, aber wir haben diese Möglichkeit außer Acht gelassen, der Kinder wegen.

Wir hatten gehofft, dass Amaruq ihn nicht nur zeichnet, sondern ihm auch etwas von seinem Wissen mitgegeben hatte, so wie es unsere Legenden berichten.“

Sam holte erschrocken Luft und der Schamane schwieg eine Weile betreten.

„Eigentlich müsste ich … Nein, ich hatte gedacht ihr seid anders. Aber ihr seid genauso verlogen und egoistisch wie die meisten Menschen, denen wir bis jetzt begegnet sind. Immer wieder…“ Sam brach ab. Ihm fehlten einfach die Worte. Und das Schlimmste, Dean würde dem Schamanen Recht geben. Er würde sagen, dass sein Leben nichts wert war, dass es wichtiger war Menschen zu retten und dass es egal war, wenn er dabei sterben würde, schließlich dürfte er ja eh nicht mehr leben! Aber Deans Leben war mindestens genauso viel wert, wie das jedes anderen Menschen!

Und nicht nur ihm war es wesentlich mehr wert!

Der Winchester holte tief Luft und schluckte seine Tränen und die Wut herunter, bevor er wieder zu sprechen begann: „Ihr spielt mit dem Leben meines Bruders nur weil Legenden etwas behaupten, von dem keiner weiß, ob es stimmt?“, brachte er mühsam beherrscht hervor und machte erneut eine Pause um seine Gedanken zu sammeln.

„Aber ich bin auch Jäger und ich weiß, dass hinter den Legenden immer ein Funken Wahrheit zu finden ist, und ich kenne Dean. Ihr hättet ihn fesseln und knebeln müssen, um ihn davon abzuhalten nach den Kindern und nach mir zu suchen“, fuhr er wesentlich ruhiger fort.

„Dein Bruder ist unglaublich. Der Wille anderen zu helfen und dich mit allem, was er hat, zu schützen.

So etwas habe ich noch nicht erlebt.“ Noch einmal holte der Schamane Luft und sah zu Sam.

„Er ist noch nicht über den Berg. Wenn sich in den nächsten fünf Tagen auch nur ein bisschen dieser Kälte in seinem Körper festsetzen kann, dann wird er jämmerlich zu Grunde gehen. Er wird sozusagen einfrieren. Seine Muskeln werden ganz langsam immer steifer werden und irgendwann wird er entweder ersticken oder sein Herz hört auf zu schlagen. Es kann Monate dauern!

Ein Biss von Amaruq ist verhängnisvoll. Aber bis jetzt hält er sich gut. Der Trank lässt ihn schlafen und träumen. Und auch du solltest dich hinlegen.“

Sam nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf. Darüber musste er erst einmal nachdenken.

Bleischwere Müdigkeit breitete sich in ihm aus und so legte er sich, kurz nachdem der Schamane gegangen war, neben Deans Bett. Die durchwachte Nacht forderte ihren Tribut, und da sein Großer bis jetzt ruhig geschlafen hatte, hoffte er auch weiterhin auf Ruhe und darauf, dass der Trank seinen Zweck erfüllte. Trotz der vielen Gedanken, die durch seinen Kopf taumelten war er schnell eingeschlafen.

Langsam und ohne dass sich an der Routine etwas änderte vergingen die Tage.
 

Zwei Abende später wurde der Blonde nicht mehr in sein Steckkissen gesteckt.

Sie legten ihm einen breiten Nierengurt um. Dann zogen sie ihm eine dicke Fellhose über und dicke Fellschuhe an die Füße. Eine Art Pullover mit Kapuze und Handschuhe, alles ebenfalls aus Fell komplettierten die Ausstattung, bevor er wieder in sein Bett gelegt und in Decken gepackt wurde.

Jetzt sah er aus wie ein Baby in Winter-Ausfahr-Garnitur. Sam zog sein Handy und machte einige Fotos.

Dean wirkte wieder einmal so jung und zerbrechlich. Sein entspanntes, mit hellem Fell umrahmtes Gesicht sah so überhaupt nicht nach dem knallharten, kompromisslosen Jäger übersinnlicher Kreaturen aus, der er war, wenn er wach war. Sam legte seine Hand auf Deans Schulter und verharrte reglos, in ein stummes Zwiegespräch mit seinem Bruder versunken.
 

Der Dunkelhaarige erwachte schlagartig, ohne zu wissen, was ihn geweckt hatte. Er setzte sich auf und streckte sich, um die Nacht auf der unbequemen Liege aus den Knochen zu bekommen. Er wollte sich gerne waschen und die Zähne putzen um den pelzigen Geschmack in seinem Mund loszuwerden.

Aber er wollte Dean auf keinen Fall allein lassen, obwohl der sich wohl nicht darüber beschweren würde. Dank des Trankes, den Yuri ihm immer wieder einflößte, hatte er sich nicht einmal auch nur gerührt, geschweige denn war er wach geworden. Nur die abendliche Wäsche mit anschließender Sauna drang überhaupt zu ihm durch, und er gab hin und wieder ein unwirsches, schmerzerfülltes Knurren von sich, doch er wurde nie richtig wach.

Sam versuchte während dieser Zeit seinen persönlichen Bedürfnissen nachzugehen. Er konnte es nicht mit ansehen, wie sehr sie seinen Großen damit quälten, denn für ihn war dieses Knurren mehr, als sein Bruder mit Worten ausdrücken würde.

Die ersten zwei Tage hatte er dabei zugesehen und jedes Mal kurz davor gestanden, Helaku und Jonah körperlich genauso weh tun zu wollen, wie sie es mit seinem Bruder machten, und es half ihm auch nicht, dass er sich jedes Mal sagte, dass es nur zu dessen Bestem war.

‚Wehe William hat damit gelogen! Ich werde wie ein Rachedämon über diesen Ort kommen, sollte Dean trotz allem sterben!‘
 

Träge schaute Sam auf seine Uhr. Yuri müsste doch bald kommen.

Sein Blick fiel auf das Datum und er fühlte einen schmerzhaften Stich im Herzen. Dean hatte heute Geburtstag.

„Jetzt darf ich offiziell Alter zu dir sagen“, grinste er und versuchte den Kloß in seinem Hals loszuwerden. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Bruderherz.“

Er atmete tief durch und setzte sich auf seinen Stuhl. Vorsichtig legte er seine Hand auf Deans Schulter.

„Komm zurück! Du fehlst mir! Bitte Dean! Ich weiß, dass du dir in den letzten Jahren nicht viel aus Geburtstagen gemacht hast, aber dieser ist etwas ganz Besonderes, und das nicht nur, weil es deine dritte Null ist. Es ist auch der erste Geburtstag nach deinem verdammten Deal und ich hatte mir damals geschworen, jeden folgenden Geburtstag mit dir zu feiern. Ich wollte jeden Tag eines jeden folgenden Jahres mit dir genießen.

Und jetzt? Jetzt liegst du hier, und wenn ich nicht sehen würde wie du atmest, dann … Verdammt Dean! Du liegst hier, mehr tot als lebendig!“ Tränen rannen über Sams Wangen.

Schniefend zog er die Nase hoch. Eine Hand legte sich auf seine Schulter und er zuckte erschrocken zusammen. Schnell sprang er auf und drehte sich zu dem Eindringling um.

„Yuri!“, keuchte er noch immer kurzatmig, „ich hab dich nicht kommen hören!“

„Guten Morgen Sam“, grüßte sie und sah ihm forschend ins Gesicht. „Was ist mit dir? Hat Dean ...?“

Schnell überzeugte sie sich, dass mit dem Blonden alles in Ordnung war.

„Dean hat Geburtstag“, schniefte Sam leise.

„Dann sollten wir es feiern, wenn er wieder auf den Beinen ist.“

„Ich glaube nicht, dass er eine Feier will.“

„Na, da wird uns schon was einfallen“, sagte sie voller Elan und riss ihm mit der Zuversicht, die sie ausstrahlte wenigstens für einen kurzen Moment aus seinem trüben Gedanken. Doch viel zu schnell griff die Traurigkeit wieder nach ihm.

Er schnaufte nur und blickte zu seinem Bruder, der von dem Ganzen nichts mitbekam.

„Du gehst jetzt erstmal hinüber und ich kümmere mich, passe auf deinen Bruder auf.“

Der Winchester nickte. Er warf einen weiteren Blick auf Dean und flüchtete dann schon fast in die weiße Kälte.

Aufstehen verboten

122) Aufstehen verboten
 

Sam war keine fünfzig Meter weit gekommen, als ihn das Klingeln seines Handys zusammenfahren ließ.

Mit einem kurzen Blick auf das Display nahm er ab.

„Hallo Bobby!“

„Wo ist Dean? Ich kann ihn nicht erreichen!“

„Er schläft noch.“

Der alte Jäger antwortete mit einem Schnaufen.

„Dann melde ich mich Mittag wieder.“

„Bobby...“

„Sag nicht, dass er noch immer so schwer erkältet ist, dass er nicht reden kann!“ Nur zu deutlich klang der Vorwurf, angelogen worden zu sein, in seiner Stimme mit.
 

Sam schloss die Augen und holte tief Luft. Er hatte doch gewusst, dem alten Freund nichts vormachen zu können und doch hatte er es versucht. Es war schief gegangen Jetzt war also der Zeitpunkt gekommen, an dem er beichten musste.

Zögernd begann er zu erzählen.

Bobby hörte schweigend zu. Nicht ein Wort, nicht ein tieferes Luft holen unterbrach den Jüngeren, bis der geendet hatte.

„Wenn Dean das überstanden hat, wenn er wieder auf den Beinen ist, dann will ich euch hier sehen!“, knurrte er nur und Sam war kurz davor mit ‚Ja Sir‘ zu antworten und die Hacken zusammen zu schlagen.

„Machen wir“, antwortete er stattdessen.

„Und gratuliere ihm, wenn er wach ist.“

„Mach ich. Bis dann.“ Schnell legte er auf und war froh, dieses Gespräch hinter sich gebracht zu haben.
 

Die nächsten Tage vergingen in immer demselben eintönigen Rhythmus.

Sam rückte nicht von Deans Seite, bis auf die Zeit an der er allabendlich gequält wurde. Und auch wenn der Jüngere inzwischen wusste, warum sie das taten und dass es sein musste um sein Leben zu retten.

Es machte es nicht einfacher, dabei zusehen zu müssen. Also ging er zu dieser Zeit weiterhin duschen.
 

Doch auch diese Tage vergingen und endlich war es soweit, dass Dean würde aufwachen dürften.

„Er sollte aber noch liegen bleiben“, dämpfte William gerade Sams Euphorie.

Der Jüngere hielt überlegend den Kopf schief und schaute angestrengt zu seinem schlafenden Bruder.

Langsam schüttelte er den Kopf.

„So gerne wie ich ihn wach sehen möchte, so gerne ich das hier beenden will. Ihr solltet ihn weiter schlafen lassen, wenn er noch nicht aufstehen darf.“

Yuri und William schauten erst verwundert auf Dean und dann fragend zu Sam. Das war ihnen noch nie passiert, dass jemand darauf bestand seinen Bruder schlafen zu lassen. Sie hatten eigentlich damit gerechnet, dass der jüngere Winchester vor Freude ganz aus dem Häuschen sein würde. So lange hatte er den schlafenden Dean angestarrt. Er musste doch wieder mit ihm reden wollen!

Sam atmete mal wieder tief durch bevor er die ungestellte Frage beantwortete.

„Er wird schneller bei euch vor der Tür stehen als ihr ‚nein’ sagen könnt. Dean schläft gerne und viel, wenn er es kann, aber er hat auch den kaum zu kontrollierenden Bewegungsdrang eines hyperaktiven Fünfjährigen. Also wenn ihr nichts habt, womit er wirklich beschäftigt ist, dann lasst ihn schlafen, bis er wirklich aufstehen darf.“ Sam grinste traurig. Er wünschte sich nichts lieber, als Dean endlich nicht mehr beim schlafen zusehen zu müssen. Doch was würde passieren, wenn er weiterhin liegen und vielleicht auch noch so verpackt bleiben müsste? Wie würde es ihm dann gehen. Wie lange würde sein Bruder das aushalten? Wie lange würde er es mitmachen bis er aufstand? An die andere Möglichkeit wollte er lieber nicht denken. Nein! Es war besser Dean schlafen zu lassen.

„Wir haben jede Menge Bücher“, schlug Yuri vor.

Der Winchester verdrehte die Augen. Lesen? Dean? „Ich weiß nicht warum, aber Dean sieht im Lesen eine Kriegserklärung. Er hasst es“, erklärte er ruhig.

„Fernsehen?“

„Für einen halben Tag vielleicht und auch nur wenn irgendwo ein Horrorfilm kommt. Ich weiß nicht warum, aber er liebt diese Filme.“

„Dein Bruder sollte wirklich schlimmer zu hüten sein, als ein Sack Flöhe?“, wollte Yuri wissen. Sie hatte schon genug Erwachsene betreut, doch die hatten sich ohne nachzufragen ihren Anweisungen gefügt.

Auch hatte sie schon einige Kinder betreut, die nicht einfach waren. Aber der Blonde war kein Kind mehr. Sie konnte ihm nicht einfach ein Malbuch geben!

„Wenn er der Meinung ist, dass es ihm gut geht? Ja!“

„Egal, ich muss auf jeden Fall mit ihm reden!“, beendete William die Diskussion.

„Wir holen ihn morgen früh zu uns, da kann er fernsehen. So schlimm kann es gar nicht werden“, erklärte jetzt auch Yuri und Sam betete, dass sie Recht behalten würde. Er hatte schon einige Tage an Deans Seite verbracht, als der wirklich krank war und es war nicht einfach gewesen. Aber vielleicht würde es auch gar nicht so schlimm werden.
 

„Morgen darfst du mich endlich wieder nerven“, stichelte Sam gutmütig, wischte Dean erneut den Schweiß vom Gesicht und legte sich dann auf seine Liege.

Egal, was Dean die nächsten Tage von ihm verlangen würde, schon alleine dafür, dass er mit ihm redete und nicht noch länger stumm und reglos in einem Bett lag, würde er versuchen ihm alles zu ermöglichen.
 

Der nächste Morgen kam und mit ihm Jonah und Helaku, die Dean zurück in das Haus der Mackays trugen und ihm dort im Wohnzimmer auf der Couch vor dem Kamin ein Lager einrichteten.

Sam zog sich einen Stuhl neben die Couch und beobachtete, wie Deans Atmung unruhiger wurde und sich seine Augen hektisch unter den geschlossenen Lidern hin und her bewegten.

Und dann lag der Blonde wieder ganz still. Sam wusste, dass Dean wach war und wartete ungeduldig darauf, dass er die Augen öffnen würde.
 

Langsam tauchte er aus der Dunkelheit auf. Wo war er? Was war passiert?

Reglos blieb er mit geschlossenen Augen liegen und versuchte seine Umgebung zu erkunden. Zu seiner Linken fühlte er wie mollige Wärme sein Gesicht berührte und er hörte das Holz leise knacken. Mit ihm war noch jemand im Raum. Ein Freund? Und irgendwo im Haus werkelte jemand.

War er bei Bobby? Nein, Bobby klang nicht wie eine Frau, wenn er in der Küche leise vor sich hin sang.

Hatte er Bobby überhaupt schon mal singen gehört?

Also nicht bei Bobby. Wo war er dann?

Mit aller Macht prasselten die Ereignisse der letzten Tage auf ihn ein. Der Wolf, der Schneesturm, Sams Verschwinden, der Biss und die Kälte in seinem Körper, die Schmerzen.

„Jetzt mach endlich die Augen auf! Ich weiß, dass du wach bist!“, quengelte Sam neben ihm.

Sammy! Sein kleiner Bruder war hier und so wie er klang, ging es ihm gut. Erleichterung breitete sich in Dean aus.

Schwere Schritte kamen in den Raum.

„Ist er wach?“, fragte William.

„Schon eine Weile, aber er will wohl noch nicht mit uns reden“, antwortete Sam. Langsam krampfte sich sein Herz zusammen. Warum bewegte sich Dean nicht!

‚Wollen?’, überlegte Dean, ‚wollen ist gut. Ich weiß ja nicht mal, ob ich die Augen aufbekomme!’

„Komm schon Dean. Mach die Augen auf!“, bat Sam leise. „Oder du wirst nie erfahren, was vor zwei Tagen mit deiner Süßen passiert ist!“

Erschrocken riss Dean seine Augen auf. Das Licht blendete ihn und er schloss sie sofort wieder.

Sam und William lachten leise.

Immerhin war sich der Blonde jetzt sicher, dass er seine Lider wieder bewegen konnte.

Vorsichtig blinzelnd öffnete er erst ein Auge und, als er sich an das Licht gewöhnt hatte, auch das zweite und schaute vorwurfsvoll zu Sam.

„M… Baby!?!“, krächzte er rau und musste husten. In seiner Kehle kratzte es fürchterlich.

Schnell schob Sam seine Hand unter Deans Rücken, hob ihn ein Stück an und hielt ihm einen Becher Tee an die Lippen. Gierig schluckte der Blonde die Flüssigkeit, die ihm fast augenblicklich Linderung verschaffte. Da war es auch egal, dass es nur Tee war.

„Mit deinem Baby ist nichts. Aber es ist immer wieder schön zu sehen, wie schnell du reagierst, wenn es um sie geht!“

„Miststück!“, krächzte der Blonde beleidigt.

„Idiot!“, antwortete Sam pflichtschuldig und ließ ihn wieder in die Waagerechte gleiten.

„Dean?“, schaltete sich William jetzt in das brüderliche Geplänkel ein.

Der Winchester fixierte ihn und schaute ihn fragend an.

William schluckte. Er hatte viel zu bewusst wahrgenommen, dass sich Dean selbstständig noch keinen Millimeter bewegt hatte. Hatten sie zu lange gewartet? War ihre Hilfe zu spät gekommen? Und wenn ja, wie konnte er Deans Leiden dann so gut wie möglich lindern? Er wollte auf keinen Fall, dass der Blonde langsam und qualvoll zu Grunde ging.

„Wie fühlst du dich?“

„Verschwitzt und klebrig!“, kam die Antwort nach einer Weile.

‚Wieder keine Bewegung’, stellte auch Sam traurig fest.

„Die Kälte?“, präzisierte der Schamane seine Frage.

Deans Augen wurden leer. Seine Lieder schlossen sich langsam. Reglos lag Dean auf dem Sofa.

Sam glaubte schon, dass sein Bruder eingeschlafen wäre, als der seine Augen wieder öffnete und den alten Mann fixierte.

„Nichts“, sagte er und schüttelte unbewusst leicht den Kopf.

William und Sam atmeten gleichzeitig erleichtert durch und Dean ging auf, dass er sich bewegt hatte, dass er sich bewegen konnte. Doch bevor er sich darüber richtig freuen und dieses Gefühl der eigenen Beweglichkeit genießen konnte, boxte Sam ihm gegen den Oberarm.

„Tu mir das nie wieder an!“, schimpfte der Jüngere.

„Au!“, motzte der Blonde und rieb sich seinen Arm. „Was?“

„Du hast dich die ganze Zeit nicht bewegt! Ich dachte … Ich hatte Angst, dass du noch immer …“

„Ich auch, Sammy!“, bestätigte der Ältere leise. Dann suchten seine Augen wieder die des Schamanen.

„Du fühlst wirklich keine Kälte mehr in dir?“, fragte der noch einmal.

„Nein, aber ich würde gerne duschen.“

„Tu das. Yuri bringt dir gleich frische Kleidung.“

„Ich habe eigene Klamotten!“

„Nein. Die nächsten drei Tage wirst du genauso dick eingepackt hier auf der Couch verbringen und die abendliche Sauna setzen wir auch noch fort.“

‚Sauna‘ Das Wort hallte ihn Deans Kopf wieder. Sein Blick wurde leer, als sich die Erinnerungen manifestierten. Diese tägliche Quälerei war also kein verwirrender Traum gewesen.

Jetzt wusste er auch, warum sich sein Körper so wund anfühlte.

Der Winchester wollte protestieren.

„Wir wollen kein Risiko eingehen, Dean“, kam der Schamane ihn zuvor und blickte den Blonden eindringlich an.

Der nickte ergeben, doch jegliche Fröhlichkeit, die bis eben noch in seinem Gesicht zu lesen gewesen war, war verschwunden.

Er stemmte sich in die Höhe. Sein Magen rebellierte und das Zimmer begann zu schwanken als wäre er auf einem Schiff bei hohem Seegang. Seine Knie fühlten sich an, als wären sie aus Pudding.

Schnell fasste Sam zu und drückte seinen Bruder wieder auf die Couch.

„Ruhig, Tiger! Du hast eine Woche gelegen. Gib deinem Körper Zeit, sich wieder an die Senkrechte zu gewöhnen.“

Keuchend nickte der Blonde und ließ sich, nachdem alles um ihn herum wieder an seinem Platz stand, von Sam ins Bad helfen. Doch die Dusche blieb ihm verwehrt.

Widerstandslos kletterte er in die Wanne.
 

Keine Stunde später lag Dean mit geschlossenen Augen erschöpft auf der Couch und dämmerte in einen traumlosen Schlaf. Yuris widerlichen Trank hätte es gar nicht bedurft. Baden und Essen hatten seine Reserven aufgebraucht.

Sam lächelte und breitete eine Decke über ihn.

„Muss er wirklich so dick eingepackt werden?“, wollte er von William wissen.

„Ja, und ich bitte dich, weiter gut auf ihn zu achten. Er scheint es überstanden zu haben. Aber er kann immer noch einen Rückfall erleiden.“

Sam nickte bekümmert.

„Was passiert wenn…?“, fragte er und wollte keinesfalls die gleiche Antwort bekommen wie schon vor ein paar Tagen.

„Wie ich schon sagte, seine Muskeln werden langsam steif werden und irgendwann wird er ersticken, oder, wenn er mehr Glück hat, hört sein Herz vorher auf zu schlagen.“

„Wie lange?“

„Monate, aber es kann auch sehr schnell gehen, wenn die Kälte nicht nur innerlich wirken kann.“

Sam schluckte entsetzt. „Und wann wissen wir, ob er geheilt ist?“

„Wenn er in zwei bis drei Wochen nichts von der Kälte in seinem Körper spürt, dann sollte er es überstanden haben. Sonst bring ihn her!“

„Du willst ihn hier erfrieren lassen?“ Sam wusste nicht, ob er dem Schamanen an die Gurgel gehen, die Augen auskratzen oder ihn solange schlagen sollte, bis der zu Verstand gekommen wäre.

„Wir können ihn schlafen lassen, ist es soweit ist“, erklärte der Schamane besonnen. Er wusste, wie sein Vorschlag auf den jüngeren Bruder wirken musste. Aber auch wenn er es nur aus den Erzählungen der Alten kannte, diesen Tod wünschte er keinem!

„Es sei denn, du willst ihn qualvoll verrecken lassen“, erklärte er weiter und schaute Sam ernst an, „oder du findest einen schnelleren Weg ihn zu erlösen.“

„Wenn es sein muss, dann werde ich einen Weg wissen und auch gehen!“, kanzelte Sam den Schamanen ab und setzte sich auf seinen Stuhl neben Dean und blickte seinen Bruder schweigend an.

‚Wenn es dich doch erwischen sollte und wir keine Lösung finden, dich zu retten, dann werde ich dich erlösen, bevor du qualvoll sterben musst’, versprach er Dean wortlos.

„Aber du schaffst das! Ich weiß es. Du schaffst alles!“, sagte er laut zu seinem Bruder.

Kein wirklicher Fortschritt

123) Kein wirklicher Fortschritt
 

Ein paar Stunden später war Dean wieder wach.

„Ich hätte gerne einige Erklärungen!“ Deans Tonfall klang keineswegs nach der Bitte, die seine Worte ausdrückten, kaum dass er William in den Raum kommen sah.

Er hatte zuvor schon versucht Sam auszuquetschen, aber der hatte ihm erklärt, dass ihm Dean wichtiger gewesen sei, als Antworten, die William ihm später sowieso noch einmal geben würde.

Der Blonde hatte diese Aussage mit einem eindringlichen „Christo“ quittiert. Dass seinem Bruder Antworten einmal nicht so wichtig erscheinen sollten, war einfach nicht normal.

Der jüngere Winchester hatte nur gelächelt.

„Der Wolf war Amaruq“, stellte der Blonde ruhig fest.

William nickte.

„Warum?“

„Was warum?“

„Warum hat er die Kinder entführt? Warum war er hier? Warum hat er mich nicht getötet?“, kamen die Fragen wie aus der Pistole geschossen.

William nickte erneut und setzte sich auf den Stuhl, den Sam eben geräumt hatte, als er zu Dean auf die Couch gewechselt war.

„Amaruq ist einer unserer Götter. Sie wollen mit Respekt behandelt werden“, begann William.

Dean verdrehte die Augen, sagte aber nichts.

„Es gibt Rituale, mit denen man Götter rufen kann. Man kann ihnen regelrecht befehlen zu erscheinen.

Aber das sollte man sich gut überlegen. Ohne einen wirklich triftigen Grund werden sie sehr

ungehalten sein.

Justin Kokrine ist ein ziemlich pfiffiges Kerlchen, leider, und er hat ein etwas übersteigertes Aufmerksamkeitsbedürfnis.“

„Wie sein Vater!“, knurrte Dean, William nickte und fuhr dann fort: „ Er ist in seiner Klasse der einzige weiße Junge und er fühlte sich nicht genug beachtet. Also hat er überlegt, wie er das ändern könnte.

Am Besten natürlich indem er etwas, das uns oder den Flathead heilig ist, nach seiner Pfeife tanzen lässt. Im Internet ist er auf ein Ritual gestoßen, mit dem man Amaruq angeblich rufen konnte. Er hat es ausprobiert.“

„Und es hat funktioniert!“, stellte Dean ruhig fest und schaute zu Sam.

„Der Junge ist gut“, sagte Sam leise.

„Toll. Er hat sogar schon einen Bewunderer!“

Sam verdrehte die Augen.

„Das Internet hilft nicht nur uns bei unserer Arbeit. Es hilft auch den Idioten, die mit dem Übernatürlichen spielen wollen. Mal abgesehen davon, frage ich mich immer wieder, wie solche Rituale da rein gelangen!“

„Irgendwer hat sie irgendwo gelesen und fand sie so toll, dass er sie da rein gestellt hat. Es stehen so viele solcher angeblichen Rituale drin und die wenigsten funktionieren. Außerdem hätte er dieses Ritual auch in Büchern finden können.“

„Ja! Aber das hätte ihn wesentlich mehr Zeit und Energie gekostet und ich glaube nicht, dass er die aufgebracht hätte!“, gab Dean wütend zurück. „Wir haben auch so genug Arbeit, ohne dass ein rotznäsiger Bengel noch mehr Übernatürliches auf die Erde holt.“

Sam legte seinem Bruder beruhigend die Hand auf den Arm.

Der Blonde schnaufte resigniert. Er schwitze, er wollte hier raus, er war wütend auf den Jungen, der ihnen das alles hier eingebrockt hatte und er war, obwohl er bis vor kurzem noch geschlafen hatte, müde.

„Läuft er noch immer da draußen rum?“, fragte er matt.

„Der Junge war vor vier Tagen bei mir und hat mir erzählt dass er Amaruq gerufen hat, dass er aber nicht wollte, dass jemand verletzt wird. Er wollte ihn einfach nur erscheinen lassen, vielleicht zu ein paar Kunststückchen bringen und dann sollte er wieder verschwinden.“

„Das Erste hat ja funktioniert!“, grummelte der Blonde.

„Justin hat mir erzählt, welches Ritual er benutzt hat und ich konnte es rückgängig machen und damit auch den Bann der Amaruq an diesen Ort fesselte. Das macht die Jäger und unsere Männer zwar nicht wieder lebendig, aber es wird keine weiteren Opfer geben. Der Gott ist besänftigt“, fuhr der Schamane fort, ohne auf den Einwand einzugehen.

„Wenigstens was“, schnaufte Dean.

„Ich glaube dem Jungen ist das alles ziemlich nahe gegangen. Er wollte dich sehen, Dean. Ich denke er wollte sich entschuldigen“, versuchte Sam die Wogen zu glätten.

„Hat er aber nicht!“, maulte der.

„Du hast geschlafen!“ Sam musste schlucken, als die Erinnerungen wieder hochkamen.

Der Junge hatte eine ganze Weile vor Deans Bett gestanden und immer wieder gemurmelt, dass es ihm Leid täte, hatte aber auf keine seiner Fragen geantwortet. Irgendwann war er regelrecht geflüchtet.

Zu diesem Zeitpunkt hätte Sam es ihm gerne gleich getan. Dean lag seit drei Tagen reglos in dem Bett, und was am Anfang noch niedlich ausgesehen hatte, hatte ihm zu diesem Zeitpunkt immer mehr Angst gemacht. Nur das ständige Heben und Senken von Deans Brustkorb hatte überhaupt gezeigt, dass der noch lebte. Nicht einmal hatte sich sein Bruder gedreht, dabei lag der sonst eher selten auf dem Rücken, schon gar nicht für längere Zeit. Keine einzige Regung seines Gesichts hatte angezeigt, ob er vielleicht träumte, oder wie er sich fühlte, ob er Schmerzen hatte. Nichts hatte Sam erkennen können.

Ja, er wäre auch gerne davongelaufen wie der Junge.

„Mir geht’s gut, Sammy!“, sagte Dean leise, der dessen Gefühle nur zu gut in den braunen Augen lesen konnte.

„Wenn du diesen Spruch nicht ständig benutzen würdest, würde ich dir vielleicht sogar glauben“, konterte der Jüngere.

Dean unterdrückte ein Gähnen. Einen weiteren Blick auf Sam werfend schaute er wieder zu William.

„Warum lebe ich noch?“

Der jüngere Winchester zuckte regelrecht zusammen und sah seinen Bruder vorwurfsvoll an.

„DEAN!“

„Der Wolf hat alle seine Opfer getötet. Die Kinder ausgenommen. Ich bin kein Kind mehr. Warum lebe ich noch?“

„Du benimmst dich oft genug wie eins!“, blaffte Sam, dem diese Frage schier die Luft zum Atmen nahm.

„Ich weiß es nicht. Was hast du gemacht, als er kam?“, wollte der Schamane wissen.

„Wir haben versucht ihn auf die Ebene zu locken, um ihn umgehen zu können. Hat nicht funktioniert.“

„Amaruq hat mich vom Schlitten geworfen und wollte mich töten“, fuhr Sam fort. „Du hast dich vor mich gestellt.“

„Ich würde mich immer vor dich stellen, Sam. Es ist mein Job dich zu beschützen.“

„Dean!“

„Daran wird sich nie etwas ändern, Sammy. Ich hab dich damals aus dem Haus getragen. Seitdem passe ich auf dich auf! Und nicht nur weil John es mir befohlen hat. Du bist mein Leben, kleiner Bruder. Ich werde immer auf dich aufpassen. Weil ich es will!“

Traurig schüttelte der Jüngere den Kopf. ‚Wie hatte es Dad geschafft, Dean so zu verbiegen?‘

„Ich kann nur vermuten“, begann William. „Er hat anerkannt, dass du dein Leben für ein anderes geben wolltest. Er wollte dir eine Chance geben?“

Der Winchester schüttelte den Kopf und gähnte wieder. Langsam wollte er sich in die Waagerechte fallen lassen und schlafen.

Sam hatte die Decke ergriffen und wollte seinen Bruder damit einpacken.

„Hier nicht“, hielt William sie auf.

„Was?“, er hatte gehofft, die Sauna, die über ihm schwebte wie ein Damoklesschwert, vergessen zu können. Er hatte sich getäuscht.

„Tut mir leid, aber wir werden damit noch weiter machen. Bis jetzt ist alles sehr gut gelaufen und wir wollen nichts riskieren“, erklärte der Schamane.

Eine Weile schauten sich die Männer schweigend in die Augen, dann nickte der Blonde ergeben und ließ sich von Sam in die Senkrechte ziehen.

Gemeinsam gingen sie zu den Hütten.
 

Im Vorraum der Sauna stand ein großer, mit heißem Wasser gefüllter, Holzzuber. Die aufsteigenden Düfte weckten unschöne Erinnerungen in Dean, und er machte automatisch einen Schritt zurück. Auch Sam schluckte unbehaglich. Sein Blick wanderte zwischen Helaku und Jonah hin und her, die in dem Zuber schon auf sie warteten. Dankbar dafür, dass er seinem Bruder nicht weh tun musste, nickte er ihnen zu und trotzdem schnürte sich ihm die Kehle ab.

Er hatte sich jeden Abend verzogen, weil er nicht sehen konnte wie sehr sie Dean quälten und jetzt?

Er konnte nicht einfach wieder gehen. Das wäre nicht fair seinem Bruder gegenüber. Nicht jetzt, wo Dean wach war.

„Komm schon, raus aus den Klamotten. Je eher hast du es hinter dir“, sagte er leise und begann sich zu entkleiden.

Widerstrebend folgte Dean dem Beispiel seines Bruders. Und kletterte als letzter in den Bottich.

„Dreh dich um“, bat Jonah und griff nach einem Schwamm.

„Muss das sein?“, fragte der Blonde. Das Unbehagen ließ seine Muskeln verkrampfen.

„Ja, muss es. Es sei denn, du willst jämmerlich zu Grunde gehen“, erklärte der Inuit und versuchte seiner Stimme soviel Entschlossenheit mitzugeben, wie er nur konnte. Er wusste, dass es sein musste, aber das machte es ihm auch nicht leichter.

Der Blonde drehte ihnen den Rücken zu und krampfte seine Hände um den Rand des Bottichs. Fest biss er die Zähne zusammen, als der Schwamm über seine empfindliche Haut gerieben wurde. Er versteife sich und zog sich tief in sein Innerstes zurück, in der Hoffnung diese ganze Prozedur soweit wie möglich ausblenden zu können. Trotzdem konnte er nicht verhindern, dass er immer wieder versuchte, den festen Berührungen des Schwammes zu entkommen. Was hatten die nur mit ihm gemacht, dass sich der Schwamm eher wie eine Drahtbürste anfühlte?

Auch Sam fühlte sich unwohl dabei zusehen zu müssen, wie seinem Bruder offensichtlich Schmerzen zu bereitet wurden, doch er wollte sich noch weniger vorwerfen müssen, Deans Leben auf Spiel gesetzt zu haben, also schwieg er betreten und hoffte inständig, dass es bald vorbei wäre.

Nachdem sich auch die anderen gewaschen hatte, drängten sie Dean aus dem Zuber, wickelten ihn in ein großes Handtuch und schoben ihn in die Sauna.
 

„Bitte lass es um“, bat Sam und hielt Deans Hand auf, als der das Handtuch von seinen Schultern schieben wollte.

Fragend schaute der Blonde seinen Bruder an.

„Dean, ich … wir …“ begann er.

„Wie lange?“, wollte der Ältere mit matter Stimme wissen. Er hatte das Gefühl immer weniger Luft zu bekommen.

„Noch zwei Tage“, antwortete Jonah an Sams Stelle.

„Ihr hättet mich schlafen lassen sollen!“ Er zog das Handtuch fester um seine Schulter und drehte den Kopf zur Wand.

„Dean, ich…“ Sam brach seinen Erklärungsversuch ab. Er hatte gesehen, wie Dean resignierte, wie die Spannkraft aus seinem Körper wich. Er würde ihn nicht mehr erreichen. Er atmete tief aus. Jetzt würde er Dean nicht mehr erreichen. Der hatte sich tief in sich zurückgezogen. Das hatte er in der Zeit nach dem Höllenhundangriff bei Bobby perfektioniert. Aber damals hatte er ja wirklich kaum etwas selbst machen konnte. Und jetzt? Jetzt quälten sie ihn hiermit und nahmen ihm vielleicht nicht seine Mobilität. Doch auch die schränkten sie auf die Couch und einen abendlichen Gang zum Foltern ein. Und ein Recht zur Entscheidung hatte Dean auch nicht. Nein, er konnte wieder nichts selbst tun.

Der jüngere Winchester holte tief Luft.

Helaku schaute ihn daraufhin fragen an, doch Sam schüttelte nur den Kopf. Deans Verhalten konnte er keinem erklären und er wollte es auch nicht. Genauso wenig, wie er seine Schuldgefühle seinem Bruder gegenüber erklären konnte. Die würde nur Dean verstehen und der würde sie ihm ausreden.
 

Jonah riss ihn aus seinen trüben Gedanken, indem er ihm andeutete, dass sie für heute genug geschwitzt hatten. Gemeinsam dirigierten sie den Blonden in die Kälte. Schnell rieben sie ihn und sich selbst mit Schnee ab.

Sam hatte gehofft, dass dieser Kälteschock seinen Bruder zurückholen würde, doch wenn der etwas tat, dann wohl richtig. Die grünen Augen blieben leer.

Also blieb ihnen wohl nichts anderes übrig, als ihn anzuziehen und ins Bett zu stecken.

Schnell hatte Dean sich zur Wand gedrehte und war eingeschlafen.
 

Sam schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass sein Bruder morgen wieder ansprechbar war und legte sich dann ebenfalls schlafen.

Schneebälle schlachten

124) Schneebälle schlachten
 

Sein Stoßgebet war erfüllt worden. Wortwörtlich.

Dean reagierte ausschließlich auf Befehle. Er sprach mit niemandem und antwortete auch nicht auf Fragen.

Mit stumpfen Augen starrte er beim Essen vor sich hin und danach schlurfte er zur Couch und verdämmerte so den Tag.

„Was ist mit ihm? Hat er Schmerzen. Haben wir etwas falsch gemacht? Konnten wir ihn doch nicht aus Amaruqs Fängen befreien?“, drängte Yuri zu wissen. Sie verstand nicht, was hier passierte und konnte sich Deans Verhalten einfach nicht erklären.

„Nein“, sagte Sam, „der Einzige, der hier einen Fehler gemacht hat, bin ich. Ich kenne ihn und ich habe zugelassen, dass ihr ihn aufwachen lasst, ohne, dass er wirklich selbst bestimmen darf, was er will und was nicht. Dean ist kein sehr geduldiger Patient und das weiß er auch. So versucht er sich und uns das Leben zu erleichtern. Diese Couchhaft und das abendliche Ritual sind Dinge, gegen die er sich bei vollem Bewusstsein mehr als nur wehren würde. Aber es gibt etwas, das wir trotzdem für ihn tun können.“

„Und das wäre?“

„Gibt es etwas, damit seine Haut nicht mehr so empfindlich ist? Das ewige Scheuern in dem Bottich hat sie doch sehr mitgenommen.“

„Leider nein. Mein Mann hat dir ja erklärt, dass das Gift Amaruqs so aus seinem Körper kommt, wir aber aufpassen müssen, dass er es nicht wieder aufnimmt und wenn wir jetzt seine Haut eincremen würden, würde unweigerlich etwas von dem Gift mit der Salbe in seine Haut gelangen. Es tut mir leid, Sam“,, sagte Yuri.

„Du solltest dich bei ihm entschuldigen!“, entgegnete der Winchester wütend und wandte sich ab.

Lieber blieb er bei seinem stummen Bruder, als das er seine Zeit mit Menschen verbrachte, die sich weigerten zu helfen.

Sam schüttelte über sich selbst den Kopf. Sie halfen und sie wussten mit Sicherheit, was das Beste war, aber trotzdem! Er konnte es einfach nicht mehr mit ansehen, wie Dean litt. Er hatte es in den Tagen als er schlief nicht gekonnt und er konnte es jetzt ebenso wenig.

Hoffentlich war diese Zeit bald vorbei!
 

Und dann endlich kam der ersehnte Morgen.

„Hey, Schlafmütze! Raus aus den Feder!“, weckte er seinen Bruder ziemlich unsanft.

Dean knurrte nur unwirsch.

„Los raus. Es ist vorbei und das müssen wir feiern!“

Das einzige Wort, das bis zu Deans noch schlafendem Gehirn durchkam war „vorbei“.

„Was ist vorbei?“, fragte er verschlafen.

„Dein Arrest! Die abendliche Sauna. Das Bad davor!“

„Vorbei?“, wollte der Blonde mit leuchtenden Augen wissen.

„Ja, vorbei!“, bestätigte der Jüngere noch einmal.

Dean strahlte und sprang regelrecht aus dem Bett.

„Diese Hütte will ich nie wieder von innen sehen! Nie wieder!“, erklärte er kategorisch und machte sich auf den Weg zu den Mackays.

Dean genoss die ausgiebige Dusche, ließ sich dann von Sam helfen, die Salbe, die Yuri ihm für seine gerötete Haut in die Hand gedrückt hatte auf seinem Körper zu verteilen und zog sich dann gut gelaunt seine eigene Kleidung an.

Gemütlich saßen sie dann zu Viert am Frühstückstisch und ließen sich die Pfannkuchen schmecken.

Die Mackays blickten immer wieder verwundert zu dem älteren Bruder, der zwar noch immer nicht der Mann war, der Sam hier an ihrem ersten Tag zur Tür herein geschleppt hatte, aber auch nicht mehr dieses zombiehafte Wesen der letzten zwei Tage.

„Was wollt ihr heute machen?“, wollte William wissen.

„Was darf ich denn?“, fragte der Blonde skeptisch. In seinen Augen glomm verhaltene Hoffnung.

„Was du dir zutraust.“

Die Mackays wurden Zeuge einer Wandlung, die Sam schon kannte, die ihn aber immer wieder verblüffte. Aus dem noch ruhig sitzenden, leicht lethargischen Winchester wurde ein Lebensfreude versprühendes, hibbeliges Wesen.

„Sammy, ich darf raus!“, platzte er hervor und knuffte seinem Bruder in den Oberarm.

„Ich wusste es!“, stöhnte der und verdrehte die Augen. So ganz konnte er aber seine Freude über Deans so offensichtlich wiedergefundene gute Laune nicht aus seinen Zügen verbannen.

„Los beeil dich. Ich will meine versprochene Tour über den See!“, sprudelte der Blonde hervor und stopfte sich den letzten Bissen in den Mund, den er mit dem Rest Kaffee aus seiner Tasse hinunter spülte.

„Nein!“, bremste Sam ihn aus, „nicht heute!“

Dean funkelte seinen Bruder wütend an.

„Du warst vor zwei Stunden noch nicht mal ansprechbar“, versuchte Sam seine Ablehnung zu erklären.

Dean schaute demonstrativ auf seine Uhr: „Da hab ich geschlafen! Genau wie du!“

„Du weißt ganz genau, was ich damit sagen will! Hör auf dich dümmer zu stellen, als du bist! Ich will einfach nicht, dass du gleich wieder auf der Nase liegst. Wir werden heute eine kleine Runde drehen und morgen, wenn du dich gut fühlst, können wir deine Tour über den See machen.“

„Okay“, antwortete Dean, noch immer leicht schmollend. „Aber dann will ich jetzt sofort los!“

„Von mir aus.“ Sam hatte schon geahnt, dass es für seinen Bruder kein Halten mehr geben würde. Er hatte viel zu lange ruhig bleiben müssen.
 

Schnell hatten sie sich angezogen, die Schlitten fahrbereit gemacht und waren zu ihrer Tour aufgebrochen.

Nach einer Runde ums Dorf führte sie ihr Weg auch zur Rangerstation geführt.

„Schön dich wieder auf den Beinen zu sehen“, wurde Dean von Graham begrüßt, kaum dass er die Tür wieder hinter sich geschlossen und seine Jacke geöffnet hatte.

„Ja, danke.“

„Du hast uns einen mächtigen Schrecken eingejagt, als du da von der Wand gekippt bist“, sagte Jonah.

„Ich …“, begann Dean unsicher.

„Wir wollten uns bedanken, dass du unsere Kinder gefunden hast und damit auch den Weg Amaruq wieder zu beruhigen. Wer weiß, wie viele er sonst noch getötet hätte. Und wir alle sind mehr als nur froh, dass du wieder auf den Beinen bist“, wehrte Helaku ab.

„Ja, danke Mann. Wir stehen lebenslang in deiner Schuld. Wann immer du Hilfe brauchen solltest und wir helfen können, sag es und wir werden kommen. Egal wohin und egal was es ist“, erklärte Graham.

Dean nickte verwirrt. Ein einfaches ‚Danke’ hätte ihm vollkommen genügt. Denn selbst das bekamen sie selten zu hören. Und außerdem hatten sie doch nur ihren Job gemacht!

Sam lächelte warm. Er sah wie unwohl sich sein Bruder bei soviel Dank und Lob fühlte. Aber er würde den Teufel tun und etwas sagen. Das war Balsam für Deans Seele, auch wenn es ihm unangenehm sein sollte. Dieser Dank würde Deans Minderwertigkeitskomplexe nicht beseitigen, aber vielleicht bekam er jetzt ja einen Spruch weniger in dieser Richtung von seinem großen Bruder zu hören. Dann hätte es sich schon gelohnt. Außerdem war es niedlich zu sehen, wie sich der, in dieser Beziehung, große, unnahbare Dean Winchester innerlich wand.
 

Schnell nuschelte der Blonde ein weiteres „Danke“ und flüchtete regelrecht aus dem Raum, bevor noch einer auf die Idee kam, ihm danken zu wollen.

Graham schaute verwundert zu Sam.

„Wir bekommen statt eines Dankes eher die Polizei auf den Hals gehetzt, und Dean sieht es als seinen Job an. Dafür muss man sich nicht extra bedanken. Es ist ihm schon Freude genug, wenn er dem einen oder anderen Menschen das Leben gerettet hat und ein übernatürlicher Mistkerl weniger auf der Erde ist“, erklärte Sam und beeilte sich seinem Bruder zu folgen.

Die Männer in der Ranger-Station schauten sich staunend an. So etwas gab es selbst bei ihren Völkern nur noch selten.

William hatte Recht gehabt. Die Brüder waren etwas Besonderes!
 

Die hatten sich wieder auf ihre Motorschlitten geschwungen und fuhren in gemächlichem Tempo zurück zu ihrem Zimmer. Sie stellten ihre Fahrzeuge ab und gingen zum Haus.
 

Die Sonne brach durch die Wolken.

Dean blieb stehen und drehte sein Gesicht in die kaum wärmenden Strahlen.

„Erst Engel, dann Wolfsgott. In welchen himmlischen Sphären schwebst du denn jetzt?“, stichelte Sam. Doch sein Bruder reagiert nicht und so ging er schulterzuckend weiter. Dean war wohl doch noch nicht wieder der Alte. Er sollte es besser wissen.

Der Jüngere hatte noch keine drei Schritte gemacht, als ihn etwas mit einem dumpfen Knall am Hinterkopf traf. Kalte, nasse Teile dieses Geschosses rutschten in seinen Nacken.

„Iiihhh!“, quietschte er und drehte sich um.

Den nächsten Schneeball sah er jetzt zwar kommen, war aber nicht schnell genug, um ihm ausweichen zu können, und das weiche Geschoss erwischte ihn zwischen Hals und Schulter, und wieder rutschten Schneebrocken in seine Kleidung, diesmal allerdings vorn.

Dean stand breit grinsend ein paar Meter von ihm entfernt und formte schon den nächsten Schneeball.

Schnell bückte sich der Jüngere um seinerseits ein Geschoss zu machen.

Sein Bruder war schneller. Als er gerade ausholte, traf ihn der dritte Schneeball.

„Was ist los Sammy? Eingerostet?“

Sam knurrte frustriert, bückte sich und schaufelte eine handvoll Schnee und rannte auf seinen Bruder zu. Noch im Laufen traf ihn ein weiterer Schneeball.

Lachend und prustend stürzte sich Sam auf Dean und versuchte ihm den Schnee ins Gesicht zu reiben und in den Halsausschnitt seiner Jacke zu stopfen.

Schon bald wälzten sich die beiden wie junge Hunde im Schnee. Lachend und japsend versuchte jeder dem Anderen soviel von dem kalten, weißen Zeug in den Kragen zu stopfen, wie er nur konnte.

Vergessen war die Angst vor einem Kältetod Deans. Jetzt zählte nur die Freude am Leben.
 

Yuri hatte die Brüder vom Küchenfenster aus beobachtet und ihren Mann gerufen. Jetzt standen die beiden Alten nebeneinander am Fenster und betrachteten lächelnd dieses Bild der Lebensfreude.

„Scheint ja alles noch mal gut gegangen zu sein“, sagte der Schamane leise.

Seine Frau nickte und schaute wieder zu ihrem Herd.

„So langsam sollten sie reinkommen, sonst brennt mir der Hackbraten noch an.“
 

Jonah, seine Frau Alice, Peter Jones, Helaku und Graham Greene hatten sich in der Ranger-Station getroffen und waren dann gemeinsam zum Haus der Mackays aufgebrochen.

Sie rätselten noch über den Grund der Einladung. Yuri hatte nur gesagt, dass es etwas zu feiern gäbe.

Wahrscheinlich dann wohl Deans Genesung.

Jetzt standen sie vor der Haustür und wollten gerade klingeln, als sie der gedämpfte Kampflärm um die Ecke lockte.
 

Dean stand, leicht nach vorn gebeugt, da und holte keuchend Luft. Sam hatte sich eben aufgerappelt und startete einen Angriff. Blitzschnell hatte er die zwei Schritte zu seinem Bruder überwunden, rammte ihm seine Schulter in den Bauch und brachte ihn zu Fall. Sofort lag er auf ihm.

„Gibst du auf?“, wollte er japsend wissen.

„Vergiss es, kleiner Bruder!“

„Du hast mich früher öfter gewinnen lassen.“

„Aus dem Alter bist du raus!“

„Dann macht dich auf eine echte Niederlage gefasst!“

Dean grinste seinen kleinen Bruder kurz an, dann wurde seine Miene undurchsichtig.

Und noch ehe Sam sich versah, schnellte Deans rechter Arm vor und presste sich gegen seinen Brustkorb.

In einer fließenden Bewegung wand sich der Blonde leicht zur Seite. Sein Bein legte sich um Sams Hals und drehte ihn von sich. Den Schwung seiner Bewegungen ausnutzend schaffte es Dean ihre Positionen zu tauschen.

Hart wurde der Jüngere in den Schnee gepresst.

„Dachtest du!“

Sam versuchte seine Möglichkeiten zu überdenken. Doch als der Blonde auch noch begann, ihm in aller Seelenruhe Schnee ins Gesicht zu schaufeln, gab er sich geschlagen.

Dean half ihm auf.

„Das war unfair!“, schnaubte der Jüngere und versuchte das kalte Zeug von sich zu schütteln.

„Unsere Gegner kämpfen nie fair!“

„Was wollt ihr denn hier?“, fragte Sam die Gruppe, die noch immer an der Hausecke stand uns sie beobachtete.

„Yuri hat uns eingeladen.“

Die Brüder tauschten einen fragenden Blick und verschwanden im Haus. Sie mussten unbedingt duschen.

„Beeilt ihr euch und kommt dann bitte zum Essen runter“, bat Yuri sie mit ziemlich energischem Unterton in der Stimme, als sie an ihr vorbei gingen. Wieder tauschen die Brüder einen Blick, einen verwunderten diese Mal.

Ein Geburtstagsgeschenk

125) Ein Geburtstagsgechenk
 

Eine halbe Stunde später kamen sie nach unten. Es roch wundervoll nach Essen und William winkte sie mit einer Handbewegung ins Wohnzimmer weiter, als sie in die Küche kommen wollten um zu fragen, ob sie noch helfen konnten.Schulterzuckend ging Dean weiter.

Sam prallte gegen seinen Bruder, der in der Tür stehen geblieben war und irritiert auf den festlich gedeckten Tisch starrte.

„Hör auf hier die Tür zu verstopfen, Alter. Ich hab Hunger!“, maulte der Jüngere in Deans Rücken und schob seinen Bruder weiter in den Raum. Dann blieb auch er stehen.

Die Gäste saßen schon am Tisch und darauf stand ganz in der Mitte, umrahmt vom restlichen Essen,ein Kuchen mit Kerzen.

Deans Geburtstag!

Ein Lächeln schlich sich auf Sams Gesicht. Er klopfte seinem Bruder auf die Schulter.

„Du darfst heute vorbeten!“, sagte der Jüngere und schob den Blonden zum Stuhl am Kopfende der Tafel.

Böse funkelte Dean seinen Bruder an und machte die letzten Schritte zum Tisch. Er zog den Stuhl heraus und wollte sich setzen. Alle Anwesenden am Tisch erhoben sich.

„Wenn jetzt einer anfängt zu singen bin ich weg!“, knurrte er und ließ sich auf den Stuhl fallen. Die Anderen setzten sich wieder und grinsten sich an.

Yuri kam als Letzte in den Raum und brauchte zwei Platten von ihrem leckeren Hackbraten mit. Eine Platte stellte sie direkt neben den Blonden.

„Der ist nur für dich“, sagte sie und erntete ein Lächeln.

„Dann greift ordentlich zu“, sagte sie und setzte sich neben ihren Mann.

Schnell wurden die Schüsseln herumgereicht.
 

Weil er einfach zu erreichen war, angelte Sam nach dem Teller Hackbraten neben Dean.

„Pfoten weg! Meiner!“, grummelte der Blonde und schlug seinem Bruder auf die Finger.

„Hab dich nicht so. Früher hast du mir auch immer von deinem Teller abgegeben!“

„Damals warst du auch noch klein und niedlich!“

Sam schmollte und Dean musste sich ein Lachen verbeißen, was ihm nicht so ganz gelang. Seine Mundwinkel zuckten verdächtig nach oben.

„Ich glaube, den Bonus hast du eindeutig verspielt“, stichelte Jonah.

„Das „Klein“ ist auf jeden Fall dahin“, prustete jetzt auch Peter Jones, der Sam an Größe ebenbürtig war.

„Bist eben doch Bigfoot!“, konnte sich jetzt auch Dean nicht mehr bremsen.

Der jüngere Winchester verzog das Gesicht und nahm sich vor, sich an Dean zu rächen, sobald er eine Gelegenheit bekommen würde. Obwohl? Seinen Bruder wieder so ausgelassen zu sehen bescherte ihm ein warmes Gefühl im Bauch und wenn er an die letzten Tage dachte? Nein, dann eben ein paar Scherze auf seine Kosten. Es war ja nicht das erste Mal und außerdem Deans Art ihm zu zeigen, wie sehr er ihn liebte. Mit anderen trieb er nie solche Späße, außer vielleicht mit Bobby.

Dann nahm er dankbar den Teller Hackbraten an, den Yuri ihm hinhielt.
 

Beim Essen unterhielten sie sich über Alltägliches und erst als der Kuchen auf den Tellern verteilt und heißer Punsch ausgeschenkt worden war, erhob sich Graham.

„Dean, egal wie oft wir uns schon bei dir bedankt haben, oder wie oft wir es noch tun werden, es wird immer einmal zu wenig sein, denn du hast unsere Kinder gerettet und uns damit unser Leben zurückgegeben.“

„Ich hab nur meinen Job gemacht!“, platzte Dean unwirsch dazwischen. Soviel Dank machte ihn verlegen und wenn er verlegen war, wurde er unsicher, was ihn wiederum angreifbar machte.

Außerdem war ein Dean Winchester weder unsicher noch verlegen und schon gar nicht emotional angreifbar!

„Dean! Ihr habt mehr getan als nur euren Job!“, sagte William eindringlich. „Keiner von uns hätte es geschafft unsere Kinder rechtzeitig zu finden, und uns wird nachgesagt, dass wir noch mit der Natur verbunden sind. Du bist, entschuldige, „nur“ ein Weißer, aber deine Instinkte sich um so vieles stärker ausgeprägt als unsere. Du, ihr beide seid etwas ganz Besonderes!“

Den älteren Winchester zierte ein rosa Schimmer um die Nase und Sam war versucht, diese Szene im Bild festzuhalten. Dean wurde rot! Das war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit!

„Und deshalb haben wir ein Geschenk für dich. Nimm es als Zeichen unserer Wertschätzung auch wenn es nicht annähernd soviel wert ist, wie du uns gegeben hast“, sagte Graham. Er nahm etwas von der kleinen Couch, die hinter ihm stand, auf seine Hände und trug es zu Dean.

„Es ist ein Amulett.“

Dean betrachtete den mit Perlen bestickten, kleinen Lederbeutel, der an einem mit Wolfszähnen und Adlerfedern verzierten Band hing.

Verlegen schaute er auf seine Brust, wo der Anhänger hing, den Sam ihm vor so vielen Jahren geschenkt hatte.

„Du musst es nicht ständig tragen. Hänge es irgendwo auf und erinnere dich hin und wieder an uns.“

„Das werde ich bestimmt“, antwortete der Winchester gerührt und schluckte.

Tief holte er Luft und tauschte einen Blick mit Sam, dann begann er zu sprechen:

„Auch wenn ihr es nicht glauben könnt: Es ist unser Job.“ Sein Blick suchte wieder Sams und hielt ihn fest. „Es ist unser Leben. Wir haben es uns so ausgesucht. Und wenn ihr mir dankt, dann müsst ihr auch Sam danken, denn ohne ihn wäre ich nicht hier!“

Auf Sams Gesicht breitete sich ein Lächeln aus und er schalt sich in Gedanken einen Idioten. Er musste zugeben, dass er neidisch gewesen war, als Dean das Amulett bekommen hatte. Aber er musste auch zugeben, dass er ohne Dean nicht mehr leben würde.

Sein Bruder hatte ihm so oft das Leben gerettet, dass er es kaum zählen konnte, und er hatte die irrsinnige Hoffnung gehegt, diese Bilanz in Naples ein wenig zu seinen Gunsten verschoben zu haben.

Aber das würde er wohl nie schaffen.

„Genug der Gefühlsduselei. Der Punsch wird kalt!“, versuchte Yuri das Schweigen zu brechen.

Dean lächelte sie dankbar an.
 

Müde saß der Blonde nachdem der Abend endlich ausgeklungen war auf der Kante seines Bettes und starrte vor sich hin.

War er wirklich so anders, seit der Höllenhund ihn zwischen seinen Zähnen gehabt hatte? Fiel es ihm jetzt leichter Menschen zu orten? Hatte er mehr behalten als das bloße Erkennen von Dämonen?

Damals nach Flagstaff hatte er mit Argusaugen über Sam gewacht. Nie wieder wollte er so einen Anschiss von John kassieren wie damals. Aber er hatte sich eigentlich nie wirklich anstrengen müssen um zu wissen, wo Sam war. Zumindest im Haus hatte ihn seine Instinkte nie im Stich gelassen, auch wenn sein kleiner Bruder sich irgendwo in eine Ecke verkrochen hatte und las und jetzt? In Tucson hatten seine Instinkte ihn daran gehindert, dass er sich auf die Suche nach einem Weg zurück machte, weil Sam plötzlich auch da war. Wieso? Und hier? Hier war es wohl eine Kombination aus Logik und Wissen und natürlich seinen Instinkten, als er nah genug an Sam dran war. Aber warum hatte er ihn dann am Abend zuvor nicht gefunden? Hatte es etwas mit Amaruq zu tun? Oder war er doch dämonischer als er ahnte?

„Dean! Wenn du morgen über den See willst, dann solltest du jetzt schlafen!“, sagte Sam als er aus dem Bad kam. Der Blonde reagierte nicht.

Sofort schlich sich ein besorgter Ausdruck auf Sams Gesicht und er trat näher an seinen Bruder heran.

„Dean?“, fragte er und legte ihm die Hand auf die Schulter.

Der zuckte zusammen und schaute zu Sam. Er sah die Besorgnis und lächelte.

„Ich bin … Ich musste nur an was denken. Mir geht’s gut, Sammy!“, sagte er und erhob sich, um jetzt seinerseits im Bad zu verschwinden.

Der Jüngere schüttelte den Kopf und setzte sich auf sein Bett. Er wollte sich seinen Bruder noch einmal genau ansehen, nicht dass der doch was ausbrütete, oder langsam einfror.

Bei dem Gedanken rann ihm ein eisiger Schauer den Rücken hinunter. Um nichts in der Welt wollte er seinem Bruder so ein Ende beschert wissen.

Und dann wanderten seine Gedanken zurück zu Grahams und Williams kleiner Rede und er sah Dean vor sich, wie der sich innerlich gewunden hatte. Was hatte Dad mit Dean gemacht, dass der sein Leben so wenig wertschätzte? Was musste man einem Menschen antun, damit der sich nur über seine Taten identifizierte? Wieso war Dean so anders als er? Sie waren doch beide mit John Winchester aufgewachsen.

Doch während er nur einen Dad kannte, der eher ein Drillsergant war, hatte Dean wohl noch einen richtigen Dad erlebt und er hatte Mom gehabt.

Dean hatte mit so viel Liebe von ihr gesprochen, als er ihm in Bangor etwas aus ihrem Leben erzählt hatte. Er hatte nicht direkt von Liebe gesprochen, aber in seinen Augen lag dafür um so mehr davon.

Irgendwie hatte sein Bruder durch das Feuer beide Eltern verloren. Ob er je...

Sam kam nicht dazu, den Gedanken zu Ende zu führen.

Der Blonde kehrte ins Zimmer zurück und sah sich ihn intensiv musternden braunen Augen gegenüber als zu seinem Bett schlurfte.

Fragend blickte er zurück.

„Dir ist nicht kalt?“

„Wenn ich hier noch lange stehe werde ich früher oder später frieren.“

„Intelligenzbolzen! Du weißt genau was ich meine!“

„Nein, Sam, die eisigen Spinnenfinger sind verschwunden“, antwortete er ernst.

„Du sagst mir aber Bescheid, wenn du irgendwelche Veränderungen fühlst?!?“, drängte Sam.

`Das werde ich bestimmt nicht. Nicht sofort jedenfalls. Nicht über dieses Dämonenzeug, nicht, bevor ich nichts genaueres weiß! Und auch über die Kälte werde ich dir erst etwas sagen, wenn ich keinen Weg mehr finden kann`, protestierte Dean in Gedanken. Laut antwortete er: „Ich sag dir Bescheid, wenn ich sie wieder fühlen sollte.“

Das war die Antwort die Sam wollte. Er nickte und verkroch sich unter seinen Decken.

Auch Dean legte sich ins Bett und drehte Sam den Rücken zu. Er hatte seinen kleinen Bruder angelogen und es hatte sich ganz und gar falsch angefühlt. Aber was hätte er denn sagen sollen? Ich erschieße mich, bevor ich wieder in so eine Starre falle? Denn genau das war es, was er tun würde, wenn er nicht vorher einen Gegner fand, der ihn töten würde. Er wollte Sam diese Bürde nicht aufladen. Es war schon für ihn unmenschlich gewesen, als John von ihm verlangt hatte, Sam zu töten, wenn er ihn nicht schützen konnte. Sam war so viel emotionaler als er und er würde seinem Bruder so was bestimmt nicht aufladen. Er war nicht John! Niemand sollte jemanden töten müssen, den er liebte, der seine Familie war!

Und was seinen dämonischen Teil anbelangte? Er würde mit Ruby reden müssen. Vielleicht lief die Dämonin ihnen ja mal wieder über den Weg. Danach konnte er sich weitere Gedanken machen.

Zufrieden mit der momentanen Lösung schlief er ein.
 

Die Unruhe, die Sam wohl absichtlich verbreitete, weckte ihn. Verschlafen blinzelte er in das Licht der Nachttischleuchte.

„Wenn du deinen Ausflug nicht verpassen willst, solltest du aufstehen!“, erklärte der Jüngere viel zu munter.

Dean grummelte und ließ seinen Kopf wieder ins Kissen fallen. Doch da sein Bruder mit Schubladen und Schranktüren knallte und da er sich auch viel zu sehr auf diesen Tag gefreut hatte, um ihn verschlafen zu wollen, stemmte er sich in die Höhe und tapste ins Bad.
 

Nach einem mehr oder weniger reichhaltigen Frühstück schossen die Brüder auf ihren Motorschlitten auf den See hinaus.

Die Sonne blinzelte gerade über die Berge und es versprach ein wunderschöner Wintertag zu werden.

Yuri hatte ihnen einen Rucksack voll mit Sandwiches und Thermoskannen mit Kaffee mitgegeben und sie gebeten vorsichtig zu sein.

Beide hatten sie genickt und beide wussten, dass sich mindestens einer von ihnen nicht unbedingt daran halten würde.
 

Immer weiter fuhren sie Richtung Norden.

Sam hielt sich hinter seinem Bruder, der gerade die schönen Seiten des Winters zu entdecken schien. Kreuz und quer jagte Dean seinen Schlitten über den See und hin und wieder umkreiste der Blonde auch ihn. Die Augen des Älteren funkelten regelrecht vor Freude und Sam ließ ihn sich nur zu gerne austoben, hatte er doch viel zu lange stillhalten müssen. Und er fragte sich, wann sein Bruder das letzte Mal so ausgelassen gewesen war.

‚Damals, vor einem halben Jahr, als sie in Portland ermittelt hatten. Danach hatte sie ihr Alltag mit all seinen Kreaturen wieder eingeholt. In El Paso hätte Dean bestimmt auch Spaß gehabt, aber den hatte er seinem Bruder genommen und über Naples wollte er jetzt nicht nachdenken.

Zu Hause

126) Zu Hause
 

Die Sonne hatte ihren Zenit schon überschritten. Sam hielt sein Fahrzeug am Ufer des Sees, zumindest glaubte er, dass er am Ufer parkte, an und machte sich an einer Kaffeekanne zu schaffen.

Kurz schaute er zu seinem Bruder, der schon wieder einen Taleinschnitt erkundete.

Sein Telefon klingelte. Umständlich fummelte er es aus seiner Tasche. Gerade als er den Anruf entgegennehmen wollte, hörte es auf zu klingeln. Er grinste und rief zurück.

„Hallo Bobby!“, grüßte er, kaum dass sich der Jäger gemeldet hatte.

„Was ist mit Dean?“, wollte der besorgt wissen.

„Er tobt sich gerade mit ´nem Schneemobil aus.“

„Er macht was?“

„Er jagt mit einem Motorschlitten kreuz und quer über den Lake McDonald und durch dessen angrenzende Täler.“

„Ihm geht’s also wieder gut.“

„Ja, wenn er mich und alle anderen hier nicht belügt, dann geht es ihm gut.“

„Habt ihr schon einen neuen Fall?“

„Nein, ich hab noch nicht weiter gesucht. Ich wollte erst sicher sein, dass Dean wieder okay ist. Dann werd ich nach einem neuen Job suchen.“

„Wie lange wollt ihr noch bleiben?“

„Ich denke, dass wir bald fahren werden. Viel ist hier wirklich nicht los und wenn die Leute Dean nochmal für die Rettung ihrer Kinder danken, rennt er schreiend davon.“

„So was müsste er viel öfter zu hören bekommen, damit er endlich mal einsieht, was er wirklich leistet!“

„Dein Wort in Gottes Ohr“, seufzte der Jüngere, „aber daran werden wir wohl noch in hundert Jahren arbeiten.“

„Dann wünsche ich euch noch viel Spaß und grüße Dean!“

„Mach ich, bis bald.“

Es dauerte nicht lange, bis der Blonde sein Gefährt neben das seines Bruders stellte. Auch für Kaffee schien er ein Näschen zu haben.

„Ich soll dich von Bobby grüßen, er hat versucht dich zu erreichen“, sagte Sam und reichte ihm einen dampfenden Becher, den der dankbar nickend entgegen nahm. Versonnen pustete er in das schwarze Gebäu.

„Soll ich ihn anrufen?“, wollte er wissen.

„Nein. Ich hab ihm gesagt, dass du grade nicht rangehen konntest.“

Der Blonde nickte und ließ seinen Blick über das glitzernde Weiß des Sees schweifen.
 

Auf dem Weg zurück veranstalteten die Brüder ein Schneemobilrennen, welches Dean ganz klar gewann. Der Jüngere war dann doch nicht so der rücksichtslose Draufgänger.
 

„Wie geht’s jetzt weiter?“, wollte der Dean am Abend wissen, als sie in ihren Betten lagen.

„Keine Ahnung, ich hab noch nicht nach einem neuen Fall gesucht.“

„Wir könnten wieder zu Bobby fahren. Da sind wir ziemlich zentral, oder willst du noch ein paar Tage bleiben und hier suchen?“

„Nein, ich würde lieber fahren. So langsam geht mir dieses ewige Weiß auch auf die Nerven“, antwortete Sam leise.

„Wer wollte denn hierher?“

„Außer dass wir beide fast gestorben wären, war es schon richtig diesen Fall zu übernehmen.“

„Ja, die Kinder sind wieder sicher und der Wolf in seiner Höhle!“

„Dann lass uns morgen hier verschwinden.“

„Okay“, gähnte Sam und löschte das Licht auf seinem kleinen Nachttisch.

„Nacht, Sammy!“
 

Am nächsten Tag fuhren sie nach dem Mittagessen, und nachdem sie unzählige Hände geschüttelt und sie noch einmal etliche Danksagungen angehört hatten, los und trudelten zwei Tage später auf Bobbys Schrottplatz ein.

Kaum hatte er den Impala gehört, war der alte Jäger auch schon an der Tür. Er zwang sich noch zweimal ruhig durchzuatmen bevor er sie öffnete.

Sam war mit seinen langen Beinen wie üblich als erster an der Tür.

„Hallo Jungs. Wie geht’s euch? Schön euch zu sehen!“, begrüßte sie der Hausherr und schüttelte ihm die Hand. Um nichts in der Welt würde er verraten, dass er schon seit einer Stunde zwischen Küche und Tür hin und her gependelt war um seine Jungs nicht zu verpassen.

„Hallo Bobby“, antworteten beide unisono und Dean ließ sich in eine feste Umarmung ziehen.

„Für die nächsten Jahre muss ich keinen Schnee mehr haben“, grummelte der Blonde und löste sich von dem Mann, in dem er inzwischen soviel mehr sah, als nur einen Freund.

„Dann kommt rein. Wollt ihr ein Bier? Habt ihr Hunger?“

„Also ich hätte lieber einen Kaffee“, sagte Sam, „und Essen? Der Vielfraß hat bestimmt Hunger.“

Wie zur Bestätigung knurrte Deans Magen. Seine Schmollschnute verpuffte im Lachen der Männer.

„Macht es euch gemütlich oder packt aus. Wie lange wollt ihr bleiben?“

„Wir dachten, wir könnten dir ein paar Tage auf die Nerven fallen. Dann kann sich Dean noch erholen und ich nach einem neuen Fall suchen. Es sei denn, du willst weiter renovieren“, antwortete Sam.

„Gott bewahre. Für die nächste Zeit hab ich genug davon. Auch wenn es mich schon reizt weiter zu machen. Im Gegensatz zu oben sieht es jetzt hier unten richtig schäbig aus. So, genug gejammert.

Ruht euch aus. Spätestens in einer Stunde gibt es Essen.“

Die Brüder nickten und stapften die Treppe hinauf.

Dean ließ sich auf die Couch in seinem Zimmer fallen. Tief atmete er den Geruch nach Tapetenleim und frischer Farbe ein, der noch immer in der Luft hing. Langsam wanderten seine Augen durch den Raum.

Der Schreibtisch war leer, genauso wie das kleine Regal an der Wand darüber.

Die hellen Möbel passten eigentlich gar nicht zu ihm, fand er, aber hier drin sahen sie gut aus.

Außerdem hätten dunkle Möbel das Zimmer erdrückt.
 

Auf seinem Bett lag der Quilt und an der Wand neben der Tür hingen sein Hut, die Chaps und der Staubmantel.

Am liebsten würde er sich jetzt ins Bett fallen lassen. Aber sein Magen grummelte noch immer und Bobby stand in der Küche.

Langsam erhob er sich und begann seine Tasche auszuräumen. Das meiste musste eh gewaschen werden.

Aus der Mitte seiner Kleidung holte er den Traumfänger, den Yuri ihm in die Hand gedrückt hatte. Das Teil hatte sie über seinem Bett in der Hütte aufgehangen gehabt, um ihn vor bösen Träumen zu bewahren, wie sie sagte.

Er konnte sich nicht daran erinnern, was oder ob er da überhaupt geträumt hatte, also hatte der Traumfänger ja vielleicht geholfen. Er befestigte ihn vor dem Fenster und hängte das Amulett über seinem Bett an die Wand.

Wieder schaute er sich um. Noch ein paar Auto- und Waffenzeitschriften und es wäre wirklich sein Zimmer.

Amüsiert schüttelte er den Kopf. So langsam wurde er wohl doch sentimental.
 

„Hast du einen Wagen für mich?“, wollte Sam am nächsten Morgen von Bobby wissen.

„Warum nimmst du nicht den Impala?“

„Dean schläft noch“, antwortete er und lächelte, als er das Bild seines, tief in den Decken vergrabenen, Bruders wieder vor Augen hatte. An sich war das ja nichts neues, schließlich wühlte sich Dean öfter mal so tief ein, dass er kaum noch zu sehen war, aber dass er dabei den Quilt regelrecht in den Armen hielt, war neu.

Sein Bruder fühlte sich hier wirklich sicher.

Er hatte, als ihm das bewusst geworden war, noch einmal zurück gehen und sich das Bild tief einprägen müssen. Am liebsten hätte er ein Foto gemacht, aber sein Handy steckte in seiner Jacke und er wollte nicht erst nach unten gehen und es holen.

Komisch, sonst hatte er das Teil immer in seiner Hosentasche, aber hier? Hier war alles anders.

„Ich will ihn nicht wecken.“

Bobby nickte nur und musterte Sam. „Warum bist du eigentlich schon wach?“

„Ich will nach Sioux Falls fahren. Hab da so eine Idee, was ich Dean zum Geburtstag schenken kann.“

„Dann nimm meinen Wagen. Ich brauche ihn heute nicht.“
 

Gegen Mittag kam Dean gähnend in die Küche getappt.

„Morgen Sonnenschein“, wurde er von einem grinsenden Bobby empfangen.

„Morgen“, nuschelte er und tappte mit fast geschlossenen Augen Richtung Kaffeemaschine.

Seine Hand griff nach der Kanne und prallte mit den Knöcheln unsanft gegen ein eckiges Gehäuse.

Erschrocken riss er die Augen auf und musterte das klobige Teil, das jetzt auf dem Platz der alten Kaffeemaschine stand.

„Sag mal, bist du auch endlich im 20. Jahrhundert angekommen?“, wollte er dann wissen und holte sich eine Tasse aus dem Schrank.

„Das fragt der Mann, der noch immer Kassetten in seinem Wagen abspielt.“

„Touché“, brummelte der Winchester. Er musterte die Maschine ausgiebig, drückte dann ein paar Knöpfe und beobachtete skeptisch, was da in seine Tasse lief.

Vorsichtig nahm er einen kleinen Schluck und seine Mine erhellte sich. Das Gebräu war nach seinem Geschmack.

„Wie kommts?“, wollte er mit einem Blick auf die neue Maschine wissen.

„Die alte war kaputt.“

„Eine normale hätte es doch auch getan.“

„Klar, aber wir haben immer nur mit altem zu tun.“

Dean nickte und machte sich noch einen Kaffee.

„Wo ist Sam?“

„Er wollte was besorgen.“

„Der Impala ist hier.“

„Er wollte dich schlafen lassen und du scheinst noch immer nicht ausgeschlafen zu sein!“, quittierte er Deans erneutes Gähnen.

„Dabei hab ich über ´ne Woche durchgeschlafen.“

„Wie geht’s dir?“

„Hab Hunger.“

„Das dachte ich mir. Sandwiches sind im Kühlschrank. Aber das meinte ich nicht.“

„Ich fühl mich irgendwie zerschlagen.“

„Keine Kälte?“

„Keine Kälte.“

Bobby nickte. Er wusste, dass Dean es weder ihm noch Sam sagen würde, bevor es nicht zu spät wäre, aber er würde genauso reagieren, also konnte er ihm keinen Vorwurf machen.

„Du könntest mir bei einem Wagen helfen. Ich wollte in der Richtung wieder etwas mehr machen. Immer nur Monster, da muss ich ja trübsinnig werden.“

„Brauchst du Geld, ich meine wir…“

„Nein, Dean. Ich brauche kein Geld. Aber das heißt nicht, dass ich nicht trotzdem etwas verdienen will. Außerdem ist es schön hin und wieder ein Auto ganz vom Hof fahren zu sehen.“

Der Blonde nickte.
 

Am nächsten Morgen saßen Sam und Bobby wieder allein am Frühstückstisch und der Winchester berichtete, dass er alles hatte erledigen können.

„Kriegen wir Dean für eine Weile aus dem Haus?“, fragte er, kaum dass er mit seinen Ausführungen fertig war.

Der Ältere grinste breit: „Das sollte kein Problem sein.“

Und so wurde Dean, nachdem er zum Mittag gefrühstückt hatte, auf den Schrottplatz geschickt um aus einigen Wracks Teile auszubauen, die Bobby für die Reparaturen der nächsten Tage brauchte.

Der Blonde schaute zwar etwas irritiert, als er sich erhob, doch er sagte kein Wort und ging nach draußen.
 

Unwirsch knurrte Dean, als ihm der Schraubenschlüssel erneut aus den kalten Fingern glitt.

Die Sonne sank, das Licht wurde immer schwächer und er wollte dieses letzte Teil noch abbauen.

Plötzlich stellten sich seine Nackenhaare auf. Jemand, etwas stand hinter ihm!

Mit erzwungener Ruhe richtete er sich auf und drehte sich um.

Kurz biss er die Zähne zusammen, um sein Erschrecken nicht zu zeigen. Wieder hatte er das furchtbare Aussehen eines Dämons verdrängt, dabei war es nun wirklich nicht so lange her, dass er gleich mehrere von ihnen gesehen hatte, und konzentrierte sich auf das Äußere.

„Hallo Ruby“, grüßte er.

„Dean!“, schön dich zu sehen.“

„Du freust dich mich zu sehen?“, wollte der Blonde skeptisch wissen.

„Ja, sonst wäre ich nicht hier! Ich hab von deinem letzten Abenteuer gehört. Ist dein Leben so wenig wert?“, fragte sie kalt. „Wenn ich das schon voriges Jahr gewusst hatte, dann hätte ich mir nicht die Mühe machen müssen, dich vor dem Tod zu bewahren! Selbst Dämonen hängen mehr an ihrem Leben als du!“, stichelte sie weiter.

Kurz sah sie seine Gefühle aufflackern und hob abwehrend die Hand. Sie wollte darauf wirklich keine Antwort, denn die wusste sie schon lange. Als ein Teil von ihr in ihm war hatte sie ihn, mehr als ihr lieb war, lesen können. Sie kannte seine Schuldgefühle, wusste wie wenig er sein Leben achtete und wie sehr er Sam liebte. Aber sie wusste auch, dass er trotz Allem, tief in seinem Inneren, an seinem Leben hing, auch wenn er das wohl selbst nicht für möglich hielt.

Nein, er musste wirklich nicht antworten.

„Du solltest so langsam wieder in die Wärme. Hier ist es wirklich ungemütlich“, stellte sie stattdessen ruhig fest.

Dean musterte sie kalt. Dann drehte er sich um, hob seinen Schraubenschlüssel auf und machte sich endlich daran, das letzte Teil abzubauen, bevor es endgültig dunkel war.

Ruby wanderte gelangweilt über den Schrottplatz.

Ein lautes Scheppern ertönte und sie ging zurück zu dem Ford, an dem er gearbeitet hatte.

Zu viele Gefühle

127) Zu viele Gefühle
 

Dean hob die Stoßstange, die beim Lösen der letzte Schraube auf den Boden gepoltert war, auf und brachte sie zu den anderen Teilen im Unterstand, die er an diesem Tag zusammengesucht hatte.

Die junge Frau folgte ihm schweigend.

Abwesend rieb er sich über das Gesicht. Dann schaute er sie direkt an, blickte durch ihre menschliche Hülle auf den Dämon.

Ein eisiger Schauer rann über seinen Rücken. Ob er sich je an den Anblick gewöhnen würde?

„Wäre ich auch so…“, fragte er mit kratziger Stimme.

Ruby senkte den Blick. Sie antwortete nicht, denn sie wusste, dass er darauf keine Antwort wollte.

Doch dann wurde sein Blick fordernd.

„Was siehst du?“, fragte er.

Die blonde Frau schüttelte verwirrt den Kopf und schaute ihn fragend an.

„Was siehst du?“, betonte er jedes einzelne Wort.

„Dean Winchester“

„Ruby, bitte! Ich sehe dich, ich meine deine… Das was du wirklich bist.“

Sie legte den Kopf leicht schief und taxierte den Jäger vor sich. Zu gerne würde sie ihn noch eine Weile zappeln lassen. Ein, sich vor Unsicherheit, windender Dean Winchester! Wie sehr hatte sie sich das noch vor einem Jahr gewünscht. Doch inzwischen war viel zu viel passiert und sie konnte erkennen, wie ernst ihm diese Frage war.

Ruby musterte ihn eingehend. Sie wusste, dass er sie als das sah, was sie war, ein Dämon. Und doch schien er ihr mehr zu vertrauen, als den meisten Menschen. Sie musste schlucken, als sie diese Erkenntnis traf.

„Dass du Dämonen sehen kannst, tut mir leid“, antwortete sie leise. „Ich weiß nicht, warum du das behalten hast. Vielleicht weil ich, ein Teil von mir, in dir war? Vielleicht warst du der Hölle auch einfach zu nahe und eine Rücknahme solcher Gaben nicht vorgesehen? Es gab soweit ich weiß noch keinen Menschen, der so kurz vor dem Ende seines Deals gerettet wurde.

Aber darüber hinaus ist alles rein du. Deine Instinkte“, sie hatte Gefühle sagen wollen, doch ein Dean Winchester zeigte keine Gefühle, auch das wusste sie nur zu gut. „Deine Instinkte haben dich zu Sam und den Kindern geführt.“

„Aber…?“, begann er stockend.

„Du bist menschlicher als die meisten Menschen, die ich je getroffen habe, Dean. An dir ist nichts Dämonisches. Noch nicht mal was Böses! Du würdest dich jeder Zeit für jedes andere Leben opfern und das ist wirklich nicht normal!“, erklärte sie ihm und er konnte ihrer Stimme deutlich anhören, dass sie das zwar nicht verstand, aber auf Grund ihrer Vergangenheit doch irgendwie nachvollziehen konnte.

Der Winchester schaute sie noch eine Weile an, dann zuckte er mit den Schultern.

„Danke“, sagte er leise und atmete innerlich auf. Er war zwar noch immer nicht richtig überzeugt. Aber warum sollte Ruby ihn anlügen? Was hätte sie davon? Nein! So schlimm diese Erkenntnis für ihn auch war, er vertraute ihr. Er vertraute einem Dämon! Dean Winchester vertraute einem Dämon! Das musste er erstmal verdauen.

„Ach und Bobby hat mit gesagt, dass ich dir sagen soll, dass du deinen Hintern unter die Dusche schieben sollst, sonst bekommst du heute nichts zu Essen!“, grinste sie ihn an und verschwand Richtung Haus.

Dean stand noch eine Weile unschlüssig neben dem Wagen im Unterstand, dann ging auch er ins Haus.
 

„Ich weiß, dass du deinen Geburtstag nicht wirklich feiern willst oder wolltest. Aber in Anbetracht der Situation und unseres Lebens ist dieser Geburtstag etwas Besonderes, nicht nur, weil es dein dreißigster ist“, begann Bobby nachdem sie ihr Abendessen beendet, den Tisch frei geräumt und Apfelkuchen und Bier an alle verteilt hatten.

„Mein 32.“, nuschelte Dean leise.

Die drei Anderen am Tisch schauten ihn verwirrt an.

„Meinen 30. hab ich auf der Ranch mehr oder weniger feiern müssen. Der 31. war in West Glacier. Also ist das hier der 32.“

„Du bist ein Idiot, Dean!“

„Was?“, fragte der Blonde.

Bobby schüttelte den Kopf.

„Halt einfach die Klappe! Wir haben uns soviel Mühe gegeben um diese Tag überhaupt feiern zu können. Also genieße es!“, sagte der Hausherr streng. Doch seine Mundwinkel zuckten verräterisch in die Höhe.

Sam nickte zustimmend und stand auf um die Tür zum Wohnzimmer aufzuschieben.

Auf dem frei geräumten Couchtisch lagen einige flache Päckchen und daneben stand ein Karton.

„Was?“, wollte der Blonde verwundert wissen.

„Geburtstagsgeschenke!“, grinste Sam breit. Er war mehr als nur gespannt, was sein Bruder zu seiner Idee sagen würde.

Dean stand auf und ging zu dem Tisch. Der Apfelkuchen war vergessen.

Ganz vorsichtig nahm er sich das Kleinste der flachen Päckchen und riss das Papier ab. Er hatte von Sam in den letzten Jahren ja öfter mal ein Geschenk bekommen, aber die waren immer praktischer Natur und er wusste nicht, dass er schon wieder etwas brauchte. Außerdem war es nie so viele gewesen. Was Sammy sich da wohl ausgedacht hatte?

Schweigend starrte er auf das gerahmte Foto in seiner Hand. Es zeigte einen vierjährigen Dean auf einem Sessel sitzend, mit dem kleinen Baby-Sam auf seinem Schoß.

Nach und nach öffnete er die anderen Päckchen. Es kamen immer mehr, meist vergrößerte, gerahmte Fotos zum Vorschein, auf denen Dean beim Radfahren und beim Toben in ihrem Garten in Lawrence zu sehen war. Außerdem gab es Bilder von allen Winchesters in ihrem Garten, von Mom und Dean beim Backen, beim Kuscheln auf der Couch, beim Lesen und mit einem ganz kleinen Dean beim Baden.

Das für Dean schönste und größte Bild zeigte nur ihre Mom.

Sprachlos stand der Winchester mitten im Raum, starrte blicklos auf das Bild. Verzweifelt versuchte er seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen und doch schien der Klos in seiner Kehle immer größer zu werden.

Er hatte sich die Fotos, als sie die damals von Jenny bekommen hatten, mal kurz angeschaut und dann beschlossen, sie wieder zu vergessen. Viel zu sehr erinnerten sie ihn an die schönste Zeit in seinem Leben.

Diese Bilder brachten verschüttet geglaubte Erinnerungen zum Vorschein, die die schärfste Chillisoße in nie richtig verheilte Wunden kippten.

Tränen drängten sich in seine Augen.

Dean fühlte sich wie ein Fisch auf dem Trockenen. Wie eine Fliege hilflos im Netz der Spinne zappelte, versuchte er sich der Gefühle zu erwehren, die ihn zu erschlagen drohten.

Es war sinnlos.

Vorsichtig stellte er das Bild ab und flüchtete dann regelrecht aus dem Haus.

Diese gerahmten Erinnerungen waren ein wundervolles Geschenk und er würde sich in ein paar Tagen bestimmt auch darüber freuen und Sam danken, doch jetzt wollte er nur noch allein sein.
 

Als die Tür krachend ins Schloss fiel, zuckten die Männer zusammen und erwachten aus ihrer Starre.

Sie hatten sich so auf Dean konzentriert. Sam, weil er sehen wollte wie sein Bruder reagiert und Bobby war neugierig, was Sam sich ausgedacht hatte.

Irritiert schauten sie sich an und blickten dann zu Ruby, die geräuschvoll einatmete.

Deans Gefühlschaos war fast ungefiltert, wie ein Tornado über sie hinweggefegt und hatte sie erschüttert. Sie hatte geglaubt, dass sie, sobald sie sich aus ihm zurückgezogen hatte, ihre Gefühle wieder für sich allein haben würde, doch das schien ein Wunschtraum gewesen zu sein.

Sie war wohl weiterhin auf dieser Ebene irgendwie mit Dean verbunden. Zumindest, wenn sie in seiner Nähe war.

Dass der Winchester so heftig reagierte, hatte auch sie überrascht, obwohl sie wusste wie sehr er seine Mutter noch immer vermisste, wie sehr er sie noch immer liebte, auch wenn er das vehement leugnen würde, sollte ihn je jemand darauf ansprechen.
 

„Was?“, fragte Sam unwirsch, nicht wissend wie er das Verhalten seines Bruders interpretieren sollte.

„Er freut sich“, sagte Ruby und zuckte schon fast hilflos mit den Schultern.

„Kann er das nicht…“, polterte Sam los und verstummte dann abrupt. Er erinnerte sich an das fast verliebte Strahlen auf Deans Gesicht, als er von einigen Erinnerungen an die Zeit mit ihrer Mom berichtet hatte.

Hatte er zuviel gewollt? Hatte er Dean damit überfallen?

Traurig setzte er sich wieder an den Tisch und nahm, nach einem ratlosen Blick zu Bobby, einen Schluck von seinem Bier.

Noch einmal holte Ruby tief Luft und sagte dann: „Ich schau mal wo Dean ist.“
 

Dean fand sich mitten auf dem Schrottplatz wieder.

Unschlüssig drehte er sich im Kreis und probierte dann bei dem nächstliegenden Wrack die Tür zu öffnen. Er hatte Glück und so rutschte er sich auf den Fahrersitz und schloss die Tür wieder.

Er verschränkte die Arme auf dem Lenkrad und ließ seine Stirn darauf fallen.

Warum taten die Erinnerungen an Mom so weh?

Sammy hatte es bestimmt gut gemeint. Für ihn war Mom ein Phantom, ein Idol, dass er sich so formen konnte, wie er sie wollte, aber er selbst hatte Mom gekannt. Er hatte mit ihr die schönste Zeit seines Lebens verbracht und er wusste, dass nichts was Sam sich erträumte an die Wirklichkeit heranreichte.

Mom! Dieses eine Wort drückte alles aus, was er sich in seinem Leben je gewünscht und nie bekommen hatte.

Es hieß doch, dass man sich an seine früheste Kindheit nicht, oder nur sehr verschwommen erinnern könnte. Warum hatte er dann so viele Erinnerungen an Mom?

Nein, er wollte sie um nichts in der Welt aufgeben, aber er wünschte sich, dass sie weniger schmerzten. Er wünschte sich, dass er ein paar Jahre mehr mit dieser Frau hätte verbringen dürfen und dass Sam sie hätte kennenlernen können.

Er schniefte und versuchte den Klumpen in seiner Kehle herunter zu schlucken.
 

Ruby war ebenfalls auf den Schrottplatz gelaufen. Sie konnte Dean orten und ging nun langsam auf ihn zu. Auf dem Weg versuchte sie sich gegen seine Gefühle zu wappnen.

Viel zu sehr ähnelten sie den Gefühlen, die sie versuchte tief in sich zu verschließen.

Noch bevor sie soweit war und obwohl sie wirklich langsam gelaufen war, hatte sie das Auto erreicht.

Viel zu schnell erreicht! Aber sie hatte den Verdacht, selbst wenn sie um die ganze Welt gelaufen wäre, hätte sie nicht genug Zeit dafür gehabt.

Sie klopfte kurz an die Beifahrertür, bevor sie sich auf den Sitz zappte.
 

„Sam hat es gut gemeint“, sagte sie ohne Einleitung.

Dean antwortete nicht.

„Ich habe nur die Erinnerungen in meinem Kopf“, fuhr sie scheinbar zusammenhanglos fort.

„Wird es je aufhören?“, fragte er.

„Nein. Aber wenn du die schönen Erinnerungen zulässt, werden die schlimmen ein wenig von ihrem Schmerz verlieren.“

„Ich hab eher das Gefühl sie schmerzen immer mehr.“

„Warum versuchst du nicht, dich an die schönen Momente zu erinnern. Der Verlust wird dadurch nicht geringer, aber wenn dir diese wenigen schönen Erinnerungen hin und wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubern, wenn diese schönen Erinnerungen hin und wieder für ein gutes Gefühl sorgen, dann ist es doch viel mehr als der ganze Schmerz zerstören kann.“

Ganz langsam hob Dean den Kopf und schaute sie verwundert an. Solche Worte aus dem Mund eines Dämons? Das war mehr als nur ungewöhnlich.

„Hilft es bei dir?“, wollte er wissen.

„Nicht immer“, gab sie offen zu und schaute ihn unverwandt an. Tränen glitzerten auf seinen Wangen, aber er machte sich nicht die Mühe sie zu verbergen oder wegzuwischen.

„Aber ich wünschte ich hätte Bilder von ihnen“, sprach sie mehr zu sich selbst.

„Es tut mir leid“, sagte der Winchester rau.

„Das muss es nicht. Es ist schon so lange her und ich versuche mir einzureden, dass sie an einem schöneren, besseren Ort sind. Außerdem kannst du wirklich nichts dafür.“

„Es tut mir trotzdem leid“, wiederholte er und ließ seinen Kopf wieder auf seine Arme fallen.

„Du solltest nicht zu lange hier sitzen“, bat sie leise und legte ihm kurz ihre Hand auf seinen Arm. Dann verschwand sie aus dem Auto und ging zurück zum Haus.

Wieso fühlte sie sich dem Winchester nur so verbunden? Der Gedanke machte ihr Angst. Sie war ein Dämon, verdammt! Dämonen sollten keine Gefühle haben, kein Mitgefühl für einen Menschen und schon gar keins für diesen Menschen! Aber sie konnte einfach nicht abstellen, dass es ihr leid tat, was das Leben alles für ihn bereit gehalten hatte und noch hielt. Was sah sie eigentlich in ihm?

Kurz vor der Veranda blieb sie stehen und versuchte sich über diese Frage klar zu werden.

Irgendwie war er sowas wie ein Bruder für sie.

Schnaubend schüttelte sie den Kopf. Ein Bruder!?! Sie hatte Brüder gehabt und keiner war so ein arroganter, selbstgerechter Affe gewesen! Diese ganze Gefühlsduselei lag mit Sicherheit nur daran, dass die in der Hölle bei ihr was falsch gemacht hatten und dass ein Teil von ihr in ihm gewesen war.

Aber es war richtig ihn zu retten. Auf keinen Fall hätte er in der Hölle landen dürfen und mit Lilith und ihren Verbündeten hatte sie eh noch ein Hühnchen zu rupfen gehabt. Auch wenn ihr Tod leider nicht ihr eigener Verdienst gewesen war, so hatte sie ihn doch mit Genugtuung zur Kenntnis genommen.

Trotzdem musste ihre Gefühlsduselei bei dem älteren Winchester aufhören. Er war doch nur ein Job und außerdem wäre der Jüngere viel eher ihr Fall!

Sie straffte ihre Schultern, atmete einmal tief durch und setzte ihr undurchdringliches Pokerface auf, bevor sie wieder zu den beiden wartenden Männern in die Küche ging.

„Er wird bald kommen!“, sagte sie kalt und nahm sich ein Bier.

Ungewollte Erinnerungen

128) Ungewollte Erinnerungen
 

Es dauerte trotz Rubys Versicherung noch lange genug bis auch Dean ins Haus zurück kam, um Sam die Sorgenfalten wieder ins Gesicht zu meißeln.

„Du hast gesagt, dass er gleich kommt!“, pflaumte er die Dämonin an.

„Er braucht Zeit, Sam! Er hatte nie die Gelegenheit ihren Tod zu verarbeiten. Er hat sich seinen Trauer nie wirklich stellen können, weil er immer versucht hat stark zu sein, für John und für dich.

Er kann sich an ein normales Leben erinnern, Sam und er weiß zu genau, was er verloren hat. Und du rammst ihm eine Stange Dynamit in den Bauch und erwartest, dass er sich freut?“ Sie holte tief Luft.

„Wann lernst du endlich, dass dein Bruder ein Mensch voller Gefühle ist, der nur nie gelernt hat diese zu zeigen? Oder anders gesagt, der seine Gefühle einfach nicht mehr zeigen kann, weil er sie immer verstecken musste? Deine Gefühlsausbrüche hat er aufgefangen, doch wer hätte ihn in den Arm genommen?“

Sam starrte die Frau eine halbe Ewigkeit an. Wieso wusste ein Dämon soviel über Gefühle? Wieso konnte sie Dean so gut verstehen?
 

Die Tür ging auf und ein durchgefrorener Dean betrat die Küche.

Sein Blick huschte über die Anwesenden und Bobby forderte ihn mit einem Nicken auf, den Karton zu öffnen, bevor er zu der neuen Kaffeemaschine ging und den Knopf für heißen Kakao drückte.

Ein Lächeln huschte über Deans Gesicht und die, noch immer verräterisch feucht glänzenden, Augen strahlten warm. Dann bekam er von dem Freund, passend zu der Stereoanlage im Karton auch noch einen Packen CDs überreicht.

„Danke Bobby!“, sagte er heiser und umarmte den Mann stürmisch.

„Schon gut Junge. Du sollst dich hier ja auch zu Hause fühlen.“

„Als ob ich das nicht schon lange tue.“

Der Hausherr klopfte ihm väterlich auf den Rücken und löste sich dann wieder von ihm. Er griff hinter sich und drückte dem ältere Winchester die große Tasse Kakao in die Hand.

Fragend schaute Dean ihn an, dann stieg ihn der markante Geruch von Whiskey in die Nase und er nahm einen Schluck. Wärmend rann das Getränk seinen Hals hinunter und breitete sich in seinem Magen aus.
 

Lautes Klopfen riss Sam aus dem Schlaf.

Sie hatten noch eine ganze Weile in der Küche gesessen und ein paar Bier und Whiskey getrunken und waren, lange nach Mitternacht und nachdem Ruby sich verabschiedet hatte, zu Bett gegangen.

Trotz des Alkohols hatte er sich aber noch eine halbe Ewigkeit von einer Seite auf die andere gewälzt.

So sehr er sich auch zur Ruhe hatte zwingen wollen, seine Gedanken waren immer wieder zu Dean und den Bildern gewandert. Sein Bruder hatte sein Geschenk mit keinem Wort mehr erwähnt und dabei hatte er sich so viel Mühe damit gemacht! Und auch Rubys Erklärungen hatten ihm nicht weiter gebracht! Dean hätte doch sagen können, dass er diese Geschenke nicht wollte!

Und warum musste der Idiot zu nachtschlafender Zeit wie ein Specht auf der Wand rumhacken? Hier gab es doch gar nichts mehr zu hacken, oder wollte er jetzt auch noch den Flur renovieren?

Mürrisch schlug er seine Bettdecke zurück und schlurfte in Deans Zimmer.

„Verdammt noch mal! Du legst es drauf an, mich…“ Ihm blieben seine Worte im Hals stecken.

An der Wand hingen schon mehr als die Hälfte der gerahmten Fotos. Und das große Bild von Mom genau in der Mitte.

Dean legte den Hammer zur Seite und umarmte Sam.

„Danke!“, sagte er leise. Der Jüngere konnte das Kratzen in dessen Stimme hören und wusste jetzt auch endlich, wie viel seinem Bruder diese Bilder bedeuteten. Er strahlte zufrieden.
 

Nach dem gemeinsamen Frühstück, für Dean war es das zweite, brachten sie zusammen noch ein paar der aufbereiteten und gerahmten Fotos in Sams Zimmer an.

Eines davon zeigte ihre Mom, die in einem gemütlich aussehenden Sessel saß und Dean auf ihrem Schoß hielt. Der wiederum hatte Sam, zwischen seinen Beinen, fest umschlungen und schaute zu Mary auf.

Für Sam sah es so aus, als ob er sie anhimmeln würde und hatte ihn wieder an das erinnert, was Dean ihm von dem Tag erzählt hatte, als er erfahren hatte, dass er ein Geschwisterchen bekommen würde.

Dieses Foto hatte den Ausschlag für sein Geburtstagsgeschenk gegeben.
 

Ein paar Tage später saßen sie beim Lunch. Dean mit leicht verschmiertem Gesicht, da er mal wieder an einem Auto bastelte und Sam mit verspannten Schultern, die er vorsichtig kreisen ließ.

„Hast du das Internet mal wieder zur Verzweiflung gebracht?“, fragte Dean grinsend.

Der Jüngere grummelte nur ungehalten.

„Man Sammy, die müssen sich jeden Tag hunderte neue Seiten alleine nur für Dich einfallen lassen.

Irgendwann lassen die dich gar nicht mehr rein“, frotzelte der Blonde weiter.

„Hauptsache dir beißt kein Auto Nase oder Finger ab“, knurrte Sam.

Dean grinste breit.

Kaum hatten sie jedoch den schon üblichen Kaffee auf dem Tisch ließ der Jüngere die Bombe platzen.

„In einer Schule verschwinden immer wieder Schüler. Ich kann noch keinen Zusammenhang zwischen den Verschwundenen finden, außer dem, dass sie fast immer aus einem Jahrgang stammen.

Angefangen hat es, soweit ich das bis jetzt recherchiert habe, vor vier Jahren.“

„Wo?“, fragte Dean wenig interessiert. Das klang noch nicht wirklich nach einem Fall für sie, obwohl diese ‚nicht wirklich‘ sich ja in letzter Zeit immer zu ziemlich haarigen Fällen ausgewachsen hatte.

Irgendwie hatten sie in letzter Zeit kein glückliches Händchen bewiesen, bei der Auswahl ihrer Fälle.

„Richmond Hill, Georgia. Die Richmond Hill High School.“

Dean entgleisten sämtliche Gesichtszüge.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst!“, keuchte er und sah aus als hätte er Zahnschmerzen und eine Wurzelbehandlung an mindestens fünf Zähnen vor sich, ohne Betäubung.

„Doch, Dean.“

„Kann Bobby da nicht ´nen anderen Jäger hinschicken? Vielleicht ist es ja auch ganz normaler Schulstress und die sind einfach so abgehaun!“, Dean wand sich wie ein Aal. Es gab Millionen Schulen in diesem Land, selbst wenn er alle abzog, die er in seinem Leben besucht hatte. Warum also gerade diese Schule?

„In diesem Jahr sind erstmals drei Kinder aus dem Kindergarten verschwunden und zwei Lehrer.

Außerdem auch schon wieder zwei Schülerinnen des vorletzten Jahrganges.“

„Ist kein anderer in der Nähe?“

„Ich denke, dass ist noch keinem aufgefallen!“

„Und wieso dann dir?“

„Dean!“

Der Blonde schnaubte resigniert und verschwand durch die Hintertür nach draußen.

Langsam lief er durch die Reihen aufgestapelter Wracks. Sein Atem bildete weiße Wolken vor seinem Gesicht. Der Boden knirschte unter seinen Schuhen.

In der letzten Nacht hatte es sich merklich abgekühlt und die Luft roch nach Schnee.

Jetzt in die Wärme fahren wäre schon schön. Zumal er sich dann keine Gedanken darüber machen müsste doch noch einzufrieren, aber es musste doch wohl auch noch andere Fälle geben, als ausgerechnet in Richmond Hill, Georgia.

Eine längst vergessen gehoffte, unscheinbare, auf den zweiten Blick trotzdem niedliche, Brünette mit Sommersprossen, Brille und großen grauen Augen, drängte sich vor sein inneres Augen und in seinem Inneren machte sich ein unangenehmes Ziehen breit.

Seine Gedanken wanderten zurück.

Richmond Hill High School.

Unerwarteterweise seine letzte Schule!

John hatte sie, wie üblich, vor der Schule abgeladen und war mit den Worten: „In einer Woche müsste ich zurück sein“, verschwunden. Er hatte es wie immer seinem Ältesten überlassen sie anzumelden und sich auch sonst um alles zu kümmern.

Dass sie fast fünf Monate an dieser Schule bleiben würden, hätte er nie gedacht. Aber John hatte wohl schon damals geahnt oder vielleicht auch gewusst, was Ende des Schuljahres ihren Familienfrieden mehr als nur empfindlich gestört hatte.

Sam hatte zuviel Stoff verpasst und musste ein Jahr wiederholen. Sam! Das intelligenteste Wesen, das er kannte. Bobby mal ausgenommen! Und auch sein kleiner Bruder schien schon etwas geahnt zu haben.

Der Kleine war in den fünf Monaten immer schwerer zu handhaben gewesen. Er hatte ihm immer öfter vorgeworfen nur auf Dads Seite zu stehen und er hatte ihn, wann immer er konnte erpresst, um seinen Kopf durchsetzen zu können. Auch wenn es dabei eigentlich nur um mehr Zeit zum Lernen ging, um einen Besuch im Museum oder irgendwelche Dokumentarfilme im Kino, die Sammy unbedingt sehen wollte, als Gegenleistung für sein Stillschweigen wenn Dean zu einem Date ging.

Sammy hatte in dieser Zeit außerdem wieder vermehrt Albträume gehabt und auch die drohende Nicht-Versetzung ließ ihn viel öfter aggressiv werden und der arrogante Typ aus seiner Klasse, der ihn immer wieder triezte machte es auch nicht besser.

Ein paar Tage nach Spring-Break, John hatte sie nach dem Überlebenstraining, das sie während der Ferien gemacht hatten, nur wieder am Motel abgesetzt und war zu einem neuen Fall verschwunden, war die Situation eskaliert. Noch immer fragte sich Dean, wieso Sammy in dem Schuljahr die Prügeleien anzuziehen schien wie das Licht die Motten.

Jedenfalls hatte dieser Typ Sam so lange provoziert, bis sein Kleiner zugeschlagen hatte, schon wieder. Schnell hatte sich eine Traube Schüler um sie gebildet.

Er hatte eingreifen wollen, doch Sammy hatte ihm einen kurzen Blick zugeworfen und ihm signalisiert, dass er es alleine schaffen würde und er hatte sich auf die Zuschauer konzentriert. Als zwei Typen in seinem Alter ebenfalls in den Kampf eingreifen wollten war er eingeschritten. Es hatte ihm zwei geprellte Rippen, ein blaues Auge und einen bösen Brief an Dad eingebracht, der dann mit ein paar Extra Trainingsrunden abgegolten worden war. Aber Sammy hatte gewonnen. Und das war es ihm wert gewesen.

Damals hatte er Lea zum ersten Mal gesehen. Sie hatte ihn zusammengeflickt, obwohl es da nicht viel zum Zusammenflicken gab.

Sie war der Typ Mädchen, das er nie angesprochen hätte, unscheinbar und schüchtern und nicht so einfach ins Bett zu kriegen. Da er aber damals eher an Sex als an einer Beziehung interessiert gewesen war, fiel sie nicht in sein Beuteschema.

Ein paar Tage nach der Schlägerei waren sie sich wieder über den Weg gelaufen und sie hatte ihn gefragt, wie es ihm ging. Danach waren sie sich immer mal wieder begegnet wenn er auf Sammy wartete und irgendwann waren sie ins Gespräch gekommen und hatten sich danach immer öfter getroffen und viel zusammen unternommen.

Ganz unbemerkt hatte er sich in sie verliebt.

Lea hatte ihn überredet mit ihr zum Abschlussball zu gehen.

Doch es kam, wie es kommen musste. Dad kam ein paar Tage vor dem Ball wieder und sie zogen weiter.

Er hatte ihr weh getan und es hatte ihm weh getan.

Lea war die Einzige gewesen, an der er interessiert gewesen, und mit der er nicht im Bett gelandet war.
 

„Was war das denn?“, wollte Bobby inzwischen von Sam wissen. Er hatte sich den Blonden noch nie so vehement gegen einen Fall wehren sehen, selbst gegen ihren letzten nicht.

„Anfang Januar ´97 hatte Dad wohl, aus welchem Grund auch immer beschlossen, dass wir mal länger an einem Ort bleiben sollten. Wir waren bis zum Schuljahresende da. Was natürlich nicht hieß, dass Dad ebenfalls dageblieben wäre. Er ist ein paar Mal, mehr oder weniger, verletzt aufgetaucht, hat sich von Dean gesundpflegen lassen, uns durch die Gegend gescheucht und ist dann wieder verschwunden ohne zu sagen wann er wiederkommt und ohne genügend Geld da zu lassen. Also ist Dean neben unserem sonstigen Programm auch noch zwei oder drei Mal in der Woche in einer Werkstatt jobben gegangen.

Am Anfang hat er unseren Unterhalt mit den üblichen Diebstählen und Kreditkartenbetrügereien bestritten, doch als wir immer länger geblieben sind, wollte er weder uns noch Dad in Gefahr bringen, deswegen verhaftet zu werden und Dad meinte, er wäre ja jetzt erwachsen. Dann sollte er sich auch so benehmen und so leben. Dafür hatte er ja auch den Impala zum Geburtstag bekommen“, erklärte Sam mit Bitterkeit in der Stimme.

Bobby schüttelte nur den Kopf. Wieder einmal fragte er sich was für ein Mensch John gewesen war.

Und wieder einmal überlegte er wieso Sam und nicht Dean gegen ihren Vater rebelliert hatte. So wie der Ältere immer wieder behandelt worden war, war es eigentlich ein Wunder, dass der nicht einfach weggelaufen war, wie Sam damals nach Flaggstaff.

John war stinkwütend gewesen und hatte alles an Dean ausgelassen und der? Der war durch ihr Zimmer geschlichen wie ein geprügelter Hund, hatte seine Sachen zusammen geklaubt und sich auf den Weg gemacht Sam zu suchen. Er selbst hatte das damals mitbekommen, weil er gerade in dem Augenblick bei den Winchesters angekommen war um mit John jagen zu gehen.

Nachdem Dean das Zimmer verlassen hatte, hatte er John darauf angesprochen und ihn gefragt, ob das nicht etwas unverhältnismäßig gewesen wäre. John hatte ihn angefahren, dass Dean den Befehl hätte, auf Sam aufzupassen und diesen Befehl ja augenscheinlich nicht befolgt hatte. Außerdem ginge ihn die Erziehung der Jungs ja wohl nichts an.

„Bobby?“, fragte Sam etwas lauter.

„Ja?“, schreckte der aus seinen Gedanken.

„Was ist mit dir?“

„Nichts, ich musste nur an was denken.“

„Ich geh mal Dean suchen, bevor der sich noch ´ne Erkältung einfängt. Zuzutrauen wäre es ihm fast, so sehr wie er sich vor dem Fall windet.“

„Dean würde sich nie vor einem Fall drücken, das weißt du!“

Sam nickte traurig: „Ja, leider. Dean ist viel zu pflichtbewusst. Egal wie er sich dabei fühlt. Er zieht es durch.“

Er zog sich seine Jacke über, nahm Deans vom Haken und ging nach draußen.

Richmond Hill

129) Richmond Hill
 

Sam fand seinen Bruder an ein Wrack gelehnt. Die ganze Szene erinnerte ihn an eine ähnliche ein paar Monate zuvor. Damals hatte er Dean ärgern wollen und ihm gesagt, dass er nach Stanford gehen würde und diesmal ging es wieder um eine Schule. Sam schnaubte. Mit Schulen hatten sie wohl so ihre Probleme. Dabei fiel ihm ein, dass er von Stanford eine Antwort auf seine Bewerbung bekommen hatte.

Da musste er sich auch noch melden.

„Dean?“, fragte er leise und hielt ihm die Jacke hin.

Langsam hob der Blonde den Kopf und schaute seinen kleinen Bruder an. Zögernd griff er nach seiner Jacke und zog sie sich über.

„Sie wird nicht mehr da sein“, sagte der Jüngere leise.

„Wer?“

„Die kleine Dunkelhaarige mit der süßen Stupsnase!“

„Woher weißt du, dass sie eine süße Stupsnase hatte?“

„Ich war 14, Dean. Ich hab auch schon hin und wieder nach Mädchen geschaut. Außerdem war sie oft genug bei uns im Motel weil du auf mich aufpassen musstest oder noch arbeiten warst, damit wir was zu essen hatten. Und sie hat mir einen Geburtstagskuchen gebacken.“

„Das weißt du alles noch?“
 

„Damals hatte es eine andere Bedeutung für mich, aber ja. Ich weiß es noch.“

Dean nickte nur.

Schweigend standen sie nebeneinander dann löste sich Sam von dem Wrack und ging wieder zum Haus.

Immer wieder warf er einen Blick über die Schulter zurück auf seinen Bruder. Der stand noch immer an das Wrack gelehnt und starrte auf den gefrorenen Boden.

Kleine Atemwölkchen kräuselten sich in der Kälte wenn er ausatmete und deuteten darauf hin, dass die Statue an dem Wagen noch lebte.
 

Er schloss die Tür fest hinter sich um die Kälte auszusperren.

„Wann wollt ihr los?“, fragte der Hausherr als Sam sich wieder auf seinen Stuhl fallen ließ.

„Keine Ahnung ob Dean will.“

Bobby blickte fragend von seinem Buch auf.

„Er hatte da sowas wie seine erste große Liebe gefunden. Zumindest war er mit dem Mädchen fast drei

Monate zusammen und es ging nicht nur um Sex. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er überhaupt mit ihr geschlafen hat.“

„Du sprichst von Dean?“

„Hmhm. Dean! Es hat ihn ziemlich mitgenommen, dass er sich nicht mal von ihr verabschieden konnte.“

Wieder blickte Bobby fragend auf.

„Dad kam zwei Tage vor Deans Abschlussfeier mitten in der Nacht wieder. Dean war auch gerade erst ins Bett gekrochen, wenigstens da gab es keinen Ärger.

Wir mussten aus den Betten, unsere Sachen packen und dann einem Job hinterher. Dad hat was von wegen wichtig und lebensbedrohend erzählt und Dean hat nicht mal gewagt zu fragen, ob wir noch bis zum nächsten Morgen warten könnten, so sehr wie der gedrängelt hatte. Dad hatte Dean befohlen vor ihm her zu fahren. Als wir angekommen waren hat er versucht, das Mädchen anzurufen. Ihr Vater hat ihn ziemlich angebrüllt. Ich stand hinter der Tür und hab es mit angehört.

Aber das Schlimmste war, dass wir da fast eine Woche rumgesessen haben, ohne das was passierte. Dean hat die ganze Woche nicht mit Dad gesprochen. Er hat seine Befehle ausgeführt, sich um mich gekümmert, aber er hat kein Wort gesagt.

Danach hat er die Schuld natürlich bei sich gesucht und die winchestersche Welt war wieder in Ordnung.“

Wieder schüttelte Bobby nur den Kopf. Wie konnte man seinen Kindern sowas nur antun?

War ja fast logisch, dass der Blonde Beziehungen scheute wie ein Dämon das Weihwasser. Es war als Jäger eh schon nicht einfach eine Beziehung zu führen, aber sie alle hatten es wenigstens versucht.

Dean schien noch nichtmal dazu die Chance bekommen zu haben.
 

Der über den sie gerade gesprochen hatten, kam erst Stunden später wieder in die Küche. Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen und seine Hände schlossen sich dankbar um die Tasse dampfenden Kaffees.

„Wann willst du los?“, fragte er in die Stille.

„Wir müssen nicht, wenn du nicht willst“, entgegnete Sam hastig.

„Du hast gesagt, dass Kinder verschwinden. Und wenn bislang nur dein schlaues Köpfchen was Übernatürliches dahinter vermutet, sollten wir auch hinfahren.“

„Idiot“, motzte Sam.

„Miststück“, konterte der Blonde. Sein Lächeln fiel noch ziemlich dürftig aus. „Außerdem nehme ich an,

dass du dich schon eingehend damit befasst hast.“

Der Jüngere nickte.

„Und wie willst du in der Schule ermitteln?“

„Es sind doch auch zwei Lehrer verschwunden.“

„Lehrer? Verdammt Sam, ich eigne mich vielleicht zum Hausmeister. Was soll ich denen denn beibringen? Wie verbrenne ich am schnellsten einen Geist?“

„Himmel, Dean, jetzt hör endlich auf zu meckern und mir erstmal zu“, schnauzte der Jüngere. „Da sind zwei Lehrer verschwunden. Mr. Chesterfield hat Informatik gegeben. Das könnte ich machen und Mr. Portland war Fahrlehrer. Er hat außerdem die Mechanikerwerkstatt geleitet und die Bogenschützen trainiert. Alles Dinge, die du hervorragend kannst. Okay, das mit dem Fahrlehrer solltest du vielleicht nicht machen, sonst werden das solche Kamikazefahrer wie du!“

„Besser als wenn sie mit Autos so umgehen wie du!“

„Jungs!“, schaltete sich Bobby ein.

Die Brüder zogen die Köpfe ein und schauten zu ihm auf.

„Bevor ihr hier lange Reden schwingt. Ich denke Dean sollte als Erstes unter die heiße Dusche!“, sagte der alte Jäger und blickte den Blonden eindringlich an.

Dean verstand, was er meinte, nickte, trank seinen Kaffee aus und verschwand ins obere Bad.
 

„Dann werd ich mal unsere Bewerbungen abschicken. Wie willst du denn heißen?“, fragte Sam nach dem Frühstück am nächsten Morgen.

„Collin Dean MacNab“, antwortete der Ältere. „Dann muss ich nur noch neue Papiere haben. Wie sieht es bei dir aus?“

„Samuel Stanton JR“

„Also werd ich mich mal um neue Papiere für uns kümmern“, sagte der Blonde und holte sich seine Jacke. Schnell hatten sie die notwendigen Daten abgesprochen und er fuhr nach Sioux Falls.
 

Sam hatte sich hinter seinem Laptop verkrochen und war, nachdem er ihre Lebensläufe geschrieben und die Bewerbungen nach Richmond Hill geschickt hatte, in den Weiten des „WWW“ abgetaucht. Er versuchte mehr Informationen über die Verschwundenen zu bekommen. Außerdem hatte er Stanford mitgeteilt, dass er inzwischen einen anderen Studienplatz angenommen hätte.

Er war sich sicher, dass er nie wieder dahin gehen würde. Zu sehr schmerzten die Erinnerungen an Jess. Wenn er wirklich nochmal ein Studium beginnen würde, dann an einer kleinen Uni. Und Dean müsste in seiner Nähe sein und nicht mehr jagen.
 

Dean kam ein paar Stunden später wieder und hielt ihm seinen neuen Ausweis vor die Nase.

„Dann können wir ja aufbrechen“, kommentierte Sam.

„Hast du schon Nachricht auf die Bewerbungen?“

„Nein, danach schaue ich nachher noch, aber egal ob wie genommen werden oder nicht, ermitteln werden wir ja doch. Wäre nur leichter, für uns, an die Schüler zu kommen, wenn sie wenigstens einen von uns nehmen würden.“

„Das sie noch keinen Ersatz gesucht haben, wundert mich aber schon!“, überlegte der Blonde und holte sich eine Tasse Kaffee.
 

Bobby seufzte unmerklich. Jetzt würden seine Jungs wieder auf die Straße zurückkehren. Eigentlich schade. Aber ohne die Jungs war es hier eigentlich viel zu ruhig. Vielleicht sollte er sich wieder einen Hund kaufen?
 

Am nächsten Morgen brachen die Brüder auf.

Einen letzten wehmütigen Blick auf den Quilt und seine Cowboy-Klamotten, danach verabschiedet er sich von Mom und zog die Tür seines Zimmers hinter sich zu. Sein Zimmer! Wie das klang. In einem früheren Leben hatte er mal ein eigenes Zimmer.

Hin und wieder hatte Mom ihn auf sein Zimmer geschickt, wenn sie mal Ruhe brauchte, aber das war selten gewesen. Meistens hatte er dann still im Wohnzimmer oder in der Küche gespielt oder sich seine Bilderbücher angeschaut.

In einem früheren Leben hatten sie alle ein Zuhause und in diesem Leben wäre er bestimmt nicht an die Richmond High gegangen.

Bedauernd schüttelte er den Kopf und versuchte die Bilder zu vertreiben.

Sie hatten einen Fall auf den er sich konzentrieren musste!

Trotzdem würde er seine Mom immer vermissen. Das hatte ihm die Familienidylle bei den Harrisons nur zu deutlich gezeigt.
 

Am Nachmittag des folgenden Tages saßen die Brüder in einem kleinen Diner in Richmond Hill.

„Ich hätte nicht gedacht, dass sie uns Beide nehmen“, überlegte Dean und hielt nach der Bedienung Ausschau. Eine junge, korpulente Frau nickte ihm kurz zu und widmete ihre volle Aufmerksamkeit dann wieder der Familie, die vor ihr am Tisch saß.

„Ja, ich bin auch überrascht, aber so können wir das Ganze vielleicht schneller beenden“, sagte der Jüngere und baute seinen Laptop vor sich auf.

Dean bestellte ihnen Kaffee und bat um die Karte.

Wenig später stellte Anny Familietty, so stand es auf ihrem Namensschild, zwei große Tassen Kaffee vor den Brüdern auf den Tisch und fragte nach ihrer Bestellung.

„Ich hätte gerne…“, begann der Blonde und schaute auf. Sein Blick blieb an seinem Bruder hängen.

Sams Augen wurden immer größer. Sein Gesicht nahm einen besorgniserregenden Ausdruck, irgendwo zwischen Entsetzen und ungläubigem Staunen, an und dann versuchte er sich tatsächlich hinter seinen Laptop zu verkriechen.

So ein Schauspiel hatte Dean noch nie geboten bekommen und er starrte den Jüngeren fasziniert an. Erst als er ihn hart schlucken sah, riss er sich zusammen und schaute die Bedienung wieder freundlich lächelnd an. Sie schien von Sams Veränderung nichts mitbekommen zu haben.

„Ich nehm das Lachsfilet mit überbackenem Kartoffelbrei und Erbsen, zwei Schoko-Muffins und einem großen Stück Apfelkuchen.“

„Und Sie Sir?“

Der jüngere Winchester machte keine Anstalten zu bestellen. Er starrte noch immer stur auf seine Tastatur.

„Er nimmt auch das Filet und einen Salat“, entschied Dean kurzerhand. Wenn sein kleiner Bruder plötzlich seine Sprache verloren, oder seine Schüchternheit entdeckt hatte, dann musste er eben für dessen leibliches Wohl sorgen, und Sammy essen, was auf den Tisch kam. Der Blonde grinste breit.

Die Kellnerin kam voll beladen zurück und verteilte die Teller. Sofort begann Dean seinen Teller zu leeren. Sein kleiner Bruder allerdings schien immer noch im Internet versunken zu sein.
 

„Aber ich wollte doch…“, begann der Jüngere als Dean ihm plötzlich den Laptop entwendete und zuklappte.

„Iss!“, befahl der Ältere im besten „Ich–bin-der-große-Bruder“- Ton.

Sam hatte gar nicht mitbekommen, dass die Kellnerin ihm sein Essen gebracht hatte.

Skeptisch betrachtete er den Teller, der vor seiner Nase stand. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und dann machte er sich hungrig darüber her.

Sie hatten seit sie von Bobby weggefahren waren nicht wirklich viel und schon gar nichts Vernünftiges gegessen. 

Die Mails mit den Einladungen zu einem Vorstellungsgespräch hatten sie erhalten, als sie kurz hinter Kansas City getankt hatten und in dem angrenzenden Diner etwas essen wollten. Um pünktlich zu ihren Terminen zu kommen hatten sie ganze vierundzwanzig Stunden Zeit. Davon waren aber alleine schon siebzehn Stunden nur für die Fahrt. Also hatten sie beschlossen ohne große Pausen durchzufahren und  lieber in Richmond Hill noch ein paar Stunden zu schlafen.

Sie hatten es in knapp sechzehn Stunden geschafft, dank Deans Bleifuß.

Ohne zu zögern hatte Dean ein Motel angesteuert und dafür zwei andere links liegen lassen, obwohl Sam zumindest deren Äußeres als recht ansprechend empfunden hatte.

„Warum bist du an denen vorbeigefahren? So schlecht sahen die doch gar nicht aus!“, hatte Sam laut überlegt.

„Das hier ist ganz okay, hier haben wir damals auch gewohnt“, war Deans Antwort gewesen. Sam hätte es nicht wiedererkannt.

Sie hatten sich ein paar Stunden Schlaf gegönnt, schnell einen Kaffee getrunken und waren zu ihren Terminen aufgebrochen.

„Zum Essen benutzt man Besteck, Sammy. Oder arbeitest du an einer Methode Essen durch bloße Konzentration in den Magen zu befördern?“, riss ihn Dean aus seinen Gedanken.

„Das würde dir gefallen, oder?“

„Ich wäre zumindest nicht abgeneigt, muss ich gestehen! Und es wäre billiger! Obwohl der Genuss dann wohl auch dahin wäre.“

„Wo ist den bei deiner Schlingerei überhaupt Genuss zu finden?“

„Miststück!“

„Trottel!“ Sam griff nach dem Besteck und ließ seinen Blick über den Teller seines Bruders schweifen. Er stutzte: Das was Dean da mit wahrer Verzückung auf seinem Gesicht in sich hinein schaufelte, war das Gleiche, das auch auf seinem Teller lag. Fischfilet!

„Dean! Nur weil eine Nixe versucht hat dich zu ihrem Besitz zu machen, musst du jetzt nicht ihr gesamtes Gefolge vernichten wollen!“

„Kann’s aber versuchen!“, nuschelte der Blonde mit vollem Mund.

Beachtliche Veränderungen

130) Beachtliche Veränderungen
 

Auf einen freundlich auffordernden Blick Deans auf seine leere Tasse kam die Kellnerin an ihren Tisch und schenkte Kaffee nach. Sam versuchte sich schon wieder in Luft aufzulösen.

„Was ist los mit dir? Standst du auf sie oder hast du die Frau geschwängert? Wieso versuchst du jedes Mal so zu tun als wärst du unsichtbar. Das bist du nicht! Nicht bei deiner Größe, Bigfoot!“, wollte der Blonde grinsend wissen.

„Sieh zu, dass du fertig wirst!“, knurrte der Jüngere und leerte seine Tasse hastig, sodass er sich fast noch verschluckte. Dean ahnte ja nicht wie nah er der Wahrheit gekommen war.

Kaum hatte er sie abgestellt, stürzte er auch schon aus dem Lokal.

Dean schaute seinem flüchtenden Bruder kopfschüttelnd hinterher.

In Ruhe trank er seinen Kaffee aus, bezahlte ihre Rechnung und folgte dem Jüngeren dann.
 

„Sam, was war los?“, wollte er wissen, als er sich hinter das Lenkrad seines Babys fallen ließ.

„Das war Anny Familietty!“

„Ja und? Das stand zumindest auf ihrem Namensschild!“

„Sagt dir der Name nichts?“, fragte Sam ungläubig.

„Sollte er?“

„Das war Anny! Die Anny mit der keiner was zu tun haben wollte, weil sie als Streber verschrien war. Ich musste mit ihr beim Schulprojekt zusammenarbeiten. Von da an ist sie mir hinterher gelaufen! Sie war mit uns im Museum, im Kino! Sie war auf meiner sogenannten Geburtstagsparty“, erklärte Sam eindringlich.

„Du redest von dem abgebrochenen Meter, diesem halbverhungerten Küken, das sich hinter einem Besenstiel hätte verstecken können? Dieses quirlige, aufgedrehte Wesen, dass dich im Sprint ohne Probleme abgehängt hat?“

„Genau die. Also ich fand sie damals niedlich. Sie war sowas wie meine erste Freundin.“

„Entschuldige, wenn ich deine damaligen Gefühle mit Füßen getreten haben sollte. Aber mal ganz ehrlich. Wer hätte gedacht, dass aus der Kleinen mal … sowas Großes wird. Ist ja fast wie bei dir, nur das du in die Länge gegangen bist und sie in die Breite“, Dean musste unweigerlich grinsen.

„Dean!“

„Was? Sie wiegt heute bestimmt das Dreifache von damals und ist dabei nicht viel größer geworden!“

„Fahr ins Motel, damit wir mit dem Fall anfangen können“, beendete Sam das Gespräch. Wie konnte sich ein Mensch so verändern? Er hatte Anny wirklich gemocht. Aber jetzt wäre es ihm mehr als peinlich von ihr erkannt zu werden. Er kam sich erbärmlich vor.

„Jawohl, Sir!“, antwortete der Blonde pflichtbewusst und riss Sam aus seinen Gedanken, machte aber keine Anstalten, den Wagen zu starten.

„Was ist? Warum fährst du nicht los?“

„Passagiere haben hinten einzusteigen!“

„Trottel“

„Miststück!“
 

„Wollen wir gleich noch zu einigen Familien fahren? Zeit genug hätten wir noch“, begann Sam, kaum dass er auf dem Beifahrersitz saß. Sie hatten ihren ersten Tag als Lehrer überlebt.

Er war noch ganz erstaunt, dass er seine Klassen so hatte fesseln können, dass sie ihm zugehört und keinen Blödsinn gemacht hatten. Ob es Dean genauso ergangen war?

„Du gibst ja eh keine Ruhe“, antwortete der Blonde. „Was wollen wir denen denn erzählen? Wir sind neu in der Schule und wollen wissen, ob es sich überhaupt lohnt die Klamotten auszupacken?“

„Du bist manchmal wirklich ein Trottel Dean!“

„Kann ja nicht jeder so eine Intelligenzbestie sein wie du!“, gab der Blonde genervt zurück.

„Was hältst du davon, wenn wir und als verdeckte Ermittler vom FBI ausgeben?“

„Klingt halbwegs plausibel“, nickte der Ältere und steuerte die Adresse an, die Sam ihm nannte.

„Wie war dein erster Tag?“, wollte Sam wissen, kaum das sie den Schulhof verlassen hatten.

Sie waren von den anderen Lehrern am Morgen herzlich empfangen worden. Aber wahrscheinlich hatten die sich erstmal nur gefreut, dass sie jetzt keinen Vertretungsunterricht mehr geben mussten.

Soweit er mitbekommen hatte, hatte sein Bruder gerade genug Zeit gehabt, sich die Bogenschießanlage und die Werkstatt anzusehen, dann musste er sich als Fahrlehrer bewähren.

Von seinen fünf Fahrschülern war gerade mal einer so gut gefahren, dass er sich mit ihm auf die Straße getraut hatte. Den Rest hatte er durch den Verkehrsgarten gescheucht und gleichzeitig versucht ruhig zu bleiben. Er hatte sich fest vorgenommen, sich für die nächsten Fahrstunden Valium zu besorgen. Noch so einen Tag würde er nicht überleben.

„Ging so!“, ließ er sich vernehmen, als er den Blick seines kleinen Bruders noch immer auf sich gerichtet

fühlte.

„Ich fand es so toll. Ich hab ihnen nur ein paar meiner Kniffe gezeigt. Man hätte eine Nadel fallen hören können“, schwärmte der Jüngere.

„Schön für dich!“

„Dean, was ist los?“

„Wir sind da!“, erklärte der jedoch nur, parkte den Wagen am Straßenrand und stieg aus.

Mit wenigen Schritten war er an der Tür. Sam musste sich regelrecht beeilen, ihm zu folgen.

Was hatte sein großer Bruder nur?

„Mrs. Vandervoorst?“, fragte er die Frau, die ihnen eben die Tür öffnete.

„Ja?“

„Mein Name ist Sam Tylor und das ist mein Partner Deacon Caine. Wir sind vom FBI. Es geht um Ihre Tochter Erica.“

„Haben sie sie gefunden?“, fragte die Frau sofort und Hoffnung glomm in ihren Augen.

„Leider nein. Aber da sich die Vermisstenfälle an der Richmond Hill High School häufen wurden wir als verdeckte Ermittler hierher geschickt und wir möchten uns gerne ein eigenes Bild der Geschehnisse machen.“

Die Freude in den Augen der Frau verlosch sofort wieder. Jetzt sah sie einfach nur wieder alt und gebrochen aus.

„Kommen sie ins Haus“, bat sie die jungen Männer hinein.

„Ist Ihnen etwas am Verhalten Ihrer Tochter aufgefallen, bevor sie verschwand?“, fragte Sam weiter.

„Könnte sie einfach nur weggelaufen sein?“

„Nein! Auf keinen Fall! Erica war beliebt! Sie hat uns nie etwas von Problemen erzählt. Sie hatte keinen Grund wegzulaufen!“, brachte die Frau wütend hervor.

„Mrs. Vandervoorst. Bitte beruhigen Sie sich. Wir müssen Ihnen diese Fragen stellen. Es hilft uns, uns ein Bild über die vermissten Personen zu machen“, versuchte Dean die Wogen zu glätten.

Die Frau schaute ihn skeptisch an, dann nickte sie und fuhr fort: „Sie hatte bei einem Modelwettbewerb an der Schule teilgenommen und gewonnen und wollte später gerne in dieser Richtung weitermachen. Außerdem hatte sie am Schuljahresanfang die Leitung des Cheerleader-Teams übernommen und sich da auch voller Eifer hineingestürzt. Sie wäre wirklich nicht so einfach weggelaufen.“

Die Brüder warfen sich einen Blick zu.

„Kann ich mich bei Ihnen ein wenig umsehen?“, fragte Dean.

„Wenn Ihnen das hilft?“

„Wo ist Ericas Zimmer?“

„Oben, die zweite Tür links.“

„Danke, Ma’am“, sagte der Blonde und stieg die Treppe nach oben.

Er warf einen kurzen Blick in die übrigen Zimmer, bevor er sich in dem angegebenen Raum genauer umsah.
 

„Ist Ihnen sonst etwas aufgefallen, was im Zusammenhang mit dem Verschwinden Ihrer Tochter stehen könnte?“, befragte Sam unterdessen die Mutter weiter.

„Ich dachte, dass sie krank werden würde. Sie sah so blass aus und fühlte sich schlapp. Zwei Tage danach war sie verschwunden“, schluchzte die Frau und wischte sich fahrig eine Träne von den Wangen.

Sam reichte ihr ein Taschentuch.

„Sie sah blass aus?“, hakte er nach nachdem sich Mrs. Vandervoorst etwas beruhigt hatte. Ein furchtbarer Verdacht keimte in ihm auf.

„Ja.“

„War sie davor in einer Ausstellung?“

„Ausstellung?“, wiederholte die Frau ungläubig.

„Ausstellung , Museum, Zirkus?“

„Nein, warum sollte das eine Rolle spielen?“

„Wir ermitteln in alle Richtungen, Mrs. Vandervoorst. Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?“

Langsam schüttelte die Frau den Kopf. Sie wich dem Blick des Agenten aus.

„Mrs. Vandervoorst?“

„Es ist komisch“, begann sie zögernd, „manchmal habe ich den Eindruck. Victoria, unsere jüngere Tochter, hängt sehr an Erica, müssen sie wissen, und Erika liebt dieses englische Limonengelee.“

Sam fragte sich wieso ihn die Essgewohnheiten der Tochter interessieren sollten.

„Jedenfalls, irgendwie scheint das Glas, das noch im Kühlschrank steht leerer zu werden“, erzählte die Frau einfach weiter. Sie hatte den leicht genervten Blick des jüngeren Winchesters nicht bemerkt.

„Ich denke Vicky wird sich daran bedienen, um wenigstens etwas von ihrer Schwester zu haben, obwohl sie dieses Zeug eigentlich verabscheut. Sie streitet es zwar immer wieder ab, aber wie sollte es denn sonst sein?“ Mrs. Vandervoorst wischte sich erneut die Tränen aus den Augen.

Außerdem scheint sie in Ericas Bett zu schlafen. Sie behauptet zwar, dass es nicht so wäre. Aber ich kann sie verstehen. Sie vermisst ihre große Schwester genau so sehr wie wir.“

In diesem Moment kam Dean die Treppe herunter. Er schüttelte den Kopf.

„Das wär’s erstmal. Vielen Dank, Mrs. Vandervoorst. Wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte, dann rufen Sie mich bitte an“, sagte Sam und reichte ihr seine Karte.
 

„Was ist los, Sammy?“, wollte Dean wissen, kaum das er den Impala gestartet hatte.

„Ich bin mir nicht sicher. Lass uns noch die Eltern von Jason Linley, Emiliy Kargan und Patrick Gomez befragen. Dann kann ich vielleicht was Genaueres sagen.“

Lange schaute Dean seinen Bruder von der Seite her an, doch er fragte nicht weiter, obwohl es ihn schon brennend interessierte, was sein Kleiner ausbrütete. Aber er wollte über unausgegorene Ideen ja auch nicht reden, bevor er sich nicht sicher war.
 

Endlich waren sie wieder in ihrem Motel.

Dean ließ seine Jacke einfach fallen und warf sich auf sein Bett. Erwartungsvoll schaute er zu seinem Bruder, der gerade sein Lieblingsspielzeug aufklappte.

„Jetzt schieß los, Sammy!“

„Alle Eltern haben mir erzählt, dass sie befürchteten, dass ihre Kinder krank werden würden. Sie wären alle blass gewesen und maximal drei Tage später waren sie verschwunden“, begann Sam langsam und starrte wieder auf seine Notizen.

„Wetherworth?“, keuchte Dean erschrocken.

„Daran hab ich auch gedacht. Aber da waren die Opfer wirklich krank und sie sind nicht nach zwei Tage verschwunden sondern nach etwa zwei Wochen Fieber gestorben.“

Dean nickte.

„Außerdem haben alle Eltern unabhängig voneinander erzählt, dass sie das Gefühl haben, dass ihre Kinder noch im Haus wären.“

Der ältere Winchester setzte sich auf und schaute seinen Bruder interessiert an.
 

„Spielzeug liegt plötzlich an einer anderen Stelle, Essen verschwindet und die Betten sahen morgens aus, als ob jemand darin gelegen hätte.“

„Ich hab die Zimmer alle mit dem EMF untersucht. Da war nichts, Sam.“

„Hmhm. Die Eltern vermuteten auch alle, dass es die Geschwister waren. Nur Emilys Eltern hatten sich eher gegenseitig in Verdacht, da Emily Einzelkind ist. Aber keiner würde es beschwören wollen. Sie waren sich alle nicht sicher.“

„Also haben wir nichts Handfestes!“, stellte der Blonde gefrustet fest.

„Ich hab morgen Vormittag drei Freistunden, bevor ich wieder ins Fahrschulauto muss, da werde ich mal im Grundbuchamt versuchen alles über das Grundstück heraus zu bekommen, vielleicht wurde die Schule ja auf einer heiligen Stätte gebaut.“

„Und ich suche in der Geschichte der Stadt einen Anhaltspunkt. Außerdem haben wir ja noch die Angehörigen der Lehrer Scott Durand und Alan Doyle. Wenn die uns auch keinen Hinweis liefern können, müssen wir wohl bei den schon länger Vermissten graben.“

Dean hob seine Jacke auf und zog sie sich wieder an.

„Ich besorg uns was zu Essen und hole gleich noch ein paar Bier“, sagte der Blonde und war aus der Tür bevor Sam etwas erwidern konnte.

Fahrschülerinnen und andere Frauen

131) Fahrschülerinnen und andere Frauen
 

Sam stand auf dem Schulhof und schaute auf seine Uhr. Sein Blick wanderte zur Parkplatzauffahrt. So langsam sollte Dean doch wohl wieder da sein, oder?

Sie hatten am Vorabend beim Essen noch über die Möglichkeit gesprochen, dass es doch so eine Art Seelenvampir, wie Wetherworth, sein könnte und diese Idee erstmal wieder fallen gelassen. Sie hatten auch einige andere Vermutungen durchdiskutiert, waren aber letztendlich nur zu dem Ergebnis gekommen, dass sie noch zu wenig wussten.

Dean war heute Morgen am Grundbuchamt gewesen und gab jetzt seine letzte Fahrstunde für heute.

Er selbst hatte bei ihren Kollegen diskret nach ihren Vorgängern gefragt.

Es hatte sich herausgestellt, das Chesterfield Single war. Er war erst zum Schuljahresbeginn hierher gezogen und hatte noch keine wirklich guten Freunde, die sie nach seinen Gewohnheiten befragen konnten. Außerdem schien er sich hier in Richmond Hill nicht wirklich wohl zu fühlen. Das hatten ihre Kollegen einstimmig erzählt. So blieb nur noch Portland. Seiner Frau wollte er heute Abend noch einen Besuch abstatten.

Endlich bog der Fahrschulwagen auf den Parkplatz ein und hielt nicht weit von ihm entfernt.

Sam ging langsam näher.

Er hatte einen guten Blick auf seinen Bruder. War der angeschnallt?

„Ich sehe es noch nicht kommen, dass Sie am Freitag ihre Prüfung machen“, erklärte der ältere Winchester mit erzwungener Ruhe in der Stimme, der Schülerin, die mit verdammt kurzem Minirock vor ihm stand und ihn mit einer entzückenden Schmollschnute anschaute, gleich nachdem sie ausgestiegen waren.

„Ich will aber!“

„Von mir aus gerne. Aber der Prüfer wird Sie durchfallen lassen!“

„Sie könnten doch ein gutes Wort für mich einlegen!“ Die Kleine schob ihren Oberkörper nach vorn, sodass sich ihre Bluse, die eh schon reichlich knapp saß, noch weiter öffnete und einen tollen Einblick auf ihre üppige Oberweite gewährte. Dean schien das allerdings vollkommen kalt zu lassen.

Sam grinste.

„Ich werde den Teufel tun und Sie so auf die Öffentlichkeit loslassen. Sie sind eine Gefahr für sich und andere!“, erklärte der Blonde energisch.

„Sie sind auch nicht besser als dieser Portland!“, schniefte sie.

„Vielleicht liegt es ja auch an Ihren nicht vorhandenen Fahrkünsten“, konnte sich der Blonde nicht verkneifen zu sagen.

Beleidigt stöckelte sie davon.

„Und morgen will ich andere Schuhe sehen!“, schickte er ihr noch hinterher. Dann drehte er sich zu Sam um und atmete einmal tief durch, während der die Gelegenheit nutze, seinen Bruder eingehend zu mustern. Dean sah etwas grünlich um die Nase aus und seine Atmung war noch leicht beschleunigt. Das musste eine Höllenfahrt gewesen sein. Zumal Dean nicht gerade als der Autofahrer bekannt war, den man sich als Vorbild nehmen sollte, wenigstens was das Einhalten der Geschwindigkeitsbegrenzungen anging. Aber Sam musste auch zugeben, dass sein Bruder sehr sicher fuhr.

Ein Schüler hatte sich ihnen inzwischen genähert.

„Mr. MacNab?“, sprach er Dean jetzt an.

„Was?“, fragte der barsch und drehte sich zu dem Jungen um.

„Oh, Mark, entschuldige bitte, ich wollte dich nicht so anfahren“, versuchte er seinen rüden Tonfall im Nachhinein noch zu mildern.

„Wir sind dann soweit, wenn Sie sich das dann anschauen würden?“

„Klar“, jetzt strahlten Deans Augen Wärme aus, „ich komme gleich!“

Mark nickte und ging wieder in Richtung Werkstatt.

„Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie schnell du deine Gefühle umschalten kannst“, sagte Sam und trat an seinen Bruder heran. „Was war los?“

„Ach, diese kleine Mistkröte hat versucht mich mit ihrem zu kurzen, ständig nach oben rutschenden, Streifen Stoff, dazu zu bewegen, ihre nicht vorhandenen Fähigkeiten zu übersehen. Die ist schlimmer gefahren als du bei deinem ersten Versuch und damals warst du knapp neun und konntest kaum übers Armaturenbrett gucken“, schnaubte Dean.

Sam lächelte bei der Erinnerung. Dean hatte ihm das Autofahren damals beigebracht. Er war ein toller Fahrlehrer gewesen. Egal wie oft er Fehler gemacht hatte, sein Bruder hatte nie die Geduld mit ihm verloren. Wenn er das jetzt mit seiner Fahrschülerin hatte, wie war die dann gefahren?

„Wie lange machst du noch? Wir wollten doch gleich noch zum Kindergarten“, wollte er wissen.

„Ich will noch schaun, was sie in der Werkstatt gemacht haben, dann bin ich ganz dein!“, grinste der Ältere ihn an.

„Willst du mit reinkommen?“

„Nee, ich warte am Impala. Dann beeilst du dich auch.“

„Das musst du grade sagen“, stichelte der Blonde und ging in die Werkstatt.
 

Keine Stunde später standen sie in Eingangsbereich des Kindergartens.

Sam hatte kaum den Finger von der Klingel genommen als ihnen eine junge Frau öffnete.

Interessiert blickte sie ihnen aus großen grauen Augen, hinter einer Brille in fliederfarbenem Rahmen, entgegen.

Dean erstarrte.

Auch Sam kam die Frau wage bekannt vor. Er konnte sie aber nicht einordnen und da sein Bruder hinter ihm stand, konnte er dessen Reaktion nicht sehen und daraus seine Schlüsse ziehen. Doch er musste nicht lange auf eine Antwort warten.

„Mein Name ist Celine Ashcorft. Ich bin die Leiterin des Kindergartens. Was kann ich für sie tun?“, stellte sie sich vor.

‚Celine? Lea?’, verknüpfte Sams Gehirn zwei Namen. Er warf Dean einen Blick zu und wusste, dass er richtig lag.

„Wir sind vom FBI. Wir möchten Ihnen noch einige Fragen stellen. Es geht um die vermissten Kinder“, erklärte Sam ihren Besuch, ohne einen Namen zu nennen.

„Das haben wir doch alles schon der Polizei erzählt!“

„Das glauben wir Ihnen gerne. Aber wir würden uns gerne selbst ein Bild der Lage machen.“

„Und ihre Namen sind?“, hakte sie jetzt nach. Ihre Augen musterten Dean intensiv.

„Wir ermitteln verdeckt“, meldete sich Dean, leicht heiser, endlich auch zu Wort.

„Dean?“, platzte sie fast sofort hervor und starrte ihn böse an. Wie konnte er es wagen hier aufzukreuzen? Gab es keine anderen Agenten die diesen Job hätten machen können?

„Hallo Celine“, er wagte es nicht, sie mit ihrem Spitznamen anzusprechen, den er so gerne verwendet hatte, und von dem sie damals gesagt hatte, dass es aus seinem Mund klang als würde er sie umarmen.

„Dass sie dich beim FBI genommen haben wundert mich, so unzuverlässig wie du bist!“, giftete sie ihn an.

„Es tut mir leid. Ich …“

„Es ist mir egal, Dean. Ich bin glücklich verheiratet und habe zwei Töchter, von denen eine nächstes Jahr in die Schule kommt.“

„Das freut mich für dich!“

Sie nickte nur knapp.

„Ich schau mich mal um, Sam“, sagte der Ältere und beeilte sich aus der Reichweite seiner ersten wirklichen Liebe zu kommen. Er wollte nicht noch länger  in ihrer Nähe sein. Er hatte für heute genug Frauen mit Frauen zu tun gehabt, die ihn nicht mehr mochten. Und es tat weh, dass sie ihn so hatte abblitzen lassen, aber er konnte sie verstehen und er freute sich für sie, dass sie eine eigene Familie hatte. Davon hatte sie schon damals immer wieder gesprochen. Aber sein Leben war nun mal nichts für Frau und Kinder auch wenn er damals, für ein paar Monate, diesen Gedanken gar nicht so abwegig fand.

Er warf einen Blick in den ersten Raum an dem er vorbeikam.
 

„Sam?“, fragte Lea irritiert. „Der kleine Sammy?“

Sam nickte lächelnd.

„Du bist auch beim FBI?“

Er zuckte mit den Schultern:“ Das Rumziehen scheint uns im Blut zu liegen.“

Jetzt war sie es, die nickte.

„Es hat ihn damals schwer zu schaffen gemacht, dass er sich nicht mal von dir verabschieden konnte“, versuchte Sam zu erklären.

„Er hätte anrufen können!“

„Das hat er bei der ersten Gelegenheit getan, die sich ihm bot. Aber dein Vater hat ihn ziemlich unfreundlich abgewimmelt.“

„Er hat ihn nie gemocht“, sagte sie leise und ein trauriger Schimmer schlich sich in ihre Augen. Sie holte tief Luft und straffte sich.

„Celine?“, fragte der Winchester mitfühlend.

„Meine Eltern sind keine sechs Monate, nachdem ich die Schule abgeschlossen hatte, bei einem Unfall ums Leben gekommen. Sie hatten mir etwas Geld hinterlassen und so konnte ich mein College beenden, doch für ein Studium hat es nicht mehr gereicht.“ Lea wusste nicht mal, warum sie ihm das erzählte.

„Das tut mir leid“, sagte Sam.

„Ist schon gut, ich arbeite in der Schule weiter als Schwester und hier als Erzieherin und es macht mir wirklich Spaß. So genug geplaudert. Was möchtest du von mir wissen?“

Sam holte seinen Block hervor und begann damit ihr Fragen zu stellen.
 

Leider konnte auch sie ihm nicht mehr sagen, als das, was er schon von den Eltern erfahren hatte und ob sich hier Spielzeug fast wie von allein bewegte, war bei den vielen Kindern wirklich nicht festzustellen.

„Vielleicht sehen wir uns noch einmal“, verabschiedete sich Sam an der Tür.

„Leb wohl, Sam“, sagte sie und warf noch einen Blick auf den schwarzen Wagen am Straßenrand und auf den Fahrer, der hinter dem Lenkrad saß. Dann schloss sie die Tür wieder.
 

„Sie hat auch nichts Ungewöhnliches festgestellt“, sagte der Jüngere nachdem er die Tür geschlossen hatte.

„Ich hab auch nichts gefunden“, antwortete Dean frustriert.

Schweigend fuhren sie zu Portlands Frau. Einer zierlichen, am Boden zerstörten Person, die sich nicht erklären konnte, warum ihr Mann verschwunden war, und die Sam anschaute, als wäre er nicht ganz bei Trost, als er sie fragte, ob sich hier seltsame Dinge ereigneten.
 

Im Motel verzog sich der Ältere mit einem Sixpac Bier auf sein Bett und zappte unmotiviert durch die Programme. Er hatte genug von diesem Fall! Nicht genug, dass er jeden Tag irgendwelchen Verkehrsnieten das Fahren beibringen sollte, bei denen er sich sicher war, dass es für alle besser wäre, wenn die nie mit vier Rädern auf der Straße unterwegs sein würden, nein, er musste auch noch auf seine erste Freundin treffen. Aber das Schlimmst war, dass sie wieder einen Tag verloren hatten, denn sie hatten nichts! Sie waren noch keinen Schritt weitergekommen bei ihren Ermittlungen.

Wenigstens war noch kein weiterer Schüler verschwunden.
 

Unsicher stand Sam im geöffneten Tor zur schuleigenen Werkstatt. Sie waren schon vier Tage hier und er hatte Dean noch nie in seinem Refugium besucht. Meist hatten sie sich auf dem Parkplatz getroffen, oder er wollte nicht mit, wie zwei Tage zuvor, als Dean ihn quasi eingeladen hatte. Aber heute hatte er eher frei, und warum sollte er seinem Bruder nicht mal beim Unterrichten zusehen?

Suchend schaute er auf die drei Wagen, die mit geöffneten Motorhauben dastanden.

Mehrere Schüler wuselten um diese herum, nur Dean konnte er nirgends sehen.

„Zu wem möchten Sie?“, wollte ein Mädchen wissen.

Sam musterte sie erstaunt. Ein Mädchen in der Werkstatt?

„Mr. MacNab.“

Mental versetzte er sich eine Ohrfeige. Wieso erstaunte ihn ein Mädchen in einer Werkstatt? Jo jagte wie Dean und er! Frauen flogen in das Weltall! Warum dann nicht auch eine Werkstatt?

„Er ist bei dem Wagen da hinten“, deutete sie auf den hintersten Wagen.

„Danke“
 

„Hey!“, grüßte Sam.

„Schon fertig?“

„Ja, ich hab Schluss für heute. Wie lange machst du noch?“

„´Ne halbe Stunde, denke ich. Ich will noch wissen, ob hier wirklich nur der Zahnriemen gerissen ist, oder ob der Motor doch was abbekommen hat. Klingt nicht so, wäre aber durchaus normal.“

„Okay, dann komm ich nachher noch mal wieder. Ich gehe in die Bibliothek, falls du eher fertig bist und mich suchen solltest.“

„Willst du Giles besuchen?“

„Giles?“

„Buffy?“

„Du guckst zu viel Fernsehen!“

„Sie war niedlich und eine Kollegin! Auch wenn vieles in der Serie nicht der Wahrheit entsprach.“

„Dann grüße ich mal Giles von dir!“, sagte Sam und verließ die Werkstatt wieder.

Dean grinste seinem Bruder hinterher. Sam würde auch ohne den englischen Bibliothekar da versacken.

Erinnerungen tun weh

132) Erinnerungen tun weh
 

Nachdem Sam die Werkstatt verlassen hatte, hatte Dean seine Schüler nach Hause geschickt, war im Motorraum des Hondas abgetaucht und hatte die Zeit vergessen.

Zweieinhalb Stunden später kam er grinsend in die Bibliothek. Kurz schaute er sich um und fand seinen Bruder im letzten Gang am Tisch neben dem großen Bücherregal sitzend.

Dean grinste.

„Hey, Sammy. Dein alter Platz?“

„Das weißt du noch?“

„Ich kenn jede deiner Schrammen und ich weiß wo du sie dir geholt hast. Wieso sollte ich das nicht mehr wissen?“

„Ich…“ Sam zuckte mit den Schultern. Was sollte er auch dazu sagen. Nur manchmal fragte er sich, ob eine Mutter das von ihren Kindern auch noch alles wüsste.

„Giles schon gefunden?“

Sam verdrehte die Augen. Dean würde sich wohl nie ändern.

„Lässt du mich das hier noch fertig lesen?“, fragte er statt dessen Frage zu kommentieren.

Dean nickte und schlenderte, leise Metallica vor sich hinsummend, durch die Regalreihen.

„Dean! Lass das!“, zischte Sam genervt.

„Was? Wir sind hier alleine, Sammy!“

„Nicht ganz“, antwortete eine Stimme und gleich darauf kam die dazugehörige Person, mit Büchern bepackt, aus dem kleinen Büro.

„Schön dass sich unsere neuen Kollegen nach so kurzer Zeit schon so gut verstehen“, sagte er und musterte die jungen Männer eingehend. Er hatte nicht alles mitbekommen, was sie eben gesagt hatten, aber für ihn klang das nach mehr als nur Kollegen, nach viel mehr! Doch er sagte nichts. Warum auch?

Sie hatten unterschiedliche Namen und vielleicht waren sie einfach nur zusammen aufgewachsen und hatten denselben Weg eingeschlagen. Oder sie waren ein Paar. Doch auch das ging ihn nichts an.
 

„Wir sind ja gewissermaßen Leidensgenossen“, grinste Dean nach einer Schrecksekunde, „außerdem wohnen wir im selben Motel.“

„Welch toller Zufall“, sagte der Mann und schenke ihm ein Lächeln. Wohl doch ein Paar.

Danach plauderte er weiter: „Ich hatte mal einen Schüler der Dean hieß. Und der hatte, soweit ich weiß, einen kleinen Bruder, den er Sammy nannte und auf den er jeden Tag am Schultor gewartet hat.“

Überlegend musterte der Mann seine neuen Kollegen.

Die wechselten einen kurzen Blick.

„Aber wie dem auch sein, das ist lange her. Wie steht es um meinen Wagen?“, wechselte der Lehrer das Thema.

„Sie hatten Glück, Mr. Alonso. Es ist wirklich nur der Zahnriemen gerissen. Wenn der morgen mitkommt, dann haben sie ihr Auto morgen Abend wieder.“

„Das klingt toll. Trudy, meine Frau, war ziemlich genervt, dass sie mich chauffieren musste und nicht wirklich angetan davon, dass ich den Wagen hier in die Werkstatt gebracht. Aber zu Ihnen hab ich Vertrauen“, sagte er und lächelte Dean an.

Der Winchester starrte ihn mit großen Augen an. Er zwang sich zu einem Lächeln.

„Wollen sie noch lange hier bleiben?“, wandte sich Mr. Alonso dann an Sam.

„Nein, ich bin fast fertig.“

„Gut, dann komme ich gleich nochmal wieder und schließe ab.“ Gleich darauf war der Lehrer durch die Tür verschwunden.

Sam schaute sich nach seinem Bruder um, doch Dean war zwischen den Regalreihen verschwunden.

Wusste Alonso wer er war? Wieso hatte er sich eigentlich gemerkt, dass er am Tor immer auf Sam gewartet hatte und woher wusste der das überhaupt? Er war doch nur einer von unzähligen Schülern, die Alonso inzwischen gehabt haben musste!

Und wenn der ihn wirklich erkant hatte, wann würde er ihn auffliegen lassen und was hatte das für ihren Fall zur Folge?

Dean schüttelte den Kopf. Damals war er ein Lehrer gewesen, der auch mal unkonventionelle Wege ging.

Vielleicht war er das auch heute noch.

Er würde versuchen den Fall, soweit er konnte, durchzuziehen. Wenn sie doch noch enttarnt werden würden, konnte sie sich immer noch Gedanken machen, wie es weiter gehen sollte.

Langsam ging er wieder zu Sam.

„Kennst du den Mann?“, wollte der auch sofort wissen.

„Ja! Und jetzt lass uns hier verschwinden.“

„Wieso hast du nichts gesagt, Dean?“, fragte der Jüngere mit leicht vorwurfsvollem Ton.

„Du hast nicht gefragt! Du wolltest hierher und da selbst dir klar sein müsste, dass wir für unsere Verhältnisse eine Ewigkeit hier waren, hättest du dir auch denken können, dass vielleicht noch der eine oder andere Lehrer da ist, bei dem ich Unterricht gehabt hatte. Es sind erst zwölf Jahre vergangen.“

Sam nickte nur, las seinen Text fertig und beeilte sich dann, das Buch wieder an seinen Platz im Regal zu stellen.

Er hatte nicht wirklich darüber nachgedacht und für ihn hatte dieses Thema auch nicht zur Diskussion gestanden. Er war damals noch auf der Junior High und hatte noch ein Jahr vor sich.

Schnell verschwanden sie aus der Bibliothek und gingen zum Impala.
 

„Was hattest du bei ihm?“, wollte Sam interessiert wissen, kaum dass Dean vom Parkplatz fuhr.

Deans Sozialkompetenzen waren schon damals mangelhaft. Nicht dass der Lehrer ihn in schlechter Erinnerung hatte und sie jetzt im Auge behielt. Das würde ihre Arbeit nur erschweren.

„Mathe, Chemie und Physik“, antwortete er und bog auf den Highway ab.

„Aber Alonso unterrichtet in Physik und Chemie nur den Leistungskurs!“, platzte der Jüngere hervor.

„Oder hat er damals…“

„Ich weiß!“, unterbrach Dean ihn.

„Dean, du…“

„Ich dachte du willst hier einen Fall lösen. Ist es dann nicht egal, welcher Lehrer welches Fach unterrichtet oder hast du Alonso oder einen der anderen Lehrer schon als Verdächtigen ausgemacht?

Dann könnten wir uns die Fragereien nämlich sparen!“

„Ich hab … Nein, ich hab keinen Lehrer als Verdächtigen ausgemacht. Ich dachte nur…“ Ein wütender Blick Deans ließ ihn endgültig verstummen. Was war mit seinem Bruder? Warum reagierte er so gereizt, wenn es um diesen einen Lehrer ging? Oder weitete sich das auch noch auf andere Lehrer aus?

Deans Gedanken wanderten zurück.

Mr. Alonso war einer der wenigen Lehrer seines Schullebens gewesen, die es je verstanden hatten ihn zu fesseln und zu fordern. Sein Unterricht hatte Spaß gemacht und es fiel ihm leicht. Wie alle Naturwissenschaften und Sport und Mechanik. Der Gesundheitskram war wichtig für seinen Job, da hatte er auch noch aufgepasst, genau wie in Geographie, solange es die USA betraf. Latein war für sie eigentlich auch wichtig. Doch das war für ihn eher einschläfernd langweilig gewesen. Außerdem war er da noch davon ausgegangen, dass er ja immer mit Sammy jagen würde und der war in Latein ein Ass.
 

„Dean?“, hakte Sam etwas lauter nach. Sie standen inzwischen auf dem Parkplatz vor dem Motel aber sein Bruder machte keine Anstalten aussteigen zu wollen.

Der Blonde schaute ihn irritiert an.

„Träumst du?“

„Nein, ich…“, begann er und schaute sich um. Scheinbar fand er den Weg hierher noch immer blind. Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht.

Schnell stieg er aus und folgte seinem Bruder.

Ungehalten warf er sich auf sein Bett. Dieser ganze Fall nervte ihn. Nicht nur, dass ihn an fast jeder Ecke Erinnerungen überfielen, die er nicht haben wollte, sie waren auch schon fast eine Woche hier und hatten nichts Greifbares.

Blitzschnell schoss sein Arm zur Seite und seine Hand schloss sich um seinen Laptop, der bei seiner Aktion ins Rutschen gekommen war und auf den Boden zu fallen drohte.

Sam sah zu seinem Bruder und verstand dessen Gereiztheit nicht. Was hatte Dean nur?

Er schaute noch einmal den Stapel Blätter durch auf denen jeweils ein Foto und alle Informationen jedes Vermissten standen.

„Okay, Sam, was haben wir?“ Dean hatte seine schlechte Laune herunter geschluckt. Sein Bruder konnte nichts dafür und je eher sie den Fall beendeten umso schneller kamen sie hier weg und er von seinen Erinnerungen los.

„Nichts was einen Zusammenhang erkennen lässt“, überlegte der Jüngere und stapelte seine Blätter neu.

„Drei der verschundenen Schüler waren neu in der Schule. Sie hatten noch keinen Anschluss.

Solche wie du, Dean. Du hast auch immer alleine gegessen!“

Der Blonde verdrehte die Augen. Sam konnte es einfach nicht lassen darauf rumzureiten. Schon als Kind hatte er ihn immer wieder gefragt, warum er sich keine Freunde suchte, so wie Sam es immer wieder machte. In der Beziehung waren sie komplett verschieden. Oder auch nicht. Sam hatte es jedes Mal wieder weh getan, wenn sie weiter zogen und er hatte dieses Problem umgangen, indem er sich gar nicht erst um Freunde bemühte. Er fand es so einfacher. Worüber sollte er mit Freunden auch sprechen? Die Jagd? Wohl nicht!

„Ich hab doch auch immer Anschluss gefunden. Warum hast du nie versucht Freunde zu finden. Warum Dean?“, bohrte der Jüngere nach.

„Ich war von Anfang an immer nur der Neue. Dads Training ließ kaum Zeit Freundschaften aufzubauen oder überhaupt jemanden kennenzulernen. Und warum auch. Sollte ich sie in unser schäbiges Motel mitbringen? Später hab ich es gar nicht mehr versucht. Außerdem hatte ich dich und Dad. Die Familie war wichtiger als Freunde! Und da waren ja noch die Mädchen.“

Sam schluckte. „Aber ich hab doch auch immer Anschluss gefunden. Und hier hätte selbst für dich die Zeit für Freunde ausgereicht!“ Den letzten Satz überging er einfach.

„Du warst wirklich schwierig in der Zeit, Sammy. Ich meine, ich wusste wie sehr es dich getroffen hat, dass du ein Jahr wiederholen musstest und ich hätte dir gerne mehr geholfen. Aber ohne das ich die dreimal in der Woche in der Werkstatt arbeiten gegangen wäre, hätte ich unsere Kreditkartenbetrügereien ausweiten müssen, noch mehr stehlen oder wir wären überhaupt nicht um die Runden gekommen. Das Geld hat ja trotzdem kaum gereicht. Ich hätte mich vierteilen müssen.“ Der Blonde grinste traurig und sprach dann weiter. „Meine Hausaufgaben hab ich gemacht, während ich auf die gewartet hab, oder gar nicht. Arbeiten, Training, deine Hausaufgaben und mit dir üben. Dads Sonderaufgaben.“

„Sonderaufgaben?“ Sam hatte nie Sonderaufgaben bekommen und er wusste auch nicht, dass Dean außer zusätzlichem Training, wenn er mal wieder im Unterricht geschlafen hatte, und das hatte der oft, Sonderaufgaben bekommen hätte.

„Er hat mir immer mal wieder irgendein Buch gegeben und dann erwartet, dass ich die wichtigsten Infos rausfiltere, bis er wiederkam. Ich hab es gehasst!“

„Deswegen ließt du nichts mehr?“, wollte der Jüngere geschockt wissen. Dad hatte sowas mit ihm nie gemacht. Aber er war auch, kaum dass er einen Computer bekommen hatte, durchs Internet gesurft und hatte da jede Menge Informationen gefunden.

„War nicht so schlimm. Du hattest nachts wieder vermehrt Albträume, da konnte ich lesen.“

Dean grinste traurig. Er stand auf. Er brauchte jetzt Bewegung und Abstand.

„Ich hol uns was zu Essen“, sagte er, griff nach seiner Jacke und verschwand durch die Tür.
 

Lange stand er neben dem Impala und starrte blicklos über den Parkplatz.

Immer mehr ungewollte Erinnerungen kamen durch diesen Fall an die Oberfläche. Auch das richtige Lesen lernen, wie John es genannt hatte fiel darunter. Kaum dass er flüssig lesen konnte hatte sein Vater alle möglichen Bücher, selten wirklich kindgerecht, angebracht und ihm Abschnitte markiert, aus denen er dann das seiner Meinung nach Wichtigste herausfiltern sollte. Selten hatte er das, Johns Meinung nach, Richtige gefunden und so war seine Freude darüber endlich die Bücher lesen zu können, die Mom ihm immer vorgelesen hatte, sehr schnell wieder verflogen. Natürlich hatte er später auch noch gelesen, einfach um Zeit totzuschlagen. Vonnegut mochte er ganz gerne. Schlachthof 5. Dean lächelte „So ist das…“

Das einzige Buch, bei dem er sich immer geweigert hatte auch nur einen Satz nach Johns Methode zu lesen, war Puh-Bär gewesen. Die Abenteuer im Hundertmorgenwald hatte Mom ihm zu Einschlafen immer wieder vorlesen müssen und dieses Buch hatte er sich nicht zerstören lassen wollen.

Jedes Mal wenn John damit ankam hatte er die Arme vor der Brust verschenkt und behauptet, die einzige Information, die aus diesem Buch zu filtern sei, wäre die, dass der Bär blöd wäre. Und jedes Mal hatte er sich bei dieser Behauptung gefühlt, als hätte er Mom verraten.

Und Sam hatte er vorgelesen, bis der Kleine das selbst konnte.

Noch einmal holte er tief Luft und schob diese Erinnerungen zur Seite. Endlich stieg er in den Wagen und fuhr zum nächsten Diner.

Dir Geschichte einer Kamera

133) Die Geschichte einer Kamera
 

„Und wie soll es jetzt weiter gehen?“, fragte Dean als er diverse Schachteln, in denen sich ihr Abendbrot befand, auf dem Tisch verteilte.

„Unsere üblichen Verdächtigen können wir wohl ausschließen. Du hast keine Anzeichen für Geister und Dämonen gefunden und ich habe außer verschwundenen Essen und zerwühlten Betten auch keinen handfesten Hinweis. Und selbst das steht ja nicht fest.“

Dean nickte kauend. Soweit war er mit seinen Überlegungen auch schon gekommen.
 

„Könnte es sich um einen Fluch handeln? Oder um schwarze Magie?“, überlegte der Jüngere.

Dean schüttelte sich: „Schon wieder Hexen!“

„Wie hatten lange nicht mehr mit Hexen zu tun.“

„Jedes Mal ist ein Mal zuviel.“

„Es könnte auch ein verhexter Gegenstand sein“, gab Sam zu bedenken.
 

„Dann werde ich mir mal die Schülerdateien der letzten Jahre anschauen. Vielleicht fällt mir ja spontan etwas auf“, sagte Dean begann sein Geschirr in die Spüle zu räumen. Er setzte eine neue Kanne Kaffee auf und machte es sich dann mit seinem Laptop auf seinem Bett so gemütlich wie möglich.

Sam beobachtete seinen Bruder eine Weile.

Die Kaffeemaschine spukte die letzten Tropfen in die Kanne.

Der Jüngere verteilte den Kaffee in ihre Tassen und tauchte dann im Internet ab.
 

„Sie können Ihren Wagen heute Abend mitnehmen. Der Zahnriemen ist eben gekommen und ich werde ihn nachher noch einbauen“, hielt Dean den Alonso auf, der gerade in seine Klasse gehen wollte.

„Sie retten meine Ehe“, lachte der.

„Wie lange sind sie heute da?“, fragte der Winchester.

„Ich denke, vor fünf werde ich hier nicht rauskommen.“

„Also bis dahin habe ich ihn auf jeden Fall fertig.“

„Schon mal im Voraus: Vielen Dank!“

Dean nickte und beeilte sich zu seinem nächsten Fahrschüler zu kommen. Auf diese Stunde freute er sich sogar. Leider würde das seine letzte Fahrstunde mit dem Jungen sein. Er hatte nachher auch gleich seine Prüfung und so gut wie der fuhr, würde er die auch ohne Probleme bestehen.

Dean wünschte sich mehr solche Fahrschüler.
 

„Sie sind doch für die Werkstatt zuständig?!“ Eine schwarzhaarige junge Frau vertrat ihm den Weg.

„Und?“, fragte er und versuchte sich an ihr vorbei zu drängen.

„Mein Auto klingt komisch!“

„Die Werkstattzeiten sind ab zwölf Uhr“, erklärte Dean unfreundlich.

„Aber ich will, dass Sie sich den Wagen jetzt ansehen!“

„Ich habe jetzt einen Fahrschüler, den ich wegen Ihnen nicht warten lassen werde, also stellen Sie Ihr Auto entweder vor die Werkstatt und kommen nach zwölf wieder oder Sie suchen sich jemand anderes, der Ihren Wagen repariert.“

„Ich habe heute Nachmittag ein Date!“

„Können Sie sich vorstellen, dass mir das so ziemlich egal ist Ms…?“

„Melinda Stark. Ich bin die Schulsprecherin!“, erklärte sie in einem Ton, der ihm deutlich zu verstehen gab, dass er sie zu kennen hatte.

Dean verdrehte die Augen. Noch so eine arrogante Ziege, die meinte sie wäre die Größte. Hatten die sich in den letzten Jahren vermehrt oder waren ihm solche Frauen zu seiner Zeit nicht aufgefallen?

„Auch das ist mir im Moment reichlich egal, Ms. Stark. Aber als Schulsprecherin sollte Ihnen das Wohl der Schüler am Herzen liegen, und deshalb lassen Sie mich jetzt zu meiner Stunde gehen.“

Schnell hatte er sich an ihr vorbeigedrängt und verließ mit langen Schritten das Gebäude.
 

„Ich bin aufgehalten worden“, erklärte Dean bedauernd, als er endlich am Fahrschulwagen ankam. Der Junge nickte verstehend.

„Lassen Sie uns zu Ihrer letzten Stunde aufbrechen, Mr. Jones. Der Prüfer kommt in einer Stunde und ich denke wir üben alles noch einmal.“

Wieder nickte der Schüler, schob seine Brille zurecht und stieg ein.

Dean verdrängte Melinda vollständig aus seinen Gedanken.
 

Drei Stunden später stand Dean in der schuleigenen Werkstatt und schaute in die erwartungsvollen Gesichter von sechs Jungen und einem Mädchen. Beiläufig hatte er beim Hereinkommen registriert, dass kein weiteres Auto auf dem Parkplatz der Werkstatt stand. Also hatte sich Melinda wohl anderweitig umgesehen.

„Dann los. Die Ersatzteile sind da und jeder weiß was er zu tun hat. Wer hilft mir?“

Sofort traten drei der Schüler vor.

„Wenn wir mal einen Monstertruck hier haben, dann sollte das mit euch wohl klappen, aber in dem Honda können nun wirklich keine vier Mann arbeiten.“

Die Drei grinsten sich an und dann trat der Kleinste, Garcia, noch einen Schritt vor. Dean nickte.

„Also los!“, sagte der Winchester. Er musste hier keinem sagen, was er zu tun hatte. Er ließ er sie machen. Nur hin und wieder kamen sie mit Fragen zu ihm.

Hier fühlte er sich wohl, viel wohler als bei den Meisten diesen Fahrstunden. Hoffentlich hatten sie den Fall bald gelöst und konnten weiter ziehen. Er wollte hier wirklich nicht länger verweilen als unbedingt notwendig. Und Lehrer wollte er auch nicht werden. Er hatte es vorher schon nicht gewollt, jetzt wollte er das auf keinen Fall.
 

Zurück in ihrem Motelzimmer ließ sich Dean auf sein Bett fallen.

„Wochenende! Was haben wir heute Abend vor?“, wollte er wissen und schaute Sam erwartungsvoll an.

„Der Lösung unseres Falls einen Schritt näher kommen?“

„Du bist so eine Spaßbremse, Sammy! Hast du auf dem College auch immer nur an die Arbeit gedacht?“

Auf diese Spitze reagierte der Jüngere schon gar nicht mehr. Dean stichelte deswegen ja schon seit Jahren. Er klappte seinen Laptop auf und machte sich daran, in den Zeitungsarchiven nach ungewöhnlichen Vorkommnissen und weiteren Vermissten zu suchen.

Der Ältere wartete noch einen Augenblick auf eine Antwort, doch als die nicht kam, nahm auch er sich seinen Laptop und begann die Fotos einer weiteren Klasse unter die Lupe zu nehmen.
 

Kurz vor zehn klappte Dean seinen Laptop zu, griff nach seiner Jacke und rannte schon fast zur Tür.

„Ich muss hier raus“, nuschelte er und schon war er verschwunden.

Sam schaute seinem Bruder kopfschüttelnd hinterher. Er hatte sich schon gewundert, wie lange der hatte stillsitzen können und wandte sich dann wieder seinen Recherchen zu.
 

Der ältere Winchester kurvte eine Weile ziellos durch Richmond Hill. Doch auch das beruhigte seine angespannten Nerven nicht. An der nächsten Bar hielt er an und ging hinein.

Er wollte sich nicht betrinken, aber ein oder zwei Bier und einen Whiskey mussten jetzt einfach sein, sonst würde er hier noch ausflippen.

Er suchte sich einen Platz an der Theke und bestellte sich sein erstes Bier.

Schnell hatte er das Glas geleert. Es war wie eine Befreiung von diesem Lehreralltag. Er orderte sich das zweite Glas Bier und einen Whiskey.
 

Langsam drehte er das Glas zwischen seinen Händen und inhalierte das leicht rauchige Aroma der goldenen Flüssigkeit.

Wie konnte jemand nur so leben? Jeden Tag das gleich tun? Um acht ins Büro und um fünf wieder nach Hause. Und dann? Frau, Kinder? Gut, so würde etwas Abwechslung in das eintönige Leben kommen und wenn man das nicht hatte? Nein! Er wollte nicht sesshaft werden. Oder zumindest nicht so.

Aber wenn sie vielleicht bei Bobby wohnen und von da aus operieren könnten? Nebenbei könnten Bobby und er eine florierende Werkstatt aufbauen. Sammy macht die Buchhaltung. Dann könnte der Kleine auch wieder studieren. Vielleicht sollte er seinem Bruder den Vorschlag mal machen, immerhin fühlten sie sich beide bei Bobby wohl und der würde sich bestimmt auch freuen.

Er trank einen Schluck von seinem Whiskey.

Müde rieb er sich über sein Gesicht. Er wusste nicht mehr, was er wirklich wollte. Auf der einen Seite war das hier sein Leben. Er war Jäger seit er denken konnte, aber er sah auch die Gefahr in der sie mit jedem neuen Fall lebten und wenn es für Sam ein anderes Leben gab?

NEIN! Seine Gedanken drehten sich im Kreis.

Er kippte den Rest seines Whiskeys hinunter. Sie sollten den Fall hier endlich abschließen und weiterziehen, bevor er noch vollkommen durchdrehte.

Aus dem Augenwinkel sah er eine zierliche Gestalt zu den Toiletten huschen, die ihm wage bekannt vorkam. Die Toilettentür im Auge behaltend nippte er an seinem Bier.

Zehn Minuten kam Melinda Stark durch die Tür.

„Ich glaube nicht, dass das hier ein Ort für eine Schulsprecherin ist“, hielt er sie auf.

„Mr. Mac … Nab?“, stotterte sie. „Das geht Sie gar nichts an! Ich …“

„…wollte gerade nach Hause gehen!“, beendete er ihren Satz.

„Nein, eigentlich…“

Ein strenger Blick Deans brachte sie zum Schweigen. Sie nickte.

„Ich wollte eh gerade gehen! Ich muss nur noch meine Kamera holen“, sagte sie schnippisch und stöckelte zu einem Tisch, an dem mehrere junge Männer mit ihren Freundinnen saßen.
 

Dean musterte die jungen Leute, doch er hatte noch niemanden von ihnen gesehen.

Innerlich gab er sich eine Ohrfeige. Was ging es ihn an, was die Kleine in ihrer Freizeit trieb. Er war nicht ihr Lehrer. Und wenn sie ihren Wagen nicht in die Werkstatt gebracht hätte, dann würde er sie nichtmal kennen. Aber er kannte sie und wer weiß, wer hier noch rum saß. Besser er schickte sie nach Hause. Außerdem fand er eine gewisse Befriedigung darin, ihr den Abend zu vermasseln. Was musste sie ihn auch so angiften!

Wütend funkelte sie ihn an, als sie an ihm vorbei zur Tür stöckelte.

Deans Blick streifte das Behältnis, in dem sich wohl die besagte Kamera befand und er fragte sich kurz ob das Teil überhaupt noch funktionierte und warum sich heute noch jemand mit so einem offensichtlich historischen Teil beschäftigte. Dann schlug die Tür hinter ihr zu und er wandte seine volle Aufmerksamkeit wieder seinem Bier zu.
 

Sam rieb sich seinen schmerzenden Nacken.

Er hörte den Impala auf den Parkplatz kommen und gleich darauf öffnete sein Bruder die Zimmertür und blickte ihn erwartungsvoll an.

„Ich bin keinen Schritt weiter!“, sagte der Jüngere frustriert. „Es sind einfach zu viele von unseren Gegnern möglich.“

Dean nickte nur kurz und begann sich auszuziehen.

„Geh ins Bett Sam, morgen ist auch noch ein Tag.“
 

„Mir ist gestern in der Bar Melinda Stark über den Weg gelaufen“, erzählte Dean beim Frühstück.

„Und?“, Sam überlegte, wo er den Namen schon mal gehört hatte.

„Sie ist Schulsprecherin!“, versuchte der Ältere den Ton zu treffen, mit dem sie ihn über ihren Status belehrt hatte.

„Und?“ Was fand sein Bruder daran erwähnenswert?

„Sie wollte gestern Vormittag ihr Auto gemacht haben“, erzählte Dean weiter. „Aber das meine ich nicht. Ich hab mich nur gewundert. Sie hatte gestern Abend eine uralte Kamera dabei. Zumindest sagte sie, dass es eine Kamera wäre und ich frage mich warum ein so junger Mensch eine solche Kamera überhaupt für beachtenswert findet. Nein, eigentlich frage ich mich, was an der Kamera ist, das sie für beachtenswert hält. Sie ist einfach nicht der Mensch der sich mit solchen Dingen umgeben würde!“

Sam schwieg, doch auf seiner Stirn bildete sich eine steile Falte, wie immer wenn er über etwas nachdachte. Was hatte Dean bewogen ihm das zu erzählen? Sein Bruder hatte ein untrügliches Gespür für Dinge die nicht zusammen passten und ihnen damit schon oft, wenn auch unbeabsichtigt, einen Weg zur Lösung ihres Falles gewiesen. Könnte das auch dieses Mal so sein? Merkwürdig war es auf jeden Fall, da hatte er Recht. Warum schleppte ein Teenager eine historische Kamera mit sich herum?

Was wusste er über Kameras?

„Ich hab irgendwo mal was von einer alten Kamera gelesen“, begann er zögernd, „Soweit ich mich erinnern kann eine Kodak. Angeblich die 666. ihrer Baureihe.“

Dean trank schweigend seinen Kaffee und wartete was sein Genie noch so aus den Tiefen seines unergründlichen Gehirns, oder des Internets, zaubern würde.

Sam tippte unterdessen auf den Tasten seines Laptops herum.

„Hier hab ich es“, verkündete er nach einer Weile.

Dean goss ihnen Kaffee nach.

„Also. Diese Kamera soll 1918 ein Hochzeitsgeschenk für Martha und Joseph Oventhrope gewesen sein. 

Es wurde später gemunkelt, dass die Kamera die Seelen der Fotoobjekte rauben konnte.

Ich weiß nicht ob da was dran ist. Aber die Oventhropes sollen ihr Leben lang jung und gesund gewesen sein. Hier ist ein Foto, angeblich von 1970.“ Sam drehte den Laptop so, das auch Dean auf den Bildschirm sehen konnte.

„Indianer hatte früher Angst davor fotografiert zu werden, weil sie fürchteten ihre Seele zu verlieren“, überlegte der Blonde und schaute auf den Bildschirm.

„Wenn die 1918 geheiratet haben sollen und das Datum unter dem Bild stimmt, dann ist da wirklich was faul.“ Das Paar war allerhöchstens Mitte dreißig.

„Martha hatte kurz nachdem das Foto gemacht worden ist einen tödlichen Unfall. Danach soll Joseph die Kamera einem Museum vermacht haben. Von dort wurde sie wenige Jahre später gestohlen.“

„Und was ist mit Joseph?“

„Der lag wenige Tage später tot in seinem Bett. Und bevor du fragst, er sah so alt aus, wie ein Mensch mit zirka achtzig aussehen müsste. Hier ist ein kleines Foto von ihm bei seiner Beerdigungsfeier.“

„Ist diese Kamera jemals wieder aufgetaucht?“

„Ich habe nichts dazu gefunden. Und auch sonst nichts, was darauf hindeuten könnte, dass diese Geschichte wahr ist. Die Oventhropes hatten keine Kinder aber jede Menge Geld. Vielleicht hatten sie gute Gene, dass sie so lange so gut aussahen? Und das ein Ehepartner kurz nach den anderen gestorben ist, ist auch nicht ungewöhnlich. Außerdem ist diese Kamera seit Jahren verschwunden. Und wenn es sie wirklich gäbe, dann hätten wir oder irgendein anderer Jäger doch bestimmt schon mal was von ihr gehört.“

Melinda Stark

134) Melinda Stark
 

Dean schaute seinen Bruder über den Rand seiner Tasse an und stand dann träge auf.

„Das heißt also, dass ich mich weiter durch langweilige Schülerfotos klicke.“

„Zumindest bis wir einen weiteren Hinweis finden.“

Dean stöhnte leise, stellte seine Tasse auf seinem Nachttisch ab und warf sich auf sein Bett.

„Sag mal, was war das denn für eine Kamera, die deine Melinda da mit hatte?“ Sam ließ diese Geschichte aus einem unerfindlichen Grund einfach nicht los.

„Keine Ahnung. Ich hab nur die Tasche gesehen, in der sie war. Sie könnte aus der Zeit stammen, wenn in der Tasche wirklich eine antike Kamera war. Vielleicht hatte sie da auch einen modernen Fotoapparat drin. Sie sah nicht so aus, als ob sie Ahnung von solchen Geräten hätte.“

„Seit wann beurteilst du Menschen nach ihrer „Verpackung“?“

Dean schaute seinen Bruder über den Rand seines Bildschirmes abschätzend an.

„Okay, Frauen beurteilst du immer nach ihrer Verpackung!“

„Danke Sam, das brauchte ich jetzt!“. beleidigt starrte Dean wieder auf seine Dateien.

Lange Zeit herrschte, von gelegentlichem Tasten klappern, unterbrochenes Schweigen. Plötzlich schob sich der Blonde von seinem Bett und kam zu Sam.

Er hatte ein Foto auf dem Bildschirm, das eben diese Melinda Stark zeigte.

„Die Frau hat es dir angetan“, frotzelte Sam.

Dean ignorierte die Spitze.

„Mit der stimmt was nicht! Ich hab mir ihre Schulfotos angesehen und auch noch die der Junior-High rausgesucht. Das ist das Aktuelle.“

Langsam ging der Ältere die Fotos durch.

„Also entweder hatte sie mit 14 eine radikale Schönheits-OP oder an ihr ist wirklich etwas nicht normal“, stimmte Sam seinem Bruder zu, nachdem er die Fotos gesehen hatte.

„Niemand wird in einem Jahr vom pickligen, hässlichen Frosch zu einem Schwan. Wir sollten ihr heute Abend mal einen unangekündigten Besuch abstatten!“, freute sich Dean, dass er nicht noch länger Fotos anschauen musste.

Sam nickte.
 

„Wird die eigentlich auch mal fertig?“, stöhnte Dean und ließ das Fernglas sinken. „Hat Jess auch so lange gebraucht?“

„Ich glaube sie hat nicht länger gebraucht als ich“, ließ sich Sam vernehmen.

„Du bist ja auch ein Mädchen!“

„Danke Dean!“, knurrte der Jüngere und blickte wieder durch das Fernglas. Er ärgerte sich, dass er immer wieder auf Deans Sprüche hereinfiel oder ihm solche Steilvorlagen wie vorhin gab. Aber er hatte auch keine Idee, wie er das verhindern könnte.
 

Endlich erlosch das Licht in Melindas Zimmer.

Die Brüder stiegen aus. Schnell hatten sie sich vergewissert, dass das Haus auch sonst verlassen war. Sam knackte die Tür. Schnell durchquerten die Brüder das Erdgeschoss und nahmen die Treppe nach oben. 

Akribisch durchsuchten sie Melindas Zimmer.

Während Dean sich, ohne Spuren zu hinterlassen, durch ihre Schränke wühlte, untersuchte Sam ihren Schreibtisch.

„Dean“, ließ er sich leise aber eindringlich vernehmen. Sofort stand sein Bruder neben ihm.
 

Die Schreibtischunterlage hatte der Jüngere zur Seite geschoben und darunter lagen mehrere Fotos.

Langsam und ungläubig schob Dean diese auseinander. Sie zeigten Jason, Emily und Patrick auf einem Karussell. Erica Vandervoorst kam gerade aus dem Schulgebäude. Sie hatte Bücher auf dem Arm und lachte. 

Der Jüngere verteilte mehrere Schnipsel auf dem Schreibtisch.

„Hat das was zu bedeuten?“, wollte Dean wissen und puzzelte die einzelnen Teile der Bilder zusammen.

Es waren die verschwundenen Lehrer.

„Ich hoffe nicht!, sagte Sam leise. Bislang war Melinda einfach nur eine nervige Schülerin gewesen, jetzt war sie zu ihrer Verdächtigen Nr. 1 geworden.

Die Brüder warfen sich einen langen Blick zu, dann legte Sam die Schreibtischunterlage an ihrem Platz zurück und sie verließen das Haus.
 

Montagnachmittag.

Dean warf einen Blich auf seine Uhr. Sam sollte schon lange hier sein! Er streckte seine verspannten Muskeln. Er rieb sich müde über sein Gesicht und gähnte. Das restliche Wochenende hatten Sam und er im Impala vor dem Haus der Starks verbracht, aber weder Melinda noch ihre Familie waren noch einmal nach Hause gekommen.

Sam hatte die Vermutung geäußert, dass sie vielleicht übers Wochenende weggefahren waren und Melinda dieses „sturmfrei“ ausgenutzt haben könnte. Dann müsste sie aber heute wieder zu Hause sein und sie konnten ihren Fall endlich abschließen und hier verschwinden.
 

Doch jetzt wollte er nur noch ins Bett und ein paar Stunden schlafen. Danach würde er Sam ablösen, der gleich seinen Posten vor Melindas Haus beziehen wollte.

Wieder schaute der Blonde auf die Uhr.
 

Schritte kamen über den Parkplatz. Hohe Ansätze! Also wohl immer noch nicht Sam. Ein kurzes Grinsen huschte über Deans Gesicht, bevor er betont gelangweilt zur Tür schaute.

Melinda Stark betrat Schlüssel schwingend die Werkstatt.

Deans Augen weiteten sich kurz. Er grinste innerlich. Der Berg kam zum Propheten!

„Schauen Sie sich jetzt mein Auto an? Irgendetwas stimmt da immer noch nicht!“, erklärte sie schnippisch.

„Klar, die Fahrerin!“, nuschelte Dean.

Er ging auf sie zu.

„Haben Sie was gesagt?“, fragte sie irritiert.

„Nein!“ Unauffällig umrundete er die Schülerin und versperrte ihr den Weg aus der Werkstatt.

„Was ist jetzt mit dem Wagen?“, fordernd hielt sie ihm die Schlüssel hin.

Dean nahm ihn ihr ab.

„Wenn Sie mir Ihre Kamera geben“, sagte er.

„Was?“

„Die alte Plattenkamera, die Sie ständig mit sich herumschleppen.“

„Ich habe keine Plattenkamera!“

„Und was ist das?“, fragte der Blonde unwirsch und zeigte auf das unverkennbare Lederetui, die aus ihrer Handtasche schaute. Er war müde. Diese arrogante Schnepfe spielte mit Menschenleben. Seine geduld war am Ende. Er wurde wütend.

„Du spielst mit Menschenleben und das werde ich nicht länger zulassen!“

„Woher wollen Sie das wissen?“, giftete sie und versuchte sich an ihm vorbei nach draußen zu schieben.

Der Winchester vertrat ihr den Weg.

„Dann lass mich von dir ein Foto machen!“

„Vergessen Sie es. Mit ihren unegalen Pfoten machen Sie mir noch die Kamera kaputt.“

„Ich kann damit umgehen, keine Angst!“

„Sie fassen meine Kamera nicht an! Niemand macht mir mein Leben kaputt!“, schrie sie hysterisch und wollte aus der Werkstatt rennen.

Dean griff nach der Kameratasche und bekam den Riemen zu fassen. Er zog Melinda zu sich und umfasste ihren Arm.

Hektisch versuchte sie sich zu befreien. Immer wieder boxte sie gegen seinen Oberarm.

„Lass mich los!“, brüllte sie wie am Spieß.

„Vergiss es!“, knurrte der Winchester und griff in ihre Tasche, die noch immer über ihrer Schulter hing.

Ihre freie Hand umfasste ein unscheinbares Plastekästchen, das am Trageriemen hing und zerrte daran. Mit einem leisen Klacken löste sich das Teil aus seiner Halterung.

Hastig fuhr sie herum und sprühte dem Winchester die volle Ladung Pfefferspray ins Gesicht.

Sofort ließ er ihre Tasche los, schlug sich die Hände vors Gesicht und taumelte zur Seite.

Melinda gestattete sich ein kurzes, triumphierendes Grinsen, dann rannte sie zum Werkstatttor…

Und gegen Sam.

Der hatte das Geschrei, das aus der Werkstatt kam gehört und war losgesprintet um Dean eventuell zu helfen.

Er fasste zu und erwischte den Riemen von ihrer Tasche.

Melinda hatte die Bedrohung, die von dem hinzugekommenen Lehrer ausging erfasst und wollte sich losreißen um endlich hier zu verschwinden. Sie musste diese beiden schnellstens loswerden! Sie waren ihr auf die Schliche gekommen. Aber wie?

Egal! Sie mussten verschwinden, doch dafür musste sie hier raus!

Der Riemen riss und ihre Tasche flog samt Kamera im hohen Bogen durch die Werkstatt und landete in der Grube. Ein Klirren folgte dem Aufprall.

Melinda begann hysterisch zu schreien.

Der jüngere Winchester suchte nach seinem Bruder.

„Dean?“, schrie Sam.

„Bin okay!“, krächzte der Blonde und begann zu husten.

Schnell schob der jüngere Winchester die um sich schlagende Frau zu Alonso, der wenige Schritte hinter ihm gewesen war und jetzt die Werkstatt auch betreten hatte.

„Festhalten!“, knurrte er und wollte zu seinem Bruder, der noch immer mit einem Arm vor den Augen an der Wand entlang durch die Werkstatt tapste.

Alonso war so perplex, dass er tat was der Kollege von ihm forderte.
 

Immer wieder versuchte der Blonde seine Lider zu öffnen um sich orientieren zu können. Doch seine Augen brannten und tränten wie verrückt und er bekam sie einfach nicht auf.

Er trat auf etwas, strauchelte, versuchte sich zu fangen und stolperte und ging vor einer Werkbank in die Knie.

Sam rannte zu ihm.

„Die Kamera Sam, zerstör die Kamera!“, brüllte er als er seinen Bruder auf sich zukommen hörte.

„Aber du …“

„Ich bin okay!“

„Verdammte Scheiße Dean, du bist nicht okay!“

„Verdammt noch mal! Tu was ich dir sage Sam!“, knurrte Dean und stemmte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht wieder in die Höhe. Vorsichtig tastete er sich an der Wand entlang zum Waschbecken.

Sam verdrehte die Augen und rannte zum Impala.

Verwundert nahm er aus den Augenwinkeln wahr, dass Alonso die um sich tretende und zeternde Melinda noch immer hielt.

Mit Salz und Benzin kam er zurück. Wenige Augenblicke später ging die Kamera in Flammen auf.

Melinda erstarrte, schlug sich plötzlich ihre Hände vors Gesicht und fiel auf die Knie. Sie begann erneut wie am Spieß zu schreien.

Sam ging zu seinem Bruder, der es inzwischen zum Waschbecken geschafft hatte, und sein Gesicht unter den Wasserstrahl hielt.

„Du solltest zur Krankenstation gehen und das untersuchen lassen“, sagte Sam leise.

„Mir geht’s gleich wieder gut!“

„Ich bring dich jetzt zur Schwester. Keine Widerrede!“

Dean nickte nur, blieb aber noch immer mit dem Gesicht unter dem kühlenden Strahl.
 

Alonso bückte sich zu Miss Stark und wollte ihr aufhelfen.

Er fragte sich, was hier wohl passiert war. Um was für eine Kamera ging es hier und warum musste die zerstört werden? Und warum schrie Melinda als hätte sie sich verbrannt?

Vorsichtig fasste er sie bei der Schulter und zog sie zu sich hoch.

Sie nahm ihre Hände vom Gesicht und schaute ihn aus tränenüberströmten Augen an.

Alonso schrak zurück als er ihr entstelltes Gesicht sah. Sie schielte, ihre Nase wurde von einem Höcker verunziert und ihre Zähne standen schief.

„Was haben sie…“, wandte sich der Lehrer entsetzt an die Winchesters.

Dean versuchte blinzelnd einen Blick auf Melinda zu erhaschen. Es gelang ihm kurz und ein Grinsen huschte über sein Gesicht.

„Das passiert, wenn man sich mit dunklen Mächten einlässt“, erklärte er ohne Mitgefühl und hielt sein Gesicht wieder unter das Wasser.

„Aber ich habe nicht…“

„Die Kamera!“, sagte Sam.

„Die habe ich geschenkt bekommen. Der Mann sagte, sie könnte mein Glück sein. Ich wusste nicht was er meinte, aber ich habe gerne fotografiert und ich liebe alte Kameras. Ich wollte wissen, ob sie noch funktioniert und habe sie ausprobiert. Ich habe die Rosen in unserem Garten fotografiert. Die Bilder waren wunderschön. Ich habe sie in meine Handtasche gesteckt. Plötzlich verloren die Blumen im Garten ihre Farbe. Sie verblassten immer mehr und meine Haut wurde besser. Irgendwann habe ich es bei Allison Chesterfield probiert. Sie war so eine arrogante Ziege, die mich nur herumgeschubst hatte.

Und dann war sie plötzlich verschwunden. Ich habe mir nichts dabei gedacht“, erzählte Melinda schluchzend.

„Nichts gedacht“, schnaubte Dean.

„Erst viel später ist mir ein Zusammenhang aufgefallen.“

„Du hättest aufhören sollen!“, sagte Sam.

„Ich habe es versucht.“

„Und?“

„Es war wie eine Droge. Ich musste immer öfter schöne Dinge fotografieren. Bei Menschen hielt der Effekt am längsten an.“

„Und die Kinder?“, fragte Dean wütend nachdem er sich aufgerichtet hatte.

„Ich war nicht schnell genug, dachte ich könnte es noch etwas hinauszögern. Mein Gesicht hatte sich schon verändert. Die Kinder haben mich gesehen. Ich konnte sie mit dem Wissen nicht herumlaufen lassen!“

„Dein Aussehen ist noch viel zu gut für dich!“, knurrte Dean und verzog das Gesicht. Seine Haut brannte immer stärker und auch die Augen tränten wieder mehr.

„Ich bring dich jetzt zur Schwester“, sagte Sam zu seinem Bruder und setzte sich langsam in Bewegung.

Alonso starrte noch einmal auf die junge Frau, schüttelte dann den Kopf und folgte den Brüdern.

Die schienen zu wissen, wovon hier die Rede war und er wollte wissen worüber sie gesprochen hatten.

Aussprachen

135) Aussprachen
 

Dean hielt sich noch immer den Arm vor seine brennenden, tränenden Augen und ließ sich ohne Gegenwehr von Sam mitziehen.

Vorsichtig bugsierte der Jüngere seinen fast blinden Bruder durch die Tür des Krankenzimmers und schob ihn auf die Liege. Suchend schaute er sich um.

„Kundschaft!“, rief er und grinste.

„Komme gleich“, hörten sie eine weibliche Stimme aus dem Nebenraum. Dean rutschte von der Liege und versuchte zur Tür zu gehen.

„Was wird das?“, hielt Sam ihn auf.

„Auswaschen kannst du es doch auch“, erklärte der Blonde hastig.

In dem Moment kam Celine aus dem Nebenraum und Sam vertrat seinem Bruder komplett den Weg. So einfach kam er hier nicht davon. Wenn sie sich schon nochmal über den Weg liefen, dann war das wohl ein Wink des Schicksals.

„Er hat Pfefferspray abbekommen“, erklärte er auf ihren fragenden Blick hin.

Sie zog einen Stuhl zum Waschbecken und wies schweigend darauf.

Sam schob seinen Bruder auf den Stuhl, dann zog er sich zurück.

„Ich denke ihr wollt noch was klären“, sagte er und verließ den Raum.

Dean schnaubte missbilligend, hielt dann aber so still wie möglich, weil sie damit begonnen hatte, seine Augen zu untersuchen.
 

„Es tut mir leid. Ich meine, irgendwie hatte ich mich auf den Abend mit dir gefreut“, begann er leise und versuchte seine Augen offen zu halten.

Celine wusste sofort, was er meinte: „Es ist eine halbe Ewigkeit her, Dean. Du musst dich nicht entschuldigen. Nicht mehr!“

„Du hättest mich gar nicht erst fragen sollen….“

„Jetzt gibst du mir die Schuld, dass ich alleine dastand?“, fragte sie wütend.

Der Winchester zuckte zusammen, als ihr Griff fester wurde.

„Nein. Es ist meine Schuld. Ich hätte mich einfach nicht von dir überreden lassen dürfen. Ein Abschlussball… Sowas passt nicht in mein Leben!

Ich hatte auf etwas Normalität gehofft, und…“, er brach ab und schwieg. Was sollte er auch dazu sagen. Er hätte sich nie mit ihr einlassen dürfen, genauso wenig wie mit Cassie. Er war einfach nicht für feste Beziehungen geschaffen.

„Was ist damals wirklich gewesen. Ich meine, du warst nicht sonderlich begeistert von der Idee zum Abschlussball zu gehen, als wir uns verabschiedet haben, aber ich hatte von dir doch den Eindruck, das du getroffene Zusagen auch einhältst.“

Dean holte tief Luft, dann begann er langsam: „Ich lag gerade im Bett, als Dad kam. Ich weiß nicht, was passiert war. Er hat uns aus den Betten gescheucht. Wir mussten sofort packen und waren keine Stunde später unterwegs.“

„Und warum? Ich meine du hast nicht erzählt, dass er wiederkommen wollte.“

„John kam, wann er es für richtig hielt, und wir zogen weiter, wenn er es sagte. Er brauchte keinen Grund dafür und es hatte auch keinen Sinn ihm zu widersprechen.“ Er verschwieg, dass er es nicht mal versucht hatte.

Eine Weile schwiegen beide, doch dann musste Celine noch eine Frage los werden, die sie sich lange gestellt hatte, ohne eine Antwort finden zu können.

„Sag mal, du hast mit allem möglichen Mädchen aus der Klasse geschlafen, bevor wir... Warum nie mit mir?“, fragte sie ohne einen Vorwurf in ihrer Stimme.

Dean starrte sie mit großen Augen an.

„Ich mach dir keinen Vorwurf deswegen, ich hab es mir schon denken können, so wie du damals hinter

den Mädchen her warst und sie hinter dir. Aber warum hast du es bei mir nie versucht?“

Der Winchester schaute sie noch immer verwundert an.

„Es war nur Sex. Ich hatte meinen Spaß und sie ihren und das war´s. Du warst anders. Mit dir wollte ich gerne mehr Zeit verbringen und nicht nur eine schnelle Nummer schieben.“

„Und wenn ich gewollt hätte?“, fragte sie mit einem spitzbübischen Grinsen.

„Ich weiß es nicht, Celine. Du warst was Besonderes!“

„Lea“, verbesserte sie ihn leise.
 

Sam stand auf dem Flur vor der Tür und überlegte, was er jetzt machen sollte. Sein Laptop lag im Impala. Er könnte ihn holen und schon mal einige Recherchen zu der Kamera machen. Außerdem sollte er nachsehen, ob sie wirklich vollständig zerstört worden war.

Er drehte sich um und stockte. Vor ihm stand Alonso.

„Was war da gerade passiert?“, fragte der Lehrer fordernd.

„Ich glaube nicht, dass Sie das wirklich wissen wollen“, antwortete Sam.

„Das zu entscheiden sollten Sie mir überlassen. Ich möchte die ganze Wahrheit wissen, bevor ich die Polizei hole. Immerhin haben sie einer Schülerin etwas angetan. Ich weiß nicht was und ich weiß nicht wie, aber sie ist nicht mehr der Mensch, der sie vorher war!“

„Nicht hier“, sagte Sam und schaute sich um.

„Gehen wir in mein Büro, da sind wie ungestört!“

Sam folgte ihm schweigend. Was konnte er erzählen wie viel Wahrheit war unumgänglich?

Er kam zu keinem Ergebnis und als sie die Bürotür hinter ihm geschlossen hatte, begann er einfach in der Hoffnung, die richtigen Worte zu finden.

„Melinda Stark hat mit Kräften gespielt, die sie besser hätte unbeachtet lassen sollen. Vielleicht hat sie die Kamera wirklich nur durch einen Zufall erhalten, aber spätestens als sie merkte, dass sie dafür verantwortlich war, dass Menschen verschwanden, hätte sie die Finger davon lassen sollen. Damit spielt man nicht.“

„Aber eine Kamera macht nur Bilder!“

„Diese wohl nicht!“

„So etwas ist unmöglich!“

„Ich sagte Ihnen doch, dass es Dinge gibt, die Sie nicht wissen wollen!“

Alonso starrte vor sich auf den Boden. Seine Großmutter war eine streng gläubige Katholikin gewesen.

Aber sie war auch Mexikanerin und obwohl sie an Gott und dessen Allmacht glaubte, glaubte sie auch an die alten Götter und an die Macht von Flüchen.

Er hatte als kleiner Junge von ihr immer wieder gesagt bekommen, dass es Mächte gab, die besser unerwähnt blieben und mit denen man sich nicht anlegen sollte. Er hatte das nie wirklich verstehen können, da sie ja auch an Gott glaubte und sich beides in seinen Augen ausschloss.

Er hatte so etwas immer für Aberglauben gehalten, aber etwas in den Augen des jungen Mannes vor sich sagte ihm, dass er nicht weiter daran rühren sollte.

Als Kind hatte er seine Großmutter geglaubt. Auf dem College kam es ihm dann vollkommen irrsinnig vor und doch, den alten Glauben hatte er nie vollständig abschütteln können.

Er würde keine Polizei rufen.

„Was wird jetzt aus Melinda Stark?“, fragte er stattdessen.

„Wir haben mit so vielen Opfern zu tun, die wir zwar von der Bedrohung befreien können. Aber auch diese müssen wir mit der Bewältigung alleine lassen. Einerseits wartet meistens ein neuer Fall auf uns, andererseits sind die meisten Menschen froh wenn wir wieder verschwinden. Wir sind in ihren Vorstellungen viel zu sehr mit dem Bösen verbunden, das wir vertrieben haben.“

Alsonso nickte bedächtig. Er nahm sich vor, am Sonntag in der Kirche für die Seele Melindas und für die beiden jungen Männer zu beten. Sie schienen öfter mit solchen Kräften in Berührung zu kommen.

„Sie und Dean sind Brüder? Sie waren hier auf der Schule, hab ich Recht?“, fragte er dann das, was er schon seit Tagen vermutete. Zumindest MacNab bewegte sich durch das Haus, als ob er es schon seit langem kennen würde. Und er hatte recht große Ähnlichkeit mit Dean Winchester, so wie er ihn in Erinnerung hatte.

„Zumindest Dean, ja. Ich war noch auf der Junior High.“

„Und ihr Familienname ist Winchester.“

„Ja.“

„Wie geht es ihm? Er scheint einiges abbekommen zu haben.“

„Er kann damit umgehen und ich denke, er ist in guten Händen.“

„Ich würde Ihnen gerne etwas für ihn geben“, sagte der Lehrer und Sam nickte.

Gemeinsam gingen sie ins Lehrerzimmer.

Alonso schloss sein Fach auf und holte ein Abschlusszeugnis hervor. Zusammengerollt und mit Schleife versehen, so als ob es gleich verliehen werden sollte. Es war nur ein wenig eingeknickt.

„Wieso haben sie Deans Abschlusszeugnis noch?“, fragte Sam erstaunt.

„Weil ich mich an ihn erinnern wollte“, sagte der Lehrer kryptisch. Sam schwante nichts Gutes.

„Er hat Sie doch nicht…“, begann er unsicher.

„Doch. Und wie. Ich hatte weder vor noch nach ihm je wieder so eine Abfuhr von einem Schüler erhalten.“

„Oh Gott, das tut mir leid. Deans kommunikative Fähigkeiten waren schon immer ziemlich mangelhaft ausgebildet.“

„Sie müssen sich nicht für ihn entschuldigen“, beschwichtigte Alonso. Er war damals zwar schon wütend gewesen, aber er hatte den Jungen wirklich gemocht.

„Warum?“, fragte Sam, der jetzt gar nichts mehr verstand.

„Ihr Bruder wurde im Kollegium immer wieder recht heftig diskutiert. Einige Lehrer beschwerten sich, dass er in ihrem Unterricht ständig schlafen würde und andere, darunter ich, wollte ihm möglichst viel Förderung angedeihen lassen.“

„Dean?“, fragte Sam fast tonlos. Das mit dem Schlafen konnte er gut verstehen, das klang eindeutig nach Dean, aber Förderung? Hieß das jetzt sein Bruder war doch so doof, wie er sich immer hinstellte, oder warum sollte er gefördert werden?

Alonso schien Sams Gedanken erraten zu haben.

„Das Gegenteil. Ich hatte nicht lange gebraucht um herauszufinden, dass Ihr Bruder in Chemie und Physik sehr schnell zu begeistern war und dass er, mit etwas Ansporn, auch komplizierte Aufgaben ohne Probleme lösen konnte. Er interessierte sich für Technik und auch im Sport machte ihm keiner was vor. Also haben wir ihn da immer stärker gefordert. Es konnte ihm gar nicht schwer genug sein.

Kurz nach Spring Break habe ich dann mit Ihrem Vater gesprochen. Ich wollte ihn überzeugen, Dean auf ein technisches College zu schicken. Er hätte mit etwas Anstrengung danach vielleicht sogar an der Texas Tech studieren können.

Ihr Vater hat mich nicht mal ausreden lassen. Er hat erklärt, dass Dean ins Familienunternehmen einsteigen würde und dafür kein Studium brauchen würde. Dann hat er mich mehr oder weniger rausgeworfen.

Am Tag danach hat Dean in meinem Unterricht nur noch gemacht, was er unbedingt machen musste und das auch nur widerwillig.

Ich habe ihn darauf angesprochen und er hat mir unmissverständlich erklärt, dass ich kein Recht gehabt hätte, über seine Zukunft zu entscheiden, ohne ihn vorher zu fragen.“

Sam nickte. Er konnte sich noch gut daran erinnern, dass Dad und Dean sich eines Abends gestritten hatten, nachdem er schon ins Bett geschickt worden war und er wusste auch noch, dass Dean danach nicht wirklich gut auf die Schule zu sprechen war und liebend gerne weitergezogen wäre. Doch Dad hatte darauf bestanden, auch mit Rücksicht auf ihn, Sam, dass sie das Schuljahr hier beenden sollten.

Allerdings hatte er damals den Grund für den Streit nicht gewusst. Und er hatte auch noch auf Dean herumgehakt und ihm vorgeworfen nur an sich zu denken, weil der hier weg wollte und er selbst Freunde gefunden hatte und noch bleiben wollte. Jetzt tat es ihm leid.

„Hat Dean…?“, fragte er nach einer Weile.

„Sagen wir es so: Seine Neugier hat gesiegt. Es gab so viel für ihn zu entdecken und er konnte in den wenigen Wochen gar nicht genug Wissen bunkern. Es ist wirklich schade, dass er nicht weiter zur Schule gegangen ist, gehen durfte. Er hätte ein brillanter Techniker werden können.“

Diese Informationen musste Sam erstmal sacken lassen. Er wusste, dass Dean nicht so doof war, wie er sich gerne hinstellte, aber dass er so gut war? Auf jeden Fall würde er ihm diese Bemerkungen nicht mehr abkaufen!

Andächtig nahm er das Diplom entgegen.

„Das was Sie hier…gemacht haben, diese Kamera… Ist es das was Ihre Familie macht?“, brach Alonsos Neugier sich jetzt doch Bahn und er erschrak, als Sam nickte. Er hatte gedacht… Ja was hatte er eigentlich gedacht? Er hatte nicht geglaubt, dass es so etwas überhaupt gab. Er hatte es nicht glauben wollen.

„Ich werde dann mal gehen und nach Dean schauen“, verabschiedete sich Sam. Er wollte nicht noch mehr aus ihrem Leben erzählen müssen. Der Lehrer nickte.

„Viel Glück“, wünschte er ihm noch. Und er wünschte es ihnen von Herzen.
 

Dean und Lea unterhielten sich leise, als Sam das Sprechzimmer betrat.

„Hey, Sammy“, grüßte Dean.

„Wie geht’s dir?“, wollte der Jüngere wissen.

„Es brennt noch etwas, aber Lea sagt, dass das nach einer Dusche auch aufhören müsste.“

‚Lea’ Sam lächelte. Die zwei hatte sich also ausgesprochen.

„Was hast du da?“, wollte Dean wissen und zeigte auf die Papierrolle.

„Ich geb´s dir, wenn du wieder richtig gucken kannst.“

„Okay!“

Mit einem Kuss auf die Wange verabschiedete er sich von Lea und ging gemeinsam mit Sam zum Impala.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren warf er seinem Bruder den Autoschlüssel zu und schloss seine Augen, kaum das er auf dem Beifahrersitz saß.
 

„Ich denke wir sollten hier verschwinden“, ließ sich Dean vernehmen, während er sich auszog.

„Willst du nicht wissen, was mit den Opfern ist?“

„Eigentlich schon, aber mehr als die Kamera zerstören können wir eh nicht. Und das haben wir schon“, antwortete der Blonde und ging langsam ins Bad.

Sam holte tief Luft dann nickte er und begann ihre Sachen zu packen.

Keine Stunde später saßen sie wieder im Impala und fuhren Richtung Norden.

In der Nähe von ...

136) in der Nähe von…
 

Reichlich einhundert Meilen weiter suchte Sam ihnen ein Motel.

Er haderte schon eine ganze Weile mit ihrer fast schon überstürzten Abreise. Vom rein logischen Standpunkt aus betrachtet war es sicherer für sie, dass sie den Ort verlassen hatten, aber Dean wäre in einem Bett einfach besser aufgehoben.

Schnell checkte er ein und weckte erst danach seinen, auf dem Baifahrersitz schlafenden Bruder. Es hatte immerhin eine ganze Weile gedauert, bis der wirklich eingeschlafen war. Glücklicherweise, wurde sein Bruder nicht wirklich wach.

Dean tappte im Halbschlaf ins Zimmer, fiel ins Bett und schlief weiter.

Sam grinste. Mal sehen, wie schwer es dem morgen früh fiel sich zu orientieren.

Er holte sich noch einen Salat im nahegelegenen Diner, gönnte sich eine Dusche und ging dann ebenfalls zu Bett.
 

„Guten Morgen, Sonnenschein!“, begrüßte Sam seinen Bruder, als der sich endlich aus seinem Bett bequemte.

„Du mich auch“, nuschelt der Blonde und verschwand im Bad. Sein ganzer Körper schien zu jucken.

Wahrscheinlich bildete er sich das nur ein, denn er hatte gestern ausgiebig geduscht. Trotzdem hatte er noch immer das Gefühl von Pfefferspray auf seiner Haut. Dem Zeug musste er nie wieder begegnen, wenn es nach ihm ging.

Nach der Dusche fühlte er sich besser.

„Hast du was gefunden?“, fragte er und deutet auf Sams offenen Laptop.

„Die Kinder sind wieder da.“

„Was?“ Deans Gehirn schaltete wohl doch noch nicht schnell genug.

„Die Kinder, Jason Linley, Emily Kagan und Patrick Gomez, sind wieder da, genauso wie Erica Vandervoorst. Sie wurde halb verhungert in der Nähe der Schule gefunden.

Alle vier wurden ins Krankenhaus gebracht. Sie waren sehr verwirrt. Hoffentlich erholen sie sich wieder“, erklärte Sam.

„Wenigstens leben sie“, sagte Dean. Es war zwar nicht alles wieder gut, aber immerhin hatten sie vier Leben gerettet.

„Und die Lehrer?“

„Noch keine Spur.“

Sam nahm Deans Diplom und hielt es ihm hin: „Du wolltest da noch einen Blick drauf werfen.“

„Du wolltest, dass ich einen Blick darauf werfe!“

„Ist das nicht egal?“

Mit einem müden Schulterzucken nahm Dean die Rolle und löste das Band. Langsam rollte er sein Abschlusszeugnis auseinander.

Sam war hinter seinen Bruder getreten. Er japste erstaunt nach Luft, als die Zensuren zum Vorschein kamen.

„Alter, deine Ausrede von wegen zu blöd ist jetzt aber sowas von gestorben!“, lachte er und klopfte seinem Bruder anerkennend auf die Schulter. In Physik, Technik, und Sport hatte Dean volle Punktzahl. Hinter Chemie und Gesundheit stand auch noch die Bestnote. Und auch der Rest konnte sich durchaus sehen lassen.

„Aber in Latein und Geschichte war ich grottig!“

„Tolle Ausrede Dean! Immer deine schlechten Seiten betonen! Bist du es nicht langsam mal leid?“

„Ich bin hungrig!“, erklärte der Blonde griff nach seiner Jacke und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Er wollte nicht über vergebene Chancen nachdenken.

Inzwischen hatte er viele Menschen kennen gelernt, die er nie getroffen hätte, wenn sich sein Leben anders entwickelt hätte. Auch wenn er wusste, dass er sie jederzeit gegen ein normales Leben mit Mom eintauchen würde. Er konnte nicht zurück. Und er hatte die Chance vertan, die Vergangenheit zu ändern, als er bei den Harrissons war. Nein, er brauchte kein Zeugnis für dieses Leben. Hier gab es nur gewinnen oder verlieren und wenn er verlor, dann verlor er alles.

Sam schaute noch eine Weile auf die Tür hinter der Sein Bruder gerade verschwunden war und lauschte dem verklingenden Brummen des Impala.

War Dad wirklich so blind gegenüber seinen Kindern?

Er hatte sich immer als den Intelligenteren von ihnen gesehen. Aber das Zeugnis besagte sehr eindrucksvoll, dass sein Bruder mindestens genauso schlau war. Dean hatte vielleicht andere Stärken aber er war auf keinen Fall so dumm wie er immer von sich gesagt hatte.

Eigentlich hätte ihm das aber auch schon lange bewusst sein müssen. Dean hatte keine Ehrenrunde drehen müssen und er hatte, soweit er selbst das inzwischen beurteilen konnte, auch weniger Zeit zum lernen gehabt. Schon aus diesem Grund war ihm klar, dass seine eigenen Zeugnisse besser waren.

Oh Mann! Jeder andere Vater wäre stolz gewesen, wenn er solche Kinder gehabt hätte.

Nein, Dad hatte sich für die Erziehung seiner Kinder wirklich keinen Orden verdient.

Es war ja fast schon ein Wunder, dass aus ihnen doch etwas zumindest halbwegs Vernünftiges geworden war und sie nicht komplett ins kriminelle Milieu abgerutscht waren. Denn auch wenn Dad darauf geachtet hatte, so wie der seine Söhne gedrillt hatte, wäre es nicht verwunderlich, wenn sie aus Protest heraus genau das Gegenteil tun würden.

Deans Zeugnis würde er Bobby zur Verwahrung geben. Vielleicht brauchte der es ja doch noch irgendwann einmal. Außerdem würde ihr Freund bestimmt etwas dazu sagen und so vielleicht Deans nicht vorhandenes Selbstwertgefühl ein klein Wenig fördern.

Noch einmal schaute er zur Tür, dann setzte er sich vor seinen Rechner und recherchierte noch ein bisschen.
 

Dean lenkte den Impala ziellos durch die Straßen. Er hatte die Musik laut gedreht und zwang sich, sich auf den Verkehr zu konzentrieren.

Dieses verdammte Zeugnis. Was sollte er damit? Sein Leben war wie es war und er wollte es nicht ändern. Wozu also darüber nachdenken, was hätte sein können?

Dieser ganze verdammte Fall. Okay, sie hatten vier Leben gerettet. Vielleicht noch mehr, wenn man bedachte, dass diese Stark wohl weiter lustig in der Gegend herum fotografiert hätte. Aber trotzdem. Dieser Ort hatte zu viele verdrängte Erinnerungen wieder ausgegraben. Mehr als ihm lieb waren und definitiv mehr als er haben wollte.

Dean nahm sich vor, solche Fälle demnächst an andere Jäger weiter zu geben. Er würde mit Sam reden müssen, aber lieber das, als noch einmal an einen Ort zurückkehren, der so emotional beladen war.
 

Inzwischen war es fast Mittag und Sam überlegte, ob er sich zu Fuß auf den Weg zum Diner machen sollte. Sein Magen knurrte.

Die Tür zu ihrem Zimmer wurde aufgeschoben und Dean kam, beladen mit einigen Tüten und einem Tablett mit zwei Kaffeebechern, ins Zimmer.

Er lud alles auf dem Tisch ab und Sam beeilte sich seinen Laptop zur Seite zu legen, bevor irgendetwas Flüssiges oder Fettiges auf der Tastatur landete.

„Wenn du noch so einen Fall ausgräbst, kannst du den alleine machen!“, erklärte Dean energisch.

Sam war sprachlos. Er starrte seinen Bruder an, hin und her gerissen zwischen der Faszination, dass sein Bruder anscheinend begann sich endlich gegen etwas zu wehren, dass er für sich nicht wollte, und dem Pflichtbewusstsein Menschen helfen zu müssen und deshalb auch Fälle anzunehmen, die ihnen vielleicht unschöne Erinnerungen brachten.

Er stand auf und holte Teller für ihr Essen.

Schweigend aßen sie.

„Bobby hat angerufen“, begann Sam, als sie nur noch den Kaffee vor sich hatten. „Er hat bei dir angerufen, aber du bist nicht dran gegangen. Er wollte wissen, was mit dir ist.“

„Muss ich überhört haben“, sagte der Blonde und zog sein Handy aus der Tasche. Demonstrativ drückte er auf ein paar Tasten herum und steckte es wieder zurück.

Er hatte den Anruf sehr wohl mitbekommen. Schließlich hatte er bei seinem Handy auch den Vibrationsalarm eingestellt, aber er hatte mit keinem sprechen wollen.

Sam schaute ihn fragend an.

„Soll ich ihn zurückrufen?“

„Nein, er wollte nur wissen wie es uns geht und wie weit wir mit unserm Fall sind.“

„Und? Bobby ruft doch nicht einfach nur deshalb an“, mutmaßte der Blonde.

„Stimmt. Er hat da was in der Nähe von Pine Bluff. Das heißt er weiß es nicht so genau. Aber er bittet uns, dass wir uns das mal anschauen.“

„Er weiß es nicht so genau? Bobby weiß was nicht genau?“, wollte Dean überrascht wissen.

„Es ist wirklich undeutlich. Er hat mir alles per E-Mail geschickt und es ist … keine Ahnung ob was Übernatürliches dahinter steckt.“

„Und wo steckt vielleicht was Übernatürliches dahinter?“, so langsam riss Dean der Geduldsfaden.

Warum konnte Sam nicht endlich sagen, was los war und musste stundenlang um den heißen Brei reden?

„Er ist durch Zufall darauf gestoßen und verfolgt das jetzt schon ein paar Jahre. Aber es passt immer häufiger und…“

SAM!“, blaffte Dean wütend und griff nach dem Laptop.

Der Jüngere war erschrocken zusammengezuckt, richtete sich dann aber schnell wieder auf.

„Ich hab noch nicht alles durch“, entschuldigte er sich. „Aber so weit ich es verstanden habe, ist Bobby der Meinung, dass es in der Nähe von Pine Bluff eine Frau gibt, die Wünsche erfüllt. Daran ist nichts verkehrt und es wäre wohl auch kein Fall für uns, wenn es harmlose Wünsche wären. Aber Bobby hat drei Fälle gefunden in denen sich jemand gewünscht hat, dass der Partner oder das Kind von einer schweren, unheilbaren Krankheit genesen solle. Diese Wünsche haben sich erfüllt. Allerdings sind zu dieser Zeit bis dahin kerngesunde Menschen gestorben.“

Dean verdrehte die Augen. „Ist der Tod so leicht zu packen?“

„Ich denke nicht, dass sie einen Pakt mit dem Tod geschlossen hat. Bobby hat hier auch ein paar Fälle aufgelistet, bei denen sich jemand Reichtum gewünscht hat und gleichzeitig reiche Leute alles verloren haben.“

„Und Bobby ist sich da ganz sicher, dass das alles zusammenhängt?“

„Nein, ganz sicher ist er sich nicht. Deswegen sollen wir da ja hinfahren und es überprüfen.“

„Und wie?“, fragte Dean und begann seine Sachen zu packen.

„Wenn ich das wüsste“, stöhnte Sam leise.

„Dann machen wir eben einen Schlenker nach Pine Bluff. Liegt zwar nicht auf dem Weg zu Bobby, aber du lässt ja eh keine Ruhe, bis wir das geklärt haben, oder?“, fragte Dean und holte tief Luft.

Sam hatte sich schon wieder in die Akten vertieft.

Der Blonde schüttelte den Kopf und räumte ihre Sachen zusammen. So war ihr Leben. Kaum hatten sie einen Fall abgeschlossen, wartete schon der nächste Fall auf sie.

Dean holte tief Luft. Eigentlich war es doch genau das Leben, das er führen wollte. Nie lange an einem Ort.

Obwohl der Gedanke bei Bobby eine Art Basislager zu beziehen immer verlockender wurde. Er wollte auf jeden Fall mit dem alten Freund reden. Und er freute sich auf Sams Gesicht, wenn er dem mitteilen würde, dass sie etwas sesshafter werden würden. Vielleicht würde Sammy doch noch studieren?

Er klopfte Sam auf die Schulter: „Ich bin fertig hier. Wir können los.“

Der Jüngere nickte und ging zum Impala während Dean die Schlüssel zur Rezeption brachte.

Gleich darauf rollte der Wagen vom Parkplatz.
 

„Hat Bobby dieses „in der Nähe von Pine Bluff“ irgendwie genauer definiert?“ wollte der Blonde wissen und nahm einen Schluck von seinem Kaffee.

Sie waren in der Nähe von diesem Pine Bluff und da Sam auf der ganzen Fahrt hierher recherchiert hatte, hatte er seine Musik nur sehr leise hören dürfen und somit genug Zeit gehabt um über Dinge nachzudenken, über die er nicht nachdenken wollte. Inzwischen kam er sich außerdem vor, wie der ungeliebte Chauffeur und seine Laune näherte sich ihrem Tiefstpunkt.

„Nein!“, antwortete Sam reichlich genervt. Sein Bruder schien es darauf anzulegen, ihm auf den Geist zu gehen.

„Pine Bluff ist groß und in der Nähe von noch größer. Also wie sollen wir …“

„Dean! Halt einfach die Klappe okay? Das Ganze ist so schon mehr als vage.“

„Aber Bobby hat doch …“

„Ja Bobby hat! Und jetzt lass mich meine Arbeit machen!“, knurrte Sam, der es sich wohl heute zur Aufgabe gemacht hatte, seinen Bruder nicht ausreden zu lassen.

Der ältere Winchester schwieg beleidigt. Er ließ seinen Blick durch das Diner wandern und blieb an einer attraktiven Frau mittleren Alters hängen. Sie hatte kastanienbraune Haare, die ihr helles Gesicht eindrucksvoll umrahmten. Sie hatte große Augen und Dean kam nicht umhin, ihr fasziniert hinterher zu starren, als sie mit wiegendem Gang das Diner verließ. Er stieß einen leisen Pfiff aus.

„Oh sie ist wundervoll, nicht wahr?“, fragte der junge, picklige Kellner, der ihnen gerade ihr Essen brachte. Dean schaute ihn fragend an. Die Frau sah nicht schlecht aus, aber sie war so gar nicht sein Beuteschema und für den Kleinen, der hier vor ihm stand war sie bestimmt auch nichts.

Der Junge verstand den Blick anders: „Miss DeVendt wohnt bei uns in Grady“, begann er zu schwärmen.

„Sie hat für jeden ein offenes Ohr, egal womit man zu ihr kommt. Sie gibt jedes Jahr Wohltätigkeitsbälle und spendet für so viele Projekte Geld. Jeder im Ort hat ihr etwas zu verdanken und jeder im Ort würde sein Leben für sie geben!“

„Ich das nicht ein bisschen zu pathetisch?“, fragte Dean, der mit dieser Floskel so seine Probleme hatte. Natürlich würde er sein Leben für Sam geben und wohl auch für Bobby, aber er hatte auch die Erfahrung gemacht, dass diese Aussage bei den meisten Menschen nur Gerede war.

„Das mag für Sie als Fremden vielleicht komisch klingen, aber für uns ist das normal.“

„Ja dann.“

Dean klopfte, kaum dass der redselige Kellner wieder hinter seiner Theke stand, gegen Sams Laptop: „Essen wird welk!“

„Was?“, schreckte der Jüngere auf und starrte seinen Bruder mit wütend funkelnden Augen an.

Dean deutete auf den Salat, der neben dem Laptop stand.

„Dein Essen, Hase!“

„Idiot!“

„Miststück!“

Eine Frau, an der sich die Gemüter erhitzen

137) Eine Frau, an der sich die Gemüter erhitzen
 

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte Dean den Laptop zu sich herum und öffnete ein weiteres Fenster. Er tippte die Worte DeVendt und Grady in das Suchfenster und startete seine Anfrage. 

Schnell hatte er sich festgelesen.
 

Der Jüngere war mit seinem Salat fertig und wollte nun seine Recherchen weiterführen. Er streckte seine Hand nach dem Rechner aus und wurde abgewehrt. 

„Wenn du mir da wieder Zuckerfinger drauf machst, nehme ich demnächst deinen Rechner!“, erklärte er kategorisch und bekam große Augen, als sein Bruder in seiner Jackentasche kramte und ihm den Impalaschlüssel hinhielt. Das war ja jetzt wohl die Höhe.

„Hol dir deinen Rechner gefälligst selbst!“ Energisch griff Sam zu und drehte seinen Rechner wieder zu sich um. Wäre ja noch schöner, wenn er sich sein Arbeitsgerät wegnehmen ließe. Kurz überflog er sie Seite, die Deans Interesse geweckt zu haben schien und wollte gerade zu einer Frage ansetzen, als er sah, wie Dean aufstand und zur Theke ging um ihr Essen zu zahlen. Er verdrehte die Augen, klappte seinen elektronischen Begleiter zusammen und folgte dem Blonden dann zum Wagen. 
 

Der Impala rollte vom Parkplatz und Sam widmete sich wieder seinem Rechner.

„Was hast du dir da angesehen?“, wollte er auch sofort wissen.

„Du könntest dein Spürnäschen mal im Aktion versetzen und alles Wissenswerte über diese Miss DeVendt ausgraben, was es da zu finden gibt“, antwortete Dean.

„Und warum?“

„Wenn Bobby dir das Gleiche gesagt hätte, würdest du fragen?“

„Nein, ich denke nicht.“

„Okay, dann nimm an, Bobby hätte es gesagt!“

„Du bist aber nicht Bobby!“

„Leider“, stöhnte Dean. 

„Die Frau war vorhin im Diner.“

„Und jetzt willst du ihre Telefonnummer oder was?“, Sam war empört. Für sowas war er sich nun wirklich zu schade.

„Dann hätte ich sie selbst gefragt! Nein. An ihr ist irgendetwas nicht koscher! Der Kellner hat zuviel von ihr geschwärmt.“

„Nur weil du von deinen Eroberungen kaum etwas erzählst, heißt das nicht, dass andere genauso wenig redselig sind“, erklärte der Jüngere entschieden.

„Das Kerlchen spielte nun wirklich nicht in ihrer Liga. Außerdem war sie bestimmt fast doppelt so alt wie er.“

„Hast du noch nie mit älteren Frauen?“

„Was haben meine Vorlieben mit dem Fall zu tun?“ Dean krampfte seine Hände um das Lenkrad. Sam eine reinzuhauen war das letzte, das er wollte, aber er stand kurz davor.

Sam antwortete nicht, sondern schaute seinen Bruder nur weiter von der Seite an.

„Vergiss es, okay? Ich such nachher selber! Und Nein! Meine Frauen warn nie doppelt so alt wie ich!“

Dean drehte die Musik laut. Er hatte keine Lust mehr über Dinge zu diskutieren, die keiner Diskussion bedurften. Er hasste es, wenn Sam über alles und jeden diskutieren musste und nicht einfach tun konnte, worum man ihn bat. Er war schließlich nicht  Dad und er hatte auch keinen Befehl ausgesprochen. Aber irgendwie schien Sam mal wieder alles infrage stellen zu wollen.
 

Beim Abbiegen erhaschte er einen kurzen Blick auf Sams Bildschirm, der ihm zeigte, dass der Jüngere inzwischen wohl doch nach Miss DeVendt suchte. Jetzt reichte es ihm. Er packte den Laptop und klappte ihn zu. Seine Hand ließ er auf dem Gerät liegen.

„Was soll das Dean!“, fragte der Jüngere wütend und schob die Hand seines Bruders von seinem Laptop.

„Ich bin nicht Dad, Sam und ich habe es satt immer wieder mit dir diskutieren zu müssen, wenn ich dich um etwas bitte! Du bohrst ungefragt in Dingen herum, die dich nichts angehen aber von mir willst du alles haarklein erklärt haben. Vergiss es! Ab sofort folgst du deinen Spuren und ich meinen!“ Schnell drehte der den Lautstärkeregler weit auf und schaute dann stur geradeaus auf die Strasse. 

Er war wütend. Da hatte er sich mal für eine Weile Ruhe gönnen wollen und schon musste sein Streberbruder neue Fälle für sie suchen. Dabei war es doch genau der, der angeblich nur wegen ihm auf der Straße war. ‚Klar Sammy. Deshalb suchst du auch, kaum dass wir einen Fall abgeschlossen haben nach dem nächsten. Du lässt mir ja nicht mal die Chance zu versuchen sesshaft zu leben. Mal abgesehen davon, dass ich das auf Dauer nicht will. Aber ein bisschen Ruhe, sowas wie Urlaub, wäre schon schön.’
 

Er schüttelte den Kopf und versuchte diese Gedanken dahin zu verbannen, wo sie hergekommen waren. Ein weiterer Blick auf Sams Laptop, den der natürlich sofort wieder in Betrieb genommen hatte, kaum dass er seine Hand weggezogen hatte, zeigte ihm, dass Sam jetzt wohl seinen eigenen Recherchen folgte. Gut so!
 

Er hielt am nächstbesten Motel an, besorgte ihnen ein Zimmer und warf sich dann, kaum dass sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, auf sein Bett und begann mit seiner Suche.

An Miss Stephanie DeVendt war nichts offensichtlich Ungewöhnliches. Sie war vor etwa zwanzig Jahren nach Grady gekommen, weil ihre Großmutter nach Florida gezogen war und ihr das Anwesen vererbt hatte. 

Sie schien über jede Menge Geld verfügen zu können, denn soweit er herausfinden konnte, ging sie keiner geregelten Arbeit nach. Sie veranstaltete aber mindestens viermal im Jahr einen Wohltätigkeitsball und es gab auch Fotos, auf denen sie diversen Einrichtungen Schecks mit höheren Summen übergab, was natürlich nicht hieß, dass sie nicht doch Geld für sich abzweigte. 

Aber er hatte auch Fotos von diesen Bällen gesehen, auf denen er auch einen Teil ihres Hauses und der Einrichtung erkennen konnte, und er bezweifelte, dass sie so viel Geld abzweigen konnte, ohne dass es auffiel.

Nach einer Weile hatte er auch ein paar Fotos von Genevieve Elisabeth DeVendt gefunden. Abgesehen davon, dass diese Großmutter etwas älter aussah als ihre Enkelin, waren sich die Frauen mehr als nur ähnlich. 

Doch sosehr Dean sich auch bemühte er konnte besagte Großmutter in Florida nicht finden. Okay, die gute Frau konnte inzwischen gestorben sein. Aber es war auch schier unmöglich herauszufinden woher Stephanie kam, denn es gab keine Eltern. Zumindest fand er nichts über sie. Warum nicht?

Grübelnd starrte der Blonde Löcher in die Luft.
 

Sam, der seinen eigenen Recherchen folgte, blickte mal wieder zu seinem Bruder. 

„Willst du nicht mal was zu essen holen?“, fragte er.

Dean reagierte nicht.

„Dean!“, blaffte der Jüngere und sah wie der Blonde zusammenzuckte.

„Was?“

„Wie wäre es mit Essen?“

Dean langte in seine Tasche, holte den Impalaschlüssel hervor und warf ihn zu Sam. 

„Ich will Kuchen!“
 

Sam klappte die Kinnlade herunter. „Was?“

„Kuchen“, betonte der Ältere jede Silbe des Wortes. „Ich will ein großes Stück Kuchen!“

Sprachlos starrte Sam seinen Bruder an. Doch dann huschte ein Grinsen über sein Gesicht. ‚Mal sehen, wer das länger durchhält’, überlegte er und machte sich auf den Weg um ihr Abendessen zu besorgen.
 

An diesem Abend sprachen die Brüder nicht mehr miteinander. Sie aßen schweigend und danach verkroch sich jeder wieder hinter seinem Rechner.

Im Bett überlegte sich Sam, dass er dieses kindische Schweigen am Morgen brechen wollte, egal ob Dean ihn dann wieder als Mädchen bezeichnen würde. Sein großer Bruder hatte ja Recht gehabt und er wusste selbst nicht, warum er sich bei seiner Bitte gesperrt hatte. Wenn Bobby ihm den Namen gegeben hätte, dann hätte er ohne zu fragen danach gesucht und Deans Instinkte hatten bislang noch immer Recht behalten. 

Ach verdammt! Er konnte es doch zugeben: Er war frustriert, weil er mit seiner Suche noch kein Stück weiter war. Bobbys Recherchen waren umfangreich und er hatte noch nichts gefunden, bei dem er hätte einhaken und die Spur ausweiten können. Und dann guckt sich Dean einmal in einem Diner um und stößt mit der Nase auf etwas, dass seine Aufmerksamkeit fesseln konnte. Und das meinte er jetzt nicht in Bezug auf eine Frau, mit der er die Nacht verbrachte.

Oder Dean hatte ihn verarscht und sich einen Porno angeschaut. Doch das hätte er eigentlich mitbekommen müssen, oder?

Ja, er würde morgen mit Dean reden.
 

Sams guter Vorsatz blieb genau das. Er erwachte vom Zuschlagen der Zimmertür und hörte noch wie der Impala davonfuhr. 

Draußen begann es gerade hell zu werden. 

Er zog seine Decke ein Stückchen höher und war sich sicher gleich von seinem Bruder mit Frühstück geweckt zu werden. Warum auch nicht mal so rum? Auch wenn es ihn wunderte, dass der jetzt schon wach war.

Doch auch jetzt irrte sich der Winchester.
 

Dean stellte seine schwarze Schönheit in sicherer Entfernung zum Grundstück der DeVendt ab und machte sich daran, das Anwesen zu umrunden. Ein etwas eingefallener Teil der Mauer animierte ihn regelrecht dazu, darüber zu klettern. Langsam, und sich immer im Schatten der Bäume haltend, setzte er seine Runde fort. 

Wie die Fotos schon vermuten ließen, lebte Miss DeVendt in einer großen Südstaaten-Villen, die im Gegensatz zu den meisten dieser Villen, die er schon gesehen hatte aussah, als ob jeden Augenblick eine dicke schwarze Haussklavin aus der Tür treten würde. 

Der Park um die Villa war gepflegt, doch er konnte nirgends eine Menschenseele sehen. Aber es war auch noch früh am Tag, vielleicht fingen die ja später an.

Er drehte noch eine Runde um das Haus, leider versperrten ihm dicke Vorhänge einen Blick in das Innere, bevor er sich auf den Weg zur nächsten Bibliothek machte.
 

Sam war bald nachdem Dean verschwunden war wieder wach geworden. Nachdem er sich angezogen und noch eine Weile vergeblich auf seinen Bruder gewartet hatte, hatte er versucht ihn auf dem Handy zu erreichen, doch es ging nur die Mailbox dran.

Also machte er sich auf den Weg um sich selbst sein Frühstück zu besorgen. Gleichzeitig nutzte er den Spaziergang zum Nachdenken.

Er versuchte gerade die ihm bekannten Fakten ihres aktuellen Falles neu zu ordnen. Vielleicht kam er ja weiter, wenn er das Ganze von einer anderen Seite aus anfing, als er von seinem klingelnden Handy aus den Gedanken gerissen wurde.

„Ja!“, blaffte er in den Hörer.

„Entschuldige, dass ich zurückrufe!“, konterte Dean, „Ich wollte dir auch nur sagen, dass ich noch was zu erledigen habe. Kann länger dauern!“ Bevor der Jüngere antworten konnte hatte er schon wieder aufgelegt.

Irritiert schaute Sam auf sein Telefon, steckte es wieder weg und brütete erneut über seinen Fakten.
 

Den ganzen restlichen Tag über war Sam in seinen Internetrecherchen abgetaucht gewesen und hatte gar nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen war. Erst als sich sein Magen vor Hunger schmerzhaft zusammenzog blickte er auf. Draußen war es schon lange wieder dunkel. 

Er holte sich im nahegelegenen Diner einen Salat und ein paar Sandwiches und versuchte auf dem Rückweg seinen Bruder zu erreichen. Es klingelte ein paar Mal, dann ging mal wieder die Mailbox dran.

omit war der beschäftigt? Musste er sich Sorgen machen? Er bat um einen Rückruf.

Während er aß ging er seine Notizen durch und war schon bald wieder in seiner eigenen Welt abgedacht.
 

Dean war den halben Tag im Stadtarchiv von Grady gewesen. 

Die staubige Kammer hatte diese Bezeichnung absolut nicht verdient. Außer einer Staublunge und ein paar Hinweisen auf die wohltätige Ader von Elisabeth hatte er noch eine Vorfahrin mit dem Namen Isabella gefunden, doch auch diese schien nie verheiratet gewesen zu sein und war, nachdem sie das Haus an Elisabeth vererbt hatte, regelrecht verschwunden. Wieder hatte er keinen Hinweis auf Eltern, Geschwister oder Kinder finden können. Hier müsste sein kleiner Bruder mal dran. Der würde wohl noch ein paar mehr Details ausgraben. Sammy war einfach besser ins sowas!

Am Nachmittag hatte er versucht, ein paar mehr Details aus dem Leben der DeVendts von der netten Angestellten zu bekommen, doch dieses Mal hatte sein Charme komplett versagt. Er hatte sich als Reporter vorgestellt, der eine Serie über die Wohltäter dieses Landes schreiben wollte und da hatte ihm die Dame auch noch weitergeholfen.  Doch dann waren seine Fragen tiefgründiger und kritischer geworden und sie hatte ihn mit freundlichen Worten rausgeschmissen.

Er war wieder zur DeVendt-Villa zurück gefahren und hatte sich im Park versteckt. Durch die großen Fenster konnte er das Geschehen im Inneren wunderbar verfolgen. Leider passierte nicht viel.

Stephanie DeVendt saß auf ihrem Divan und las in einem alten Buch.

Nachdem sie nach oben gegangen und das Licht vollkommen erloschen war, machte er sich auf den Weg zurück zum Motel.

Sam schlief schon, als er sich leise ins Zimmer schlich und ins Bett kroch.

Ein feiger Anschlag

138) Ein feiger Anschlag
 

Der Jüngere erwachte. Er blinzelte in die gerade aufgehende Sonne und drehte sich dann zum Bett seines Bruders um. Von dem war zwar nichts zu sehen, aber die Umrisse zeigten ihm, dass er sehr wohl darin lag und schlief. Er lächelte, nahm sich noch einmal vor, sich mit Dean auszusprechen und stand auf um ihnen ihr Frühstück zu holen.

Sie würden zusammen essen und wenn Dean seinen zweiten Kaffee intus hatte, dann würde er mit ihm reden. Er musste zugeben, dass er neugierig war, was Dean mit seinen Recherchen über diese Miss DeVendt rausgefunden hatte. Spätestens der Bildhauer in Seattle hatte ihm gezeigt, wie gut Dean alleine recherchieren konnte. Obwohl sein Bruder ja auch schon vorher alleine unterwegs gewesen war.
 

Sam kam mit ihrem Frühstück beladen zurück. Er stieß die Tür auf und wäre fast mit Dean zusammengestoßen.

„Hey!“, maulte Sam leise und versuchte die gewagte Konstruktion auf seinem Arm auszubalancieren.

„Selber hey! Hast du schon was Neues zu deinem Fall rausgefunden?“, wollte Dean wissen und trat langsam zu Seite.

„Nein“, antwortete der Jüngere völlig perplex.

„Okay. Danke“, antwortete Dean, griff sich eine Tüte und einen Becher Kaffee und ging zum Impala.

„Dean!“, rief der Jüngere ihm hinterher. „Und wieso mein Fall?“

„Bin weg!“, antwortete der, stieg ein und fuhr vom Platz. Im Rückspiegel sah er seinen kleinen Bruder noch immer in der Tür stehen und ihm nachstarren. Er musste grinsen.

Solange Sam noch nach Hinweisen suchte, denen sie dann nachgehen konnten, konnte er noch ein paar Nachforschungen anstellen und der Langeweile entgehen, die ihn schon jetzt plagen würde, wenn er Sam bei seinen Recherchen zuschauen müsste.

Schon bald war er in Pine Bluff in der Bibliothek und durchsuchte die Archive nach den DeVendts.
 

Inzwischen war es früher Nachmittag. Dean hatte ein paar Bücher neben seinen Füßen aufgestapelt und suchte parallel in den auf Mikrofilm gebannten Dokumenten.

Genervt schloss er die Augen und holte tief Luft. Da war es wieder dieses Gefühl beobachtet zu werden, dass ihm immer wieder einen eisigen Schauer über den Rücken trieb und seine Nackenhaare dazu brachte sich aufzurichten. Doch egal wie unauffällig oder schnell er sich umdrehte, er konnte niemanden sehen. Nur das Gefühl blieb.

Noch einmal holte er tief Luft und machte sich dann daran, die letzten Seiten zu durchsuchen.
 

Erleichtert atmete er auf, als er diese Bibliothek des Grauens endlich verlassen konnte. So unwohl hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Da war es ihm ja selbst in der Richmond Hill besser gegangen.

Er ließ sich hinter das Lenkrad seines Babys fallen und strich einmal zärtlich über das Lenkrad, bevor er den Zündschlüssel drehte und das satte Grollen auch den letzten Rest seines Unwohlseins verschwinden ließ.

Er schrieb Sam eine SMS, dass er sich noch weiter bei der DeVendt umsehen würde und schaltete sein Handy auf lautlos. Natürlich hätte er ohne Probleme mit seinem Bruder reden können, doch er wusste noch immer nichts Genaues und so wollte er Sm nicht unter die Augen treten. Er hatte sich so sehr in seinen Vielleicht-Fall gekniet, dass er jetzt nicht einfach zugeben konnte, dass er nicht weiter kam.

Obwohl er das nicht Vorhandensein einer Familie, aus der die potentiellen Erbinnen kommen könnten schon sehr merkwürdig fand.

Bevor er jedoch seinen kleinen Bruder mit ins Boot holen wollte, wollte er noch ein paar Fakten mehr haben.
 

Er stellte den Wagen wieder in sicherer Entfernung zum Haus der DeVendt ab und kletterte über die Mauer um sich im Park, nahe des Einganges, zu verstecken.
 

Sam starrte auf die SMS. Was sollte das denn jetzt? Wieso schickte Dean ihm eine SMS? Wieso rief er nicht an? Schnell wählte er die Nummer seines Bruders und wartete. Doch wieder ging nur die Mailbox dran. Was trieb der nur?
 

Unaufhaltsam kroch die Kälte in Deans Körper. Es herrschten zwar tagsüber angenehme Temperaturen, aber nachts wurde es noch empfindlich kalt, zumindest wenn man auf dem Boden lag. Er überlegte gerade, ob er eine Runde um das Haus laufen sollte, als ein klappriger Kombi vorgefahren kam und zwei Personen ausstiegen.

‚Was wollen die denn hier?’, überlegte der Blonde. ‚und wieso um diese Uhrzeit?’ Er war kurz davor gewesen aufzugeben und sich einzugestehen, dass er so nicht weiter kam, oder noch schlimmer, sich geirrt hatte, Obwohl er sich noch immer keinen Reim auf die fehlenden Vorfahren machen konnte.

Doch jetzt schien es interessant zu werden. Mit einem kurzen Grinsen quittierte er die Richtigkeit seiner Instinkte. Hauptsache die Beiden waren nicht nur irgendwelche verarmten Verwandten!

„Meinst du wirklich, dass sie uns helfen kann?“, fragte der Mann mehr als skeptisch.

Dean unterdrückte ein Gähnen.

„Bitte, Carl. Es geht um Luisa! Hab etwas Vertrauen! Ich habe mich lange mit Miss Margo unterhalten und ich bin mir sicher, dass sie ihr helfen kann. Die Ärzte wollen unsere Tochter zum Sterben nach Hause schicken!“, antwortete sie mit tränenschwerer Stimme.

Dean horchte auf. Miss Margo? Wieso Miss Margo? Die Frau hieß doch Stephanie DeVendt? Hatte sie einen Künstlernamen? Aber wieso?

Das Ehepaar war inzwischen auf die Veranda des Hauses getreten, hatte geläutet und wartete.

Die Tür öffnete sich und Miss DeVendt begrüßte ihre Besucher. Sie hatte ihre Haare hochgesteckt und trug einen braunen Anzug.

Dean war enttäuscht. Aus irgendeinem Grund hatte er etwas anderes erwartet.
 

Langsam schlich er um das Haus um vielleicht mehr von dem Treffen mitzubekommen.

Er sah, wie die Frau dieser Miss Margo einige Fotos gab und mit ihr redete. Danach sprach die DeVendt. Der Mann sprang auf und lief immer Zimmer hin und her. Er sah wütend aus, doch seine Frau redete eindringlich auf ihn ein und letztendlich setzte er sich wieder hin.
 

Der Winchester schlich sich wieder nach vorn zum Eingang. Müde rieb er sich über die Augen. So langsam könnte er ein paar Stunden Schlaf vertragen.

Glücklicherweise musste er nicht lange warten, bis die Besucher wieder herauskamen.

„Zehn Jahre unseres Lebens?“, fragte der Mann auch, kaum dass sich die Haustür wieder geschlossen hatte.

Dean horchte auf. Zehn Jahre? War die DeVendt ein Dämon? Aber dann hätte er sie sehen müssen!

Was lief hier ab?

„Für Luisa würde ich noch viel mehr opfern!“, antwortete seine Frau.

„Aber Kyra, bitte denk doch mal nach!“

„Was sind schon zehn Jahre gegen ein Leben?“

„Bitte Carl. Lass uns im Hotel darüber reden.“

Der Mann nickte resigniert und stieg in seinen Wagen.

Dean hatte sich während des Gespräches langsam zurückgezogen und als er sich sicher sein konnte, dass ihn niemand gesehen hatte, rannte er zu der teilweise eingebrochenen Mauer, über die er schon zuvor geklettert war. Er hetzte zum Impala und hoffte, die beiden Bekloppten trotzdem noch bis zu ihrem Motel verfolgen zu können. Danach würde er zu Sam fahren und mit ihm den beiden morgen einen Besuch abstatten. Vielleicht konnten sie ihnen ja ins Gewissen reden, denn wenn das stimmte, dass bei jedem erfülltem Wunsch einem anderen Menschen genau das passierte, dann würde bald wieder ein Unschuldiger sterben.

Er wollte lieber nicht darüber nachdenken.

So schnell er konnte jagte er den Impala um eine unübersichtliche Kurve. Für den Bruchteil einer Sekunde erstarrte er, dann stemmte er beide Füße auf die Bremse. Schlingernd kam die schwarze Schönheit zum Stehen.

Verwundert schaute er auf die Menschen, die mit Baseballschälgern, Macheten und Mistgabeln vor ihm standen und ihn wütend anstarrten. Das Ganze war so unrealistisch, dass er einen Augenblick brauchte, um die Bedrohung zu realisieren, die von diesen Menschen ausging. Er schaltete in den Rückwärtsgang und gab Gas. Doch es war zu spät.

Eine Mistgabel grub kreischend tiefe Furchen in den schwarzen Lack der Beifahrerseite und ein Scheinwerfer zerplatzte unter dem Hieb eines Baseballschlägers.

Der Impala setzte sich in Bewegung. Dean duckte sich und entging einem sonst wohl fast tödlichen Schlag einer Machete, die ihn zwar verfehlte, aber die Seitenscheibe der Fahrertür zu kleinen Glasbröckchen zerplatzen ließ und eine tief Kerbe in die A-Säule grub.

Endlich war er aus der unmittelbaren Gefahrenzone und wendete mit quietschenden Reifen.

Der Mob hinter ihm schleuderte ihm noch einige Steine hinterher, von denen drei den Wagen trafen und einer dafür sorgte, dass auch noch eine der hinteren Seitenscheiben zu Bruch ging.
 

Einige Meilen außerhalb von Grady hielt er an. Dean legte die Arme über das Lenkrad und ließ seine Stirn auf seine Arme fallen. Er schloss die Augen nahm sich die Zeit ein paar Mal durchzuatmen. Sein Herz pumpte immer noch jede Menge Adrenalin durch seine Adern.

„Verdammte Scheiße!“, brüllte er und drosch seine Hand auf das Lenkrad. Sofort bereute er es.

„Tut mir leid, Baby!“

Noch einmal holte er tief Luft, dann stieg er aus und ging zum Kofferraum. Mit der Taschenlampe bewaffnet machte er einen ersten Rundgang um sein Baby.

Die Bilanz war niederschmetternd. Ein Scheinwerfer, zwei Seitenscheiben, die Beifahrertür und der Kotflügel und auch der Kofferraumdeckel hatte einige Beule von den Steinen. So konnte er auf keinen Fall weiterfahren.

„Verdammt!“, brüllte er in die Dunkelheit und trat gegen einen Erdhaufen, der gleich neben dem Wagen war. 

„Ich bring euch um! Ich bring euch alle um!“ Wieder trat er gegen den Erdhaufen.

„Das werden sie büßen, Baby. Das verspreche ich dir!“

Erschöpft ließ er sich auf seinen Sitz fallen und grübelte. Was passierte hier? Woher waren die plötzlich gekommen und wieso griffen sie ihn an?

Er kam sich vor wie in einem schlechten Horrorfilm!

Und wie sollte es jetzt hier weiter gehen?

Sam schlief bestimmt schon. Außerdem hatte er kein Auto und konnte ihm also auch nicht helfen. Verschwinden konnten sie aber auch nicht. Wenn er das richtig verstanden hatte, dann stand ein Leben auf dem Spiel. Mal ganz abgesehen davon, was diese Miss Margo mit den Bewohnern von Grady angestellt haben konnte, damit die ihr so hörig waren. Voodoo? Hexerei? War sie ein Dämon?

Nein. Dämonen konnte er sehen. Aber trotzdem stand sie wohl mit genügend dunklen Mächten im Bunde. 

Da hatte er, ohne es zu wissen, wohl die Antwort auf Bobbys ungeklärte Fälle und Sams Recherchen gefunden.
 

Nach einer Weile startete er den Motor wieder und fuhr noch etwas weiter. Er bog in einen Waldweg ab und wollte sein Baby irgendwo richtig verstecken. Diese Verrückten würden ihr wohl noch Schlimmeres zufügen, wenn sie sie finden würden. Wieder kochte der Hass in ihm hoch. Wenn er die in seine Finger bekam…

Wenigstens jetzt hatte er Glück. Hinter einer Wegbiegung stand eine windschiefe Scheune, die schon seit Jahren keiner mehr betreten zu haben schien. Er fuhr seinen Wagen hinein und machte sich dann auf den Weg zurück zu Straße.

Grübelnd setzte er einen Fuß vor den anderen.

Sie brauchten einen Wagen. Den sollte er allerdings wohl besser nicht in Grady holen. Er wandte also in Richtung Pine Bluff. 

Seine anfängliche Wut war langsam verraucht, was zwar nicht bedeutete, dass er diesen feigen Mordanschlag auf sein Baby nicht mehr rächen wollte, er war nur inzwischen soweit, nicht mehr jedem Unbeteiligten die Faust ins Gesicht rammen wollte.
 

Er hatte die Fäuste tief in die Taschen seiner Jacke gerammt und versuchte nicht weiter nachzudenken. Bevor er sich nicht mit Sam ausgesprochen hatte, kam er nicht weiter. Außerdem machte es ihn nur noch müder.
 

Dean war schon ein paar Meilen gelaufen, als ein Wagen neben ihm hielt, der erste, der überhaupt an ihm vorbei fuhr.

„Wo wollen Sie hin?“, fragte der Fahrer eines Kleintransporters, ein älterer Mann.

„Zum Flughafen.“

„Na dann spring rein. Ich fahr daran vorbei.“

„Danke“, strahlte Dean ihn an und stieg ein.

„Was machst du um diese Zeit hier?“, wollte der Mann neugierig wissen.

„Meine Freundin und ich haben ihren Cousin besucht und uns nachher ziemlich gestritten. Sie hat mich rausgeschmissen. Jetzt will ich zum Flughafen um wieder nach Hause zu kommen“, erzählte der Blonde freimütig.

„Himmel, das muss ja ein heftiger Streit gewesen sein.“ 

„Kann man so sagen.“

„Wo hat sie dich denn rausgeschmissen?“

„Noch von Moscow.“

„Dann hast du deinen Morgensport ja jetzt hinter dir“, lachte der Mann gutmütig.

Dean nickte nur und rieb sich über die Augen. Nicht, dass er hier gleich einschlief.

Schnell waren sie am Flughafen angekommen.

„Viel Glück!“, wünschte ihm der nette Fahrer und fuhr davon.

Der Winchester steuerte die Autovermietung an.

Dean auf Schlafentzug

139) Dean auf Schlafentzug
 

Der Morgen graute schon, als der ältere Winchester in ihr Motelzimmer kam. Müde rieb er sich die Augen. Eigentlich wollte er nur noch duschen und dann ins Bett und mindestens bis morgen schlafen. Doch das konnte er wohl vergessen. Es galt ein Ehepaar von einer riesigen Dummheit abzuhalten.

Kaum hatte er die Tür geschlossen und sich ins Zimmer umgewandt sah er sich Sams prüfendem Blick gegenüber. Entweder hatte sein kleiner Bruder mehr oder weniger auf ihn gewartet oder er war zu laut gewesen. Aber er vermutete eher ersteres. 

Kurz musterte er den Jüngeren. Doch außer, dass Sam vom Schlafen etwas zerknautscht war, sah er aus wie immer. Erleichterung machte sich in ihm breit. Er war so wütend gewesen, weil die den Impala angegriffen hatten, dass er viel zu spät daran gedacht hatte Sam zu warnen. Allerdings waren sie ihm nicht weiter gefolgt als ein paar Yards und er war davon ausgegangen, dass sie sich auf das Haus beschränkten.

Er hatte mit seiner Vermutung also richtig gelegen. Dieser Mob beschützte nur das Haus der Hexe. 

Sam legte die Stirn in Falten. Dean sah irgendwie mitgenommen aus. Und wo kam er jetzt erst her?

„Was ist passiert?“, fragte er so ruhig wie möglich.

„Kann ich erst duschen?“, kam es schleppend von dem Blonden.

„Klar. Ich besorg uns Frühstück“, antwortete der Jüngere und stand auf. Dean warf ihm den Autoschlüssel zu.

„Ist der schwarze Toyota“, sagte Dean und verschwand im Bad.

„Toyota?“ Dem Jüngeren standen mehrere Fragezeichen ins Gesicht geschrieben. Doch die Antwort würde auch erst später kommen. Sein Bruder hatte die Tür schon hinter sich geschlossen.

‚Wieso fahren wir jetzt Toyota? Das Ganze wird ja immer mysteriöser!’, überlegte er und starrte auf die Stelle, an der Dean eben gestanden hatte. Etwas glitzerte am Boden. Schnell hatte er dieses Etwas aufgehoben und ließ es auf seiner Hand hin und her kullern.

„Ein Stück Glas?“, murmelte er verwundert. ‚Aber die Kanten sind nicht scharf. Autoglas? Was ist mit dem Impala?’ Alarmiert schaute er wieder auf die Badezimmertür. Wenn Deans Baby etwas passiert war, würde das zumindest sein Aussehen erklären.

Sam holte tief Luft, zuckte mit den Schultern und zog sich an um endlich für ihr leibliches Wohl zu sorgen.
 

„Erzählst du mir jetzt was los war und warum wir plötzlich Toyota fahren?“, fragte Sam nachdem sie ihr Frühstück fast beendet und er kurz davor war, an Neugierde zu sterben, da Dean wohl nicht von selbst reden wollte, sondern nur abwesend aus dem Fenster starrte.

Der Blonde zuckte zusammen und schien wie aus einem schlechten Traum zu erwachen. 

Einen Augenblick irrten seine Augen orientierungslos durch den Raum, dann fokussierte sich sein Blick wieder. Er rieb sich noch einmal mit der Hand über sein Gesicht und begann dann zu sprechen.

„Ich denke Stephanie DeVendt oder auch Miss Margo ist die Frau, die Bobby meint und du suchst. Die die diese Wünsche erfüllt, oder besser tauscht“, erklärte er etwas unzusammenhängend

„Woher willst du das wissen? Und woher hast du diesen Namen?“ Sam war platt.

Dean schüttelte den Kopf. Er nahm noch einen Schluck Kaffee und versuchte sich zu konzentrieren. Dann erzählte dann weiter.

„Ich hab hier im Stadtarchiv nach ihr gesucht. Die nette Dame an der Information war ganz hilfreich, bis ich tiefer graben wollte. Da wurde sie richtig giftig. Sie hat mich rausgeschmissen und in der Bibliothek in Pine Bluff hatte ich das Gefühl die ganze Zeit beobachtet zu werden.“ Wieder schüttelte er den Kopf.

„Sie scheint keine Eltern zu haben, aber eine Großmutter, die ihr verdammt ähnlich sah und ihr das Haus vererbt hat und danach spurlos verschwunden ist. Auch egal!

Ich habe die DeVendt oder besser ihr Haus in den letzten zwei Nächten beobachtet. Gestern, kurz vor Mitternacht, kam ein Ehepaar. Sie wollten wegen ihrer kranken Tochter mit der DeVendt reden. Da fiel der Name „Miss Margo“. Wir sollten mit den Beide reden.“

„Was wollten sie von ihr?“, fragte Sam interessiert.

„Soviel ich mitbekommen habe ging es wohl um ihre todkranke Tochter. Sie wollten dass sie lebt. Die DeVendt hat dafür zehn Jahre ihres Lebens gefordert. Mutter wollte das sofort machen, Vater war sehr unentschlossen.“

„Zehn Jahre? Ist sie ein Dämon?“

„Nein ich glaube nicht“, antwortete Dean bestimmt und gähnte.

„Irgendwie ist das ungerecht!“, stellte Sam leise fest.

„Was?“

„Naja, Bobby und ich sitzen uns den Arsch platt beim Recherchieren und kommen nicht weiter und du stolperst regelrecht über die Lösung dieses komplizierten Falles.“

„Darf ich dich an die Nixe erinnern? Da bin ich regelrecht in mein Verderben gestolpert.“

„Dafür hast du ja mich!“, antwortete der Jüngere ernst.

Dean gab keine Antwort. 

„Weißt du wo sie wohnen?“, nahm Sam ihren Fall wieder auf.

„Nein, aber ich hab ihr Nummernschild. Und die Vornamen. Vielleicht kommst du damit weiter. Ich denke sie werden hier in Grady ein Zimmer haben. Sie heißen Carl und Kyra.“

Sam griff sofort nach seinem Laptop. 

„Und warum fahren wir jetzt Toyota?“

Deans Miene verfinsterte sich schlagartig. Er schloss die Augen.

„Margo muss die Menschen hier mit einem Bann oder so belegt haben. Ich weiß es nicht. Als ich den beiden zu ihrem Motel folgen wollte, stand plötzlich ein Mob vor mir. Ich kam mir vor wie bei einer Hexenjagd. Wie damals in River Crove. Sie hat einiges abbekommen.“

„Du solltest dich hinlegen bis ich die beiden gefunden hab.“

„Ich kann eh nicht schlafen!“, sagte der Blonde und schob seinen Stuhl ein Stück zurück.

Sam nickte nur und begann das Ehepaar zu suchen. 
 

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht als er zu seinem Bruder blickte. Dean hatte seinen Kopf gegen die Wand in seinem Rücken gelehnt und schlief. 

Doch viel zu schnell musste er ihn wieder wecken.

„Ich hab sie gefunden. Sie heißen Lang mit Nachnamen“, sagte er leise.

Der Blonde blinzelte kurz, dann richtete er sich auf.

„Dann lass uns hinfahren. Vielleicht können wir ihnen ins Gewissen reden.“

Sam erklärte sich bereit zu fahren und Dean ließ sich dankbar auf den Beifahrersitz fallen.

„Was genau hat Bobby herausgefunden?“, fragte Dean. „Ich brauche nur die Fakten.“

„Jemand sollte leben, ein bis dahin vollkommen gesunder Mensch starb. So ähnlich wie bei Roy. Allerdings gibt es auch Fälle bei denen es nur um Geld oder andere materielle Dinge ging.“

Der Ältere nickte und verfiel wieder ins Grübeln.
 

Es dauerte nicht lange, bis sich die Tür zum Zimmer der Langs einen Spalt breit öffnete. Carl schaute skeptisch auf die Männer davor, doch er kam nicht dazu etwas zu sagen.

„Wir müssen reden!“, erklärte Dean energisch und drängte sich in das Zimmer.

Dieser Carl hatte seinen Bruder nicht viel entgegen zu setzen, erkannte Sam und tippte auf Versicherungsvertreter oder irgendein anderer Schreibtischtäter.

„Was unterstehen Sie sich!“, polterte der auch los, nachdem die Brüder vor ihm im Zimmer standen.

„Wie ich schon sagte: Wir müssen reden!“ Dean war übernächtig und hatte sich noch immer nicht beruhigt, was das Attentat auf sein Baby anbelangte. Er war wirklich nicht in der Laune für übertriebene Höflichkeiten oder lange Vorreden.

„Ich wüsste nicht worüber wir mit ihnen reden wollten! Kyra ruf die Polizei!“

Schnell stand Sam neben der verängstigt dreinblickenden Frau und hatte seine Hand auf die ihre gelegt, die schon den Telefonhörer ergriffen hatte.

„Es dauert nicht lange“, erklärte Sam und versuchte freundlich zu klingen, „und dann sind wie wieder verschwunden.“

„Dann reden Sie. Ich kann Sie ja offensichtlich nicht daran hindern!“, sagte Carl und ließ sich auf einen alten Sessel fallen.

„Nein, können Sie nicht.“ Dean begann das Zimmer zu untersuchen.

„Sie waren gestern, oder heute früh, bei Miss Margo.“

„Woher?“

„Auch das spielt keine Rolle!“, unterbrach ihn Dean fuhr fort, ohne die Frage zu beachten, oder seine Suche zu unterbrechen. „Zehn Jahre Ihres Leben mögen für Sie ein gerechter Preis sein. Aber sie sind nur die Bezahlung für die Hexe! 

Der Preis für das Leben Ihrer Tochter ist ein weiteres Leben. Ein Kind wird sterben, damit Ihr Kind leben kann! 

Was sie beide mit ihrem Leben machen, ist ihr Bier. Aber können sie damit leben ein Kind auf dem Gewissen zu haben?“

Die Frau hatte während Deans kleiner Ansprache ihre Hände auf ihr Herz gepresst und war immer bleicher geworden. Ihre Augen waren zwischen den Brüdern hin und her gewandert.

„Aber woher wissen Sie das alles?“, stammelte sie und schaute den älteren Bruder an.

„Wir sind Betroffene der anderen Seite eines solchen Wunsches.“ Dean bückte sich, hob etwas auf und steckte es in seine Tasche.

Sam hatte seinen Bruder die ganze Zeit beobachtet und ihm schweigend zugehört. Er wunderte sich, was Dean da machte und was er zu sagen hatte, aber er war sich sicher, dass der genau wusste wovon er sprach und so hütete er sich ihn zu unterbrechen.

„Aber…“, begann der Mann und wandte sich jetzt an Sam.

„Es ist ihre Entscheidung“, erklärte der Jüngere und blickte zu seinem Bruder. „Wir wollten nur, dass sie die ganze Wahrheit kennen.“

Der Blonde stand schon an der Tür und kaum hatte Sam geendet, als er diese auch schon öffnete und auf den Gang trat. Sein Bruder folgte sofort.

Sie ließen ein vollkommen verwirrtes Ehepaar zurück.
 

In ihrem Zimmer zurück ging Dean sofort zum Spülbecken und holte zwei Hexbags aus der Tasche, die er unter dem Bett der Langs hervorgeholt hatte. Ohne ein weiteres Wort ließ er sie in Flammen aufgehen.

„Und wie gehen wir jetzt weiter vor?“, wollte Sam danach von ihm wissen.

„Ich überlege die ganze Zeit, ob es richtig war, die beiden jetzt allein zu lassen.“

„Sie müssen ihre Entscheidungen selbst treffen. Dabei können wir ihnen nicht helfen. Aber ich möchte nicht in ihrer Haut stecken.“

Der Blonde gähnte.

„Du legst dich jetzt hin und schläfst dich aus. Ich versuche noch mehr Infos zu Miss Margo Stephanie DeVend zu bekommen.“

„Ihre Großmutter hieß Elisabeth. Sie hat ihr das Haus vor etwas mehr als zwanzig Jahren vererbt. Aber ich habe nichts zu Kindern oder Eltern gefunden. Ich vermute, es ist immer dieselbe Hexe. Keine Ahnung wie lange die hier schon ihr Unwesen treibt. Aber wenn sie für jeden Wunsch zehn Jahre fordert, wird sie die auch verwenden können.“

Sam nickte nur. Sein Bruder hatte wesentlich mehr zusammengetragen, als er mit seinen Recherchen erreicht hatte. Das war ihm schon ewig nicht mehr passiert, dass er weniger fand als Dean.

„Wow“, ließ er sich dann auch anerkennend vernehmen. „Okay, dann schlaf dich aus, ich suche weiter.“

Dean nickte und ging zum Bett als Sams Telefon klingelte.

„Hey, Travis!“, grüßte Sam nachdem er abgenommen hatte. „Schön von dir zu hören.“

„Nein, es ist gerade ziemlich schlecht. Wir haben hier selbst einen Fall“, antwortete er nachdem er kurz zugehört hatte. „Es geht um Menschenleben!“

„Travis, bitte. Es ist wirklich … Okay. Ich muss mir nur einen Stift suchen.“ Der jüngere der Brüder verdrehte die Augen. 

„Also, wo? Und wer?“ Er schrieb etwas auf einen Zettel. 

„Wir kommen!“
 

Müde starrte Dean mit brennenden Augen durch das Fernglas und versuchte erfolglos ein weiteres Gähnen zu unterdrücken. 

Gleich nachdem Sam aufgelegt hatte, hatten sie gepackt und ausgecheckt.

Der Jüngere hatte sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass der Motelbesitzer sich freute, dass sie verschwanden, auch wenn er sich nicht so ganz erklären konnte, warum. Außer: Die Dorfbewohner hatten eine Art Buschfunk über den sie alles, aber wirklich alles, weitergaben.

Sie hatten einen kurzen Stopp am Impala gemacht und sich mit einigen Waffen versorgt. Dabei hatte er auch die Schäden begutachten können und er konnte verstehen, warum Dean ausgesehen hatte, als hätte er einige vereiterte Zahnwurzeln.
 

„Was soll an diesem Montgomery denn so Ungewöhnliches sein?“, wollte der Blonde mit schleppender Stimme wissen und riss Sam damit aus seinen Gedanken.

„Wir sollen auf alles achten, was uns unnatürlich vorkommt“, antwortete der Jüngere und ließ sein Fernglas sinken. Er drehte sich zu Dean um und musterte ihn besorgt.

„Willst du dich nicht lieber hinten hinlegen? Oder lass uns wenigstens die Plätze tauschen. Ich kann dich ja wecken, wenn mir was auffällt und wenn nicht, dann fahre ich zurück ins Motel.“

„Geht schon, Sammy!“, ließ sich der Blonde müde vernehmen. ‚Wenn der Kleine mich noch mal fragt, dann gehe ich drauf ein’, überzeugte er sich selbst um noch ein wenig länger durchzuhalten. Die letzten mehr oder weniger durchwachten Nächte machten sich bemerkbar. Und der Frust, dass er den Impala, so, irgendwo hatte stehen lassen müssen und sich nicht sofort um ihre Reparatur kümmern konnte zerfraß ihn noch mehr. Er fühlte sich nur noch erschöpft, geistig und körperlich.

Erneut rieb er sich über seine schmerzenden Augen und ließ das Fernglas sinken. Seine Lider schlossen sich. Noch einmal versuchte er sie zu öffnen, doch die Müdigkeit war stärker.

Deans Kopf sank auf seine Brust. Langsam sackte er in sich zusammen.

Sam warf einen besorgten Blick auf seinen Bruder. Er ärgerte sich, dass er Travis nicht energischer abgesagt hatte. Dean hatte, seit sie in Grady waren, viel zu wenig geschlafen. Dass er sich überhaupt bis jetzt auf den Beinen hatte halten können, war schon ein kleines Wunder. Gut, dass er während der Fahrt hierher recherchiert hatte. Obwohl? Wenn Dean anders als sonst gefahren wäre, wäre es ihm mit Sicherheit trotzdem aufgefallen und das war es nicht. Also konnte sein Bruder wohl übermüdet auch noch wunderbar Auto fahren.

Sam im Rage

140) Sam in Rage
 

Sam wollte abbrechen. Dieser Jack Montgomery schien ein ganz normaler Mensch zu sein. Hoffentlich tauchte Travis bald auf und ließ sich genauer über seine Vermutungen aus! Aber hier noch weiter herumzusitzen und in seine Zimmer zu starren schien sinnlos. Und Dean brauchte dringend ein Bett!

Montgomery kam in sein Blickfeld. Er öffnete den Kühlschrank und holte etwas heraus, dass er sich gierig in den Mund stopfte.

„Irg!“, machte der jüngere Winchester. Da waren ja selbst die Essgewohnheiten seines Bruders harmlos.

Der Blonde schreckte hoch. Er riss das Fernglas an die Augen, knallte es sich in seiner Hektik gegen die Augenbraue und knurrte ungehalten. 

Die erste Fressattacke hatte er allerdings verpasst. Aber immerhin konnte er jetzt live und in Farbe mitverfolgen, wie der Mann sich an einer Packung mit rohem Hackfleisch zu schaffen machte und deren Inhalt hastig in seinen Mund stopfte. Auch er schluckte.

„Also das ist eindeutig nicht normal!“, ließ er sich vernehmen.

„Ja.“

Sie blieben noch, bis die Montgomerys zu Bett gingen, nicht dass vielleicht doch noch was passierte.

Doch das Haus lag im Dunkeln. Nichts regte sich mehr.

„Jetzt lass uns zum Motel fahren. Du schläfst dich aus. Wir müssen eh auf Travis warten. Ich denke er wird uns mehr dazu sagen können“, schlug Sam lange nach Mitternacht vor. „Der kommt heute Nacht bestimmt nicht mehr raus um jemanden zu ermorden.“

Der Blonde nickte müde, startete den Wagen und fuhr sie zum Motel.
 

„Ich hoffe, dir schmeckt unser Bier“, begrüßte Dean den alten Jäger und zwang sich zu lächeln. Er mochte Travis wirklich, aber jetzt war er einfach zu müde und wollte nur noch ins Bett.

„Tut mir leid, dass ich erst jetzt da bin“, begrüßte er die Brüder und erhob sich etwas schwerfällig, seinen Gipsarm vorsichtig vor seinen Bauch haltend.

„Seid ihr groß geworden, Jungs“, stellte Travis fest und zog die Brüder nacheinander in eine herzliche Umarmung.

„Ist ja auch schon ewig her“, nuschelte Dean und unterdrückte ein Gähnen. 

„Müssen über zehn Jahre sein!“, überlegte Sam.

„Bist du eigentlich immer noch so ein Intelligenzbolzen?“, fragte der Alte. 

Sam schaute zu Boden und Dean nickte nur.

Der alte Jäger musterte die Brüder skeptisch. Er hatte mehr Wiedersehensfreude erwartet.

„Geh schlafen, Dean!“, forderte der Jüngere leise. Er legte seinem Bruder die Hand auf die Schulter und drehte ihn Richtung Bett. Dean zuckte leicht zusammen. Er wäre fast im Stehen eingeschlafen.

Travis staunte nicht schlecht, dass der Blonde ohne ein weiteres Wort im Bad verschwand.

„Entschuldige uns bitte, aber Dean kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Er hat die letzten Tage kaum Schlaf gekriegt“, erklärte Sam.

„Du hättest was sagen können!“

„Ich habe dir gesagt, dass wir an einem Fall arbeiten. Es war dir egal, weil es hier angeblich einen Notfall geben würde, bei dem mehrere Menschenleben bedroht sein sollten. Also sind wir sofort gekommen. Aber außer dass der Mann rohes Fleisch in sich hineinstopfte, haben wir nichts Gefährliches entdecken können. Und da ich nicht glaube, dass er jetzt eine Epidemie mit Bandwürmern, Trichinen oder Salmonellen auslösen wird, wirst du dich bis morgen gedulden müssen!“, antwortete Sam schärfer als er es eigentlich wollte.

„Sammy, bitte!“, nuschelte Dean, der den letzten Teil seines Vorwurfes mitbekommen hatte und blickte ihm in die Augen.

Der Jüngere nickte, schaute dann zu Travis und deutete auf die Tür: „Bitte lass uns morgen darüber sprechen.“

Der alte Jäger nickte ungehalten, nahm sein Bier und verließ das Zimmer der Jungs. Als John noch lebte, wäre das nicht passiert!
 

„Los raus aus den Federn. Die Sonne lacht und es ist ein wunderschöner Tag für eine Jagd!“, brüllte Travis einem unfreundlichen Sergeant gleich, kaum dass er die Tür zum Zimmer der Winchesters hinter sich wieder geschlossen hatte.

Dean saß sofort aufrecht im Bett, rieb sich die Augen und schlug dann die Decke zurück um aufzustehen. Sam starrte den Alten verdattert an. Sein Blick wanderte zum Wecker und jetzt riss sein Geduldsfaden.

„Es reicht Travis!", der Jüngere stand auf. „Dean, du legst dich wieder hin und schläfst dich aus, und du“, fuhr er den Jäger an und baute sich vor ihm auf, „du wirst warten, bis mein Bruder ausgeschlafen ist. Es nutzt keinem, wenn Dean irgendwann zusammenbricht oder zu langsam reagiert weil er übermüdet ist.“

„Ich brech nicht…“, begann der Blonde zu protestieren.
 

„Deine Meinung ist hier aber nicht gefragt, Dean!“ Sam war eindeutig wütend. Langsam drängte er den Alten Richtung Tür. „Du bringst uns dazu einen Fall einfach liegen zu lassen und Hals über Kopf hierher zu kommen, obwohl du auch noch nicht hier bist! Dean hat, wie ich dir heute Nacht schon erklärt hatte, in den letzten Tagen kaum geschlafen, weil er unsere Verdächtige überwacht hat. Er ist hierher gefahren, während ich nach deinem Montgomery gesucht habe. Wir haben ihn gefunden und eine Weile beobachtet um überhaupt zu wissen, warum du ihn jagst, obwohl mir das noch immer nicht klar ist.  Und als wir hierher kommen, hockst du in aller Seelenruhe in unserem Zimmer, trinkst unser Bier…“

„Sammy, bitte ich kann auch…“, versuchte Dean die Wogen zu glätten.

„Nein Dean! Du kannst nicht. Du hattest in den letzten vier Tagen keine zehn Stunden Ruhe und als wir ins Bett gegangen sind war es nach zwei. Jetzt ist es noch nicht mal sieben. Schön für dich, Travis, wenn du so wenig Schlaf brauchst“, wechselte er kurz seinen Ansprechpartner, nur um sich dann wieder an seinen Bruder zu wenden: „Ich kenne dein Verlangen nach Harmonie, aber das wirst du jetzt mal verdrängen und an dich denken, denn Travis wird jetzt wieder gehen und warten, bis du ausgeschlafen bist! Mir ist deine Gesundheit nämlich wichtiger als die jedes anderen Menschen. Und wenn Travis das nicht versteht, dann kann Travis sehen wie er, was auch immer, alleine zur Strecke bringt!“

Der ältere Winchester schaute etwas verloren aus der Wäsche. Im Grunde hatte Sam ja recht, aber trotzdem fand er es nicht richtig, wie sein Bruder mit dem alten Freund ihres Vaters umging. Doch dem schienen seine Befindlichkeiten so ziemlich egal zu sein. Er drängte den Alten durch die Tür, schloss sie hinter ihm, verschloss sie wieder und stellte, da er sich sicher war, sie auch verschlossen gehabt zu haben, als Travis heute morgen gegangen war, einen Stuhl unter die Klinke. Jetzt sollten sie Ruhe haben.

Dean hatte sich schulterzuckend mit Sams Ansage abgefunden und wieder hingelegt. Er schlief schon als sich der Jüngere wieder hinlegte.
 

Der ältere Winchester war kur nach Mittag soweit ausgeschlafen, dass er von selbst wach geworden war.

Die Brüder hatten sich schnell fertig gemacht und gingen jetzt mit Essen beladen zu Travis.

„Ich finde es nicht gut, wie du Travis heute Morgen behandelt hast! Er kennt uns schon ewig und hat John öfter geholfen als ich mich erinnern kann. Schon alleine dafür hat er Respekt verdient“, erklärte Dean gerade und klopft an die Tür des Alten.

„Ja, aber wir sind keine Kinder mehr und machen denselben Job wie er. Wir sind gut in dem was wir tun und auch wir können etwas Respekt erwarten!“, entgegnete Sam. „Außerdem glaube ich nicht, dass er einen Fall hätte einfach so liegen lassen, nur um uns helfen zu kommen! Das würde nicht mal Bobby machen!“

„Trotzdem hättest du etwas diplomatischer sein können!“

„Tut mir Leid Dean, aber so aus dem Schlaf gerissen funktioniert meine Diplomatie noch nicht.“

Der Alte öffnete die Tür. Er grinste, denn er hatte die letzten Sätze der Unterhaltung mitbekommen.

„Wo ist denn der Impala? Hast du das Andenken an deinen Dad jetzt endgültig zerlegt oder sogar verkauft?“, wurde Dean empfangen. Seine Gesichtszüge entgleisten und Sam wusste nicht, ob er jetzt schon wieder wütend sein sollte, wegen dieser Unterstellung oder sich ein kurzes Grinsen und die Worte ‚Dann zeig du mal Respekt’ zu seinem Bruder sagen sollte.

„Der steht gut versteckt in einer Scheune und ich hoffe für dich, dass dein Fall wichtig ist, sonst bin ich hier schneller wieder weg als du ‚warte’ sagen kannst!“, blaffte der Blonde. Er drückte dem alten Jäger ein Tablett mit Essen in die Hand und drängelte sich in dessen Zimmer.

Eisiges Schweigen herrschte während des Essens.
 

„Also, weshalb brauchst du unsere Hilfe?“, fragte Dean nachdem er seine Gabel beiseite gelegt hatte. Er wollte das hier so schnell wie möglich hinter sich bringen und jetzt, mit vollem Magen, war er etwas versöhnlicher gestimmt.

„Ich bin hinter einem Rougarou her.“

„Rougarou? Da klingt nach Pooh-Bär. Känga und Roo. Aber was ist ein Rouga?“, der Blonde grinste und Sam verdrehte die Augen. Hatten sie nicht vor ein paar Tagen erst geklärt, dass Dean nicht so doof war? Aber ihm schien es Spaß zu machen, den Trottel zu spielen.

„Ein Rougarou hässliches Vieh, faulige Zähne…“

„Montgomery sieht ganz normal aus. Uns ist nichts dergleichen aufgefallen. Er hat eine hübsche Frau, ein Haus und ein Handy am Gürtel!“, warf der Blonde ein.

„Das kommt noch früh genug!“, erklärte Travis und fuhr dann fort, „er ist sowas wie eine Mischung aus Wendigo und Loup-garou, einer Art Werwolf. Ich habe bis jetzt nur Männer gesehen, die sich in sowas verwandelten. Es hat schon seinen Grund, warum sie anfangs ganz normal aussehen und sich erst später verändern. Aber wenn diese Wandlung einmal eingesetzt hat wird es mehr als hässlich! Dann entwickelt er einen unnatürlichen Hunger auf Fleisch und sobald er einmal Menschenfleisch gekostet hat, setzt die endgültige Metamorphose ein. Er wird zu einem kaltblütigen Killer, der seine Gier hemmungslos auslebt. Rougarous haben ständig einen unstillbaren Hunger und am nahrhaftesten ist Langschwein.“

„Langschwein?“, fragte der Blonde verwundert.

„Menschenfleisch“, erwiderte Sam.

„Okay. Aber er hat sich noch nicht verwandelt und auch noch niemanden angefallen“, stellte Dean fest. „Woher weißt du dann, dass er ein Rougarou ist und Menschen fressen wird?“

„Ich habe seinen Vater gejagt und zur Strecke gebracht. Er war bis dahin ein ganz normaler Zahnarzt. Bevor ich ihn erlegen konnte, hat er acht Menschen angefallen und fast komplett aufgefressen. Seine Frau ist danach untergetaucht. Irgendwann hab ich erfahren, dass sie schwanger war, aber sie hatte das Kind zur Adoption freigegeben. Ich konnte es nirgends finden.“

„Du hast jemanden nicht gefunden?“, fragte der jüngere Winchester erstaunt.
 

„Vielleicht wollte ich ihn nicht finden? Kinder töten ist nicht jedermanns Sache.“
 

Der Blonde nickte. „Und wie können wir ihn vernichten?“

„Man kann sie nur töten indem man sie verbrennt“, erklärte Travis. „Ihr könntet mir schon mal helfen ein paar Flammenwerfer zu bauen.“

Dean schluckte: „Lebendig verbrennen?“

„Es wird widerlich“, nickte der Alte.

„Wir haben den Colt!“, merkte der Blonde an, dem es auch nicht gefiel einen Menschen lebendig zu verbrennen.

„Welchen Colt?“

„Den Colt von Samuel Colt! Er tötet alles.“

„Ihr habt den Colt?“

„Ja.“

„Trotzdem sollten wir einen oder zwei Flammenwerfer parat haben!“, ließ sich der Alte nicht von seiner Jagdmethode abbringen.

„Und du bist dir sicher, dass Montgomery auch Menschenfleisch essen wird?“, wollte Sam skeptisch wissen. Schon der Gedanke einen Menschen lebendig verbrennen zu müssen ließ ihn schaudern.

„Jeder Rougarou verwandelt sich irgendwann. Es steckt in ihnen und dieser Drang ist nicht zu kontrollieren!“

„Das glaube ich einfach nicht!“, erklärte Sam in einem Ton, der deutlich sagte, dass es sinnlos war weiter mit ihm darüber zu diskutieren.

Dean musterte seinen kleinen Bruder. Alles an ihm drückte Ablehnung aus. So kannte er Sam gar nicht. Natürlich hatte der Kleine immer wieder seine bockigen Phasen gehabt und sich dann gegen alles gesperrt. Aber das war Jahre her. Warum sträubte er sich so sehr gegen diese Tatsache? Aber was noch schlimmre war, Dean spürte, dass es nicht nur das Verbrennen war, das Sam gegen den Strich zu gehen schien.

„Hilf du ihm, Dean. Ich will noch etwas recherchieren“, sagte der Jüngere und deutete dabei auf die Teile für einen Flammenwerfer. Dann ging er zurück in ihr Zimmer.

Der Blonde zuckte mit den Schultern. Er wandte er sich dem alten Jäger zu und gemeinsam machten sie sich daran die Flammenwerfer zu bauen, obwohl auch er alles andere als erfreut darüber war einen Menschen lebendig zu verbrennen, egal was der noch tun würde. Tief in ihm drin hoffte er auf Sams Können und darauf, dass der eine andere Lösung fand.

Ein sinnloses Gespräch

141) Ein sinnloses Gespräch
 

Sam blieb eine Weile vor ihrem Zimmer stehen. Er wollte einfach nicht glauben, dass jemand, nur weil er etwas Böses in sich hatte, auch unbedingt böse werden musste. Das würde ja bedeuten, dass er, egal wie sehr er sich anstrengte, auf die dunkle Seite wechseln würde. 

Immer wieder hatte er mit Dean reden wollen, immer wieder hatte er ihm von dem Dämonenblut in sich erzählen wollen und immer wieder hatte er es verschoben. 

Zuerst hatte Deans Pakt über ihnen geschwebt wie ein Damoklesschwert. Damals hatte er seinen Bruder damit nicht auch noch belasten wollen und dann? Portland, Bangor? Da war Dean noch viel zu angeschlagen von den Verletzungen, die der Höllenhund ihm beigebracht hatte. Danach waren sie in El Paso gefangen gewesen. Da hatte er sich nicht daran erinnern können und dann war alles Schlag auf Schlag gegangen.

Er wusste, dass er mit diesen Ausreden nur sein schlechtes Gewissen gegenüber Dean beruhigen wollte.

Es half nicht viel. Außerdem brachte es nichts, vertanen Gelegenheiten nachzutrauern. Er musste endlich mit seinem Bruder reden! Er musste seine Angst vor Deans Reaktion überwinden und sich dem stellen, was er war, ob er etwas dafür konnte oder nicht! Aber wie würde Dean reagieren?

Würde er ihn wegschicken? Würde er weiterhin mit ihm jagen wollen? Würde er gehen? Sie hatten soviel miteinander durchgemacht, sie hatten einander soviel zu verdanken, er Dean mehr als andersherum. Er wollte nicht plötzlich alleine dastehen.

Doch zuerst wollte er selbst Klarheit darüber, ob jeder Rougarou ein Menschenfresser wurde. Jack Montgomerys Leben war jetzt wichtiger. 
 

Stunden später stieß Sam wieder zu den beiden anderen Jägern. Sie waren noch immer mit den Flammenwerfern beschäftigt.

„Sie werden nicht alle zu Monstern!“, sagte er ohne eine Begrüßung.

„Wie kommst du denn darauf?“, wollte Travis sofort wissen und auch Dean schaute auf.

„Ich habe im Internet etliche Berichte von und über Rougarous gefunden und nicht wenige von ihnen haben den letzten Schritt nie gemacht. Sie haben zwar ihren Hunger aber den konnten sie auch mit viel rohem Fleisch stillen. Ich werde Montgomery nicht töten, bevor er nicht zu einer wirklichen Gefahr geworden ist!“

„Mir ist noch keiner untergekommen, der sich nicht verwandelt hat“, erklärte der Alte aufgebracht, „Oder willst du dein Internet über meine Erfahrungen stellen?“

„Wenn du ihn töten willst, dann ohne mich. Sag es und ich verschwinde hier und kümmere mich wieder um unseren Fall. Da sind wirklich Menschenleben in Gefahr!“

„Sammy?“, fragte der Blonde jetzt irritiert. Er war auch kein Befürworter von Travis’ Jagdmethode, sondern hoffte auf den Colt. Die Leiche konnten sie dann immer noch verbrennen. Doch jetzt wollte er das hier beenden. Noch einen offenen Fall wollte er nicht an den Hacken haben. Aber was wenn Sam wirklich ging? 

„Was schlägst du vor?“, wollte er also wissen.

„Wir sollten mit ihm reden. Wenn er weiß was mit ihm geschieht, dann kann er dagegen ankämpfen. Er muss nicht zwangsläufig zum Mörder werden!“

„Er wird töten! Und die Opfer werden auf deinem Gewissen lasten!“, prophezeite Travis düster.

Dean blickte von einem zum anderen. Dann holte er tief Luft. Was würde er sich vergeben, wenn er mit Sam zu dem Typen fahren und mit ihm reden würde? Wenn seinem kleinen Bruder soviel daran lag, dann sollten sie es machen. Er glaubte zwar auch nicht, dass der Mann zu bekehren sei, das waren die wenigsten, aber ein Versuch war es wert. 

Vielleicht bekam er dabei ja auch gleich noch heraus, was mit Sam los war.

Er nickte: „Okay, Sam. Wir fahren morgen zu ihm und reden mit ihm. Vielleicht hast du ja Recht.“

Sam lächelte seinen Bruder dankbar an.

„Ich besorge uns was zu Essen“, sagte der Jüngere und war froh das Zimmer wieder verlassen zu können. Lange würde er dem forschenden Blick seines Bruders nicht mehr standhalten können.

„Was hat dein Bruder?“, wollte Travis auch sofort wissen, kaum dass sich die Tür wieder geschlossen hatte.

„Ich weiß es nicht, aber glaube mir, ich werde es herausfinden. Und da Jack sich noch nicht weiter verwandelt hat, denke ich, können wir uns einen Tag Verzögerung leisten.“ 

Der Alte schüttelte nur den Kopf, er wollte keine weitere Verzögerung hinnehmen, doch sein Gipsarm behinderte ihn ziemlich stark, sodass er nur ungern alleine losziehen wollte. 

Dean wandte sich wieder dem Flammenwerfer zu, um den endlich fertig zu stellen. Er nahm sich fest vor, den auf keinen Fall benutzen zu wollen. Immerhin hatten sie ein besseres Mittel Jack aufzuhalten, wenn es sein musste. Egal ob Travis an seine Wirkung glaubte oder nicht.
 

Dean parkte dem Toyota auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu Montgomerys Haus. Er warf einen Blick auf Sam, doch sein kleiner Bruder, der die ganze Fahrt hierher, stur aus dem Seitenfenster gestarrt hatte, hatte schon die Tür geöffnet und stieg aus. 

Er hob eine Augenbraue und beeilte sich dann, ihm zu folgen. So langsam wurde das Schweigen zwischen ihnen bedrohlich und Dean nahm sich vor, sobald sie mit Jack gesprochen hatten, mit seinem Bruder zu reden. 

Bei dem Gedanken zuckte er innerlich zusammen. Er wollte freiwillig reden, aber so konnte es zwischen ihnen nicht weitergehen! 

Mit etwas Abstand folgte er Sam.

„Jack Montgomery?“, fragte der den Mann der gerade in die Garage gehen wollte. 

Jack blieb stehen und drehte sich zu den Brüdern um.

„Mein Name ist Sam und das ist mein Bruder Dean“, stellte der Jüngere sie vor.

„Was wollen Sie?“

„Wir wollen mit Ihnen reden. Aber besser nicht hier in aller Öffentlichkeit!“, begann der Blonde.

Montgomery zuckte mit den Schultern, bat sie in die Garage und blickte ihnen weiter fragend entgegen.

„Wir wissen von den Veränderungen, die Sie gerade durchmachen“, begann Dean.

„Veränderungen?“, fragte Montgomery skeptisch. Woher sollten diese beiden etwas von dem wissen, was ihm in den letzten Tagen widerfahren war.

„Ihre Knochen haben sich verschoben und sie haben einen enormen Hunger entwickelt, einen regelrechten Heißhunger auf rohes Fleisch.“

„Woher?“, wollte Jack wissen. Verhaltene Hoffnung glomm in seinen Augen. Vielleicht konnten diese beiden ihm ja erklären, was mit ihm geschah.

„Sie sind, Sie werden zu einem Rougarou“, sagte Sam.

„Ein was?“

„Klingt lustig, ist es aber absolut nicht!“, erklärte der Blonde.

„Ihr Vater hat Ihnen das vererbt“, bestätigte Sam, ohne auf die Frage des Mannes einzugehen. Er wollte ihm nicht erzählen, was er über Rougarous, deren Aussehen und Verhalten, herausgefunden hatte. Nicht solange er es vermeiden konnte.

„Mein Vater?“

„Ihr richtiger Vater, ja. Es liegt in Ihren Genen. Aber Sie können dagegen ankämpfen. Es wird nicht leicht sein, doch Sie können es schaffen. Solange Sie bei totem, rohem Fleisch bleiben wird es nie zur vollständigen Metamorphose kommen“, beschwor ihn der jüngere Winchester, „und sie werden nie zu einer Gefahr für andere.“

„Und wenn nicht?“

„Wenn Sie Ihrem Trieb nachgehen und sich an Menschen vergreifen, dann müssen wir uns um Sie kümmern“, erklärte der ältere Bruder kalt.

„Um meinen Vater, hat sich auch jemand um ihn „gekümmert“?“

„Ja!“

Montgomery schwieg eine Weile. Er musste die Aussagen der Männer und ihre Bedeutung zuerst einmal verarbeiten und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Und was sich dabei herauskristallisierte war alles andere als beruhigend. Außerdem stieg Wut in ihm auf. Jemand hatte ihm seine richtigen Eltern genommen und so die Chance auf eine unbeschwerte Kindheit!

„Sie wollen mir erklären, dass ich zum Menschenfresser werde“, fragte er hysterisch. „Und dass sie mich dann … was? Jagen? Töten?“ Er wurde immer lauter und seine Stimme überschlug sich fast.

„Leider! Aber es muss nicht sein, Jack, bitte, Sie…“, versuchte Sam zu beruhigen.

„Verschwinden sie von meinem Grundstück, bevor ich die Polizei rufe!“

„Bitte, Sir! Ihre Frau, Ihre Freunde, alle Menschen in Ihrer Umgebung sind gefährdet“, versuchte Dean dem Mann die Gefahr zu verdeutlichen.

„Raus!“

Die Brüder warfen sich einen Blick zu und verließen dann die Garage.

„Das ist ja hervorragend gelaufen!“, stellte der Blonde zynisch fest.

Der Jüngere ließ den Kopf hängen und sagte nichts, egal, was sein Bruder ihn auch fragte.
 

Am Abend hielt Dean das Schweigen nicht mehr aus. Wenn sie nicht noch einen Fall zu lösen hätten, dann wäre er in die nächste Bar gefahren und hätte sich ordentlich betrunken. Doch so hockte er auf seinem Bett und zappte unmotiviert durch die einzelnen Kanäle. Sam hatte während der Rückfahrt geschwiegen und sich, kaum dass sie wieder in ihrem Zimmer waren, hinter seinem Laptop versteckt.

Der Blonde warf die Fernbedienung weg und stand auf.

„Ich hole uns was zu essen.“

Sam reagierte nicht.
 

Keine fünf Minuten später kam Dean zur Tür hereingestürzt.

„Travis ist weg!“

„Wie weg?“, wollte Sam irritiert wissen und schaute zu seinem Bruder.

„Er ist nicht in seinem Zimmer und sein Auto ist auch nicht da!“, erklärte der Blonde genervt.

„Er will Montgomery jetzt aber nicht im Alleingang vernichten?“, fragte Sam das Offensichtliche.

„Woher soll ich das wissen, Sam? Mit mir redet hier ja keiner!“, erwiderte der Blonde aufgebracht. Es reichte ihm so langsam. Sam schwieg ihn an und Travis war auch alles andere als begeistert gewesen, als er ihm von ihrem Gespräch berichtet hatte. „Aber verdenken könnte ich es ihm nicht!“

„Du stehst auf seiner Seite? Du bist also auch der Meinung, dass man alles vernichten müsste, was Etwas, vielleicht Böses, in sich hat?“, fragte der Jüngere wütend.

„Ich weiß zwar nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat oder warum du dich jetzt so für Montgomery einsetzt, aber wir sollten erstmal Travis suchen. Und dann will ich endlich von dir wissen, warum du so komisch bist!“

„Ich bin nicht komisch!“

„Und wie komisch du bist, Sam!  Ich mag ja vielleicht ein emotionaler Krüppel sein, aber ich merke, dass mit dir was nicht stimmt, also rede dich nicht raus!“ Der Blonde drehte sich um und ging zu ihrem Wagen.

Sam klappte seinen Rechner zu und beeilte sich seinem Bruder zu folgen.

Verstohlen musterte er den Blonden, kaum dass er auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte.

Gegen wie viele von Deans Falscheinschätzungen würde er wohl noch kämpfen müssen? Wie viele  davon hatte er? Den geistigen Tiefflieger, den Dean immer noch gerne gab, hatte er ja schon mal offiziell widerlegen können und den emotionellen Krüppel? Man musste Dean doch nur mal beobachten, wenn es um Kinder ging, oder als er ihm die Fotos von Mom geschenkt hatte. Nein, sein Bruder hatte genauso viele Gefühle wie er selbst, er schaffte es nur besser diese zu verbergen. Wahrscheinlich war es so leichter für ihn, ihr Leben zu leben.

„Na toll!“, schimpfte der Blonde leise und parkte den Toyota hinter Travis’ Wagen.

„Hoffentlich hat er nichts Falsches gemacht“, flehte Sam und griff nach dem Flammenwerfer, der im Fußraum vor ihm lag. Dean schob sich den Colt in den Bund und gemeinsam gingen zu über den Rasen zum Haus.

Sie wollten gerade klingeln, als die Tür aufgerissen wurde. Mrs. Montgomery stolperte aus dem Haus in Sams Arme. Er versuchte sie zu halten, doch sie machte sich los und rannte hysterisch weinend und schreiend davon.

Die Brüder warfen sich einen Blick zu, der nichts Gutes verhieß, und betraten das Haus. Der kupferartige Geruch nach Blut schlug ihnen entgegen. 

Sichernd schauten sie sich um. Im Eingangsbereich sahen sie eine riesige Blutspur, die hinter eine Couch führte. 

Langsam näherten sie sich dieser Couch aus verschiedenen Richtungen. 

Plötzlich schoss etwas aus der Küche gegen Sam. 

Der Jüngere wurde gegen die Couch gestoßen und blieb benommen liegen. 

Dean versuchte den Colt zu ziehen. Doch bevor er ihn in der Hand hatte war diese Etwas vor ihm und versetzte ihm einen so heftigen Schlag gegen seinen Brustkorb, dass er gegen den Treppenaufgang krachte und bewusstlos zu Boden ging.

Montgomery nahm das Seil, das neben einem Stuhl lag, packte Sam und fesselte seine Hände. Dann drehte er ihn zu sich um.

Der jüngere Winchester blinzelte den Mann an. Er sah furchtbar aus und doch schien die Veränderung noch im Gange zu sein.

„Was haben Sie getan?“, fragte der Winchester fassungslos.

Jack schaute Sam verwundert an. 

„Was ich gemacht habe? Sie haben doch Ihren Freund auf mich gehetzt!“, polterte er dann unvermittelt los.

„Wir haben ihn nicht…“

„Er wollte meine Frau töten!“, unterbrach der Rougarou. Er wandte sich von Sam ab und blickte zu Dean. Witternd hob er den Kopf.

„Aber warum?“, lenkte Sam dessen Aufmerksamkeit schnell wieder auf sich.

„Das…“, begann Jack und fixierte den schmalen Streifen Blut, der von Sams Lippe über sein Kinn lief.

Mit einem Knurren riss er sich davon los. „Das hat er nicht gesagt!“ Er hob die Hand und streckte seine Finger langsam aus. 

Angewidert drehte Sam seinen Kopf. 

Montgomerys Hand schoss nach vorn, umschloss Sams Kinn und zwang ihn, ihn wieder ihn anzusehen.

„Jack, bitte! Sie müssen nicht töten!“, versuchte der Winchester, leicht nuschelnd, ihr Gespräch in Gang zu halten.

Der Angesprochene schnaubte nur verächtlich.

„Sie können immer noch damit aufhören! Bitte, es muss nicht so enden!“

„Dafür ist es jetzt zu spät. Hast du mich schon mal genauer angeschaut?“

„Hey Jack!“, ertönte plötzlich Deans Stimme und Montgomerys Kopf ruckte in dessen Richtung.

„Lass meinen Bruder in Ruhe!“

„Ihr habt euren Freund hierher geschickt. Er wollte meine Frau töten!“

„Und deshalb hast du ihn im wahrsten Sinne des Wortes gefressen?“

„Er hat meine Frau bedroht!“

„Und deshalb bedrohst du jetzt meinen Bruder?“

„Ihr habt ihn zu mir geschickt!“, wiederholte sich der Mann wütend und verstärkte seinen Griff an Sams Kinn so sehr, dass er ein leises Stöhnen von sich gab.

„Wir haben ihn nicht geschickt!“, erklärte der Blonde mit Nachdruck. „Und  jetzt lass meinen Bruder los!“

„Was, wenn nicht?“

Sam, Sam und ... Sam

142) Sam, Sam und ... Sam
 

Deans Arm ruckte nach oben. Der Lauf des Colts zielte auf Montgomerys Kopf. 

Der stieß einen wütenden Schrei aus und bewegte sich.

Dean schoss.

Jacks Augen weiteten sich erstaunt. In seiner Stirn klaffte ein Loch. Er hob seine Hand, doch er führte die Bewegung nicht zu Ende. Wie in Zeitlupe kippte er nach hinten. Er fiel auf den kleinen Glastisch, der vor der Couch stand. Mit lautem Krachen zerplatzte das Glas. Die Splitter regneten zu Boden.

Dean war, kaum das er den Schuss abgefeuert hatte, zu Sam gestürzt.

„Bist du okay?“

„Ja, Dean mir geht’s gut!“, antwortete er und musterte das Blut, das seinem Bruder über die Schläfe lief. „Und du?“

„Ich bin“, begann der Blonde.

„Bitte, Dean! Nicht wieder diesen Scheiß! Du kannst es noch so oft sagen. Es wird dadurch nicht glaubwürdiger!“

Der Ältere schwieg. Noch einmal musterte er seinen kleinen Bruder. Das meiste Blut auf seiner Kleidung schien von Jack zu kommen. 

Dean stemmte er sich in die Höhe. Kurz schwankte er und kniff die Augen zusammen. Dann hatte sich sein Kreislauf wieder stabilisiert und die Kopfschmerzen gingen auf ein erträgliches Maß zurück. Er schaute sich nach Montgomery um.

Der Rougarou lag auf dem Rücken und starrte mit offenen Augen zur Decke.

„Wir sollten nach Travis suchen“, begann Sam.

„Das brauchen wir nicht mehr.“

„Du weißt wo er ist? Hast du ihn gesehen?“

„Ja. Er ist nicht mehr er!“

Der Jüngere blickte zu Dean und machte Anstalten, um die Couch zu gehen.

„Lass es, Sammy. Das willst du nicht sehen.“

Sam hörte nicht. Natürlich nicht! Er ging um das Möbelstück herum.

„Das ist Travis?“, fragte er und starrte auf die zerfetzten Reste.

„Es sieht wie seine Hose aus“, nickte der Blonde.

„Wie sollten hier verschwinden!“, erklärte Sam.

„Willst du ihn so liegen lassen?“

„Was schlägst du vor?“

„Hoffentlich hat Mrs. Montgomery eine gute Versicherung. Wir sollten ihn verbrennen.“

„Du bist und bleibst ein alter Brandstifter“, versuchte Sam die Situation aufzulockern. Doch weder Dean noch er konnten darüber lachen. Er nahm den Flammenwerfer, der ihm bei Jacks Angriff entfallen war und legte Feuer.

Schnell waren die Brüder verschwunden. 
 

Sie fuhren über Umwege zu ihrem Motel und schafften es unbemerkt in ihr Zimmer zu kommen.

Erleichterung machte sich in Sam breit, als er die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, hatte er doch keine Lust, das Blut und die Gehirnmasse, die noch immer auf seinen Kleidern und in seinen Haaren hingen zu erklären. Er warf seinem Bruder ein Lächeln zu, als der ihm bedeutete zuerst duschen zu gehen.

„Du hast mehr abbekommen“, sagte der Blonde nur und begann seine Sachen zu packen.
 

Sam beeilte sich. Auch er wollte hier so schnell wie möglich verschwinden.

Er packte seine Kleidung zusammen und räumte das Zimmer auf, während Dean duschte.

Bevor sie verschwanden, durchsuchten sie noch Travis’ Zimmer und beseitigten alle Spuren, die auf sie als Jäger und auf einen eventuellen Zusammenhang zwischen ihnen und Travis und Travis und Montgomery hindeuteten. Wenigstens das waren sie ihm schuldig, meinte der Dean.

Danach checkten sie aus.

Außerhalb der Stadt tauschten sie den Toyota gegen einen Ford und fuhren nach Pine Bluff.
 

Nach Mitternacht betraten sie ihr Zimmer. Sie hatten sich geeinigt, dass es für alle Beteiligten wohl sicherer wäre, wenn sie sich dieses Mal in hier ein Motel suchten, auch wenn es bis zu Miss Margo dann weiter zu fahren war.

Dean warf seine Tasche neben sein Bett und drehte sich zu Sam um. Der hatte sich schon wieder hinter seinem Laptop verkrochen. ‚Wie schnell kann der das Ding eigentlich auspacken und hochfahren?’, überlegte der Blonde. Mit wenigen Schritten war er bei Sam und klappte den Rechner zu.

„Spinnst du?“, fuhr der ihn an.

„Ich will Antworten Sam! Jetzt!“

„Was für Antworten?“

„Selbst ich sehe, dass du irgendwas mit dir rumschleppst. Also  was ist mit dir los?“

„Nichts!“ Sam versuchte Dean in die Augen zu schauen, um seine Aussage zu untermauern. Es gelang ihm nicht. 

Er hatte während der gesamten Fahrt überlegt, was er seinem Bruder sagen konnte und vor allem wie.

Aber er war zu keinem Ergebnis gekommen.

„Lüg mich nicht an!“

„Ich lüge nicht.“

„Das ist schon wieder gelogen!“

„Es geht mir gut, Dean!“

„Und Schweine können fliegen!“, langsam wurde der Blonde wütend. „Verdammt noch mal Sam! Was ist mit dir los? Warum hast du dich so vehement dagegen gewehrt diesen Rougarou zu vernichten? Warum warst du so unbedingt davon überzeugt, dass er sich nicht vollständig verwandeln würde?“

„Dieser Rougarou hatte einen Namen! Er hieß Jack, Dean! Für dich war er nur ein weiterer Freak, der vernichtet werden musste. Aber er war ein Mensch, Dean! Ein Mensch der nichts dafür konnte, dass er sich in ein Monster verwandelte.“

„Wenn du es sagst, Sam! Aber egal wieso er so wurde. Er hat Travis gefressen! Wir mussten ihn stoppen bevor er noch mehr Menschen tötet.“

„Hast du dir mal überlegt, dass wenn Travis ihn in Ruhe gelassen hätte, er vielleicht heute noch als Mensch leben könnte?“

„Sam!“, innerlich verdrehte der Ältere die Augen. Was brachte diese Diskussion jetzt noch? Ja, Travis hatte übereilt gehandelt und dafür mit seinem Leben bezahlt! Aber was hatte das mit Sam zu tun?

„Vielleicht hast du Recht. Vielleicht würden beide jetzt noch leben und vielleicht hätte Jack sich sein Leben lang kontrollieren können. Aber das interessiert mich jetzt nicht mehr. Es ist vorbei und wir reden hier auch nicht über Travis oder Jack Montgomery. Wir reden über dich!  Was hat dieser Fall mit Dir zu tun?“

„Ich bin genau so ein Freak, Dean! Ich bin wie Jack!“, schrie Sam seinen Bruder voller Verzweiflung an.

„Dad war kein Rougarou!“ Der Blonde verstand gerade  nur Bahnhof.

„Es geht hier nicht um einen Rougarou, Dean! Es geht um das Böse allgemein.“

„Du bist nicht böse!“

„Vielleicht noch nicht!“

„Wieso, was … Du wirst nicht böse, Sammy. Das lasse ich nicht zu! Wie kommst du darauf? Nur weil John mal so einen dämlichen Spruch gebracht hat? Wie kommst du jetzt darauf?“

„Was willst du denn machen wenn, Dean? Mich erschießen?“, fragte der Jüngere sarkastisch.

„Daran habe ich nie gedacht. Damals nicht und auch heute nicht. Gerade du solltest das wissen!“

„Aber vielleicht musst du es!?!“

„Warum fängst du jetzt wieder damit an? Ich dachte, das haben wir ein für alle Mal abgehakt. Kein Dämon kann je wieder in dich eindringen! Ich verstehe dein Problem nicht, Sam!“ Dean war ratlos.

Vorüber diskutierten sie hier überhaupt? Was sollte das Ganze? Das war doch Jahre her!

„Das Problem ist, dass ich keinen Dämon in mir haben muss. Ich habe Dämonenblut im Körper!“

Dean entgleisten sämtliche Gesichtszüge. Unfähig einen Gedanken zu fassen, starrte er seinen kleinen Bruder an. Eine einzige Frage hallte in seinem Kopf wider: Wie?

„Aber wie, ich meine ich kenne dich dein Leben lang! Wie soll Dämonenblut in deinen Körper gekommen sein?“, schaffte er es nach Momenten eisigen Schweigens endlich eine komplette Frage zu formulieren.

„In der Nacht als Mom starb. Der Gelbäugige stand an meinem Bett und hat mir sein Blut in den Mund tropfen lassen. Mom hat ihn gestört“, erzählte er tonlos aber froh es endlich aussprechen zu können.

Schwerfällig ging Dean zu seinem Bett. Er hatte das Gefühl Tonnen auf seinen Schultern tragen zu müssen. Mit einem leisen Ächzen ließ er sich darauf fallen. 

„Woher weißt du das?“, fragte er schleppend. Er hatte das Gefühl, seine Gedanken kämpften sich durch einen zähflüssigen Brei und doch schrien sie alle durcheinander und in einer Lautstärke, von der, wenn das nicht bald aufhörte, sein Schädel platzen würde.

„Der Gelbäugige hat es mir gezeigt“, sagte der Jüngere leise.

„Der ist seid einer halben Ewigkeit tot!“, stammelte Dean.

„Er hat es mir gezeigt. Damals, als er mich und die anderen entführt hatte.“

„Du weißt es seit über eineinhalb Jahren und hältst es erst für nötig mir davon zu erzählen, nachdem ich dir die sprichwörtliche Pistole auf die Brust gesetzt habe?“, das war zuviel für den Blonden. Er stand wieder auf und lief unruhig, wie ein Tiger im Käfig, hin und her. Immer wieder heftete sich sein Blick auf Sam und der hatte den Eindruck regelrecht durchleuchtet zu werden.

Dean hingegen fragte sich, was er übersehen hatte. Warum hatte er das nicht schon eher gemerkt? Er konnte Dämonen sehen, müsste er dann nicht auch sehen, ob, dass Sam anders war? Wieder starrte er den Jüngeren an. Doch er fand keinen Unterschied zu Bobby. Da war nichts Dunkles. Trotzdem hätte Sam es ihm erzählen müssen!

Sein Kopf schien endgültig kurz davor zu sein platzen zu wollen von den ganzen Gedanken die auf einmal durch sein Hirn spukten.

„Was wird jetzt, Dean?“, fragte der Jüngere schon fast ängstlich.

„Was soll werden?“

„Wie geht es jetzt weiter?“

„Bitte Sam, lass mir Zeit zum Nachdenken. Ich“, er holte tief Luft. „Ich muss das erstmal verdauen!“

Betrübt nickte Sam. Er hatte erwartet, dass sein großer Bruder zu ihm stand. Dass er ihm sagen würde, dass das nichts änderte. Nichts dergleichen war über Deans Lippen gekommen und dieser misstrauische Blick? Für seinen Bruder war er ein Freak! Alles was nicht einhundert prozentig Mensch war, war für Dean ein Freak! 

Er verstand einfach nicht, dass er Deans Welt gerade vollkommen auf den Kopf gestellt hatte und der jetzt etwas Zeit brauchte um alles wieder sortieren zu können. Er hatte inzwischen soviel Zeit gehabt, sich, wenn schon nicht damit anzufreunden, so es doch als gegeben hinzunehmen. Es ließ ihn zwar noch immer jeden seiner Schritte überdenken, aber er schaffte es, diese Tatsache zumindest stundenweise aus seinem Hirn zu verbannen. Dass das alles für Dean absolut neu war hatte er vollkommen ausgeblendet.

„Lass mir eine Nacht Zeit, okay?“, bat der Blonde und ließ sich schwer auf sein Bett fallen. 

Sam nickte, wenig überzeugt, dass morgen etwas anders wäre. 

Er fühlte Deans Blick noch eine Weile auf sich gerichtet, dann schien ihn endlich die Müdigkeit übermannt zu haben.

Er wartete noch eine Weile, packte, als sich sein Bruder nicht mehr rührte, seinen Laptop ein und schlich sich aus dem Zimmer, zum inzwischen dritten Mal, um nicht wieder zu kommen.
 

Niedergeschlagen, mit hängendem Kopf trottete er durch die dunklen Straßen. ‚Eigentlich müsste es jetzt nur noch regnen!*, überlegte er. Es würde perfekt zu seiner Stimmung passen.

Er fühlte sich verraten und ausgesetzt. Deans ganze Beteuerungen, dass die Familie alles für ihn war, zählten wohl nur so lange, wie diese Familie in seinen Augen normal war. Aber das war er jetzt sicherlich nicht mehr, also gehörte er auch nicht mehr dazu.

Sam tat sich einfach nur noch selbst leid. 

Was sollte er denn jetzt machen?
 

Zwei Straßen weiter fand er einen geparkten Wagen, den er aufbrach und kurzschloss. Ziellos fuhr er durch die Stadt.

Doch dann setzte sich ein Gedanke in seinem Kopf fest. Er straffte seine Schultern und holte einmal tief Luft. Er würde es allen beweisen! Er würde ihren Fall zu Ende bringen und dann würde er eben alleine jagen! Er war mindestens genauso gut wie sein großer Bruder!

und was passiert, wenn er alleingänge macht

143) und was passiert wenn er Alleingänge macht
 

Dean schlief unruhig. Immer wieder zuckte er zusammen und warf den Kopf von einer Seite auf die andere. Für einen Augenblick war er richtig froh, dass er plötzlich erwachte. Er wusste zwar nicht, was er geträumt hatte, doch dieses flaue Gefühl der Bedrohung war noch zu gut fühlbar.

Aber kaum war er etwas wacher, registrierte er, dass er nicht allein im Zimmer und diese andere Person nicht sein kleiner Bruder war. Die Bedrohung seines Traumes wich einer realen.

Seine Hand schloss sich unter dem Kissen um den Colt.

Mit einer einzigen fließenden Bewegung warf er sich herum und aus dem Bett. Er landete auf dem Boden, das Nachttischchen im Rücken und zielte auf den Fremden.

Verwirrt blinzelnd ließ er die Waffe sinken. Wenn es das war, wonach es aussah, dann würde er nur sinnlos eine Kugel verschießen.

Der Fremde leuchtete innerlich.

‚Nicht schon wieder!’, war der erste Gedanke, der sich in seinem Hirn formulierte, doch dann huschte ein Lächeln über Deans Gesicht. Der Typ trug einen zerknitterten Trenchcoat. Ob das der Engel von damals war? Der, der sie zurück geschickt hatte?

„Hallo Dean!“, grüßte der Fremde.

„Wer bist du?“, wollte Dean wissen.

„Mein Name ist Castiel.“

„Hast du uns zurück gebracht?“, musste der Winchester die Frage stellen, die ihm auf der Seele brannte.

„Ich habe euch aufgeweckt.“

„Danke!“, sagte der Blonde und stand auf.

Der Engel schaute ihn weiter unverwandt an.

„Und warum bist du jetzt hier? Willst du dich vergewissern, dass wir noch leben?“

„Wir brauchen euch.“

„Ihr braucht uns?“ Der Winchester schaute etwas dümmlich aus der Wäsche. Wieso sollten Engel sie brauchen. Mal abgesehen davon, dass er diesem leuchtenden Federvieh noch immer nicht traute. Was wollten die plötzlich hier und warum kamen die ausgerechnet zu ihnen. Sie mussten doch wissen, dass er ihnen alles andere als offen gegenüber stand.

„Du musst wissen“, erklärte Castiel monoton.

„Ich muss wissen?“, echote der Blonde. „Was muss ich wissen?“, so langsam stieg die Wut in ihm auf. Er hasste diese nichtssagenden Aussagen! Er hatte sie damals gehasst und jetzt brachten sie ihn noch schneller auf die Palme.

Castiel trat an Dean heran und legte ihm zwei Finger zwischen die Augen.

Sofort verdrehte der Winchester die Augen und sackte in sich zusammen.

Der Engel fing ihn auf und hob ihn auf das Bett. Er betrachtete den schlafenden Mann und schien zu überlegen. Nach einer Weile beugte er sich über ihn, griff nach der Decke und zog sie über Deans Körper. Menschen froren, war es ihm wieder eingefallen. Noch einmal legte er seine Finger an Deans Stirn. Er schloss seine Augen. 

Kurze Zeit später richtete er sich auf. Er zog sich einen Stuhl neben das Bett und beobachtete den schlafenden Menschen interessiert. 

Deans Augen huschten hektisch unter geschlossenen Lidern hin und her.
 

Etwas mehr als eine Stunde später legte der Engel seine Finger erneut auf Deans Stirn und der erwachte mit einem erstickten Aufschrei. 

Seine Augen huschten kurz über die Gestalt, die neben ihm stand, dann drehte er sich auf die Seite und rollte sich ganz eng zusammen. Mühsam kämpfte er gegen die Gefühle, die ihn zu überrollen drohten. Er war so kurz davon gewesen Mom zu retten. Warum nur hatte er versagt? Schon wieder hatte er eine Chance vertan, seine Familie am Leben zu erhalten. Und diesmal hatte er nicht nur Mom verloren, er hatte auch noch zusehen müssen, wie seine Großeltern starben.

Hass, Wut, Trauer und Selbstzweifel kämpften in ihm um die Vorherrschaft. Er wollte schreien, wollte um sich schlagen und er wollte sich im nächsten Mauseloch verkriechen und heulen. All die Tränen, die er damals nicht vergossen hatte. Er fühlte sich wieder so klein, so hilflos, so bedeutungslos. Er hätte sie retten können und er hatte versagt!

„Dean!“, drang die Stimme des Engels endlich bis zu ihm durch, als dieser ihm sein Hand auf die Schulter legte.

„Lass mich!“, krächzte der Winchester heiser, entwand sich der Berührung und rollte sich noch enger zusammen. Er wollte jetzt allein sein!

„Dean!“, forderte der Engel und sein Ton duldete keinen Widerspruch.

Der Blonde verdrehte die Augen. Er keuchte ergeben und drehte sich auf den Rücken. Unter zusammengezogenen Augebrauen blickte zu dem ungebetenen Besucher auf.

„Warum konnte ich sie nicht retten?“, fragte er heiser.

„Es war nur ein Traum, Dean! Du musst es wissen!“

„Aber ich war da gewesen. Dad hat den Impala gekauft, weil ich es ihm geraten hatte!“

Castiel schüttelte den Kopf.

„Ich habe dir einige Fakten gegeben und du hast den Rest selbst gemacht. Du hättest sie nicht retten können, selbst wenn du dagewesen wärst. Es war so vorherbestimmt!“

„Warum? Warum wir?“ Alles ihn ihm sträubte sich gegen dieses Wort: Vorherbestimmt! Nichts war vorherbestimmt! Denn wenn doch, hieße das, dass sie nie eine Chance gehabt hatten und das wollte, das konnte er so nicht hinnehmen! Er konnte nicht mehr ruhig liegen bleiben. Er brauchte Bewegung.

Unruhig tigerte er im Zimmer auf und ab, den Engel nicht aus den Augen lassend.

„Wir wissen nicht warum Azazel die Frauen ausgesucht hat. Wir kennen den Zweck seiner Taten nicht“, erklärte der Flügelträger monoton. „Wir hatten einen Verdacht, doch der ist mit Liliths Tod gegenstandlos geworden. Vorerst.“

„Ihr hattet einen Verdacht und der wäre? Was ist mit Sam? Was hatte der Gelbäugige mit Sam vor? Sam! Er hat Sam Dämonenblut… Er hat Dad getötet, damit Mom mit ihm einen Pakt schließt, damit er Sam sein Blut einflößen kann? Aber warum?“ Der Blonde blieb stehen und starrte dem Mann eindringlich in die Augen.

Castiel schwieg.

Dean stand noch eine Weile leise keuchend im Zimmer, dann wandte sich sein Geist endlich dem dringlichsten zu. Sam! Er musste mit Sammy reden. Wieso war sein kleiner Bruder eigentlich noch nicht wach?

Ein kurzer Blick zu dem zweiten Bett zeigte ihm, dass der Jüngere gar nicht im Bett gelegen hatte.

„Wo ist Sam?“, wollte er jetzt von dem Engel wissen.

„Grady!“, antwortete der knapp und hielt ihm ein Lederband mit einem Anhänger hin, der ein Pentagramm zeigte, dass von mehreren ineinander verschlungenen Symbolen umgeben war. 

„Ich soll dir das geben“, sagte der Engel, „Es wird dich schützen. Sie ist sehr mächtig und sie wird dich erwarten. Verliere es nicht! Eine Machete wäre hilfreich.“

Ohne ein weiteres Wort oder eine Frage von dem Winchester abzuwarten, verschwand der Engel.

Dean schaute auf den Anhänger. Mit einem Schulterzucken stopfte er ihn in seine Tasche, bevor er begann seine Waffen zu packen und sich anzuziehen. 

Keine zehn Minuten später war er unterwegs zu der alten Südstaatenvilla der Stephanie DeVendt.

Hoffentlich stellte sein kleiner Bruder nichts an. Hoffentlich kam er rechtzeitig, bevor Sam etwas passieren konnte und hoffentlich konnte er ihn von übereilten Aktionen abbringen. Und dann musste er unbedingt mit ihm reden. Und er musste darüber nachdenken, was mit Sam passieren könnte. Hatte John das gemeint, als er sagte, er solle ihn beschützen und wenn er das nicht konnte – töten?

Warum konnte sich sein Vater nicht einmal klar und deutlich ausdrücken?

Der Winchester trat das Gaspedal des Ford bis zum Bodenblech durch.
 

Sam hatte seinen Wagen in einer Einfahrt geparkt und überlegte, wie er vorgehen könnte. Dean hatte ja nicht wirklich mit ihm geredet und aus dem Wenigen, das er bei der Aktion im Motelzimmer des verzweifelten Ehepaares aufgeschnappt hatte, konnte er auch nur herleiten, dass sie eine sehr mächtige Hexe sein musste.

Wie schützte man sich gegen eine solche Hexe? 

Dean hatte ihm erzählt, dass Ruby ihm damals etwas zu trinken gegeben, eher aufgezwungen, hatte.

ber er wusste nicht, was dieser Trank enthielt und ob er vorbeugend gegen Hexen half wusste er auch nicht. Er sollte mal mit Ruby reden, wenn er sie mal wieder sah.

Einfach reinstürmen und sie erschießen?

Das war eher Deans Vorgehensweise und der hatte damit auch noch fast immer Glück!

Sam rollte die Augen.

Eigentlich hatte er noch ein oder zwei Tage lang das Internet durchsuchen wollen, denn er war sich nicht sicher, was diese Miss Margo war. Nur eine Hexe, wenn auch eine mächtige, schien ihm zu einfach. Wenn sie wirklich für die Erfüllung eines Wunsches von dem, der diesen aussprach, zehn Jahre seines Lebens als Bezahlung nahm? Wie schaffte sie es, das für sich zu nutzen und wie lange lebte sie dann schon? Stand sie mit einem Dämon in Verbindung?
 

Inzwischen verfluchte er sich, so vorschnell reagiert zu haben. Dean war mit seinen Visionen klargekommen. Warum sollte ihn jetzt das Dämonenblut abschrecken? Manchmal brauchte der einfach etwas länger um so eine Tatsache verdauen zu können, aber er würde ihn nie deshalb verurteilen. Er würde ihn nie sitzen lassen! Nicht sein großer Bruder Dean! Der hatte einen Deal geschlossen um ihn wiederzubeleben! Dean würde eher in die Hölle gehen, als ihn zu verstoßen. 

Warum konnte er nicht einmal länger nachdenken, bevor er davon stürmte?

Einen Augenblick überlegte Sam, ob er nicht einfach zurück nach Pine Bluff fahren und sich ins Bett legen sollte. Morgen früh würden sie noch einmal über das Thema reden und dann würde es genauso vergessen werden, wie Dads Forderung, dass Dean ihn erscheißen sollte, sollte er je böse werden.

‚Hatte Dad etwa von dem Blut gewusst?’ schoss Sam dieser mehr als nur beängstigende Gedanke plötzlich durch den Kopf. Was hatte Dad wirklich über ihn gewusst? Was hatte der ihnen eigentlich noch alles verschwiegen?

Er schüttelte den Kopf. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab. So würde er in drei Tagen noch hier sitzen und überlegen. 

Sam verstaute seinen Rucksack im Kofferraum, kontrollierte noch einmal seine Beretta und machte sich dann auf den Weg, die Hexe zu beseitigen. Was bei Dean klappte, musste ja wohl auch bei ihm klappen!
 

Leise schlich er auf das Haus zu. Er hatte dieselbe Stelle genommen um über die Mauer zu kommen, wie schon Dean vor wenigen Tagen. Neben ihm knackte es. Er drehte sich in diese Richtung und erstarrte.

Vor ihm stand, wie aus dem Nichts aufgetaucht, ein Mann. Auch hinter ihm hörte er ein leises Knacken.

Wie konnte er nur so in eine Falle rennen, überlegte er. 

Noch bevor er über eine Lösung dieses Problems nachdenken konnte, spürte er einen harten Schlag gegen den Kopf und die Welt verschwamm vor seinen Augen.
 

„Los, nimm seine Beine“, forderte der korpulentere der beiden Männer von seinem Partner. „Sie wartet schon auf ihn. Und ihr räumt hier auf, falls er was verloren haben sollte!“, wandte er sich an die beiden anderen Wächter, die inzwischen auch zu ihnen gestoßen waren. Dann schafften sie Sam zum Haus.

„Man, hätte nicht der andere kommen können?“, maulte der, der Sams Füße trug.

„Bist du sicher, dass der leichter gewesen wäre?“

„Keine Ahnung. Ich hätte nur eher mit ihm gerechnet, wenn überhaupt. So wie wir sein Auto demoliert haben, dachte ich eigentlich, die lassen sich hier nie wieder sehen.“

„Hört auf zu labern und kommt endlich rein. Ich will hier nicht die ganze Nacht warten“, sagte die DeVendt unwirsch und hielt ihnen die Tür auf.

„Hängt ihn da hin!“ Sie zeigte auf zwei Metallringe, die in halber Höhe an der Wand hingen. Schnell hatten die Männer die Handgelenke ihres Gefangenen daran fest gemacht und beeilten sich, den Keller wieder verlassen zu können. 

Draußen atmeten sie erleichtert auf. Diesen Keller betreten zu müssen, zerrte immer wieder an ihrem Nerven.

Miss Margo warf inzwischen einige Kräuter in einen brodelnden Kessel.

Im Keller

144) Im Keller
 

Sam kam wieder zu sich. Seine Schultern und Oberarme schmerzten unerträglich, genau wie seine Knie. Stöhnend öffnete er die Augen und versuchte sich zu bewegen.

„Wie schön! Dornröschen gibt sich auch noch die Ehre“, ertönte eine vor Sarkasmus triefende, schneidende Frauenstimme vor ihm.

Sam blinzelte immer wieder, bis sich sein Sichtfeld endlich klärte.

Vor ihm saß eine attraktive Frau in einem edlen Kostüm. Sie hielt einen feuerrot leuchtenden Drink in ihrer Hand und entsprach so gar nicht dem Bild, das er von Hexen hatte.

Der steinerne Altar im Hintergrund war allerdings genau das, was er erwarten würde.

Wieder stöhnte er und versuchte wenigstens seine Arme an den Körper zu ziehen.

Lediglich ein metallisches Klacken folgte seinen Bemühungen und er drehte den Kopf.

Seine Handgelenke waren mit Metallringen an die Wand gefesselt worden. Wie gekreuzigt kniete er an der Wand. Und jetzt verstand er auch warum er den Kopf heben musste, um sie ansehen zu können, obwohl sie saß.

Noch einmal zerrte er an den Fesseln.

„Gib dir keine Mühe. Hier kommt nur raus, wen ich auch wirklich rauslassen will. Und derzeit gehörst du nicht dazu.“

„Was wollen Sie?“

„Wenn du schon so fragst: Meine Ruhe! Ihr bedroht mein Leben und das werde ich nicht zulassen. Du und dein Partner: Ihr macht mir keine Angst. Ihr seid nur lästig. Euer Gedächtnis zu löschen wäre ein leichtes für mich. Aber das wäre zu einfach und viel zu milde für euch. Ihr habt euch ungefragt in meine Leben gemischt. Dafür müsst ihr büßen!

Außerdem befürchte ich, wenn ich euer Gedächtnis lösche, dass ihr irgendwann vielleicht wieder auf meine Spur kommen könntet und ihr habt mich schon jetzt genug genervt! Mir sind zehn Jahre durch die Lappen gegangen. Die eine kleine Kröte hätte ich gerettet, aber die Familie, deren Kind so plötzlich verschieden wäre. Oh es wäre wundervoll gewesen, die leiden zu sehen! Aber dank eurer Einmischung muss ich auf dieses Vergnügen verzichten!

Ich denke ich weiß was ihr seid. Ich hatte schon früher mit euresgleichen zu tun und wenn ich euch einfach töten würde, würden wohl andere kommen und nach euch suchen.“

Gelangweilt nippte sie an ihrem Glas und warf es dann einfach weg. Klirrend zersprang es am Boden.

Sie erhob sich und trat näher auf den Winchester heran.

Sam versuchte zurückzuweichen.

Die DeVendt lachte über diesen sinnlosen Versuch.

„Was wollen Sie?“, fragte er noch einmal und hoffte, seiner Stimme einen festen Klang verliehen zu haben. Sicher war er sich allerdings nicht.

„Wissen, was du weißt!“

„Ich werde Ihnen nichts sagen!“

„Oh, das musst du gar nicht! Du musst nicht reden und du wirst mir doch alle deine kleinen Geheimnisse verraten!“

Sie zog ihren Stuhl vor Sam und noch bevor der auch nur zucken konnte hatte sie ihm ihre Hand auf den Kopf gelegt. Ihre Finger krallten sich in seine Kopfhaut.

Er fühlte sich wie in einem Schraubstock und dann konnte er spüren, wie sie begann in seinem Kopf zu wühlen und er versuchte sich gegen diesen Übergriff zu wehren.

Margo grinste nur über dieses hilflose Unterfangen. Ihre Finger pressten sich noch mehr in seinen Schädel und dann hörte er etwas, das klang, als ob eine Melone platzte und er hatte das Gefühl, dass ihre Finger in seinem Hirn waren.
 

Sam schrie.

„Jah!“, stöhnte genussvoll. Sie ließ sich auf den Stuhl fallen und legte ihm ihre andere Hand auf das Herz.

Wieder spürte er Krallen in sich eindringen.

Wieder schrie er gequält auf.

„Oh, er ist dein Bruder. Wie interessant“, lächelte sie boshaft. „Und er hat dich aufgezogen!“

Mit genüsslicher Langsamkeit grub sie sich durch seine Erinnerungen. Sie riss alte Narben auf und zerfetzte die Schleier des Vergessens, die er über so manches Ereignis in seinem Leben gebreitet hatte. Pulsierender Schmerz jagte durch seinen Körper und er hoffte darauf endlich in die Bewusstlosigkeit abtauchen zu können, doch das ließ sie nicht zu.

Immer tiefer grub sie und immer mehr schmerzhafte und vergessene Erinnerungen förderte sie ans Licht und mit jeder dieser Erinnerungen zuckte Sam gepeinigt zusammen.

Leise wimmernd hing er mit geschlossenen Augen an der Wand und wartete auf eine Erlösung.
 

Endlich ließ sie von ihm ab und er war dankbar für die lauernde Dunkelheit, die ihn schützend in ihre Arme nahm.

Margo lachte und rieb sich mit perfider Freude die Hände. Diese ganzen Erinnerungen hatten ihr einen Weg gezeigt, wie sie sich diese beiden Jäger von Hals schaffen konnte, ohne sie zu töten und damit noch mehr von diesem Pack hierher zu locken. Sie würde es zwar nicht miterleben können, aber allein die Vorstellung war köstlich!
 

Inzwischen hatte Dean das Anwesen erreicht.

„Sie wird Dich erwarten“, hatte der Engel gesagt und ihm dieses Amulett gegeben. „Eine Machete wäre hilfreich“, hatte er noch hinzugefügt und war verschwunden.

Er hatte sich an diese Aussagen gehalten, obwohl er nicht so richtig wusste, warum. Aber warum sollte er an einem Engel zweifeln? Weil er sie tief in seinem Inneren hasste! Ja, einer von ihnen hatte Sam und ihn in diese Zeit zurück gebracht. Und dafür war er ihnen auch dankbar. Aber sie hatten Mom nicht geschützt, obwohl die an dieses Geflügel geglaubt hatte und sie hatten ihn gehindert, sie zu retten!

Mom! Nein, um nichts in der Welt wollte er über das nachdenken, was er erlebt oder gesehen hatte. Er war sich noch immer nicht sicher, ob es nur ein Traum war, oder ob er versagt hatte.

Doch darüber konnte er jetzt nicht nachdenken. Jetzt musste er seinen kleinen Bruder suchen.

Schnell schob er alle anderen Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf das vor ihm Liegende.
 

Diesmal kletterte er an einer anderen Stelle über die Mauer. Wenn der Engel wirklich recht hatte und sie ihn erwarteten, dann wohl am ehesten da, wo er schon mal auf das Grundstück gelangt war.

Auf der Mauer blieb er eine Weile still hocken und lauschte in die Dunkelheit. Gleich darauf glitt er an dem Baum herab, der so praktisch in seiner unmittelbaren Nähe stand.

Fast unhörbar schlich er zu dem Haus.

Vor ihm raschelte es. Dean erstarrte. Angestrengt horchte er in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Er hatte zwei Menschen identifiziert.

Der Winchester huschte hinter einen Baum und ließ sie passieren.

Mit einem einzigen Schritt trat er hinter sie und schlug dem Größeren mit einem gezielten Schlag k.o.

Der Mann ging mit einem erstickten Keuchen zu Boden. Sein Begleiter drehte sich zu Dean um, doch bevor er reagieren konnte, sackte auch er bewusstlos in sich zusammen.

Dean suchte nach etwas, womit er sie fesseln konnte. Zum Glück waren die beiden Wächter gut ausgerüstet.

Schnell hatte er sie verschnürt und sie mit ihren Mützen geknebelt. Nicht dass hier noch mehr von denen rum schlichen und sie um Hilfe brüllten.

Lautlos, wie ein Schatten machte er sich wieder auf den Weg zur Villa.
 

Ohne weitere Unterbrechungen erreichte er das Haus und entschied sich nach einer Runde um das wie tot wirkende Gebäude dafür, es zuerst im Keller zu versuchen, auch wenn der Typ in Bangor seine Beschwörungsrituale im Wohnzimmer durchgeführt hatte.

Noch einmal schaute er sich sichernd um, dann schlich er die ausgetretenen Stufen hinab.

Die Tür war nur angelehnt. Im Inneren konnte er leises Murmeln hören. War das diese Margo?

Beschwor sie etwas? Jemanden?

Dean schob die Tür vorsichtig auf und war erstaunt, dass diese nicht quietschte.

Wieder schaute er sich um. Zu seiner Linken war ein Lichtschimmer zu sehen und auch das Gemurmel kam aus dieser Richtung.

Zu diesem Raum stand die Tür ebenfalls einen Spalt breit offen, wie ein schmaler Lichtstreifen zeigte.

Sie schien sich sehr sicher zu sein, wunderte sich der Blonde.

„… ridiculus …contrectabiliter …mutare... luna plena…“ drangen einzelne Satzfetzen zu ihm herüber.

Vorsichtig, immer im Schatten bleibend, versuchte sich der Blonde einen Überblick zu verschaffen.

Margo sah aus, als ob sie zu einer Vorstandsitzung gehen wollte, so edel wie sie angezogen war, dabei stand sie vor einem steinernen Altar schien eine Lichtkugel zu beschwören.

Wo war sein kleiner Bruder? War er überhaupt hier? In Zeitlupe schob der Blonde die Tür weiter auf.

Und dann sah er Sam, an die Wand gekettet.

Im selben Moment schleuderte die Hexe die Lichtkugel auf den Gefesselten.

Dean rammte die Tür mit seiner Schulter auf und sprang, die Machete in der Hand, los.

Das Amulett, das Castiel ihm gegeben hatte, hatte er um den Griff gewickelt. Immer weiter streckte er sich.

Mit unheimlicher Kraft prallte diese Kugel aus Licht gegen die Klinge und prellte sie Dean aus der Hand.

Noch im Flug versuchte er sich abzufangen. Etwas ungelenk rollte er sich ab und kam, den Colt ziehend auf die Füße.

„Nein!“, schrie Margo und wich dem umherirrenden Lichtball aus. Mit einer kurzen Handbewegung lenkte sie das magische Geschoss in eine Glaskugel, die auf ihrem Altar lag, um sich dann dem älteren Winchester zuzuwenden.

Ein heftiger Energiestoß riss ihn von den Füßen.

Hart prallte er gegen einen vorstehenden Balken und ging stöhnend zu Boden.

Augenblicklich stand sie vor ihm und legte ihre Hand auf seine Stirn. Ihre Finger pressten sich immer fester in seinen Schädel.

Dean hatte das Gefühl sein Kopf würde platzen. Er knurrte schmerzerfüllt.

Wieder murmelte sie unverständliche Worte und drang immer weiter in seine Erinnerungen vor.

Genüsslich zerrte sie seine Schuldgefühle hervor, drehte und wendete seine Angst, auch noch Sammy verlieren zu können. Immer tiefer dran sie in sein Gedächtnis.

Der Winschester versuchte sich ihr zu entwinden, doch sie war viel zu mächtig. Leise wimmernd sackte er immer weiter in sich zusammen.

Trotzdem schaffte er es in seiner Sturheit, seinen Arm zu bewegen. In Zeitlupe kroch seine Hand zu dem Dolch in der Innentasche seiner Jacke. Seine Finger schlossen sich um das Heft.

Mit einer letzten fast unmenschlichen Kraftanstrengung holte er ihn hervor und rammte ihn der Hexe in den Oberschenkel.

Sie schrie auf und unterbrach den Kontakt zu ihm.

Sofort ließ er sich zur Seite fallen und versuchte aus ihrer unmittelbaren Nähe zu kommen.

Sein Kopf schien kurz davor zu stehen zu explodieren. Graue Schlieren waberten durch sein Sichtfeld und er musste weiterhin all seine Sturheit aufbringen um sich nicht der lockenden Dunkelheit zu ergeben, denn wenn er das tun würde, dann würde er wahrscheinlich genauso wie Sam an der Wand enden.

Sammy!?! Was hatte sie nur mit seinem kleinen Bruder gemacht? Der hatte sich noch nicht einmal gerührt!

Mit einem erstickten Aufschrei riss sie sich das Messer aus dem Bein. Sie presste ihre Hand auf die Wunde und murmelte einige Worte.

Zentimeterweise schob Dean sich weiter in Richtung Machete.

Er erreichte die Waffe und stemmte sich in die Höhe. Auch Margo war inzwischen wieder auf die Beine gekommen und jagte eine neue Energiewelle auf ihn.

Der Winchester riss seine Waffe hoch. Das Kraftfeld zerplatzte am Amulett, das noch immer von dem Griff der Waffe baumelte.

Entsetzt starrte die Hexe auf das Schutzsymbol.

Ihre Erstarrung ausnutzend hechtete der Winchester nach vorn und schlug ihr den Kopf ab.

Er sah noch wie sie auf dem Boden aufschlug und ihr Kopf ein paar Meter weiter zu liegen kam, dann gaben seine Knie nach und er wurde von der lauernden Dunkelheit verschlungen.
 

Unsanft wurde Dean wachgerüttelt.

„Nich Sammy!“, nuschelte er und versuchte wieder einzuschlafen. Doch das Rütteln hörte nicht auf.

„Sam bitte hör auf!“, maulte er und versuchte seinen Bruder mit einem gezielten Schlag zu erwischen.

Doch seine Hand fuhr nur durch Luft.

Müde blinzelnd stemmte er sich auf die Ellenbogen und blickte um sich.

Er lag in einem Keller. Der Boden unter ihn schwankte als gäbe es ein Erdbeben. Überall bröckelte Putz von den Wänden. Steine fielen von den Seiten des Altars und vor ihm lag die kopflose Leiche der Hexe in einer riesigen Blutlache.

Langsam sickerte alles in sein Bewusstsein durch und formte sich zu einem Gedanken.

‚Wir müssen hier raus!’

Taumelnd kam er auf die Füße und stolperte zu seinem kleinen Bruder, der noch immer an der Wand hing. Hektisch öffnete er das Schloss der eisernen Fessel, die Sams Rechte hielt. Ohne Verzögerung beugte er sich zu seiner Linken.

Etwas hinter ihm polterte und dann klirrte es. Er drehte sich um.

Die Glaskugel, die den leuchtenden Energieball gehalten hatte, war zu Bruch gegangen und der leuchtende Ball schwirrte durch die Luft auf ihn zu. Sich duckend blickte er sich nach seiner Machete um. Sie lag einige Meter entfernt. Er kam auf die Beine. Das Amulett war noch immer um den Griff gewickelt. Er wollte es holen.

Die Kugel drehte einen Kreis und nahm dann Kurs auf Sam.

„Nein!“, keuchte Dean. Für ihn gab es keine Frage, was wichtiger war. Noch einen kurzen Blick zu der Machete werfend, warf er sich vor seinen kleinen Bruder. Der Energieball prallte gegen seine Brust und zerplatzte. Die Wucht raubte ihm die Luft zum Atmen und ließ ihn gegen Sam taumeln. Sterne tanzten vor seinen Augen. Er ging zu Boden versank erneut in der wartenden Dunkelheit.

Ein Engel zum Frühstück

145) Ein Engel zum Frühstück
 

Ein stechender Schmerz, der sich von seiner linken Schulter bis zu seinem linken Handgelenk erstreckte, ließ Sam aufstöhnen. Verwirrt blinzelte er. Der Boden unter ihm bebte und die Wand, an der sein Arm noch immer hing, schüttelte sich wie ein Pferd, dass einen Schwarm Mücken loswerden wollte.

Erneut schaute er von seiner Linken zur Rechten. Warum war die frei? Hatte Dean ihn gefunden und befreit? Aber warum dann nicht komplett? Und wo war Dean überhaupt?

Er ließ seinen Blick durch den Kellerraum gleiten. Immer mehr Staub verteilte sich in der Luft und reizte ihn zu Husten. Und dann sah er seinen Bruder.

Dean lag vielleicht zwei Meter neben ihm und er schien bewusstlos.

„Dean!“, rief er nach ihm. „Dean!“

Nichts. Sein Bruder rührte sich nicht.

Hektisch suchte er in seinen Taschen nach etwas, das er zum Knacken des Schlosses verwenden konnte und fand die Büroklammer, die er genau zu diesem Zweck einstecken hatte, seit er damals entführt worden war und Dean von der Polizistin, die ihm bei der Suche geholfen hatte, mit Handschellen ans Auto gefesselt worden war.

Einen Augenblick fummelte er hilflos an dem Schloss herum, dann rutschte der Draht in das Loch und einen Augenblick später sprang die eiserne Handschelle auf.

Er ließ sich auf alle Viere fallen und stöhnte, als sich der Stoß langsam durch seinen Arm bis in die Schulter fortpflanzte.

Eine weitere Erschütterung ließ sich das Haus regelrecht erzittern. Ein Ächzen ging durch die Räume. Lange würde das Haus wohl nicht mehr stehen bleiben.

Schnell richtete er sich auf und stolperte zu Dean. Unsanft rüttelte er ihn wach und zerrte ihn, als der ein kurzes, unwirsches Knurren von sich gegeben hatte, auf die Füße. Aufeinander gestützt taumelten sie nach draußen und die Treppe nach oben. Erst unter den Bäumen hielten sie hustend inne.

„Wie geht’s dir, Sammy?“, wollte der Ältere wissen. Schwer atmend fiel er auf die Knie.

„Soweit okay. Was ist passiert?“

„Die Hexe ist tot“, krächzte der Blonde und schüttelte den Kopf. Er fühlte sich noch immer benommen.

„Und wie geht’s dir?“

„Bin okay!“

„Klar, wie immer! Lass uns hier verschwinden“, sagte der Jüngere und ignorierte Deans Antwort auf seine Frage einfach.

„Jah!“

Sam zog seinen Bruder auf die Füße und wollte mit ihm zum Tor.

„Warte, ich muss noch was erledigen!“, hielt Dean ihn zurück.

„Was?“

Ohne eine Antwort verschwand der Blonde in der Dunkelheit und erschien wenige Minuten später an genau derselben Stelle wieder.

„Musste meine Gefangenen noch befreien“, grinste er.

„Gefangenen?“

„Margos Wachen. Ich hab zwei von ihnen überwältigt und gefesselt zurückgelassen. Ich wollte sie nicht noch länger da liegen lassen.“

„Und wenn sie uns jetzt folgen?“

„Ich glaube, die haben andere Sorgen. Sie wussten ja nichtmal wie sie hierher gekommen sind, geschweige denn warum.“

„Du meinst sie standen unter einem Bann?“

„Das wäre eine Möglichkeit.“

Langsam gingen sie zum Ford und Sam war, kaum dass er die Beifahrertür geschlossen hatte, eingeschlafen. Dean schloss kurz seine Augen. Müde rieb er sich über sein Gesicht und gähnte.

Er startete den Wagen und war enttäuscht, nicht das wohlbekannte, beruhigende Grollen des Impalas zu hören.

Mit einem weiteren Gähnen lenkte er den Wagen auf die Straße.

Hoffentlich waren sie bald im Motel. Sein Schädel dröhnte und er hatte Mühe die Augen offen zu halten.
 

Kurz hinter Moskow lenkte der Blonde den Wagen auf einen Feldweg. Nichts ging mehr und er hatte Angst, dass sie im Graben landeten.

Er machte die Zündung aus und lehnte seinen Kopf gegen die Scheibe. Ihm war schwindelig und immer wieder zogen schwarze Schlieren vor seinen Augen vorbei. Er brauchte unbedingt Ruhe. Sam wollte er auch nicht wecken. Der schien die Ruhe auch nötig zu haben. Er sah noch immer blass aus und so wie er selbst im Schlaf die Stirn in Falten gelegt hatte, hatte er wohl auch noch Schmerzen.

Nein. Sam brauchte seine Ruhe.
 

Sams Kopf lehnte an der Seitenscheibe als er erwachte. Das Glas war angenehm kühl und dämpfte die Schmerzen ein wenig.

In seinem Kopf hackten Zwerge einen Urwald nieder. Jeder mit einer stumpfen Axt. Zumindest hatte er diesen Eindruck. Leise stöhnend fasste er sich an die Stirn.

Warum hockte er hier, mitten auf der Straße im Nirgendwo? Warum hatte Dean sie nicht ins Motel gebracht?

Er drehte sich zu seinem Bruder. Umfasste seine Schulter und versuchte ihn zu wecken.

Müde blinzelte der Blonde und kniff dann die Augen zusammen. Sein Schädel dröhnte immer noch und die Übelkeit hatte sich auch noch nicht gelegt.

„Was´n los?“, fragte er unfreundlich und schaute zu Sam.

„Das wollte ich dich fragen! Wir stehen hier mitten im Nirgendwo. Warum bist du nicht bis zum Motel gefahren?“

„Oh entschuldige bitte, dass du deinen Schönheitsschlaf auf dem Beifahrersitz eines Fords machen musstest!“, knurrte der Blonde, rieb sich noch einmal müde über die Augen und ließ den Wagen an.

„Dean?!“

„Und ja! Gern geschehen, dass ich dir mal wieder den Arsch gerettet habe, nur weil du, zum wievielten Mal eigentlich, abgehaun bist!“

„Dean?“, fragte Sam leise und schluckte trocken. Sein Bruder hatte Recht! Er hätte sich bedanken müssen. Aber seine Kopfschmerzen ließen ihn kaum richtig denken.

Der Blonde drehte die Musik laut. Das ließ seine Kopfschmerzen zwar noch stärker werden, aber es bremste Sams Redefluss effektiv aus. Er hatte keine Lust zum Reden. Weder wollte er sich rechtfertigen, warum er nicht bis zum Motel gefahren war, noch wollte er über das Dämonenblut oder Sams Alleingang reden. Er hatte seinem Bruder den Arsch gerettet und das sollte der bitteschön anerkennen und ihm nicht schon wieder Vorwürfe machen!

Sam seufzte und starrte auf dem Fenster.
 

Vor einem kleinen Diner hielt er wenigen Minuten später wieder an.

„Kommst du mit rein frühstücken, oder soll ich dir was mitbringen?“, fragte er so unpersönlich wie er nur konnte.

„Ich komme mit rein“, beeilte sich Sam zu antworten und stieg ebenfalls aus. Doch wenn er gehofft hatte, dass sie beim Essen reden konnten wurde er enttäuscht.

„Dean, ich ...“ begann er leise, nachdem die Kellnerin ihnen Kaffee gebracht und ihre Bestellungen aufgenommen hatte.

Der Blonde hob nur abwehrend die Hand.

„Ich bin zu müde zum Reden“, fühlte er sich doch noch zu einer Aussage gedrängt, nachdem er Sams traurigen Blick gesehen hatte. Doch mehr wollte er einfach nicht sagen. Seine Lust zum reden hatte sich noch nicht gesteigert und seine Kopfschmerzen ließen ihn kaum denken.

Der Dunkelhaarige nickte traurig. Dean hatte ja recht. Statt sich wenigstens zu entschuldigen, machte er ihm noch Vorwürfe. Als er in dem Hexenkeller zu sich gekommen war, lag Dean neben ihm.

Bewusstlos! Wieso ging er eigentlich davon aus, dass sein großer Bruder sowas einfach so wegsteckte?

Dean war nicht so hart im nehmen, wie er immer tat! So langsam sollte er das doch wohl begriffen haben!

Ach verdammt! Er wollte sich am liebsten selbst eine Kopfnuss geben. Er bildete sich ein, intelligent zu sein. Warum machte er dann eigentlich immer nur unüberlegten Mist?

Sie würden jetzt frühstücken und dann ins Motel fahren und sich ausschlafen. Und wenn er Dean zum Aufwachen ein großes Stück Apfelkuchen spendieren würde, konnte er vielleicht mit ihm reden und sich entschuldigen. Dafür dass er angenommen hatte, sein großer Bruder konnte nicht damit umgehen, dass er Dämonenblut in den Adern hatte, dafür, dass er alleine losgezogen war und Dean ihn wieder einmal retten musste. Und am besten entschuldigte er sich auch gleich noch für das unsanfte Wecken.

„Willst du hier warten, bis dein Frühstück wieder anfängt zu leben?“, riss der Blonde ihn aus seinen Gedanken.

Fragend legte Sam seine Stirn in Falten und schaute auf den Tisch vor sich.

„Oh“, entwich es ihm und er begann zu essen.

Dean zog sein Handy und wählte Bobbys Nummer.

„Hey“, grüßte er nachdem er eine Weile gelauscht hatte und versuchte ein Gähnen zu unterdrücken. Er massierte sich mit der freien Hand die Schläfe.

„Wir sind in Pine Bluff. Der Impala hat einiges abbekommen. Kannst du sie und uns holen kommen?“

So wie sie im Moment aussah wollte er wirklich nicht fahren. Die Polizei hätte ihn schneller am Wickel als ihm lieb wäre.

„Okay, Bobby. Danke. Dann bis morgen früh“, wieder musste er gähnen.

„Klar, mach ich. Du auch“, sagte er noch und legte auf.

„Soll dich von Bobby grüßen“, sagte er auf Sams fragenden Blick hin.

„Danke“, nuschelte der und rutschte aus seiner Bank um an der Theke bezahlen zu gehen, während Dean schon zu ihrem derzeitigen Fahrzeug ging.
 

Schweigend fuhren sie zum Motel und während Sam noch duschte kroch der Blonde schon unter seine Decken. Er fühlte sich zwar staubig, aber er war auch viel zu müde, um jetzt noch zu warten, bis Sam mit seinem Körperpflege-Marathon fertig war. Duschen konnte er auch später noch.
 

Das Gefühl beobachtet zu werden riss Dean aus dem Schlaf. Schon wieder!

Er bemühte sich ruhig weiter zu atmen und schob seine Hand millimeterweise unter sein Kissen. Seine Finger schlossen sich um den Griff des Colts und dann warf er sich mit einer einzigen fließenden Bewegung herum und aus dem Bett. Wieder landete er zwischen den Betten sitzend und zielte auf einen Mann in zerknitterten Trenchcoat.

„Macht es dich irgendwie an, uns beim Schlafen zuzusehen?“, knurrte er müde und ließ den Colt sinken.

„Stehst du immer so auf?“, wollte der Engel ohne eine Gefühlsregung wissen.

„Was willst du hier?“, wollte der Winchester rüde wissen. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass sie keine drei Stunden geschlafen hatten.

„Wir brauchen euch!“

„Das hast du schonmal gesagt!“, antwortete der Blonde und erhob sich.

Sam setzte sich auf. Verwirrt blinzelte er zu dem Fremden in ihrem Zimmer und blickte dann zu seinem Bruder, der den Colt in der Hand hielt, aber nicht, oder nicht mehr auf den Fremden zielte.

„Dean?“

„Guten Morgen, Dornröschen!“, grinste der Blonde und warf seinem Bruder einen kurzen Blick zu und sich dann wieder auf den Mann im Trenchcoat zu konzentrieren.

„Sehr witzig!“, knurrte der Jüngere.

„Darf ich vorstellen? Castiel, ein Engel!“, überhörte Dean diese bissige Bemerkung.

„Engel?“, wollte Sam skeptisch wissen.

„Der Engel!“, antwortete Dean.

„Der? Engel? Du meinst, der Engel, der uns hierher gebracht hat?“

„Ich habe euch nur geweckt“, mischte sich Castiel etwas ungeduldig in das Gespräch.

„Danke“, sagte Sam beeindruckt und stand auf. Er ging auf den Engel zu und ergriff seine Hand.

„Das ist... also mir … fehlen die Worte... ich... Es ist mir eine große Ehre Sie kennen zu lernen“, stotterte der jüngere Winchester überschwänglich. Ein Engel! Er hatte immer an Gott und damit auch an Engel geglaubt, obwohl sein Bruder sich so vehement gegen diesen Glauben gewehrt hatte. Ein Engel! Sam war vollkommen überwältigt.

Sein Bruder beobachtete den Dunkelhaarigen und seufzte. Irgendetwas sagte ihm, dass er wohl heute keinen Schlaf mehr bekommen würde. Er erhob sich und ging zu seiner Tasche und begann darin zu kramen.

„Sam? Zieh dich an!“, sagte er, als er damit fertig war und seinen kleinen Bruder noch immer vor dem Engel stehen sah.

Der Jüngere schaute an sich herab und wurde verlegen. Er war so gebannt von der Anwesenheit dieses himmlischen Wesens, dass er gar nicht gemerkt hatte, dass er noch immer nur Shorts und sein Schlaf-T-Shirt an hatte. Schnell ließ er Castiels Hand los und beeilte sich, sich anzuziehen.

Dean machte sich derweil an der Kaffeemaschine zu schaffen. Das hier schien länger zu dauern und er brauchte mindestens Koffein um wach zu bleiben. Eine Nacht lang schlafen würde ihm allerdings noch besser tun. Nebenbei schob er sich noch eine Kopfschmerztablette in den Mund und spülte sie mit einem Schluck Wasser hinunter.

„Warum bist du hier?“, wollte er von dem Engel wissen und reichte seinem Bruder einen Becher Kaffee.

„Wir brauchen euch!“

„Hat deine Platte einen Sprung?“, fragte er genervt. Der Engel schaute ihn nur fragend an.

„Dean!“, zischte Sam vorwurfsvoll. So konnte sein Bruder doch nicht mit einem Vertreter Gottes umgehen!

„Das sagtest du schon! Wozu?“, ignorierte der ältere Winchester seinen Bruder und starrte den Mann im zerknitterten Trenchcoat unverwandt an. Auch wenn der Typ ein Engel war, er brauchte mehr als so ein diffuses 'wir brauchen euch' um sich darauf einlassen zu können. Ob das wieder so ein Ding war, wie dieses 'du musst wissen'?

Unerwünschter Besuch

146) Unerwünschter Besuch
 

Sam seinerseits blickte ungläubig auf seinen Bruder. Was war mit Dean? Der hatte doch nie an Engel geglaubt und jetzt nahm er dieses himmlische Wesen als selbstverständlich? Hatte Dean ihn schon einmal gesehen? Aber wann? Woher hatte sein Bruder damals in diesem Canyon bei El Paso gewusst, dass der Mann ein Engel war? Hatte er das gewusst? Zumindest hatte sein Bruder von Anfang an behauptet, dass der kein Mensch war.

Er würde unbedingt mit ihm reden müssen!

„Ihr müsst jemanden befreien!“

„Du bist ein Engel! Ich dachte ihr Flatterviecher könnt alles!“, stelle der Blonde unfreundlich fest.

„Wir können diesen Ort nicht betreten!“

„Es gibt Orte an die ihr nicht könnt?“, wollte Dean voller Spott in der Stimme wissen. „Was muss ich tun um ein Motelzimmer zu so einem Ort zu machen?“

„Dean!“, versuchte Sam seinen Bruder zurecht zu weisen.

„Es gibt Zeichen, die Dämonen binden. Das Gleiche gilt auch für Engel“, erklärte dieser ruhig.

„Okay und warum sollen wir diesen Jemand befreien?“ Dean nahm sich vor, diese Zeichen zu finden und zu lernen, sollte dieser Flattermann noch öfter bei ihnen auftauchen.

„Wir haben unsere Gründe.“

„Und die wären?“, bohrte der Ältere nach.

„Sie sind für euch irrelevant.“

„Dann sieh zu, wie ihr diesen Jemand selbst befreit! Ich gehe jetzt duschen, was essen und dann schlafe ich mich aus!“ Der blonde Winchester wandte sich ab.

„Dean! Engel brauchen unsere Hilfe! Du kannst sie nicht einfach so abweisen!“, mischte sich Sam jetzt ein.

„Warum nicht? Mom hätte damals ihre Hilfe gebraucht und wo waren die? Sie hat immer an die geglaubt aber keiner ist gekommen um ihr zu helfen!“, konterte Dean aufgebracht. Er wusste selbst nicht, warum genau dieser Gedanke plötzlich übermächtig in seinem Kopf war und ihn so vor Wut schäumen ließ. Vielleicht, weil er Mom letzte Nacht erst gesehen und erlebt hatte? Weil er bei all seinen Versuchen sie zu retten gescheitert war? Er hatte das Gefühl auf etwas einschlagen zu müssen um nicht zu platzen. Um Beherrschung ringend ballte er seine Fäuste.
 

Sam starrte seinen Bruder irritiert an. Was war mit ihm?

„Warum habt ihr ihr nicht geholfen?“, wollte Dean jetzt direkt von dem Engel wissen.

„Wir hatten unsere Befehle.“

Der ältere Bruder war kurz davor dem Engel an die Gurgel zu gehen. Sam stellte sich vor ihn und versuchte ihn zu bremsen.

„Bitte Dean. Da braucht jemand unsere Hilfe und wir haben geschworen, Menschen zu helfen. Ist doch egal, ob uns ein Engel darum bittet.“

„Er bittet nicht, er fordert! Und wenn dieser Jemand ihm so wichtig ist, dass er befreit werden soll und Mom nicht wichtig genug war, um ihr das Leben zu retten…“ Dean brach ab und holte tief Luft.

„Ich will ein Leben für ein Leben! Ich will unser Leben! Ich will Mom und ich will Dad zurück! Ich will eine Kindheit für dich, Sam!“

Der Jüngere schluckte. So sehr hatte er seinen Bruder noch nie ausflippen sehen. Immer wieder versuchte er an ihm vorbei zu kommen, doch noch schaffte er es seinen Bruder zu halten.

„Niemand kann die Vergangenheit ändern“, sagte der Engel ungerührt.

„Aber der Impala!“, schaltete Dean auf stur. Schließlich hatte er seine Vater diesen VW-Bus ausgeredet und stattdessen davon überzeugt, dass er sein Baby kauft.

„Ich habe dir nur ein paar Fakten gegeben, Dean. Den Rest hast du selbst gemacht.“

„Aber du hast versucht mich davon abzuhalten, den Colt von Elkins zu holen!“, hielt der Ältere wie ein bockiges Kind an seiner Meinung fest.

Sam befürchtete zu einem Wackeldackel zu mutieren, wenn er hier noch lange von einem zum anderen schaute, um wenigstens eine Ahnung von dem Grund dieses Streites zu bekommen. Wovon sprachen die beiden?

„Das war dein Gewissen, Dean. Du hast vielleicht eine Stunde…“, der Engel suchte nach dem richtigen Wort, „geträumt.“

Und wenn der ihm das noch zwanzig mal sagte, dass er „nur“ geträumt hatte, es wurde deshalb nicht einfacher für ihn zu wissen, was sich damals abgespielt hatte, denn ein Rest Zweifel blieb. Was, wenn er doch dagewesen wäre? Dann hätte er den Dämon auf seine Mom aufmerksam gemacht! Dann wäre er schuld am Tod ihrer Eltern, an ihrem und daran, dass Sam Dämonenblut in sich hatte!

„Nein, Dean! Nur für Götter ist die Zeit irrelevant. Ich bin lediglich ein Diener des Herrn. Ich kann dir nur zeigen was war.“

Bei diesen Worten fing der Engel Deans unstete Augen ein und sein Blick war so voller Ehrlichkeit und Überzeugung, dass der Blonde nach einer Weile nickte. Er atmete tief durch.

„Ich geh duschen!“, erklärte er heiser und wandte sich ab. Trotzdem nagte weiter Zweifel an seiner Seele. Bis jetzt hatten Engel ihm zwar immer geholfen, wenn er einen getroffen hatte, aber warum sollte er ihnen vertrauen? Warum an sie glauben? Sie würden ihn genauso manipulieren, wie es die Dämonen immer versuchten. Nein! Er hatte in seinem Leben noch nicht viele gute Erfahrungen gemacht, schon gar nicht mit übernatürlichen Wesen.

Bislang war ihm alles genommen worden, was er liebte. Selbst Sam hatte er schon verloren. Und er wusste noch zu genau, wozu das geführt hatte. Unwillkürlich schüttelte es ihn bei der Erinnerung. Er würde sich weiter nur auf einen verlassen. Auf sich! Und auf seinen kleinen Bruder, wenn der nicht wieder davonlief.

Traurig holte er Luft. Sams Weglaufen hatte das Vertrauen, dass er seinem kleinen Bruder entgegen brachte, angeknackst. Er wusste, das, obwohl er es nicht wollte, er wieder eine ganze Weile brauchen würde, um diesen Bruch zu kitten. Er würde Sams Tun wieder hinterfragen und er würde sich fragen, ob er ihm das zutraute.

Verdammt! Warum musste nur alles so kompliziert sein?

„Was hat Dean gesehen, erlebt, geträumt? Was ist mit meinem Bruder?“, wollte Sam wissen, nachdem die Tür zum Badezimmer hinter Dean ins Schloss gefallen war. Warum kam er jetzt plötzlich auf ihre Mom? Was für Fakten hatte der Engel seinem Bruder gegeben und was hatte Elkins damit zu tun?

„Das war nur für ihn bestimmt“, antwortete der Engel in immer der selben unpersönlichen Tonlage und so langsam konnte Sam seinen Bruder verstehen, wenn der Engel nervend fand.
 

„Und wen sollen wir befreien?“, versuchte er schon mal ein paar mehr Informationen aus dem Mann vor sich zu bekommen.

„Das werdet ihr dann sehen.“

Jetzt verdrehte auch Sam die Augen.
 

Dean stand unter der Dusche und ließ den warmen Regen einfach auf sich niederprasseln. Er brauchte Zeit um seine Gedanken zu ordnen. Es gelang ihm nicht. Er war zu müde um wirklich denken zu können und seine Gefühle viel zu sehr in Aufruhr. Vielleicht war der Auftrag, den der Engel für sie hatte ja ganz gut, um etwas Abstand zu gewinnen.

Er wusch sich und entschied, dass das Rasieren ausfallen musste. Einen Schönheitspreis konnte er mit den Augenringen eh nicht gewinnen.
 

„Wo müssen wir hin?“, wollte er wissen, als er das Bad wieder verließ und blickte, äußerlich vollkommen kontrolliert, zu dem Engel. Doch Sam hatte seinen Blick gesehen und erkannt, dass sein Bruder alles andere als ruhig war, aber er tat, was er schon immer perfekt konnte. Er schob seine Gefühle beiseite und konzentrierte sich auf das, was am nächsten lag. Der neue Fall, denn der Engel würde wohl nicht einfach so wieder verschwinden.

„Colorado“, erklärte Castiel.

„Dann sollten wir uns wohl besser beeilen! Es ist ein ziemlich weiter Weg bis dahin“, überlegte der Blonde.

„Ich bringe euch hin“, sagte der Engel und trat neben Dean. Er legte ihm zwei Finger zwischen die Augen und schon waren sie verschwunden.

Sam starrte auf den Platz an dem die beiden eben noch gestanden hatten.

Dean hatte nichts mitgenommen. Keine Waffe keine Jacke, nichts! Und in Colorado sollte es jetzt wohl noch ziemlich kalt sein! Schnell begann er das Nötigste zu packen.
 

„Die alte Kirche ist eine halbe Meile in dieser Richtung“, sagte Castiel und wies mit seinem Arm den angegebenen Weg.

„Ich habe keine…“ protestierte der Winchester, doch seine Worte verklangen ungehört. Der Engel war schon wieder verschwunden.

Dean setzte sich auf einen Baumstumpf und atmete langsam durch.

Eigentlich sollte er sich die Gegend schon einmal anschauen, doch in seinem Kopf drehte sich alles und ihm war übel! Dabei war er doch gar nicht geflogen! Oder doch?

Dieser Engelstransport war jedenfalls nicht ohne. Leise stöhnend zog er den Kopf zwischen die Knie und konzentrierte sich auf seine Atmung. Es sah ihn ja keiner!

Nach ein paar tiefen Atemzügen ging es ihm besser.
 

Mit seinen Bemühungen war Sam noch nicht weit gekommen. Er schob gerade seinen Laptop in seinen Rucksack als Castiel schon wieder vor ihm auftauchte. Sam zuckte zusammen.

Sofort trat der Engel auf ihn zu und wollte auch ihm die Finger an die Stirn legen.

„Halt!“, rief er und wich zurück.

„Wir brauchen Waffen“, antwortete er auf den fragenden Blick Castiels und der Engel nickte.

„Was hat mein Bruder gesehen? Was hast du ihm gezeigt?“

„Das musst du ihn fragen.“

„Toll. Auf die Antwort werde ich dann wohl ewig warten können!“ Er packte auch noch ihre letzten Sachen in eine Tasche, schulterte den Rucksack und trat neben den Engel.

Sofort legte der ihm seine Finger zwischen die Augen.

Im nächsten Augenblick roch er Waldluft. Blinzelnd öffnete er die Augen und sofort suchte sein Blick seinen Bruder, der inzwischen an einen Baum gelehnt stand. Jetzt allerdings eher als würde er sich langweilen.

„Hier, deine Jacke“, sagte der Jüngere und reichte ihm das wärmende Kleidungsstück.

„Danke.“ Dean lächelte und zog sie sich über.

„Können wir das hier dann so schnell wie möglich erledigen? Bobby kommt morgen“, sagte er und schaute zu dem Engel.

„Dämonen halten in einem Hinterraum der Kirche eine junge Frau gefangen. Ihr müsst sie herraus holen.“

„Sonst noch irgendwelche Informationen?“, wollte Dean wissen, doch ein Flügelrauschen zeigte an, dass ihr himmlischer Auftraggeber schon wieder verschwunden war.

„Na toll!“, schimpfte der Blonde. Er drehte sich einmal im Kreis und ließ seinen Blick über die Bäume wandern, die sich noch im Winterschlaf befanden.

„Er hätte uns wenigstens in einem Motel absetzen können, oder das Auto auch herbringen.“ Er holte noch einmal tief Luft. „Hast du dein elektronisches Lieblingsspielzeug mit?“

„Warum fragst du?“

„Du könntest mal schaun, wo wir hier sind, wo das nächste Motel ist und wo wir einen fahrbaren Untersatz herbekommen.“

„Und was machst du?“

„Ich schau mir die Kirche an.“

„Dean! Wir sollten das zusammen machen!“, rief er ihm noch nach, doch sein Bruder hörte nicht.

Ohne sich noch einmal umzudrehen stapfte er in die Richtung, die der Engel ihm gewiesen hatte. Er hatte seinen Bruder gerne bei sich, doch jetzt brauchte er noch etwas Abstand. Er musste seine Gedanken ordnen und seine Gefühle wieder unter Kontrolle bekommen und dann mussten sie reden.

Gott er hasste es jetzt schon, aber es musste sein. Sie hatten einiges zu klären.
 

Die Ruine lag vielleicht fünfzig Meter von einer Straße entfernt und schien ein Touristenmagnet zu sein. Zumindest heute. Wie sollten sie eine Frau da rausbekommen? Wieso hielten die Dämonen die Frau überhaupt in dieser Kirche fest, wenn hier doch ständig Menschen rumliefen?

Eine Kirche engelsicher zu machen, irgendwie fand Dean das schon witzig. Dämonen hatten jedenfalls mehr Humor als Engel, da war er sich sicher.
 

Er betrat den Kirchenraum und schaute sich um.

Das Dach war im vorderen Teil eingefallen, doch das musste schon lange her sein.

Er hatte etwas entfernt von der Kirche einen Schuttberg gesehen. Dort sollten die Trümmer des Daches wohl liegen. Scheinbar kamen hier mehr Menschen her, als er gedacht hatte.
 

Die Touristen lachten und schwatzten und einige beteten an dem alten Altar. An den Wänden verteilt standen noch einige Heilige. Sie befanden sich in den verschiedenen Stadien des Verfalls. Die Farben ihrer Gewänder waren kaum noch zu erkennen und ihnen fehlten Arme und Nasen.

Doch das was ihn an dieser Kirche am meisten erschreckte, nein nicht an der Kirche direkt, im Innenraum verteilt konnte er drei Dämonen erkennen und er musste sich bremsen um sich nicht zu verraten. Seine Faust ballte sich in seiner Tasche und nur zu gerne würde er ihre verkommenen Seelen wieder in die Hölle befördern. Doch hier waren zu viele Zivilisten. Außerdem hatte er nur seinen Colt bei sich.

Der Flattermann hatte doch gesagt, dass die Frau in einem Hinterraum gefangen gehalten werden sollte? Wie die Touristen schaute er sich in Ruhe um und behielt dabei die Dämonen unauffällig im Auge. Immer weiter ging er in den Raum, bis er vor einer Tür im hinteren Bereich stand. Er griff nach der Klinke und drückte sie. Das Schloss schien zu funktionieren, doch die Tür bewegte sich keinen Millimeter.

„Vor ein paar Tagen ist in der Sakristei ein Teil der Wand eingebrochen und vor die Tür gefallen. Wir haben Gott sein Dank alle Personen vorher raus aus dem Raum bringen können. Es wurde niemand verletzt“, erklärte einer der Dämonen freundlich.

Dean schluckte. „Hab wohl heute Morgen was gegessen, was mir nicht bekommen ist“, erklärte er etwas atemlos und deutete auf die Tür. „Wollte mir da drin ein ruhiges Plätzchen suchen. Dann geh ich wohl mal lieber raus.“

„Ja, tun Sie das.“

Schnell verschwand der Winchester aus der Kirche.

Annas Befreiung

147) Annas Befreiung
 

Bald war der Ältere wieder bei seinem kleinen Bruder.

Der hockte auf einem Stein und rieb sich die Hände. Für solche Recherchen war es hier wirklich zu kalt. Sein Laptop lag auf seinen Knien. Kaum sah er Dean kommen, stand er auch schon auf und ging ihm entgegen.

„Hey!“

„Selber hey! Hast du was gefunden?“

„Die nächste Stadt liegt zwanzig Meilen entfernt. Dort gibt es auch ein Motel, und eine Autovermietung ist etwa genauso weit in die andere Richtung.“

Dean verzog das Gesicht und nickte kurz. Dann schaute er zum Himmel.

„Es wird in etwa vier Stunden dunkel. Halten wir es solange hier aus?“

„Wenn wir nicht nur rum sitzen. Ich habe keine Lust auf eine Nierenentzündung.“

„Okay, lass uns die Gegend hier großflächig untersuchen. Vielleicht finden wir noch ein paar Hinweise.“

„Und was hast du gefunden?“, wollte er Jüngere wissen.

„Jede Menge Touristen und drei Dämonen.“

„Woher weißt du, dass es drei Dämonen sind?“, bohrte Sam nach.

„Ich habe drei erkannt. Es können aber durchaus noch mehr davon da sein.

Ich habe versucht in einen der hinteren Räume zu kommen, aber die Tür war versperrt. Einer der Dämonen war so freundlich mir zu erklären, dass da vor kurzem ein Teil der Wand eingestürzt sein soll und die Trümmer wohl die Tür versperren.“

„Und das hat dir ein Dämon erzählt, ohne dass du nicht wenigstens versucht hast, ihn zu exorzieren?“

„Du weißt genau, dass mein Latein beschissen ist. Außerdem hätte ich nicht drei Dämonen exorzieren und gleichzeitig in Schach halten können und ich hatte keine anderen Waffe dabei!“

„Woher weißt du, dass es drei Dämonen waren. Du kannst nicht bei allen die schwarzen Augen gesehen haben!“, fragte Sam eindringlich nach.

„Lass und darüber reden, wenn wir das hier hinter uns haben!“

„Du willst freiwillig reden?“

„Nein, aber ich denke wir haben einiges zu klären“, sagte der Blonde leise.

„Okay. Dann wollen wir mal unseren Waldspaziergang starten.“
 

Vier Stunden später hockten sie in der Nähe der Kirche und warteten auf ihre Chance. Auch Sam hatte sich in und um die Ruine umgesehen. Er hatte eine Fensteröffnung gefunden, durch die sie vielleicht in den Raum gelangen konnten. Ihm war kein Dämon aufgefallen. Trotzdem glaubte er seinem Bruder.

Immer wieder warf er ihm einen Blick zu. Dean hockte zusammengekauert da und versuchte soviel Wärme wie möglich im Körper zu behalten.

„Frierst du?“, fragte Sam leise.

„Du etwa nicht?“

„Ich meinte eigentlich eine andere Kälte.“

„Nein Sam. Diese Kälte fühle ich nicht.“

„Aber du würdest es mir auch nicht sagen, wenn du sie fühlen würdest.“

„Sammy...“

„Schon gut, Dean!“, sagte der Jüngere traurig.

„Sam, ich…“, begann der Ältere von Neuem.

„Lass gut sein.“

„Lass uns das bitte später klären.“

„Wir wollen immer alles später klären, nur wir tun es nie!“
 

Dean erhob sich. „Ich drehe noch eine Runde um die Kirche.“

Sam nickte nur und starrte weiter vor sich hin. Wie waren sie nur hier gelandet? Er konnte fühlen, dass Dean ebenfalls etwas vor ihm verbarg. Wenn sie das nicht bald ausräumten, dann würden sie sich am Ende nur noch misstrauisch belauern.
 

Als Dean wiederkam war sein kleiner Bruder verschwunden. Hektisch schaute er sich um und sah in einiger Entfernung das kurze Aufleuchten eines Lichtes. Leise schlich er auf dieses Licht zu.

„Hey Dean!“, hörte er Sams Stimme und machte sich nicht mehr die Mühe, den Bogen, den er begonnen hatte, um diese Lichtquelle von hintern zu erreichen, zu vollenden.

„Wieso bist du hier?“, fragte er flüsternd.

„Ich hab mir überlegt, den Exorzismus auf meinen Rechner zu sprechen. Das wollte ich nicht in so unmittelbarer Nähe zu den Dämonen machen“, erklärte Sam sein Verschwinden.

„Hast du denn deine Daten gesichert? Immerhin könntest du damit das Todesurteil für deinen kleinen Liebling unterschrieben haben!“, grinste der Blonde.

„Hast du eine bessere Idee?“

„Ich hab den Colt dabei!“

„Du willst sie erschießen?“

„Du willst vermeiden, dass Unschuldige sterben. Ich versteh dich sogar, aber wir haben schon mit einem Dämon unsere Probleme. Ich hab drei gezählt. Und wahrscheinlich sind auch noch Menschen in der Ruine. Da steht noch ein Auto auf dem Parkplatz“, erklärte Dean.

„Wir können es aber versuchen!“

„Können wir!“ Dean versuchte so überzeugt wie möglich zu klingen, doch er war sich sicher, dass er schießen würde, bevor auch nur einer von diesem Höllenpack seinem kleinen Bruder ein Haar krümmen könnte.

Leise schlichen sie zu der Ruine zurück.
 

Dean deutete seinem Bruder mit wenigen Handzeichen an, dass er in drei Minuten durch ein Fenster klettern würde. Der Jüngere nickte und schlich sich zur Tür. Er versteckte seinen Laptop hinter ein paar Steinen, stellte ihn auf volle Lautstärke und wartete.

Obwohl sie sich nicht sehen konnten, stürmten die Winchester-Jungs gemeinsam in den Raum und suchten sofort Deckung.

Sam schaute sich vorsichtig um. Vor dem Altar standen sieben Menschen.

Hatte Dean nicht was von drei Dämonen erzählt? Dann müssten da vorn auch vier Menschen stehen.

Aber noch bevor er „Christo“ rufen konnte, fielen in schneller Folge vier Schüsse. Drei Dämonen starben flackernd. Ein vierter fiel, an der Schulter getroffen, nach hinten. Kaum berührte der Körper den Boden, quoll schwarzer Rauch aus dem Mund des Mannes und verschwand durch ein Fenster.

Wie hatte Dean die Dämonen erkennen können?

Das alles war so schnell gegangen, dass das Pärchen, das ahnungslos neben den Dämonen gestanden hatte, keine Chance hatte zu schreien, geschweige denn, wegzulaufen oder sich zu wehren. Sie standen nur mit weit aufgerissenen Augen wie erstarrt da.

Der Dämon, der noch nichts abbekommen hatte, machte eine Handbewegung und schon wurden die zwei Menschen am Altar von den Füßen gerissen und gegen die am nächsten stehenden Bänke geschleudert.

Dort blieben sie bewusstlos liegen.

Die Winchesters hockten noch immer hinter den Bänken, hinter denen sie Deckung gesucht hatten. Sie waren von dem Energiestoß nicht betroffen.

„Und jetzt zu euch!“, brüllte der Dämon und machte einen Schritt.

„Winchester!“, tönte er abfällig.

Dean zielte kurz und drückte ein weiteres Mal ab und auch dieser Dämon starb flackernd.

Die Brüder warfen sich einen Blick zu, dann rannte Sam zu der Tür und der Blonde ging zu dem Verletzten. Er untersuchte ihn kurz. Es war ein glatter Durchschuss.

„Wir kümmern uns gleich um Sie“, beruhigte er ihn, während er das Hemd eines der Toten zerschnitt und den Stoff auf die Schusswunde drückte.

„Wir müssen hier noch etwas erledigen, dann bringen wir Sie zum Arzt. Halten Sie solange durch?“

Der Mann nickte zögernd und der Blonde ging zu den Bewusstlosen weiter.
 

Sam hatte inzwischen die Tür erreicht und rammte mit seiner Schulter immer wieder dagegen. Doch erst als Dean sich ebenfalls gegen die Tür warf, schafften sie es, diese einen Spalt breit zu öffnen.

Aus dem Raum drangen dumpfe Geräusche.

„Halten Sie noch etwas durch. Wir sind gleich bei Ihnen“, rief Sam und warf sich wieder gegen die Tür.

Es hatte keinen Sinn hier leise zu sein. Wenn es nur die gesuchte Frau war, konnte sie auf Rettung hoffen und wenn noch weitere Dämonen bei ihr waren, dann hatten die sie schon lange gehört und sich zum Angriff formiert.
 

Endlich hatten sie die Tür soweit aufgeschoben, dass sie sich hindurch zwängen konnten.

Schnell ließ Sam seine Taschenlampe durch den Raum schweifen.

Eine junge Frau saß gefesselt auf einem Stuhl in der Mitte des Raumes. Sie war geknebelt und ihr Gesicht war blutverschmiert. Ängstlich blickte sie den Männern entgegen.

Mit wenigen Schritten waren die Brüder bei ihr und während Sam sie von dem Knebel befreite, zerschnitt Dean die Fesseln.

„Sind Sie verletzt?“, wollte der jüngere Winchester wissen.

Sie antwortete nicht. Ihre Augen huschten zwischen den Männern hin und her und sie versuchte sich auf dem Stuhl so klein wie möglich zu machen.

Wer waren die? Was hatten sie vor? Gehörten sie auch zu ihren Entführern?

Sam hockte sich vor sie und holte aus seinem Rucksack eine Flasche Wasser hervor, die er ihr reichte.

Hastig griff sie danach, setzte sie an und trank die halbe Flasche leer, ohne abzusetzen.

„Danke“, keuchte sie und hielt ihm die Flasche wieder hin.

„Sie können sie gerne behalten. Haben Sie Hunger?“

Die junge Frau nickte kurz, sah ihn aber nicht an. Ihre Augen hatten sich auf Dean geheftet, der den Raum langsam absuchte.

„Das ist mein Bruder, Dean. Ich bin Sam“, stellte der Dunkelhaarige sie vor und hielt ihr einen Schokoriegel hin. Die Notration für Dean, sollten sie mal länger unterwegs sein.
 

Der Blonde trat wieder zu den beiden.

„Sind Sie verletzt?“, wollte er noch einmal wissen.

„Nein“, schniefte sie leise, „nein, das Blut stammt nicht von mir.“

Sie riss die Verpackung auf und schob sich den Riegel in den Mund. Ohne viel zu kauen schluckte sie.

Sam holte einen weiteren Schokoriegel aus der Tasche und gab ihn ihr.

Als sie auch den verputzt hatte, half er ihr aufzustehen und hielt sie, bis ihre Beine sie wieder tragen konnten.

„Von wem dann?“, wollte der ältere Bruder skeptisch wissen und richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf ihren Körper. Langsam ließ er den Lichtschein über sie gleiten. Sie mochte vielleicht meinen nicht verletzt zu sein, aber in ihrem Gesicht und auf ihrer Kleidung war definitiv zu viel Blut für „nicht verletzt“. Vielleicht stand sie ja unter Schock?

„Sie waren so furchtbar. Sie…“ skeptisch starrte sie weiterhin die Brüder an, die sie bislang kaum richtig zu Gesicht bekommen hatte. Sie hatten ihr Wasser und etwas zu essen gegeben, aber konnte sie ihnen vertrauen? War diese Befreiung nur ein Trick?

„Geben Sie mir eine Lampe. Bitte, ich möchte sie sehen!“, flehte sich Sam regelrecht an.

Der warf seinem Bruder einen Blick zu, dann reichte er ihr seine Lampe.

Mit zitternden Fingern nahm sie die in Empfang und richtete ihren Strahl sofort auf den Blonden, der leise murrend seine Augen zusammenkniff uns sich wegdrehte.

Der Lichtstrahl wanderte weiter zu Sam.

„Ich denke, sie gehören nicht zu ihnen!“

„Wie wollen Sie das wissen?“, fragte Dean mit einen spöttischen Grinsen auf seinem Gesicht.

„Sie sehen nicht so aus.“

„Wie?“, wollte jetzt der Jüngere wissen.

„Sie waren… sie sahen so, so… Sie hatten schwarze Augen. Ohne jedes Weiß. Nur schwarz. So als ob man in ein bodenloses Loch schaut“, sie konnte die Panik nicht mehr aus ihrer Stimme verdrängen. Sofort war Dean neben ihr und nahm sie in den Arm.

„Schsch! Ist okay. Wir bringen Sie hier weg“, redete er leise auf sie ein und strich ihr sanft über den Rücken.

„Anna“, wisperte sie so leise, dass der Blonde sie kaum verstand.

„Wie bitte?“

„Anna. Mein Name ist Anna Milton.“

„Ich bin Dean und das ist mein Bruder, Sam!“, stellte der Blonde sie noch einmal vor.

„Können Sie mir sagen, woher das ganze Blut auf Ihrer Kleidung stammt?“, wollte er wissen.

„Sie wollten mich zwingen ihr Blut zu trinken!“, schluchzte sich panisch. Sie krallte sich noch fester in Deans Jacke und ihr Körper zitterte immer unkontrollierter.

„Sie wollten was?“, fragte Sam entsetzt, doch Dean schüttelte nur den Kopf. Aus ihr würden sie jetzt keine vernünftige Antwort mehr herausbekommen. Schon ihre letzte Aussage war ein eher unverständliches Kreischen gewesen.

„Kommen Sie, wir bringen Sie hier raus“, sagte er leise und schob sie zur Tür.

Nur widerwillig machte sie ein paar Schritte. Sie wollte sich nicht von diesem Mann, der ihr Sicherheit und Halt versprach, trennen. Zwar hatte der andere, Sam, ihr Wasser und etwas zu essen gegeben, doch der Kleinere strahlte mehr Ruhe und Sicherheit aus.

Sam zwängte sich durch den Türspalt zurück in den Kirchenraum und nahm Anna in Empfang, die als Nächste den Raum verließ. Schnell drängte sie sich zitternd an ihn und blickte zu dem Blonden, der nun auch endlich zu ihnen stieß.

Leises Stöhnen drang durch den Raum. Anna ließ ein ersticktes Japsen hören und drängte sich wieder an Dean.

„Anna, bitte. Bleib bei Sam. Ich will nach den Verletzten sehen“, bat der leise und schob sie wieder zu seinem Bruder.

Sie schlang ihre Arme noch fester um sich und blickte zu ihm auf. Tränen schimmerten in ihren Augen.

Schnell zog Dean sich seine Jacke aus und hängte sie ihr um die Schultern.

„Ich beeile mich!“, versicherte er ihr und wandte sich dann an Sam. „Bring sie raus. Wir müssen sehen, wie wir hier wegkommen.“

„Kommen Sie, Anna, wir verschwinden hier“, sagte er leise und schob sie zur Tür.

„Was ist mit Ihnen?“, begehrte sie auf, als sie sah, dass der Blonde sich abwandte.

„Ich will die Ruine noch einmal durchsuchen und dann gleich einen der Verletzten mitbringen.“

Widerwillig nickend folgte sie Sam.

Zum Krankenhaus

148) Zum Krankenhaus
 

Dean betrat den Innenraum wieder und wandte sich dem Mann mit der Schusswunde zu.

Er hatte sich gerade neben ihn gekniet, als ein leises Stöhnen, gefolgt von einem unterdrückten Schmerzensschrei und einem Fluch, seine Aufmerksamkeit augenblicklich von dem Mann weg lenkte.

„Bin gleich wieder da“, sagte er leise und drückte ihm die provisorische Kompresse zurück auf die Wunde. Der Mann nickte leicht.

Mit wenigen Schritten war er bei der Frau, die ebenfalls gerade wieder zu Bewusstsein gekommen war und jetzt leise wimmerte.

„Ma’am?“, versuchte er ihre Aufmerksamkeit zu erringen.

Ihr Blick irrte noch eine Weile durch den dunklen Raum und blieb dann an dem Winchester hängen.

„Allan?“, fragte sie ängstlich.

„Allice!“, meldete sich eine männliche Stimme neben ihr.

„Was ist passiert?“, fragte sie und versuchte sich zu ihm umzudrehen. Sie zuckte schmerzhaft zusammen, als sie sich ihren Rücken verdrehte.

„Keine Ahnung!“, ließ sich der Mann vernehmen und blickte fragend zu Dean.

„Sie müssen hier raus und zu einem Arzt“, überging der die Frage. „Können Sie aufstehen?“

Der Mann nickte und kam leise ächzend auf die Füße. Doch kaum stützte er sich ab, ging er vor Schmerzen keuchend wieder in die Knie.

„Bleiben Sie liegen!“, forderte Dean von der Frau und ging zu ihrem Mann.

Eindringlich musterte er ihn.

„Sie haben sich die Schulter ausgerenkt“, stellte er ruhig fest.

Ein paar Handgriffe und einen Schmerzensschrei später hatte der Winchester die wieder an die richtige Stelle gebracht. Er half dem Mann sich auf eine der noch intakten Bänke niederzulassen, wo er mit geschlossenen Augen zitternd und heftig nach Luft ringend sitzen blieb.

„Ruhen Sie sich aus, ich komme Sie nachher holen“, erklärte Dean und wandte sich wieder dem Mann mit der Schussverletzung zu.

„Können Sie aufstehen?“, wollte er wissen.

Der Mann schaute ihn eine Weile ratlos an, nickte dann aber. Sofort fasste der Winchester zu und zog ihn in die Senkrechte. Langsam brachte er ihn nach draußen und ließ ihn neben der Tür zu Boden gleiten. Nachdem er die Schulter noch einmal kontrolliert hatte, verschwand er wieder in der Kirche.

Der Mann war noch immer vollkommen desorientiert und blieb reglos sitzen. Trotzdem stellte sich Sam sichernd neben ihn.
 

„Ma’am!“, rief Dean erschrocken, als er sah, dass die Frau aufgestanden war und sich neben ihren Mann gesetzt hatte.

„Fühlen Sie Ihre Füße? Alles normal? Kein Kribbeln oder so?“, wollte er wissen. Die Schmerzen die sie vorhin schon bei der kleinen Bewegung gehabt hatte, könnten durchaus auch auf eine Wirbelsäulenverletzung hinweisen, doch wenn, dann war es jetzt eh zu spät. Er musterte sie aufmerksam.

Sie reagierte nicht auf seine Fragen.

„Ma’am?“, wollte er noch einmal wissen und legte ihr vorsichtig die Hand auf den Arm.

Sie zuckte zurück und verzog sofort wieder schmerzhaft ihr Gesicht.

„Ich bring Sie hier raus. Kommen Sie!“, forderte Dean ruhig und half ihr auf die Füße.

Sie hatten noch keine zwei Schritte gemacht, als sie plötzlich stehen blieb.

„Mein Mann!“, jammerte sie und wollte wieder umdrehen.

Der Winchester fasste fester zu und zog sie zur Tür: „Ich bringe Sie hier raus und zu meinem Bruder. Dort werden Sie warten, während ich Ihren Mann hole, okay?“

„Aber…“, versuchte sie es noch einmal.

„Nichts aber!“, entgegnete der Blonde und ging weiter.

Endlich trat er mit der Frau ins Freie. Sie hing schwer an ihm.

„Ich dachte schon ihr seid verschollen und wollte grade reinkommen!“, wurden sie von Sam empfangen und auch Anna musterte ihren Retter besorgt.

„Sie hat eine Gehirnerschütterung und einige Prellungen und wollte ständig zu ihrem Mann zurück“, antwortete er und verdrehte die Augen. „Gibt’s hier irgendwo ein Krankenhaus?“, wollte er gleich darauf von seinem Bruder wissen.

„Warte, ich hole nur meinen Laptop und suche gleich mal danach“, erwiderte der Jüngere, ging zum Eingang und hob seinen kleinen elektronischen Freund auf.

„Dein Exorzismus hat nicht viel gebracht. Er war nicht zu hören“, stellte Dean mit einem Blick auf den Rechner fest.

„So schnell wie du geschossen hast, hätte er eh keine Chance gehabt!“, blaffte der Jüngere.

„Immerhin hat dein Spielzeug so überlebt“, grinste Dean und war wieder in der Dunkelheit verschwunden.
 

„Im nächsten Ort, etwa 25 Meilen von hier ist ein Krankenhaus“, sagte Sam, als Dean mit dem Mann wiederkam. Auch der ließ sich von den Winchester mitziehen, seinen Arm fest an den Bauch gepresst.

„Willst du einen Krankenwagen rufen?“

„Ich hatte eigentlich gedacht, dass Castiel uns hier wieder abholt. Aber scheinbar ist das alles doch nicht so wichtig.“ Dean klang gleichgültig. Er hatte nicht wirklich viel von diesem Engel erwartet und seine Erwartungen waren sogar noch unterboten worden. Trotzdem war er angefressen. Dieses Geflügel hatte sie hier ausgesetzt und jetzt konnten sie sehen, wie sie hier wieder weg und dann auch noch zurück nach Pine Bluff kamen und das am Besten bevor Bobby vor ihrer Motelzimmertür stand.

„Hab mich auch schon gewundert wo er ist. Und wie willst du jetzt zum Krankenhaus kommen?“, fragte der jüngere Winchester.

„Du nimmst das Auto und bringst die Verwundeten und Anna dahin. Dann besorgst du einen Mietwagen für uns und holst mich ab. Ich suche unsere Tasche und mache es mir hier gemütlich.“ Dean grinste kurz und verschwand im Wald.

Sam schaute seinem Bruder hinterher und nickte. So ganz wohl war ihm nicht dabei, ihn hier zu lassen, aber er fand auch keine Möglichkeit wie sie alle gemeinsam hier verschwinden konnten.
 

„Kannst du bei ihnen bleiben?“, fragte er Anna und zeigte auf die drei Personen, die neben der Tür saßen. Sie nickte widerwillig und heftete ihren Blick auf die Stelle, an der der kleinere der Brüder verschwunden war. Sie seufzte leise. Auf keinen Fall wollte sie sich von ihm trennen. Lieber würde sie hier mit ihm warten, als mit Sam und den anderen ins Krankenhaus zu fahren. Vielleicht kam ja auch dieser Castiel wieder. Wenn der sie hierher gebracht hatte, musste er sie ja wohl auch wieder abholen, oder war das ihr Auto?

‚Wieso fühle ich mich bei ihm so sicher und bei seinem Bruder nicht?’, überlegte sie.

Irgendetwas schien er auszustrahlen, etwas, dass sein Bruder nicht hatte. Bei ihm fühlte sie sich geborgen und so als könnte ihr nie wieder etwas passieren.

Wieder blickte sie zu dem Größeren. Er hatte den Wagen so nahe wie möglich zu den Verwundeten gebracht und mühte sich, einen der Männer auf die Rückbank des Wagens zu setzen. Sie ging zu ihm und versuchte ihm so gut es ging zu helfen.

Doch kaum hatte sie gesehen, dass Dean zurückkam, lief sie ihm entgegen.

„Du fährst auch mit Sam ins Krankenhaus. Du musst dich untersuchen lassen“, drängte er sie vorsichtig zum Auto.

„Da ist kein Platz mehr für zwei Personen!“

„Ich bleibe hier. Mein Bruder holt mich ab, wenn ihr versorgt seid.“

„Dann warte ich auch hier!“, erklärte sie stur. „Vielleicht kommt euer Freund ja auch gleich wieder!“

„Anna, bitte!“

„Nein! Ich bleibe, wenn du bleibst!“ Sie wusste, dass sie sich kindisch aufführte, aber sie hatte Angst, ihn nie wieder zu Gesicht zu bekommen und sie hatte Angst, dass Männer wie ihre Entführer wieder aus dem Nichts auftauchten. Außerdem hatte sie sich noch nicht einmal bei ihm bedankt!

Der ältere Winchester schaute zu seinem Bruder, der mit den Schultern zuckte.

„Wir müssen los! Sie brauchen dringend ärztliche Hilfe!“, sagte Sam bestimmt.

„Und du auch!“, versuchte Dean es noch einmal.

„Mir geht es gut. Ich kann warten!“, schaltete sie weiterhin auf stur.

Dean atmete tief durch. Er fühlte, wie ihm die Kälte langsam unter die Kleidung kroch und er würde am Liebsten hier im Stehen einschlafen. Er wollte nur noch seine Ruhe haben und hier weg.

„Okay, damit wir mal weiter kommen!“ Ergeben nickte er und setzte sich auf den Beifahrersitz. Er zog die junge Frau auf seinen Schoß und schloss, mit etwas Mühe, die Tür.

Anna atmete beruhigt auf und drängte sich noch enger an ihren Retter.

Sam warf den beiden einen verwunderten Blick zu, zuckte dann doch nur mit den Schultern, startete den Wagen und rollte langsam vom Parkplatz.
 

Es war mehr als nur eng in dem Auto und der Blonde hoffte, dass sie in keine Straßenkontrolle gerieten. Er wollte sich wirklich keine Erklärung für das Ganze hier einfallen lassen müssen.

Wenigstens fror er jetzt nicht mehr.

„Du solltest dich wirklich untersuchen lassen“, drängte er die junge Frau auf seinem Schoß noch einmal.

„Nein, mir geht es gut. Ich möchte einfach nur noch nach Hause. Vielleicht sind meine Eltern schon wieder von ihrer Reise zurück“, antwortete sie leise.

„Ganz sicher?“, wollte jetzt auch Sam wissen.

„Wie soll ich denn wohl mein Aussehen erklären?“, fragte sie und suchte Deans Augen.

Die Brüder warfen sich einen kurzen Blick zu und dann schaute Dean wieder zu ihr, zuckte mit den Schultern und nickte. Sie hatte ja Recht. Auch er mochte keine Krankenhäuser, also würde er es ihr nicht einreden. Vermutlich hatte sie einen leichten Schock und auch wenn seiner Meinung nach ein Krankenhaus der bessere Ort für sie war, half ja vielleicht auch eine Gesprächstherapie mit Dr. Sammy. Unweigerlich musste er grinsen.

Wieder schaute er zu seinem kleinen Bruder. Sam hatte seine Augen fest auf die Straße gerichtet.

Dean unterdrückte ein Gähnen.

„Müde, Sammy?“, wollte er leise wissen um sich wach zu halten.

„Ja, so langsam könnte ich wirklich ein Bett brauchen. Wie sieht es mit dir aus?“

Dean grinste ihn an und rieb sich über sein Gesicht. Für Sam sagte das mehr als alle Worte. Sie waren jetzt, seit sie von dem Rougarou gekommen waren kaum zur Ruhe gekommen. Und davor hatte Dean ja auch schon zu wenig Schlaf bekommen. Hoffentlich konnten sie sich bald ausruhen.

Und wo war überhaupt dieser Engel? Er hatte sie hierher gebracht und ihnen gesagt, dass sie jemanden befreien sollten. Das hatten sie getan. Aber wieso war dieser Flattermann noch nicht wieder aufgetaucht? Hatten sie den richtigen Jemand befreit? Dean hatte die Ruine durchsucht und sonst niemanden gefunden. Also musste es wohl um Anna gegangen sein.

„Du musst hier gleich links“, sagte Anna und riss ihn damit aus seinen Grübeleien. Sie hatte das Ortseingangsschild gesehen und wusste jetzt ganz genau, wo sie waren.

Sam schaute sie kurz an, nickte und bog ab. Schon bald darauf standen sie vor dem Krankenhaus.

„Woher weißt du das?“, wollte er wissen, bevor ihm ganz die Augen zu fielen.

„Eine Großmutter lebte hier. Ich war in den Ferien oft bei ihr.“

Sam nickte erneut.
 

„Und du willst wirklich nicht mit reinkommen?“, wollte Dean noch einmal von ihr wissen.

„Nein, ich warte hier.“

„Okay, wir beeilen uns“, erklärte der Blonde und half dem Mann mit der ausgerenkten Schulter aus dem Wagen. Seine Frau stand noch immer ziemlich neben sich, konnte aber allein aussteigen. Gerade als er versuchte zweiten Mann aus dem Wagen zu hieven, kamen zwei Pfleger, die Sam alarmiert hatte.

„Was ist denn hier passiert?“, wollten sie sofort wissen und drückten den Verwundeten auf die Liege, die sie mitgebracht hatten.

„Wir haben im Wald gezeltet, als wir Schüsse gehört haben. Wir sind hingelaufen und haben sie in der Nähe der Ruine gefunden. Sie waren vollkommen verstört und konnten uns nicht sagen, was passiert ist“, erklärte Sam.

„Wir brauchen noch einige Angaben von ihnen. Bitte gehen sie in den Wartebereich. Unser Sicherheitsdienst wird gleich zu ihnen kommen“, wies ein Pfleger die Brüder an.

Ergeben nickten sie und gingen in die angewiesene Richtung. Kaum waren die Pfleger mit den Patienten jedoch außer Sichtweite, drehten sie um und verschwanden in der relativen Dunkelheit des Parkplatzes.

An der Auffahrt erwartete sie Anna und gemeinsam gingen sie zu einer Autovermietung, die sich ein paar Straßen weiter befand. Zu ihrem Glück hatte die rund um die Uhr geöffnet. Sam mietete ihnen einen Wagen und holte wenig später seinen Bruder und Anna in einer Seitengasse ab, wo die beiden auf ihn gewartete hatten.

Deine Wärme fühlen

149) Deine Wärme fühlen
 

Zwei Stunden später kamen sie vor dem Haus der Miltons an.

Anna stieg aus und lief zur Tür.

„Mom? Dad?“, rief sie und klingelte. Doch im Haus blieb alles ruhig, dabei war es noch nicht so spät, dass sie auf jeden Fall schon schlafen würden. Sie hatte so gehofft, dass sie jetzt nicht allein bleiben müsste.

Traurig griff sie in eine der Blumenschalen und holte einen Schlüssel hervor.

„Ich studiere und habe meinen Schlüssel in meiner Kommode im Wohnheim. Leider bin ich viel zu selten hier“, erklärte sie den Brüdern, die sie noch bis zur Tür begleitet hatten, leise. Sam nickte verstehend.

„Kein wirklich ausgefallenes Versteck!“, ließ sich Dean gähnend vernehmen und deutete auf den Blumenkübel.

„Nein, wahrscheinlich nicht, aber hier ist noch nie etwas passiert und die Nachbarn sich alle miteinander befreundet. Hier achtete einer auf den anderen.“ Sie schloss die Tür auf und bat ihrer Retter ins Haus.

„Ich muss duschen!“, rief sie und lief nach oben. Sie hatte bewusst nicht gefragt, ob die Brüder bleiben wollten, aus Angst, sie würden „nein“ sagen. Diese Enttäuschung würde sie früh genug ereilen, sollten die beiden weg sein, wenn sie vom Duschen kam.
 

Sie suchte sich saubere Sachen zusammen und ging in ihr eigenes, kleines Bad.

Bis sich die Tür hinter ihr schloss, hatte sie versucht ihre Fassung so gut es hing aufrecht zu erhalten, doch jetzt, vor dem Spiegel, der die Blutspuren, die noch immer in ihrem Gesicht und auf ihrer Kleidung zu finden waren, nur zu deutlich zeigten, bröckelte die und brach unter den warmen, entspannenden Wasserstrahlen vollkommen zusammen.

Weinend rutschte sie zu Boden, umklammerte ihre Knie und ließ ihren Tränen freien Lauf. Warum war ihr das passiert? Warum wollten diese Männer, dass sie ihr Blut trank und wer waren die überhaupt?

Die Tränen wollten einfach nicht aufhören aus ihren Augen zu quellen.

Plötzlich hörte sie, wie die Tür geöffnet wurde. Erschrocken hielt sie die Luft an.

Hatte einer ihrer Entführer sie hier gefunden?

„Wollte nur sicherstellen, dass du nicht zu weit raus schwimmst“, hörte sie die Stimme des Blonden. Erleichtert atmete sie auf.

„Bin gleich fertig“, sagte sie hastig und versuchte sich die Tränen nicht anhören zu lassen, die sie vergossen hatte.

„Okay, ich warte vor der Tür. Schrei einfach, wenn ein Hai auftauchen sollte!“

Ein zaghaftes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Dean machte sich Sorgen um sie und, was noch viel schöner war, er war noch da! Wärme flutete durch ihren Körper, die nicht von dem Wasser kam.

Endlich fand sie die Kraft sich zu waschen.
 

Wenige Minuten später kam sie, mit einem Handtuch um ihren Kopf geschlungen, aus dem Bad.

„Bist du zum Islam konvertiert?“, wollte Dean wissen und deutete auf ihren Turban. „Aber ich glaube, den tragen nur Männer.“

Wieder lächelte sie zaghaft.

Der Winchester hielt ihr eine dampfende Tasse hin. Er war, nachdem er nach ihr geschaut hatte noch einmal nach unten gegangen, hatte Sammy, der, kaum das er auf der Couch saß, eingeschlafen war, dazu gebracht sich richtig hinzulegen, ihn zugedeckt und sich daran erinnert, dass eine Tasse Kakao seinem Kleinen bei Albträumen immer geholfen hatte. Und da scheinbar inzwischen jeder Haushalt so einen modernen Kaffeeautomaten besaß, der auch das konnte, hatte er ihr eine Tasse gemacht.

Lächelnd nahm sie das heiße Getränk entgegen. Ihre Hände schlossen sich um die Becher. Mit geschlossenen Augen inhalierte sie das Aroma.

„Wir haben den Kühlschrank geplündert und uns im Bad unten etwas frisch gemacht“, erzählte Dean unbekümmert weiter. „Sammy ist auf der Couch eingeschlafen und ich dachte mir, ich schau mal, ob du Hilfe brauchst, bevor ich gemein zu ihm werde und ihn von diesem gemütlich aussehenden Möbelstück schmeiße.“ Er unterdrückte ein weiteres Gähnen. „Wenn du Hunger haben, ein oder zwei Sandwiches liegen im Kühlschrank“, fuhr er fort.

Sie lächelte über soviel Umsicht. Von einem Mann hätte sie das nicht erwartet.

„Willst du dich nicht auch hinlegen? Hier ist genug Platz“, sagte sie und machte eine ausladende Geste, die ihr gesamtes Zimmer einschloss.

„Nein, es geht schon. Ich wollte nur sehen, ob es dir gut geht. Du solltest schlafen“, sagte er leise und wollte ihr Zimmer wieder verlassen.

„Ich möchte nicht alleine bleiben, bitte. Ich glaube nicht, dass ich mit diesen furchtbaren Bildern vor Augen überhaupt schlafen kann.“

„Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Die fünf Typen können dir nichts mehr tun! Wie haben sie dich überhaupt…“ Dean suchte nach einem Wort, er wollte nicht „entführt“ sagen.

„Vor drei Tagen... Ja, ich denke es waren drei Tage, standen plötzlich zwei Männer vor meinem Bett im Wohnheim. Ich habe versucht mich zu wehren, aber sie waren so stark.“ Anna schniefte.

„Sie hielten mir den Mund zu und dann waren wir plötzlich in diesem Raum. Ich weiß nicht. Sie müssen mich betäubt haben, oder so“, ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Mir war so kalt!“ Schon bei der Erinnerung schauerte sie zusammen.

Dean trat vor sie und zog sie in seine Arme. Wieder versuchte er sie zu beruhigen.

Sie drängte sich Halt suchend an ihn und Dean kam nicht umhin, diese Situation ein wenig zu genießen. Er hatte schon so lange keine Frau mehr im Arm gehalten.

„Immer wieder drängten sie mich ihr Blut zu trinken“, erzählte sie leise weiter. „Und zweimal kam noch ein anderer zu mir. Er meinte ich sollte trinken, ich hätte eh keine Chance. Niemand könnte mir helfen!“

„Da war noch ein sechster?“, fragte der Winchester erstaunt.

„Ich weiß nicht, ob es sechs waren, aber ja und die anderen schienen jede Menge Respekt vor ihm zu haben.“

„Hatte er einen Namen?“

„Alistair. Er meinte ich hätte keine Chance ihnen zu entkommen und je länger ich mich weigern würde, umso länger müsste ich leiden.

Aber ich habe nichts herunter bekommen, selbst wenn ich es gewollt hätte.“

„Alistair? Nie von ihm gehört. Aber vielleicht weiß mein Bruder mehr.“

„Ihr habt von solchen Typen schon gehört? Wer waren die. Eine Sekte? Seid ihr von der Polizei?

Ich habe noch nie einen Menschen mit schwarzen Augen gesehen!“ Ein eisiger Schauer rann ihr über den Rücken und ließ sie zusammenfahren.

„Du musst keine Angst mehr haben. Die können dir nichts mehr anhaben“, versuchte er sie zu beruhigen. Und hoffte, dass er sie nicht belog. „Und nein, wir sind nicht von der Polizei. Aber wir ermitteln gegen solche Typen.“

„Bleibst du bei mir?“, fragte sie schniefend.

„Wenn du das willst.“ Unten wartete nur ein Sessel auf ihn, denn auch wenn er es vorhin gesagt hatte, so würde er Sam doch nie von dem Sofa vertreiben. Zur Not hätte er auch auf dem Boden schlafen können.

Hier oben gab es zumindest eine Couch, wenn auch eine zu kleine. Aber er war zu müde, für solche Befindlichkeiten.

„Ja, bitte!“ Sie löste sich von ihm, rubbelte sich die Haare trocken und legte sich dann in ihr Bett. Fest wickelte sie die Decke um sich.

Dean machte es sich auf der viel zu kurzen Couch so gemütlich wie es nur ging.

„Du kannst die Nacht doch nicht auf diesem Ding verbringen wollen!“, entfuhr es ihr erschrocken.

„Ich hab schon schlechter geschlafen.“

„Bitte, komm her. Hier ist mehr als genug Platz“, sagte sie, rutschte etwas zur Seite und klopfte auf freigewordene Fläche.

Dean schnaufte. Er war zu müde für Diskussionen und das Bett sah viel zu einladend aus, als das er sich lange wehren wollte. Er erhob sich und legte sich neben sie.

Nicht lange, dann verkündeten seine ruhigen Atemzüge, dass er eingeschlafen war.

Anna öffnete ihre Augen. Sie hatte, kaum das der Winchester neben ihr lag, auch versucht zur Ruhe zu kommen, doch so schnell wie er das anscheinend schaffte, konnte sie ihre Gedanken nicht ausschalten. Sie drehte sich zu ihm um, stützte sich auf den Ellenbogen und betrachtete ihn im schwachen Schein der Straßenlaterne, die vor ihrem Fenster stand. Sie konnte die langen Wimpern sehen, die auf seinen Wangen ruhte. Wie konnte ein Mann nur so lange Wimpern haben?

Ein Schauer rann über Deans Körper. Er rümpfte die Nase, als er fühlte, wie die Kälte langsam in seine Knochen kroch, doch er war noch viel zu träge um sich zu bewegen. Etwas Wärmendes legte sich über ihn.

Sie hatte diesen Schauer ebenfalls gesehen. Ob er fror? In ihrem Zimmer war es nicht sonderlich warm, überlegte sie, und sie hatte die Decke komplett für sich beansprucht. Sie wollte aber nicht aufstehen um ihm eine zweite Decke zu holen, denn so hatte sie eine Ausrede um sich an ihn kuscheln zu können. Langsam rutschte sie näher und breitete die Decke über seinen Körper.

Sie sah, wie ein Lächeln über sein Gesicht huschte und rückte noch etwas näher. Sie atmete tief durch und versuchte sich auf seine Atemzüge zu konzentrieren um einschlafen zu können.

Doch kaum hatte sie ihre Augen wieder geschlossen, als sich ihr schon die Bilder ihrer Peiniger aufdrängten.

Anna konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken.

„Wieder ein Albtraum?“, riss sie Deans verschlafene Stimme aus ihren trüben Gedanken.

„Komm her“, nuschelte er, bevor sie antworten konnte und rutschte er etwas weiter zu ihr. Er legte einen Arm um sie und strich ihr sanft über den Oberarm.

„Schlaf“, forderte er leise, ließ sich wieder in die Kissen sinken und schlief weiter.

‚Was war das denn?’, überlegte sie lächelnd und kuschelte sich fester an den starken Körper. Sie lag halb auf und halb neben ihm. Sein Arm lag in ihrem Rücken und gab ihr zusätzlich das Gefühl von Geborgenheit. Ihre Hand lag auf seiner Brust und sie fühlte, jeden seiner Atemzüge, genauso, wie sie sein Herz schlagen hörte. Dieser langsame, stetige Rhythmus brachte auch ihre aufgewühlten Gefühle zur Ruhe. Immer öfter fielen ihr die Augen zu und sie driftete langsam ab.

Doch bevor sie richtig eingeschlafen war, glaubte sie die Stimmen dieser Monster zu hören und ihre Hände auf ihrem Körper zu fühlen. Schnell riss sie ihre Augen wieder auf und drängte sich noch enger an den Blonden.

Ihre Augen wanderten über sein Gesicht. Er sah friedlich aus, wirkte aber doch irgendwie angespannt.

Sein Mund war leicht geöffnet. Ihr Blick blieb an den vollen Lippen hängen und sie wünschte sich plötzlich ihn zu küssen.

Anna schluckte schwer und versuchte diese Gedanken wieder zu verdrängen.

Dean drehte sich im Schlaf ein wenig zu ihr und legte nun auch seinen anderen Arm um sie.

Er grummelte leise und schlief dann weiter. Sanft strich sie über seine Brust.

Wärme durchflutete die junge Frau. Sie fühlte seinen Atem auf ihrem Gesicht und inhalierte seinen Geruch. Der Mann warf sie um. Immer mehr Bilder drängten sich ihr auf, in denen seine Hände über ihren Körper strichen und die Berührungen der anderen Männer einfach auslöschten.

Und ja, sie wollte es! Sie wollte, dass er sie berührte! Sie wollte ihn küssen! Sanft ließ sie ihre Finger über seine unrasierte Wange gleiten.

Vorsichtig reckte sie sich ihm entgegen.

Ihre Lippen trafen auf seine und sie küsste ihn zärtlich. Seine Arme schlossen sich fester um sie, als er den Kuss intensivierte und seine Hände wanderten über ihren Rücken.

Ein Stöhnen entwich ihrem Mund. Sie drängte sich noch fester an ihn und begann ihn zu streicheln.

Dean keuchte. Er genoss, was sie mit ihm machte. Viel zu lange war er mit keiner Frau mehr im Bett.

Anna hatte aufgehört zu denken. Was sie hier tat fühlte sich richtig an und sie wurde mutiger. Ihre Hand schob sich unter sein Shirt und strich über die blanke Haut.

Als sie sich an seiner Hose zu schaffen machte, erwachte Dean vollkommen. Sofort hielt er ihre Hand fest.

„Anna! Nicht!“, keuchte er und versuchte sich zu beruhigen. Das hier war nicht richtig! Wie konnte er nur? Er war heiß auf sie!

Der Winchester versuchte sich ihrer Umarmung zu entwinden um aufzustehen und schleunigst ihr Zimmer zu verlassen. Sie hielt ihn fest.

„Geh nicht, bitte! Ich will es. Ich will dich fühlen!“

„Nicht so, Anna! Wir sollten…“

Sie verschloss seinen Mund mit ihren und küsste ihn fordernd.

Er ergab sich.

Seine Lust war schon viel zu groß, als das er noch einen klaren Gedanken hätte fassen, geschweige denn sich wehren, aufstehen und gehen können und ja, verdammt! Er wollte sie auch!

Noch ein Engel

150) Noch ein Engel
 

Befriedigt und fest aneinander geschmiegt schliefen sie ein.

Ihre Monster waren Geschichte.

Sie träumte von einem hellen, friedlichen Ort und sie fühlte sich zu Hause, umsorgt und geliebt.

Eine Stimme rief sie. Sie wollte nicht hören. Sie wollte hier nicht weg!

Wieder rief die Stimme und sie klang schon viel drängender.

„Nein! Ich will nicht!“, antwortete sie trotzig.

„Anna! Du musst mir zuhören! Sie werden wieder kommen! Er wird andere schicken und er wird nicht locker lassen. Aber ich kann dir helfen. Ich kann dich schützen!“

„Dean schützt mich!“, begehrte sie auf.

„Dean ist gut! Er hat dich befreit, aber er kann nicht immer an deiner Seite sein.“

„Ich will mich nicht von ihm trennen!“

„Schon bald wird jemand kommen und ihn holen und du wirst es nicht verhindern können. Anna! Hör mir gut zu! Es gibt einen Ort, an dem du dich schon immer geborgen gefühlt hast. Dort musst du hingehen! Bitte Anna! Geh, bevor es zu spät ist!“, drängte die Stimme.

Anna riss die Augen auf.

Sie lag noch immer in ihrem Zimmer, in ihrem Bett, in Deans starken Armen.

Schnell schloss sie ihre Augen wieder und versuchte einzuschlafen. Doch ihr war, als drängte sie die Stimme noch immer.

‚Ein Ort, an dem ich mich schon immer geborgen gefühlt hatte?’, überlegte sie. Ja, es gab einen solchen Ort. Und sie wusste auch, dass Dean wohl nicht immer bei ihr bleiben würde. Sollte sie der Stimme folgen? Was aber, wenn diese Stimme sie wieder in die Hände ihrer Entführer treiben wollte? Wer wusste denn schon, was die mit ihr gemacht hatten?

„Würde ich dann von deinem Lieblingsort wissen?“, fragte die Stimme in ihrem Kopf.

Sie schüttelte verwirrt den Kopf.

„Du hast keine Wahl, Anna. Entweder du hörst auf mich, oder sie werden dich wieder finden und dann gibt es vielleicht keinen Dean, der dir hilft!“, drängte sie Stimme.

Bevor die junge Frau antworten konnte, fühlte sie eine Berührung. Mit einem Mal wusste sie, dass sie keine Angst zu haben brauchte und dass die Stimme Recht hatte. Vorsichtig arbeitete sie sich aus der Umarmung des Mannes, der sie nicht nur von den realen Monstern gerettet hatte.

„Keine Angst, er wird schlafen“, sagte die Stimme.

Trotzdem versuchte sie vorsichtig und leise zu sein. Schnell suchte sie sich saubere Kleidung zusammen und verließ dann das Zimmer. Die Tür ließ sie nur angelehnt.
 

Ein Knall riss Dean aus dem Schlaf.

„Anna?“, fragte er in die Stille.

Er erhielt keine Antwort.

„Anna?“, fragte er noch einmal und stand auf. Sich müde die Augen reibend tappte er zum Bad. Die Tür war nur angelehnt in den dem Raum war es dunkel.

„Anna?“, rief er. Aber er bekam noch immer keine Antwort. Hastig suchte er seine, um das Bett verstreuten Kleidungsstücke zusammen und zog sich an. Er ging in den Flur und rief wieder nach ihr.

Nichts.

„Sam!“, brüllte Dean und polterte die Treppe herunter.

„Was?“, fragte der Jüngere verschlafen und blickte seinem Bruder entgegen.

„Anna ist weg!“

„Du warst doch bei ihr“, stellte Sam verständnislos fest.

„Entschuldige, dass ich eingeschlafen bin!“, knurrte der Blonde. „Natürlich hätte ich Wache halten müssen, während du deinen Schönheitsschlaf genießt!“

„So war das überhaupt nicht…“

„Vergiss es!“

„Dean ich…“, versuchte der Jüngere noch einmal die Wogen zu glätten. Dean hatte in den letzten Tagen um einiges weniger Schlaf bekommen als er und er wusste ja, dass auch bei seinem großen Bruder irgendwann die Leistungsgrenze erreicht war. Aber auch er war müde, und unausgeschlafen funktionierte seine Diplomatie nicht richtig. Trotzdem sollte er vielleicht erst denken und dann reden. Oder seinen Bruder endlich von dem Sockel holen, auf den er ihn wohl noch immer stellte.

Dean war sein Idol gewesen, solange er denken konnte. Nie so, wie Dean Dad verehrt hatte, aber ja, er verehrte seinen Bruder noch immer, auch wenn er das nicht mehr wahr haben wollte.

„Hilf mir lieber suchen!“, grummelte der Blonde. Er wollte sich nicht streiten. Dazu war er viel zu müde.

Sam rappelte sich auf, zog sich seine Schuhe an und schaute dann zu seinem Bruder.

„Ich geh noch mal hoch und du suchst hier unten!“, erklärte der und polterte die Treppe wieder nach oben.

Er schaute in jedes Zimmer, rief immer wieder nach der jungen Frau, doch er konnte noch nicht einmal eine Spur von ihr entdecken.

Unten ging es dem Jüngeren nicht viel anders, bis er in das Esszimmer kam.

Ein leichter Luftzug erregte seine Aufmerksamkeit. Suchend blickte er sich um.

Die Tür zur Veranda stand leicht offen. Sofort zog er seine Waffe und ging geduckt auf die Tür zu.

Vorsichtig spähte er hinter die Vorhänge und dann, als er im Raum nichts Verdächtiges entdeckt hatte, nach draußen.

„Dean!“, rief er seinen Bruder.

„Wo bist du?“, wollte der Blonde wissen und rannte die Treppe wieder herunter.

„Esszimmer“

Gleich darauf kam der Blonde ins Zimmer.

„Was?“, wollte er leicht keuchend wissen.

Wortlos deutete der Jüngere aus dem Fenster. Der fast volle Mond erhellte die Nacht und sie konnten mit ihren in der Dunkelheit geübte Augen fast so gut sehen wie im hellsten Sonnenschein.

Hinter dem Grundstück erstreckte sich ein Feld. Auf diesem stand ein riesiger Baum und genau auf diesen Baum lief eine Person zu.

„Anna?“

Die Brüder tauschten einen Blick, holten ihre Jacken und stürmten aus dem Haus.

„Anna!“, riefen sie die junge Frau immer wieder, während sie versuchten, sie zu erreichen.
 

„Geh weiter, Anna“, sagte die Stimme, als sie sich umdrehen wollte und wieder umgab sie dieses warme Gefühl des Vertrauens und sie ging weiter.
 

„Anna!“, brüllte Dean wieder und versuchte seine Anstrengungen zu verdoppeln.

Sein Hals brannte von der eisigen Luft, die er beim Laufen in seine Lungen pumpte. Er hatte, genau wie sein Bruder, seine Waffe in der Hand, doch es gab nichts, worauf er hätte schießen können.
 

Die junge Frau erreichte den Baum, auf den sie als Kind immer geklettert war und an dem sie immer wieder gespielt hatte. Oft hatte sie sich ihren Weg durch Mais kämpfen müssen, der doppelt so hoch war wie sie selbst, aber sie hatte sich nie verlaufen.

Sie legte ihre Hand an den Stamm.

„Anna!“

Sie blickt auf und sah ihre Retter auf sie zu stürmen. Sie wollte ihnen zurufen, dass alles gut werden würde, doch die beiden waren noch zu weit weg. Also winkte sie kurz.

Dann erregte ihr etwas zwischen den Wurzeln des Baumes ihre Aufmerksamkeit. Es schimmerte matt. Sie hockte sich hin und begann Blätter und Erde beiseite zu schieben.

Gleich darauf hielt sie eine kleine, leuchtendblaue Phiole in der Hand.

„Anna!“, sagte ein Mann im Trechcoat, der plötzlich neben ihr stand.

Erschrocken wich sie zurück.

Er folgte ihr.

Mit einer Hand am Stamm tastete sie sich weiter rückwärts. Sie stolperte. Die Phiole fiel ihr aus der Hand und landete auf dem Stein, der zwischen den Wurzeln lag und sie zum Stolpern gebracht hatte. Sie zerbrach.

Gleißendes, blaues Licht hüllte sie ein.

Anna schrie!

„Nein!“, keuchte der Engel und machte einen Schritt auf sie zu, doch es war zu spät. Das Leuchten hatte sie schon verschluckt.
 

Die Winchester-Brüder waren stehen geblieben, kaum dass sie den Fremden bei Anna hatten stehen gesehen. Gleichzeitig hatten sie ihre Waffen in Anschlag gebracht, doch Dean hatte sie fast sofort wieder sinken lassen. Es brachte nichts, auf den Engel zu schießen!

„Ist ein Engel“, sagte Dean ruhig. Er legte seine Hand auf Sams Beretta und drückte den Lauf nach unten.

„Woher…?“, fragte Sam nur um fast sofort den Kopf zu schütteln, als er das Leuchten sah.

Das Licht wurde immer greller. Geblendet schlossen die Brüder die Augen und drehten sich weg.

Der Schrei verstummte und es wurde wieder dunkel.

Die Winchesters drehten sich wieder zum Baum um und begannen zu laufen.
 

„Das hättest du nicht tun dürfen, Gabriel!“, sagte der Engel und drehte den Brüdern den Rücken zu. Seine Augen waren fest auf die Gestalt gerichtet, die jetzt, nur für ihn sichtbar, hinter dem Stamm hervortrat.

„Warum nicht? Ihr hättet sie nicht schützen können. So ist sie aus der Schusslinie!“, antwortete Gabriel.

„Sie hat sich fallen lassen! Sie hätte nie wieder einer von uns werden dürfen! Das ist nicht Recht!“

„Na und? Ich bin auch die meiste Zeit hier unten!“

„Aber du…“, Castiel brach ab. Sein Gesprächspartner war verschwunden.
 

„Wo ist Anna!“, verlangte der blonde Winchester zu wissen, kaum dass sie den Baum erreicht hatten.

„Sie ist weg“, antwortete Castiel und in seiner Stimme schien ein bisschen so etwas wie Wut mitzuschwingen.

„Wie weg?“, wollte jetzt auch Sam wissen.

„Und was war das für ein Leuchten?“, platzte Dean heraus.

„Sie ist wieder nach Hause gekommen“, beantwortete der Engel beide Fragen, „auch wenn sie da nicht mehr willkommen ist.“

„Wie nach Hause gekommen?“

„Du meinst sie ist … ein Engel?“, beantwortete Sam Deans Frage mit einer weiteren.

„Ja. Sie hat sich fallen gelassen. Sie hätte nie wieder einer von uns werden dürfen.“

„Sie ist ein richtiger Engel?“, wollte jetzt auch Dean wissen, dessen Gehirn zu übermüdet war und einfach langsamer schaltete.

„Ja. Sie wird nie wieder die Stellung haben, die sie vorher hatte, aber sie ist wieder eine von uns.“

„Es ist wirklich wahr? Es gibt Menschen, die einmal Engel waren?“

„Hin und wieder lässt sich ein Engel fallen und wird dann menschlich!“, antwortete Castiel ruhig.

„Ich dachte gefallene Engel kommen in die Hölle?“, überlegte Dean laut.

„Gefallene Engel, ja. Sie wurden aus dem Himmel verbannt, weil sie sich gegen unseren Vater gestellt haben. Aber ein Engel kann sich auch fallen lassen. Dann wird er menschlich.“

Dean zuckte mit den Schultern. Gefallen oder fallen gelassen? Ihm war das im Moment ziemlich egal. Er fror. Er wollte hier weg und in ein Bett.

„Und was jetzt?“, fragte er deshalb.

„Ich bringe euch zurück“, erklärte Castiel und trat an Dean heran.

Der machte schnell einen Schritt zurück. Natürlich wollte er hier weg, aber es gab noch etwas zu klären!

„Was ist mit den Toten in der Kirche? Und auch hier. Wir müssen unsere Spuren verwischen!“, brachte er hervor. Sam nickte.

„Das ist schon passiert!“, erklärte Castiel ruhig.

„Und mein Rucksack?“, warf Sam jetzt ein.

Plötzlich hatte der Engel den in der Hand und reichte ihn Sam, der ihn mit großen Augen musterte.

„Okay! Dann los“, seufzte der Blonde, schloss die Augen und hielt die Luft an. Hoffentlich half das gegen die Übelkeit, die ihn das letzte Mal überfallen hatte. Er fühlte die Berührung und war gleich darauf in ihrem Motelzimmer.

Es hatte nicht geholfen. Ihm war schon wieder mehr als nur übel. Diese Art der Fortbewegung hatte ja vielleicht für Engel etwas für sich. Er brauchte sie nicht öfter.

Schwer ließ er sich auf sein Bett fallen.

Gleich darauf stand auch Sam im Zimmer.

„Oh man, was für eine Nacht“, sagte der Jüngere und ging zu seinem Bett.

Dean nickte nur. Er kämpfte noch damit sein Essen im Magen zu behalten, obwohl davon sicherlich kaum noch etwas drin sein dürfte.

Eine Aussprache

151) Eine Aussprache
 

Sam begann sich umzuziehen. Der Blonde brauchte noch eine Weile bis sich sein Kreislauf langsam wieder beruhigte.

„Woher wusstest du, auf wen du in der Kirche schießen musstest?“, fragte der Jüngere leise und setzte sich, fertig umgezogen auf sein Bett, so dass er Dean anschauen konnte.

Der Blonde hob seinen Kopf und sah Sam eine Weile schweigend an. Er wollte nicht darüber reden und auf keinen Fall wollte er heute noch darüber reden. Aber er hatte auch keinen Bock auf die wahrscheinlich langwierige Diskussion, wenn er versuchte Sam abzuwimmeln. Außerdem hatte sein Bruder ihm auch etwas verschwiegen!

„Ich kann sie sehen“, sagte er mit einem Seufzen. Warum sollte er lange um den heißen Brei herumreden. Jetzt war es raus. Was Sam mit dem Wissen machen würde, würde er sehen. Den Kopf konnte er ihm ja wohl nicht mehr abreißen, schließlich war er selbst ein Freak, einer mit Dämonenblut!

Sam starrte seinen Bruder entgeistert an.

„Du kannst was?“

„Ich kann Dämonen sehen. Und Engel ebenfalls, bevor du das auch noch fragen willst.“

„Deshalb wusstest du, dass die Indianer besessen waren und der Typ in der Schlucht ein Engel?“

„So sieht es aus.“ Dean klang müde.

„Aber ich dachte nur Wesen der Hölle können einander sehen!“, platzte Sam plötzlich hervor.

„Ich war der Hölle geweiht, schon vergessen?“

„Ich weiß, aber wir haben deinen Pakt doch gebrochen, oder? Lilith ist doch tot!“

„Du hast sie getötet.“

„Wieso kannst du sie dann noch immer sehen?“

„Ruby meinte, dass es daran liegen könnte, dass sie sich geteilt hat, um mich zu retten. Oder aber ich war der Hölle zu nah und solche Geschenke sind nicht dafür vorgesehen zurückgenommen zu werden.“ Den Blonden hielt es nicht mehr auf seinem Bett und er begann unruhig hin und her zu laufen.
 

„Mit Ruby konntest du reden und mit mir nicht?“, fragte Sam sauer und versuchte gar nicht erst zu verbergen, dass er enttäuscht war.

„Meinst du für mich ist es leicht, so ein „Geschenk“ zu akzeptieren? Ich wollte wissen was sie weiß, was sie sieht, wenn sie mich anschaut. Aber sie meinte ich sei einfach nur ein Mensch, mit dieser Zugabe.“

„Und warum hasst du mich dann so abfällig angesehen, als ich dir gesagt habe, dass ich Dämonenblut in mir habe?“ Sams Gefühle hatten sich noch immer nicht beruhigt.

„Ich hab dich nicht abfällig angesehen, Sam. Ich habe überlegt, ob ich etwas übersehen habe. Wenn du dämonisch wärst, müsste ich es doch sehen, oder? Ich meine, damals als du mir im Krankenhaus erklärt hast, dass ich überlebt habe, und weder ich noch Ruby in der Hölle sind, hat sie, ihre Erscheinung, der Dämon in ihrem Körper, mir gezeigt, dass du die Wahrheit gesagt hast und dass ich nur Albträume hatte, weil ich es nicht glauben konnte, doch noch gerettet worden zu sein. Du siehst für mich aber nicht anders aus als Bobby, oder irgendein anderer Mensch.“

„Du hättest mit mir reden sollen!“, maulte der Jüngere.

„Danke Sam! Das sagt der Richtige! Du weißt ein Jahr länger von deinem dämonischen Geschenk!“

Sam schluckte hart. Ja er wusste schon viel länger, dass er ein Freak war und hatte nichts gesagt. Wie konnte er Dean dann vorwerfen nicht zu reden?

Sie waren schon eine verkorkste Familie.

„Warum wolltest du Castiel eigentlich nicht helfen? Was hat das mit Mom zu tun und warum bist du gerade jetzt darauf gekommen?“

Dean rieb sich müde über das Gesicht. Langsam begann er sich auszuziehen.

Als du abgehauen warst, kam Castiel zu mir. Er meinte ich müsste wissen und hat mich in die Vergangenheit geschickt. Ich hab …John gesehen und Mom!“

„Wie war sie?“, fragte Sam neidisch. Warum durfte Dean solche Ausflüge immer machen?

„Sie war wundervoll! So voller Leben und jung und Wow und sie war eine Jägerin.“

„Mom war Jägerin?“

„Ja. Ihre Eltern haben ebenfalls gejagt und alles was sie sich wünschte war, dass ihre Kinder nie so aufwachsen sollten wie sie es musste.“

„Das ging ja wohl vollkommen nach hinten los“, stellte der Jüngere trocken fest.

Dean nickte traurig. „Ich hätte sie retten können“, sagte er leise.

Sofort läuteten bei Sam sämtliche Alarmglocken.

„Der Engel hat doch gesagt, dass du nur geträumt hast!“, stellte er mit so viel Überzeugung in der Stimme fest, wie er nur konnte.

„Ich bin mir da nicht so sicher! Ich hab den Colt von Elkins geholt, aber der Gelbäugige war schon in Samuel und …“

„Hast du ihn gesehen?“, fragte Sam, dem plötzlich auffiel, wie er Deans Verdacht bestätigen, oder noch besser, zerstören konnte.

„Samuel? Natürlich konnte...“

„Nicht Samuel. Den Dämon!“

„N…ein“, antwortete der Blonde stockend.

„Dann warst du auch nicht da!“

„Woher willst du das denn wissen? Warst du dabei?“

„Du kannst Dämonen sehen“, stellte Sam ruhig fest und Dean nickte.

„Aber du hast den Dämon in Samuel nicht gesehen!“

Wie erwartet schüttelte der Blonde mit dem Kopf.

„Weil du nicht wusstest, dass er besessen war. Dean! Wenn du wirklich da gewesen wärst, hättest du ihn gesehen, so aber du warst vollkommen ahnungslos. Du hast es wirklich nur geträumt!“

„Trotzdem! Ich…“, Dean brach ab. Was sollte er denn darauf antworten. Er hoffte, dass er wirklich nur geträumt hatte und wahrscheinlich hatte Sam ja auch Recht, aber ein Rest Zweifel blieb.

Er zog sich fertig um und legte sich ins Bett. Er fühlte sich nicht nur fertig. Er war regelrecht ausgelaugt.

„Darf ich dich noch was fragen?“, hörte er Sam und drehte sich zu ihm um.

„Die Kälte? Amarocks Biss,“ kam es dann ohne dass der Jüngere eine Antwort abgewartet hatte.

Der Ältere seufzte leise. „Nein Sam. Ich fühle keine Kälte in mir! Außerdem ist die Zeit lange vorbei.“

„Gut!“, der Jüngere nickte zufrieden.

„Läufst du jetzt wieder weg, oder darf ich in Ruhe schlafen?“, konnte sich Dean diesen Seitenhieb nicht verkneifen.

„Ich laufe nicht wieder weg. Ich verspreche dir, dass ich vorher mit dir rede!“

„Okay. Gute Nacht, Sam.“

„Schlaf gut, Dean!“
 

Gefühlte zwei Minuten später hämmerte jemand gegen ihre Tür.

Sam blinzelte verschlafen, streckte sich kurz und drehte sich zu seinem Bruder um.

Wieder hämmerte es gegen die Tür.

„Macht auf Jungs, oder ich muss die Tür eintreten!“, hörte er Bobby rufen. Er steckte sich träge und stemmte sich dann in die Höhe. Gähnend schlurfte er zur Tür und öffnete diese.

„Hey Bobby“, grüßte er heiser.

„Sam? Was ist denn mit dir los?“, wollte der alte Jäger besorgt wissen. Den jüngeren Bruder um diese Zeit noch im Schlafzeug zu sehen, konnte nichts Gutes bedeuten.

„Wir hatten kurzfristig einen Fall und sind erst vor“, er blickte auf die Uhr, „knapp drei Stunden ins Bett.“

„Seid ihr okay?“ Besorgnis klang in Bobbys Stimme mit und brachte den jüngeren Winchester zum Schmunzeln.

„Ja, wir sind einfach nur müde.“

„Gut, hier sind ein paar Sandwichs für euch. Den Kaffee werd ich dann wohl mal selbst trinken“, meinte der Ältere nur. „Meldet euch, wenn ihr ausgeschlafen seid. Ich bin drei Zimmer weiter.“

„Danke Bobby!“

„Und ihr seid wirklich okay?“, hakte der noch mal nach.

„Warum?“

„Weil dein Bruder sich die ganze Zeit noch nicht mal gerührt hat!“

„Ich denke, du müsstest `ne Bombe zünden um ihn wach zu bekommen.“ Sam gähnte verhalten. „Lass uns nachher reden.“

„Alles klar, Junge, schlaft euch aus.“

Sam nickte, schloss die Tür, stellte die Sandwichs in den Kühlschrank und schlurfte zurück in sein Bett.

Er warf noch einen Blick auf seinen Bruder. Dean atmete ruhig und gleichmäßig.

‚Wie anders war doch dieses Wecken abgelaufen, im Gegensatz zu dem Wecken von Travis vor ein paar Tagen!’, überlegte er noch, bevor auch er wieder in Morpheus’ Armen versank.
 

Mittag war schon lange vorüber, als die Brüder erwachten.

„Hey“, nuschelte der Blonde in sein Kissen und gähnte ausgiebig.

„Selber hey. Bobby war hier und hat was zu Essen dagelassen.“

Das war wir Musik in Deans Ohren. Schnell stand er auf und lief in den kleinen Küchenbereich.

Sam grinste breit. „Kühlschrank“, sagte er nur.

Er hörte das Schmatzen der Gummidichtung und dann raschelte die Folie. Gleich darauf gab Dean ein zufriedenes Brummen von sich.

„Isch liebe Bobby!“, verkündete er enthusiastisch.

„Lass es dir schmecken. Ich geh duschen“, sagte Sam und verschwand im Bad.
 

Halbwegs ausgeschlafen, frisch geduscht und rasiert, standen die Brüder eine Stunde später vor der Tür zu Bobbys Zimmer. Sam klopfte.

„Kommt rein“

„Hey Bobby! Danke, dass du uns holen kommst“, begrüßte Dean den Freund und umarmte ihn herzlich.

„Keine Ursache Jungs. Was haltet ihr von Essen gehen? Dabei könnt ihr mir erzählen, was euer letzter Fall war und dann holen wir den Impala und machen uns auf den Rückweg.“

„Gute Idee!“, stimmte der Blonde sofort zu.

„Du hast doch eben erst fast alle Sandwichs verdrückt“, erklärte Sam.

„Na und? Deshalb hab ich aber trotzdem noch Hunger!“

„Oh man. So langsam sollten wir dich mal auf eine ganze Kolonie Bandwürmer testen lassen. Das ist doch nicht mehr normal!“

„Wenn ich meinem Körper nur Salat zumuten würde, hätte der wahrscheinlich auch nicht soviel Hunger. Nur Grünzeug ist ja widerlich!“, konterte der Blonde.

„Täte dir aber auch ganz gut!“, grummelte Sam.

„Nee, lieber sterbe ich an zuviel Cholesterin als an einem Blähbauch!“

„Lasst uns essen gehen, sonst sterbe ich an Unterernährung!“, beendete der Ältere die Diskussion. Die Brüder grinsten sich an und nickten einmütig.
 

Beim Essen erzählten sie dem Freund von ihren Ermittlungen gegen Miss Margo, Stephanie deVendt und Sam erklärte, dass einzig und allein Dean diesen Fall gelöst hatte, und zwar, weil der auf seine Instinkte gehört und sich nicht von seinem Verdacht hatte abbringen lassen, so sehr es ihn selbst auch wurmte, das zuzugeben. Und dass ihm sein Bruder mal wieder das Leben gerettet hatte, stellte er auch gleich noch fest. Bobby strahlte den Blonden an und klopfte ihn anerkennend auf die Schulter.

Dean wand sich unter so viel Lob wie ein Aal. Seine Wangen zierte ein leichter Rotschimmer.

„Und wenn wir bei dir sind, muss ich dir noch was zeigen. Du wirst Augen machen!“, prophezeite der jüngere Winchester an Bobby gewandt.

„Na dann bin ich ja mal gespannt!“, gab dieser von sich.

Danach berichteten sie abwechselnd von den anderen Fällen, die sie in der Zwischenzeit auch noch gelöst hatten und von Travis Tod.

Bobby hatte Travis gekannt, wenn auch nur flüchtig. Dessen Tod tat ihm leid, einfach, weil jeder tote Jäger mehr Arbeit für die Überlebenden bedeutete und weil beim Brand des Roudhouses vor zwei Jahren schon zu viele Jäger gestorben waren. Außerdem war Travis, bis auf diese letzte Aktion, ein guter Jäger gewesen.

Sam erzählte, dass sie einem Engel begegnet waren und dass sie einem Engel das Leben gerettet hatten, der sich hatte fallen lassen und dass der Engel, der sie beauftragt, hatte darüber wohl nicht wirklich begeistert gewesen war, weil sie jetzt wieder ein Engel war.
 

„Wie kann es sein, dass sie einen der ihren lieber in den Tod schicken würden, anstatt ihm zu vergeben?“, überlegte der jüngere Winchester laut.

„Ich glaube nicht, dass Engel so nett und flauschig sind, wie die meisten Menschen sie sehen wollen“, antwortete Bobby. „Ich gehe eher davon aus, dass sie Krieger sind. Sie haben Sodom und Gomorra vernichtet, ohne Rücksicht auf das Leben zu nehmen. Sie haben Luzifer und alle seine Anhänger in die Hölle verbannt. Lilith ist aus dem Paradies geflogen, weil sie sich Adam nicht unterordnen wollte. Wenn sie es zulassen, dass jeder Engel eine eigene Meinung hätte, wie weit würden sie dann kommen?“

„So hab ich das noch nie gesehen“, gab Sam zu.

„Du glaubst ja auch, dass Gott lieb und freundlich ist.“

„Ich glaube einfach an ihn, Dean!“

„Und ich verstehe nicht, wie er zusehen kann, wie Kinder leiden müssen. Die haben nichts getan!“

„Lasst uns diese Diskussion beenden, Jungs. Wir kommen hier eh zu keiner Einigung.

Dean nickte kurz und starrte in seinen Kaffee. Seine Gedanken waren wieder bei seiner Mom und bei dem Gelbäugigen. Ja! Er hatte nicht gesehen, dass sein Großvater besessen war, aber hieß das wirklich, dass er es nur geträumt hatte? Und warum der Dämon die Kinder mit seinem Blut verseucht hatte, war ihm auch nicht klar. Brauchte er einfach jemanden, der das Höllentor öffnen konnte? Aber das hätte er doch auch anders bewerkstelligen können?

Sein Kopf schmerzte.

Unwirsch brummeln schob er den Gedanken beiseite. Er wollte nicht an den Gelbäugigen denken, denn der war tot. Aber auch die Gedanken an seine Mom wollte er nicht weiter verfolgen. Diese kurze Begegnung mit ihr, und wenn es nur in einem Traum gewesen war, zeigte ihm umso deutlicher, was er verloren hatte. Seine Mom war so wunderschön gewesen! So intelligent! Sie hatte soviel Lebensfreude ausgestrahlt, soviel Wärme und Liebe.

Er atmete tief durch. Diese Gedanken führten ja doch zu nichts. Er hatte die Chance die Vergangenheit zu ändern und er hatte es versäumt! Jetzt musste er auch weiterhin mit den Folgen leben!

Herkules oder Odysseus

152) Herkules oder Odysseus
 

„Ich möchte mir das Haus von der deVendt noch mal anschauen“, sagte er heiser.

„Dean?“, fragte Sam besorgt. Was war mit seinem Großen?

„Bin okay!“, antwortete der hastig.

‚Klar, bist du!’, dachte sich der Jüngere, doch er wollte nicht tiefer bohren. Diesen Verlust, diese Trauer, die bei diesen Worten in Deans Augen lagen, hatte er schon einmal gesehen und damals hatte sein Bruder von Mom gesprochen. Wenn er wirklich von ihr geträumt hatte, musste das die alten Wunden wieder aufgerissen haben. Sein Großer litt unter dem Verlust, dessen war sich Sam mehr als sicher.

Der Blonde trank seinen Kaffee aus und erhob sich hektisch.

„Ich zahle“, sagte er und ging zur Theke.

„Was war das denn?“, wollte Bobby mit einem besorgten Blick auf den Blonden wissen.

„Schmerzhafte Erinnerungen“, sagte Sam nur. Wenn Dean reden wollte, dann sollte er es von sich aus tun.

Der alte Freund nickte verstehend. Auch ihn überfielen die Erinnerungen an die glücklichen Zeiten in seinem Leben so hin und wieder ungefragt, und sie taten immer noch weh.

Schweigend tranken sie ihren Kaffee aus und gingen zum Wagen. Der Blonde würde auch gleich folgen.
 

Dean wandte sich vom Tresen zur Tür. Er verstaute sein Portmonee und sah zu, wie eine Familie mit drei Kindern das Dinner betrat.

Das Mädchen schien die Älteste zu sein. Die Eltern folgten ihr und danach kam ein kleiner Junge von vielleicht fünf. Sein älterer Bruder folgte ihm auf dem Fuß.

„Kyle“, rief der und schoss, als der Kleine sich umdrehte, einen Papierflieger in seine Richtung.

Das Flugzeug drehte jedoch weit vor ihm ab und flog direkt auf Dean zu.

Der Winchester fing den Flieger kurz bevor er ihm gegen die Brust piekte.

Der Kleine schaute zu Dean und dann fragend zu seinem Bruder.

„Du solltest den fangen, man!“, kommentierte der den Blick und ging breit grinsend zum Tisch.

„Du hast vollkommen falsch geschossen!“, schniefte der Kleinere.

„Pech!“

„Aber das ist mein Flieger!“

„Dann hol ihn dir doch wieder!“, grinste der Ältere breit.

Kyle schniefte. Er schaute unschlüssig zu dem Winchester, zuckte mit den Schultern und marschierte auf ihn zu.

Dean hatte den kurzen Wortwechsel interessiert beobachtet. Er hätte seinen kleinen Bruder jedenfalls nicht so abgekanzelt. Aber er hätte auch besser gezielt.

Der Kleine stand inzwischen vor Dean, fasste den Saum seiner Jacke und zog daran.

Dean blickte zu ihm runter.

„Kann ich meinen Flieger wieder kriegen?“, fragte er ruhig.

„Aber klar“, lächelte Dean ihn an. „Bitte schön!“ Er reichte ihm den Flieger. Ihre Hände berührten sich kurz.

„Autsch!“, schimpfte der Junge und auch Dean schüttelte kurz seine Hand. Er hatte heftig einen gewischt bekommen.

Sofort hockte er sich vor den Jungen, der ihn verdattert ansah.

„Alles okay bei dir? Hast du dir weg getan?“, fragte er besorgt und musterte ihn eindringlich.

„Nicht so schlimm“, schniefte der Junge. Vorsichtig nahm er sein Flugzeug entgegen. Wieder schien es zwischen ihren Händen zu knistern.

Dean runzelte die Stirn. Der Junge war aber ganz schön geladen. Er grinste bei der Doppeldeutigkeit seines Gedanken. Dabei schien er der friedlichere der Jungs zu sein.

Noch im Hinausgehen hörte er, wie Kyle triumphierend zu seinem Bruder sagte:

„Ich hab ihn wieder und du bekommst ihn nicht mehr!“
 

„Wo bleibst du denn so lange?“, fragte Sam, als der Blonde endlich in Bobbys Wagen einstieg.

„Musste noch einem Flieger ausweichen“, erklärte der nur.

„Und wohin jetzt?“, wollte Bobby wissen.

„Zum Haus der deVendt“, sagte Dean ruhig. „Ich … keine Ahnung. Vielleicht will ich einfach mit eigenen Augen sehen, dass sie diejenige welche war und nicht nur eine Marionette und die treibende Kraft lebt noch und macht fröhlich weiter. Immerhin konnte sie Menschen einen Teil ihrer Lebenszeit abzapfen und nutzen.“

„Ich hab mich auch schon gefragt, wer sie wohl wirklich ist“, bestätigte Sam seinen Bruder.

„Gut, dann fahren wir!“
 

Sie saßen noch nicht lange, als der Blonde sich mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen krümmte.

„Was ist mit dir?“, fragte der ältere Jäger sofort. „Soll ich rechts ran fahren?“

„Es wird gleich wieder!“, japste der blonde Winchester kaum hörbar.

„Du hast dich mit Sicherheit überfressen. Warum musst du es auch immer so übertreiben“, schimpfte der jüngere Bruder.

„Sam!“, wies Bobby ihn zurecht. Jetzt über das in den Brunnen gefallene Kind zu lamentieren, brachte auch nichts.

„Fahr weiter Bobby. Das wird bestimmt gleich wieder. Hab nur zu viel gegessen!“, keuchte Dean zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch.

Der Ältere nickte, nahm sich aber vor, den Jungen zu einem Arzt zu bringen, wenn es nicht bald aufhörte.
 

Bobby parkte seinen Wagen direkt vor der Einfahrt.

„Dean?“, wollte der alte Jäger besorgt wissen.

„Geht schon wieder. Tut nur noch ein bisschen weh“, antwortete der und rieb sich seinen Bauch. Die Schmerzen waren wirklich fast weg und er wollte nicht weiter darüber nachdenken, was es sein könnte.

Die Drei stiegen aus und gingen auf das schmiedeeiserne Tor zu, das jetzt nur noch lose in seinen Angeln hing.

„Vorgestern Nacht war es noch richtig verschlossen“, murmelte Sam. „Ich hab es mir angesehen, als ich dran vorbei gefahren bin.“

Sie betraten das Grundstück und gingen langsam zum Haus.

„Auch der Weg sieht vollkommen ungepflegt aus. So als wäre hier schon seit Jahren niemand mehr gewesen“, antwortete Dean verspätet und noch immer etwas atemlos.

Und dann sahen sie die Ruine.

„Seid ihr sicher, dass das hier war?“, wollte der alte Jäger wissen.

„Ganz sicher“, erklärte der blonde Winchester. Immerhin hatte er hier mehrere Tage rumgelungert.

Trotzdem schüttelte auch er mit dem Kopf. Durch die schwarzen Löcher, die einmal Fenster waren konnte man durch die löchrige Decke in den Himmel sehen. Das Dach hatte kaum noch Schindeln und war an einigen Stellen komplett eingebrochen. Die linke Seite des Obergeschosses neigte sich schon extrem nach außen. Bei der nächsten leichten Erschütterung würde sie zu Boden stürzen. Auch die Veranda an der Vorderseite des Hauses war stellenweise schon nach unten gebrochen und die Reste hingen schief am Haus.

Hier lebte niemand mehr.

„Vor zwei Tagen war das noch eine richtig schöne Villa!“, stellte Dean leise fest. Immerhin hatte er schon dazu beigetragen, einigen heruntergekommenen Häusern wieder zu einem neuen Leben zu verhelfen. Okay, er hatte mehr entkernt und entrümpelt aber er hatte von einigen dieser Villen Fotos gesehen, die sie in ihrer neuen alten Pracht zeigten. Dave hatte diese Bilder in seinem Büro hängen und irgendwie hatte er damals wohl einen Blick dafür bekommen, wie herrlich manche wieder werden konnten, oder waren.

Sam schaute seinen Bruder mal wieder überrascht von der Seite an. Es steckte wirklich mehr unter dieser teilweise so abweisenden Schale. Vielleicht konnte er Dean ja doch irgendwann überreden, dass sie mal sesshaft werden würden?

„Also für mich sieht es so aus, als ob hier schon seit Ewigkeiten niemand mehr wohnt!“, stellte der alte Jäger fest.

„Das heißt dann, sie ist wirklich tot?“

„Hoffen wir es mal.“

Die Brüder schauten ihren Freund fragend an.

„Es gehört eine Menge schwarze Magie dazu, Menschen etwas von ihrer Lebensenergie nehmen können und diese zu nutzen. Das ist nicht nur das Mischen von Kräutern und Murmeln von Zaubersprüchen. Sie muss sehr mächtig sein. Ich hoffe nur, es ist nicht Hekate“, überlegte der.

„Die Göttin der Magie, Zauberkunst und Nekromantie?“, fragte Sam.

„Und Wächterin der Tore, Schwellen und Übergänge.“

„Wenn es wirklich eine Göttin war, das haben wir wohl schlechte Karten“, überlegte der ältere Bruder. Ein eisiger Schauer rann über seinen Rücken. Immerhin hatten ihnen ihre Begegnung mit Loki eine Zeit im Wilden Westen eingebracht und den hatten sie nur geärgert.

„Ich hab ihr den Kopf angeschlagen und dann fing die ganze Bude an zu wackeln“, erinnerte sich Dean.

„Perseus hat Medusa enthauptet“, sagte Sam.

„Und was hat das mit der vielleicht Hekate zu tun?“

„Dass man eine Göttin durch enthaupten töten kann!“

„Dann nenn mich von jetzt an Herkules!“, grinste Dean breit.

„Wohl eher Odysseus. Der ist schließlich dreißig Jahre herumgeirrt, um wieder nach Hause zu kommen“, konterte der jüngere Bruder.

„Du willst mir also erklären, dass ich in viereinhalb Jahren wieder nach Hause komme?* Welches Zuhause meinst du denn, Sam, unser Haus in Lawrence ist abgebrannt und jetzt wohnt Jenny da!“

„Ich habe es nicht direkt auf die Zeit bezogen, sondern eher darauf, dass wir auch schon ewig durchs Land ziehen!“, konterte Sam schnippisch.

„Hört auf euch zu streiten“, warf Bobby ein. „Gehen wir einfach davon aus, dass die Hexe tot ist, egal wer sie war. Und jetzt lasst uns hier verschwinden. Wenn Magie das Haus erhalten hat, dann ist die auf jeden Fall weg.“

Der blonde Winchester nickte nur, zog sein Feuerzeug aus der Tasche, zündete es an und warf es durch ein Fenster.

„Was…?“, fragte Sam erstaunt.

Dean zuckt mit den Schultern: „Sicher ist sicher.“

„Du bist und bleibst ein kleiner Pyromane!“

Sie drehten sich um und gingen zum Wagen zurück.

„Ich denke, wir sollten den Impala morgen holen“, sagte Bobby und deutete auf den Vollmond, der in einem kräftigen Orange über den Horizont kletterte. Sein Blick ruhte skeptisch au dem Blonden.

„Ja, heute kommen wir eh nicht mehr weit und ich will sie auch ungern so offen irgendwo stehen haben, auch wenn sie am Haken hängt.“ Dean straffte sich. „Ich bin okay!“

Der Jäger überging den Satz einfach und nahm sich vor Dean im Auge zu behalten.

„Gut, dann fahren wir zum nächsten Motel und machen uns morgen früh auf den Weg“, sagte er dann ruhig.
 

Sie suchten sich ein Zimmer in Grady, in dem Motel, in dem Carl und Kyra vor ein paar Tagen gewohnt hatten, stellten ihre Taschen ab und trafen sich in einer kleinen Bar noch auf ein Bier.
 

Dean schien es wirklich wieder gut zu gehen. Er bewegte sich normal und so begruben seine Begleiter ihre Sorge stillschweigend wieder.
 

„Sie sind nicht von hier“, begrüßte sie der Barkeeper freundlich, während er ihnen ihr Bier hinstellte.

„Nein, wir sind Architekturstudenten und mit unserem Mentor unterwegs. Wir interessieren uns für die hier so typischen Südstaatenvillen. Leider gibt es nur noch wenige“, antwortete Dean bevor einer der anderen auch nur den Mund aufmachen konnte.

„Hier gab es auch mal eine“, erzählte der Barkeeper freimütig, „die steht allerdings schon ewig nicht mehr. Aber sie muss mal eine Schönheit gewesen sein. Meine Großmutter hat immer davon geschwärmt. Doch dann sind die Besitzer weggezogen und die Villa ist verfallen.“

„Kann man die Ruine noch besichtigen?“, wollte Dean wissen.

„Ich würde es Ihnen nicht raten. Sie ist stark einsturzgefährdet.“

„Schade“, bedauerte der Blonde aufrichtig. „Da kann man wohl nichts machen. Vielen Dank für die Auskunft. Da drüben ist ein Tisch frei. Ich denke, das ist bequemer als hier an der Theke.“ sagte er und ging hinüber. Sam und Bobby folgten ihm.

„Was sollte das denn?“, wollte der jüngere Winchester wissen, kaum dass sie saßen.

„Der Typ hat mich vor ein paar Tagen fast einen Kopf kürzer gemacht und er erinnert sich nicht mal mehr daran! Die Villa ist erst seit ein paar Tagen eine Ruine! Wer auch immer sie war, sie hat verdammt viel Macht gehabt!“

Bobby nickte brummend und trank sein Bier.

„Hier geht alles wieder seinen gewohnten Gang und niemand verdächtigt uns, damit etwas zu tun zu haben. So sollte es auch sein. Gute Arbeit Jungs!“

Sie tranken jeder noch ein Bier und gingen dann in ihre Zimmer.

In dieser Nacht konnten die Brüder endlich wieder einmal ohne Störung schlafen.
 

„Oh mein Gott“, ließ sich Bobby vernehmen, als er das ganze Ausmaß der Schäden an Deans Schmuckstück sah. Auch Sam keuchte entsetzt. Im hellen Sonnenlicht wirkten die tiefen Furchen wie Wunden und die Kerbe in der A-Säule ließ erkennen, wie knapp es für Dean gewesen war.

„Dann lass ihn uns an den Pickup hängen und zu mir schleppen. Je eher wir da sind, umso schneller ist er wieder ganz der Alte.“ Bobby wusste, wie sehr Dean an dem Wagen hing und bis zu einem gewissen Punkt konnte er das auch nachvollziehen. Immerhin war der Impala das Beständigste in ihrem Leben.

Der Blonde stimmte ihm nur zu gern zu. Der Anblick seines Babys raubte ihm die Luft zum Atmen.

„Bald bist du wieder okay meine Schöne“, flüsterte er leise und ließ seine Hand über den Kotlügel gleiten.
 


 

* Ich beziehe mich hier darauf, dass Dean sein Zuhause mit knapp 5 verlassen musste. In meiner Geschichte ist er jetzt 30. In 4,5 Jahren wäre er dann auch 30 Jahre ruhelos unterwegs.

Küchendienst

153) Küchendienst
 

Langsam zockelte Bobby mit dem Gespann Richtung Heimat.

Dean hatte sich nach dem ersten Stopp nach hinten in sein Baby verzogen. Sein Kreislauf lief irgendwie nicht rund. Ihm war schwummerig und leicht übel, doch das konnte er natürlich nicht zugeben. Offiziell war es ihm einfach zu eng im Pickup. Zumindest zum Teil entsprach das sogar der Wahrheit.

Müde starrte der Blonde auf die Rücklichter vor sich. Er gähnte und rieb sich zum wiederholten Mal müde übers Gesicht. Sein Kopf tat ihm weh und er hatte das Gefühl eine Erkältung zu bekommen. Möglich wäre es durchaus. Immerhin hatte er bei Annas Rettung eine Weile ohne Jacke in der Kälte gestanden und so unausgeschlafen wie er die ganze Zeit gewesen war, könnte er sich schon was eingefangen haben.

Wieder rieb er sich müde über die Augen.

Warum hockte er eigentlich hier vorn? Er konnte doch eh nichts tun! Der Impala hing am Haken! Außerdem hatte er Durst!

Dean warf noch einen Blick auf das Heck von Bobbys Wagen und kletterte dann über die Rückenlehne nach hinten. Dort lag eine Flasche Wasser im Fußraum, die er jetzt aufschraubte, ansetzte und in einem Zug zur Hälfte leer trank.

Er legte die Flasche wieder weg und rollte sich auf der Rückbank zusammen.

Ein paar Augenblicke später war er eingeschlafen.
 

Endlich bog Bobby auf seinen Schrottplatz ein.

Das Rumpeln der Räder weckte Sam, der vor einer Weile eingeschlafen war.

Der Winchester streckte sich und gähnte noch einmal herzhaft, dann folgte er dem Freund zur Veranda.

Verwundert blickte er sich um. Wo war Dean?

„Ich geh mal …“, sagte er und deutete auf den Impala.

„Ich brauch erstmal einen Kaffee, dann lass ich ihn vom Haken“, erklärte der Ältere.
 

Er wollte grade ins Haus gehen, als Sam ihn rief.

„Was ist?“

„Das musst du dir ansehen!“, grinste Sam breit.

Brummelnd ging Bobby zum Wagen und schaute hinein.

Im Licht der Laterne, unter der er den Wagen geparkt hatte, konnte er sehen, was Sam so erheiterte. Dean schlief zusammengerollt auf der Rückbank. Er hatte eine leere Wasserflasche im Arm.

„Ist ja niedlich“, meinte der Ältere schmunzelnd. So schmusebedürftig kannte er den älteren Winchester gar nicht. Selbst als Kind schien er kaum Wert auf derartigen Körperkontakt zu legen. Aber Dean war ja auch kein normales Kind und er hatte kaum das, was man eine normale Kindheit nennen würde.

„Hey, Kuschelmonster, oben wartet ein Bett auf dich“, tönte Sam nachdem er die Tür geöffnet hatte und seinen Bruder an der Schulter rüttelte.

Dean setzte sich auf. Sein Blick irrte orientierungslos über den Schrottplatz und das Haus und blieb dann an Bobby und Sam hängen.

„Dean?“, fragte der jüngere Winchester verwirrt.

Der rieb sich mit beiden Fäusten den Schlaf aus den Augen, schaute noch einmal zu Sam und dann kam endlich Erkennen in seinen Blick.

„Was?“, krächzte er heiser.

„Dein Bett wartet“, erklärte der Jüngere ruhig. Er musterte seinen Bruder besorgt.

„Wie fühlst du dich?“, wollte er wissen und hoffte darauf, nicht wieder die übliche Antwort zu bekommen.

„Zerschlagen“

Bobby und Sam wechselten einen verwunderten Blick, hüteten sich aber, etwas dazu zu sagen.

„Okay, du geht’s hoch und legst dich hin und ich bringe dir einen Tee. Dann kannst du dich ausschlafen. Brauchst du sonst noch was?“

Der Blonde begann seinen Kopf zu schütteln, unterließ es aber sofort wieder, als die Schmerzen dadurch noch schlimmer wurden.

„Ich bring noch ein paar Aspirin mit“, kommentierte der Jüngere dessen Gesichtsausdruck.

Gemeinsam gingen sie zum Haus. Bobby löste den Impala doch gleich noch vom Haken, da er schon mal da war. Danach folgte er den Jungs ins Haus.
 

Sam stand noch in der Küche und schaufelte jede Menge Zucker in ein Glas mit trüber, gelblicher Flüssigkeit.

„Was ist das denn?“

„Heiße Zitrone mit viel Zucker. Sonst trinkt er die mit Sicherheit nicht“, erklärte Sam.

„Hmhm. Gesund und sauer, das wäre auch zuviel auf einmal für einen Kaffeejunkie wie deinen Bruder.“

„Ich war ja schon mehr als erstaunt, dass er einfach so gesagt hat, was ihm fehlt.“

„Es geschehen noch Zeichen und Wunder“, schmunzelte der Ältere und machte sich einen Kaffee.

Sam brachte das Glas nach oben. Er drückte seinem Bruder eine Aspirin in die Hand, die der sich sofort in den Mund schob.

„Hier, das wird dir helfen“, sagte Sam und gab ihm das Glas. Dean schnupperte vorsichtig und verzog sofort das Gesicht.

„Was ist das denn?“

„Heiße Zitrone mit viel Zucker. Du willst doch morgen an deinem Baby schrauben. Kaffee wird dir nicht helfen gesund zu werden.“

Dean schnaufte nur und setzte das Glas an.

„Langsam und mit kleinen Schlucken!“, mahnte Sam, doch sein Bruder kippte das Getränk so schnell es ihm möglich war hinunter.

Der Jüngere schüttelte nur den Kopf. Dean es immerhin getrunken.

Der ließ sich in die Senkrechte fallen, drehte sich auf den Bauch und war gleich darauf eingeschlafen.

Sam legte zusätzlich noch den Quilt über Deans Decke und verließ das Zimmer.

„Nacht, Bobby“, rief er die Treppe hinunter. Er wollte gleich hier oben bleiben. Müde genug war er auch.
 

Der Hunger trieb Dean am nächsten Tag aus dem Bett. Es war später Nachmittag.

Das Haus war verlassen. Ein Zettel auf dem Tisch informierte ihn, dass Sam und Bobby einkaufen gefahren waren und dass ein paar Sandwichs im Kühlschrank auf ihn warteten.

Er holte sich zuerst eine weitere Aspirin. Seine Kopfschmerzen hatten entweder noch nicht merklich nachgelassen, oder waren schon wieder da.

Als die beiden wieder kamen, saß er noch bei seinem verspäteten Frühstück.

„Hey, wie geht’s dir?“, wollte Sam auch sofort wissen.

„Schon besser“, erklärte er und blickte sich zu seinem Bruder um. Er kniff die Augen zusammen, als die Bewegung seine Kopfschmerzen kurzzeitig verstärkte.

„Du solltest wieder ins Bett gehen“, schlug der Jüngere vor.

„Ich mach es mir gleich auf dem Sofa bequem“, entgegnete Dean und schlappte, zur Bestätigung seiner Worte ins Wohnzimmer.
 

Am nächsten Morgen war Dean schon früh auf den Beinen und voller Tatendrang. Sein Kopf fühlte sich zwar noch immer an, als wäre er in Watte gehüllt, aber sonst ging es ihm gut und er wollte endlich an seinem Baby schrauben. Das war schon immer die beste Medizin, fand er.

„Hey, Bobby“, grüßte er den Freund, der schon am Herd stand und die üblichen Pfannkuchen buk.

„Wie geht’s dir?“, fragte der auch sofort.

„Ganz gut, soweit.“

„Du willst gleich am Impala arbeiten?“

„Ja, mein Baby musste lange genug so rumlaufen. Ich will sie nicht noch länger leiden lassen.“ Dean grinste breit.

„Brauchst du Hilfe?“

„Nein, ich wollte erstmal alles abbauen. Danach, wenn du nichts anderes zu tun hast?“

„Du wirst es nicht glauben, aber ich schraube auch ganz gerne an Autos“, grinste Bobby.

„Echt?“

Bobby murmelte sich ein „Blödmann“, in den Bart.

„Ich hab’s gehört, alter Mann!“

„Das wundert mich bei der Lautstärke, die immer aus deinen Boxen dröhnt.“

Sam kam jetzt auch in die Küche und die beiden beendeten ihr Geplänkel.

In Rekordzeit verspeiste Dean die Pfannkuchen und verschwand nach draußen. Der jünger Winchester half Bobby, die Küche wieder auf Vordermann zu bringen.

„Wenn ihr öfter und länger hier seid, sollte ich vielleicht mal über eine Spülmaschine nachdenken“, grübelte der Ältere laut.

„Der Kaffeeautomat sieht hier drin schon irgendwie falsch aus. Eine Spülmaschine in deiner antiquierten Küche? Wo willst du die denn hinstellen?“

„Jetzt wirst du auch noch frech!“ Bobby verdrehte die Augen.

„Ich…“

„Schon okay, Sam. Recht hast du. Noch ist es kein Problem mit dem Spülen. Aber laut denken werd ich ja wohl noch dürfen!“

„Solange du keine Selbstgespräche führst?“

„Sam Winchester! Dass ich das lose Mundwerk deines Bruders durchgehen lasse, bedeutet nicht, dass du das auch haben darfst!“

„Ich dachte hier herrscht Gleichberechtigung!“

„Wenn dem so wäre, dann würdest du alle drei Tage hinterm Herd stehen. Aber ich traue deinen Fähigkeiten in punkto Kochen noch weniger als Deans!“

„Dean kann kochen?“

„Was gab es denn, wenn er mit dir allein war?“

„Cornflakes und Dosenfutter?“

„Sicher?“

„Keine Ahnung. Ich weiß noch, dass wir mit Dad meistens in Diners essen waren.“

„Wenn ihr hier ward, hat Dean sich ganz gerne hier aufgehalten, wenn ich gekocht hab. Und er hat auch geholfen soweit er es konnte.“

„Bestimmt beim Kosten!“, grinste Sam breit und Bobby stimmte mit ein.

„Jess hat mir damals ein paar Grundlagen des Kochens gezeigt, nachdem wir zusammen gezogen waren.“

„Tja, Sam. Dann sage ich mal herzlichen Glückwunsch! Hiermit hast du dich zum Küchendienst bereit erklärt!“

„Wenn du ständig Pizza, Fischstäbchen, Chickenwings oder Spaghetti essen willst?“

„Na, das sind doch schon mal vier Tage unterschiedlichen Essens!“ Bobby klopfte dem Jüngeren kameradschaftlich auf die Schulter.

„Da fällt mir ein, dass ich dir noch was zeigen wollte“, lenkte Sam das Gespräch in andere Bahnen.

„Was denn?“

„Warte ich hole es!“ Schnell war der Winchester in sein Zimmer gelaufen und kam mit einer Papierrolle wieder.

„Dein Abschlusszeugnis?“

„Sieh es dir einfach mal an“, sagte Sam und versuchte den Stich, den ihm diese Äußerung versetzt hatte zu ignorieren. Es ging ihm doch nicht immer nur um sich!

„Ich bringe Dean einen Kaffee“, sagte er, füllte eine Thermotasse und ging hinaus.
 

„Hey“, grüßte er seinen Bruder und hielt ihm die Tasse hin. „Wie läuft’s?“

„Wenn du schon mal hier bist, könntest du mir helfen, den Kofferraum auszuräumen.“

Sam nickte. Gemeinsam packten sie ihre Waffen in die Taschen und schafften sie in den Panikkeller.
 

In der Zwischenzeit hatte Bobby das Zeugnis mehrfach gelesen. In der Annahme, dass es Sams Zeugnis war, hatte er sich zuerst die Zensuren angeschaut und war doch erstaunt, dass nicht mehr Einsen darauf standen. Sam war doch das hoch gelobte Genie der Familie Winchester. Doch dann war sein Blick auf das Jahr gefallen. Das konnte unmöglich Sams Abschlusszeugnis sein. Hastig suchte er nach dem Namen. Und seine Verwunderung wurde immer größer.

Es war Deans Zeugnis!

Wie kam Sam denn daran?

Sie waren in Richmond Hill gewesen. Sam hatte erzählt, dass das Deans letzte Schule war. Vielleicht hatten die das Zeugnis aufbewahrt? Dann hätten die Jungs dort aber mit ihrem richtigen Namen ermitteln müssen.

Er würde Sam gleich mal fragen, was genau da los war.

Wieder schaute er auf Deans Zeugnis.

Ob John gewusst hatte, wie gut sein Ältester war? Er selbst wäre auf jeden Fall mächtig stolz gewesen, wenn es sein Junge wäre und für sich konnte er es ja zugeben. Er war auch mächtig stolz auf den Jungen.

Dieses Zeugnis würde er gut aufbewahren. Vielleicht brauchte Dean es ja noch mal.

Jetzt musste ihm nur noch einfallen, wie er dieses Zeugnis würdigen könnte. Der Blonde hatte dafür mit Sicherheit keine Anerkennung bekommen.

Das Beste wäre wohl ein Essen. Dean liebte Essen, am besten viel und fettig.

Er sollte wohl mal in seinem Kochbuch nach einem Rezept suchen.

Nicht mein Dad

154) Nicht mein Dad
 

Die Brüder betraten das Haus und gingen in den Keller. Als sie wieder hoch kamen, passte Bobby den Älteren ab und umarmte ihn herzlich.

„Ich war doch nur im Keller“, kommentierte der Blonde diese Geste und löste sich schnell wieder.

„Das war auch nicht für die erfolgreiche Besteigung meiner Treppe. So schlecht ist die nämlich nicht!“, konterte Bobby rau. Er wusste, wie ungern Dean so etwas hatte, obwohl er ihn zur Begrüßung ja von selbst in eine freundschaftlichen Umarmung zog, anders als Sam, der es bei einem „Hallo“ beließ.

„Und wofür dann?“

„Für dein Abschlusszeugnis.“

„Das ist doch schon nicht mehr wahr!“, redete Dean sich raus und suchte nach einem Ausweg.

„Doch ist es Dean. Du stellst dein Licht viel zu oft unter den Scheffel! Du bist weder dumm noch so schlecht, wie du dich immer machst. Du siehst dich einfach nur falsch! Und ich weiß, dass du nichts dafür kannst. Und ich bin stolz auf dich!“

„Ich auch!“, stimmte Sam nickend zu. „Das hab ich dir ja schon gleich nach dem Fall mit der verfluchten Kamera gesagt!“

„Ich…“ krächzte der Blonde heiser. Das war zuviel Lob und Anerkennung. Er schluckte hart.

„Ich muss weiter machen!“ Schnell schob er sich an den beiden vorbei und rannte förmlich nach draußen.

„Lief doch ganz gut!“, sagte Bobby leise.

„Er bekommt viel zu selten ein Lob! Deshalb wollte ich dir das Zeugnis ja auch unbedingt zeigen „Wie bist du überhaupt daran gekommen?“

Sam holte ihnen je eine Tasse Kaffee und begann von ihrem Fall und von der Begegnung mit Deans erster großen Liebe zu erzählen und er berichtete von dem Treffen mit Mr. Alonso, dem Lehrer, der es geschafft hatte, Dean für den Unterricht zu begeistern, obwohl der wohl nicht der einzige gewesen war, so wie er erzählt hatte.

Bobby hörte interessiert zu, sagte es doch viel über den Älteren der Brüder aus und über John. Obwohl, den hatten auch Sams Zensuren und offen gezeigte Begeisterung fürs Lernen nicht von seiner Meinung abbringen können, dass seine Kinder nur einen Weg einschlagen konnten, nämlich auch Jäger zu werden.

Konnte der Verlust eines geliebten Menschen jemanden so verbohrt, so verstockt im Umgang mit seinen Kindern werden lassen?

Er hatte seine Frau doch auch durch einen Dämon verloren, bevor sie Kinder bekommen hatten, aber er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass er seine Kinder zu diesem Leben gezwungen hätte. Vielleicht hätten sie diesen Weg auch eingeschlagen, aber er hätte ihnen die Entscheidung offen gelassen.

Die Brüder hatten diese Wahl nie. Und bei Dean hatte Johns Erziehung ja auch wunderbar gefruchtet. Der Junge hatte es nie auch nur gewagt, eigene Wünsche für seine Zukunft zu entwickeln. Vielleicht als Traum beim Einschlafen, aber er hätte sie nie geäußert, im Gegensatz zu Sam.
 

„Was hältst du davon, wenn wir morgen Abend Deans Zeugnis feiern?“, wollte Bobby wissen.

Sam war schon vor einer Weile mit seiner Erzählung zum Ende gekommen und hatte den Freund fragend angeschaut.

„Feiern?“

„Ich dachte wir zaubern hier was Leckeres für ihn.“

„Und woran dachtest du?“, wollte der Jüngere skeptisch wissen.

„T-Bone-Steak mit vielen Zwiebeln und Kartoffelecken.“

Sam rümpfte die Nase: „Gut, dass ich mein eigenes Zimmer habe.“

„Du lebst doch auch sonst damit.“

„Zwei Zimmer wären einfach zu teuer“, erklärte Sam. Dass er diese Macken in Kauf nahm, weil er ohne seinen Bruder einfach nicht richtig schlafen konnte, wollte er nicht zugeben. Selbst hier hatte er ein oder zwei Nächte Probleme damit.

„Gibt’s nur das?“

„Keine Angst Sam, du bekommst deinen Salat. Was hältst du von Ceasars-Salad und datz Buttertoast?“

„Okay, überredet. Kann ich dir mein Zeugnis auch geben?“, wollte der Jüngere grinsend wissen.

„Dein Zeugnis ist verjährt!“

„Deans auch.“

„Dean hat es aber erst vor Kurzem bekommen!“

„Warum willst du das erst morgen machen?“

„Heute wirst du ihn kaum aus der Werkstatt bekommen. Schweißen, schleifen, spachteln. Da hat er genug zu tun. Morgen lackiert er, dann muss alles trocknen. Da kann er eh nichts weiter tun als warten.“

Sam nickte.
 

Bobby fand Dean in der Werkstatt. Mit Mickeymäusen* auf den Ohren schliff er an einer Tür.

Der Winchester nahm die Veränderung der Lichtverhältnisse wahr. Er schaltete die Schleifmaschine aus, nahm den Gehörschutz runter und drehte sich um.

„Hey“, grüßte er.

„Brauchst du Hilfe?“

„Ich hab noch die drei Teile zu schleifen“, sagte er und deutete auf die Werkbank. „Dann will ich spachteln.“

Bobby nickte. Er holte sich die Spachtelmasse und begann Dean zu helfen.

„Du musst nicht…“, begann der Blonde.

„Ich will aber. Stell dir vor, ich hab auch Spaß daran.“

Der Blonde lächelte und nickte. Er setzte sich seine Mickymäuse wieder auf und machte sich erneut an seine Arbeit.
 

Der Winchester legte die Schleifmaschine beiseite. Für heute war er mit seiner Arbeit fertig. Er blickt zu Bobby rüber.

„Brachst du noch Hilfe?“, wollte er wissen.

„Nein. Ich bin auch fast durch. Geh schon mal rein, hier ist es nicht sonderlich warm“, antwortete der.

Der Blonde nickte nur. Es hatte, kurz nachdem er draußen mit seinen Arbeiten fertig war, begonnen zu schneien und ein frostiger Wind strich um die Ecken. Auch in der Werkstatt war es nicht sonderlich warm. Trotzdem hatte er irgendwie keine Lust rein zu gehen. Was sollte er denn da tun? Fernsehen? Oder Sam nerven? Nein, da blieb er doch lieber hier.

Er setzte sich auf die Werkbank, schaute versonnen Bobby bei der Arbeit zu und ließ seine Gedanken treiben.
 

Der ältere Jäger warf einen verstohlenen Blick auf den Blonden. Der baumelte leicht mit den Beinen. Sein Blick ging irgendwo ins Nirgendwo und doch lag ein zufriedener Ausdruck auf seinem Gesicht.

Er musste lächeln. Der ältere Winchester schien in diesem Augenblick glücklich zu sein.

Wenn er selbst Kinder gehabt hätte, dann hätten sie vielleicht auch so bei ihm in der Werkstatt gesessen und ihm bei der Arbeit zugesehen, oder ihm geholfen. Er wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
 

Noch einmal zog Bobby die Spachtelmasse auf der Beifahrertür glatt, dann legte er den Spachtel beiseite und begann aufzuräumen. Immer wieder streifte sein Blick dabei den Winchester, der noch immer auf der Werkbank hockte. Plötzlich ging ein Ruck durch dessen Körper. Er sprang auf den Boden und machte sich daran dem Freund zu helfen.

„Woran hast du denn gedacht?“, wollte Bobby wissen.

„Ich hab…“ Er brach ab. Es war eine Sache, seinen Vater für sich zu demontieren, aber öffentlich wollte er das nicht machen, Vielleicht noch nicht. Er hatte sich schon mehr als einmal bei dem Wunsch ertappt, dass Bobby ihr Vater wäre, aber das war nicht so.

Dean schüttelte den Kopf.

Der Jäger nickte. Er wollte nicht weiter in den Jungen dringen. Wenn der reden wollen würde, würde er zuhören. Vorher brachte es bei Dean nichts zu fragen. Der würde sich dann eher für immer sperren.
 

Durchgefroren kam der ältere Winschester am folgenden Abend ins Haus.

Er strahlte. Alles was er sich vorgenommen hatte, hatte er geschafft, geschliffen und grundiert und er hatte sogar schon die erste Lackschicht aufbringen können.

Jetzt wollte er nur eine heiße Dusche, etwas zu essen und vielleicht noch ein oder zwei Bier und danach ins Bett kriechen. Er hatte schon wieder leichte Kopfschmerzen und sein Körper kribbelte irgendwie. Er bekam wohl doch noch eine Erkältung.

Am Fuß der Treppe blieb er stehen und schnupperte.

„Was riecht hier den so lecker?“, fragte er.

„Sieh zu, dass du fertig wirst, sonst gibt’s nur noch Grillkohle!“, grummelte der Ältere gutmütig.

Schnell rannte der Blonde nach oben, duschte und kam, sich die Haare trocken rubbelnd, wieder nach unten gepoltert.

„Versuchst du einen neuen Rekord aufzustellen?“, stichelte Sam.

„Bevor ich Grillkohle essen muss“, erklärte Dean und ließ sich auf seinen Platz fallen. „Was gibt’s denn jetzt?“

„T-Bone-Steak, Kartoffelspalten und für dich extra viele Zwiebeln“, sagte Bobby und stellte ihm einen vollen Teller vor die Nase. „Lass es dir schmecken!“

Dieser Aufforderung hätte es nun wirklich nicht bedurft.

„Scheid ihr unter die Gourmetkösche gegangen oder warum diescher Aufwand?“, wollte der Blonde mit vollem Mund wissen.

„Dürfen wir dich nicht mal verwöhnen dürfen?“

„Von mir aus jeden Tag, aber da dem nicht so ist, hat das hier einen speziellen Grund und der ist nicht, dass der Fleischer deines Vertrauens gerade fünf Herden Rindviecher schlachten musste, seine Kühlhäuser aber alle schon voll waren.“

„Was bist du misstrauisch!“, konterte Bobby.

„Das hat mir schon oft das Leben gerettet! Also warum?“

„Kannst du nicht einfach mal genießen, ohne zu fragen?“, beharrte Sam stur.

„Christo!“

„Es ist für dein Zeugnis“, erklärte der Hausherr mit einem tiefen Seufzer.

„Das ist ewig her!“

„Ja, aber du hast es erst jetzt bekommen und John hat diese Leistung mit Sicherheit nicht anerkannt!“

Natürlich hatte er das nicht. John war die Ausbildung seiner Söhne wichtig gewesen, aber nur insoweit, wie es für ihren Job einmal wichtig sein würde. Spezielles Wissen brauchten sie nur in Latein und dem Gebrauch ihrer Waffen. Alles Andere war gut aber nicht überlebenswichtig.

Dean holte tief Luft und verdrängte diese Erinnerung. So sehr er John inzwischen von seinem Podest geholt hatte, es tat trotzdem weh, von einem mehr oder weniger fremden Menschen die Anerkennung zu erfahren, die er sich immer von seinem Vater gewünscht hatte.

Warum konnte Bobby nicht ihr Vater sein?

Er holte noch einmal tief Luft und schob den Gedanken dann zur Seite. Das brachte nichts außer schlechter Laune und sein Essen wurde auch noch kalt!

„Dean?“, fragte Sam leise. Er hatte seinen Bruder beobachtet und ahnte, worum dessen Gedanken sich drehten.

„Nichts“, sagte der Blonde nur.

‚War ja klar! Dean hat nichts!’

Der Ältere rieb sich die Schläfen.

„Hast du immer noch Kopfschmerzen?“, wollte Sam ruhig wissen.

„Irgendwie schon“, nahm der Blonde die angebotene Ausrede an. Er massierte sich noch ein Bisschen über die Schläfen, dann machte er sich wieder mit Heißhunger über seinen Teller her.

Die Kopfschmerzen konnten warten, das heiße Steak nicht!
 

Endlich schob er seinen Teller beiseite und rieb sich über den prallgefüllten Bauch.

„Das war gut! Das könnte es ruhig öfter geben!“, ließ er zufrieden verlauten.

„Wenn du öfter so gute Noten nach Hause bringst!“

„Witzbold“ Träge erhob sich Dean und half dabei die Küche wieder auf Vordermann zu bringen. Dann verzogen sich die drei mit Bier ins Wohnzimmer und ließen den Abend in aller Ruhe ausklingen.
 

Zwei Tage später surfte Sam durchs Internet. Er suchte nichts Bestimmtes, doch dann fesselten ihn einige Berichte und er vergaß alles um sich herum.

Plötzlich sprang er auf, griff nach seiner Jacke und lief nach draußen.
 

Dean lag im Kofferraum und kämpfte mit den Scharnieren der Kofferraumklappe. Immer wieder fielen ihm die Schrauben aus den Fingern, oder er rutschte mit dem Schraubenzieher ab.

Leise fluchend tastete er nach der letzten Schraube, die ihm schon wieder aus den Fingern gerutscht war. Irgendwie hatte er heute kaum Gefühl darin.

Sein Blick glitt vom Kofferraumdeckel und folgte den kleinen Wölkchen, die er beim Ausatmen produzierten hinauf zum Himmel und er vergaß wonach er suchte und beobachtete das Schauspiel das sich ihm hoch oben bot.

Ein Transformer auf Rollschuhen sprang über eine Mauer. Ein Drache verlor gerade seinen Kopf. Ein Schwein mit Düsenantrieb, vielleicht war es aber auch eine Rakete mit Schweinenase, jagte einen Hund, der langsam zu einer Maus wurde, die bald darauf ihren Schwanz und den Kopf verlor und jetzt aussah wie ein zusammengerollter Igel.

„Dean!“, riss ihn Sams Stimme aus seinen Träumereien.

Hastig richtete er sich auf und stieß sich prompt den Kopf an der Kofferraumklappe. Leise fluchend tastete er nach der entwischten Schraube.
 

* Als Mickymäuse wird in vielen Berufen der Gehörschutz bezeichnet, da diese „Kopfhörer“ fast wie Mickymausohren aussehen.

Joe Withe

155) Joe White
 

„Dean“, rief Sam erneut und bog um die Ecke des Unterstandes.

Wie gegen eine Wand gelaufen blieb er stehen. Seine Augen richteten sich erstaunt auf das weiße Wesen, das neben dem Heck des Impalas stand.

„Sammy?“, fragte der Blonde und kletterte aus dem Kofferraum.

„Was ist das denn?“, fragte der Jüngere und zeigte auf den Schneemann.

„Joe White“, entgegnete Dean ruhig und rieb seine kalten Hände aneinander.

„Joe White!“ Sam rümpfte die Nase.

„Ja ich weiß, bei dir würde sie Snow White heißen!“

„Wieso baust du einen Schneemann?“, überging der jüngere Winchester diese Spitze.

„Mir war langweilig und du nicht da zum quatschen.“

„Dir war langweilig“, wiederholte Sam entrüstet, „und deshalb baust du einen Schneemann und nennst ihn Joe White! Ich dachte du würdest am Impala arbeiten?“

„Bis du nur hier um mir Vorhaltungen zu machen?“, wollte der Blonde jetzt genervt wissen.

„Nein, eigentlich wollte ich wissen wie lange du noch brauchst. Ich denke ich hab da einen interessanten Fall für uns gefunden.“

„Und der wäre?“

„Erzähle ich dir drinnen. Da ist es gemütlicher.“

„Ich denke ich bin in spätestens einer Stunde fertig“, entgegnete Dean. ‚Wenn mir nicht wieder jede Schraube entflieht`, fügte er in Gedanken hinzu und kletterte wieder in den Kofferraum.

Der Jüngere verbiss sich jeden weiteren Kommentar zu dem Schneemann, nickte und beeilte sich, wieder ins Haus zu kommen. Hier draußen war es empfindlich kalt. Wie Dean das, trotz Spielpause, so lange aushielt war ihm ein Rätsel.

In der Tür stehend blickte er noch einmal zurück. Wieder drängte sich ihm der Gedanke an die Kälte auf, vor der William gewarnt hatte, aber er schob den Gedanken beiseite. Dean hatte ihm versichert, dass er diese Kälte nicht in sich fühlen würde und er hatte auch Recht damit, dass die Zeit in der etwas hätte passieren können schon lange vorbei war.

Er huschte in die angenehme Wärme des Hauses, ging in die Küche und kochte Kaffee.
 

Endlich kam auch Dean in die Küche. Er hatte ausgiebig heiß geduscht, um die Kälte aus den Knochen zu vertreiben. Es war wirklich unangenehm kalt geworden in den letzten Tagen, dabei sollte der Frühling doch vor der Tür stehen!

„Wo ist Bobby?“, wollte er wissen.

„Der musste noch mal los. Er sagte nur, dass ein Freund Hilfe brauche. Er wusste noch nicht wann er wiederkommen würde.“

„Okay! Und was hast du für uns?“ Er ließ sich auf den Stuhl fallen, vor dem ein großes Stück Apfelkuchen und eine große Tasse mit heißem, schwarzen Kaffee standen. Er nahm die Tasse mit beiden Händen und inhalierte das Aroma. Genießend schloss er die Augen.

„In der Nähe von Stillwater, NY, auf dem Wrights Loop und der Interstate, wurden mehrere kopflose Leichen gefunden. Die letzte gestern“, ließ er die Bombe platzen.

„Kopflose Leichen?“, fragte der Blonde ein wenig atemlos.

„Ja, kopflose Leichen! Sie lagen neben ihrem Wagen. Aber es gab eigentlich keinen Grund um an diesen Stellen anzuhalten und als die Polizei die Wagen gestartet hatte, sprangen sie auch problemlos an.“

„Das würde schon mal zu einem Geist passen. Wie damals auf dem Highway 41, mit Molly“, versuchte Dean ganz emotionslos an diesen Fall heran zu gehen, auch wenn ihm das nur schwer gelang. Wie lange hatte er sich schon gewünscht, mal einen kopflosen Geist zu sehen. Das war seine Lieblingsgruselgeschichte gewesen, als er noch Kind war und er konnte sich erinnern, dass er John, zwei oder drei Mal gefragt hatte, ob er schon einen kopflosen Reiter gesehen hätte. Hatte der nie. Und er hatte bald darauf genug zu tun, um sich solchen Fantasien nicht weiter hinzugeben.

Aber jetzt! Jetzt würde er vielleicht selbst so einen Geist zu Gesicht bekommen.

Sam nickte nur.

„Aber du sagtest nicht Sleepy Hollow?“

„Naja, weit ist es bis dahin auch nicht.“

„Wirklich?“ Jetzt konnte Dean die Freude doch nicht mehr unterdrücken und seine Augen begannen zu funkeln.

„Du meinst, wir könnten wirklich einen echten Kopflosen haben? Vielleicht sogar den Kopflosen Reiter, den alten Hessen? Ich dachte immer, das wären nur Geschichten!“

„Ich glaube nicht, dass es den Hessen wirklich gibt. Ich habe inzwischen schon so viele Geschichten darüber gelesen, aber nie eine bestätigt bekommen. Auch hier wissen wir nicht, was dran ist. Bislang haben wir nur vier Leichen, deren Köpfe mit einem scharfen Gegenstand abgetrennt wurden und noch immer fehlen.“

„Wie lange geht das schon?“, fragte der Blonde.

„Vor gut einem Monat gab es die erste Leiche. Danach war es zwei Wochen ruhig und in den letzten zehn Tagen gab es drei Leichen.“

„Wann willst du los?“, wollte Dean jetzt mit einen Strahlen auf dem Gesicht wissen, dass Sam, mal wieder, an ein Kind unterm Weihnachtsbaum erinnerte. Dean schien sich auf diesen Fall wirklich zu freuen.

Aber der Kopflose Reiter war ja ch so etwas wie ein Mythos unter den Jägern. Jeder kannte die Geschichten und keiner hatte bis jetzt einen Fall wirklich bestätigen können. Und nach dem Film mit Johnny Depp war die Popularität dieses Geistes noch gestiegen, auch wenn dieser Film mit der Geschichte von Washington Irvine kaum etwas zu tun hatte und mit der Wirklichkeit wohl auch nicht.

„Je nachdem, wann du mit dem Impala fertig bist.“

„Mein Baby ist wieder voll auf der Höhe. Ich wollte mir heute Abend noch unsere Waffen vornehmen und dann können wir los.“

„Okay, dann lass uns Morgen früh starten. Bis Stillwater brauchen wir gut zwei Tage, es sei denn du willst durchfahren und dann da erstmal ausschlafen.“

„Wie aktiv ist der Geist denn? Ich meine, er hat die drei Menschen relativ schnell hintereinander ermordet. Bleibt es jetzt ruhig oder macht er in dem Tempo weiter?“

„Okay, wir fahren durch“, resignierte Sam. Er hatte sich eigentlich auf ein paar ruhige Tage hier gefreut, aber letztendlich war er ja selbst schuld. Er hatte diesen Geist aufgespürt und er musste zugeben, dass er sich auch auf den Fall freute. Wer konnte schon von sich behaupten, einen kopflosen Geist gesehen zu haben?

Trotzdem versuchte er sich weiterhin hartnäckig einzureden, dass es vielleicht doch nur ein durchgeknallter Massenmörder mit einem Schwert sein könnte.
 

Der Blonde futterte in Ruhe seinen Kuchen und ging dann die mit Waffen vollgepackten Taschen holen. Schnell hatte er sich im Wohnzimmer ausgebreitet und kontrollierte und reinigte jede einzelne Waffe ihres Arsenals.
 

Als Bobby spät am Abend wieder kam, war er fast fertig.

„Das sieht so aus, als wäre der Impala fertig und ihr wollt wieder los?“, fragte der ältere Jäger.

„Ja, Sam hat mehrere kopflose Leichen gefunden.“

„Wow. Da würde ich gerne mitkommen.“

„Warum nicht? Wäre mal lustig einen Fall mit dir zu bearbeiten“, entgegnete Dean und seiner Stimme war anzuhören, dass er sich wirklich darüber freuen würde.

„Nein, tut mir leid. Ich muss nach Montana. Da wüten ein paar Succubi.“

„Sei bloß vorsichtig und ruf an, falls du Hilfe brauchst“, forderte der Blonde leise. In seiner Stimme schwang Sorge mit, die Bobby sehr wohl hörte. Er lächelte warm, als er antwortete.

„Mach ich, Junge. Ihr aber auch.“

Dean nickte zwar, aber er war nicht wirklich beruhigt. Nicht dass er dem alten Freund diese Jagd nicht zutraute, aber Succubi waren hinterhältiger und durchtriebener als normale Dämonen. Sie kamen nachts, wenn ihre Opfer schliefen und schlichen sich in deren Träume.

Er war hin und her gerissen, zwischen der Freude auf den Kopflosen und der Sorge um den Freund.

Sollte er Bobby seine Hilfe anbieten und ihm erklären, dass er Dämonen sehen konnte und sie zu zweit, oder noch besser zu dritt, den Fall schnell gelöst hätten und dann immer noch nach Stillwater fahren konnten?

Nein! Bobby hatte schon immer allein gejagt und er wäre mit Recht sauer, wenn er ihm jetzt diese Fähigkeit absprechen würde.

Mit einem unguten Gefühl im Magen ging er nach oben, um das Wenige zu packen, das er ausgepackt hatte.
 

Es war noch nicht ganz Mittag, als Dean seine schwarze Schönheit auf den Parkplatz eines Diners lenkte. Er gähnte herzhaft, stieg aus und streckte sich ausgiebig.

Sam erwachte, kaum dass der Motor des Impalas erstarb. Umständlich kletterte er aus seinem Sitz und streckte sich auch erst einmal. Er blickte zu seinem Bruder, der schon in Richtung Eingangstür ging, griff nach seinem Rucksack und folgte dem Blonden.

Dean bestellte sich, kaum dass er saß, das Tagesmenü und jede Menge Kaffee. Der Jüngere wollte nur einen belegten Bagel und einen Kaffee Latte.

Ein Blick auf die Uhr über der Theke verriet ihm, dass sie die Strecke mal wieder in Rekordzeit geschafft hatten. An seinem Bruder war ein Trucker verloren gegangen. Oder ein Handlungsreisender, so gerne wie Dean fuhr. Obwohl das wohl die letzten Berufe gewesen wären, die sein Bruder in Betracht gezogen hätte.

Der Blonde gähnte schon wieder.

„Willst du dich gleich für ein paar Stunden hinlegen?“, wollte Sam wissen.

Dean zuckte unschlüssig mit den Schultern. Müde genug war er. Außerdem hatte er schon wieder das unbestimmte Gefühl, neben sich zu stehen. Wahrscheinlich bekam er doch eine Erkältung.

„Überleg es dir. Ich kann ja inzwischen die restlichen Seiten durchsuchen, die ich im Internet gefunden habe.“

Die Kellnerin brachte ihnen den Kaffee und Sam klappte seinen Laptop auf. Dean umfasste die Tasse mit beiden Händen und inhalierte das Aroma. Seine Augen wanderten zu Sam, der schon wieder konzentriert auf seinen Bildschirm schaute. Was Sammy wohl gemacht hätte, wenn er dreißig Jahre früher gelebt hätte?

Damals hätten sie jede Menge Bücher und Zeitungen wälzen müssen und wären wohl eher an einer Staublunge gestorben, als durch einen Dämonenangriff.

Dean lächelte leicht und dann fiel ihm die letzte Nacht wieder ein.
 

Er war gefahren und Sam hatte, wie üblich, recherchiert.

„Wusstest du, dass es Kopflose meistens im deutschsprachigen Raum gegeben hat? Es gab mehrere Varianten. Den kopflosen Junker, der nachts Frauen aufgelauert hat, die sich auf dem Heimweg befanden, denen hat er an die Brust gefasst, um ihnen ihre Lebensenergie zu nehmen. Ein paar Tage später sind diese Frauen dann gestorben und sie haben, als einzige, diesen kopflosen Junker an ihrem Totenbett stehen sehen.

Bei dieser Legende ging es meistens um Sünder, die entweder zu ihren Lebzeiten nicht bestraft worden waren und jetzt in der Hölle büßen mussten.

Es gab aber auch eine, höchst selten praktizierte Strafe für Menschen, die sich durch das Versetzen von Grenzsteinen am Land ihrer Nachbarn bereicherten. Diese durften vom rechtmäßigen Besitzer des Landes an der Stelle, an der der Grenzstein ursprünglich gestanden hat so tief in der Erde vergraben werden, dass nur noch ihr Kopf herausschaute und dann ist der Betrogene mit dem Pflug solange über den Kopf gefahren bis der… naja, Matsch war.“

Er hatte sich geschüttelt und seinen kleinen Bruder mit einem langen Blick bedacht.

Sammy war schlimmer als Nr. 5. Der brauchte noch mehr Input als der Roboter in dem Film.

Danach hatten sie die meiste Zeit schweigend verbracht. Er war gefahren und Sam hatte recherchiert oder geschlafen und als er dann doch endlich Ruhe gebraucht hatte, war Sam gefahren.

„Woran denkst du denn?“, riss ihn sein kleiner Bruder aus den Gedanken.

Der Blonde schüttelte den Kopf.

„War das jetzt die Antwort auf meine erste oder auf die zweite Frage?“

„Ich…“, begann der Ältere und musste schon wieder gähnen.

„Schon okay, Dean. Du legst dich hin und ich gehe die Seiten durch“, entschied der Jüngere.

Dean nickte nur. Er hatte wirklich nicht viel geschlafen, da Sam kaum von seinem Laptop losgekommen war.

Versicherungsagenten

156) Versicherungsagenten
 

Stunden später wurde der ältere Winchester vom Geruch nach frischem Kaffee geweckt. Er streckte sich und ging zur Kaffeemaschine. Mit einer Tasse für sich und der vollen Kanne kam er zum Tisch. Er füllte Sams Tasse und ließ sich dann auf den freien Stuhl fallen.

Sam schaute kurz auf.

„Schon was rausbekommen?“, wollte der Blonde wissen.

„Nein, nicht wirklich.“

„Wonach suchst du überhaupt?“

„Nach Morden, Unfällen oder Grabräubern. Alles wobei jemand seinen Kopf verloren hat. Aber ich habe noch nichts gefunden.“

„Soll ich dir helfen?“ Dean wusste, dass er diese Frage bereuen würde, kaum dass er sie gestellt hatte.

„Gerne.“ Und schon bereute er es. Aber egal. Er hatte auch früher schon recherchiert und auch wenn er es nicht gerne machte, so musste es doch sein.

„Okay, wo soll ich suchen?“, fragte er und holte seinen Laptop hervor.

Sam schob ihm die Liste mit den Namen von Zeitungen, Foren, historischen Seiten und Städten zu.

„Ich denke am Besten fängst du unten an. Wenn du einen Querverweis auf eine neue Seite findest, schreib sie einfach drunter.“

Dean stöhnte leise. Er goss sich den restlichen Kaffee in die Tasse und ging dann in die Küche, um eine neue Kanne zu kochen. Danach machte er sich ebenfalls an die Suche.
 

Sam klappte seinen Laptop zu und stand auf. Er streckte sich und rieb sich über die brennenden Augen. Er hatte gerade den letzten Namen auf der Liste durchgestrichen.

Nichts, absolut nichts hatte er gefunden und so wie sein Bruder aussah ging es ihm genauso.

„Und was machen wir jetzt?“, fragte er, als Dean zu ihm aufblickte.

„Wenn du mich so fragst? Ich würde mir gerne noch anschauen wo sie die Leichen gefunden haben. Vielleicht findet das EMF ja was. Dann hätten wir heute nicht ganz umsonst gesucht.“ Der Blonde hatte die Mine seines Bruders vollkommen richtig gedeutet.

Sam nickte sofort.

Sie nahmen ihre Jacken und machten sich auf den Weg.
 

„Man, ich hätte wirklich gedacht, dass es irgendwo einen Hinweis auf einen Unfall oder Mord geben würde. So ein kopfloser Geist entsteht doch nicht einfach so!“, grummelte der Jüngere kaum dass sie losgefahren waren.

„Wir werden schon was finden“, versuchte Dean ihn zu beruhigen. „Uns bleiben immer noch die Bibliotheken oder das Polizeiarchiv. Vielleicht ist es ja wirklich der Hesse.“

„Dean! Der Hesse ist ein Märchen!“

„Mister Allwissend! Muss ja nicht wirklich ein Hesse gewesen sein, aber bei der Schlacht damals ist der eine oder andere mit Sicherheit durch Enthauptung gestorben. Die haben mit ihren Säbeln doch wild um sich gehauen!“

Sam nickte widerstrebend. Damit hatte Dean schon irgendwie Recht. Aber wie sollten sie den denn finden?

„Wir sollten auf jeden Fall in den Nationalpark fahren und uns da umschauen. Vielleicht finden wir ja einen Hinweis“, überlegte der Ältere laut.

„Da vorne lag der Erste.“ Sam zeigte durch die Frontscheibe und sein Bruder bremste. Gemeinsam stiegen sie aus.

Dean schaltete das EMF ein und drehte sich damit langsam im Kreis. Das Gerät schwieg. Aber er hatte auch nichts anderes erwartet. Immerhin war der Mord hier vier Wochen her. Trotzdem ließen sie die Lichtkegel ihrer Taschenlampen über das Gras und die Straße huschen.

Sie warfen sich einen Blick zu und Sam schüttelte den Kopf. Hier war nichts. Der Blonde nickte und ging zum Wagen zurück. Sie stiegen ein und fuhren weiter.
 

Erst am Fundort der letzten Leiche zeigte das EMF einen geringen Ausschlag.

Dean hielt das Gerät seinem Bruder hin und steckte es dann wieder weg. Gemeinsam suchten sie auch hier die Umgebung ab. Doch auch hier waren weitere Hinweise Fehlanzeige.

„Wir sollten morgen mal in die Gerichtsmedizin fahren. Möglicherweise haben sie die Leiche ja noch.“

„Ja, und danach sollten wir mit der Polizei reden. Vielleicht können die uns noch ein paar Hinweise zu den Opfern geben.“

„Warum sind die eigentlich auf dem Loop unterwegs gewesen?“, wollte der Blonde wissen. Die Straße machte, zumindest nachts, einen eher beschaulichen Eindruck.

„Die Interstate war wegen einer Baustelle gesperrt. Deshalb haben sie den Verkehr hier entlang geleitet.“

„Dann wundert es mich aber, dass es keine Zeugen gibt.“
 

Am nächsten Morgen warfen sich die Brüder in ihre Anzüge und machten sich auf den langen Weg nach Albany zum zuständigen gerichtsmedizinischen Labor.

„Welchen Ausweis soll ich raussuchen?“, fragte Sam während der Fahrt.

„FBI wäre blöd. Die holen keine fremden Agenten, wenn das Büro direkt nebenan liegt“, überlegte der Blonde laut. „Homeland Security? Ist auch schnell zu überprüfen.“

„Wir haben die Visitenkarten mit Bobbys Nummer“, gab Sam zu bedenken.

„Schon, aber Bobby ist an dem Sucubi-Fall dran. Was ist mit den Opfern?“

„Was soll mit denen sein?“

Dean rieb sich mit Daumen und Zeigefinger das Nasenbein.

„Hast du noch immer Kopfschmerzen?“, wollte der Jüngere mitfühlend wissen.

„Geht schon“, antwortete der Blonde und legte die Hand wieder auf das Lenkrad.

Sam sagte nichts dazu. Was sollte er auch antworten? Es war Deans Standardantwort, im Wechsel zu: ‚Ich bin okay.’

„Was wissen wir von den Opfern?“, kam der Blonde recht schnell wieder auf seine ursprüngliche Frage zurück.

Sam blätterte kurz: „Rich Gibbson, 47, Bauarbeiter wollte in der Nacht noch nach Hause. Er war das erste Opfer. Jenna McDermot, 27. Sie war Studentin und kam von ihrem Freund.“

„Mitten in der Nacht?“

„Sie hatten sich wohl gestritten und sie wollte ins Wohnheim zurück, hat zumindest die Freundin ausgesagt.“

„Okay, weiter.“

„Alan Mygs war wohl zur falschen Zeit am falschen Ort. Genau wie Lester Reiley.“

„Hm“, gab Dean lediglich von sich und hüllte sich dann in Schweigen.
 

„Sagst du mir denn jetzt, welche Ausweise du nehmen willst?“, hakte Sam nach einer ganze Zeit nach. Der Blonde zuckte zusammen. Er holte tief Luft und schaute kurz zu Sam, bevor er sich wieder der Straße zuwandte.

„Hatte dieser Gibbson Familie?“, fragte er leise. Er starrte weiterhin stur auf die Straße und fragte sich, was das gerade war. Alles war so unwirklich gewesen. Er hatte sich plötzlich vollkommen falsch in seinem Körper gefühlt. Noch einmal schüttelte er den Kopf und konzentrierte sich dann wieder darauf zu fahren.

Sam hatte schon seinen kleinen elektronischen Freund ausgepackt und begann zu recherchieren. Er wusste zwar nicht, was genau Dean bezweckte, aber er wollte nicht schon wieder mit Dean über etwas diskutieren, was er ohne Fragen tun würde, wenn Bobby ihn gefragt hätte. Sein Bruder hatte ihm das einmal vorgehalten und er lange darüber nachgedacht, warum er so abweisend reagierte, wenn er ihn um etwas bat. Vielleicht lag es ja daran, dass früher Deans Bitten oder Anweisungen meistens direkt von ihrem Dad kamen oder in dessen Sinn waren. Aber das war lange her und er hatte sich vorgenommen, sich nicht mehr dagegen zu sperren, denn bislang hatte Dean seine Fragen oder Bitten nie einfach nur so ausgesprochen. Er hatte immer einen triftigen Grund dafür geliefert.

„Ja, Gibbson hatte Familie. Frau und zwei Mädchen. Joeline ist sechs Jahre und Narla sieben Monate. Sie haben ein Häuschen und er hat sich vor wenigen Monaten selbständig gemacht.“

„Gut!“

„Was ist gut? Erleuchtest du mich?“

„Da hättest du den Engel fragen müssen. Außerdem weißt du es jetzt. Erleuchtet werden nur wahre Gläubige!“

„Dean!“, quengelte der Jüngere leicht genervt.

„Wir sollten uns ein paar Visitenkarten machen.“

„Warum? Du…“

„Ich denke du wolltest wissen was ich mir überlegt habe?“

„Ja!“

„Dann lass mich auch ausreden!“ Dean blickte kurz zu seinem Bruder, der die Augen verdrehte und ergeben seufzend nickte.

„Wir sind Anwälte. Die Frau von dem Gibbson hat uns beauftragt. Ihr Mann hat eine hohe Lebensversicherung abgeschlossen und die Versicherung verweigert die Zahlung, weil es höhere Gewalt war. Sie berufen sich darauf, dass er angehalten hat und ausgestiegen ist und es sonst keine Spuren gab. Er könnte den Mord an sich in Auftrag gegeben haben, weil er bis über beide Ohren verschuldet war.“

„Oh Mann. Alter! Deine Fantasie geht mit dir durch.“

„Hast du eine bessere Idee?“, fragte der Blonde beleidigt.

„Nein. Wenn du dieses Mal nicht von offizieller Stelle kommen willst, machen wir es so. Das klingt so verrückt, dass es sogar funktionieren kann.“
 

Eine Stunde später standen sie im Polizeirevier und warteten auf den zuständigen Officer.

Ein kleiner drahtiger Mann mit Halbglatze kam auf sie zu und musterte sie mit unverholener Abneigung. „Ich bin Detective Agron und sie sind die Versicherungshaie?“

„Nicht ganz, Detective“, antwortete Sam ruhig und gab dem Mann eine der Karten, die Dean vor ein paar Minuten aus dem Kopierer geholt hatte. Sein Bruder hatte sich mal wieder selbst übertroffen.

„Wir sind die Anwälte von Mrs. Gibbson und von ihr damit beauftragt der Versicherung zu beweisen, dass ihr Mann weder Selbstmord begangen, noch den Mord an sich beauftragt hat, damit sie die Versicherungssumme ausbezahlt bekommt.“

„Also den Selbstmord können sie getrost ausschließen. Das funktioniert so nicht!“

„Das müssen Sie uns nicht sagen, wir glauben Ihnen unbesehen. Leider haben Versicherungen da andere Ansichten, wenn es darum geht, Geld auszahlen zu müssen“, erklärte Sam grinsend.

„Es gab doch noch andere Morde nach demselben Schema?“, fragte Dean.

„Ja, drei. Auch das spricht gegen ihre Selbsmordtheorie. Es sei denn er hat mehrere Morde in Auftrag gegeben, um so von seinem abzulenken.“

„Sehr unwahrscheinlich“, ließ sich Dean vernehmen.

„Seine Firma lief, nach anfänglichen Schwierigkeiten, ganz gut. Sie warf noch nicht das große Geld ab, aber es reichte, um sich und seine Familie zu ernähren. Er hatte einige große Aufträge in Aussicht und schon eine neues Grundstück gekauft. Dort sollten das neue Firmengebäude und ein schönes, großes Wohnhaus entstehen“, log Sam, sehr überzeugend, das Blaue vom Himmel.

Der Blonde blickte sich neugierig in dem Großraumbüro um.

„Gab es irgendwelche Spuren, die auf den Täter hinweisen könnten?“

„Ich wüsste nicht, was Versicherungsleute mit Spurensicherung zu tun haben“, konterte der Detektiv giftig.

„Wir sind es gewohnt Spuren zu folgen und das beste Ergebnis für unsere Mandanten zu erzielen. Wir hatten nicht die Absicht uns in Ihre Ermittlungen einzumischen. Wir wollten lediglich helfen!“, sagte der jüngere Winchester ruhig und hob beschwichtigend seine Hände. Sein Blick streifte Dean, der genervt die Augen verdrehte.

„Können Sie uns wenigstens Ihren offiziellen Bericht zu dem Gibbson-Fall geben? Zu den anderen auch, wenn Sie das verantworten können. Damit wäre der Witwe schon geholfen. Sie hat zwei Kinder und muss sich darum kümmern, die Firma ihres Mannes zu verkaufen.“

„Wem soll ich meine Berichte denn noch alles geben? Vielleicht sollte ich sie gleich zehn Mal kopieren“, knurrte Agron. „Warten sie hier!“, sagte er dann noch nicht weniger unfreundlich und ging zu einem Schreibtisch.

„Das läuft ja prächtig“, sagte Sam leise. Ein sarkastischer Unterton schwang in seiner Stimme, für Dean gut hörbar, mit.

„Das nächste Mal kannst du dir ja eine Identität für uns ausdenken“, konterte er kaum hörbar, aber sichtlich gereizt.

Die Rückkehr des Detektivs enthob Sam einer Antwort.

„Ich hab Ihnen alle vier Fälle ausgedruckt, damit Sie mich nicht noch mal belästigen müssen!“

„Das ist sehr nett von Ihnen. Ich werde Ihre freundliche Hilfe ausdrücklich erwähnen.“ Sam lächelte sein schönstes falsches Lächeln und es war auch dem Polizisten klar, dass es falsch war.

„Machen Sie was Sie wollen, aber lassen Sie mich in Ruhe meine Arbeit tun!“

„Wir werden uns bemühen, Sie nicht wieder zu belästigen“, erklärte Dean eisig. Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Büro.

Stanton & Sohn

157) Stanton und Sohn
 

„Was ist los mit dir?“, wollte Sam wissen, kaum dass sie am Impala standen.

„Nichts“, erwiderte der Blonde gereizt. Er ließ sich auf dem Fahrersitz fallen und startete den Wagen.

Sam beeilte sich einzusteigen, nicht dass sein Bruder noch ohne ihn losfuhr.

Während der Ältere den Impala durch den Stadtverkehr manövrierte, beobachtete Sam ihn aufmerksam. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm, aber was? Er war gereizt und nervös. Ob er noch immer Kopfschmerzen hatte? Aber wenn ja, woran lag das dann? Alles was ihm zu dem Thema einfiel war mindestens besorgniserregend! Aber wie konnte er Dean darauf ansprechen?

Er seufzte leise und nahm sich von seinen Bruder genau im Auge zu behalten. Wenn sich sein Verhalten nicht bessern würde, dann würde er ihn nach Abschluss des Falles zu einem Arzt schleifen und wenn er seinen Bruder dafür k.o. schlagen müsste! Er wollte ihn nicht vor der Hölle gerettet haben, um ihn dann an eine Krankheit zu verlieren!
 

Dean bremste vor der Gerichtsmedizin und sie gingen hinein.

„Wir sind von der Anwaltskanzlei Stanton und Sohn und vertreten Mrs. Gibbson. Wir hätten gerne den Gerichtsmediziner gesprochen, der den Fall Gibbson bearbeitet hat“, stellte Sam sie vor.

„Dr. Spencer hat gerade eine Besprechung. Sobald die beendet ist, werde ich ihr Bescheid geben, dass sie mit ihr reden wollen“, gab ihnen die Dame am Empfang Auskunft und wies ihnen den Weg in den Wartebereich.

Die Brüder trotteten in die angegebene Richtung.
 

Sie musste nicht allzu lange warten, bis eine unscheinbare Blondine im weißen Kittel auf sie zu kam.

„Sie wollten mit mir sprechen?“, fragte sie leise.

„Dr. Spencer?“

„So steht es auf meinem Namensschild.“

„Wir kommen von der Anwaltskanzlei Stanton und Sohn. Mein Name ist Sam Stanton. Wir wurden von Mrs. Gibbson beauftragt ihre Interessen gegen die Versicherung zu vertreten. Was können Sie uns zu Mr. Gibbson sagen?“, trug Sam ihr Anliegen vor.

„Das ist aber nicht Ihr Sohn, oder?“, fragte sie mit einem spöttischen Grinsen und deutete auf Dean.

„Nein, das ist mein Partner, Dean Smith“, grummelte der jüngere Winchester.

Deans Mundwinkel zuckten leicht nach oben. Diese Dr. Spencer gefiel ihm.

„Rich Gibbson?“, hakte Sam noch einmal nach.

„Wurde enthauptet. Ein Schlag mit einer recht scharfen Klinge.“

„Eine recht scharfe Klinge?“

„Es war kein Samuraischwert, aber auch kein stumpfes Küchenmesser!“

„Ein Säbel vielleicht?“, klinkte sich jetzt der Blonde in das Gespräch.

„Ja, das könnte durchaus zutreffen.“

Dean warf seinem Bruder einen Blick zu und grinste. Wieder etwas, das für seine Theorie des Hessen sprach. Sam verdrehte nur die Augen.

„Haben Sie die anderen Opfer auch obduziert?“

„Habe ich!“

„Und würden Sie die Freundlichkeit besitzen, uns zu sagen, zu welchem Ergebnis Sie da gekommen sind?“ Der jüngere Winchester hegte eine immer größere Abneigung gegen diese Frau.

Vielleicht war es ihre spöttische Art, die er sonst nur von Dean kannte. Oder vielleicht fühlte er sich auch von ihr nicht wirklich ernst genommen. Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er diese Unterhaltung so schnell wie möglich beenden und hier verschwinden wollte. Und das Schlimmste war, dass sich sein Bruder zu amüsieren schien, aber absolut keine Anstalten machte, helfend in das Gespräch eingreifen zu wollen.

„Sie wurden ebenfalls enthauptet.“

Der Blonde prustete los. Die Frau war Klasse! Egal wie unscheinbar sie aussah, auf den Mund gefallen war sie nicht!

„Danke, das hatte ich schon vermutet“, knurrte Sam.

„Mit derselben Klinge?“, kam Dean seinem Bruder erneut zu Hilfe.

„Die Schnitte sahen gleich aus. Ja, ich denke es war die gleiche Klinge.“

„Können Sie uns vielleicht die Berichte zu den Fällen kopieren? Sie würden uns und unserer Mandantin sehr weiterhelfen.“

Sie blickte zu Dean, lächelte und nickte dann. „Ich sage Mrs. Miller Bescheid, dass sie Ihnen die Berichte ausdruckt.“

„Danke“

„Haben Sie sonst noch Fragen?“

Dean warf seinem Bruder einen kurzen Blick zu und schüttelte dann den Kopf.

„Dann gehe ich jetzt mal wieder zu meinen Toten. Die stellen weniger Fragen als Sie.“

Schnell war die Pathologin verschwunden.

„Mein Gott, hättest du mir nicht schon früher zu Hilfe kommen können?“, wollte er genervt wissen. „Warum? War doch niedlich wie du dich gewunden hast.“

„Trottel“

„Schlampe!“
 

„Und wie geht es jetzt weiter?“, wollte der Blonde wissen, als sie das Gebäude wieder verlassen hatten. Sie hatten an der Anmeldung noch ein paar Minuten auf die Berichte warten müssen. Dr. Spencer hatte Wort gehalten.

„Wenn wir schon mal hier sind, könnten wir gleich noch in die Bibliothek gehen und die Archive durchgehen.“

Dean verdrehte die Augen.

„Was hattest du denn vor?“, wollte Sam wissen.

„Keine Ahnung, jedenfalls nicht noch einen Tag hinter Bildschirmen und über Büchern verbringen!“

„Du wolltest dir die Gedenkstätte anschauen“, stellte Sam ruhig fest.

„Ja, auch.“

„Dafür ist es heute schon zu spät. Bis wir wieder in Stillwater sind ist es fast dunkel. Wir machen das heute hier fertig und morgen fahren wir zu der Gedenkstätte.“

Dean nickte widerwillig. Was blieb ihm auch anderes übrig?
 

Der nächste Morgen kam für Dean wie üblich viel zu früh. Sie hatten in allen, in der Bibliothek, zugänglichen Archiven nach weiteren Hinweisen auf ihren Geist gesucht und wie auch schon bei der Internetrecherche in ihrem Motelzimmer nichts gefunden. Soweit die Zeitungen zurück gingen, hatte es nie einen Mord durch Enthauptung gegeben.

Sam wusste zwar nicht, was sich Dean von dem Besuch versprach, aber vielleicht hatte er ja wirklich Recht und es gab Aufzeichnungen darüber, wie die Opfer der Schlacht von Saratoga zu Tode gekommen und wo sie beerdigt worden waren.

Wenn sie auch hier nicht fündig wurden, müssten sie ihre Herangehensweise noch einmal überdenken.

Er füllte den Kaffee, den er angestellt hatte, bevor er duschen gegangen war, in eine Tasse und ging zum Bett seines Bruders. Er hockte sich in sicherer Entfernung vor das Bett und fächelte ihm den Duft des Kaffees zu.

Natürlich hatte er Dean geweckt, bevor er in die Küche gegangen war und noch einmal auf dem Weg ins Bad, aber natürlich war sein Bruder wieder eingeschlafen und er war sauer dass er immer als Erster aufstehen und ihn aus dem Bett schmeißen musste. Auf der anderen Seite aber, wenn Dean jetzt schon wach gewesen wäre, würde ihm dieses morgendliche Schauspiel entgangen sein.

Der Kaffeeduft erreichte Deans Nase. Er zog sie schnuppernd kraus. Noch einmal umarmte er sein Kissen fest, streckte sich und schälte sich mit geschlossenen Augen aus den Decken.

Sam grinste breit. Sein Koffeinjunkie setzte sich auf und tastete, noch immer mit geschlossenen Augen, nach der Tasse.

„Vorsicht heiß“, sagte Sam ruhig und schob seinem Bruder die Tasse in die Hand.

Deans Finger schlossen sich darum und er begann ganz langsam sein Lebenselixier aufzunehmen.

Je weiter sich die Tasse leerte umso wacher wurde der Ältere und als Sam sich sicher war, dass sein Bruder aufnahmefähig war sagte er: „Ich warte im Restaurant auf dich.“

Der Blonde grummelte etwas, trank den Kaffee aus und tappte ins Bad.
 

„Welche Archive willst du heute durchwühlen?“, fragte der Blonden missmutig, nachdem er sein Frühstück verputzt hatte. Er hatte wirklich keine Lust mehr weiterhin herum zu sitzen, Bücher zu wälzen und sich eine Staublunge zu holen.

„Wir wollten doch heute in den Nationalpark“, sagte Sam.

„Ja, schon, aber bei dir weiß man ja nie, welches Archiv wieder wichtiger ist.“

Der Jüngere holte tief Luft, doch sein Protest erstarb, als er sah wie Dean mal wieder seine Nasenwurzel massierte.

„Immer noch Kopfschmerzen?“, wollte er stattdessen ruhig wissen.

„Weiß auch nicht. Hab mich wohl bei Bobby erkältet“, gab der Blonde freimütig Auskunft.

„Wenn das nicht aufhört…“, begann Sam besorgt.

„Vergiss es! Ich gehe zu keinem Arzt!“

„Dean! Ich will doch nur sicher gehen, dass…“

„Sam bitte! Das wird ´ne einfache Erkältung.“

„Du hattest nie so lange Kopfschmerzen davor!“

„Wann hast du denn das letzte Mal erlebt, dass ich eine Erkältung hatte?“

Der Jüngere zuckte mit den Schultern. Dean hatte ja Recht. Er wurde so gut wie nie krank. Vielleicht war es bei ihm einfach so, dass er Kopfschmerzen davor hatte. Jess hatten immer Tage davor Halsschmerzen. Trotzdem nahm er sich vor, seinen Bruder weiterhin zu beobachten und wenn es nicht besser wurde, dann würde er sich schon was einfallen lassen.

„Also steht heute frische Luft tanken auf dem Programm?“, wollte er noch einmal wissen.

„Denke schon!“

„Okay, dann trink aus. Wir gehen!“, sagte Sam und ging bezahlen.
 

Der Blonde brachte den Impala vor dem Besucherzentrum der Gedenkstätte zum Stehen. Sie hatten gerade die Auto-Tour gemacht und wollten sich jetzt noch ein wenig im Museum umschauen, vielleicht auch mit dem Mann an der Kasse plaudern. Als sie heute Morgen hierher gekommen waren, hatten sie nur ihre Karten bezahlt und waren wieder nach draußen verschwunden, da eine Besuchergruppe den Mann mit Fragen gelöchert hatte.

Jetzt standen außer dem Impala nur noch zwei weitere Fahrzeuge auf dem Parkplatz.

Dean stieg aus, schloss die Tür und schaute über das Dach seines Babys zum Eingang.

In der Nacht hatte es geregnet und von den Tropfen waren nach dem Trocknen Wasserränder geblieben. Er musste daran denken, wie John ihm erklärt hatte, dass er, wenn er gewusst hätte, wie sehr er den Impala hatte verkommen lassen, er ihm den Wagen nicht gegeben hätte. Selbst jetzt noch schmerzte diese Bemerkung, dabei waren Sam und er damals von einem Fall zum nächsten gehetzt, immer in der Hoffnung ihren Vater endlich zu finden.

Dieses Mal deutete Sam den traurigen Blick seines Bruders richtig.

„Sie bekommt eine extra Handwäsche, wenn wir hier fertig sind“, sagte er ruhig und freute sich, dass er es geschafft hatte, ein Lächeln auf Deans Gesicht zu zaubern. Manchmal war sein Bruder aber auch leicht zu durchschauen. Er wandte sich dem Besucherzentrum zu.

Dean ließ seinen Blick noch einmal über das weite Feld gleiten. Hier hatte sich das Blatt im Befreiungskrieg gegen die Engländer zu ihren Gunsten gewendet. Hier hatte sich entschieden, dass sie in ein freies Land leben konnten!
 

„… immer im Oktober“, sagte der Mann gerade an Dean gewandt als Sam sich ihnen näherte.

„Ja, vielleicht schaffen wir es ja mal uns dieses Spektakel anzuschauen.“

„Sie sind herzlich willkommen.“

„Gibt es dabei auch Unfälle?“, wollte der Blonde jetzt wissen.

„So hin und wieder fällt schon mal einer vom Pferd. Aber das passiert eigentlich nur den Anfängern. Oder den Möchtegern-Reitern, die hier jedes Jahr auflaufen.“

„Und dabei ist noch nie etwas Schlimmes passiert?“

„Warum fragen Sie?“ Der Mann wurde skeptisch.

„Ich finde es bemerkenswert, dass bei der Nachstellung einer solch großen Schlacht kaum was passiert!“, erwiderte der Blonde und sah dabei wirklich beeindruckt aus.

„Naja, Knochenbrüche und Prellungen. Vor ein paar Jahren hatte einer mal eine Gehirnerschütterung. Er wurde ins Krankenhaus gebracht. Es war nichts Ernstes. Er macht immer noch mit und das nun schon seit vierzehn Jahren.“

„WOW“, staunte Dean. „Keine Toten und kaum Verletzte.“

„Tote haben wir schon, aber die stehen abends immer alle wieder auf und gehen nach Hause.“

„Und bei der Schlacht damals, waren da auch Hessen dabei?“

„Ja. Auch wenn die Hessen nicht zwingend aus Hessen kamen. Die meisten Deutschen, die als Soldaten auf der Seite der Engländer kämpfen mussten, kamen von da, aber bei Weitem nicht alle, trotzdem wurden sie hier alle zu Hessen gemacht“, erklärte der alte Mann und grinste. Dann ging ihm ein Licht auf: „Sie sind auch so einer.“

„Was für einer?“

„So ein Spinner der Geister sucht. Sie wollen „den Hessen“ sehen!“, knurrte der Alte leicht gereizt.

„Sleepy Hollow ist nicht so weit weg und klar habe ich davon gehört. Deshalb lag die Frage nahe. Aber eigentlich interessiere ich mich eher für die Schlacht und die Waffen, die sie damals benutzt haben. Nach dem Hessen haben wohl schon mehrere gefragt?“

„Fast jeder Zweite.“

„Tut mir leid.“

„Schon okay“, sagte der Mann beschwichtigend. „Aber hier hat es noch nie einen kopflosen Geist gegeben.“

„Danke noch mal!“, sagte der Blonde und verabschiedete sich mit einem höflichen Nicken. Er ging zu Sam, der schon eine Weile Löcher in die Luft guckte, während er der Unterhaltung mit halbem Ohr folgte.

„Alles gesehen?“, wollte er von seinem kleinen Bruder wissen.

„Alles erfahren?“, konterte der mit einer Gegenfrage.

„Denke schon“, antwortete Dean.

„Dann lass uns gehen.“

„Okay! Wohin?“

Deans Magen grummelte laut.

„Die Frage hat sich gerade erübrigt“, grinste der Jüngere.

Ein guter Freund

158) Ein guter Freund
 

Während sie auf ihr Essen warteten klappte der jüngere Winchester seinen Laptop auf und surfte auf den örtlichen Seiten herum, um nach Neuigkeiten zu suchen. Sein Bruder schaute eine Weile aus dem Fenster und als ihm das zu langweilig wurde begann er mit dem Salzstreuer zu spielen.

„Dean!“

Schuldbewusst blickte der Blonde auf, stellte sein Spielzeug zur Seite und starrte wieder aus dem Fenster.

Sam atmete auf. Doch ihm war nicht lange Ruhe vergönnt.

„Hab Hunger!“, quengelte der Blonde.

„Wir sitzen hier gerade mal fünf Minuten!“

„Hab Durst!“

„Dann ordere dir noch einen Kaffee!“

„Ist langweilig!“, beschwerte sich der Blonde und griff schon wieder nach dem Salzstreuer.

Sam legte seine große Hand auf die seines Bruders und schaute ihn eindringlich an.

„Dean es reicht!“, sagte er ruhig. Was war heute nur mit ihm los? Dean konnte ja schon ungeduldig sein, aber so? So hatte er ihn doch noch nie erlebt! Und so langsam machte ihm das Verhalten seines großen Bruders Angst!

Der Blonde schob schmollend die Unterlippe vor.

„Dean? Schau mich mal an“, bat der Jüngere ruhig.

Endlich hob der seinen Kopf und blickte ihn an. Sein Blick war irgendwie abwesend.

„Dean?“, fragte der Jüngere noch einmal besorgt. Und dann endlich schien der Blonde wieder zu sich kommen. Sein Blick wurde langsam klarer.

„Was war los?“

„Keine Ahnung. Ich…“, Dean schüttelte den Kopf und rieb sich die Schläfen.

„Das ist doch nicht mehr normal mit dir. Ich fahr dich jetzt…“ Die Kellnerin unterbrach ihn, indem sie ihr Essen brachte und gab dem Älteren etwas mehr Zeit sich zu erholen. Er hatte wirklich keine Ahnung, was mit ihm los war. Sein Kopf tat kaum noch weh, aber es war die beste Ausrede für Sam. Was sollte er ihm denn sagen? Er wusste ja selbst nicht, was war, aber er wollte es einfach noch immer auf eine kommende Erkältung schieben.

„Wenn das nicht besser wird mit dir, bringe ich dich in ein Krankenhaus zum Durchchecken. Und jetzt schau mich nicht so an und mit dem Kopf schütteln brauchst du auch nicht. Verdammt Dean! Ich mach mir Sorgen um dich!“, schimpfte der Jüngere leise, kaum dass sie wieder allein an ihrem Tisch waren.

„Mir geht’s gut, Sammy!“

„Genau den Satz sagst du immer, wenn genau das nicht stimmt!“

Dean schluckte trocken.

„Lass uns den Fall zu Ende bringen und wenn es nicht besser wird, dann kannst du mich hinschleppen, wo du willst, okay?“ Es war ja nicht so, dass er sich nicht auch schon seine Gedanken gemacht hatte.

An die ständigen Kopfschmerzen hatte er sich ja schon fast gewöhnt, dass er jetzt allerdings schon zum zweiten Mal das Gefühl gehabt hatte, mindestens einen zu viel gesoffen zu haben, und das ohne jeden Alkohol, machte ihm schon Sorgen. Kündigten sich Erkältungen wirklich so an?

Auf keinen Fall durfte er Sam etwas davon sagen, der brachte es fertig, ihn sofort zu einem Arzt zu schleifen.

Sam musterte seinen Bruder jetzt noch besorgter. Diese freimütige Zusage trieb seine Sorge in ungeahnte Höhen. Vielleicht sollten sie jetzt gleich…

„Vergiss es!“, unterbrach der Blonde seinen Gedankengang. „Wir machen den Fall zu Ende und dann sehen wir weiter. Entweder ist es eine Erkältung oder ich hab den Engel und seine Art der Beförderung noch nicht verdaut.“

Der Jüngere nickte nur, musterte Dean noch einmal besorgt und schüttelte dann den Kopf. Er würde ihn nicht gegen seinen Willen zu einem Arzt bekommen. Also nahm er sich mal wieder vor, ihn weiter zu beobachten und nach dem Fall auf seine Zusage zu pochen. Vielleicht war es ja wirklich harmlos und er brauchte nur mal ein paar Tage frei. Immerhin hatten sie in den letzten Wochen etliche Fälle gelöst und auch bei Bobby war er nicht wirklich zur Ruhe gekommen, bei den ganzen Schäden, die der Impala gehabt hatte.
 

Sie hatten es sich mit einem Bier auf ihren Betten bequem gemacht und schauten sich ein Spiel an. Sam musterte seinen Bruder immer mal wieder kritisch, doch seit dem Mittagessen war der wieder ganz normal und so konnte auch er sich endlich entspannen.

Plötzlich hörten sie in einiger Entfernung Sirenen heulen. Dieses nervende Geräusch kam schnell näher, blau-rote Lichter zuckten durch ihr Zimmer und dann verklangen auch die Sirenen wieder.

„Verdammt“, knurrte der Blonde und sprang vom Bett.

Auch Sam stand auf, stellte seine noch halbvolle Flasche auf den Nachttisch und griff nach seiner Jacke.

Ohne noch lange nachzudenken liefen sie zum Impala und jagten den Blaulichtern hinterher.
 

Dean hielt hinter den Polizeifahrzeugen. Er warf seinem Bruder einen Blick zu. Sam nickte leicht. Gemeinsam stiegen sie aus,

Auf der Straße, mit Absperrband umschlossen, lag etwas unter einer Plane. Wieder warfen sich die Brüder einem Blick zu.

Ihr Geist hatte wieder gemordet.

„Verdammt!“, knirschte der Blonde erneut, ließ seinen Blick über die weitere Umgebung schweifen, schaute kurz zu Sam und verschwand lautlos in der Dunkelheit.

Sam behielt das Geschehen innerhalb der Absperrung im Auge.
 

Ein weiterer Wagen hielt vor der Absperrung. Die Türen schwangen auf und eine junge, langhaarige Brünette in Lederjacke und Jeans stieg auf der Fahrerseite aus. Allerdings fesselte der Beifahrer Sams Blick viel mehr.

Der Mann schaute sich kurz um, um sich einen Überblick zu verschaffen. Sein Blick blieb an Sam hängen und ein Lächeln legte sich über sein Gesicht. Schnell warf er seiner Partnerin ein paar Worte zu und steuerte dann auf den langen Winchester zu.

„Hallo Sam. Was macht ihr denn hier?“

„Stanton und Sohn, Anwaltskanzlei, hallo Nick. Schön dich zu sehen“, grüßte Sam und hielt ihm die Hand hin.

Der FBI-Agent griff zu und schüttelte sie ihm herzlich.

„Ich dachte ihr meldet euch mal.“

„Gleichfalls“, lachte der Winchester. „Wir hatten viel zu tun. Bist du Terrington-Toulose endlich los geworden?“

„Er hat sich in der Zentrale einen ruhigen Bürojob zuteilen lassen.“

„Und ich dachte schon, du hättest genug von Süßstoff und Knoblauchpulver.“

„Das auch. Aber wo ist Dean?“

Sam ließ seinen Blick kurz in die Dunkelheit schweifen.

„Wir müssen unbedingt reden“, sagte Nick noch, als er seine Partnerin drängend nach ihm rufen hörte. „Wo wohnt ihr?“

„In dem Motel, gleich hier um die Ecke.“

„Okay, wir sehen uns“, sagte der Agent noch, duckte sich dann unter dem Absperrband hindurch und ging zu seiner Partnerin. Gemeinsam schauten sie sich die Leiche unter der Plane an.
 

In der Zwischenzeit hatte der ältere Winchester einen Bogen um den Tatort geschlagen. Er hatte das EMF eingeschaltet. Bislang hatte es noch keinen nennenswerten Ausschlag gegeben.

Er kam gerade wieder auf die Straße als das kleine Gerät in seiner Hand verrückt spielte. Langsam drehte er sich einmal im Kreis, doch die kleinen roten Leuchtdioden zeigten keine Veränderung. Es war ja fast so, als ob er auf dem Geist stand. Er hielt das Gerät nach unten und das Knarzen wurde tatsächlich noch lauter. Er ging in die Hocke, zog sein Feuerzeug aus der Tasche und leuchtete den Boden ab.

Genau vor ihm war ein Hufabdruck.

„Ein kopfloser Reiter“, flüsterte der Blonde ehrfürchtig.

Er drehte sich mit dem EMF noch einmal um die eigene Achse und machte sich dann, den Bogen zu einem Kreis vollendend, auf den Rückweg zu Sam.
 

„Nick ist hier“, wurde er von seinem Bruder empfangen.

„Arbeitet der jetzt hier in Albany?“

„Ich hab keine Ahnung. Wir hatten nicht wirklich Zeit zum Reden. Aber ich habe ihm gesagt wo wir wohnen. Er will so bald wie möglich vorbei kommen.“

„Klingt gut, dann kommen wir auch schneller an Informationen heran.“

Sam nickte. „Hast du was gefunden?“, wollte er gleich darauf wissen.

„Ein paar hundert Meter die Straße runter hat das EMF verrückt gespielt. Ich hab einen Hufabdruck gefunden, der von hier zur Interstate führt. Mehr leider nicht. Es wimmelt hier nur so von Polizei. Ich musste einen ziemlich großen Bogen schlagen. Es ist also doch ein Reiter!“ Deans Augen leuchteten regelrecht, als er den letzten Satz aussprach.

Der Jüngere verdrehte die Augen. So langsam ging ihm Dean mit seinem Hessen auf den Zeiger, auch wenn alles darauf hinzudeuten schien, dass er Recht haben könnte, auch wenn der Typ im Besucherzentrum sagte, es hätte bis jetzt keine Geister gegeben.

„Gibt’s sonst was Neues?“

„Nick hat eine neue Partnerin. Die in der Lederjacke.“

„WOW. War ihm LLTT zu süß? Oder hatte der eine Geschlechtsumwandlung? Dann war das allerdings das beste, was er je tun konnte!“

„Dean!“, schimpfte Sam, musste sich aber ein Grinsen verkneifen. „Der hatte wohl keinen Bock mehr auf Außendienst. Er ist jetzt in der Zentrale.“

Dean warf einen Blick auf die junge Frau und pfiff leise durch die Zähne.

„Nicht schlecht. Die hätte ich auch nicht abgelehnt“, ließ er sich vernehmen und blickte sich dann noch einmal um.

„Lass uns hier abhauen, bevor wir noch zu viel Aufmerksamkeit erregen. Nick wird uns schon mit den nötigen Infos versorgen.“

Der Jüngere nickte und gemeinsam gingen sie zurück zum Impala.

„Wir sollten mal das Wetter und die Mondphasen prüfen“, sagte Dean kaum, dass sie die Türen geschlossen hatten.

„Warum?“

„Heute hat es geregnet. Vielleicht hat er auch eine bestimmte Mondphase, die ihn rauslockt.“

„Ich werd morgen dran gehen“, gähnte Sam.
 

Gleich nach Sonnenaufgang waren die Brüder wieder auf der Straße.

Zuerst fuhren sie zu der Stelle an der Dean in der Nacht den Hufabdruck gefunden hatten. Wenn allerdings das EMF nicht noch ausgeschlagen hätte, wäre er ihnen fast nicht mehr aufgefallen.

Sam schoss ein Foto.

Sie suchten die weitere Umgebung ab, konnten aber keine weitere Spur finden.

„Lass uns zur Fundstelle fahren“, schlug der Jüngere vor. Dean nickte.
 

Sie bückten sich unter dem Absperrband hindurch. Dean schaltete das EMF ein, das sofort rauschend und blinkend zum Leben erwachte, und es führte sie zu einem, halb zertretenen, Hufabdruck.

Auch davon machte Sam ein Bild und blickte sich dann weiter suchend um, den triumphierenden Blick seines Bruders ignorierend. Ja es war ein kopfloser Reiter, aber er war nicht gewillt zuzugeben, dass es der Hesse war.

„Wenn du damit fertig bist breit grinsend in die Gegend starren, könnten wir wieder ins Motel fahren, bevor wir hier vollkommen durchgeweicht werden.“

Wie zur Bestätigung grummelte Deans Magen. Sie hatten nur schnell einen Kaffee getrunken und entschieden vor dem angekündigten Regen nach Spuren suchen zu wollen.

Sie wandten sich wieder ihrem Wagen zu.
 

Gegen Mittag klopfte es an ihrer Zimmertür.

Dean schlug seine Bettdecke über die Waffen, die er darauf verteilt hatte um sie zu reinigen, nahm den Colt und entsicherte ihn. Ein Blick zu Sam und dann zur Tür und ein kurzes Nicken, war die ganze Kommunikation, die nötig war. Sam klappte seinen Laptop zu und ging langsam zur Tür. Vorsichtig öffnete er, warf einen Blick durch den Spalt und entspannte sich.

„Hallo Nick“, grüßte Sam und öffnete die Tür richtig.

Dean entspannte sich und seinen Colt ebenfalls und legte die Waffe wieder neben sich auf das Bett.

Der FBI-Agent betrat, beladen mit einem Tablett mit Kaffee und mehreren Tüten, das Zimmer und schüttelte sich den Regen aus den Haaren.

Er stellte alles auf den Tisch und schaute sich um. Unter der Decke, neben Dean, schaute der Lauf einer Schrotflinte hervor. Er ging darauf zu und blickte den Blonden fragend an. Auf ein Schulterzucken hin hob er die Decke kurz an und warf einen Blick auf das Arsenal.

„Euch möchte ich nicht gegen mich haben“, stellte er ruhig fest. Erinnerte sich aber gleichzeitig daran, dass Dean sich lieber hätte anschießen lassen, als einen Menschen zu töten.

„Solange du bleibst was du bist“, grinste der ältere Winchester. „Was hast du für uns?“

„Bedient euch“, sagte Traven und deutete auf den Tisch.

„Das meinte ich eigentlich nicht“, entgegnete der Blonde.

„Beim Essen redet es sich leichter?“

„Nicht bei Dean. So wie der stopfte, bekommt er kein vernünftiges Wort heraus“, stichelte Sam gutmütig und Dean verdrehte die Augen, stand auf und ging zum Tisch, um den Inhalt der Tüten zu untersuchen.

„Hier, für dich“, sagte er gleich darauf und warf Sam eine Packung Salat samt dazugehörigem Dressing zu. Während er sich daran machte eine Tüte aufzureißen. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen.

„Bring ´ne Gabel mit“, verlangte er und schob sich einen Muffin in den Mund.

Sam riss die Tüte mit dem Dressing auf, öffnete die Packung Salat, kippte das Dressing hinein und schüttelte, nachdem er seinen Salat wieder verschlossen hatte, das Ganze gut durch. Er holte zwei Gabeln und ging zum Tisch zurück.

„Hier“, sagte er und reichte seinem Bruder das Besteck.

Nick starrte ungläubig zwischen den Brüdern hin und her.

„Das ist…“ begann er zögernd.

„Hier ist nicht das Ambiente für Esskultur“, grinste der Blonde und schob sich den nächsten Bissen in den Mund.

„Okay?“

„Was kannst du uns über die Morde sagen?“, fragte Sam.

Nick überlegte eine Weile. Eigentlich hatte er auf Antworten gehofft, doch so einfach ließen sich die beiden wohl nicht zu Aussagen hinreißen. Irgendwie konnte er sie aber auch verstehen. Das was sie machten war nicht gerade dazu geeignet, es ausführlich und jedem auf die Nase zu binden.

„Wir haben bis jetzt fünf Tote. Von den ersten Vieren werdet ihr vermutlich fast alles wissen. Gestern wurde Julie Salling enthauptet. Die Autopsie hat ergeben, dass es die gleiche Waffe war, wie bei den anderen Opfern. Warum sie um diese Uhrzeit auf der Straße war, ermittelt meine Kollegin gerade. Warum sie allerdings an der Stelle angehalten hat und ausgestiegen ist, kann ich nicht sagen.“

Addidas-Turnschuhe

159) Addidas-Turnschuhe
 

„In den Berichten, die uns Detective Agron freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, stand bei allen Opfern eine Todeszeit zwischen 23 und 1 Uhr. Was ist mit ihr?“, fragte Sam.

„Die selbe Zeit.“

Die Brüder warfen sich einen weiteren Blick zu und Dean nickte.

„Könnt ihr das nicht laut bereden?“, grummelte Nick.

Sam grinste und warf seinem Bruder einen weiteren Blick zu und schaute dann zu Nick.

„Wir haben beschlossen uns die Straße zu der Zeit mal anzuschauen“, übersetzte er.

„Was ist es?“, wollte der Agent jetzt wissen.

„Wir vermuten einen kopflosen Reiter.“

„Ihr meint wirklich einen…den Kopflosen Reiter?“

„Wir haben Hufabdrücke am Fundort der letzten Leiche gefunden. Allerdings haben wir keine Ahnung warum er hier aufgetaucht ist oder wer er sein könnte. Wir haben schon alle einschlägigen Archive durchsucht, aber niemanden gefunden, der durch Enthauptung gestorben wäre und wenn es wirklich der Hesse gewesen sein soll, dann ist die Frage, warum er erst jetzt hier herumspukt.“

Nick kratzte sich am Kopf. Er hatte sich nach diesem Fall in der Nähe von Bangor, bei dem er die Brüder kennen gelernt hatte, mehr mit Mythologien befasst. Er kannte die Legenden von Wendigos, Werwölfen und Vampiren und er war geneigt den Brüdern zu glauben, nicht zuletzt, weil er diesen Geisterhund mit eigenen Augen gesehen hatte, aber trotzdem konnte sich sein rationell denkendes Gehirn nicht so richtig mit der Existenz eines mordenden Geistes anfreunden.
 

„Ihr meint wirklich, die Legende ist wahr?“, fragte er deshalb skeptisch. „Ich meine, der Hufabdruck kann sonst wann dahin gekommen sein!“

„Der Hufabdruck war gestern Nacht sehr deutlich und heute morgen schon fast verblasst. Wir haben einen weiteren Hufabdruck gleich neben dem Fundort der Leiche entdeckt. Auch schon fast verblasst und ja, sie können sonst wann entstanden sein. Allerdings hat das EMF regelrecht verrückt gespielt. Das heißt, es war ein Geist“, erklärte Dean ruhig. „Außerdem würde der Regen sie sehr schnell wegwaschen. Es hat gestern geregnet. Über Nacht war es trocken und seit heute Morgen regnet es wieder.

„Und ihr meint, dass die Opfer angehalten haben, weil sie einen Geist gesehen haben?“

„Wohl eher, weil ihr Auto gestreikt hat.“

„Ein Geist bringt Autos dazu stehen zu bleiben?“, jetzt war sich Nick sicher, dass die Jungs übertrieben.

„Wir hatten einen Fall, da hat ein wütender Geist jedes Jahr zur selben Zeit auf dem Highway 41 gespukt. Wenn in dieser Nacht jemand auf dem Highway unterwegs war, dann ist der da gestorben. Und ja, auch der Impala hat an dieser Stelle gestreikt.“

„Okay. Ich gebe mir Mühe, euch zu glauben, auch wenn es nicht besonders einfach ist“, gab sich der Agent geschlagen. „Was braucht ihr um das zu beenden?“

„Wir haben keine Ahnung. Wir könnten eine Seance abhalten und ihn beschwören. Allerdings halte ich das bei einem wütenden, säbelschwingenden Geist für keine gute Idee, zumal es keinen festen Ort gibt, an dem er erscheint. Mal mordet er auf der Interstate mal auf dem Loop. Im Moment bleibt uns wirklich nur, ihn persönlich zu sehen. Wir wissen ja, was passieren wird und können uns wehren.“ Sam zuckte mit den Schultern. Solange sie nicht wussten wer ihr Geist war, waren ihre Möglichkeiten tatsächlich begrenzt.
 

„Was machst du jetzt eigentlich hier? Haben sie dich nach Albany versetzt?“, wollte Dean wissen.

„Die Zentrale war der Meinung, dass die örtlichen Kollegen wohl Unterstützung in dem Fall brauchen würden. Wir haben inzwischen fünf Leichen ohne Kopf und noch keinen Verdächtigen, deshalb haben sie mich hierher geschickt. „Und warum seid ihr dieses Mal bei einer Versicherung?“

„Dean war der Meinung, dass wir vor der Nase des FBI nicht unbedingt als FBI auftreten sollten.“

„Ihr habt … Nein, ich will überhaupt nicht wissen, als was ihr schon alles unterwegs ward. Solange ihr damit Menschenleben rettet werde ich mich nicht einmischen“, hob er lachend die Hände. Er wollte noch etwas fragen, doch das Klingeln seines Handys unterbrach ihn.

„Ich muss los. Meine Partnerin meint etwas gefunden zu haben. Ihr haltet mich auf dem Laufenden?“

Die Brüder nickten. Sam geleitete den Agenten aus dem Zimmer.
 

Gemütlich rollte der Impala den Wrights Loop entlang. Dean bog auf die Interstate ab und schloss den Kreis, als er wieder in den Loop einbog. Sie drehten jetzt schon die 9. Runde.

„Wie lange wollen wir das noch machen?“, fragte Sam.

„Warum versuchst du nicht einfach zu schlafen? Oder ich setze dich im Motel ab. Auto fahren kann ich auch allein!“, grummelte Dean.

„Und was machst du wenn der Geist plötzlich kommt?“

„Ich kann auch alleine mit einem Geist fertig werden! Ich habe auch schon alleine gejagt, nachdem du…“, Der Rest ging in einem Grummeln unter.

„Sprich es ruhig aus: Nachdem ich abgehauen war.“

„Sam bitte, ich will mich nicht mit dir streiten. Das ist lange vorbei und wir sind auch keine Teenager, die sich wegen jedem Wort in die Wolle kriegen müssen.“

Sam holte tief Luft, rutschte in seinem Sitz etwas tiefer und schloss seine Augen. Morgen würde er sich seinen Laptop mitnehmen!
 

Zwei Nächte lang geschah nichts. Deans Theorie, dass es mit dem Wetter zu tun haben könnte, hatten sie inzwischen auch beerdigt. Sie hatten sich noch einmal mit Nick Traven getroffen, doch auch der konnte ihnen keine neuen Hinweise geben, genauso wenig wie anders herum.
 

Jetzt saßen sie, ziemlich gereizt, wieder im Impala und drehten ihren Runden. Dean trommelte den Takt von Led Zepplin auf dem Lenkrand mit und Sam starrte aus dem Fenster. Er wollte nicht schon wieder etwas sagen. Sie hatten sich den halben Tag lang angezickt. Sie hatten alle Möglichkeiten ausgeschöpft, den Ursprung des Geistes zu finden. Es gab keine Erzählungen über einen kopflosen Reiter in dieser Gegend, außer die von dem Hessen. Aber wenn ein Anderer seit 1771 kopflos hier lag, dann hätte der Geist schon früher einmal herumspuken müssen. Sie hatten sämtliche Friedhöfe abgesucht, ob es irgendwann in letzter Zeit Grabschändungen gegeben hatte, bei denen ein Schädel gestohlen worden war. Was zwar noch nicht erklärt hätte, warum dieser Kopflose auf einem Pferd daher kam, aber auch diese Spur hatte sich zerschlagen.

Dean war den ganzen Tag fahrig und zappelig gewesen und das nervte Sam zusätzlich. Er kam sich vor wie ein Hamster im Rad oder Don Qichote.
 

Plötzlich rauschte das Radio und der Impala stotterte kurz und ging aus.

Sofort blickten sich die Brüder um, konnten aber keinen Geist sehen. Leise fluchend lenkte der Blonde den Wagen an den Straßenrand. Er holte die Schrotflinte unter seinem Sitz hervor, legte sie auf seine Oberschenkel und starrte weiter angestrengt in die Dunkelheit.

Nichts geschah.

Dean stieg aus. Sich weiterhin sichernd umschauend ging er nach vorn und öffnete die Motorhaube. Vielleicht gab es ja wirklich doch ein Problem am Wagen, obwohl er das nicht glaubte.

Auch Sam stieg ebenfalls aus und schaute sich um.

Er gab einen leisen Pfiff von sich und bedeutete seinem Bruder zu lauschen, als der zu ihm blickte.

Kurz konzentrierte sich der Blonde, dann nickte er. Auch er hörte den leisen Hufschlag, der von der Kurve kurz hinter ihnen zu kommen schien.

Mit wenigen Handbewegungen erklärte Sam, dass er nachschauen gehen würde. Dean schüttelte vehement den Kopf. Er würde gehen und Sam beim Wagen bleiben, doch der Jüngere ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen und lief einfach los.

Wieder fluchte Dean leise. Er schloss die Motorhaube und lauschte weiter angestrengt in die Dunkelheit.

Plötzlich kam der Hufschlag nicht mehr von hinten sondern von vorn.
 

Sam stoppte und sah sich irritiert um. Immer wieder schaute er nach vorn, von wo der vermeintliche Gegner eben noch hätte kommen müssen und zurück zu seinem Bruder, der seelenruhig am Impala lehnte.

Und dann tauchte eine schemenhafte Gestalt, ein paar hundert Meter vor Dean, auf. Schnell kam er näher und wurde deutlicher.

Ein echter kopfloser Reiter.

Jetzt war auch Sam überzeugt, dass es sich um den Hessen handeln musste.

Selbst von hier aus konnte er den weißen Dampf sehen, den das Pferd aus den Nüstern blies. Ein weißer Umhang blähte sich hinter dem Reiter im Wind.

Mit unmenschlicher Geschwindigkeit näherte er sich Dean und dem Wagen und der Blonde stand noch immer tatenlos da.

„Dean!“, brüllte Sam und rannte los.

Er wusste, dass er zu spät kommen würde und doch musste er versuchen Dean vor dem säbelschwingenden Reiter zu erreichen.
 

Der ältere Winchester war wie erstarrt und blickte dem Geist entgegen. Er wollte die Schrotflinte hochreißen und dem Hessen wenigstens für einen Augenblick vom Antlitz dieser Erde vertreiben. Dean wusste seinen kleinen Bruder hinter sich. Ein ungeschütztes Ziel, selbst wenn der Reiter ihn nicht treffen würde.

Doch die Waffe in seiner Hand schien Tonnen zu wiegen. Er schaffte es nicht, den Arm zu bewegen.

Der Reiter war nur noch ein paar Pferdelängen entfernt.

Ruhe breitete sich in Dean aus.

Er würde hier sterben! Ermordet von einem kopflosen Reiter, und das nur, weil er seine Waffe nicht heben konnte! Wenn das keine Ironie des Schicksals war, dann wusste er es auch nicht.

Sein Herz schlug immer hektischer. Mit großen Augen starrte er seinem Tod entgegen.

‚Tut mir Leid, Sammy.’ Jetzt musste sein kleiner Bruder zum zweiten Mal mit ansehen, wie er ermordet wurde. Doch dieses Mal würde es keine Ruby geben, die ihn retten konnte.
 

Der Reiter schwang seinen Säbel.

Das Gewicht der Schrotflinte in seiner Hand normalisierte sich, Dean riss sie hoch, ließ sich auf sein Hinterteil fallen und schoss.

Sam war stehen geblieben und hatte seine Waffe ebenfalls in Anschlag gebracht. Kurz bevor er den Abzug betätigen konnte, zerplatzte der Geist regelrecht.

Noch immer waren seine Augen auf die Stelle gerichtet an der der Geist verschwunden war.

„Dean!“, brüllte er in die Dunkelheit. Was war mit seinem Bruder? Warum regte der sich nicht? War er verwundet?

Er begann zu rennen.

„Dean!“, sagte er noch einmal laut und wäre fast über dessen Beine gestolpert, als er um den Wagen biegen wollte.

Der Blonde reagierte nicht. Schnell ging er vor ihm in die Hocke und musterte ihn besorgt.

„Dean?“

„Der hatte Adidas-Turnschuhe an!“, erklärte der Ältere mit geschlossenen Augen.

Um nichts in der Welt würde er zugeben, was gerade passiert war. Auf keinen Fall wollte er seinen Bruder sagen, dass seine Waffe plötzlich viel zu schwer für ihn gewesen war. Sam würde ihn sofort in ein Krankenhaus schleifen und davor hatte er mehr Angst als vor dem Tod.

Sam starrte ihn ungläubig an. Wieso redete Dean jetzt von Turnschuhen?

„Dean! Der Geist hätte dir fast den Kopf abgeschlagen! Was war los mit dir? Wieso hast du nicht schon viel eher geschossen?“

„Er hatte Adidas-Turnschuhe an!“, wiederholte er und stemmte sich in die Höhe. Mit wackeligen Knien stand er vor Sam und blickte seinem Bruder ins Gesicht. Die Sorge, die der sich um ihn gemacht hatte, konnte er noch viel zu deutlich in dessen Zügen sehen.

Beschämt senkte er den Blick. Sammy sollte sich nicht um ihn sorgen müssen.

„Du willst mir jetzt nicht erklären, dass du dich für Turnschuhe hättest umbringen lassen!“, fauchte der Jüngere wütend.

Der Blonde hatte sich wieder gefangen. Sein Herz schlug ruhig in seiner Brust und seine Atmung ging normal.

Er verdrängte diesen Vorfall, so wie er alles verdrängte, was er nicht erklären konnte oder wollte und ging zur Tagesordnung über.

„Es ist nicht der Hesse. Er trug Turnschuhe und ein T-Shirt mit der Jahreszahl 1987.“

„Verdammt noch mal, Dean! Er hätte dich fast getötet!“, brüllte Sam seinen Bruder an. Wie konnte der so tun, als ob alles normal wäre? Das war es nicht!

„Ich lebe aber noch und ich sehe nicht ein, warum du unbedingt darauf rumhacken musst, dass etwas fast passiert wäre.“

„Eben weil es FAST passiert ist.“

„Fast, Sammy, fast!“

„Du bist so ein Arschloch, Dean! Ich habe mir Sorgen um dich gemacht und jetzt komme mir nicht wieder mit „Es ist deine Aufgabe dir um mich Sorgen zu machen!“ Das ist es nicht! Ich bin genauso dein Bruder und mache mir um dich Sorgen!“

„Sammy, ich …“ Dean schluckte hart. Er wollte nicht, dass sein kleiner Bruder sich um ihn sorgte.

„Vergiss es, Dean!“, wütend wandte er sich ab und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen.

Der Blonde holte tief Luft und rutsche dann hinter das Lenkrand.

In eisigem Schweigen fuhren sie zu ihrem Motel zurück.

Eine Spur

160) Eine Spur
 

Auch der nächste Tag begann mit diesem Schweigen.

„Sam es…“, begann der Blonde beim Frühstück mit einer Entschuldigung.

„Spar dir deine lahmen Ausreden, ich will nichts hören!“, kanzelte er den Älteren rüde ab.

Dean schluckte. Sam schmollte noch immer. Er hatte es schon gehasst, wenn sein Bruder das gemacht hatte, als sie noch Kinder waren. Damals ging es meistens darum, dass er, zumindest nach Sams Verständnis, immer auf Johns Seite gestanden hatte.

Er wagte noch einen Blick auf Sam, denn dessen gesamte Haltung drückte Ablehnung aus.
 

Nach dem frostigen Frühstück verzog sich jeder hinter seinen Laptop und begann mit der Suche. Dean wäre zwar viel lieber noch einmal zu der Stelle gefahren, wo ihnen der Reiter begegnet war, doch er traute seinem Körper nicht mehr.

Sollte das wirklich eine Erkältung werden? Die Symptome passten schon, aber müsste er dann nicht endlich mehr merken, als nur Kopf- und Gliederschmerzen und diese Mattigkeit? Müssten dann nicht auch irgendwann mal Fieber und eine Triefnase dazukommen? Oder hatte er sich was anderes eingefangen? Vielleicht eine Kinderkrankheit? Welche hatte er denn schon gehabt?
 

Immer wieder warf Sam seinem Bruder einen kurzen Blick zu. Es schien ihm wirklich leid zu tun, dass er gestern Nacht so spät reagiert hatte, nur um seinen Kick zu bekommen. Aber so wirklich neu war das bei ihm ja eigentlich nicht. Hin und wieder brauchte sein Bruder wohl so eine Kamikaze-Aktion.

Trotzdem war es nicht richtig gewesen, auch wenn es ihnen vielleicht neue Hinweise gebracht hatte.
 

„Dean?“, fragte er leise.

Der Ältere schaute auf. Grüne Augen suchten den Weg in braune und Sam lächelte. Sein Bruder benahm sich fast wie ein Kind, das etwas ausgefressen hatte.

„Du sagtest Adidas-Turnschuhe und ein T-Shirt mit der Aufschrift 1987. Hast du noch mehr erkennen können?“

„Nein, ich …“ Der Blonde schloss die Augen und versuchte den Geist vor seinem inneren Augen wieder auferstehen zu lassen.

„Ich glaube er hatte ein breites Lederarmband um das rechte Handgelenk. Aber ich bin mir nicht sicher“, antwortete er nach einer Weile.

Wieder machte sich Schweigen im Zimmer breit. Doch dieses Schweigen war nicht mehr so feindselig, wie noch vor Minuten.

„Was, wenn er gar nicht gestorben ist?“, fragte der Blonde plötzlich.

„Spinnst du? Er war ein Geist! Geister sind tot!“, konterte Sam irritiert.

„Ja, aber was wenn er nicht offiziell gestorben ist?“

„Wie kommst du denn darauf?“

„Wir suchen die ganze Zeit nach einem Mord oder überhaupt nach einem Toten hier aus der Gegend und finden nichts.“

„Ich hab meine Suche schon auf die angrenzenden Staaten ausgeweitet“, sagte Sam und nickte. Dean hatte Recht. Bis jetzt hatte er kein enthauptetes Mordopfer gefunden.

„Was, wenn er für die Öffentlichkeit nicht gestorben ist?“, spann Dean seinen Gedanken weiter. „Er könnte als vermisst gelten. Vielleicht haben sie ihn nicht mal hier ermordet, sondern nur hier abgeladen.“

„Aber wer würde mit einer Leiche im Kofferraum quer durch das ganze Land fahren?“, gab Sam zu bedenken.

„Menschen sind komisch!“

„So komisch nun auch wieder nicht! Aber du könntest Recht haben. Konzentrieren wir uns auf die Vermissten ab 1987. Konntest du sehen, was das für er T-Shirt war?“

„Highschool oder Collegeabschluss, würde ich vermuten.“

„Okay, dann suchen wir mal danach und Dean?“

„Ja!“, der Blonde blickte wieder von seinem Rechner auf.

„Mach so was nie wieder! Ich hatte dich wirklich schon kopflos in deinem Blut liegen gesehen.“

„Okay“, nickte der Ältere. Er musste so eine Aktion wirklich nicht noch einmal haben. Aber das würde er Sam nicht sagen.

Sofort hakte sich der Jüngere in die Vermisstendatei der Polizei und Dean zog sein Handy hervor.

„Hey Nick. Kannst du uns eine Datei der ungeklärten Vermisstenfälle ab 1987 in diesem Staat besorgen?“, platzte er mit seinem Anliegen hervor, kaum dass der Agent abgenommen hatte.

„Habt ihr einen Hinweis?“, wollte Nick auch sofort wissen.

„So kann man das nicht sagen, aber vielleicht haben wir den, wenn wir die Liste haben.“

„Das werden aber eine Menge sein“, gab Traven zu bedenken.

„Ich denke er ist männlich, hellhäutig und etwa zwischen zwanzig und fünfzig.“

„Hier aus diesem Staat?“

„Ja, erstmal alle hier in der Gegend Vermissten. Wenn wir damit nicht weiter kommen, dann müssen wir die Suche ausweiten.“

„Aber ihr sagtet, es wäre ein Geist! Muss der dann nicht zwangsläufig tot sein?“

„Schon, aber er muss es nicht in oder für Öffentlichkeit sein.“

„Okay. Ich bring euch die Datei heute Abend vorbei. Was haltet ihr von einem Bier?“

„Klingt gut Nick. Danke.“

Der Blonde legte auf.

„Nick bringt uns die Liste heute Abend“, gab er die Info an Sam weiter.

„Hellhäutig?“, wollte der wissen, nachdem er kurz genickt hatte.

„Ja. Er sah nicht aus, als wäre er zu Lebzeiten schwarz gewesen.“

„Wieder ein Hinweis, der die Suche etwas eingrenzt.“

„Ich besorg uns was zu Essen, oder willst du mitkommen?“, wollte Dean wissen.

„Ich komme mit. Ich brauche Bewegung.“ Sam stand auf, streckte sich und massierte dann seinen schmerzenden Nacken. Einen ganzen Tag vor dem Laptop sitzen, machte sich schmerzhaft in seiner Muskulatur bemerkbar.

Außerdem wollte er seinen Bruder nicht alleine fahren lassen, denn so ganz nahm er es ihm nicht ab, einfach nur weil er den Geist ganz nah sehen wollte oder er den Nervenkitzel brauchte, so spät abgedrückt zu haben. Irgendetwas stimmte immer weniger mit seinem Bruder und er würde schon noch dahinter kommen. Und wenn es wirklich nur eine Erkältung wäre, dann würde er sich auch um ihn kümmern, bis er wieder fit war.
 

Die Brüder waren schon eine Weile zurück in ihrem Zimmer, als es klopfte.

Dean rutschte vom Bett und öffnete.

„Hey Nick“, grüßte er, schob die Tür noch etwas weiter auf und nahm den FBI-Agenten den Sechserpack Bier ab.

„Ich hab hier die Datei“, sagte Traven und hielt einen Stick hoch.

Sam schloss die Seite die er gerade gelesen hatte, stand auf und nahm das Teil in Empfang. Sofort schloss er ihn an seinen Laptop an und rief die Vermisstenliste auf.

„Dean?“, fragte er nur und schaute zu seinem Bruder. Dean hatte einfach die bessere Auffassungsgabe. Was der so alles sah, war phänomenal. Ihm fiel meist schon auf den ersten Blick auf, was an einem Suchbild nicht stimmte. Nicht dass Sam sich hinter seinem Bruder verstecken müsste, oder es einem Außenstehenden wirklich auffallen würde, aber Dean war meist die eine entscheidende Sekunde schneller.

Außerdem hatte der den Geist genau vor der Nase gehabt.

Der Blonde nickte, nahm sich eine Flasche Bier und setzte sich vor den Rechner.

Langsam ging er die einzelnen Bilder und danach die Beschreibungen durch.

„Was macht er da?“, wollte Nick wissen.

„Er sucht nach unserem Geist.“

„Aber woher will er wissen, wie der aussah. Ich denke der ist kopflos?“

„Das schon, aber wir sind ihm gestern Nacht begegnet.“

„Ihr habt den Kopfloser Reiter gesehen?“, staunte der Agent.

„Wir haben einen kopflosen Reiter gesehen, ja. Der kopflose Reiter, der Hesse, war es nicht.“
 

„Ich bin mir nicht sicher“, sagte Dean nach einer ganzen Weile und rieb sich die Augen.

„Ich tippe auf einen der Beiden hier, aber es könnte auch einer dieser vier sein.“ Er zog die entsprechenden Bilder auf den Bildschirm. Die kamen vom Körperbau dem Körper am Nächsten, den er auf dem Pferd gesehen hatte.

„Warum die?“, wollte Sam wissen und klickte die Bilder von Deans Favoriten wieder nach oben.

„Keine Ahnung. Er hatte ein College-Shirt an, das dem hier“, er zeigte auf eins der Fotos auf dem Bildschirm, „ziemlich ähnlich sah, aber sonst?“ Dean zuckte mit den Schultern.

Sam nickte und las sich die Angaben der Männer durch.

Nick schaute irritiert zwischen den Brüdern hin und her. Dean hatte keinen wirklichen Grund genannt, warum es dieser eine und die anderen nicht waren und doch nahm Sam das als gegeben hin.

„Patrick Fink, 1958 in Albany geboren. Er hat sein Medizinstudium 1987 abgeschlossen und ist zwei Jahre später zu ´Ärzte ohne Grenzen´ gegangen. Von dort ist er 1997 wieder zurückgekommen und hat sich in einer Klinik in Saratoga Springs beworben. Diese Stelle hat er jedoch nie angetreten. Der Zweite ist Ken Wang, Sohn chinesischer Einwanderer, 1969 geboren. High School Abschluss 1987, danach College und anschließend Studium der Architektur. Er ist in seinem ersten Studienjahr verschwunden, im März 1992, also vor 17 Jahren.“ Er blickte zu Dean. „Nehmen wir uns erstmal die vor?“

Der Blonde nickte.

„Warum die?“, wollte der Agent jetzt doch wissen.

„Ich…“ begann der Blonde unsicher und zuckte dann wieder nur mit den Schultern.

„Auf Deans Instinkte ist Verlass“, erwiderte Sam ruhig. „Ich hab es auch nie glauben wollen, aber er findet Spuren, die nicht da sind und liegt damit auch noch richtig.“ Er grinste seinen Bruder an, der sich unter dem Lob schon wieder wand, wie ein Aal an der Angel.

„Es ist wahr Dean. Ich denke da nur an die Hexe in Grady!“

„Das war Zufall!“

„Einmal ist Zufall, ja, aber bei dir schlägt der Zufall ziemlich oft zu!“

„Auch das ist Zufall!“

„Ja klar. Nichts muss besser geplant sein, als der Zufall. Nimm doch einfach mal ein Lob an. Du bist gut, mehr als gut und du hast schon unzähligen Menschen das Leben gerettet!“

„Ich weiß.“ Der Blonde grinste breit.

„War ja klar, dass du das jetzt annimmst.“ Warum musste sein Bruder sich auch immer wieder über die geretteten Leben definieren? Und warum war er so blöd gewesen, genau diesen Punkt jetzt ins Feld zu führen? Verdammt! Es sollte doch ein Lob für Dean sein und nicht für seine Leistungen!

„Lässt du mich dran?“, fragte er und deutete auf den Laptop. Schnell erhob sich der Blonde und ging zu seinem Bett.

„Wo willst du anfangen?“, wollte er noch wissen.

„Mal sehen, bei wem ich zuerst was finde und einen erreiche.“

Während Sams Finger über die Tastatur flogen ließ Dean sich auf seinem Bett nieder und nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche.

„Was habt ihr in den letzten Monaten gemacht?“, fragte der Agent und Dean berichtete, nachdem er kurz den Blickkontakt mit seinem Bruder gesucht hatte, von ihrem Wildwest-Abenteuer. Sams Gedächtnisverlust kommentierte er dabei vollkommen emotionslos und man musste ihn schon sehr gut kennen, um heraushören können, wie weh ihm das trotz Allem noch immer tat. Sam schluckte hart und konzentrierte sich schnell wieder auf seine Recherchen. Er wollte nicht darüber nachdenken, wie weh er seinem Bruder getan hatte.

„Wie läuft’s bei dir?“, wollte der ältere Winchester danach von Nick wissen.

„Ich habe mehrere ungeklärte Unfälle in einem Hochhaus in Dallas. Ein Opfer ist im Krankenhaus verstorben. Die Kollegen haben keine Ursache feststellen können. Immer wenn ein Ermittler eingetroffen war, funktionierte alles wieder perfekt. Die Opfer haben keinen Berührungspunkt, außer ihrer Arbeitsstelle und auch in deren Umfeld konnten wir nichts ermitteln. Selbstmordgefährdet war auch keiner.“

„Sollen wir uns das mal ansehen?“, wollte der Blonde wissen.

„Es tritt periodisch auf. Ein- vielleicht zweimal im Jahr.“

„Zu diesen Zeiten wurde da aber keiner entlassen, oder?“, wollte der Blonde wissen.

„Nein, warum?“

Dean berichtete von dem Fall in Naples und das Sammy ihm das Leben gerettet hatte. Der Agent schüttelte nur den Kopf. Mit Geistern hatte er sich halbwegs anfreunden können. Immerhin hatte er einen zu Gesicht bekommen. Aber das auch die Märchen einen realen Hintergrund haben konnten, war doch noch sehr utopisch für ihn.

„Also, was ist?“, hakte Dean nach.

„Wenn es wieder auftritt, sage ich euch Bescheid.“

„Ich hab die Adressen von zwei ehemaligen Freunden von Fink, die noch in Saratoga Springs leben. Da könnten wir morgen hinfahren“, schaltete sich Sam in die Plauderei ein. Sein Bruder nickte nur.

„Nach dem Wang such ich noch.“

Die zweite Begegnung

161) Die zweite Begegnung
 

Endlich klappte Sam seinen Rechner zu und setzte sich mit einem Bier zu ihnen.

„Läuft das immer so bei euch?“, wollte Nick wissen.

„Wie, so?“

„Recherchiert ihr beide?“ Immerhin lag ein zweiter Laptop auf Deans Bett und der Ältere hatte ihn weggelegt, bevor er sich auf seiner Schlafgelegenheit niedergelassen hatte.

„Je nachdem“, antwortete Sam, „meistens recherchiere ich und Dean fährt. Er ist eh mehr fürs Praktische und mag das ganze Herumsitzen nicht so. Aber letztendlich ist er genauso gut wie ich.“

„Mit Luca haben wir uns das auch immer geteilt. Meine Partnerin hab ich erst seit diesem Fall. Mal sehen, wie sie sich schlägt.“

Sie sprachen noch eine Weile über Alltägliches, dann verabschiedete sich der Agent und die Brüder fuhren essen und machten sich dann wieder auf ihre Patrouilletour den Loop und die Interstate entlang.

In dieser Nacht blieb alles ruhig.
 

„Das nächste Mal kannst du solchen Touren alleine machen!“, schimpfte der Blonde und warf sich noch im Anzug auf sein Bett. „Ich hab es satt!“

„Du willst mich alleine ermitteln lassen?“, hakte Sam breit grinsend nach.

„Nein! Ich hab nur dieses Leute ausfragen satt!“

„Aber das gehört zu unseren Ermittlungen dazu.“

„Ich wusste, da war ein Haken!“, stöhnte der Blonde theatralisch und streifte sich die Schuhe von den Füßen.

„Du solltest dich umziehen, bevor der Anzug noch mehr Falten bekommt.“

„Du gönnst mir auch keine Ruhe“, knurrte Dean und stand wieder auf.

„Warum auch? Bevor du wieder in die Waagerechte fällst: Wir haben nichts zu essen hier.“

„Ist ja schon gut!“ Kaum hatte sich Dean umgezogen, verschwand er schon wieder aus dem Zimmer und keine Minute später hörte Sam das Grollen des Impalas.

Der Winchester grinste. Er wusste nur zu gut, wie ungern Dean Klinken putzte und Hinterbliebene oder Freunde von Opfern befragte. Immer wieder rissen sie dabei die gerade erst verheilenden Wunden neu auf und trafen auf Trauer, Wut und Unverständnis, was das Geschehene betraf.

Diesmal ermittelten sie zwar nur wegen einer vermissten Person, doch nach so langer Zeit konnte man auch davon ausgehen, dass die tot war und so hatte sie auch hier mit Trauer zu tun und der Hoffnung, Gewissheit zu bekommen, die sie sofort wieder zerstören mussten.

Hier lag zumindest im Fall von Patrick Fink alles etwas anders. Der hatte nach seinem Bewerbungsgespräch und der Zusage für den Job wohl mit seiner Freundin, die er in Afrika kennengelernt hatte, telefoniert und sich mit ihr ausgesprochen und war Hals über Kopf zurück zu ihr geflogen. Erst Wochen später hatte er sich bei seiner Familie gemeldet und ihnen von dem Telefonat, der Freundin und seiner überstürzten Rückreise nach Afrika gebeichtet. Die Eltern hatte die Vermisstenanzeige bei der Polizei zurückgezogen. Die hatte aber wohl vergessen den Fall auch offiziell als abgeschlossen zu führen.

So wie die Eltern ihnen berichtet hatten, führte Patrick ein glückliches Leben als Arzt in Afrika, war inzwischen verheiratet und hatte zwei Kinder.

Den konnten sie als ihren Rachegeist also ausschließen.

Nach einem kurzen Mittagessen waren sie zum College für Architektur gefahren, das Wang besucht und wo er in einem der Wohnheime gewohnt hatte. Sie hatten sich durch das halbe Archiv wühlen müssen, um die Namen von Klassenkameraden und Mitbewohner und die Eltern zu finden, da Mitte der 90er Jahre der Hauptrechner in der Verwaltung des Colleges abgestürzt war und sie nur das damals Nötigste wieder eingegeben hatten. Der Rest sollte irgendwann mal wieder aufgenommen werden, doch bei dem Vorhaben war es dann auch geblieben.
 

Der restliche Abend verlief ruhig, bis Deans Handy klingelte.

„Ja?“, nahm er ab.

„Nick“, flüsterte er um Sam mitzuteilen, wen er da am anderen Ende hatte.

„Verdammt!“, schimpfte der Blonde. „Wir wollten gerade los. Wo?“

„Er hat wieder zugeschlagen“, informierte er Sam nebenbei.

„Okay. Wir sind gleich da.“ Er legte auf und stopfte das Handy wieder in seine Hosentasche.

„Er hat schon wieder gemordet“, sagte er niedergeschlagen.

Sam holte tief Luft. „Selbst wenn wir schon vor einer Stunde losgefahren wären, es war Zufall, dass wir ihn getroffen haben. Wir hätten die Stelle gerade passiert haben können, oder wären auch zu spät gekommen. Dean! Egal wie, wir hätten nicht wirklich etwas tun können!“

Dean ließ den Kopf hängen. Er wusste, dass sein Bruder Recht hatte und doch fühlte es sich nicht richtig an.
 

Kaum waren sie am Tatort angekommen, machte sich der Blonde mit dem EMF auch schon auf die Suche, während Sam darauf wartete, dass Nick mit seiner ersten Untersuchung fertig werden würde.

Gelangweilt stand er an den Impala gelehnt. Das konnte wohl noch eine Weile dauern und von Dean war auch noch nichts zu sehen.
 

Endlich war Nick fertig, bückte sich unter dem gelben Absperrband hindurch und ging zu Sam.

„Susan Johnson, 29, schwarz. Die gleiche Vorgehensweise, wie bei den anderen Opfern. Und jetzt tu mir den Gefallen und fahr den Impala ein Stück außer Sichtweite, damit es so aussieht als hätte ich dich erfolgreich verjagt“, sagte der Agent schnell. Sam grinste kurz und faltete sich hinter dem Lenkrand zusammen. Er ließ den Motor an, wendete und fuhr davon. Außer Sicht der Beamten hielt er wieder an, um auf seinen Bruder zu warten.
 

Es dauerte noch fast eine Stunde, bis Dean endlich neben dem Wagen aus der Dunkelheit trat, gegen die Scheibe der Fahrerseite klopfte und seinen Bruder so zum Zusammenzucken brachte.

„Dean!“, knurrte der Jüngere leise, öffnete die Tür und stieg aus.

„Warum stehst du hier?“

„Nick hat mich gebeten wegzufahren, als offiziellen Grund für unsere kurze Unterhaltung. Das Opfer hieß Susan Johnson, Afroamerikanerin und 29 Jahre alt und was hast du?“

„Einen weiteren Hufabdruck Richtung Westen. Das EMF reagiert stark. Ich bin der Spur ein Stück gefolgt.“

„Du meinst, wir sollten ihr weiter folgen. Vielleicht finden wir so seinen Ursprungsort?“

„So in etwa.“

„Jetzt sofort?“, fragte Sam wenig begeistert.

„Du bist doch immer für Spaziergänge.“

„Aber nicht unbedingt im Dunkeln und in unbekanntem Gelände.“

„Ich weiß nicht, wie lange die Spuren erhalten bleiben werden“, gab Dean zu bedenken und Sam stimmte zögernd zu. „Lassen wir den Impala hier?“, wollte er noch wissen.

„Ich denke, wir sollten mein Baby ins Motel bringen. Da fällt sie keinem auf und wir sind dann offiziell auch da.“
 

Gesagt, getan. Eine knappe Stunde später liefen sie die Interstate entlang und hofften, die Spur des Reiters wieder zu finden.

Sie mussten nicht lange gehen, bis das EMF die bekannten Geräusche von sich gab. Die Spur führte weiter westwärts, zum Nationalpark hin.

Sie überquerten den schmalen Bach. Dahinter fanden sie einen weiteren, diesmal sehr tiefen Hufabdruck in der weichen Erde, der ihnen zeigte, dass sie richtig waren.

Schweigend gingen sie nebeneinander her, bis sie an den Rand des Creeks kamen, der irgendwo unter ihnen in der Dunkelheit dahin floss. Das EMF spielte verrückt, sodass Dean es ausschalten musste.

Sie verständigten sich stumm, dass Dean Bach aufwärts und sein Bruder Bach abwärts weiter gehen würden und machten sich auf den Weg.
 

Eine merkwürdige Stelle erregte Deans Aufmerksamkeit und er ging näher heran.

„Sam“, rief er nach seinem Bruder. „Ich hab hier was.“

Er schob ein paar Grasbatzen beiseite, als Sam neben ihm zum Stehen kam.

„Was?“, wollte der Jüngere sofort wissen und richtete den Strahl seiner Taschenlampe ebenfalls auf den Boden.

„Das sieht wirklich merkwürdig aus.“ Er hockte sich neben Dean und begann ebenfalls vorsichtig zu wühlen.

Plötzlich quiekte Dean erschrocken, erhob sich und wich langsam rückwärts aus. Den Blick seiner weit aufgerissenen Augen hatte er starr auf das in Angst erstarrte Gesicht einer Frau gerichtet, von dem er gerade die Erde weggeschoben hatte.

Er trat auf eine Wurzel. Sein Fuß rutschte ab und er fiel nach hinten.

Hart schlug sein Schädel gegen einen Stein.

„Dean?“, fragte Sam besorgt und ging, als der sich nicht rührte zu ihm.

Der Blonde lag mit offenen Augen da und starrte in den dunklen Himmel.

Erleichtert atmete Sam auf, als er sah, dass sein Bruder nicht bewusstlos war.

„Dean“, fragte er noch einmal. Wieder bekam er keine Antwort. Er hockte sich neben den Älteren, legte ihm seine Hand auf die Schulter und schüttelte ihn leicht.

Dean blinzelte, dann wanderten sein Blick zu Sams Gesicht. Es war kein Erkennen darin.

‚Gehirnerschütterung?’, diagnostiziert Sams Verstand und er hielt ihm seine Hand vor sie Augen.

„Wie viele Finger siehst du?“

Verzweiflung machte sich in dem Blonden breit. Das Wort wollte ihm einfach nicht einfallen. Aber vor seinem Geburtstag war er genau so alt gewesen! Unbewusst ahmten die Finger seiner rechten Hand die Geste nach.

Sam sah es. Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht mit seinem Bruder!

„Verdammt! Dean! Was ist los?“ Bevor der jedoch antworten konnte, riss er seine Augen noch weiter auf und starrte ängstlich auf einen Punkt hinter dem Jüngeren.

Sam drehte sich um, sah den Reiter und fluchte leise. Seine Schrotflinte lag außerhalb seiner Reichweite. Er griff umständlich nach Deans Waffe. Die hatte der, zum Glück, bei seiner Flucht in der Hand behalten und erst bei seinem Sturz fallen gelassen. Er zielte kurz und drückte ab.

Der Schuss zerriss die Stille der Nacht. Gleich darauf verschwand der Geist.

Schnell wandte er sich wieder seinem Bruder zu, doch der hatte die Gelegenheit zu einer weiteren Flucht genutzt. Er sah noch, wie er zwischen den Bäumen verschwand. Gleich darauf war ein erstickter Schrei und leises Poltern zu hören. Er lief zu der Stelle, an der sein Bruder verschwunden war.

Wie hatte der es überhaupt so schnell geschafft, wieder auf die Beine gekommen?

„Dean!“, rief er, bekam jedoch keine Antwort.

Er leuchtete den Boden ab. Kurz vor ihm fiel dieser zum Creek hin ein ganzes Stück ab und er sah eine Spur plattgedrückten Grases nach unten führen. So schnell wie möglich folgte er dieser Spur und fand seinen Bruder, auf dem Bauch liegend.

Erleichtert atmete er auf.

„Dean!“, forderte er und hockte sich neben den Blonden.

Nichts. Er ließ den Lichtstrahl langsam über Deans Körper gleiten. Am Hinterkopf hatte er eine Wunde, die aber kaum noch blutete. Die hatte er also von dem vorhergehenden Sturz. Aber was hatte er jetzt abbekommen?

„Dean, komm schon. So langsam machst du mir Angst!“ Er fasste Deans Schulter und drehte den Blonden um. Der Kopf rutschte zur Seite.

An seiner Schläfe fand er eine weitere, tiefere Wunde und seine Handflächen waren leicht aufgeschürft, so als hätte er versucht seinen Sturz abzufangen. Aber warum so? Dean würde sich abrollen, wenn er fiel! Was passierte hier? Was war mit Dean?

„Uhm“, gab der Blonde leise stöhnend von sich und griff sich an dem Kopf.

„Hey“, sagte Sam und die Erleichterung war ihm deutlich anzuhören.

„Nicht!“ Er schaffte es gerade noch Deans Hand aufzufangen, bevor der sich den Schmutz in die Wunde an seiner Schläfe reiben konnte.

Matratzenhorchdienst

162) Matratzenhorchdienst
 

Der Blonde blinzelte und blickte dann zu seinem kleinen Bruder.

„Sammy“, krächzte er heiser. „Was ist passiert?“

„Ich habe keine Ahnung, Dean. Das sollte ich wohl eher dich fragen!“

„Warum, ich …?“ Er setzte sich auf und musste fast sofort die Augen schließen, weil sich alles um ihn herum drehte.

„Du flüchtest panisch, schreist, als du den Geist gesehen hast und die Zahlen hast du wohl auch verlernt!“, kam es deutlich harscher von Sam, als der das beabsichtigt hatte.

„Ich…“, versuchte der Blonde eine Erklärung zu finden.

„Das ist nicht mehr normal mit dir! Deine ständigen Kopfschmerzen! Du bist noch zappeliger als sonst, hin und wieder abwesend und jetzt das!“

„Ich bin okay! Okay?“, versuchte der Blonde seinen Bruder zu beruhigen. Wie sollte er denn etwas erklären, wofür er selbst keine Erklärung hatte! Er wand sich aus Sams Berührung, drehte sich zur Seite und stand auf.

Sofort bereute er diese unüberlegte Aktion. Er taumelte ein paar Schritte bis zum nächsten Baum, brach davor in die Knie und würgte sein Abendessen wieder heraus.

Sam starrte auf den breiten, bebenden Rücken seines großen Bruders und wartete ab, bis der sich langsam wieder beruhigt hatte. Diesmal hatte er wohl wirklich eine Gehirnerschütterung.

Wortlos hielt er dem Blonden eine Flasche Wasser hin, die der mit einem dankbaren Nicken nahm und sich wenigstens den furchtbaren Geschmack aus dem Mund spülte. Er traute seinem Magen noch nicht wieder soweit, dass er einen Schluck trinken wollte.

„Dean?“, fragte Sam leise, als er sah, wie sich sein Bruder langsam aufrichtete.

Der Blonde drehte sich zu ihm um.

„Wie viele Finger?“

Dean kniff die Augen kurz zusammen. „Vier“

Ein Lächeln huschte über Sams Gesicht. Ganz so schlimm war es nicht. Dean war ansprechbar, konnte halbwegs richtig gucken und auch wieder zählen. Trotzdem wollte er ihn so schnell wie möglich ins Bett bringen. Zwei Schläge auf den Kopf, binnen kürzester Zeit, waren auch für den unbezwingbaren Dean Winchester nicht so einfach wegzustecken.

„Komm, wir gehen zurück.“

„Und was ist mit den Köpfen, da oben?“

„Die verbrennen wir, das heißt: Du bleibst hier und ich gehe hoch und verbrenne sie. Was dachtest du denn?“

„Dass wir warten sollten, bis wir ihn gestoppt haben.“

„Denkst du er geht sofort los und holt sich neue?“, überlegte Sam laut.

„Möglich wäre es.“

„Okay, dann gehe ich hoch und bedecke sie wieder mit Erde und du ruhst dich hier unten aus.“

Nur zu gerne ließ sich der Blonde an einen Baum gelehnt nieder und wartete bis Sam wieder zurückkam.
 

„Hey, nicht schlafen“, schimpfte der Jüngere gutmütig als er wieder bei seinem Bruder war und leuchtete ihm ins Gesicht. Dean sah wirklich schlecht aus.

Murrend hob der Blonde die Hand schützend vor seine Augen.

„Entschuldige“, bat Sam und nahm die Lampe herunter. Er hakte seinen Bruder unter und half ihm auf die Beine. Langsam bahnten sie sich ihren Weg zum Impala.
 

Am Ende ihrer Kräfte erreichten sie endlich ihr Motel. Sam lehnte seinen Bruder an die Wand neben der Tür und kramte den Schlüssel heraus. Er musste sich an der Tür abstützen als er den Schlüssel in das Schlüsselloch fummelte. Es dauerte eine Weile und er fragte sich zwischenzeitlich ob nicht nur Dean einen über den Schädel bekommen hatte.

Sein Bruder hatte sich auf dem Weg noch einmal übergeben müssen, nachdem sich plötzlich alles vor seinen Augen gedreht hatte und er trotz Sam fast gestürzt wäre. Danach hing er wie ein Sack Mehl an ihm und ließ sich mehr oder weniger nur noch mitschleifen.

Gut, dass es immer noch dunkel und kaum jemand auf der Straße war.

Endlich steckte der Schlüssel. Er drehte ihn, schloss auf und wäre fast ins Zimmer gestürzt als die Tür, mit seinem Gewicht beschwert wesentlich schneller als sonst aufschwang. Ungeschickt fing er seinen Sturz ab.

Gleich darauf musste er seinen Bruder noch daran hindern, sich neben der Tür auf den Boden sinken zu lassen und dort einfach einzuschlafen. Er drehte ihn in Richtung Bett. Kaum sah der Blonde diese Schlafstatt, tapste er auch schon darauf zu und wollte sich fallen lassen.

„Nichts da. So dreckig gehst du in kein Bett“, schimpfte der Jüngere energisch und drehte ihn weiter Richtung Bad.

Er half dem Älteren beim Ausziehen und angelte dann nach dem Hocker, der neben dem Waschbecken stand. Dean würde nicht alleine und so lange stehen können und er wollte nicht, dass er sich auf den Boden setzte, denn da hätte er ihn wahrscheinlich nicht mehr hoch bekommen.

Er drehte das Wasser an und schob ihn auf den Hocker, als es warm genug war.

Dem Blonden war alles egal. Er war viel zu fertig und sich wehren zu können.

„Dean? Schau mich bitte mal an“, verlangte Sam leise.

Es dauerte noch eine Weile, bis Dean seine Augen öffnete. Sein Blick war noch immer abwesend.

‚Er schielt schon mal nicht’, stellte Sam erleichtert fest. Immerhin ein gutes Zeichen.

„Drehst du dich mal um?“, fragte er weiter.

Nichts ließ darauf schließen, dass sein Bruder ihn versanden hatte. Sam fasste ihn bei der Schulter und drehte ihn zur Wand. Vorsichtig begutachtete er die Wunde an dessen Hinterkopf, säuberte sich so gut es ging und drehte ihn wieder zu sich, um gleich noch die Wunde an seiner Schläfe zu untersuchen.

„Deine Birne hat ganz schön was abbekommen“, stelle er ruhig fest. „Und wenn es wirklich eine wäre, wäre sie nur noch als Fallobst zu behandeln.“

Noch immer kam keine Reaktion von dem Älteren und Sam begann, sich richtig Sorgen zu machen. Aber vielleicht war das auch alles ein bisschen viel heute. Immerhin hatte sein Bruder eine Gehirnerschütterung. Soviel stand schon mal fest!

Vorsichtig begann er ihn zu waschen, kontrollierte auch gleich noch die Schürfwunden an seinen Händen und brachte ihn dann in sein Bett. Es hatte keinen Sinn ihn jetzt noch länger wach halten zu wollen.
 

Sam atmete erleichtert auf, als auch er sich endlich in sein Bett fallen lassen konnte. Er hatte ebenfalls geduscht und Dean danach noch einmal geweckt, um dessen Reaktionen zu testen. Mühsam hatte der seinen Fragen geantwortet, doch Sam gab sich zufrieden.

Er stellte sich seinen Wecker und war eingeschlafen, kaum dass er richtig lag.
 

An diesem Morgen stand auch Sam spät auf. Nachdem er Dean zum dritten Mal geweckt und ihn mit Fragen bombardiert hatte, deren Antworten alle zu seiner vollsten Zufriedenheit ausgefallen waren, hatte er den Wecker nicht mehr gestellt und ausgeschlafen.

In der Nacht noch hatte er beschlossen, dass sein Bruder heute das Bett hüten musste, trotz der guten Antworten, und danach wollte er ihn auf Herz und Nieren testen, auch wenn er noch nicht wusste, wie, bevor er ihn wieder auf ihren Fall loslassen wollte.

Er besorgte Essen und ließ sich dann, nach einem erfolglosen Versuch mit Nick zu telefonieren, vor seinem Laptop nieder und begann nach Spuren von Ken Wang zu suchen.

Er kam nur langsam voran.
 

Dean erwachte, weil sein Magen rumorte. Er setzte sich auf und stöhnte leise. Sein Kopf dröhnte noch immer und die Bewegung löste Übelkeit aus. Er kniff die Augen zu und pressen Daumen und Zeigefinger gegen die Nasenwurzel. Tief durchatmend konzentrierte er sich auf das Klappern der Tasten vom Sams Laptop.

Als sein Magen sich beruhigt hatte, stand er auf und tappte auf bloßen Füßen zum Tisch.

„Hey“, grüßte er ruhig.

„Selber hey. Wie geht’s dir?“

„Geht so. Schon was gefunden?“

„Etwas, aber kaum etwas Verwertbares.“

„Und was machen wir heute?“

„Du? Matratzenhorchdienst! Ich will dich heute außer ins Bad und zum Essen nicht außerhalb des Bettes sehen!“

„Was soll das? Spinnst du?“, murrte der Blonde.

„Was das soll, sollte ich wohl besser dich fragen. Was sollte das gestern? Wieso bist du weggelaufen? Es waren Schädel, ja, aber nichts an dem Anblick war schlimmer als etwas, das wir vorher schon mal gesehen haben. Also? Was war los, Dean?“

„Ich hab keine Ahnung. Ich…“ Er schluckte hart.

„Ich warte, sonst jag ich dich spätestens nach diesem Fall von einem Arzt zum nächsten, bis das geklärt ist!“

„Sam ich…“, diesmal unterbrach Dean das Handy seines Bruders. Er atmete tief durch, begann auf seiner Unterlippe zu kauen und überlegte sich, was er sagen sollte.

„Hey Nick! Danke, dass du zurückrufst.“

„Ja, wir haben Neuigkeiten, allerdings möchte ich dir noch nicht zuviel sagen.“

„Den Fink kannst du von deiner Vermisstenliste streichen. Der ist zu seiner Liebsten nach Afrika und die Polizei hat es wohl vergessen weiterzuleiten.“

„Okay.“

„Ich wollte dir… ja schon gut. Wir haben die Köpfe gefunden.“

„Wo? Genau das werde ich dir noch nicht erzählen. Wir denken, wenn wir die an uns nehmen mordet er, schlimmer als vorher, weiter. Zumindest wäre es nicht auszuschließen. Gib uns noch ein oder zwei Tage.“

„Okay, danke Nick. Bis später.“ Sam legte auf und sah noch wie sich die Badezimmertür schloss.
 

Dean hatte während des Telefonates überlegt, was er antworten könnte oder sollte und ihm war absolut keine Erklärung eingefallen, die ihn nicht wie einen kompletten Idioten dastehen lassen würde, mal abgesehen davon, dass er selbst nicht wusste, was mit ihm los war. Eine Erkältung war es wohl nicht. Die müsste er doch inzwischen haben, oder? Vielleicht war er auch einfach überarbeitet? Gab es das bei Jägern? Burn-Out-Syndrom, oder wie das hieß, was jetzt alle Welt hatte?

Da sich jedoch sein pochender Schädel und auch die Übelkeit von letzter Nacht wieder stärker meldeten, fand er die Idee mit dem Matratzenhorchdienst plötzlich gar nicht mehr so schlecht.
 

Wenige Minuten später kam Dean wieder ins Zimmer und wurde von Sam intensiv gemustert.

„Brauchst gar nicht so gucken, ich geh ja schon freiwillig ins Bett!“, grummelte der Blonde und brachte seinen Bruder dazu, sich sofort wieder Sorgen zu machen.

„Hast du Hunger?“, wollte Sam wissen.

„Schon, aber ich weiß nicht, ob es drin bleibt.“

„Kopfschmerzen?“ Sam wunderte sich, dass sein Bruder das so freimütig zugab, aber er würde um Gottes Willen nichts dazu sagen.

„Stärker.“

„Willst du…“

„Hab schon eine Aspirin geschluckt“, fiel ihm der Blonde ins Wort und zog sich die Decke bis zu den Ohren. Schnell war er wieder eingeschlafen.
 

Am nächsten Morgen ging es Dean wieder gut.

„Was steht heute auf dem Programm?“, wollte der Blonde beim Frühstück wissen und schaufelte sich eine weitere Gabel Pfannkuchen in den Mund.

„Wie wäre es, wenn du mir erstmal sagst, was mit dir los ist?“

Der Blonde schüttelte den Kopf und schob sich die nächste Gabel in den Mund.

„Ich warte, Dean!“

„Ich bin okay!“

„Du hattest jetzt zweimal einen Aussetzer und ich will wissen warum? Was war los mit dir?“

„Keine Ahnung!“

„Du musst doch wissen, was mit dir los ist?!?“

Dean schob sich die nächste Gabel in dem Mund. Er wusste nicht, warum sich sein Körper manchmal so falsch anfühlte und er wusste nicht, warum ihn die Köpfe so erschreckt hatten. Sie hatten es, ja, aber das würde er um nichts in der Welt zugeben wollen.

„Verdammt noch mal! So kann ich dich nicht mitnehmen. Was wenn du wieder wegrennst?“

„Willst du den Fall alleine lösen?“

„Traust du mir das etwa nicht zu?“, giftete der Jüngere zurück. Seine Sorge um den Älteren schlug in Wut um. Warum konnte Dean nicht einfach sagen, was mit ihm war?

„Ich traue dir einiges zu!“

„Ach, und das wäre? Ich kann den Fall sehr gut allein lösen!“

„Okay, dann mach. Dann fahre ich zu Bobby und lass es mir gut gehen!“ Der Blonde warf seine Gabel hin, stand auf und wollte zu Tür.

Blitzschnell griff der Jüngere zu. Ohne Dean würde er hier festsitzen und er müsste sich einen Wagen organisieren. Außerdem hatten sie den Fall zusammen angefangen und ohne seinen Bruder wäre er nur halb so weit wie jetzt! Sie waren einfach nur als Team so gut. Und wenn Dean blieb, konnte er ihn im Auge behalten. Was, wenn er auf der Straße so einen Aussetzer hätte?

„Bleib“, bat er den Älteren leise.

„Wenn du endlich die Klappe hältst und mich damit in Ruhe lässt!“, erklärte der Blonde energisch. Er wollte nicht ständig daran erinnert werden, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Darüber konnten sie sich später noch genug Gedanken machen, wenn sie wieder bei Bobby waren. Vielleicht war er ja verflucht? Wer wusste schon, was die Hexe mit ihm angestellt hatte, als sie in seinen Erinnerungen gegraben hatte.

Der alte Freund hatte bestimmt eine Idee wie sie das herausfinden konnten und eine Lösung für dieses Problem. Bobby hatte für alles eine Lösung!

Und bis dahin würde er sich in den Fall knien und das Ganze verdrängen. Das konnte er eh am Besten!

Sam nickte ergeben. Der Blonde holte tief Luft.

„Okay. Und wie geht es weiter?“

„Ich habe zwei ehemalige Mitstudenten von Wang gefunden. Sie haben ein Architekturbüro in Saratoga Springs.“

„Dann lass uns fahren.“

Carlton Westwood

163) Carlton Westwood
 

„Mark Lynch und Josh Speight haben ihr Studium mit Wang begonnen. Sie wohnten im Wohnheim auf dem gleichen Flur, zwei Zimmer weiter. Lynch hat nach seinem Studium bei Waters, einem damals renommierten Architekturbüro in Saratoga Springs begonnen und nachdem er den alten Waters ausgezahlt hatte, hat sein alter Kumpel Speight bei ihm angefangen. Sie sind wohl sehr erfolgreich“, fasste Sam während ihrer Fahrt die Fakten zusammen, die er am Vortag gesammelt hatte.

„Und du meinst, sie hatten mit Wang zu tun?“

„Es ist eine Spur. Seine Eltern sind zu Verwandten nach San Francisco gezogen. Wäre ein bisschen weit, um sie zu befragen.“
 

Gleich darauf hielt Dean den Impala vor einem modernen Geschäftshaus.

„Wir möchten zu den Herren Speight und Lynch“, erklärte Sam energisch und hielt der Dame am Empfang seinen FBI-Ausweis unter die Nase.

„Hatten sie einen Termin?“, wollte sie wissen.

Dean trat jetzt neben seinen Bruder und schaute ihr in die Augen: „Greta, seit wann braucht das FBI einen Termin? Melden Sie uns an, dann stören wir auch nicht lange, oder sollen wir den Herren eine offizielle Vorladung schicken?“

„Nein, natürlich nicht“, beeilte sie sich zu sagen. „Ich werde nachsehen, ob Mr. Lynch Zeit für sie hat. Warten sie bitte hier!“

„Geht doch“, flüsterte Dean breit grinsend, als sie im Zimmer ihres Herrn und Meisters verschwunden war.

„Mr. Lynch lässt sie in fünf Minuten bitten“, sagte sie, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte und setzte sich wieder auf ihren Stuhl.

„Und Mr. Speight?“

„Mr. Speight ist heute außer Haus. Er ist in Albany und kommt erst sehr spät wieder.“

„Gut. Wenn wir noch Fragen haben sollten, werden wir ihm eine Vorladung schicken“, erklärte Sam kalt.

Sie schluckte hart.
 

„Mr. Lynch hat jetzt Zeit für sie“, sagte sie kurz darauf, erhob sich und geleitete die Herren vom FBI zur Tür.

„Sam Taylor, FBI. Das ist mein Partner Deacon Caine. Wir haben ein paar Fragen zum Verschwinden von Ken Wang.“

„Das ist doch schon eine Ewigkeit her. Seit wann befasst sich das FBI denn mit so alten Kamellen? Haben Sie sonst nichts zu tun?“

„Womit wir uns befassen lassen Sie unsere Sorgen sein“, erwiderte Sam kalt.

Dean hatte in der Ecke die Nachbildung des Schlachtfeldes von 1771 entdeckt und ging darauf zu. Interessiert betrachtete er sich die Aufstellung der Armee. Dann griff er nach einem Reiter und stellte ihn an die Stelle, an der sie die Köpfe gefunden hatten.

„Ich muss Sie bitten nichts zu berühren!“, giftete der Architekt, und beeilte sich die Figur hastig wieder an ihrer Stelle zu platzieren und stieß dabei noch zwei weitere Reiter um, die er mit zitternden Händen wieder aufrichtete. Er atmete sichtlich aus, als er zu seinem Schreibtisch ging und sich setzte.

Die Brüder wechselten einen ihrer vielsagenden Blicke.

„Also, was ist mit Wang!“, drängte Sam unerbittlich auf eine Antwort.

„Er bewohnte ein Zimmer mit einem Freund meines Partners, Josh. Er hängte sich hin und wieder mal bei uns mit rein, gehörte aber nie richtig dazu. Er hatte das Studium im Kopf und nicht wie wir Partys und Mädchen.“

„Und weiter?“

„Nichts weiter.“

„Dann danke ich Ihnen und bitte Sie das Land nicht zu verlassen. Sie werden in den nächsten Tagen Post aus unserem Büro in Albany bekommen“, klärte der jüngere Winchester ihn auf und wandte sich, mit einem weiteren Blick zu seinem Bruder, der Tür zu.

„Aber das…?“, stotterte Lynch.

„Sie haben uns doch alles erzählt, dann wollen wir Sie nicht weiter stören“, sagte Dean ruhig. „Oder ist da noch mehr?“

„Können wir das woanders besprechen?“, wollte der Architekt wissen.

„Und wo? Wir haben nicht ewig Zeit.“

„Lassen sie uns in den Pub, gleich hier nebenan gehen. Ich lade sie zum Mittag ein.“

„Danke, wir zahlen unser Essen selbst.“

Der Architekt griff sich sein Jackett.

„Greta, ich bin essen“, sagte er und führte die Agenten zu dem Pub.
 

„Was willst du denn hier?“, giftete er einen Obdachlosen an, der vor der Tür des Lokals rumlungerte.

„Ich hab Hunger“, knurrte der heiser. Sofort packte Lynch ihn am Arm und zerrte ihn um die Ecke in seine Seitengasse.

Wenig später kam er zurück.

„Dieses Gesindel lungert in letzter Zeit hier überall rum!“, erklärte er angewidert.

Wieder tauschten die Brüder einen Blick.
 

„Also was wollen Sie uns noch erzählen?“, nahm Sam das Gespräch wieder auf.

„Naja. Wie waren mehr als flüchtige Bekannte. Es war eine andere Zeit und Ken hatte sehr traditionell eingestellte Eltern.“

„Was wollen Sie und damit sagen?“, hakte Dean nach.

„Er kam von einem Wochenende bei seinen Eltern zurück und konnte sich kaum bewegen. Sein ganzer Rücken war mit Striemen überzogen. Er hat uns erzählt, dass sein Vater ausgerastet wäre, als er ihm erklärt hatte, dass er schwul sei. Sein Vater hat ihn verprügelt und dann rausgeschmissen.

Ken hat in den Wochen danach mehrere Drohbriefe und auch Anrufe bekommen. Und dann war er plötzlich verschwunden. Er hat Carlton Westwood, sein Zimmerkumpel und der Freund von meinem Partner, nur gesagt, dass er das nicht mehr aushält.

Wir hatten uns geschworen, nie etwas davon zu erzählen, um ihm nicht noch mehr zu schaden, falls er mal wieder auftauchen sollte. Aber anscheinend hat er sich gut versteckt, oder haben sie ihn gefunden?“

„Darüber können wir Ihnen nichts sagen“, erwiderte Sam.

„Vielen Dank für ihre Offenheit, Mr. Lynch. Das war’s erstmal. Ich denke, wenn wir noch Fragen haben sollten, wissen wir ja, wo wir Sie finden können.“

Der Architekt grinste schleimig als er den Agenten die Hände zum Abschied schüttelte.
 

„Glaubst du ihm?“, wollte Dean vor der Tür wissen.

„Nein. Wenn Wang wirklich verschwunden ist, dann hat er mehr damit zu tun.“

„So wie er die Figur wieder umgestellt hat, kennt er auch die Stelle, an der die Köpfe liegen, sehr genau.“

„Aber wie wollen wir ihm das beweisen?“

„Gute Frage. Vielleicht sollten wir Nick einspannen.

Warte mal. Da ist der Typ, den Lynch gerade verscheucht hat“, unterbrach sich der Blonde und ging zu dem Mann, der noch immer in der Seitengasse, in die ihn der Architekt gezogen hatte, stand.

„Hallo, ich bin Dean“, stellte sich der Blonde vor. Er musterte den Mann kurz. „Kann ich Sie zu Burger und Kaffee einladen?“

War die Miene des Mannes eben noch skeptisch, was so ein feiner Pinkel wohl von ihm wollte, hellte sie sich jetzt augenblicklich auf.

„Aber nicht hier“, antwortete er.

„Kennen Sie einen Ort, wo es gute Burger gibt?“

„Ein paar Straßen weiter. Aber wir sollten wohl besser nicht zusammen dahin gehen.“

Der Winchester zuckte mit den Schultern, doch wenn der Mann dieser Meinung war, bitte. Er ließ sich den Weg erklären und ging zurück zu Sam.
 

Bis der Penner bei ihnen eintraf, hatten sich die Brüder umgezogen und einen Platz auf einer Bank in der Nähe des Imbiss gesucht.

„Ich hätte Sie fast nicht erkannt“, grinste der Mann Dean an.

„Wir sind jetzt in Zivil“, entgegnete der Blonde.

Schnell hatten sie bestellt und bezahlt und sich wieder auf die Bank gesetzt, um in Ruhe zu essen.

„Sie haben uns ihren Namen noch nicht genannt“, begann der Blonde kauend.

„Namen sind Schall und Rauch. Nur gut, damit die bösen Geister einen finden und quälen können.“

Die Brüder tauschten einen weiteren Blick. Sam wollte gerade nachhaken, als etwas in Deans Augen ihn stoppte. Irritiert blickend schwieg er.

„Haben Sie denn etwas getan, das böse Geister gegen sie aufbringen könnte?“, wollte der Blonde ruhig wissen.
 

Sein Gegenüber starrte ihn mit großen Augen an. Die meisten Menschen, gegenüber denen er diesen Satz hatte fallen lassen, hielten ihn für verrückt. Harmlos vielleicht, aber verrückt und die wenigsten von denen wollte je wieder etwas mit ihm zu tun haben. Ob die Beiden ihm zuhören würden? Der eine hatte gefragt! Aber er war nur ein alter Säufer. Niemand glaubte einem Säufer!

Dabei hatte sein Leben so gut begonnen. Er hatte eine tolle Familie und war intelligent. In der Schule gehörte er zum oberen Drittel. Er hatte seinen Collegeabschluss gemacht und studiert. Aber er hatte nie arbeiten können. Schon im Studium hatte er immer wieder Kens Gesicht vor sich gesehen. Ken, wie er ihn mit traurigen Augen ansah. Nach seinem Abschluss wurde es noch schlimmer. Auf jeder Zeichnung hatte er ihn gesehen. Immer wieder hatte er sich eingebildet, dass er an einer Ecke steht oder irgendwo im Schatten lauerte.

Er hatte zu trinken begonnen und damit ging die Spirale nach unten so richtig los.

Unsicher schaute er zu Dean. Wollte der es wirklich hören?

Auch Sam sah seinen Bruder fragend an. Hatte der nur seine soziale Stunde oder schlug da mal wieder sein Instinkt zu? Warum hatte Lynch den Mann so angegiftet? So wie der mit ihm umgegangen war, schienen sie sich zu kennen. Und das Lynch ihnen eine Geschichte erzählt hatte, war mehr als wahrscheinlich gewesen. Auch wenn der das wohl nicht so sah.

Der Blonde widmete sich ganz seinem Essen. Menschen die reden wollten, sollte man nicht drängen.

Wenn der Mann wollte, würde er reden.
 

„Sie wollen wissen, welche bösen Geister mich quälen?“, fragte der Penner nachdem er seinen Burger aufgegessen hatte.

„Wenn Sie es uns sagen?“

„Warum erklären Sie mir nicht, dass es keine Geister gibt und dass ich mir das nur einbilde?“

„Weil ich weiß, dass es böse Geister gibt, die einen in den Tod treiben können“, gab der ältere Winchester ungerührt zurück.

„Und sie sind keine Psychofuzzies?“

„Sehen wir so aus?“ Ein Lächeln umspielte Deans Mund.

„Aber warum reden Sie überhaupt mit einem alten Säufer wie mir?“

„Weil ich denke, dass jeder Mensch ein Recht darauf hat, dass ihm jemand zuhört.“

„Sie wollen es wirklich wissen?“, fragte der Mann noch einmal. Er konnte es einfach nicht fassen, dass ihm wirklich jemand zuhören wollte.

„Hätte ich sonst gefragt?“

„Ich habe einen Freund ermordet“, sagte er emotionslos und darauf gefasst, dass die Männer ihm jetzt endgültig einen Vogel zeigen und gehen würden.

„Und der oder besser dessen Geist verfolgt Sie jetzt?“, hakte Sam ein und der Mann nickte.

„Wollen Sie es uns erzählen?“

Wieder blickte der Mann sie verwundert an. Sie wollten ihm wirklich zuhören!

„Mein Name ist Carlton Westwood.“ Die Brüder schluckten, gaben sich aber den Anschein vollkommen gelassen zu sein. Nur die Blicke, die sie tauschten zeigten das große Interesse. Hier waren sie auf einem richtigen Weg und Sam zweifelte kurz daran, dass sein Bruder ein normaler Mensch war.

„Josh Speight und ich sind zusammen auf das College gegangen und dann auch zum Studium. Auf dem College haben wir uns ein Zimmer geteilt. Im Studentenwohnheim wurden wir getrennt untergebracht. Wir hatten uns sofort darum bemüht, das zu ändern, was uns aber nicht gelungen ist. Letztendlich haben wir uns auch mit Lynch, Joshs Mitbewohner, angefreundet.

Mark Lynch war, wohl wegen seines Vaters, der auch schon da studiert hatte, sofort Mitglied in einer Verbindung geworden und hat uns immer wieder vorgeschwärmt wie toll das war und das wir uns doch auch bewerben sollten und dann mit ihm zusammen zum nächsten Semester umziehen könnten. Wir haben lange überlegt, letztendlich aber zugestimmt, wenn Ken Wang, mein Mitbewohner, auch als Kandidat aufgenommen werden würde. Ken hatte Bedenken. Diese Verbindung war nicht sonderlich fortschrittlich und gegen Ausländer.

Trotzdem stimmten sie zu, was uns hätte stutzig werden lassen müssen.“ Westwood holte tief Luft und rieb sich mit der Hand über das Gesicht. Die Erinnerungen setzten ihm zu.

"Du benimmst dich kindisch"

164) „Du benimmst dich kindisch“
 

Mit leiser Stimme fuhr Carlton Westwood fort.

„Eines Nachts im März wurden wir zu den Aufnahmeprüfungen geholt. Wir mussten in einen Van steigen und uns wurden die Augen verbunden. Es ging weit raus.

Irgendwann hielten sie. Wir waren mächtig durchgeschüttelt worden.

Wir mussten aussteigen und fanden uns auf dem Schlachtfeld wieder. Jeder von uns bekam eine andere Aufgabe. Ken sollte der Erste sein und in der Dunkelheit auf einem Pferd über das Schlachtfeld galoppieren.

Ich war dagegen, denn Ken konnte nicht reiten!

Aber ich wurde überstimmt. Die Anderen fanden das so lustig, dass ich nach Ken reiten sollte, zusätzlich zu meiner Prüfung.

Ken musste aufsteigen. Sie drückten ihm einen Säbel in die Hand, hängten ihm ein Bettlaken über den Kopf und befestigten es irgendwie so, dass er es nicht herunter bekam. Kaum war das erledigt, schlugen sie dem Pferd aufs Hinterteil und es stürmte los. Schnell war er in der Dunkelheit verschwunden und wir hörten nur noch seine Schreie.

Kurze Zeit später erstarben diese Schreie.

Wir machten uns auf die Suche nach ihm.

Das Pferd war gestürzt. Es hatte sich ein Bein gebrochen. Sie ließen es einfach im Creek liegen. Es muss jämmerlich verendet sein.

Ken hatte noch weniger Glück. Er hatte sich bei dem Sturz das Genick gebrochen.

Seitdem verfolgt er mich. Wenn ich energischer widersprochen hätte, wenn ich ihn überzeugt hätte nicht zu reiten…“ Westwoods Stimme war immer leiser geworden. Jetzt brach sie ganz. Ihm standen die Tränen in den Augen.

„Sie hätten nichts tun können“, sagte Dean ruhig.

„Ich hätte es müssen!“

„Niemand hätte auf sie gehört!“, bestätigte Sam seinen Bruder. „Was ist mit Wang passiert?“

„Wie passiert?“, Carlton verstand nicht.

„Was haben sie mit seinem Körper gemacht?“

„Wir haben ihn in der Nähe des Creek, irgendwo weiter oberhalb der Stelle an der er gestürzt war, bei einem Baum verscharrt.“

„Und Mark Lynch?“, wollte Sam mehr wissen.

„Der war einer der Drahtzieher. Bei den Aufnahmeprüfungen und auch danach. Er hat den Anderen gedroht, dass sie alle dran sein werden, wenn einer redet.

Es war doch eigentlich nur ein dummer Streich.“

„Menschen!“, nuschelte Dean und überlegte, was sie jetzt machen sollten.

„Würden Sie das noch einmal einem Freund von uns erzählen?“, wollte Sam wissen.

„Warum sollte ich?“

„Der kann dafür sorgen, dass Lynch dafür bestraft wird.“

„Ich war auch dabei!“

„Sie wurden genauso gezwungen wie Ken Wang“, erwiderte Dean. „Wir können Ihr Gewissen nicht zum Schweigen bringen, aber wir können ihm zu seinem Recht und einer angemessenen Beerdigung verhelfen. Und seinen Eltern zu der Gewissheit, dass ihr Sohn nicht einfach verschwunden ist.“

„Und wer ist Ihr Freund?“, wollte Westwood unsicher wissen.

„Er ist vom FBI und heißt Nick Traven.“

„Ich weiß nicht…“

„Wenn Sie nicht mit ihm reden wollen, können wir das auch verstehen. Aber denken Sie bitte drüber nach.“ Dean drückte dem Mann noch einen 50-Dollar Schein in die Hand, ahnend, dass der Mann ihn in Alkohol umsetzen würde. Aber er hatte, je näher der Tag seines Todes kam, auch immer wieder zur Flasche gegriffen, um wenigstens ein paar Stunden nur schlafen zu können. Er konnte den Mann nur zu gut verstehen.

„Danke“, sagte der Blonde noch und erhob sich. Langsam ging er zu seinem Wagen.
 

„Wer bist du und was hast du mit meinem Bruder gemacht!“, platzte Sam hervor, kaum dass er im Wagen saß. Dean schaute ihn fragend an.

„Das ist unheimlich! Du bist unheimlich! Wieso stolperst du immer wieder über unsere Verdächtigen! Hast du ein eingebautes Radar dafür? Aber wieso arbeitet das erst jetzt?“

„Ich…“ Der Blonde brach ab. Darauf wusste er keine Antwort und er wollte sich darüber nicht den Kopf zerbrechen.

„Lass uns zusehen, dass wir Wang finden und dem Spuk ein Ende setzen.“

Sam nickte nur, warf seinem Bruder auf dem Rückweg aber immer wieder mal einen Blick zu.

„Wo willst du anfangen zu suchen?“, fragte er nach einer Weile.

„Ich vermute es wird in der Nähe der Köpfe sein. Irgendwo am Creek sagte er. Gab es da in letzter Zeit etwas Ungewöhnliches? Immerhin hat Wang bis jetzt friedlich unter seinem Baum geruht.“
 

Für eine ganze Weile gab es nur das Klappern der Tasten.

„Erdrutsche“, sagte Sam plötzlich. „Es hat in den letzten Wochen und Monaten erst viel Schnee und dann viel Regen gegeben. Die Böschung hat an einigen Stellen nachgegeben. Drei davon sind nicht weit von den Köpfen entfernt. Ich denke, wir beginnen da.“ Er deutete auf seinem Laptop auf eine Stelle. „Und arbeiten uns dann weiter vor.“

„Okay, dann machen wir gleich mal einen Spaziergang. Buddeln, salzen und verbrennen.“ Deans Augen leuchteten.

„War ja klar, dass du daran deinen Spaß hast, alter Pyromane!“ Sam lachte.

„Wollen wir das wirklich?“, fragte Dean. „Wenn wir wollen, dass man Lynch dafür dran kriegt, müssen wir die Knochen so lassen.“

„Ja, das hab ich mir auch schon überlegt. Aber wird Wang dann aufhören zu morden?“

„Ich vermute, dass bei den Erdrutschen etwas von dem Skelett mit abgerutscht ist. Wahrscheinlich sogar der Kopf. Wenn wir den finden und ihn wieder zu den Knochen legen müsste es eigentlich vorbei sein, oder?“

Sam nickte nur.
 

Der Regen setzte ein, als sie beim ersten abgerutschten Hang angekommen waren. Dean zog den Kopf zwischen die Schultern und schlug den Kragen hoch. Trotzdem konnte er nicht verhindern, dass ihm der Regen schon bald unangenehm in den Kragen und dann eisig den Rücken hinunter lief.

Er grummelte leise aber unüberhörbar wütend vor sich hin, als sie zu ihrem nächsten Ziel liefen.

„Komm schon Dean! So schlimm ist es nun auch nicht!“, versuchte Sam seinen Bruder zu beruhigen.

„Nein, es ist schlimmer!“, knurrte der und überquerte im Schein seiner Taschenlampe den Bach. Es kam, wie es kommen musste, er erwischte einen lockeren Stein, rutschte ab und landete mit einem Fuß im kalten Wasser.

Automatisch zog der Jüngere Winchester den Kopf ein und wartete auf einen weiteren Wutausbruch, der jedoch nicht kam.

Dean atmete ein paar Mal tief durch und ging danach weiter. Er lehnte sich an einen Baum.

„Bist du okay?“, wollte Sam leise wissen und musterte ihn eindringlich.

„Ich bin okay, Sammy“, erwiderte der Blonde ruhig. ‚Bis auf die Tatsache, dass ich schon wieder Kopfschmerzen habe und ich mich in meinem Körper fremd fühle, ist alles super.’

„Lass und zusehen, dass wir hier fertig werden und dann zu Bobby fahren. Ich glaube ich brauche wirklich mal Urlaub“, sagte er dann laut und stieß sich von dem Baum ab.

Sam nickte: „Der nächste Erdrutsch ist in der Richtung.“
 

„Ach verdammt! Warum machen wir diesen Job überhaupt? Immer wieder kriechen wir durch Schlamm und Dreck, durch stinkenden Tunnel oder buddeln halb verweste Leichen aus. Wir werden vollgeschleimt oder gebissen, verprügelt und beschimpft und wenn wir nicht aufpassen landen wir im Knast. Und wofür? Ich hab die Schnauze so voll!“, grummelte der Blonde vor sich hin.

Sein Körper fühlte sich an, als würde er in einem Ameisenhaufen sitzen und er hatte das immer stärkere werdende Bedürfnis sich auf den Boden zu werfen und um sich zu treten.

„Dean?“, fragte Sam und stellte sich vor ihn.

„Mir geht’s gut!“, maulte der.

„Scheinbar nicht. Du benimmst dich wie ein kleines Kind!“

„Ich will einfach nur aus der Nässe raus, ein paar Tage schlafen und dann geht’s mir wieder gut.“ Er seufzte. „Wir hetzen von einem Fall zum nächsten. Ich bin einfach müde.“

„Okay. Dann stell jetzt deine Bockphase ein und lass uns fertig werden.“

Der Blonde zog die Nase kraus und äffte seinen Bruder nach, löste sich aber auch vom Baum und folgte ihm noch immer leise vor sich hin maulend.

Sam hatte es gesehen: „Mein Gott Dean! Manchmal frage ich mich, wie du es geschafft hast, mich großzuziehen, so kindisch wie du dich benimmst wäre ich auf jeden Fall der bessere große Bruder gewesen!“

Dem Älteren blieben die Worte im Hals stecken. Wortlos schwor er seinem Bruder Rache!
 

Sie hatten den zweiten Erdrutsch erreicht und begannen ihn zu erklimmen. Die Lichtkegel ihrer Taschenlampen huschten hin und her. Plötzlich schnitt Deans Lichtkegel in großem Bogen durch die Luft und ging aus.

Sam schaute sich kurz zu ihm um, ging dann aber weiter. Wenn er jetzt etwas sagte, würde sein Bruder wahrscheinlich ausflippen.

Dean atmete wieder tief durch. Was war denn heute nur mit ihm los? Der Tag hatte doch so gut angefangen und jetzt kam er sich wie ein Besucher in seinem eigenen Leben vor. Und dass er schon wieder im Matsch gelandet war, machte die Sache auch nicht besser. Hoffentlich hatten sie das hier bald hinter sich gebracht. Eine Nacht schlafen und dann würde alles schon wieder viel besser aussehen.

Er schloss die Augen und wartete, bis der sich anbahnende Wutausbruch verrauchte um dann nach seiner Taschenlampe zu suchen und weiter nach oben zu klettern.
 

„Ich hab ihn!“, tönte Sams Stimme von weiter unten. Dean holte tief Luft.

Endlich!

Oberhalb dieses Erdrutsches hatten sie die Knochen gefunden. Und wie befürchtet fehlte der Kopf.

Sie hatten ein Stoßgebet zum Himmel geschickt, dass der einfach nur den Hang hinunter gerollt und nicht noch von einem Tier gestohlen worden, oder vollkommen unter der abgerutschten Erde verschwunden war. Drei Mal hatten sie jetzt den Hang abgesucht und waren beide kurz davor aufzugeben und am nächsten Tag wieder zu kommen. Sie waren beide nass und verdreckt und froren.

Doch jetzt hatte die Sucherei und hoffentlich auch das Morden ein Ende.

Der Blonde war auf dem Kamm angekommen und ging zu der Stelle, an der sein Bruder nach oben kommen würde. Vielleicht konnte er ihm helfen.

„Hier, halt mal“, forderte der und warf Dean den Kopf zu. Gekonnte fing der Blonde ihn und zog dann den Jüngeren nach oben.

Sam stützte sich auf seinen Knien ab und atmete ein paar Mal durch.

Währenddessen legte der Blonde den Kopf auf seine Handfläche und steckte den Arm aus.

„Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage!“, rezitierte er.

„Du weißt schon, dass er das so nie sagt“, kommentierte Sam.

„Ja, aber wenn ich sagen würde: ‚Hier hingen diese Lippen, die ich geküsst habe, ich weiß nicht wie oft’ wäre das ja wohl so was von gelogen.“

„Du kennst Hamlet?“

„Du doch auch!“

„Dean!“, sagte Sam leise.

Sofort blickte der sich um und sah den Reiter langsam auf sich zu kommen. Er erstarrte. Panik erfasste seinen Körper. Seine Atmung wurde immer flacher und doch konnte er sich nicht rühren. Wie angewurzelt stand er da.

Der Reiter kam immer näher.

Deans Arm sank langsam nach unten.

Der Reiter hob seinen Säbel.

Der Schädel rutschte von Deans Hand und fiel zu Boden. Er drehte sich auf die Seite und blieb auf dem Brustkorb des Skeletts liegen.

Der Reiter verschwand.

„Das war knapp!“, sagte Sam leise. „Was machen wir jetzt mit ihm?“

Der Blonde reagierte noch immer nicht, sondern starrte nur auf die Stelle, an der der Reiter verschwunden war. Sam ignorierte ihn. Wenn er ihn jetzt ansprechen würde, würde er nur wieder angemault werden und bislang hatte sich sein Bruder ja immer wieder eingekriegt. Vielleicht wollte er sich aber auch nur dafür rächen, dass er ihn vorher mehrfach ‚kindisch’ genannt hatte und benahm sich jetzt mit Absicht so. Bei Dean konnte das durchaus passieren. Nein. Er würde ihn jetzt einfach zu Ende bocken lassen und morgen noch mal in Ruhe mit ihm reden.

„Bis du nicht eigentlich zu alt für so ein Benehmen?“, konnte er sich trotzdem nicht verkneifen zu sagen.

„Hilf mir wenigstens ihn mit genügend Erde zu bedecken. Morgen Vormittag rufen wir Nick an und geben ihm unsere Ergebnisse. Dann soll er entscheiden, ob wir ihn verbrennen oder er Lynch damit in den Knast bringen kann.“

Wieder reagierte der Blonde nicht.

„Dean! Jetzt beweg deinen Arsch und buddle mit!“

Endlich kniete sich der Blonde hin und half Sam den Toten mit Erde zu bedecken.

Auto fahren

165) Auto fahren
 

„Lass uns hier verschwinden“, sagte Sam, als sie endlich am Impala ankamen und ging zur Beifahrerseite. „Ich will nur noch eine heiße Dusche und dann ins Bett. Hoffentlich haben wir uns nichts weggeholt.“

Dean war den ganzen Weg zurück schweigend hinter ihm her getrottet und machte auch jetzt keine Anstalten sich zu bewegen.

Was sollte das denn?

Irritiert schaute der Blonde zu seinem Bruder, der auf der Beifahrerseite einstieg. Er sollte fahren? Er zuckte mit den Schultern und rutschte hinter das Lenkrad.

Mit leuchtenden Augen legte er seine Hände darauf und starrte in die Dunkelheit.

„Wird das bald was?“, maulte Sam.

Eifrig nickte der Blonde.

„Nähn, näään, brumm, brumburm, hännääänän“, machte er und wischte mit seinen Händen wie wild auf dem Lenkrad herum.

„Sag mal spinnst du? Hast du sie noch alle? Ich bin müde! Mir ist kalt und ich habe jetzt absolut keinen Bock auf deine vollkommen verblödeten, kindischen Spiele. Entweder du fährst jetzt zum Motel oder du setzt dich nach hinten und lässt mich fahren!“, brüllte Sam wütend. Das durfte doch jetzt nicht wahr sein!

Der Blonde zuckte zusammen, starrte den Langen mit großen Augen an. Hastig stieg er aus und rannte nach hinten, wo er sich auf dem Sitz möglichst klein machte. ‚Der hatte doch gesagt, dass er fahren sollte!‘

Sam blickte noch einmal verwirrt auf seinen Bruder, schüttelte den Kopf, rutschte dann auf den Fahrersitz und beeilte sich, sie zum Motel zu bringen. Wenn er nicht so müde und durchgefroren wäre, und einfach nur noch schnell ins Bett gewollt hätte, hätte er seinen Bruder aus dem Wagen geschmissen und ihn zum Motel laufen lassen. Vielleicht hätte ihm der Spaziergang diese bescheuerte, kindische Nummer ausgetrieben! So was Beklopptes! Aber wenn er es so wollte, konnte er es haben! Mal sehen wie lange Dean das mitmachte, wie ein Kind bevormundet zu werden.
 

Immer wieder schaute Sam in den Innenspiegel, um einen Blick auf seinen Bruder zu werfen. Und jedes Mal erwartete er, dass der ihn breit angrinste. Doch Dean blickte meistens auf seine Hände. Nur hin und wieder traute er sich einen Blick nach draußen in die Dunkelheit zu werfen. Er war so müde, doch er traute sich nicht zu fragen, wie lange sie noch fahren würden.
 

Als der Impala dann endlich stand, stieg er aus und folgte dem Langen schweigend ins Zimmer.

Er sah das Bett vor sich und aus den Augenwinkeln, wie Sam sich seiner nassen Jacke entledigte. Er war dazu viel zu müde.

Mit wenigen Schritten war er am Bett und wollte sich gerade fallen lassen, als ihn Sam am Arm packte.

„Sag mal hast du sie noch alle? Mit nassen Klamotten und so verdeckt ins Bett?“

Er war eh noch wütend wegen der Aktion vorhin. Jetzt kochte seine Wut über. Es war ein Ding, ihm mal schnell einen Streich spielen zu wollen, diesen aber jetzt so weit zu treiben, war der Tropfen der das Fass zum Überlaufen brachte. Er zerrte seinen Bruder zu sich herum, umfasste sein Kinn und zwang ihn, ihn anzuschauen.

„Zieh dich aus, aber sofort!“, forderte er gefährlich leise.

Mit klammen, zittrigen Fingern begann der Blonde sich aus seinen nassen Sachen zu schälen.

Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis er endlich nackt vor Sam stand. Sofort wurde er wieder grob an der Schulter gepackt, ins Bad gezerrt und unter die Dusche geschoben.

Grimmig grinsend drehte Sam den Wasserhahn auf und quittierte Deans Zusammenzucken, als ihn das kalte Wasser traf mit einem zufriedenen Lächeln.

„Kannst du dich alleine waschen oder muss ich helfen?“

„Bitte helfen“, wisperte der Blonde leise. Er hatte Angst diesen Riesen noch mehr zu verärgern.

Sam griff nach dem Duschgel und verteilte es sogleich, wenig einfühlsam, auf Deans Körper, wusch ihm grob die Haare und duschte ihn dann, mit noch immer recht kaltem Wasser, wieder ab. So langsam müsste seinem Bruder doch die Geduld ausgehen und er diesen bekloppten Versuch, ihn zu ärgern, aufgeben, hoffte der jüngere Winchester, doch nichts dergleichen passierte.

Genauso grob trocknete er Dean ab und schickte ihn endlich ins Bett.

Ohne eine Mine zu verziehen tappte Dean ins Zimmer. Er zog sich T-Shirt und Shorts an, die er im Bett fand und krabbelte dann unter die Decken. Erst jetzt traute er sich die Tränen zu weinen, die schon die ganze Zeit in seinen Augen brannten. Warum war der Mann nur so böse auf ihn? Er hatte doch nichts getan!

Leise wimmernd weinte er sich in den Schlaf.
 

Sam hatte ausgiebig geduscht und die prasselnde Wärme des Wassers hatte einen Teil seiner Wut weggewaschen. Trotzdem reichte diese noch aus um ihn an seinem Plan festhalten zu lassen. Er würde Dean so lange wie ein kleines Kind behandeln, bis es ihm reichte und der sich bei ihm entschuldigte. Mal sehen, wer von ihnen länger durchhalten würde.
 

Langsam wurde Sam am nächsten Morgen wach. Er kuschelte sich tiefer unter die Decke und versuchte wieder einzuschlafen. Doch dafür war er zu wach.

Er streckte sich träge und blinzelte in die Helligkeit des Tages. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es kurz nach zehn war. Mit einem leisen Seufzen setzte er sich auf. Er blickte zu seinem Bruder und verwarf den Gedanken, dass der schon wach sein und Frühstück besorgt haben könnte sofort wieder. Dean schlief noch, wie üblich. Aber irgendetwas war an den Bild komisch. Seit wann lag sein Bruder denn auf dem Rücken und alle Viere von sich gestreckt? Die Decke lag quer über ihm.

Hatte er Dean je so daliegen sehen? Schulterzuckend schlappte Sam ins Bad.
 

„Wie lange willst du eigentlich noch pennen?“, blaffte der Jüngere als er wieder ins Zimmer kam. Er schlug seinem großen Bruder gegen einen Fuß und zog ihm die Decke weg.

„Los raus und sieh zu, dass du fertig wirst, ich hab Hunger!“

Dean zuckte zusammen und riss seine Augen auf. Ängstlich wanderte sein Blick über den Langen.

„Mach hin, Dean!“

Wieder schaute der Blonde ihn fragend an.

„Bist du heute total doof? Anziehen, Zähne putzen, Klamotten packen!“

Hastig nickend beeilte sich Dean dem nachzukommen. Er rutschte aus dem Bett und stolperte in das Bad.

Sein T-Shirt war voller Zahnpasta als er wieder ins Zimmer kam.

„Du solltest deine Zähne putzen, nicht das T-Shirt einsauen!“, schimpfte Sam auch sofort los.

Ängstlich versuchte sich der Blonde so klein wie möglich zu machen und zerrte sich das Shirt über den Kopf.

In seiner Hektik, Sams Befehlen möglichst schnell nachzukommen, zog er sich sein T-Shirt auf Links an. Seine Jeans rutschten ihm fast von den Hüften, weil er den Knopf einfach nicht durch das Knopfloch bekam und die Schleifen seiner Schuhe lösten sich auch schon nach drei Schritten wieder.
 

Sams Wut über Deans Verhalten vom vorigen Abend schlug kurzzeitig in Spaß um. Sein Bruder tat ja so was von unbeholfen. Trotzdem fragte er sich, wie lange das noch so gehen sollte und er nahm sich noch einmal fest vor, dieses Mal nicht einzuknicken. Er würde das Spiel solange mitmachen, bis sein Bruder von selbst aufhörte. Wäre ja gelacht, wenn er nicht auch einmal den längeren Atem und den größeren Dickschädel hatte. Bei Dad hatte er schließlich auch seinen Kopf durchsetzen können!
 

Sams Blick wanderte zum Innenspiegel, um nach Dean zu sehen.

Wie oft hatte er das in den letzten vierundzwanzig Stunden eigentlich schon getan, um nach seinem Bruder zu schauen? Er hatte es nicht gezählt. Trotzdem wurde es ihm langsam unheimlich, wie vehement der Blonde an seinem Verhalten als kleines Kind festhielt. Wie lange wollte der diesen blöden Streich eigentlich noch durchziehen?

Zum Frühstück hatte er ihm Pfannkuchen und Kakao bestellt. Danach hatte er seinen Bruder auf die Rückbank verbannt, hatte seine Musik im Radio gehört und die ganze Zeit auf Protest gewartet.

Dean hatte bis jetzt kein einziges Wort gesagt. Er bemühte sich eher den Eindruck zu erwecken, er sei nicht da.

So kamen sie nicht weiter.

In der nächsten Stadt würde er Rast machen, ihre Wäsche waschen und ihnen ein Motel suchen und wenn Dean sich morgen immer noch so benahm, würde er ihm seine Meinung sagen und ihn zur Not dort einfach stehen lassen.

Sich gelegentlich mal Streiche zu spielen war ja okay, aber das uferte jetzt ja wohl total aus!
 

Schon bald hatten sie den nächsten Ort erreicht. Stadt konnte sich die Ansammlung weniger Häuser wohl nicht nennen, aber er verfügte über alles Notwendige und so hielt der jüngere Winchester vor dem Waschsalon.

Er holte ihre, vom Vortag, vollkommen verdreckte Kleidung und ging hinein. Dean trottete wortlos hinterher, setzte sich auf einen Stuhl und starrte gelangweilt Luftlöcher in den Raum.

Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. Er musste dringen auf die Toilette, doch er wusste nicht, wie lange sie hier bleiben würden und so böse, wie der Mann noch immer auf ihn war, war er sich nicht sicher, ob der ihn nicht einfach hier sitzen lassen und wegfahren würde.

Wenn der Mann doch wenigstens sagen würde, warum er so böse auf ihn ist!

Dean seufzte leise und erstarrte wieder zur Salzsäule, als er Sams Blick auf sich fühlte.
 

Im Motelzimmer angekommen, rannte Dean sofort ins Bad.

Sam schaute ihm hinterher, zuckte mit den Schultern und packte seinen Laptop aus, um nach einem neuen Fall für sie zu suchen. Einen Augenblick lang überlegte er, ob er Nick anrufen und ihn nach Neuigkeiten fragen sollte, doch der Agent hatte versprochen, sich zu melden, sobald er etwas wusste. Also kochte er Kaffee, stellte Dean eine Flasche Wasser und ein Glas auf den Couchtisch und widmete er sich seinen Recherchen. Er war, als Dean wieder ins Zimmer kam, schon in die Weiten des WWW eingetaucht.

Dean schaute ihm eine Weile zu. Doch der Lange würde wohl wieder nicht mit ihm spielen. Er zuckte mit den Schultern und krabbelte auf ein Bett. Leider überfiel ihn auch hier schon bald die große, grüne Langeweile.

Unschlüssig schaute er sich um. Ob es hier etwas zum Spielen geben würde? Er kletterte vom Bett und begann das Zimmer zu untersuchen. Doch weder in den Schubladen der Nachtschränkchen noch in denen im Schrank oder in der Kommode war etwas Interessantes zu finden. Auf der Kommode allerdings lag ein höchst interessantes Spielzeug.

Sams Handy.

Schüchtern blickte der Blonde zu dem Mann am Tisch. Der starrte noch immer in seinen Laptop und würde das Telefon wohl nicht so schnell vermissen. Dean griff zu und verzog sich mit seinem Schatz auf sein Bett. Mit der Sicherheit eines Kindes fand er die Spiele sofort und war nun seinerseits in einer anderen Welt abgetaucht.

Viel zu schnell war der Akku am Ende. Traurig und verlegen beendete er seinen Zeitvertreib und legte das Telefon zurück auf den Couchtisch. Sein Blick fiel auf die Flasche Wasser. Plötzlich hatte er Durst. Er öffnete die Flasche und kippte sich das Glas voll. Dass dabei ein Teil über den Rand des Glases schwappte und das Handy ertränkte, bemerkte er nicht einmal.

In dem Augenblick richtete sich Sam auf. Dean erstarrte, schaute zu dem Langen hinüber, stellte die Flasche ab, nahm sein Glas und wollte schnell wieder auf sein Bett flüchten. Das schien ihm noch der sicherste Platz zu sein. Sam beachtete ihn nicht. Er ging zum Tisch und wollte sein Handy nehmen, um Bobby anzurufen, den er am Morgen nicht erreicht hatte. Vielleicht war der ja wieder zu Hause. Seine Hand patschte in die Pfütze, in der das Telefon schwamm. Er versuchte erst gar nicht, das Handy in Betrieb zu nehmen.

„Dean!“, brüllte er wütend.

Der Blonde zuckte erschrocken zusammen. Das Glas entglitt seiner Hand und zerschellte auf dem Boden.

Sam packte seinen Bruder am Arm und zerrte ihn zu sich herum.

„Hast du sie noch alle? Dass du dich hier zum Kasper machst und ein Kleinkind mimst, bitte, wenn du das brauchst! Aber dass du dabei mein Handy ersäufst, das geht eindeutig zu weit! Es reicht! Verstehst du mich? Hör endlich mit dem Scheiß auf.“

Dean zitterte am ganzen Körper. Lautlos kullerten Tränen über sein Gesicht.

Als Sam das sah, brannte ihm eine Sicherung durch und er schlug zu.

Der Blonde verlor unter der Wucht des Schlages das Gleichgewicht. Mit dem Armen rudernd versuchte er sich abzufangen. Er trat in die Pfütze, die das zerbrochene Wasserglas hinterlassen hatte und ging zu Boden.

Ein dumpfer Schlag war zu hören, dann blieb er reglos liegen.

„Dean?“, fragte Sam erschrocken.

„Dean?“, wollte er etwas energischer wissen, doch sein Bruder regte sich noch immer nicht.

Er ging neben ihm in die Hocke und dreht ihn auf den Rücken. Sein Körper war schlaff und seine Augen geschlossen. Mit einem leisen Seufzen hob Sam ihn hoch und legte ihn auf das Bett. Vorsichtig tastete er den Kopf seines Bruders ab. Er konnte nichts feststellen, also blieb ihm nur, zu warten bis Dean wieder zu sich kam.

Waffenstillstand

166) Waffenstillstand
 

Der jüngere Winchester setzte sich auf sein Bett, seinen Blick auf Dean gerichtet. Er wollte dabei sein, wenn der wieder zu sich kam.

Während er wartete, ging er die letzten Minuten in Gedanken immer wieder durch. Etwas war faul. Irgendetwas passte ganz und gar nicht!

Und dann fiel es ihm ein. Sein Bruder hatte nicht reagiert, als er ihn geschlagen hatte. Erst als seine Hand Deans Gesicht getroffen hatte, war er zu Boden gegangen. Doch egal wie gut sich sein Bruder ihm Griff gehabt hätte, seine Instinkte hätten auf diese drohende Gefahr reagiert und ihn ausweichen lassen, bevor seine Hand getroffen hätte.

Und da war noch etwas.

Deans Augen! Sie waren immer so voller Leben, wissend und oft genug blitzten sie regelrecht, vor Freude. Seit gestern war in ihnen aber nur Scheu und Unsicherheit zu erkennen gewesen und oft genug Angst. Angst vor ihm!

Selbst wenn Dean ihm nur einen Streich hätte spielen wollen, und wenn er sich so gut unter Kontrolle gehabt hätte, seine Augen hätte er nicht so verstellen können!

Warum war ihm das denn nicht früher aufgefallen?

Verdammt! Das war kein Streich! Wenn, dann hätte sein Bruder für diese Leistung einen Oskar, ´nen Emmi und sämtliche Schauspielpreise der Welt bekommen sollen, aber Dean wollte ihn nicht verarschen, sich nicht über ihn lustig machen und er hatte es nicht bemerkt! Was war er doch für ein ignoranter Bruder! Und er wollte besser sein als Dean? Wohl eher nicht!

Doch was war mit Dean passiert? War er noch sein Bruder?

Sam kam es vor als wären Stunden vergangen, bis der Blonde sich wieder regte, es waren jedoch nur ein paar Minuten gewesen.

Deans Lider flatterten. Langsam klärte sich sein Blick und das erste, das er sah, war Sam.

Panisch riss er die Augen auf als der ihm immer näher kam. Instinktiv versuchte er zu fliehen und rutschte immer weiter von ihm weg. Auf der Bettkante verlor er den Halt und fiel, schon wieder, zu Boden.

Schnell ging Sam um das Bett herum und trat langsam an seinen Bruder heran.

„Sch“, machte er leise, ging in die Hocke und hielt dem Blonden seine offenen Handflächen hin.

Dean versuchte sich noch weiter gegen den Nachttisch zu drängen und wimmerte leise, als der nicht mehr nachgab.

„Bitte Dean, ich will dir nicht weh tun. Ich möchte mit dir reden“, versuchte er es leise.

Ergeben nickte der nach einer Weile. Gegen den Riesen hatte er ja eh keine Chance! Er zuckte zusammen, als Sam ihn berührte.

In Sams Augen flackerte Trauer ob dieser Reaktion. Was hatte er nur angerichtet, wenn sich sein Bruder jetzt schon vor ihm fürchtete!

Er half dem Blonden hoch und dirigierte ihn auf das Bett, dann zog er ein Taschentuch hervor und wischte ihm vorsichtig die Tränen von den Wangen.

„Kannst du mich sagen, wie du heißt?“, fragte er, nachdem er sich ihm gegenüber auf sein Bett gesetzt hatte.

„Du sagst Dean zu mir!“, nuschelte der Blonde leise.

„Ich weiß. Aber heißt du auch so?“

Ein ängstliches Schulterzucken war die Antwort.

„Woran kannst du dich alles erinnern?“

„Ein Gespenst, groß und durchsichtig im Dunkeln. Hatte Angst! Und dann hast du mich immer wieder angebrüllt!“

Sam schluckte. Wie musste sich sein Bruder die letzten Stunden gefühlt haben? Er atmete tief durch.

„Und davor?“

Der Blonde schüttelte nur kurz den Kopf. Er wusste nicht, was davor war, aber das Gespenst war so gruselig, dass er sich daran noch erinnern konnte.

„Es tut mir leid“, schniefte er und schaute seinem Gegenüber in die Augen.

„Es war nicht deine Schuld.“

Wieder gab es nur ein Schulterzucken.

„Hast du Geschwister?“

Ein zögerliches Kopfschütteln.

‚Was auch sonst? Mit so jemandem wie mir würde ich auch nicht verwandt sein wollen, wenn der so mit mir umgehen würde’, überlegte der Dunkelhaarige.

„Weißt du wo du wohnst?“

Auch auf diese Frage gab es nur ein Kopfschütteln und dann rollten die mühsam zurückgehaltenen Tränen wieder.

Sam hockte sich von seinen Bruder, legte ihm eine Hand an die Wange und wischte die Tränen weg.

„Hey“, sagte er leise, „wir schaffen das schon, okay?“

„Weiß nicht“, schniefte der Blonde.

„Wie alt bist du?“, wollte Sam wissen. Vielleicht konnte er Dean ja so von seinem Kummer ablenken und erfahren worauf er sich einstellen musste.

Ein breites Strahlen legte sich auf das noch tränenfeuchte Gesicht: „Fümf“, erklärte er und hielt Sam seine Hand mit allen Fingern weit abgespreizt vor die Nase.

‚Oh mein Gott!‘ Der Jüngere schluckte hart.

„Hast du Hunger?“, wollte der jüngere Winchester wissen und stand auf. Er holte einen Schokoriegel und hielt ihn seinem Bruder hin. Zögernd griff der zu.

„Möchtest du fernsehen?“ So schnell fiel Sam nichts ein, was er mit einem Fünfjährigen anstellen konnte, mal abgesehen davon, dass er sich jetzt lieber vor seinen Laptop setzen und nach Möglichkeiten suchen wollte, wie ein erwachsener Mensch plötzlich zu einem Fünfjährigen mutieren konnte. Ging das überhaupt, oder spielte ihm sein Bruder noch immer etwas vor?

Er schob diesen Verdacht rigoros beiseite und schimpfte sich innerlich als Idioten. Er hatte das doch jetzt nicht wirklich gedacht, oder? So weit würde selbst Dean nicht gehen nur, um als letzter lachen zu können. Mal abgesehen davon, dass er sich nie freiwillig wie ein Fünfjähriger behandeln lassen würde.

Er schaltete den Fernseher ein und blieb letztendlich bei einem Kanal hängen, der Trickfilme zeigte. Gerade liefen die Schlümpfe.

Vorsichtig rutschte Dean vom Bett, schaute den Langen noch einmal fragend an und setzte sich, als der nickte, vor den Apparat. Gebannt verfolgte er das Treiben der blauen Gesellen.
 

Als Sam am nächsten Morgen erwachte, lauschte er für einen Augenblick in den Raum. Vielleicht entpuppte sich das Ganze ja als schlechter Traum?

Er konnte nur die ruhigen Atemgeräusche seines Bruders hören. Seines Bruders? War er noch sein Bruder? Er hatte, nachdem er Dean ins Bett gebracht, und ihm eine Geschichte zum Einschlafen erzählt hatte, noch die halbe Nacht recherchiert, aber nicht wirklich eine Lösung für ihr Problem gefunden. Es gab Seelenwanderungen, Flüche, Geister oder Dämonen, die von Menschen Besitz ergriffen. Wechselbälger tauschten ihre Kinder gegen die der Menschen, um sich von ihnen zu ernähren. Hexen konnten Zauber wirken, die einem Menschen die Identität nahmen. Letztendlich war er sich in der Nacht nur darüber klar geworden, dass er keine Lösung finden konnte, solange er nicht wusste, was Dean war und was mit ihm passiert war. Wenigstens zwei ihrer Feinde konnte er ziemlich schnell herausfinden und gegebenenfalls ausschließen.

Er steckte sich, schlug die Decke zurück und setzte sich auf. Sein Blick fiel sofort auf Dean, der noch schlief.

Sie hatten gestern Abend zusammen noch einige Trickfilme gesehen, danach hatte er etwas zu essen geholt und seinem Bruder später geholfen, sich fürs Bett fertig zu machen. Er wollte zwar nicht so weit gehen, dass er behauptete, sie hätten Freundschaft geschlossen, aber immerhin so etwas wie einen Waffenstillstand hatten sie zustande bekommen. Jetzt konnte er wohl nur auf die vergehende Zeit hoffen und darauf, dass Kinder schnell vergaßen.

'Verdammt', schimpfte er sich in Gedanken. Jetzt grübelte er schon über ihre Zukunft nach, dabei wusste er noch nicht einmal, was passiert war. Vielleicht sollte er erstmal einen Schritt nach dem anderen tun!

Und das Wichtigste jetzt, war wohl Frühstück.

Er deckte seinen Bruder wieder richtig zu, der schien sich wohl öfter mit seiner Decke zu verzanken, und ging ins Bad. Schnell kontrollierte er seine Schulter auf Bissstellen.

Nichts. Also kein Wechselbalg. Wäre aber auch eher ungewöhnlich gewesen, da die eigentlich nur richtige Kinder tauschten.
 

Nachdem er den Tisch gedeckt und Kaffee aufgesetzt hatte, weckte er den Blonden. Der streckte sich, rieb sich die Augen und rutschte aus dem Bett.

„Christo!“

Dean schaute den Langen mit großen Augen fragend an.

„Ich hab nicht dich gemeint“, versuchte Sam zu sich raustzureden und seine Freude zu verbergen. Deans Augen hatten sich nicht schwarz eingefärbt. Zwei Feinde weniger, die er verdächtigen musste. Allerdings waren damit auch die zwei verhältnismäßig einfachsten Lösungen weggefallen. Blieben noch drei und er hatte keine Ahnung, wie er davon auch nur einen weiteren ausschließen konnte. Er musste also weiter in alle Richtungen ermitteln.

Er war so in seinen Gedanken vertieft gewesen, dass er erst jetzt merkte, wie Dean an seiner Jacke zupfte. Fragend blickte er ihn an.

„Ich muss mal“, sagte der leise.

„Oh. Entschuldige!“, schnell machte er den Weg frei und der Blonde flitzte ins Bad.

„Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid“, rief Sam ihm noch nach.

Letztendlich musste er jedoch nur beim Schließen des Hosenknopfes und dem Binden der Schnürsenkel helfen. Vielleicht konnten sie das ja in nächster Zeit mal üben.
 

„Kannst du dich an deine Mom erinnern? Hat sie lange Haare? Blond vielleicht?“, fragte er beim Essen.

„Ich weiß nicht“, nuschelte der Blonde hilflos.

„Ist nicht schlimm“, beruhigte Sam sofort. Aber wenn er etwas über seine Eltern heraus finden konnte, wäre ihm das eine große Hilfe, zu klären, ob es noch Dean war, oder ein anderes Kind in seinem Körper steckte. Doch selbst wenn er das wusste, war er noch keinen Schritt weiter! Wie sollte er denn je herausbekommen, was, wann, wie und wieso passiert war? War es schon länger her? Wenn ja, wieso war sein Bruder dann erst jetzt zum Kind geworden? Oder war es erst kürzlich passiert? Viel zu viele Fragen, von denen Sam jetzt schon Kopfschmerzen zu bekommen schien.

Das Beste würde sein, sie würden zu Bobby fahren und mit dem alten Freund dieses Problem klären.

„Was hältst du davon, wenn wir gleich zu Bobby fahren“, fragte er den Blonden.

„Bobby?“

„Ja, er ist ein guter Freund und kann uns bestimmt helfen.“

Dean zuckte mit den Schultern und nickte dann aber vorsichtig. Er war sich noch nicht sicher, wie er auf den Langen reagieren sollte. Jetzt war er freundlich. Würde er das auch bleiben?
 

„Hey, was hältst du davon, wenn du schon mal nach draußen gehst, während ich unsere Sachen packe?“, schlug Sam vor, nachdem sie ihr Frühstück beendet hatten.

Der Blonde nickte, zog sich seine Jacke über und ging hinaus.

Sam lächelte und blickte ihm durch ein Fenster hinterher, wie er über den Parkplatz lief, dann wandte er sich ihren Taschen zu und begann alles einzupacken.
 

Der blonde Winchester ging zu dem nachtschwarzen Fahrzeug, mit dem sie hierher gekommen waren. Ein paar Mal lief er drumherum und ließ seine Hand über den glänzenden Lack gleiten. Neben dem vorderen Reifen lag ein Stein, den er über den Boden kickte. Wie ein Fußballspieler trieb er den Kiesel immer näher an die Straße heran.
 

Ein Krankenwagen fuhr vorüber.

„Hast du das gesehen? Das war Dean Winchester! Ich will ihn! Die Lamia wird sich freuen!“, sagte die Beifahrerin und packte den Mann, der die Uniform eines Rettungshelfers trug und hinter dem Steuer saß, am Arm. Er wandte ihr den Kopf zu und schaute in ihre rabenschwarzen Augen. Er nickte, während sich auch seine Augen schwarz färbten.

An der nächsten Kreuzung wendete er.

„Das ist nicht der Winchester!“, erklärte der Dämon ruhig.

„Nein, die Seele ist fremd. Aber es ist sein Körper! Wir nehmen ihn mit!“

Der Krankenwagen kam neben Dean zum Stehen. Die beiden stiegen aus und gingen zu dem Blonden, der fast neben dem Heck des Wagens stand.

„Hey Kleiner, weißt du in welchem Zimmer dem Mann schlecht geworden ist?“, wollte die Frau ein wenig drängend wissen. Dean schüttelte den Kopf.

Der Fahrer öffnete die Hecktüren des Transporters.

Und dann ging alles ganz schnell.

Die Frau griff sich den Winchester und zerrte ihn zu der Ladefläche auf der ihr Helfer inzwischen wartete. Dean schrie erschrocken auf, strampelte und schlug um sich, doch seine Kräfte reichten nicht aus. Der Rettungshelfer packte seine Arme und zerrte ihn in den Wagen. Die Ärztin schlug die Türen zu, rannte zur Fahrerseite, stieg ein und raste mit eingeschalteten Signalen davon.

Erst außerhalb der Stadt hielt sie an, um ihrem Partner zu helfen. Während der den Winchester weiterhin mit seinen Kräften an die Trage presste, fesselte sie ihn mit Gurten und stopfte ihm ein paar sterile Lappen in den Mund.

In aller Ruhe machten sie sich danach auf den Weg zu ihrer Herrin. Die würde Augen machen über ihren Fang.

Entführt

167) Entführt
 

Sam hatte von alldem nichts mitbekommen. Bepackt mit ihren Taschen verließ er das Zimmer und ging zum Impala.

Von Dean war weit und breit nichts zu sehen.

„Dean?“, rief er laut und stellte die Taschen in den Kofferraum. War der vielleicht weggelaufen? Aber wohin? Er kannte hier nichts!

„Dean!“, rief er noch einmal etwas lauter, doch sein Bruder blieb verschwunden.

Suchend umrundete er das ganze Areal und rief immer wieder nach seinem Bruder. Doch er erhielt keine Antwort.

Wo war der nur? Erst hatte er seinen großen Bruder verloren und jetzt auch noch den Rest von ihm? Verzweifelt rannte er die Straße entlang.

„DEAN“, brüllte er noch einmal. Keuchend blieb er stehen und schaute sich um. Was sollte er denn jetzt machen?

Sinnlos durch die Gegend rennen brachte nicht viel. Er musste nachdenken! Was gefiel einem Kind? Wo würde er hingehen? Würde er mit Fremden mitgehen?

Langsam ging Sam zu ihrem Motel zurück.

Wen konnte er nach Dean fragen?

Ein Sonnenstrahl fiel auf etwas Goldenes am Straßenrand.

Mit wenigen Schritten war er an der Stelle. Es war Deans Anhänger, sein Talisman. Den würde er nie ablegen, schon gar nicht wegwerfen. Aber das hatte er auch nicht, denn das Lederband war zerrissen.

Was war hier nur passiert?

„DEAN!“, schrie er verzweifelt.

Langsam drehte er sich um seine eigene Achse und schaute sich suchend um. Wie konnte es jetzt weiter gehen? Wie konnte er herausfinden, was mit seinem Bruder passiert war?

Er sah die Kamera, die den Parkplatz und vielleicht auch einen Teil der Straße abdeckte.

Er müsste er sich in das System einhacken.

War die Kamera eingeschaltet? Zeichnete sie das Geschehen auf? Lief sie vielleicht noch mit einem Band? Wenn ja, dann musste er sich etwas einfallen lassen um an die Aufnahme zu kommen.

Mit diesem neuen Plan fühlte er sich schon wieder etwas besser. Jetzt musste er ihn nur noch umsetzten und herausfinden, was mit Dean passiert war!

Er steckte den Anhänger in seine Tasche. Den würde er seinem Bruder wiedergeben, wenn der wieder er selbst war.

Schnell holte er sich seinen Laptop aus dem Rucksack und ging zurück in ihr Zimmer. Zum Glück hatte er noch nicht ausgecheckt.

Sofort begann er sich in das System des Motels einzuhacken.
 

Noch immer lag Dean bewegungsunfähig auf der Trage im Krankenwagen. Tränen quollen aus seinen Augen und liefen an den Schläfen hinab. Er konnte sie nicht stoppen.

Was wollten die von ihm? Was hatte er getan? Warum ließen sie ihn nicht in Ruhe und wo war dieser Sam? Er wollte auch immer artig sein und tun, was er ihm sagte!

Bitte!
 

Erleichtert atmete der jüngere Winchester auf, als er auf den kleinen Button drückte um das Video abzuspielen. Wenigstens hierfür würde er nicht lange brauchen, da er die Tatzeit sehr gut eingrenzen konnte. Aber er hatte eine halbe Ewigkeit gebraucht um in das System zu kommen. Gott sei Dank waren die Aufzeichnungen der Motelkamera digital.

Ein dicker Klos drängte sich in seinen Hals, als er sah, wie zwei Personen, von denen man erwartete, dass sie halfen, seinen Bruder in einen Krankenwagen zerrten und dann davonrasten.

Sam sackte in sich zusammen.

Und jetzt? Wie bekam er denn jetzt seinen Bruder zurück, der noch nicht einmal wirklich sein Bruder war? Was wollten die überhaupt von ihm? Waren das Dämonen? Böse Geister, die sich an ihnen rächen wollten?

‚Raff dich auf, Sam Winchester! Dean würde sich, wenn es um ihn ginge, nicht so hängen lassen! Also denk nach und finde ihn und zwar pronto!’

„Und wie?“, nuschelte er, seinen kurzfristigen Optimismus wieder dämpfend? Er wusste doch nur in welche Richtung die Kidnapper gefahren waren. Aber spätestens an der nächsten Kreuzung würde er ihre Spur verlieren!

‚Verdammt! Dean hat mich doch auch gefunden als mich diese Benders entführt hatten! Aber wie? Hatte die Polizistin mein Handy geortet? Nein, das lag irgendwo auf dem Parkplatz. Also wie hatten sie mich gefunden?

Denk nach Sam, denk nach!’

Und dann fiel ihm ein, dass an vielen Kreuzungen Kameras den Verkehr überwachten.

Das würde ein langwieriges Unterfangen werden!
 

Der Krankenwagen hielt.

Wieder wurde Dean mit dämonischer Kraft auf die Trage gepresst. Die Gurte wurden gelöst und dann zerrten sie ihn aus dem Wagen und in eine Höhle hinein. Wehrlos ließ er sich mitzerren.

Sie liefen ein ganzes Stück und bogen dabei mehrmals ab. Dann standen sie vor einer Tür.

Durch die einzelnen Bretter schien Licht hindurch.

Der Fahrer schob die Tür auf und sie drängten den Winchester hindurch.

„Was habt ihr da?“, fragte die schwarzäugige Frau, die auf einem Stuhl saß unfreundlich und blies den Rauch ihrer Zigarette in die Luft. Sie hatte sich dazu breit erklärt, diesen minderbemittelten Dämonen zu ein wenig Ansehen zu verhelfen. Pah! Sie musste nicht unter diese widerlichen Menschen, und bekam die frei Haus und lieferte die Seelen als ihre Beute in der Hölle ab. Ein gutes Geschäft für sie!

„Dean Winchester!“, nickte die einfältige Dämonin eifrig.

„Das ist nicht Dean Winchester!“, erwiderte sie giftig.

Die Dämonin, die im Körper der Notärztin steckte, umfasste Deans Kinn und zwang ihn, die Frau anzusehen. Wieder rannten Tränen über seine Wangen.

„Es ist sein Körper!“

Jetzt stand die Frau auf und kam auf sie zu. Instinktiv versuchte der Blonde zurückzuweichen.

Seine Entführer umfassten seine Arme und er wimmerte vor Schmerzen in seinen Knebel. Weitere Tränen quollen aus seinen Augen.

Die Frau umfasste nun ihrerseits sein Kinn und drehte seinen Kopf, ohne Rücksicht, hin und her.

Zu guter Letzt lächelte sie boshaft.

„Fesselt ihn auf den Stuhl, zieht ihm aber vorher die Klamotten aus. Ich will freien Zugang zu seinem Blut!“, forderte sie barsch und ihre Untergebenen beeilten sich ihrem Befehl nachzukommen.

Danach verzogen sich die beiden an einen kleinen Tisch in der Ecke und warteten darauf, dass ihre Herrin milde gestimmt war.

Die Frau trat vor den Blonden. Sie beugte sich zu ihm hinab, legte ihm eine Hand auf die Brust. „Der Körper von Dean Winchester mit der Seele eines unschuldigen Kindes. Wie entzückend! Wie schmackhaft!“, flötete sie zuckersüß. „Du wirst nie wieder einen Dämon töten, dafür sorge ich. Und wenn dein Körper zerstört ist, werde ich mir deine Seele vornehmen. So wehrlos wie dein Körper ohne deine Seele ist, so wenig wehrhaft ist die in ihrem jetzigen Körper. Das wird ein Festessen!“

Sie leckte über Deans Halsschlagader und dann krallten sich ihre Nägel in seine Brust.

Der Blonde schrie in den Knebel, während das Blut langsam unter den Nägeln hervor kroch und seinen Bauch hinab lief.

Sie riss ihm den Knebel aus dem Mund.

„Ich will dich schreien hören!“, lachte sie und biss ihm in den Hals.

Er brüllte wie von Sinnen und wand sich in seinen Fesseln.

Gierig trank sie ein paar Schlucke, bevor sie sich losreißen konnte. Schnell verschloss sie diese Wunde wieder.

Dean sackte in sich zusammen.

„Wir wollen ja nicht, dass du stirbst bevor wie unseren Spaß hatten“, flötete sie und streichelte ihm die Wange.

Der Winchester erstarrte vor Angst und bekam keinen Ton heraus, nur die Tränen liefen ihm unaufhörlich über die Wangen.

„Sucht den Jungen!“, fachte sie ihre Helfer an. „Bringt ihn her!“

„Aber wie…?“, wagte die Ärztin aufzubegehren.

„Haltet mich nicht mit Einzelheiten auf! Es ist mir scheißegal wie ihr das macht. Macht es! Und zwar plötzlich!“

Ohne einen weiteren Einspruch zu wagen, verließen die Dämonen ihre Hüllen und verflüchtigten sich aus der Mine, ihre Körper orientierungslos am Boden liegen lassend und ohne dass sich die Frau dabei unterbrechen ließ, den Winchester weiter zu quälen.

Erst als sich die Menschen leise stöhnend regten, ließ sie kurz von ihm ab, brach einem nach der anderen mit einer kurzen Handbewegung das Genick und wandte sich wieder ihrem derzeit bevorzugten Opfer zu.
 

Das Klingeln eines Handys riss Sam aus seinen Überlegungen und ließ ihn erschrocken auffahren.

Hektisch suchte er nach dem Telefon, nahm ab und meldete sich.

„Hey Sam hier ist Nick. Ich dachte, ich hätte Dean angerufen.“

„Ja, es ist sein Handy. Wenn du ihn sprechen willst, das ist im Moment etwas schlecht.“

„Ist nicht so wild. Ich wollte euch nur erzählen, dass wir Mark Lynch verhaftet haben, dank eures Hinweises und der Aussage von Carlton Westwood. Das Ganze war eines dieser blöden Aufnahmeritualen für eine Studentenverbindung gewesen. Lynch ist noch ziemlich verstockt. Aber wir haben auch seinen Partner, Josh Speight, verhaftet und der plaudert wie ein Wasserfall. Ich weiß zwar nicht, ob wir da noch etwas machen können, ist immerhin schon etliche Jahre her. Aber vielleicht können wir Lynch wenigstens Totschlag anhängen. Die Leiche haben wir auch schon exhumieren lassen. Ihr…“

„Nick, sei mir bitte nicht böse, dass ich dich unterbreche. Dean wurde entführt und …“, fiel ihm der Winchester ins Wort.

„Dean? Wie konnte das denn passieren? Brauchst du Hilfe?“, wollte der Agent ehrlich besorgt wissen.

„Nein, Danke. Ich denke ich schaff das allein, aber ich muss mich beeilen.“

„Natürlich Sam. Melde dich, wenn du ihn gefunden hast und natürlich auch, wenn du Hilfe brauchst.“

„Danke Nick. Bis dann.“ Es tat Sam weh, den Agenten so abgewürgt zu haben, aber sein Bruder ging vor und da der immer noch nicht er selbst war, konnte er auch nicht davon ausgehen, dass der sich selbst helfen konnte.

Schnell sortierte er die Blätter um sich herum und kontrollierte noch einmal seine bisherigen Ergebnisse. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass schon viel zu viel Zeit vergangen war und er noch immer keine Spur von seinem Bruder hatte. Und so versenkte er sich wieder in seinen Recherchen.
 

Der Drucker spuckte das letzte Blatt aus und verstummte.

Sam legte die Blätter übereinander, rollte sie zusammen und steckte sie in die Innentasche seiner Jacke. Sein Blick flog wieder zur Uhr und er schluckte. Dean war jetzt seit fast zwölf Stunden in den Händen seiner Entführer und er hatte noch eine Fahrt von ungefähr zwei Stunden vor sich, bis zu der Stelle, an der der Krankenwagen zuletzt von einer Überwachungskamera erfasst worden war.

Er hatte die Standorte der umliegenden Kameras in der Karte eingezeichnet und jetzt zumindest eine wage Ahnung davon wie groß das Gebiet war, das er würde absuchen müssen. Immer in der Hoffnung, dass er den Wagen nicht doch irgendwo übersehen hatte. Vielleicht war er ja auch schon wieder zurückgekommen und dann irgendwo anders abgebogen nur um Verfolger abzuschütteln? Es wäre ja nicht das erste Mal, dass er die Spur verloren und einiges an Zeit vergeudet hatte, um sie wieder zu finden.

Selbst wenn die Überwachungskameras alle den gleichen Code hatten, um sie abrufen zu können, es war eine zeitraubende Arbeit gewesen.

Er brachte den Schlüssel zur Rezeption, zahlte und machte sich dann endlich auf den Weg, seinen Bruder aktiv zu suchen.

Sein Magen knurrte schon eine ganze Weile. Aber auch das verschob er auf später. Im Wagen würde er genug Zeit haben, um etwas essen zu können. Er hatte ja immer ein paar Schoko- und Müsliriegel in seinem Rucksack.
 

Der jüngere Winchester war froh, als er endlich in der Gegend war, in der er suchen wollte.

Die letzten knapp zwei Stunden hatte er damit verbracht hierher zu rasen, Dean wäre stolz auf ihn gewesen, und sich Vorwürfe zu machen. Wäre ihm eher aufgefallen, was mit seinem Bruder los war, dann hätte er mit ihm gespielt. Dean hätte sich nicht gelangweilt und sein Handy ertränkt, hätte also sein eigenes noch in der Tasche und er hätte ihn orten können und …

Es machte keinen Sinn sich mit Selbstvorwürfen zu malträtieren. Damit war keinem geholfen.

Er hielt den Wagen an und schaute auf seine Karte.

Bis zur nächsten Kamera gab es jede Menge kleinerer Straßen, die von dieser abgingen. Wenn er die alle abfahren müsste, wäre er noch mindestens einen Tag beschäftigt. Wenigstens gab es hier fast ausschließlich Felder. Der Frühling hatte gerade erst begonnen und die Saaten waren noch nicht so hoch, dass man einen Krankenwagen darin verstecken könnte. Blieben noch die wenigen, kleinen Wäldchen und der Regen in stockdunkler Nacht, die ihm die Suche erschwerten.

Noch einmal blickte er auf seine Karte. Er legte sie auf den Beifahrersitz.

Es fühlte sich falsch an so alleine im Impala zu fahren. Er saß zwar sonst fast immer auf dem Beifahrersitz, aber trotzdem. Ohne Dean fehlte hier etwas Entscheidendes.

„Wir finden ihn!“, versprach er sich und dem Wagen.

Langsam rollte der Impala über die Kreuzung.

Sam hatte beschlossen, dass er die Strecke zuerst einmal komplett abfahren würde, vielleicht fiel ihm ja was auf. Wenn nicht, würde er anfangen die Seitenstraße absuchen.

Kaufrausch

168) Kaufrausch
 

Zwei Drittel des Weges hatte er hinter sich, ohne das ihm etwas aufgefallen wäre, als ein Lichtkegel etwas Helles streifte. Er trat auf die Bremse, fuhr ein Stück zurück und richtete den Suchscheinwerfer genau auf die Stelle.

Das Glück schien ihm wenigstens jetzt hold zu sein, es war der Krankenwagen.

Er schaute sich suchend um. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich so etwas wie ein Höhleneingang. Ohne den Krankenwagen hätte er den in der Dunkelheit einfach übersehen.

Das wäre doch ein gutes Versteck für Kidnapper.

Sam gestattete sich ein kurzes, hoffnungsvolles Lächeln. Schnell fuhr er weiter und parkte den Impala am Waldrand.

Fast lautlos schlich er zu dem Krankenwagen zurück. Er probierte eine der Hintertüren zu öffnen und er hatte schon wieder Glück. Sie war nicht verschlossen.

Schnell stieg er ein und begann das Innere zu untersuchen. Doch er konnte nichts Auffälliges entdecken. Blieb nur die Tatsache, dass er hier stand. Letztendlich hätte den auch jemand geklaut und hier abgestellt haben können.

„Reiß dich zusammen Sam!“, murmelte er wütend über sich selbst.

Er stiegt wieder aus, schloss die Tür leise und ging, jede mögliche Deckung ausnutzend, zu der Höhle.
 

Aus der Nähe betrachtet, stellte die sich als Eingang zu einer Mine heraus, die jedoch offensichtlich schon lange nicht mehr in Betrieb war.

So leise wie möglich schlich er tiefer in die Mine hinein.

Immer wieder zweigten Gänge ab.

Die ersten beiden erwiesen sich jedoch bald als verschüttet beziehungsweise so fest vernagelt, dass hier niemand hindurch gegangen sein konnte.

Er folgte dem Hauptgang. Nach einer ganze Weile zweigte wieder ein Gang ab. Unsicher folgte er ihm angestrengt lauschend.

Er hörte ein Steinchen, von seinem Fuß losgetreten, zur Seite rollen, seinen Atem leise durch seine leicht geöffneten Lippen streichen, ein ersticktes Wimmern, das Tropfen von Wasser.

Der Winchester blieb stehen.

Ein ersticktes Wimmern? Hatte er wirklich ein ersticktes Wimmern gehört? Er erstarrte regelrecht und horchte in die Dunkelheit.

Nichts!

Enttäuscht ließ er die Schultern hängen und atmete tief durch.

Er wollte gerade weiter gehen, als ein dumpfer Schmerzensschrei, der sofort unterbrochen wurde, durch die Dunkelheit drang und seine Nackenhaare dazu brachte, sich aufzurichten.

Ob es Dean war, wusste er nicht zu sagen und für einen Moment hoffte er, dass es jemand Anderer war, der geschrien hatte.

Ohne Rücksicht auf seine Sicherheit huschte er so schnell wie möglich durch die Dunkelheit.

Nach einigen Windungen stand er plötzlich vor einer roh beschlagenen Holztür, durch deren Ritze Licht schimmerte. Lauschend legte er sein Ohr an die Tür, aber außer einigen Wortfetzen konnte er nichts hören.

Er atmete tief durch, trat die Tür auf und sprang, den Colt im Anschlag, in den Raum. Innerhalb weniger Sekunden hatte er sich orientiert, gezielt und abgedrückt. Ihm reichte es, dass ihre Hand blutverschmiert war und sie sich über seinen Bruder gebeugt hatte, wie um ihn zu beißen.

Der Schuss hallte unverhältnismäßig laut durch den Gang.

Die Frau starb flackern, mit ungläubig aufgerissenen Augen.
 

Sam nahm sich nicht die Zeit, die ihre Leiche zu untersuchen. Ihm reichte es, zu wissen, dass ein Dämon in dem Körper gesteckt hatte. Aber auch wenn sie einfach nur ein Mensch gewesen wäre, würde er mit Sicherheit keine Gewissensbisse haben. Sie hatte seinen Bruder gequält!

Er warf noch einen kurzen Blick zu den zwei Körper, die an der hinteren Wand lagen. Er konnte nicht erkennen wie lange sie schon leblos da lagen, doch der vollkommen unmögliche Winkel, in dem die Köpfe zu den Körpern lagen, sagte genug aus, um ihn wissen zu lassen, dass es sinnlos war, nach ihnen zu sehen.

Jetzt war nur noch eine Person hier wichtig.

Dean hing auf einem Stuhl. Seine Hand- und Fußgelenke waren an die Stuhlbeine gefesselt und sein Kopf hing auf seiner Brust.

Sam ging vor ihm in die Hocke. Sanft legte er seine Hand unter Deans Kinn und hob sein Gesicht zu sich hoch. Sein Bruder war bewusstlos. An seinem Hals und auf Brust und Bauch war getrocknetes Blut, aber er konnte keine Wunde finden. Doch selbst in der schlechten Beleuchtung der Taschenlampe sah er unzählige blaue Flecke, die den Körper bedeckten.

Vorsichtig entfernte er den Knebel und löste die Fesseln.

Er fing den Blonden auf, bevor der zu Boden rutschen konnte, hob ihn hoch und trug ihn zum Impala. Sanft bettete er seinen Bruder auf die Rückbank und begann ihn im Schein von Innenbeleuchtung und Taschenlampe zu untersuchen.

Deans Bauch war weich und er hatte kein Blut im Mund, schien also keine schwerwiegenden inneren Verletzungen zu haben. Verhalten atmete er auf. Hoffentlich kam er bald zu sich, dann würde er mehr wissen.

Schnell hatte er seinen Bruder in die Decken gewickelt, die sie in letzter Zeit immer im Kofferraum hatten. Er startete den Wagen und fuhr bis zur Mine.
 

Fünf Minuten später waren sie auf dem Weg zu Bobby.

Sam hatte die Mine mit ein paar Stangen Dynamit aus dem Kofferraum zum Einsturz gebracht. Da drin würde niemand mehr jemanden verstecken können.

Dean gab ein leises Stöhnen von sich.

Sofort fuhr der jüngere Winchester den Wagen an den Straßenrand stieg aus, öffnete die hintere Fahrertür und hockte sich neben die Sitzbank. Gespannt wartete er, dass der Blonde richtig zu sich kommen würde. Vorsichtig blinzelnd öffneten sich dessen Augen. Der Jüngere legte ihm eine Hand an die Wange.

„Hey“, sagte er ruhig.

Dean reagierte panisch. Er wand sich in den Decken und schlug um sich. Sam musste seine Hände greifen und mit sanfter Gewalt auf seinen Bauch drücken.

„Dean! Ich bin es, Sam. Du bist in Sicherheit“, wiederholte er immer wieder.

Und endlich beruhigte sich der Blonde. Ängstlich schaute er zu Sam hoch.

Der Jüngere strich ihm beruhigend über die Wange.

„Sie kann dir nichts mehr tun. Die Hexe ist tot“, sagte er.

Dean japste, wühlte sich aus den Decken und hing, behände wie ein Affe, am Hals des Größeren und klammerte sich fest. Beruhigend strich der ihm immer wieder langsam über den Rücken.

Endlich löste sich der Blonde etwas.

„Was meinst du, suchen wir uns gleich hier ein Motelzimmer und ruhen uns aus?“

Dean klammerte sich wieder fester an Sam und gab ein ersticktes Wimmern von sich.

„Okay“, seufzte Sam ergeben. „Wir fahren weiter, aber du versprichst mir, dass du versuchst auf der Rückbank zu schlafen!“

Dieses Mal nickte der Blonde zögerlich. Alles was der Lange sagte, wenn er nur bei ihm bleiben durfte!

Sam half ihm noch schnell sich Shirt und Hemd anzuziehen und wickelte ihn dann wieder auf der Rückbank in die Decken, bevor er seine Müdigkeit verdrängend, zurück auf die Straße rollte und Richtung Westen fuhr.
 

Lange währte Deans Zusage allerdings nicht. Schon bald kam er über die Lehne nach vorn auf den Beifahrersitz geklettert, wo er, seine Finger in Sams Jackensaum gekrallt, aus dem Fenster starrte. Ihm fielen zwar immer mal wieder die Augen zu, doch ihm war keine Ruhe vergönnt. Schnell drängten sich die Bilder der letzten Stunden erneut in sein Bewusstsein und er riss die Augen wieder auf.
 

Der Morgen graute schon, als sie endlich an einem Motel anhielten und eincheckten.

Kaum hatten sie ihr Zimmer betreten, ließ Sam auch schon Wasser in die Wanne und half seinem Bruder dabei sich auszuziehen. Behutsam kontrollierte er noch einmal dessen Körper auf Wunden. Zu seiner Erleichterung fand er wieder nur die schon bekannten blauen Flecke, doch die waren teils riesig. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was dieser Dämon mit seinem Bruder gemacht hatte.

„Okay“, sagte er leise und half dem Blonden dabei, in die Wanne zu steigen. Er ging ins Zimmer um frische Kleidung für Dean zu holen. Als er zurückkam saß der Blonde ziemlich verloren im Wasser und Sam nahm sich vor, doch noch loszufahren, um ihm Spielzeug zu besorgen.

Er hatte die ganze Fahrt über immer wieder darüber nachgedacht, ob er das wirklich machen sollte. Es fiel ihm noch immer schwer, seinen Bruder als kleines Kind zu sehen. Aber er musste der Tatsache ins Auge sehen, genau das war er im Moment und ein Kind brauchte etwas zum Spielen.

Blieb nur noch die Frage, wann er zum Einkaufen kommen würde.

„Was hältst du davon, wenn wir uns ausschlafen und dann einkaufen fahren?“, wollte er von seinem Bruder wissen. Deans Augen weiteten sich schon wieder ängstlich. Er schüttelte den Kopf, sagte aber kein Wort.

„Du willst lieber hier bleiben?“

Dean nickte.

„Okay, dann gehen wir gleich ins Bett“, entschied er und schluckte das schlechte Gefühl, seinen Bruder angelogen zu haben, herunter. Er wollte Dean nicht zwingen etwas zu tun. Nicht jetzt. Aber sie brauchten Essen und der etwas, um sich zu beschäftigen. Er wollte ihn nicht den ganzen Tag vor der Glotze parken.

Schnell holte er eine Flasche Bier und half seinem Bruder dann beim Abtrocknen. Er verteilte großzügig heparinhaltige Salbe auf Deans Körper und drückte ihm, kaum dass er angezogen auf dem Bett saß, eine Flasche in die Hand.

„Das hilft gegen die bösen Träume“, erklärte er ernst und schluckte. Bier war nun wirklich nichts, was man einem Kind geben sollte, doch es machte müde und er hatte sonst nichts, dass er seinem Bruder hätte geben können, das auch nur annähernd beim Einschlafen helfen würde.

Vertrauensvolltrank Dean einen Schluck und schüttelte sich, das Gesicht vor Ekel verzogen.

„Bitter“, stellte er fest.

„Hmhm. Das muss bitter schmecken, damit es helfen kann.“

„Mag aber nicht“, quengelte der Blonde und Sam nahm ihm die Flasche ab. Er ging in die Küche, schüttete Zucker in ein Glas und dann das Bier darauf. Das würde zwar nicht besser schmecken, war aber wenigstens süß. Den Rest Bier füllte er, auch mit viel Zucker in ein zweites Glas und brachte beide wieder zu seinem Bruder.

„Versuch es jetzt mal.“

Skeptisch probierte der Blonde. Der Zucker erzielte die beabsichtigte Wirkung und Dean trank beide Gläser ohne zu zögern leer.

Als Sam ihm das zweite Glas abnahm, fielen ihm schon fast die Augen zu. Der jüngere Winchester lächelte und hoffte, dass die Aspirin, die er ihm im Bad gegeben hatte auch die Kopfschmerzen dämpfen würde, die diese Menge Zucker zweifellos hervorrufen musste. Er brachte die Gläser zur Spüle und kochte sich einen Kaffee, mit dem er sich dann auf sein Bett setzte.
 

Nach einer viertel Stunde war sein Kaffee leer und Dean schlief noch immer tief und fest und vor allem ruhig. Sam deckte ihn noch einmal richtig zu und machte sich auf den Weg.

Das nächste Einkaufszentrum hatte er ja schon gesehen, als er hier auf den Motelparkplatz eingebogen war.

Er wollte seinem Bruder unbedingt ein Plüschtier kaufen. Solange er seinen Bruder kannte, hatte der nie eines besessen. Dabei sollte doch jedes Kind so eine Einschlafhilfe haben!
 

Ein Tisch, vollbeladen mit Lego, empfing Sam am Eingang des Spielwarengeschäfts. Mittendrin standen mehrere Kartons mit Feuerwehrtrucks und Feuerlöschbooten.

Über Lego hatte er eh schon nachgedacht. Immerhin war das eines der wenigen Spielzeuge, die sie damals besessen hatten. Und man konnte so unheimlich viel damit machen, nicht nur Steine in der Lüftung des Impala versenken. Das hatte er als Kind gemacht und noch heute steckte ein Stein in einem Lüftungsschlitz und erzeugte ein leises Klappern. Selbst damals, als sein Bruder den Wagen nach dem Crash wieder aufgebaut hatte, hatte er den Stein an seinem Platz gelassen.

Hatte Dean nicht mal gesagt, dass er als Kind Feuerwehrmann hatte werden wollen?

Er dachte nicht länger darüber nach, sondern packte alles, was Lego und Feuerwehr war in seinen Wagen. Vielleicht sollte er ihm noch ein Haus zusätzlich mitnehmen, damit er was zum Löschen hatte? Nein. Erstmal hatte sein Bruder hier genug zu bauen und zum Löschen würde er in ihrem Zimmer schon was finden.

Langsam schob er den Wagen durch die Regalreihen und packte noch einige Matchbox-Autos mit ein. Leider hatten sie keinen Impala.

Auf dem Weg zu dem Büchern legte er noch einige Puzzle in den Wagen. Ob er Dean doch noch zum Lesen bringen konnte? Er ging die Reihe mit den Kinderbüchern durch und packte Puh-Bär und ein Buch über die Feuerwehr auf den Berg. Doch die anderen Bücher sagten ihm nicht so zu.

Außerdem war Dean erwachsen, verdammt. Vielleicht war er ja in seinem Körper gefangen und dazu verflucht, sich nur noch wie ein kleines Kind äußern zu können?

Oh Gott! Sam wollte nicht länger über diese Möglichkeit nachdenken. Er musste so schnell wie möglich einen Weg finden, wie er seinen Bruder zurück bekam. Aber trotzdem konnte er ihn nicht wie einen Erwachsenen behandeln. Vielleicht war ja doch ein Kind in seinem Körper?

Es war zum verrückt werden. Irgendetwas war mit Dean passiert und der konnte ihm nicht sagen was!

Okay! Fürs erste würde er von einem Kind ausgehen. Trotzdem konnte er ja vielleicht beiden gerecht werden.

Langsam ließ er seine Augen über die Jugendbücher gleiten und legte ein paar davon in den Wagen. Er packte noch ein paar Feuerwehr-Malbücher und Buntstifte dazu, als sein Blick seine Uhr streifte.

„Zwei Stunden?“, murmelte er entsetzt. Er hatte seinen Bruder höchstens eine Stunde alleine lassen wollen! Verdammt. Jetzt musste er sich beeilen. Lebensmittel brauchte er ja auch noch, wenn sie das Zimmer heute nicht mehr verlassen wollten. Und so wie er seinen Großen einschätzte, wollte der das bestimmt nicht. Dean sollte erstmal das Trauma des gestrigen Tages überwinden. Hoffentlich wollte der überhaupt noch irgendwann mal wieder raus.

Er manövrierte den Wagen zur Kasse und packte, als er noch einmal bei den Legos vorbei kam doch noch einen Eimer mit verschiedenen Steinen dazu.

Beim Bezahlen bekam er gleich den nächsten Schock. Da war er wohl in einen regelrechten Kaufrausch verfallen. Egal! Es war für Dean und da würde er noch mehr ausgeben, damit sein Bruder glücklich wäre!

Erste Ergebnisse

169) Erste Ergebnisse
 

Hastig verstaute Sam seinen Einkauf im Kofferraum des Impalas und rannte noch einmal los um Lebensmittel für die nächsten zwei Tage einzukaufen. Dann fuhr er zurück.

Erleichtert stellte er fest, dass Dean noch immer schlief, anstelle eines Kuscheltieres, den Bettzipfel im Arm.

Sam schlug sich vor die Stirn. Er hatte das Plüschtier vergessen!

Müde rieb er sich über die Augen und überlegte gähnend, ob er noch einmal losfahren wollte.

Er entschied sich dagegen. Er war viel zu müde und wollte eigentlich nur noch duschen und dann ins Bett. Sein Bruder schien sich ja ganz gut geholfen zu haben.

Schnell baute er noch die Spielsachen auf dem Boden, vor dem Fußende von Deans Bett auf und beeilte sich dann, in seins zu kommen.

Noch beim Einschlafen überlegte er sich, dass er mal gelesen hatte, dass Kinder Regeln brauchten und wie er das am Besten umsetzen könnte.
 

Sein Handy riss ihn ein paar Stunden später wieder aus dem Schlaf. Er hatte es gestellt, um nicht den ganzen Tag zu verschlafen und dann vollkommen aus dem Rhythmus zu kommen. Okay er hatte ja kaum einen richtigen Tagesrhythmus, aber er wollte dem Kleinen einen geben.

Er quälte sich in die Senkrechte, buk Pfannkuchen, nachdem er sich angezogen hatte, kochte Kaffee und Kakao und deckte den Tisch. Erst als alles fertig war, weckte er seinen Bruder.

Träge streckte der sich, rieb sich mit den Fäusten den Schlaf aus den Augen und blinzelte müde.

„Komm, Essen ist fertig“, forderte Sam ruhig.

„Müde!“

„Ich auch, aber wenn wir jetzt noch länger schlafen, kommen wir heute Abend nicht ins Bett.“

„Bin aber müde“, quengelte der Blonde weiter.

„Na komm erstmal essen und wenn du dann immer noch wieder ins Bett willst, dann kannst du gehen, okay?“

Zögernd nickte der Ältere und rutschte vom Bett.
 

Schweigend aßen sie.

„Immer noch müde, oder sollen wir mal schauen, was im Fernsehen kommt?“, fragte Sam während er begann den Tisch abzuräumen.

„Müde!“, erklärte Dean und stand auf. Er wollte wieder ins Bett. Wer wusste schon, ob er dem Langen nicht wieder im Weg rumstand, oder etwas kaputt machte.

Sein Blick fiel auf die vielen Kartons auf dem Boden. Ganz ohne sein Zutun tapsten die bloßen Füße zu den Spielsachen.

„Für mich?“, fragte er leise.

„Siehst du hier noch jemanden, der so klein ist wie du?“

Noch ehe er sich versah, umarmte ihn Dean stürmisch.

Vorsichtig legte der Größere seine Arme um den Blonden und ließ ihn gewähren.

„Immer noch müde?“, fragte er nach einer ganzen Weile leise und wie zu erwarten war, schüttelte der Ältere den Kopf.

„Okay, dann ab ins Bad und Zähne putzen. Danach will ich deine blauen Flecke noch mal einreiben, dann anziehen und dann darfst du spielen.“

„Aber ich …“

„Nix du! Hier ist es nicht sonderlich warm und ich möchte nicht, dass du dich erkältest. Also los!“

Maulend lief der Blonde ins Bad und putzte sich die Zähne.
 

„Halt still“, schimpfte Sam, nachdem ihm sein Bruder zum zweiten Mal entfliehen wollte. Jetzt untersuchte er ihn extra gründlich! Dean zappelte immer mehr.

„Wenn du gleich stillgehalten hättest, wären wir schon fertig. Und jetzt ab. Anziehen!“, sagte er mit einem leisen Lächeln im Gesicht und atmete durch, als Dean aus dem Bad verschwunden war. Das konnte ja heiter werden. Ein Sack Flöhe würde sich leichter hüten lassen!

Er erhob sich, half seinem Bruder beim Schleife binden und setzte sich dann auf sein Bett um ihm beim Auspacken der Kartons zuzuschauen. So etwa musste es in normalen Familien zu Weihnachten wohl aussehen. Wehmut schlich sich in seinen Blick.

In diesem Augenblick schaute Dean zu ihm hoch. Er griff nach einem anderen Karton und hielt ihn Sam hin.

„Willst du auch einen aufmachen?“

Der jüngere Winchester schüttelte den Kopf und kämpfte die Tränen hinunter, die sich jetzt mit aller Macht in seine Augen drängten. Das hätte auch durchaus der richtige Dean gefragt haben können.

„Nein. Die sind für dich. Mein Spielzeug liegt auf der Kommode.
 

„Brauchst du Hilfe?“, wollte er wissen und deutete auf den Bauplan neben seinem Bruder.

„Weiß nich“

Sam setzte sich zu ihm auf den Boden. Er nahm die Bauanleitung und legte sich vor den Blonden, dann ließ er ihn probieren und nur wenn etwas überhaupt nicht passen wollte, half er ihm.

Bald rutsche Dean, den Löschtruck schiebend, über den Boden des Zimmers.

Sam atmete tief durch. Wieso hatten sie nicht so eine Kindheit haben können? Sie hätten bestimmt wunderbar miteinander gespielt.

Er kramte Deans Handy hervor und wählte Bobbys Nummer, doch der Freund ging nicht dran.

Wahrscheinlich war er zu einem Fall rausgefahren, oder noch bei den Succubi, überlegte Sam. Dort wollte er ihn nicht stören. Nicht dass er ihn noch an diese Kreaturen verriet.

Er schaute Dean noch eine Weile zu und setzte sich dann mit seinem Laptop an den Tisch, um zu versuchen, der Lösung dieses Rätsels etwas näher zu kommen.

Doch vorher wollte er Nick noch anrufen.

„Sam“, begrüßte ihn der FBI-Agent ohne sich gemeldet zu haben und in seiner Stimme klang Erleichterung mit.

„Wie geht es Dean?“

„Ich hab ihn wieder. Soweit geht es ihm ganz gut. Er hat nur ein paar blaue Flecke.“

„Kann ich mit ihm reden?“

„Ich denke, das ist im Moment schlecht.“

„Sam?“, fragte der Agent misstrauisch.

„Er ist zurzeit nicht so ganz er selbst.“

„Und das heißt?“

Sam schluckte. Die ganze Situation setzte ihm wohl doch mehr zu als er es für möglich gehalten hatte. Er wollte so gerne mit jemandem reden, aber Bobby war nicht erreichbar. Er atmete noch einmal durch. Sein Blick ruhte auf seinem Bruder.

„Dean, pass auf!“

Der Blonde hatte den Feuerwehrtruck gerade über das Kabel der Nachttischlampe geschoben. Doch nicht vollständig. Das Kabel klemmte vor den hinteren Rädern und die Lampe stand schon gefährlich auf der Kippe. Sam sprang auf und rettete die in der letzten Sekunde vor einem Absturz.

Dean schaute ihn erschrocken an.

„Ist ja nichts passiert“, versuchte er zu trösten. „Du musst nur aufpassen. Nicht dass du dir weh tust, okay?“

Der Blonde schniefte, dann nickte er. Sam wuschelte ihm durch die Haare und lächelte ihn an.

Erst jetzt fiel ihm sein Telefonat wieder ein.

„Nick?“, fragte er in den Apparat.

„Was ist bei euch los?“, wollte der auch gleich wissen. Auf das Gehörte konnte er sich so gar keinen Reim machen.

„Ganz ehrlich? Ich hab keine Ahnung. Uns geht es soweit gut, denke ich. Genau kann ich das allerdings nur von mir sagen. Dean kann sich im Moment dazu schlecht äußern.“

„Will ich wissen, was das heißt?“

„Ich denke nicht.“

„Es hat was mit eurem Leben zu tun?“

„Ja.“

„Okay, dann frage ich besser nicht.“

Sam lächelte dankbar, aber auch ein wenig enttäuscht. Er hätte sich seinen Frust schon gerne von der Seele geredet. Aber Nick war wirklich nicht der richtige Ansprechpartner.

„Du wolltest mir von unserem Geist erzählen?“, lenkte er das Gespräch auf den Grund seines Anrufes.

„Ja. Speight hat gesungen wie eine Nachtigall, nachdem wir ihm erklärt hatten, was wir schon gegen Lynch haben und es für ihn nur noch darum ging, ob er so wie der wegen Mordes angeklagt werden würde, oder vielleicht bei einem Deal mit dem Staatsanwalt eine mildere Strafe für ihn herausspringen könnte.

Also. Letztendlich war es der übersteigerte Geltungsdrang eines Menschen, der weder mit Wissen noch mit Talent punkten konnte. Lynch war ohne Aufnahmeprüfung in die Studentenvereinigung gekommen, weil sein Vater auch schon Mitglied war. Und so hat er versucht sich durch Aufschneiderei hervorzutun und sich die wahnwitzigsten Aufnahmeprüfungen ausgedacht. Die Jahre danach waren nicht viel besser.

Lange Rede, kurzer Sinn: Lynch hat bestimmt, dass Wang den Hessen spielen sollte. Er musste mit einem Bettlaken über dem Kopf, über das Schlachtfeld reiten. Das Pferd ist wahrscheinlich an der Böschung des Creeks entlang galoppiert, abgerutscht, oder in ein Loch getreten und hat sich ein Bein gebrochen. Es stürzte den Hang hinab in den Creek. Wang hat sich bei dem Sturz das Genick gebrochen. Er war auf der Stelle tot.

Das Pferd haben sie einfach da liegen gelassen.

Wangs Leiche haben sie ein paar hundert Meter weiter, an der Stelle vergraben, an der ihr ihn gefunden habt.

Nach der Obduktion werden wir ihn seinen Eltern übergeben.

Auf jeden Fall habt ihr diese Mordserie beendet. Danke.“

„Gern geschehen“, antwortete Sam und wünschte sich, diese Informationen an Dean weitergeben zu können.

„Verrätst du mir, warum er gemordet hat?“, wollte der Agent nach einer kleinen Weile wissen.

„Wir vermuten, dass er seinen plötzlichen Tod überhaupt nicht mitbekommen, oder ihn nicht wahr haben wollte und nicht ins Licht gegangen ist. Vielleicht ist er auch in seinem Körper stecken geblieben und hat geruht.“ Sam zuckte mit den Schultern. „Durch den starken Regen der letzten Wochen gab es einen Erdrutsch und der Schädel wurde von der Leiche getrennt. Das hat ihn wohl aufgeschreckt und er hat nach einem Kopf gesucht. Ich vermute, dass der Geist des Pferdes vielleicht auch noch da war und er es geschafft hat, ihn zu nutzen. Doch das gehört in den Bereich der Spekulationen.“

„Es gibt das Licht?“, wollte Nick nach einer Weile wissen.

„Ja. So wie es die Hölle gibt.“

„Okay. Ich muss wieder rein“, verabschiedete sich Nick. „Lasst von euch hören und viel Glück bei der Lösung eures Problems.“

„Danke.“

Der Winchester legte auf. Er schaute Dean noch eine Weile beim Spielen zu, bevor er sich seinen Recherchen zu wandte.
 

„Dean, komm! Badewasser ist fertig“, rief Sam seinen Bruder. Er drehte das Wasser ab und prüfte noch einmal die Temperatur.

„Dean! Komm schon! Sonst gibt es nachher keine Schlümpfe!“ Er blieb in der Tür stehen und schaute zu seinem Bruder, der sich endlich von Boden erhob und sich das T-Shirt über dem Kopf quälte.

„Brauchst du Hilfe beim Ausziehen?“

Der Blonde schüttelte den Kopf. Er ließ seine Sachen fallen, wo er stand, holte sich noch das Schlauchboot, das zu einem der Feuerwehrfahrzeuge gehörte und kletterte in die Schaumberge, die sich in der Wanne türmten. Sam lauschte noch eine Weile, wie er die Ente, in der sich der Badezusatz befand, mit den Feuerwehrleuten aus den trostlosen Weiten der Schaumarktis rettete, dann schloss er die Tür bis auf einen Spalt und schob die Pizza in den Ofen.

Nach dem Telefonat mit Nick, gestern, hatte er recherchiert und einige Flüche gefunden, die auch dazu dienen konnten Seelen zu tauschen. Es gab auch Lösungen, um diese Flüche umzukehren. Das Problem daran, er musste den genauen Wortlaut kennen, mit dem der Fluch ausgesprochen wurde. Hier kam er also nicht weiter.

Danach hatte er im Netz nach Informationen zum Entwicklungsstand eines Fünfjährigen gesucht und konnte jetzt feststellen, dass Dean genau das war. Ein normal entwickelter Fünfjähriger.

Wieder ein Schlag ins Wasser.

Immerhin hatten sie gestern herausgefunden, dass Dean die Schlümpfe liebte und dass er, wenn Sam ihm vorlas, auch ohne Kuscheltier einschlafen konnte. Er wusste, dass sein Bruder nach wie vor kein Gemüse mochte, Eis dafür aber für sein Leben gern.

Das war doch immerhin ein Anfang!

Caro

170) Caro
 

Der größere Winchester ging zurück in das Badezimmer und hockte sich neben die Wanne. Kurz prüfte er die Wassertemperatur.

„Wie weit bist du denn mit deiner Rettungsaktion?“, wollte er wissen.

„Warum?“

„Weil du so langsam aus dem Wasser rauskommen solltest, bevor du dir eine Erkältung einfängst.“

Dean legte den Kopf schief und blickte ihn fragend an.

„Was hältst du davon, wenn wir morgen weiterziehen?“, lenkte der Jüngere das Gespräch in eine andere Richtung.

„Weiter ziehen?“

„Ja. Wir suchen uns ein neues Zimmer in einer neuen Stadt.“

„Warum?“

„Ich möchte gerne einen guten Freund besuchen.“

„Und dann fahren wir nach Hause?“

„Weißt du wo du Zuhause bist?“

„Ich weiß nich“, begann Dean und zog die Nase hoch. Tränen drängten sich in seine Augen.

„Bei dir?“, nuschelte er kaum verständlich. Wollte ihn der Lange jetzt los werden? Aber er wusste doch nicht wo er wohnte!

„Du musst keine Angst haben, Dean! Ich werde dich nicht wegschicken.“

„Aber du...“, schniefte der Blonde leise.

„Ich habe kein Zuhause, weißt du.“

„Nicht?“

„Nein“

„Das ist schade.“

„Ja, manchmal finde ich das auch schade. Aber wir können bei dem Freund wohnen. Das ist fast wie ein Zuhause.“

„Okay?“, antwortete der Ältere ratlos.

„Na komm, raus hier, bevor du dich noch auflöst.“

Dean ließ sich waschen, aus der Wanne helfen und abtrocknen und hockte sich dann, mit einem Stück Pizza in seiner Hand vor den Fernseher und schaute den Schlümpfen bei ihren Abenteuern zu.
 

Nach zwei Folgen Schlümpfe und einer „Phineas und Ferb“ kuschelte er sich im Bett an seinen Bruder und lauschte den Abendteuern von Tom Sawyer bis er einschlief.

Sam blieb noch eine Weile bei ihm liegen und dachte nach.

Wer hätte überhaupt etwas davon Dean so was anzutun? 'Blöde Frage, Sam!', gab er sich gleich darauf eine Antwort. Wer hatte in letzter Zeit die Möglichkeit seinem Bruder so was anzutun? Vielleicht kam er ja über diesen Weg eher zu ihrem Verdächtigen Nummer 1.

Er musste nicht lange überlegen. Da gab es nur eine der sie in letzter Zeit gehörig auf die Füße getreten waren. Miss Margo. Aber die war tot!

Sie hatte in seinen Erinnerungen gewühlt. Hatte sie dabei etwas gesehen und dann Dean zu einem Kind werden lassen? Aber warum? Und wie?

Brachte es etwas, wenn sie noch einmal nach Grady fuhren?

Er schaltete den Fernseher ein. Irgendwie tat ihm sein Kopf vom vielen Grübeln weh und er wollte sich ablenken.

Entweder liefen irgendwelche Talkrunden oder Werbung. Sam warf die Fernbedienung auf sein Bett und ging ins Bad. Als er wieder ins Zimmer kam, lief anstelle der Werbung LA. Confidential. Bud erzählte gerade von einem Ereignis aus seiner Kindheit und das er deshalb Polizist geworden war.

Sam schaltete ab. Er schaute noch einmal nach seinem Bruder und löschte dann das Licht.
 

Etwas raschelte und riss den jüngeren Winchester aus dem Schlaf. Angestrengt lauschte er in die Dunkelheit. Blanke Füße tapsten über den Boden und dann wurde seine Decke angehoben.

Dean kam in sein Bett und drückte sich sofort an ihn.

„Schlecht geschlafen?“, nuschelte Sam leise.

„Hmpf“

Er lächelte, breitete die Decke über sie beide und entspannte sich wieder.

Wie oft war er als Kind zu seinem großen Bruder ins Bett geklettert!
 

„Packst du deine Spielsachen zusammen? Wir wollen los“, bat Sam noch einmal und stopfte die letzten Kleidungsstücke in die Taschen.

Sie mussten unbedingt eine Box für die ganzen Sachen kaufen, notierte er sich in Gedanken. Fürs Erste musste eine ihrer Taschen reichen.

Er ließ seinen Blick noch einmal durch das Zimmer schweifen.

„Alle Feuerwehrleute an Bord?“, fragte er Dean und lächelte bei dessen fragendem Gesichtsausdruck.

„Wollte wissen, ob Du alle eingepackt hast.“

Der Blonde nickte.

Also schulterte Sam die Taschen, ging zur Tür und öffnete diese.

Mit einem Mal versteifte sich sein Bruder und starrte mit großen, ängstlich aufgerissenen Augen zwischen der Tür und ihm hin und her.

„Dean?“, fragte Sam irritiert.

Der Blonde zuckte zusammen, überbrückte die kurze Distanz zwischen ihnen und verflocht seine Finger krampfhaft mit Sams Jacke.

Die Erkenntnis traf Sam wie eine Faust in den Magen. Sofort stellte er die Taschen ab, löste Deans Finger behutsam von seiner Jacke und schloss die Tür.

Ruhig zog er seinen Bruder in seine Arme.

Schniefend vergrub Dean sich in seiner Jacke.

„Schsch“ Immer wieder strich Sam seinem Bruder über den Kopf und murmelte beruhigende Worte.

Erst als er fühlte, dass Dean sich langsam beruhigte, schob er ihn ein Stückchen von sich weg.

„Wir können nicht ewig hier bleiben“, sagte er ruhig.

Deans Augen blieben ängstlich auf ihn gerichtet.

„Pass auf! Der Wagen steht gleich hier vor der Tür. Du bleibst hier. Ich schaffe unseren Schlüssel weg und dann hole ich dich, okay?“

Noch immer sah er sich ängstlich geweiteten Augen gegenüber.

„Oder willst du mitkommen?“

„Mitkommen!“

„Gut“ Sam schulterte die Taschen wieder und hielt Dean seine Linke hin. Ohne zu zögern fasste der zu und drängte sich dicht an den Langen. Gemeinsam brachten sie den Schlüssel weg und gingen dann zum Wagen. Erst als die Autotüren wieder geschlossen waren und Sam den Impala startete, löste sich die Anspannung des Blonden etwas.

Sam hatte ihm erlaubt auf den Beifahrersitz zu sitzen und kaum rollten sie von Parkplatz, schaute Dean auch schon interessiert aus dem Fenster.
 

Sie waren reichliche vier Stunden unterwegs, als Sam beschloss, dass es für heute genug sein musste. Er wäre gerne noch weiter gefahren, doch sein Bruder wurde immer unruhiger. Er hatte zwar zwei Matchbox mit ins Auto genommen, aber die immer nur auf dem Sitz hin und her zu schieben wurde ihm langweilig.

Schnell bog der jüngere Winchester auf den Parkplatz eines Supermarktes ein.

„Komm, wir müssen noch einkaufen“, sagte er und öffnete die Tür.

Und schon wieder versteifte sich der Blonde. Leicht zitternd krampfte er die Hände in seine Oberschenkel und starrte durch die Frontscheibe.

Sam atmete tief durch, stieg aus, ging um den Wagen herum und öffnete die Beifahrertür. Sein Bruder wimmerte leise.

Er hockte sich neben ihn: „Na komm, ich bin die ganze Zeit neben dir. Niemand wird dir etwas tun können und wenn dir einer zu nahe kommt, haue ich ihm so sehr auf die Nase, dass er weinend wegläuft.

Bitte Dean! Du musst mir doch helfen unser Essen auszusuchen. Nachher gibt es nur Gemüse oder ich vergesse die Würstchen.“

Der Blonde würdigte ihn keines Blickes.

„Du kannst auch hier sitzen bleiben. Dann schließe ich ab.“

Jetzt ruckte Deans Kopf herum. Angst spiegelte sich in seinen Augen.

„Kann ich dich mit einem Eis locken?“

Dean zog schniefend die Nase hoch, nickte zaghaft und stieg aus. Kaum stand er, klammert er sich auch schon wieder an Sams Jackensaum fest.

Der jüngere Winchester holte tief Luft. Es würde wohl noch eine Weile dauern bis sich sein Bruder wieder unbefangen im Freien bewegen würde, wenn überhaupt. Auf der anderen Seite allerdings: Wenn es wirklich sein Bruder wäre, wäre das nie passiert und wenn er besser auf ihn aufgepasst hätte auch nicht.

Warum hatte es Dean immer wieder geschafft ihn aus jeder Gefahrensituation rauszuhalten und er konnte nicht mal einen Tag auf seinen Bruder aufpassen, ohne dass ihm was zustieß?

Er schob den Gedanken beiseite. Jetzt hatte es eh keinen Sinn mehr darüber nachzudenken.
 

Langsam schob der den Wagen durch die Gänge. Dean folgte ihm wie ein Schatten, seine Finger noch immer um den Saum seiner Jacke gekrallt. Sie packten Würstchen und gebackene Bohnen in den Korb, ergänzten das Essen mit Backkartoffeln und gefrorenen Erbsen und Möhren. Dazu kamen eine Tüte m&m`s und Schokoriegel.

Weiter vorn gab es noch Bekleidung. Dean benötigte unbedingt eine neue Hose und ein paar T-Shirts wären auch nicht schlecht und so steuerte der Jüngere darauf zu. Gut, dass sich Deans Größe, trotz seiner Fressorgien, nicht änderte, so musste er hier nichts anprobieren. Das wollte er ihm in seinem momentanen Zustand wirklich nicht zumuten.
 

Er bekam nicht mit, dass sich Dean von ihm gelöst hatte und zwischen zwei Regalen verschwunden war.

Erst als er die Kleidungsstücke in den Wagen packte, bemerkte er, dass sein Bruder weg war.

Panisch schaute sich der Größere um. Wie konnte er seinen Bruder nur schon wieder verlieren? Er war doch gerade noch neben ihm gewesen!

Schnell hetzte er den Gang zurück und schaute in jede Reihe.

Erleichtert atmete er auf, als er seinen Bruder vor einem Regal knien sah. Mit der Zielsicherheit eines Kindes hatte er die Spielsachen gefunden.

Um ihn herum lag der Inhalt der Fächer, soweit er greifen konnte, verteilt und er holte sich grade das nächste Teil heraus.

„Dean!“, sagte Sam streng.

Der Blonde zuckte zusammen. Schuldbewusst blickte er zu dem Lulatsch auf.

„Du hast Spielzeug im Impala. Räumst du das bitte wieder weg!“

Schmollend schob der die Unterlippe vor und blickte traurig auf seine Schätze. Bettelnd schaute er wieder zu Sam, bevor er, noch immer mit einer Miene zum Steine erweichen, langsam alles wieder in das Regal räumte.

Immer wieder wanderte sein Blick zu Sam und jedes Mal war er noch ein wenig bettelnder. Sam überlegte, dass wenn er selbst als Kind nur halb so herzerweichend geschaut hatte, wenn er etwas wollte, dann konnte er nur zu gut verstehen, dass Dean das damals nicht ausgehalten und alles möglich gemacht hatte, um ihm seinen Wunsch zu erfüllen.

Endlich war alles eingeräumt und Dean kam mit hängendem Kopf zu ihm getrottet.

Sam legte seine Hände an Deans Wangen und brachte ihn sanft dazu ihn anzusehen.

„Ein Teil darfst du dir holen. Okay? Ein einziges.“

Fragend schaute ihn der Blonde an bis der Größere nickte. Deans Miene wandelte sich von fragend über ungläubig zu strahlend. Schnell rannte er zu der Stelle zurück an der er gespielt hatte, rutschte die letzten Meter auf den Knien und griff zielsicher bis ganz nach hinten in das Regal.

Was genau er herauszog blieb Sam vorerst verborgen.

„Na komm“, sagte der Jüngere und hielt ihm die Hand hin. Zögernd fasste er zu.

Das Plüschknäuel fest an sich gepresst folgte er seinem Bruder zum Wagen. Dort ließ er ihn los, blieb aber ein Schritt hinter ihm, als sie zur Kasse gingen. Ganz geheuer waren ihm die Menschen um ihn herum noch nicht wieder.

„Legst du das Knäuel auf das Band? Wir müssen es noch bezahlen“, sagte Sam ruhig.

„Ist kein Knäuel. Ist Caro!“ Dean hielt seinem Bruder das graue Etwas vor die Nase. Der griff danach und brachte es in eine Entfernung, aus der er es sich anschauen konnte. Das Knäuel mit Namen Caro war ein grauer, weicher Plüschesel mit brauner Cordlatzhose und blau-rot kariertem Hemd. Er hatte lange weiche Schlappohren und eine Ballonmütze auf dem Kopf. Wie war Dean denn auf dieses Tier gekommen?

„Caro?“

„Ja, weil er Karotten mag!“, erklärte der Blonde.

„Und woher weißt du das?“

„Hat er mir gesagt!“

„Aha. Hat er dir gesagt.“

„Jaha!“ Deans Augen leuchteten.

Den irritiert skeptischen, leicht angewiderten Blick der Kassiererin ignorierte er geflissentlich.

Er gab seinem Bruder das Plüschtier, kaum dass es über den Scanner gezogen worden war, zahlte und wickelte, bevor sie den Supermarkt verließen noch das versprochene Eis für ihn aus.

Rebellion

171) Rebellion
 

Während Sam im Motelzimmer versuchte ihnen ein genießbares Mahl zuzubereiten, saß Dean am Tisch und malte die Bilder in einem der Feuerwehrmalbücher aus.

Der Esel saß auf dem Tisch und Dean schob seine Zungenspitze von einem Mundwinkel in den anderen.

„Dean? Räumst du den Tisch ab?“, bat der Jüngere. Sein Bruder hörte ihn nicht.

„Dean! Bitte!“

Wieder keine Reaktion.

Sam belud die Teller mit Essen und brachte sie zum Tisch. Vorsichtig stellte er sie in der Mitte ab und begann die Stifte einzusammeln.

„Ich brauch die aber!“, maulte der Blonde und griff nach einem Stift, den Sam schon in der Hand hielt.

„Wir wollen essen!“, ermahnte der größere Winchester seinen Bruder.

„Will nicht essen!“

Sam erstarrte. Dean hatte immer Hunger! Hieß das jetzt, dass das was in Deans Körper war, nicht mehr sein Bruder war? Oder hatte der als kleines Kind weniger Hunger als heute? Oder war es die normale Reaktion eines Fünfjährigen, den man bei einer Beschäftigung unterbrach? Würde er Kinder je verstehen?

„Dean, bitte. Du kannst nachher weiter malen.“

„Will nicht malen!“, bockte der Blonde jetzt und warf den Stift gegen die Wand während er das Malbuch von Tisch fegte.

„Dean, es reicht! Heb das Buch auf und leg es ordentlich weg!“

„NEIN!“

Sam atmete tief durch. Was sollte er denn jetzt machen? Konnte er ihm vielleicht eine auf den Hintern geben? Aber er wollte ihn nicht schlagen. Sollte er ihn einfach bocken lassen? Aber wohin würde das dann führen? Auf keinen Fall wollte er, dass sich sein Bruder weh tat und er hatte schon von Kindern gehört, die vor Wut mit dem Kopf auf den Boden geschlagen hatten.

„Dean! Bitte räum das Buch ordentlich auf oder ich bringe Caro zurück in den Laden!“ Erpressung war zwar mehr als gemein, aber er wusste sich auf die Schnelle keinen anderen Rat.

Der Blonde sprang auf und begann mit seinen Fäusten auf Sams Brust einzuprügeln.

„Das ist meiner. Den darfst du nicht weggeben! Ich hasse dich!“, brüllte er. Tränen rannen über sein Gesicht.

Sam schluckte erschrocken. Wie konnte diese Situation denn so ausarten? Er versuchte die Fäuste aufzufangen, die noch immer hart auf ihn einschlugen.

Nach einer Weile hatte er Deans Handgelenke endlich zu fassen bekommen. Er drehte seinen Bruder um, sodass er mit dem Rücken gegen seinen Bauch stand und presste ihn fest gegen sich. Jetzt musste er zwar den Tritten ausweichen, doch die erstarben auch bald und Dean hing schwer atmend und weinen in seinen Armen.

Sanft bugsierte er ihn zum Bett und ließ ihn auf die Matratze gleiten.

Dean rollte sich zusammen und presste die Fäuste gegen die Augen. Immer wieder versuchte der Jüngere ihm seine Hand beruhigend auf die Schulter zu legen, doch jedes Mal schüttelte Dean sie ab.

Sam schloss die Augen, holte einmal tief Luft und ging dann zum Tisch um Caro zu seinem Bruder zu bringen, der ihn auch sofort in die Arme schloss, fest an sich presste und bald darauf, vollkommen erschöpft eingeschlafen war. Der Jüngere setzte sich auf sein Bett und betrachtete seinen Bruder. Woher war dieser Wutanfall so plötzlich gekommen?

Er deckte den Blonden zu und brachte dann ihr Essen in die Küche um es zu entsorgen. War eh nicht sonderlich lecker gewesen und er hatte jetzt auch keinen Hunger mehr.

Da hatte er also so ganz nebenbei noch einen Eindruck bekommen, wie es früher für seinen Bruder gewesen sein musste, Essen für die Tonne zu kochen, wenn er erst etwas wollte und sich dann doch für die letzten Cornflakes entschieden hatte, die einzigen, die Dean überhaupt von einer Packung bekommen hätte.

Er setzte sich auf sein Bett, bewachte Deans Schlaf und überlegte, warum das eben passiert war.

Sein Bruder hatte die letzten Tage kaum Bewegung gehabt. Die Entführung, zwei Tage Motelzimmer und heute waren sie auch nur einkaufen gewesen. Ob sich der Bewegungsmangel so bei ihm äußerte?

Steckte doch Dean in dem Körper und konnte sich nur so äußern?Aber was wollte er ihm dann sagen? Wieviel Bewegungsdrang hatte ein Fünfjähriger?

‚Verdammt! Warum musste das alles nur so kompliziert sein und warum konnte er nicht an Deans Stelle sein? Der wüsste bestimmt was zu tun war und wie er mit einem Kind umzugehen hatte sowieso.’

Sam ballte seine Fäuste und starrte zur vergilbten Decke. Dass er diesen Gedanken jetzt gehabt hatte, konnte ja wohl nicht wahr sein. Dean hatte sich immer um ihn gekümmert und das obwohl er damals selbst noch ein Kind war. Kaum musste er sich mal um einen Dean kümmern, der das gerade nicht selbst konnte, schon wünschte er sich an seine Stelle.

Dean hatte ihm Egoismus vorgeworfen, damals in El Paso, und so wie er sich gerade verhielt, hatte er damit wohl mehr als nur Recht.

„Es tut mir leid“, flüsterte er in Richtung seines Bruders, dann holte er sich seinen Laptop und setzte seine Recherchen fort.

Immer wieder warf er einen Blick auf das Nachbarbett. Er wollte auf keinen Fall verpassen, wenn sein Bruder aufwachte. So etwas wie vorhin sollte nicht noch einmal passieren.
 

Draußen war es schon fast dunkel, als der Blonde sich endlich regte. Sofort klappte Sam seinen Laptop zu und setzte sich zu ihm auf das Bett.

„Hey“, sagte er leise und strich ihm über den Kopf.

Dean lag wie erstarrt da, als würde er auf etwas zu warten.

Der Jüngere atmete tief durch, rutschte vom Bett und hockte sich davor. Krampfhaft überlegte er, was er sagen sollte. Wieso sah das eigentlich immer so leicht aus, wenn Dean mit Kindern zu tun hatte und wieso hatte er immer sofort einen Draht zu ihnen?

„Ich bin dir nicht böse“, erklärte er ruhig.

„Aber ich hab doch das Buch kaputt gemacht“, stellte er mit großen Augen schuldbewusst fest.

„Nein Dean. Das Buch ist nicht kaputt. Trotzdem fand ich nicht schön, was du da gemacht hast.“ Langsam fühlte er sich unbehaglich unter dem Blick der großen grünen Augen.

„Können wir uns darauf einigen, dass du mir sagst, was du gerne möchtest und machst, was ich dir sage?“

„Weiß nicht“, antwortete er schüchtern, nickte dann aber vorsichtig.

Sam holte tief Luft. Das war immerhin ein Anfang.

„Hast du Hunger?“

„Weiß nicht.“

„Ich hätte Appetit auf Pizza. Was meinst du?“

Wieder zuckte der Blonde unschlüssig mit den Schultern.

Ganz so einfach schien es für Sam wohl nicht zu werden, einen kleinen Jungen im Körper eines großen Dean zu betreuen.

„Na komm! Ich bestell uns Pizza und du malst mir ein Bild?“, überlegte er laut und schob die Bettdecke beiseite.

„Mag nicht malen.“

„Wozu hast du denn dann Lust? Wollen wir mal schauen, ob irgendwo Trickfilme kommen, oder soll ich dir was vorlesen?“

Wieder stand Dean unschlüssig da dann blickte er Sam ins Gesicht.

„Caro möchte Puh-Bär“

„Okay. Wenn Caro das möchte, sollten wir ihm diesen Wunsch erfüllen. Sucht euch schon mal einen Platz, ich bestelle nur schnell die Pizza.“
 

Gleich darauf setzte sich der jüngere Winchester zu seinem Bruder auf die durchgesessene Couch und begann die Geschichten aus dem 100-Morgen-Wald zu lesen.

Dean rückte an ihn heran und betrachtete sich still die Bilder.
 

Ihre Pizza verdrückten sie gemeinsam, wenn auch schweigend. So richtig wollte sich noch keine Zweisamkeit in dem kleinen Motelzimmer einstellen.

„Möchtest du mit mir zusammen „Die Schlümpfe“ gucken?“, fragte der Jüngere ruhig, nachdem er ihr Besteck weggeräumt und den Karton entsorgt hatte.

Dean hob den Kopf und schaute ihn fragend an. Es dauerte eine ganze Weile, bis er zaghaft nickte.
 

Schon bei der zweiten Folge gähnte der Blonde herzhaft, weigerte sich aber standhaft vor dem Ende des heutigen Abenteuers von Phineas und Ferb von seinem Platz aufstehen zu wollen.

„Na komm, die Wanne wartet“, forderte Sam danach. „Caro kann auch kaum noch die Augen offen halten.“

Dean stand auf und begann sich langsam auszuziehen, dann kletterte er in die Wanne. Dieses Mal gab es keine Schaumrettungen der Feuerwehr. Dieses Mal war er einfach nur müde und ließ sich waschen.

Schnell kontrollierte Sam noch die blauen Flecken und dann durfte sein Bruder, schon fast schlafend, ins Bett.

Mit seinem Laptop bewaffnet setzte sich Sam in seins und versuchte weiter eine Lösung für ihr Problem zu finden. Doch er konnte sich dabei nicht richtig konzentrieren. Also legte er seinen elektronischen Freund zu Seite und legte sich bequem hin. Er betrachtete die Muster, die die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Fahrzeuge an die Decke malten und grübelte.

Immer wieder schaute er zu seinem Bruder hinüber, von dem er allerdings kaum mehr als Umrisse unter der Decke sehen konnte. Nur eines wurde ihm immer klarer. Der Mensch in dem Bett hatte zwar den Körper seines Bruders aber er war es nicht.

Sein Bruder konnte sich zwar hin und wieder richtig kindisch anstellen und er konnte sich auch wie ein kleines Kind freuen, aber es war immer noch Verständnis für die Dinge, die in der Welt passierten und ein Wissen in seinen Augen zu lesen, dass dieses Wesen, das jetzt seinen Körper bewohnte nicht hatte. Das waren nicht Deans Augen. Und da gab es noch so viele andere Kleinigkeiten, die Dean anders machte. Gesten und Handgriffe, die nicht mehr passten, die ihm erst mit der Zeit auffielen. Selbst jetzt beim Schlafen. Dean lag meistens auf dem Bauch. Jetzt schlief er auf der Seite und heute Morgen hatte er auf dem Rücken gelegen.

Wieder huschte sein Blick zu dem Nachbarbett.

Wenn er doch wenigstens einen Namen hätte. Vielleicht könnte er dann nachvollziehen was und vor allen Dingen wann das, was auch immer, mit ihm passiert ist, passiert ist.

Inzwischen war er sich mehr als sicher, dass Dean mit einem Kind die Persönlichkeit getauscht haben musste.

Dean wälzte sich auf den Rücken. Er gab ein leises Japsen von sich und rollte sich auf die andere Seite. Er wimmerte und strampelte die Decke beiseite.

Gerade als Sam aufstehen und ihn wecken wollte, wurde er mit einem Aufschrei wach.

Sofort schlug der jüngere Winchester seine Decke beiseite und hockte sich neben das Bett seines Bruders.

„Du hast nur schlecht geträumt“, sagte er ruhig.

Dean schniefte und drückte den Esel fest an sich.

„Willst du zu mir ins Bett?“

Ein zögerndes Nicken war die Antwort.

„Dann komm“, sagte Sam und setzte sich wieder auf seine Schlafstatt.

Langsam rutsche der Blonde aus seinem Bett, ging zu Sams und rutschte nach einem weiteren kurzen Zögern unter die einladend offengehaltene Decke. Er kuschelte sich ganz dicht an den Größeren.

„Du musst keine Angst haben, Dean. Ich werde immer für dich da sein. Ich passe auf, dass dir niemand mehr etwas tun kann“, versprach Sam und strich ihm beruhigend über die Schulter.

„Ich hab keine Angst“, erklärte der Kleinere der Brüder leise. „Caro hat Angst.“

„Oh. Na dann müssten wir Beide gut auf ihn aufpassen.“

Dean nickte und drängte sich noch etwas dichter an Sam.

Der strich ihm noch eine Weile immer wieder über die Schulter und grübelte über ihr Zusammenleben nach. Wie konnte er es für sie Beide angenehm gestalten?

Von den ruhigen Atemzügen seines Bruders begleitet, glitt auch der jüngere Winchester langsam in den Schlaf.

Fische streicheln

172) Fische streicheln
 

Als er m nächsten Morgen erwachte, sah er sich den grünen Augen seines Bruders gegenüber, die ihn interessiert beobachteten.

„Hey“, sagte er verschlafen und stemmte sich auf einen Ellenbogen. „Gut geschlafen?“

Dean nickte.

„Und Caro auch?“

Wieder nickte der Blonde.

„Hast du Hunger?“

Noch ein Nicken.

„Hast du deine Zunge verschluckt?“, wollte der Jüngere wissen und blickte ihn besorgt an.

Diesmal war die Antwort ein Schulterzucken und ein leichtes Grinsen. Sofort drehte sich Sam noch etwas weiter zu seinem Bruder, schlug die Decke zurück und begann ihn zu kitzeln.

„Dann muss ich das wohl ganz genau kontrollieren!“

Dean wand sich und strampelte. Kichernd japste er immer heftiger nach Luft und versuchte den Langen irgendwie abzuwehren.

„Nich“, keuchte er.

„Doch nicht verschluckt“, stellte Sam zufrieden fest. „Also wie sieht es aus. Wollen wir frühstücken? Worauf hast du Hunger?“

Dean schwieg und blickt ihn mit großen Augen an.

„Ich kann auch beim Sprechen helfen“, sagte er ernst und legte ihm die Hand auf die Rippen.

„Nich wieder kitzeln!“, forderte Dean schon wieder kichernd.

„Wenn du mir sagst, was du essen möchtest.“

„Weiß ich nich!“

„Was hältst du davon, wenn wir endlich aufstehen, unsere Zelte hier abbrechen und in einem Diner frühstücken bevor wir weiterfahren?“

„Zelte?“

Sam holte tief Luft und überlegte, bevor er sagte: „Das ist eine Redewendung und meint, dass wir den Ort hier verlassen.“

Dean nickte und rutschte aus dem Bett.
 

„Wann sind wir da?“, wollte der Blonde wissen und rutschte unruhig auf der Rückbank hin und her.

„Im nächsten Ort halten wir an“, versprach Sam.

„Hab Hunger!“

„Da gibt es bestimmt auch ein Diner, in dem wir essen können.“

„Caro hat auch Hunger“, quengelte der Blonde weiter.

„Dean, bitte. Ich verspreche dir, dass wir im nächsten Ort anhalten.“ Sam war kurz davor seinem nervenden Bruder zu packen und zu schütteln und danach würde er sich eine reinhauen. Hatte ihm der gestrige Wutanfall nicht gereicht? Sein Bruder hatte auch nach diesem Anfall kaum Bewegung gehabt und dabei hatte er sich doch vorgenommen, ihn endlich mal richtig auszupowern. Dean hatte zwar als Kind viel in Motelzimmern hocken müssen, weil er auf ihn aufpassen musste. Doch da konnte er sich wenigstens in der Schule bewegen. Jetzt saß er schon seit Tagen nur auf seinem Hintern. Das konnte ja nicht gut gehen und der nächste Ausbruch würde folgen, wenn er nicht endlich was dagegen unternahm.

Er hatte schon vor einer halben Stunde anhalten wollen, doch der Ort durch den sie gefahren waren hatte ihm aus irgendeinem Grund nicht gefallen. Warum auch immer. Jetzt hatte er das Problem, dass Dean quengelte. 'Wirklich toll gemacht, Sam!' lobte er sich in Gedanken.
 

Erleichtert atmete er auf, als er das Ortseingangsschild sah. Sofort suchte er nach einem Hinweisschild für ein Motel und was noch viel wichtiger war, einem Diner. Dean hatte sich heute morgen beim Frühstück so mustergültig benommen, dass er beschlossen hatte, dass es besser für ihre Ernährung war, wenn er nicht mehr kochen und sie stattdessen essen gehen würden.

Zwei Straßen weiter gab es die beste aller Varianten. Ein Motel mit angeschlossenem Diner und einen Supermarkt gab es auch gleich einen Block weiter.

„Na komm. Gehen wir zuerst einmal essen“, sagte er und stieg aus.

Dean griff nach seinem Plüschtier und wollte es mitnehmen.

„Schau mal, er ist doch ganz müde“, begann Sam, und deutete auf den Esel, der auf der Seite lag.

„Willst du ihn nicht hier lassen?“

„Aber er hat Hunger!“

„Wir holen ihm nachher etwas Gras. Das mag er bestimmt lieber, als das was es in dem Diner gibt.“

„Aber...“

„Guck mal. Er schläft doch schon!“

Widerstrebend ließ Dean sein Kuscheltier los und folgte seinem Bruder in das Diner.

Sam bestellte, kaum, dass sie saßen und dann dauerte es auch nicht mehr lange, bis sie ihr Essen auf dem Tisch hatten. Pommes und Chickenwings mit viel Ketchup waren für den Blonden auch nicht das Problem. Nur die Erbsen schob er angewidert von einem Rand des Tellers zum andern.

„Die solltest du aber auch essen!“, erklärte Sam, „Die sind gesund.“

„Mag nicht!“
 

„Es gibt da ein Spiel“, begann Sam eine ganze Weile später, als sie schon fast mit essen fertig waren.

„Spiel?“ Dean wurde hellhörig.

„Ja, Spiel.“

„Und welches?“

„Erbsen fangen.“ Sam musste sich das Lachen verkneifen. So sehr wie er sich alles aus der Nase ziehen ließ, schien sein Bruder wirklich neugierig zu werden.

„Aber das willst du bestimmt nicht spielen.“

„Warum?“

„Weil man die gefangenen Erbsen dann auch essen muss!“

Eine Weile starrte der Blonde auf seinen Teller, ohne ein Wort zu sagen.

„Und wie geht das?“

„Du nimmst deine Gabel, so, und versuchst die Erbsen zu fangen.“ Sam hielt seine Gabel senkrecht über Deans Teller und versuchte die grünen Kugeln aufzuspießen. Der Blonde schaute ihm zu und kämpfte mit sich. Das sah lustig aus, aber Erbsen essen?

Sam machte unbeirrt weiter und das Gemüse wurde zusehends weniger.

Zögernd nahm er seine Gabel in die Hand und begann nun seinerseits auf die Erbsen einzustechen. Diese Aktion sah weder so elegant aus wie bei Sam, noch hatte sie annähernd den gleichen Erfolg, aber er hatte Spaß.

Der jüngere Winchester nahm seine Gabel zurück. Selbst wenn Dean nur ein paar Erbsen wirklich aß, hatte er erreicht, was er wollte.

Er versuchte ernst zu bleiben. Doch bei dem Anblick des vom Teller hüpfenden, und über den Tisch rollenden Gemüses, war das ziemlich schwer, aber die giftig starrende Bedienung stellte seine Beherrschung noch zusätzlich auf eine harte Probe. So langsam sollte er sich wirklich mal eine Erklärung für Deans Verhalten überlegen. 'Eine Hexe hat ihn vermutlich verzaubert', zog da ja wohl höchstens bei einem Psychologen, um sie als besonders interessant einzustufen.
 

Endlich war die letzte Erbse unter dem Tisch verschwunden und Dean legte seine Gabel mit deutlichem Bedauern im Gesicht weg.

Beim Bezahlen legte Sam ein ordentliches Trinkgeld auf den Tisch und hoffte so die Bedienung gnädig zu stimmen. Immerhin würden sie hier wohl noch mindestens einmal essen wollen.
 

Mit dem Zimmer hatten sie richtiges Glück. Es war gemütlich eingerichtet, hatte eine eigene Kochecke und das Fenster lag außerdem zur ruhigeren Seite.

Er gab dem Blonden als Erstes die Kiste mit dem Spielzeug und Dean holte sich auch sofort den Feuerwehrtruck heraus, doch er spielte ziemlich lustlos damit.

'Wir müssen unbedingt mal raus!', überlegte er. Er fasste Dean am Arm.

„Na komm, wir machen einen Spaziergang“, sagte er und schaute seinem Bruder in die Augen.

Sofort verspannte sich der Blonde. Mit Sam einkaufen fahren war ja noch okay, und essen gehen auch, aber spazieren gehen?

„Ich bin bei dir Dean und ich verspreche dir, immer in Hörweite zu bleiben. Außerdem sind wie hier weit genug weg von den bösen Menschen. Dir wird niemand etwas tun!“

Der Ältere schüttelte stur den Kopf.

„Komm schon. Ich sehe doch wie gerne du raus willst. Du zappelst schon die ganze Zeit herum. Immer nur im Zimmer ist doch öde! Wir machen einen kleinen Spaziergang und wenn du wieder rein willst, sagst du einfach Bescheid. Okay?“

Ergeben nickte der Blonde. Der Lulatsch gab ja eh keine Ruhe. Seine Angst wurde dadurch allerdings auch nicht gemildert.

Schnell half Sam seinem Bruder die Jacke anzuziehen, bevor er es sich doch wieder anders überlegte, nahm seine vom Haken und sie gingen nach draußen.

Sie liefen ein paar Straßen entlang. Dean hielt sich immer dicht bei seinem Bruder und Caro dicht an sich gepresst. Seine Lust auf diesen Spaziergang wollte sich nicht steigern.

Dann bog Sam in einen Park ab und nahm den Weg, der laut Wegweiser zu einem Teich führte.

Der Blonde schob sich noch dichter an seinen Bruder heran.

Sam beschloss dieses Verhalten zu ignorieren. Wenn er jetzt mit ihm zurück ins Zimmer ginge, würde er ihn nie wieder vor die Tür bekommen und wenn in dem Körper auch nur ein Bisschen Dean steckte, dann wäre er vor unterdrücktem Bewegungsdrang nicht mehr zu bändigen.

Unauffällig schaute er sich um. Hier waren kaum Menschen und er hoffte, dass das auch seinem Bruder auffallen würde.
 

Am Teich angekommen setzte er sich auf eine Bank und hielt sein Gesicht in die Sonne.

Es war wunderbar ruhig hier und er genoss die würzige Luft und die wärmenden Strahlen.

Dean tat es ihm gleich. Doch lange hielt es ihn nicht auf der Bank. Er stand auf und untersuchte die nähere Umgebung.

Sam öffnete blinzelnd ein Auge und lächelte. Er hatte recht gehabt. Deans Neugier war größer als seine Angst. Er schloss sein Auge wieder und genoss weiterhin die Sonne.

Dean entfernte sich immer weiter. Er fand die ersten Blumen und entdeckte darauf einen Schmetterling, den er verfolgte, als der weiter zog. Langsam näherte er sich dem Teich.

Sam warf einen weiteren Blick auf seinen Bruder. Der schien vollkommen versunken darin, etwas zu beobachten. Er lächelte und schloss seine Augen wieder.

In Gedanken wälzte er ihr Problem von einer Seite auf die andere. Irgendwo musste er doch mehr als einen Ansatz finden können!
 

Dean verfolgte den Schmetterling immer weiter. Wenn der sich setzte, hockte auch er sich hin und wartete. Ein paar Mal hatte er versucht, das zarte Gebilde zu berühren, doch sobald er ihm mit seinen Fingern zu nah gekommen war, hatte der sich wieder in die Luft erhoben und war zur nächsten Blüte geflogen.

Jetzt machte er sich wieder auf den Weg und landete auf dem feuchten, leicht schlammigen Ufer des Teiches, wo er einen Augenblick verweilte und dann über den Teich davonflog.

Dean lief auf die Holzbrücke, die den Teich bogenförmig überspannte.

Sein Blick glitt suchend über das Ufer und blieb an zwei großen, silbrig glänzenden Fischrücken hängen.

Der Schmetterling war vergessen.

Im Teich schwammen noch kleinere rote Fische umher. Sie flitzten durcheinander. Doch die beiden Großen standen still.

Das silberne Glänzen schlug den Winchester in seinen Bann.

Er ging von der Brücke und suchte sich einen Weg über nasse Steine.

Immer näher kam er dem Objekt seiner Begierde.

Doch dann trat er auf einen wackligen Stein.

Mit den Armen rudernd versuchte er das Gleichgewicht zu halten. Es hatte keinen Sinn. Er gab ein erschrockenes Keuchen von sich und plumpste ins Wasser.

Sam schrak hoch. Noch bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte, war er schon auf dem Weg zum Teich.

Dean lag strampelnd und um sich schlagend im Wasser.

‚Wenigstens ist er auf dem Rücken gelandet’, ging es Sam durch den Kopf.

„Halt still, Dean!“, rief er und suchte nach einem halbwegs trockenen Weg um seinen Bruder zu retten.

Es gab keinen.

„Dean, bitte. Hör auf so rumzuspritzen!“, forderte er ruhig.

So schnell er konnte watete er in den Teich. Zum Glück war sein Bruder dicht am Ufer in den Teich gefallen, so dass er nur bis etwas über die Knöchel in das doch noch empfindlich kalte Wasser gehen musste.

Er packte seinen Bruder am Arm und zog ihn zu sich heran, fasste ihn unter den Armen, zog ihn hoch und auf die Knie und schaffte es dann ihn ganz aus dem Wasser zu bekommen und auf der angrenzenden Wiese auf die Beine zu stellen. Zitternd stand der Ältere da und rührte sich nicht.

Jetzt endlich wich seine Angst der Wut über den Blödsinn, den sein Bruder da angestellt hatte.

„Verdammt noch mal, kann mal dich keine Minute aus den Augen lassen?“, platzte er wütend hervor.

Der Blonde starrte auf seine Füße.

„Was sollte das denn werden, Dean?“

„Wollte die streicheln“, nuschelte der Blonde leise.

„Was wolltest du streicheln?“

„Da waren so große silberne…“, erklärte der Blonde stockend. Seine Zähne schlugen immer lauter aufeinander.

„Du wolltest Fische streicheln?“

Dean nickte schniefend und Sam wusste nicht, ob er lachen, oder entsetzt sein sollte, wegen dieser Idee. Hatte Dean das wirklich ernsthaft gewollt? Er musterte seinen Bruder. Und jetzt endlich ging ihm auf, dass der am ganzen Körper durchnässt war und das Wetter nun wirklich nicht zu Baden einlud.

Hecktisch versuchte er den Blonden aus seiner Jacke zu schälen.

Dean versteifte sich immer mehr.

„Komm schon. Wir müssen dich aus deinen nassen Sachen bekommen“, versuchte Sam ihm gut zuzureden. „Du willst doch nicht krank werden!“

Der Blonde reagierte kaum. Er starrte noch immer auf den Boden.

Mit zitternden Fingern befreite Sam ihn langsam aus Jacke, Hemd und Shirt und zog dann seine Jacke und das Hemd aus. Schnell schob er Deans Arme in die Ärmellöcher des Hemdes, knöpfte es mit fliegenden Fingern zu und zog ihn die Jacke an. Er schloss den Reißverschluss und versuchte den Blonden ein wenig warm zu rubbeln.

Die nassen Sachen hob er auf, fasste Dean bei der Hand und machte sich schleunigst auf den Weg zurück zu ihrem Motel.

Dean musste fast rennen um mit den langen Schritten des Dunkelhaarigen mithalten zu können. Und zum ersten Mal seit er nicht mehr er selbst war, sah er auch äußerlich aus wie ein Kind. Sams Jacke war ihm zu groß und Caros Hinterbeine schlugen gegen seine Wade.

Die Menschen, die ihnen entgegen kamen starrten ihnen nach, erklärten sie innerlich für verrückt und gingen weiter ihrer Wege.

D E A N und S A M

173) D E A N und S A M
 

Hastig schob Sam seinen Bruder in ihr Zimmer und weiter ins Bad. Er drehte den Wasserhahn auf und ließ handwarmes Wasser in die Wanne laufen.

„Scheiße ist das kalt“, keuchte Dean rau.

Sam erstarrte. Er drehte den Blonden zu sich herum, doch er schaute wieder nur in die großen, runden Kinderaugen. War da wirklich sein Bruder gewesen? Hatte Dean das gesagt oder hatte er sich einfach nur verhört?

„Dean?“, fragte er drängend, doch sein Bruder reagierte nicht oder nicht mehr. Er atmete tief durch und begann den Blonden aus den nassen Klamotten zu schälen. Kaum stand der nackt vor ihm, drängte er ihn in die Wanne.

Er schüttete Badezusatz in die Wanne und ließ die Ente dann ins Wasser gleiten. Schnell holte er ihm noch das Feuerwehrschlauchboot und warf es ins Wasser, dann zog er sich ebenfalls aus und stieg unter die Dusche.

Auch er musste sich aufwärmen. Seine nassen Füße waren zwar durch die Bewegung nicht so ausgekühlt, aber auch er fror.
 

Nachdem er sich abgetrocknet und wieder angezogen hatte, hockte er sich neben die Wanne in der Dean abwechselnd versuchte die Ente zu ertränken und aus dem Schlauchboot ein U-Boot zu machen. Er tauchte beide immer wieder mit einem verbissenen Gesichtsausdruck unter.

„Die werden immer wieder hochkommen“, erklärte Sam leise.

„Will aber dass sie unten bleiben!“

„Richtige Enten können aber auch schwimmen, genauso wie richtige Schlauchboote.“

„Warum?“

„Weil ihre Auflagefläche im Gegensatz zu ihrem Gewicht groß genug ist. So können sie nicht untergehen.“

Dean blickte den Dunkelhaarigen mit großen Augen an und Sam sah, dass er nichts von dem verstanden hatte, was er gesagt hatte.

Er holte tief Luft. Wie erklärte man einem Kind die Welt?

„Die Ente ist sehr leicht und liegt auf dem Wasser. Deshalb geht sie nicht unter.“

Dean drehte die Ente mit dem Kopf nach unten. Jetzt hing der Kopf im Wasser.

„Da ist Luft drin. Die ist leichter als Wasser und lässt sie nicht weiter sinken.“

Der Blonde zog eine Schnute und drehte sie wieder richtig herum.

„Warum wolltest du die Fische streicheln?“, fragte Sam.

„Haben die im Fernsehen auch gemacht!“

„Fische gestreichelt?“

„Ja!“

„Was denn für Fische?“, Sams Neugier und seine Besorgnis waren geweckt. Musste er sich jetzt ständig dazu setzen, wenn Dean Fernsehen schaute? Auf was für Ideen brachten sie ihn noch?

„Grosse schwarze Fische mit weißen Bauch und silberne.“

Sam grübelte eine Weile.

„Die Fische lagen zum Streicheln draußen und sonst sind sie in einem Becken geschwommen, das rundrum Scheiben hatte?“

Dean nickte.

„Das waren Orca-Wale und Delfine in einem großen Tierpark. Da kann man die auch streicheln. Aber die Fische in Teichen und Seen kennen so was gar nicht. Die mögen das auch nicht.“

Wieder schaute Dean ihn mit großen Augen an.

„Schade!“, ließ er sich dann vernehmen.
 

„Na komm. Bevor du noch zum Fisch wirst und ehe ich dich in einem Teich aussetzen muss, wollen wir dich lieber hier rausholen und trocken rubbeln. Dann gehen wir Wäsche waschen. Deine Caro braucht auch dringend ein Bad.“

Der Blonde nickte und ließ sich aus der Wanne helfen.
 

Kaum waren sie aus dem Waschsalon zurück, als Sam seinen Bruder auch schon in einen dicken Pullover verpackt ins Bett steckte und ihm eine große Tasse heißen Kakao breitete. Er hatte gesehen, dass der Blonde noch immer leicht zitterte und er wollte keine Erkältung riskieren.

Sam holte sich „Tom Sawyer“ und setzte sich zu seinem Bruder, der sich sofort an ihn kuschelte. Er liebte es, wenn Sam ihm vorlas. Viel zu schnell war er jedoch erschöpft eingeschlafen.
 

Der Jüngere holte seinen elektronischen Begleiter und versuchte weiterhin den Grund für Deans Veränderung zu finden. Irgendwann wählte er noch einmal Bobbys Nummer, aber auch hier hatte er keinen Erfolg. Musste er sich jetzt auch noch um den Freund Sorgen machen?

Dean war nicht begeistert gewesen, als sie zu ihrem kopflosen Reiter aufgebrochen waren und Bobby Succubi jagen wollte. Hatten sich da mal wieder die Instinkte des Älteren gemeldet? Hätten sie ihrem Freund helfen müssen? Hatte Deans Wandlung vielleicht doch nichts mit der DeVendt zu tun sondern mit dem Reiter?

Sam schloss die Augen und versuchte die Verzweiflung, die sich tief in ihm breit machte nicht an die Oberfläche kommen zu lassen. Jetzt musste er stark sein, für Dean, für sich und irgendwie auch für Bobby!

Er schloss das Internet, stellte seinen Rechner offen auf den Tisch und verschwand im Bad. Er brauchte jetzt dringend etwas Entspannendes und zu seiner Collegezeit hatte er es, weil er von Jess dazu gedrängt worden war, mal mit einem Bad versucht und er hatte zugeben müssen, dass das ganz gut geholfen hatte, also ließ er sich die Wanne volllaufen.

Die Tür ließ er angelehnt, falls Dean wach werden und nach ihm rufen sollte.
 

Kaum war der Größere weg, wachte Dean auf. Er setzte sich hin, rieb sich den Schlaf aus den Augen und schaute sich um. Kurz keimte Angst in ihm auf, als er Sam nirgends sehen konnte, doch dann erblickte er dessen Computer auf den Tisch. Er war offen! Wie magisch von ihm angezogen ging er zum Tisch, setzte sich vor das elektronische Spielzeug und bewegte seine Finger über das Feld. Dass man das so machte, hatte er schon mal gesehen, er wusste nur nicht mehr wo. Das Desktop-Bild erschien und er fand darauf mehrere Ordner. Unter einem dieser Ordner stand ein Wort, von dem er wusste, was es bedeutete.

In dem Moment kam Sam aus dem Bad.

„Dean?“, fragte er leicht panisch. Wer wusste schon, was kleine Kinder mit einem Computer anstellen konnten!

„Da sind Bilder drin“, erklärte der Blonde selbstsicher und piekte mit dem Finger auf den entsprechenden Ordner, „darf ich die sehen?“

Sam warf einen Blick auf den Rechner.

„Woher weißt du das?“, wollte er wissen.

„Das Wort hab ich auf Büchern gesehen, wo Bilder drin waren!“

„Weißt du auch wo das war?“ Vielleicht kamen sie ja jetzt einen Schritt weiter.

Traurig schüttelte Dean den Kopf.

„Nicht so schlimm! Na komm. Setz dich, ich zeig dir wie es geht.“ Er öffnete den Ordner und zeigte Dean wie er zum nächsten Bild kam. Langsam klickte der sich durch die Fotos.

„Baby!“, sagte der Blonde plötzlich. Sam schaute sofort auf seinen Rechner und sah das Foto, das Ruby von ihm und Dean gemacht hatte, als er Dean mit der Nuckelflasche gefütterte hatte. Er lief leicht rot an. Das Foto hätte nie jemand zu Gesicht bekommen sollen! Schon gar nicht Dean!

„Damals warst du ganz doll krank“, erklärte er nur.

Der Blonde nickte kurz und blätterte dann weiter. Viel gab es nicht mehr zu sehen.

„Was hältst du davon, wenn du dich anziehst und ich hole uns Essen. Willst du mitkommen?“

Dean nickte und beeilte sich, sich umzuziehen. Bis auf den Knopf der Jeans, der gar nicht durch das Knopfloch wollte, sodass Sam helfen musste, klappte das schon richtig gut. Nur die Schleifen der Schuhe musste Sam ihm binden.

„Wollen wir das nach dem Essen mal probieren?“, fragte der Größere und Dean nickte begeistert.
 

Das Essen war ruhig verlaufen.

Auf dem Rückweg holte der Jüngere ein Stück Schnur aus dem Impala. Er setzte sich auf ein Bett, ließ Dean sich zwischen seine Beine setzen und zeigte ihm dann anhand der Schnur, wie das mit dem Schleife-Binden ging.

Sie übten eine ganze Weile, bis der Blonde es soweit beherrschte, dass Sam die Schleifen nur noch festziehen musste.

„Wow“, erklärte der auch sofort beeindruckt. „Du lernst schnell!“

Dean strahlte über das ganze Gesicht.

„Ich glaube, es ist Zeit für deine Schlümpfe“, sagte Sam und strubbelte dem Blonden durch die Haare.

Sofort setzte der sich vor den Fernseher.

Gemeinsam schauten sie die Folgen.
 

„Bist du schon wieder müde?“, wollte Sam danach wissen. Sein Bruder schüttelte den Kopf.

Der Jüngere nickte. Das hatte er sich fast gedacht. Immerhin hatte er ja den halben Tag verschlafen.

„Und wozu hast du Lust?“

„Malen“

Wieder nickte der jüngere Winchester und holte ihm ein paar Blätter, ein Malbuch und die Stifte und setzte sich dann ihm gegenüber um noch etwas zu recherchieren.
 

„Zeigst du mir, wie „Dean“ geschrieben wird?“, riss ihn Dean plötzlich aus seinen Überlegungen.

„Klar.“ Er klappte seinen Rechner zu und stellte sich hinter Dean.

„Lass deine Hand ganz locker“, bat er und führte ihm die Hand bis D E A N auf dem Blatt stand.

„Und Sam?“ Wieder schrieben sie S A M. Der Blonde strahlte.

„Jetzt probier es mal alleine“, spornte Sam ihn an und Dean malte so konzentriert Buchstaben auf das Blatt, dass seine Zungenspitze zwischen den Lippen hervorschaute.

„Das machst du wirklich gut“, sagte Sam und lächelte. „Wenn du so weiter machst, wirst du bald richtig lesen können.“

„Ließt du mir dann nicht mehr vor?“, fragte der Jüngere und sein Gesichtsausdruck wandelte sich von stolz strahlend zu traurig.

„Wenn du möchtest, dass ich dir die Geschichten vorlese, dann werde ich es auch weiterhin tun.“

Dean nickte erleichtert. Er mochte es an Sam gekuschelt einzuschlafen. Und auch der größere Winchester musste zugeben, dass diese Momente, die sie zusammen im Bett lagen, ihn an die schönsten Zeiten seiner Kindheit erinnerten.

Plötzlich ertönte in der Ferne die Sirenen eines Krankenwagens. Dean erstarrte. Seine Augen weiteten sich panisch. Er ließ den Stift fallen und verkroch sich unter dem Tisch. Die Fäuste fest vor seine Augen gedrückt hatte er sich ganz klein gemacht. Er zitterte am ganzen Körper.

Sofort kroch Sam zu ihm und versuchte ihn in den Arm zu nehmen.

Doch kaum fühlte der Kleinere die Berührung, begann er schreiend um sich zu schlagen.

Es bedurfte Sam jede Menge Kraft und gutes Zureden, um ihn wieder halbwegs zu beruhigen und selbst dann noch ließ er sich nicht unter dem Tisch hervorziehen. Es blieb dem jüngere Winchester nichts weiter übrig als sich zu ihm zu setzen, ihn in seine Arme zu ziehen und ihn tröstend hin und her zu wiegen. Dicke Tränen rollten aus den grünen Augen, die eben noch so glücklich gestrahlt hatten und durchtränkten Sams Shirt.

Erst lange nachdem das Signalhorn verklungen war, konnte er den Blonden unter dem Tisch hervorlocken. Gemeinsam krochen sie in Deans Bett unter die Decke und Sam las ihm weiter „Tom Sawyer“ vor.

Es dauerte lange, bis Dean endlich einschlief und sein Bruder sich daran machen konnte ihn wenigstens von Hemd und Jeans zu befreien.

Dem Älteren war in dieser Nacht kein ruhiger Schlaf vergönnt. Immer wieder warf er sich unruhig im Bett hin und her, sodass sich Sam auch nur schnell bettfertig machte und dann zu ihm unter die Decke kroch.
 

Auch am nächsten Morgen war der Blonde unruhig. Immer wieder erstarrte er plötzlich und lauschte auf die Geräusche der Straße, die nur dumpf zu ihnen drang.

So gerne Sam auch noch einen Tag geblieben wäre, einfach um sicher zu stellen, dass Dean sich bei seinem unfreiwilligen Bad im Teich wirklich nicht erkältet hatte, so wenig wollte er ihm den Stress antun, den er hier empfand.

Nach dem Frühstück packten sie zusammen und fuhren weiter Richtung Grady.
 

Vier Stunden später checkten sie in einem gemütlichen Motel ein, dass in einem Wohngebiet, weit weg von der Hauptstraße lag und Sam hoffen ließ, dass Dean nicht wieder von einem Krankenwagen an seine Entführung erinnert wurde.

„Ich wollte einkaufen fahren. Willst du mitkommen, oder hältst du es hier alleine aus?“

„Ich bin doch schon groß!“, erklärte der daraufhin ernst und machte sich gerade. Um nichts in der Welt wollte er zugeben, dass er Angst hatte, das Zimmer zu verlassen. Solange nicht wieder ein Krankenwagen vorbeifuhr, fühlte er sich hier am Sichersten.

Sam wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Auf der einen Seite war es wirklich niedlich wenn ein Kind das sagte und auch wie er es gesagt hatte, auf der anderen aber war es Dean und der war schon fast sein ganzen Leben „groß“. Außerdem stellte er erschrocken fest, dass er Dean wirklich schon als Kind sah.

Diese ganze Situation war so surreal und er wünschte sich nichts mehr, als sie zu beenden, so schnell wie möglich!

„Gut, ich bin nicht lange weg“, sagte Sam, wuschelte ihm kurz über den Kopf und verließ das Zimmer.

Dean nahm Caro in den Arm und begann das Zimmer zu erkunden. Vielleicht konnte er ja gleich mit ihr verstecken spielen?

Er fand zwar keine schönen Verstecke, aber ein Seil, das er auch sofort einzusetzen wusste.

Er band es an einem Bein des vorderen Bettes, spannte es dann quer durch das Zimmer und verknotete das andere Ende an einem Bein der Kommode. Sofort begann darauf hin und her zu laufen, nachdem er Caro mit der Bemerkung: „Du bist noch zu klein dafür“, als Zuschauer auf einen Stuhl verbannt hatte.

Lass Dich nicht unterkriegen

174) Lass dich nicht unterkriegen!
 

Sam hatte schnell etwas Obst und Cornflakes, sowie Milch und Kakao gekauft und kam, beladen mit zwei Tüten wieder ins Zimmer. Er wollte seine Einkäufe zum Tisch bringen. Sein Fuß verhakte sich unter dem Seil und er hatte Mühe sein Gleichgewicht wiederzufinden, als er beim nächsten Schritt, den er machen wollte, unsanft gestoppt wurde.

„Dean!“, schrie er mehr erschrocken als wütend.

Der Blonde zog sofort den Kopf ein, während der Größere seine Einkäufe abstellte und sich ungläubig ansah, was ihn da fast zu Fall gebracht hatte.

„Was soll das denn? Du kannst doch hier nicht einfach so ein Seil mitten durchs Zimmer spannen!“, fragte er noch immer aufgebracht.

„Aber ich bin doch ein Seiltänzer!“, schniefte der Kleinere.

Sam atmete tief durch, ging zu dem Blonden, nahm ihn in die Arme und streichelte ihm sanft über den Rücken.

„Du kannst von mir aus gerne ein Seiltänzer sein, aber du darfst keine Seile an Orten spannen, wo Menschen entlang gehen. Die könnten sich verletzen!“, versuchte er ruhig zu erklären, warum er so aufgebracht gewesen war.

„Aber ich war doch alleine hier und Caro saß auf dem Stuhl!“

„Bis ich wiedergekommen bin.“

Dean sah ihn mit großen Augen an und zog die Nase hoch.

„Versprichst du mir, nie wieder ein Seil vor eine Tür zu spannen?“

Zögernd nickte der Ältere.

„Gut! Was kannst du denn schon alles auf dem Seil? Zeigst du es mir?“, versuchte der Jüngere jetzt die Wogen zu glätten.

Der Blonde schniefte noch einmal, wischte sich seine Nase am Ärmel ab und nickte dann. Er stellte sich auf das Seil, breitete die Arme aus und hopste eine Weile darauf herum.

Als er seinen Auftritt mit einer tiefen Verbeugung beendete, klatschte der jüngere Winchester frenetisch Beifall und forderte eine Zugabe.

Dean strahlte über das ganze Gesicht, hopste noch einmal auf das Seil drehte sich ein paar Mal im Kreis und stellte sich dann davor.

Wieder klatschte Sam Beifall und wollte noch eine Zugabe haben.

„Mehr kann ich nich“, erklärte der Blonde, der dieses Spieles müde geworden war. Er stellte sich vor Sam und hielt ihm bettelnd seine Hände hin.

Der überlegte einen Augenblick, griff dann in eine der Einkaufstüten, die noch auf dem Tisch standen und holte einen Schokoriegel hervor, den er seinem Bruder gab.

Dean strahlte über das ganze Gesicht.

„Räumst du das Seil wieder weg?“, wollte der Größere der Brüder gleich darauf wissen und Dean nickte notgedrungen, aber vorher verspeiste er seine Bezahlung. Danach holte er sich seine Spielzeugkiste und begann zwischen den Betten eine Feuerwehrstation aufzubauen.

Der Jüngere räumte seine Einkäufe weg und holte sich sein „Spielzeug“. Solange sein Bruder spielte, konnte er recherchieren.

Noch einmal stand er auf und ging zur Küchenzeile. Er wusch das gekaufte Obst, zerteilte Äpfel, Ananas und Nektarinen und verteilte sie, zusammen mit dem Weintrauben auf zwei Tellern. Mal sehen, ob er Dean zu Obst überreden konnte.

Einen Teller stellte er auf den Boden neben die Kommode. Da kurvte der Blonde besonders oft vorbei, den Zweiten nahm er mit an den Tisch.
 

Draußen war es schon dunkel, als Dean neben dem Tisch auftauchte und Sam am Ärmel zog.

„Ich hab Hunger“, erklärte er eindringlich.

„Okay, gehen wir essen. Hast du die die Hände gewaschen?“, wollte der Jüngere wissen.

Dean schüttelte den Kopf.

„Dann los!“

Sofort flitzte der in das Bad und kam bald darauf, mit nassen Händen wieder.

Sich die Jacken überziehend, verließen sie das Zimmer und gingen zu einem kleinen Diner, das Sam bei seiner Einkauftour entdeckt hatte.
 

Kaum waren sie vor die Tür getreten, verließ Dean der Mut und er schob seine Hand in Sams und drückte sich eng an ihn.

„Ich bin bei dir! Niemand wird dir etwas tun!“ Sanft strich er ihm über den Rücken.

Trotzdem schien sich der Blonde nicht wirklich zu beruhigen. Der Krankenwagen von Gestern hatte sich wohl zu tief in sein Gedächtnis gegraben und die noch schlimmeren Erinnerungen an die Entführung wieder an die Oberfläche gespült. Jetzt konnte er nur hoffen, dass ihnen nicht so schnell wieder ein Krankenwagen begegnete und Dean genügend schöne Erinnerungen bekam, um diese wieder zu vergessen.
 

Sie fanden einen Tisch in einer Nische, der gerade frei geworden war, und der sie etwas von den anderen Gästen abschirmte.

Dean holte zwei Autos aus seiner Jackentasche und begann diese über den Tisch fahren zu lassen.

Die Bedienung, eine ältere, freundlich lächelnde Frau, schaute etwas verwirrt, als sie die Bestellung aufnehmen wollte und den spielenden Mann sah.

„Er ist besonders“, sagte Sam.

Sein Bruder ließ sich von dem Ganzen nicht aus der Ruhe bringen.

Die Frau, sie heiß Martha, lächelte wieder und nickte verstehend. Ihre Nichte war ebenfalls geistig behindert und sie kannte die oft abfälligen Blicke nur zu gut.

„Was darf ich Ihnen bringen?“, wollte sie wissen.

Sam legte eine Hand auf Deans und brachte ihn damit dazu, ihn anzusehen.

„Was möchtest du essen?“

„Erbsen fangen!“ Der Blonde strahlte die Bedienung an.

„Okay“, antwortete sie, „und was noch?“

„Weiß nich!“

„Pommes frites mit viel Ketchup, Chicken wings und Erbsen für ihn, ich nehme einen Salat mit Putenstreifen und zu Trinken einen Kaffee und eine Cola“, bestellte der jüngere Bruder.

Gleich darauf standen ihre Getränke vor ihnen.

„Morgen fahren wir nach Grady“, sagte Sam und schaute seinen Bruder in die Augen. Vielleicht reagierte er ja auf den Namen?

Hin und wieder hatte er das Gefühl in Deans Augen zu schauen, doch jedes Mal, wenn er genauer hinschaute, oder ihn etwas fragen wollte, waren es wieder die großen, runden, unwissenden Kinderaugen und er schluckte die Frage runter.

Der Blonde schaute ihn nur fragend an. Er zuckte mit den Schultern und schnaufte. Dabei geriet auch etwas Luft durch den Strohalm in das Glas. Blasen stiegen auf. Sofort musste Dean das noch einmal probieren. Doch dieses Mal pustete er stärker. Die Cola schäumte über und der Blonde strahlte schon wieder vor Freude. Er pustete gleich noch einmal.

„Dean!“, ermahnte Sam ihn streng.

„Ist doch nicht so schlimm. Das kann man wegwischen“, sagte Martha ruhig und machte sich gleich an die Arbeit. „Möchtest du noch eine neue Cola, mein Schatz?“

Der ältere Winchester schaute auf sein Glas, dass kaum noch etwas von dem Getränk enthielt und so sehr er auch pustete einfach nicht mehr schäumen wollte und nickte begeistert.

„Kommt sofort!“, lächelte die Bedienung.

„Aber sie können doch nicht...“, begann Sam zu protestieren.

„Bei kleinen Kindern wird es auch oft geduldet. Nur weil er größer ist können Sie ihm doch nicht alles verbieten!“, erklärte sie ruhig.

„Aber trotzdem...“

„Ich habe eine geistig behinderte Nichte und ich weiß wie schwer es ist, alles in Einklang zu bringen.“

Sam holte Luft. Dean war nicht geistig behindert, wollte er schreien, aber wie sollte das ein normaler Mensch anders aufnehmen, so wie er sich benahm, musste er genau so wirken. Sein Körper war erwachsen, sein Geist war es nicht. Also schluckte er seinen Protest herunter und nickte nur.

„Ich finde es toll, dass Sie sich so um ihn kümmern. Ist er Ihr Bruder?“

„Ja, ist er. Er hat Schlimmes mitmachen müssen und ...“, verdammt! Wie sollte er das denn erklären? Und was sollte er sagen? Er musste sich wirklich mal eine schlüssige Geschichte ausdenken!

„Sie müssen nichts sagen. Nicht wahr mein Schatz. Du bist glücklich?“ Freundlich lächelte sie Dean an und strich ihm sanft über den Kopf.

Der Blonde strahlte sie an und nickte.

„Leer“, erklärte er und schob ihr das Glas hin.

„Dann bring ich dir mal schnell ein Neues.“

Sam holte tief Luft. So schön es war, dass jemand seinen Bruder hinnahm, wie er war, so schlimm fand der das Ganze trotzdem. Das musste er nicht öfter haben! Trotzdem sollte er sich mal überlegen, was er sagen konnte, wenn wirklich jemand fragte.

Er brauchte nicht lange nachzudenken, bis sie eine Idee in seinem Kopf formte.
 

Martha kam mit ihrem Essen und stellte die Teller vor sie. Um Deans legte sie ein Handtuch.

„Dann können die Erbsen nicht so weit weglaufen“, lachte sie und ging zu den Gästen, die gerade das Diner betraten.

Dieses Mal stellte sich der Blonde gar nicht so ungeschickt an und fing schon eine ganze Menge der grünen Kugeln mit seiner Gabel. Natürlich verschwanden wieder viele vom Teller, doch sie kamen nicht weit, dank des Handtuches.

Der jüngere Winchester grinste. Dean aß Gemüse und den Obstteller, den er ihm hingestellt hatte, hatte er auch leer gemacht. Vielleicht war es ja nur die Vorbereitungsarbeit, die Dean davon abschreckte etwas Gesundes zu essen? Er würde das auf jeden Fall ausprobieren, wenn er seinen Bruder wieder hatte.
 

Martha räumte, als sie mit dem Essen fertig waren, ohne ein Wort des Protestes die Teller ab und beseitigte die Spuren. Sam bedankte sich mit einem breiten Lächeln und extra viel Trinkgeld.

„Lass dich nicht unterkriegen“, sagte sie an Dean gewannt, „und Sie auch nicht!“

„Danke“, nickte der jüngere Winchester.
 

Wieder im Zimmer angekommen gab es die üblichen Schlümpfe im Fernsehen, gefolgt von Phineas und Ferb und da der Blonde danach noch nicht ins Bett wollte, bat Sam ihn, ihm ein Bild zu malen.

Als er fertig war, war nicht nur der Himmel auf dem Bild blau, sondern auch Deans Finger.

„Deine Finger sehen ja ganz schlumpfig aus“, stellte er erschrocken fest und nahm sich vor, den Filzstift sofort zu entsorgen, nachdem er die Finger seines Bruders wieder entfärbt hatte.

„Bin ein Schlumpf“, lachte Dean breit und hopste durch das Zimmer.

„Nein, du bist kein Schlumpf, du hast nur jede Menge blaue Tinte an den Fingern“, sagte er ernst und forderte: „Komm, wir müssen deine Schlumpffinger wieder abwaschen.“ Er drängte den Blonden Richtung Bad.

„Will nicht abwaschen! Will auch ein Schlumpf sein!“

Sam versetzte sich einen mentalen Tritt in seinen Allerwertesten. Auf was für eine blöde Idee hatte er seinen Bruder denn jetzt wieder gebracht!

„Schlümpfe sind ganz blau! Du hast nur mit blauer Tinte beschmierte Finger!“
 

Es dauerte eine ganze Weile, bis Deans Finger wieder zum größten Teil farbfrei waren und auch wenn Sam nur Seife und den Waschlappen benutzt hatte, so war die Säuberungsaktion doch nicht ganz schmerzfrei gewesen und Dean rannte, kaum dass der Lulatsch von ihm abgelassen hatte ins Zimmer und verkroch sich mit Caro im Arm in sein Bett.

Der jüngere Winchester atmete tief durch. Das hatte er nicht gewollt, aber irgendwie musste er die Finger doch sauber bekommen! Er ging ebenfalls ins Zimmer und setzte sich auf den Rand von Deans Bett.

„Es tut mir leid, wenn ich dir weh getan habe“, sagte er leise und versuchte seinem Bruder über den Kopf zu streichen. Dean wich aus.

„Bitte Dean! Ich ...“, er brach ab. Wie sollte er das erklären? Als Kind hätte er diese Aktion ja auch nicht verstanden. Allerdings hätte Dean das auch nicht mit ihm gemacht. Nicht so.

„Kann ich dich mit einem Eis wieder versöhnen?“, fragte er leise.

„Eis?“

„Ein Eis.“

„Jetzt?“

„Wenn du möchtest auch jetzt!“

Dean nickte und rutschte vom Bett. Er holte sich seine Jacke und wartete an der Tür. Sam musste lachen. Mit Eis war Dean früher schon zu kriegen gewesen. Leider hatte das ihren Dad weniger interessiert. Der war mehr für harte Ausbildung anstatt fürs Verwöhnen. Nur wenn sie mal bei Onkel Bobby waren, hat es öfter Eis gegeben. Schon damals war Bobby etwas Besonderes! Dabei fiel ihm ein, er musste morgen unbedingt versuchen den Jäger zu erreichen!

Schnell zog sich auch Sam seine Jacke über und gemeinsam gingen sie über den Hof zu der Eismaschine, die im Eingangsbereich des Motels standen.

Dean strahlte. So spät war er noch nie draußen gewesen.
 

Genüsslich an ihren Eistüten schleckend gingen sie wieder in ihr Zimmer zurück.

Gus

175) Gus
 

Am nächsten Tag fuhren sie nach Pine Bluff. Sie suchten sich wieder ein ruhiges Motel und nach dem Essen machten sie sich auf den Weg nach Grady. Auch wenn Dean das Haus angezündet hatte, vielleicht war je etwas von dem Brand verschont geblieben und er fand noch irgendwelche Spuren, obwohl er sich da lieber nicht so viele Hoffnungen machen sollte.
 

Sam lenkte den Impala auf das Grundstück.

Schon von Weitem sah er, dass der Brand ganze Arbeit geleistet hatte.

Trotzdem wollte er noch nicht alle Hoffnungen aufgeben und sich die Ruine wenigstens einmal richtig ansehen. Er parkte den Wagen davor und stieg aus. Sofort kletterte auch Dean aus dem Wagen.

„Du bleibst bitte hier, okay. Wenn was ist, ruf mich, ich bin ganz in der Nähe“, fügte er noch hinzu, als er sah, wie Dean sich versteifte.

Der Blonde zog eine Schmollschnute, nickte aber und Sam ging los.

Nichts war für einen Fünfjährigen langweiliger als Warten, deshalb war es auch nicht weiter verwunderlich, dass er schon bald auf eine eigene Entdeckungstour ging. Langsam lief er durch die Bäume, hob hier und da ein Blatt auf und kickte Steinchen über den Weg.

Plötzlich hörte er ein Geräusch. Er erstarrte.

Wieder hörte er dieses jämmerliche Piepsen und lief langsam auf den Baum zu, von dem es zu kommen schien. Ganz vorsichtig umrundete er den Stamm und dann sah er es. Etwas Hässliches, Schwarzes hockte da am Boden und sperrte seinen riesigen roten Schnabel auf.

„Ich hab nichts für dich“, erklärte der Blonde dem Küken. Doch dem war es egal. Es hatte Hunger. Wieder piepste es kläglich und sperrte seinen Schnabel weiter bettelnd auf.

Dean hockte sich neben das hässliche Ding und versuchte es vorsichtig mit seinem Finger zu berühren. Der Schreihals schnappte sofort zu.

Dean quiekte erschrocken und zog seine Hand schleunigst zurück.

Mit auf dem Rücken versteckten Händen betrachtete er das Vogeljunge genauer.

„Hast du Hunger?“, fragte er ruhig.

Wieder sperrte das Kleine seinen Schnabel auf und Dean interpretierte das als ein „ja“. Er begann das alte Laub zur Seite zu schieben und fand, nach einer Weile tatsächlich eine Raupe, die er vorsichtig hochhob zu dem Küken brachte und in den aufgesperrten Schnabel fallen ließ.

Sofort schluckte das Kleine und sperrte seinen Schnabel wieder auf.

„Hab nicht mehr“, erklärte Dean leise, doch den Piepmatz wollte mehr.

„Aber bei Sam kann ich dir mehr besorgen“, versuchte er sein Vorhaben zu erklären.

Vorsichtig hob er das Küken hoch. Sofort kuschelte es sich in seine warme Hand. Dean lächelte.

„Ist dir kalt?“ fragte er und schob es in seine Jackentasche. Dann ging er zurück zum Impala.

Sam war noch nicht wieder da.

Der Blonde wurde magisch von dem schwarzen Haufen angezogen. Und so dauerte es nicht lange, bis er hier in Stück Holz und dort einen Stein aufhob und damit spielte.
 

Endlich war Sam mit seiner Suche fertig, oder besser, er gab sie erfolglos auf. Er umrundete die letzte Ecke und erstarrte mitten im Laufen.

„Dean“, brüllte er und rannte los. Jetzt war es der Blonde, der in seiner Bewegung erstarrte. Ertappt ließ es das Stück Holz fallen, mit dem er gerade gespielt hatte und stand auf. Schnell wischte er noch seine Finger an der Hose ab und schaute unschuldig zu seinem Bruder.

„Du siehst aus wie ein Schwein“, schimpfte der mehr belustigt als verärgert, denn Dean hatte sich mal wieder eine Kriegsbemalung zugelegt. Trotzdem war er auch sauer das sein Bruder nicht auf ihn gehört und doch in oder an der Ruine gespielt hatte. Die einzelnen Balken und Steine sahen nicht wirklich stabil aus. „Und dreckig gemacht hast du dich auch noch!“, fügte der jünger Winchester mit einem Lachen in der Stimme hinzu.

Dean blickte ihn treuherzig an und es fiel ihm schwer. Böse mit ihm zu sein. Aber er wollte auch, dass sein Bruder hörte, wenn er etwas sagte! Was wenn er sich hier etwas getan hätte?

„Los ab in den Wagen und wehe du fasst was an!“

„Aber ich hab doch gar nichts gemacht!“

„Doch hast du! Ich hab gesagt, du sollst beim Wagen bleiben!“

„Der ist doch in der Nähe!“, rechtfertigte sich der Blonde mit der Logik eines Kindes.

„Dean!“, Sam verdrehte die Augen. Wie konnte er das seinem Bruder begreiflich machen?

„Du siehst aus wie ein Schornsteinfeger, ganz schwarz. Na los wir fahren ins Motel und dort duscht du erstmal!“

Sam hockte sich vor den Kleineren.

„Was wenn dir was passiert wäre? Was wenn du hier irgendwo reingefallen wärst? Ich möchte nicht, dass dir was passiert, verstehst du?“

Dean schniefte.

„Na komm. Fahren wir zum Motel.“

Ergeben nickte der Blonde.
 

Kaum waren sie im Zimmer, stellte Sam die Dusche an und half dem Älteren beim Ausziehen. Die schmutzige Kleidung warf er achtlos auf den Boden.

Irgendetwas gab ein leises Piepen von sich, doch er ignorierte es. Kaum stand sein Bruder nackt vor ihm, so schob er ihn auch schon in die Duschkabine und begann ihn zu waschen.
 

Nachdem er ihm die Haare ausgespült hatte, ließ er ihn alleine. Dean liebte Wasser. Hier konnte er nichts kaputt machen und er selbst hatte die Zeit seine Kleidung auszuräumen und gleich noch ein paar andere Kleidungsstücke zum Waschen rauszulegen. Als er Deans Jacke hochnahm, piepste es wieder. Irritiert untersuchte er die Taschen und förderte etwas Schwarzes, Hässliches ans Tageslicht.

„Mein Gott, was bist du denn?“, fragte er den Piepser, der schon wieder seinen riesigen Schnabel aufsperrte. So langsam fragte er sich, was sein Bruder noch alles anschleppen würde.

Er holte etwas Papier von der Küchenrolle, legte es in eine Schüssel und setzte den Piepmatz hinein.
 

Nachdem er ihre Kleidung aussortiert und die Taschen geleert hatte, holte er Dean aus der Dusche.

Er half ihm beim Abtrocknen und Anziehen. Erst danach fragte er ihn: „Sag mal, was ist denn das in deiner Tasche?“

Der Blonde erstarrte und schaute verlegen zu Boden.

„Hab es gefunden!“

„Wo hast du es gefunden?“

„Vorhin als du gesagt hast, ich soll beim Auto bleiben. Da hat was piep gesagt und ich hab es neben einem Baum gefunden.“

„Du meinst es ist aus dem Nest gefallen?“

„Weiß nich. Was ist ein Nest?“

„Da wohnen die kleinen Vögel drin.“

Dean überlegte einen Augenblick dann sagte er: „War kein Nest.“

Sam seufzte.

„Können wir uns darauf einigen, dass du mich fragst, bevor du etwas mitnimmst?“ Wer wusste schon, was er sonst noch anschleppen würde.

Dean nickte schüchtern.

„Ich schimpfe nicht mit dir, aber ich möchte nicht irgendwann den halben Zoo im Impala durch die Gegend fahren“, erklärte der Größere ernst. ‚Das würde dir mit Sicherheit missfallen, wenn du mal wieder du bist’, fügte er in Gedanken hinzu. Er setzte sich an den Tisch, klappte seinen Rechner auf und begann in Erfahrung zu bringen womit sie es überhaupt zu tun hatten.

„Du heißt nicht zufällig Konrad Lorenz?“, fragte er den Blonden nach einer Weile, in der er herausgefunden hatte, dass das hässliche, schwarze Wesen wohl eine Krähe sein musste.

„Is`n das?“

„Der hat mit Gänsen geforscht und fand Raben ganz toll.“

„Weiß nich!“

„Ist ja auch egal“, winkte der Jüngere ab und erklärte dann weiter. „Ich denke es ist ein Rabenvogel. Genauer gesagt, eine Krähe.“

„Ist das so was wie Gänse?“

„Nein“ Sam lachte. „Aber wir könnten es Gus nennen.“

Dean zuckte mit den Schultern. „Und was kann Gus?“

„Nichts. Er ist noch ein Baby!“

„Darf ich ihm die Flasche geben?“

„Vögel kriegen keine Flasche. Aber du darfst ihn füttern, wenn Du vorsichtig bist.“

„Bin vorsichtig!“, nickte Dean und machte ein ernstes Gesicht.

Sam verbiss sich ein Lachen.

„Okay. Dann lass uns mal einkaufen fahren. Gus braucht Essen und ein richtiges Zuhause, wenn er mitkommen soll. Nach Hause bringen können wir ihn ja wohl schlecht.“
 

Sie fuhren zuerst zu einer Zoohandlung und holten da einen Transportkäfig für Kleintiere, Sand und Heu. Danach gingen sie in den Supermarkt.

Dean strolchte durch die Gänge, war aber immer wieder rechtzeitig bei seinem Bruder, wenn der den Wagen weiter schob.
 

Zurück in ihrem Zimmer versorgten sie das Küken, bevor sie ihrer inzwischen ganz normalen Abendroutine nachgingen, essen, Schlümpfe gucken und im Bett eine Gute-Nacht Geschichte vorlesen.

Als Dean schlief wählte Sam erneut Bobbys Nummer. Diesmal nahm der Jäger ab.

„Hallo Bobby. Alles okay bei dir?“, fragte der Winchester etwas atemlos und ging ins angrenzende Bad. Er wollte Dean nicht wecken.

„Warum nicht?“

„Ich hab es ein paar Mal versucht.“

„Die Jagd war etwas ausgedehnter als erwartet. Was war so wichtig? Braucht ihr Hilfe mit eurem Reiter?“

„Nein, mit dem sind wir fertig geworden. Der schlägt keine Köpfe mehr ab.“

„Gut! Und warum wolltest du mich dann sprechen?“, fragte der bärtige Jäger.

„Kann ich mich nicht einfach mal nach deinem Befinden erkundigen?“

„Könntest du, wenn du es öfter machen würdest. Diese Art Anrufe erwarte ich eher von deinem Bruder. Wo ist der überhaupt?“

„Dean schläft.“

„Dean schläft? Und diese Uhrzeit?“, argwöhnte Bobby.

„Ja.“

„Sam?“ Jetzt war der Jäger alarmiert.

„Das ist das Problem, weshalb ich mehrfach angerufen habe!“

„Braucht ihr die Traumwurzel?“, fragte der Ältere das Naheliegenste.

„Nein. Er wird morgen früh wieder ein ganz normaler …“ Der Rest des Satzes ging in einem künstlichen Husten unter.

„Sam!“, drängte Bobby jetzt ernsthaft besorgt.

„Ich weiß nicht genau was mit meinem Bruder passiert ist und er kann es mir auch nicht sagen. Aber er benimmt sich wie ein Fünfjähriger.“

„Das tut er öfter!“

Kurz huschte ein Lächeln über Sams Gesicht. Der Freund hatte mehr als Recht.

„Schon. Aber nicht ununterbrochen seit fast einer Woche.“

„Was ist bei euch los? Soll ich kommen?“

„Nein, ich denke wir kommen besser zu dir.“

„Gut, wann seit ihr da? Morgen schon?“, wollte der Jäger wissen.

„Nein. Ich denke wir brauchen mindestens vier Tage.“

„Vier Tage?“

„Bobby, ich hab einen Fünfjährigen hier“, erklärte Sam eindringlich.

Der alte Jäger schluckte hart. Das musste er erst einmal verkraften. Er holte tief Luft. Das schien etwas Ernstes zu sein.

„Okay, weißt du, wie...?“

„Nein. Ich habe bis jetzt nur Geister und Dämonen wirklich ausschließen können. Ich vermute, dass er mit einem Kind die Seele getauscht hat, oder die Erinnerungen und das Wissen. Egal was. Es ist definitiv nicht Dean.“

„Woher weißt du das?“

„Als Dean fünf war, hat er sich schon um mich gekümmert, aber er hat nicht einmal nach mir oder Dad gefragt. Wenn er wieder zum Kind geworden wäre, dann hätte er doch fragen müssen, oder?“

„Wo seid ihr jetzt?“ Das würde wohl länger dauern, bis er das wirklich verarbeite hatte. Dean, ein Fünfjähriger? Das war so unmöglich wie... wie ihr ganzes Leben.

„Bobby?“, riss ihn Sams Stimme aus seinen trüben Gedanken.

„Ja?“

„Ich sagte, wir sind in Grady. Ich dachte ich könnte hier vielleicht etwas finden, doch hier ist nichts. Deans Feuer hat ganze Arbeit geleistet.“

„Gut. Kommt so schnell ihr könnt, ich durchsuche die Bücher, die ich habe und höre mich um. Vielleicht weiß irgendwer etwas von einem ähnlichen Fall.“ Recherche war schon immer das beste Mittel um sich langsam mit unmöglichen Gedanken anzufreunden.

„Okay, Bis dann also“, sagte der Winchester und legte auf. Es tat gut zu wissen, dass nicht nur er ratlos war und es tat weh, hieß es doch, Dean würde noch länger in diesem Zustand bleiben.
 

Er schaute nach dem Blonden, bevor er sich wieder an seinen Laptop setzte, um das Internet zu nerven. Vielleicht hatte er ja etwas übersehen.

Ein schiefes Lächeln huschte über sein Gesicht, als er ihm einfiel, was er gerade gedacht und wer ihm das einmal vorgehalten hatte.

Ein Schlumpf

176) Ein Schlumpf
 

Der neue Morgen brachte Regen und Wind als Ausläufer eines Sturmtiefs, dass im Laufe des Tages über das Land hinwegfegen sollte.

Die Brüder spulten ihre morgendliche Routine ab und selbst Gus schien sich ganz gut einzufügen. Schon bald machten sie sich, trotz der Warnung des Motelbesitzers auf den Weg. Sam wollte so weit wie möglich fahren. Vielleicht würde es mit dem Sturm ja gar nicht so schlimm werden, wie die Meteorologen befürchteten. Außerdem war jeder Kilometer, den sie sich Sioux Falls näherten ein Schritt auf Deans Erlösung, Heilung oder was immer ihn zu seinem alten Sein zurück brachte, zu.
 

Die vom jüngeren Winchester als Maximum auserkorenen vier Stunden schafften sie fast, bevor es ihm dann doch zu gefährlich auf der Straße wurde, weil der Wind den Impala ein paar Mal fast in den Straßengraben gefegt hätte.

Sam suchte ihnen ein Motel etwas abseits der großen Straßen und hoffte, dass sie bald weiter konnten. Trotz allem bezahlte er schon mal für zwei Tage.

Erleichtert atmete er auf, als er Dean, Gus, Deans Spielzeugkiste und einen Teil ihres Gepäcks ins Zimmer gebracht hatte.

„Ich möchte, dass du hierbleibst und auf den Kleinen aufpasst“, bat er Dean, der sofort nickte.

„Und wo willst du hin?“, fragte er.

„Ich hole uns Obst und für Gus Fleisch. So wie es aussieht sitzen wir hier wohl erstmal fest.“

„Warum?“

„Der Wind ist zu stark. Der pustet uns glatt von der Straße.“

Der Blonde legte den Kopf schief und schien zu überlegen. Dann nickte er und erklärte mit wichtiger Miene: „Okay. Ich pass auf ihn auf.“

Sam verließ den Raum.
 

Eine Stunde später war er wieder da. Er schloss die Tür hinter sich und atmete erleichtert durch, bevor er die Tüte in den Küchenbereich brachte. Danach ging er zu seinem Bruder, der auf dem Boden saß und etwas baute.

„Was wird das?“, wollte er wissen und setzte sich dazu.

„Ein Haus für dich?“

„Ein Haus für mich?“, fragte er erstaunt. „Warum?“

„Weil du doch keins hast. Du wohnst ja immer in Motels!“

Diese Logik war bestechend. Sam starrte auf seinen Bruder. Er schluckte hart. Seine Augen glänzten plötzlich feucht. Er betrachtete sich die halbfertige, recht wackelige Konstruktion.

„Das wird bei dem Sturm aber zusammenfallen. Wollen wir das mal bombensicher bauen?“, wollte er wissen.

Dean schniefte, nickte dann aber.

Gemeinsam bauten sie ein Haus mit haltbaren Wänden. Zum Schluss drückte der Blonde noch einen Stein neben eine Wand.

„Was ist das?“, fragte Sam.

„Dein Bett!“

„Und wo wohnst du?“

Auf Deans Gesicht machte sich ein Strahlen breit. Er drückte noch einen weiteren, kleineren Stein in den Raum. „Hier?“

„Ja, ich denke, so ist es richtig!“, bestätigte der Größere und stand auf.

„Komm, wir sollten Gus füttern.“

Wie aufs Stichwort begann Deans Magen zu knurren.

„Und dich auch“, kommentierte Sam das Grummeln.
 

Obwohl es noch nicht mal Abend war, war es draußen schon fast dunkel. Der Regen peitschte über die Straßen und der Sturm rüttelte an Bäumen und Laternen.

Dean stand am Fenster, drückte sich die Nase platt und schaute zu wie der Wind umgeworfene Mülltonnen über die Straße trieb. Kein Mensch war draußen zu sehen.

„Was gibt’s denn da Interessantes zu sehen?“, wollte Sam wissen und trat ebenfalls ans Fenster.

„Nix“

„Nix? Na dann komm. Die Schlümpfe kommen gleich.“

Sofort wandte Dean sich vom Fenster ab und hockte sich mit einem breiten Lächeln vor den Bildschirm. Sam setzte sich zu ihm. Recherchieren konnte er auch später noch. Zumal er inzwischen wirklich das Gefühl hatte, dass das Internet von ihm genervt war. Er fand immer weniger Informationen zu seinen Suchanfragen. Ob Dean doch Recht gehabt hatte und die jeden Tag neue Seiten extra für ihn erfanden? Innerlich schüttelte er über sich den Kopf. Die dummen Ideen seines Bruders schienen auf ihn abzufärben! Oder hing das mit der Verantwortung für einen anderen Menschen zusammen? Wohl eher nicht. Er war einfach zu viel mit Dean zusammen.

Kaum saß er, kuschelte sich Dean schon vor ihn. Er legte sein Kinn auf dessen Schulter und seine Arme um den Körper seines Bruders, der seinerseits Caro auf dem Schoß sitzen hatte.

Gemeinsam schauten sie den blauen Gesellen bei ihren Abenteuern zu.
 

Als die letzten Minuten von Phineas und Ferb liefen löste sich Sam wieder von seinem Großen, stand auf, ging ins Bad und ließ Wasser in die Wanne. Er prüfte die Temperatur und stellte sich dann in die Tür und wartete darauf, dass die Wanne voll genug würde.

Er schaute auf seinen Bruder.

Der hatte, als der Größere aufgestanden war, seine Beinen angezogen und das Kinn auf seine Knie gelegt. Caro lag jetzt neben ihm. Mit einer Hand schob er völlig unbewusst ein Matchbox-Auto hin und her.

Sam lächelte gedankenverloren.

Der Abspann lief.

„Komm baden“, sagte er.

Der Blonde lächelte versonnen, nickte und stand auf. Er ließ sich beim Öffnen der Hose helfen. Der Knopf weigerte sich noch immer ihm zu gehorchen.

Sam ging wieder zur Wanne und stellte das Wasser ab. Er ließ das kleine Boot und das Feuerwehrschiff zu Wasser.

Dean hatte sich inzwischen ausgezogen und flitzte am Sam vorbei ins Bad.

Breit grinsend warf er die Tür hinter sich zu und Sam hörte ihn ins Wasser patschen. 'Gut muss ich eben wieder das Bad wischen.'

Er setzte sich vor seinen Laptop und loggte sich nun doch in das Internet ein. Irgendwo musste eine Lösung für ihr Problem zu finden sein. Trotz dieses Sonnenscheins da drüben in der Wanne wollte er doch endlich seinen Dean wieder haben. Ja, er gewöhnte sich mehr und mehr daran, dass sein großer Bruder sich wie ein Kleinkind benahm. Klar hatte er auch mit diesem Dean hier seine Probleme. Er wollte auf keinen Fall mehr an den Anfang ihres Dilemmas denken, aber alles in Allem war der Mensch in der Wanne doch sehr friedlich und es lag meistens an ihm, dass sein Bruder weinte. Trotzdem! Er wollte seinen manchmal muffeligen, großen Bruder wieder haben. Den Dean, der zu viel Zucker in sich hinein schaufelte, den der ihn zusammen stauchte wenn er zu rührselig wurde, und den der mit fliegenden Fahnen auf den Gegner stürmte. Er wollte seinen Bruder Dean wieder! Sam holte tief Luft.

Dean quietschte vergnügt.

Sam schrak auf, so langsam sollte er seinen Bruder aus dem Wasser holen, bevor der noch zum Fisch mutieren würde und er ihn in einem Teich aussetzen müsste.
 

Sam betrat das Bad und blieb wie angewurzelt stehen. Sein Bruder war blau. Er saß in blauem Wasser und auf dem Rand der Wanne stand eine Flasche Tinte, einer leere Flasche Tinte. Woher hatte er die? Sie waren doch nur im Supermarkt und da war er an seiner Seite gewesen. War er doch, oder?

„Bin ein Schlumpf“, strahlte Dean und wollte komplett untertauchen.

Sam sprang vor, packte seinen Schlumpf am Genick und hielt ihn zurück: „Nein!“

„Aber ich bin doch noch kein ganzer Schlumpf!“, maulte der Blonde.

„Du hast auch keine Mütze.“

„Aber…“

„Nichts aber!“, Sam zog ihn aus der Wanne und schon ihn grob unter die Dusche.

„Stehen bleiben!“ kommandierte er.

Dean schniefte: „Will aber nicht!“

„Es ist mir im Moment scheißegal was du willst und was nicht“, fluchte der Jüngere. Er begann Seife auf dem Schwamm zu verteilen und dann Deans Rücken zu schrubben.

Der Schlumpf wand sich unter dem harten Druck und Sams festem Griff. Unaufhörlich liefen die Tränen über sein Gesicht, doch der Jüngere ließ sich nicht erweichen. Das Zeug musste von Deans Haut runter!

Doch die Tinte löste sich nur langsam.

„Verdammt Dean, kann man dich denn keine fünf Minuten alleine lassen“, fauchte der Dunkelhaarige. Hatte er nicht gerade noch gedacht, es wäre alles gut zwischen ihnen? Da hatte er sich wohl mächtig geirrt!

Der so Misshandelte hatte aufgegeben sich zu wehren, er hatte keine Chance gegen diesen Griff anzukommen. Er sackte in sich zusammen. Total verängstigt hockte er zitternd und weinend in einer Ecke.

Sam erschrak über sich selbst: ‚Bin ich denn von allen guten Geistern verlassen? Was tue ich hier?‘

Er warf den Schwamm in die Dusche, drehte das Wasser ab und hockte sich zu seinem Bruder in die Ecke. Sanft strich er ihm über den geschundenen Rücken.

„Es tut mir leid“, versuchte Sam mit leiser Stimme seinen Bruder zu beruhigen, „Aber so blau kann ich dich doch morgen nicht mit zum Eisessen nehmen. Schlümpfe kriegen kein Eis!“

Dean schaute ihn, mit noch immer über sein Gesicht laufenden Tränen an. „Nicht?“, schniefte er leise und der Jüngere gratulierte sich zu der Idee. Sein kleiner Dean war so versessen auf Eis, dass er fast alles dafür machen würde, vielleicht sogar ihm das hier zu verzeihen.

„Nein. Die sind doch schon ganz blau gefroren.“

„Will ein Eis!“, schniefte der Blonde.

Sam war froh darüber, dass Frühling war und sie noch dazu recht hohe Temperaturen hatten, sonst würde sich Dean vielleicht ja in die Kälte stellen, so sehr wie er die Schlümpfe liebte. Er war schon fast wieder versucht, sich eine Ohrfeige zu verpassen, weil er ihn vielleicht gerade auf eine neue, aberwitzige Idee gebracht haben könnte.

Er angelte nach einem Bademantel.

„Pass auf, du ziehst den jetzt an und setzt dich brav auf ein Bett und wartest bis ich wieder komme und ich schaue was ich gegen die Tinte bekomme.“

„Das ist Schlumpfbeersaft!“ erklärte Dean leise und schniefte wieder.

„Geht der besser oder schlechter ab als Tinte?“, wollte Sam wissen.

„Besser“, nickte der Blonde gewichtig.

„Okay! Hier zieh den bitte an und dann wartest du brav auf mich“, lachte Sam.

„Darf ich fernsehen?“ fragte er.

„Klar!“ Sam verließ den Raum und hoffte, dass sein Bruder wirklich brav warten würde und nicht wieder irgendetwas anstellte, denn da war er sich nun wirklich nicht sicher. Der erwachsene Dean hatte ja schon jede Menge Blödsinn im Kopf aber er war trotzdem irgendwie kontrolliert, der Dean, der jetzt im Körper seines Bruders wohnte war alleine gelassen völlig unberechenbar. Wo hatte der nur die Tinte her? Und wo er schon dabei war, wie bekam er die von Deans Körper?
 

Dean hockte vor dem Fernseher und schaltete durch die Programme.

„Kommen keine Schlümpfe mehr!“, stellte er enttäuscht fest.

„Was willst du gucken?“, fragt er seinen grauen Freund und schielte unter der Kapuze des Bademantels hervor. Noch einmal schaltete er die Programme durch und bliebt letztendlich bei einem alten Western hängen. Ob er den gucken durfte? Aber Sam hatte ihm noch nie was verboten und Gruselfilme fand er doof. Fast so doof wie den kopflosen Reiter. Vor dem hatte er noch immer Angst.

Fest drückte er Caro an sich.
 

Sam hetzte unterdessen durch die Regalreihen des Supermarktes, um ein Mittel zu finden, das die Tinte von Deans Körper bekam, seine Haut aber so wenig wie möglich schädigte.
 

Im Fernsehen kam Werbung und Dean wollte gerade weiter schalten als die Worte: „Damit habe ich sogar die Tintenflecke aus dem Hemd meine Tochter bekommen“, an sein Ohr drangen. Er rutschte ganz dicht an den Bildschirm, um ja nichts zu verpassen und zu erfahren was für ein Wundermittel das wohl war. Natürlich erklärte die gute Frau ihm bereitwillig, dass dieses tolle Zeug bei jeder Wäsche verwendet werden sollte und hielt die Packung die ganze Zeit in die Kamera.

Dean stand auf und legte Caro auf's Bett: „Du wartest hier auf mich!“ erklärte er ernst und ging zur Tür. Er stellte einen Schuh in die Tür, nicht das die noch zu schlug und schlich durch den Gang. Er hatte, als sie hierher gekommen waren, gesehen, dass auf ihrer Etage die Waschmaschinen standen und da die Frau die Packung neben eine Waschmaschine gestellt hatte, würde er das Wundermittel vielleicht ja da finden.

Da er aus dem Waschraum Stimmen hörte, tapste er noch einmal zurück. Hinter der nur angelehnten Tür ihres Zimmers wartete er ungeduldig bis die Frauen endlich verschwanden. Sie würden ihm das tolle Zeug bestimmt nicht geben wollen.

Endlich waren sie weg und er machte sich wieder auf den Weg. Neben den Waschmaschinen fand er tatsächlich eine Packung, die fast so aussah wie die in der Werbung. Mit seiner Errungenschaft flitzte er so schnell er nur konnte zurück in ihr Zimmer. Sam würde staunen, wenn er wieder ganz sauber wäre, wenn er zurück käme.

Er ließ Wasser in die Wanne, kippte die Packung ins Wasser und stieg hinein.

Kuschelstunde

177) Kuschelstunde
 

Sam betrat ihr Zimmer. Er hatte mit Sicherheit einige Geschwindigkeitsrekorde gebrochen. Dean wäre stolz auf ihn. Er schluckte, Es war ja schön hinter dem Steuer des Impala zu sitzen, aber wenn er seinen Bruder wiederbekam würde er gerne darauf verzichten!
 

Schnuppernd hob er die Nase. Irgendetwas roch hier komisch!

„Oh Gott!“, rief er entsetzt als ihm aufging, woher er diesen Geruch kannte und ließ alles fallen.

„Dean! NEIN!“ brüllte er und stürzte ins Bad. Er bekam den Blonden gerade noch rechtzeitig fest am Arm zu fassen, bevor er sich in die Wanne setzen konnte und zog ihn aus der Lauge. Dabei rutschte er aus, fiel und zog Dean mit sich. Hart landete er auf dem Rücken.

Sein Bruder fiel auf ihn und presste ihm noch den letzten Rest Luft aus den Lungen. Erschrocken quiekte der Blonde und dann liefen Tränen.

Sam schob seinen Bruder von sich und rappelte sich auf.

„Aber … ich … wollte doch....“, schniefte Dean.

„Das Zeug ist giftig. Du hättest dir die Haut verätzen können, oder die Augen, oder du wärst sogar davon gestorben, Dean!“, versuchte Sam eindringlich ihm zu erklären und drehte die Dusche auf. Er drängte Dean darunter.

Erst als er sich sicher war, das er alles Bleichmittel von Deans Haut abgespült hatte, stellte er das Wasser wieder ab.

„Warte hier!“, bat er knapp und holte seine Einkäufe.

Dann wollen wir mal versuchen, dich wieder schlumpfbeersaftfrei zu bekommen.

Er kippte Zitronensaft auf einen Schwamm und begann den Blonden abzurubbeln.

Dean gab keinen Ton von sich, doch Sam spürte nur zu deutlich, dass er weinte. Was sollte er nur tun? Die Idee mit dem Bleichmittel wäre zumindest fürs Erst schmerzfreier gewesen. Doch danach?

Er wollte seinen Bruder nicht durch so einen Blödsinn verlieren und er wollte ihn damit nicht zum Invaliden machen.

Sam atmete tief durch.

Sanft drehte er den Blonden zu sich um und wischte ihm vorsichtig die Tränen von den Wangen, nicht dass er noch Zitronensaft in die Augen bekam!

„Ich verspreche dir, dass du Morgen Nachmittag, sobald der Sturm etwas weniger geworden ist, soviel Eis bekommst, wie du essen kannst, aber jetzt sollten wir das hier zu Ende bringen, denn weder der Schlumpfbeersaft noch das Bleichmittel sind besonders gut für deine Haut.“

Der Blonde nickte stumm und hielt weiter still. Das versprochene Eis lockt ihn nicht wirklich, Morgen Nachmittag war für ihn viel zu weit weg. Die Tränen hörten nicht auf zu laufen.
 

Endlich war Sam mit dem Ergebnis halbwegs zufrieden. Das restliche Blau würde wohl noch eine Weile auf dem Körper zu sehen sein, aber so langsam sollte es sich auswaschen. Außerdem waren Deans Hände, die Wanne und seine Boote, dank des glorreichen Einfalls mit dem Bleichmittel strahlend sauber. Der Jüngere schäumte seinen Bruder mit extra mildem Shampoo Haare und Körper ein, hielt ihm die Augen beim Abspülen vorsorglich zu und wickelte ihn dann in das große weiche Handtuch. Sanft trocknete er ihn ab.

„Warte hier“, bat er leise und holte auch noch die Creme, die er gekauft hatte. Mit Kamille und weiteren beruhigenden, schmerzstillenden Inhaltsstoffen cremte er Deans ganzen Körper ein und half ihm dann den Pyjama anzuziehen und die Zähne zu putzen.

Er drehte den Blonden zu sich um: „Versprich mir so was Dummes nie wieder zu tun“, bat er eindringlich. „Du bist kein Schlumpf und auch mit blauer Farbe wirst du es nicht, egal wie gerne du es wärst. Die Farbe ist nicht gut für dich und was mit dem Bleichmittel hätte passieren können, hab ich dir ja schon erklärt. Bitte Dean, bevor du sowas machen möchtest, frag mich. Wir finden eine Lösung, okay?“

Dean nickte schniefend.

Sam zog ihn in eine Umarmung und der Blonde kuschelte sich an ihn.

„Ich bring dich ins Bett“, sagte er leise, hob ihn hoch und trug ihn ins Zimmer. Dort legte er ihn ins Bett.

„Ließt du mir was vor?“

„Klar“, lächelte der Jüngere. Er holte Puh Bär.

Ruhig begann er zu lesen. Dean kuschelte sich auf seinem Schoß an ihn und bald darauf war er eingeschlafen.

Sam wuschelte ihm durchs Haar, ließ ihn dann sanft in die Waagerechte fallen und legte ihn richtig ins Bett. Vorsichtig deckte ihn zu.
 

Müde rieb sich Sam über seinen schmerzenden Nacken und schaute auf die Uhr. Inzwischen war es weit nach Mitternacht.

Die ganze Zeit, seit Dean eingeschlafen war, hatte er vor seinem Rechner gesessen und mit immer neuen Wortvarianten nach einem brauchbaren Mittel gesucht, Seelenwanderungen rückgängig machen zu können. Letztendlich hatte er zwar ein paar neue Seiten gefunden, doch auch diese brachten keine neuen Erkenntnisse. Auch diese Seiten wiesen darauf hin, dass man dazu beide Personen und den richtigen Wortlaut des Spruches, mit dem der Seelentausch eingeleitet worden war, brauchte, und genau den hatte er nicht! Er wusste ja nicht einmal wann, wo und mit wem Dean die Seele getauscht haben konnte. Bis jetzt hatte der sich weder über sein vorheriges Zuhause noch über seine Familie geäußert und er wollte nicht weiter in ihn drängen. Sie hatten ihre anfänglichen Probleme gerade erst aus dem Weg geräumt. Außerdem waren sie bald bei Bobby und bis dahin wollte er Dean seine Kindheit lassen. Immerhin hatte er nie wirklich eine gehabt. Vielleicht konnte er diese ja etwas genießen, auch wenn er ihn lieber jetzt als gleich als seinen großen Bruder zurückhaben wollte.

Hoffentlich wusste Bobby weiter, sonst hätten sie dieses Mal wirklich mächtig aufgeschmissen!

Er streckte sich noch einmal und ging dann ins Bad um sich ebenfalls fürs Bett fertig zu machen.

Der Geruch, der ihm entgegen kam, kaum dass er die Tür geöffnet hatte, verschlug ihm fast den Atem. Das Bleichmittel würde man wohl noch in Wochen riechen können. Er schüttelte sich.

Hastig duschte er und putzte sich die Zähne und war froh, als er wieder im Zimmer stand. Er zog sich um und wollte gerade ins Bett fallen, als sein Bruder unruhig wurde, also setzte er sich auf dessen Bettkante und strich ihm sanft über die Wange.

„Es ist alles in Ordnung, Dean. Ich bin hier“, sagte er leise, doch seine Worte schienen nicht die Wirkung zu haben, die er sich erhofft hatte. Dean warf sich immer unruhiger auf der Matratze von einer Seite auf die andere und wimmerte leise.

Ohne weiter darüber nachzudenken, schlüpfte Sam unter die Decke und zog den Blonden an sich.

„Ist gut, Dean. Ich bin hier. Niemand wird dir etwas tun“, flüsterte er immer wieder und strich ihm dabei beruhigend über den Rücken.

Langsam wurde der Blonde wieder ruhiger.
 

Der Morgen begann, wie der Abend geendet hatte, noch immer tobte der Sturm mit unvermittelter Heftigkeit. Sam erwachte schlagartig, als ein Ast gegen das Fenster schlug. Auch Dean war zusammengezuckt, schien aber noch nicht aufwachen zu wollen. Er kuschelte sich noch enger an den Langen. Der lächelte und wuschelte ihm sanft durch die Haare.

Es war ein schönes Gefühl auch mal der Größere zu sein, derjenige, der Sicherheit geben konnte. Und es erinnerte ihn an früher, als er noch ein kleines Kind und Dean immer für ihn da gewesen war. Bei seinem großen Bruder hatte er sich wohl gefühlt. Mit ihm zusammen sah die Welt nicht so bedrohlich aus, dabei war Dean damals doch auch noch ein Kind gewesen!

Er schloss die Augen, inhalierte den Geruch seines Bruders, um dieses Gefühl noch ein wenig festzuhalten, eine Note Bleichmittel war auch hier nicht zu verkennen, und lauschte seinen Atemzügen, die immer ungleichmäßiger wurden.

Dean wachte langsam auf und auch der Jüngere öffnete seine Augen wieder.

„Hey“, grüßte er leise und schaute in die vom Schlaf noch dunklen Augen. „Was hältst du davon, wenn wir es uns heute noch eine Weile im Bett gemütlich machen? Fürs Frühstück reichen unsere Vorräte.“

„Liest du mir was vor?“, wollte der Blonde wissen.

„Klar, was möchtest du?“

„Puh-Bär“, kam es wie aus der Pistole geschossen. Sam nickte. Sofort fiel Dean ihm um den Hals.

„Ich hab dich lieb“, sagte er und strahlte.

„Okay, dann mach ich uns Frühstück und du kümmerst dich um Gus.“

Wieder nickte der Blonde begeistert und kletterte aus dem Bett.
 

„Hab Hunger“, sagte Dean plötzlich und sein Magen knurrte bestätigend.

Sam musste schon wieder lachen. Dean als Kind war einfach nur niedlich. Er blickte zum Fenster. Der Sturm schien langsam nachzulassen. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es inzwischen Mittag war. Mit leisem Bedauern hob er die Kuschelzeit auf. Wer wusste schon, ob sie je wieder so etwas machen würden, aber jetzt hatte die Fütterung seines Raubtieres Vorrang.
 

Nicht weit von ihrem Motel entfernt befand sich ein Diner, in dem sie jetzt schon seit über einer Stunde darauf warteten, dass es etwas weniger regnete.

Als sie hierher gekommen waren, hatte es noch so ausgesehen als ob es bald aufhören würde, doch da war wohl auch nur der Wunsch der Vater des Gedanken. So wie der Regen hier gegen die Scheiben drosch, wären sie selbst auf dem kurzen Weg zum Impala bis auf die Unterhosen durchnässt.

Als sie hierher gekommen waren, waren aufgrund des Wetters die meisten Tische schon besetzt gewesen und sie mussten sich mit einem ziemlich weit vorn begnügen. Und so passierte, spätestens als sein Bruder lautstark verkündete, dass er wieder Erbsen fangen wollte, das, was Sam nur zu gerne vermieden hätte, fast alle Anwesenden starrten zu ihnen herüber. Doch da es Dean nicht zu stören schien, versuchte auch er es zu ignorieren.

Der Jüngere hatte, wie üblich, seinen Laptop mitgenommen und brütete schon eine Weile über seinen Recherchen. Es musste doch einen Weg geben, seinen Bruder endlich wieder zu bekommen und der spielte friedlich mit ein paar Matchbox' auf dem Tisch.
 

„Ich muss mal!“ hörte Sam plötzlich, laut und deutlich, neben sich. Dean war von der Bank gerutscht und stand jetzt neben ihm.

Der Jüngere streckte die Hand aus und öffnete den Knopf der Hose: „Und Hände waschen!“, forderte er noch. Dann widmete er sich wieder dem Artikel vor sich.

Die Blicke der Leute, die zwischen empört und angewidert hin und her schwankten, bemerkten sie nicht.
 

„Da! Sauber!“ Der Blonde hielt seine nassen Hände vor Sams Nase. Der brachte den Laptop in Sicherheit und lächelte.

„Du darfst sie dir ruhig abtrocknen.“

„Dann glaubst du mir ja nich!“

Sam fasste in Deans Hosenbund, holte ihn noch ein Stück näher an sich heran und zog ihn wieder richtig an. Der Blonde war mit dem halben Hemd in der Hose wieder aufgetaucht.

„So, fertig“, sagte er und der Ältere setzte sich wieder auf seinen Platz und spielte weiter mit den Autos.

„Sie sollten ihre Gefühle nicht vor allen Leuten zur Schau stellen!“ knurrte die Bedienung, eine ältere, mollige Frau mit ersten grauen Strähnen, die Winchesters an. Sie war das ganze Gegenteil der netten Bedienung, die sie vor wenigen Tagen getroffen hatten.

Mehrere Gäste nicken zustimmend.

„Aber Sam hat mich ganz doll lieb!“ erklärte Dean laut vernehmlich.

„Das ist doch“, regte sie sich auf.

„Und ich hab Sam auch ganz doll lieb!“

Die Bedienung schnaufte nur noch wütend und verschwand hinter ihrer Theke um imaginäre Kaffeeflecken wegzuwischen.

„Sie sollten ihre Zuneigung füreinander nun wirklich hinter geschlossenen Türen halten!“ brummelte sie gut hörbar.

Dean schaute sich demonstrativ um: „Alle zu“, verkündete er laut.

Etliche Gäste kicherten leise und Sam griff grinsend nach seiner Tasse. Er nahm einen Schluck Kaffee. Seinen Bruder konnte er eh nicht ändern und er wollte es auch nicht, außerdem war der fünf, und spielte friedlich weiter mit seinen Autos.

Die Mehrheit der Gäste in dem Diner schüttelte den Kopf und grinste. Der Blonde schien wirklich nicht ganz dicht zu sein.

Plasmakugel

178) Plasmakugel
 

Plötzlich schoss ein Auto von der Tischplatte, quer durch den Raum und verschwand unter dem Tisch auf der gegenüberliegenden Seite. Dean kletterte von der Bank, flitzte durch den Raum, kroch unter den Tisch und suchte das Spielzeug. Es war schließlich sein Lieblingsauto!

Dass er sich dabei den Kopf an der Tischplatte stieß, ignorierte er.

Sam stand auf, klappte nebenbei den Laptop zu und folgte seinem Bruder.

Dean hockte unter dem Tisch und spielte.

„Komm vor, der Tisch ist zu klein für dich“, bat Sam den Blonden.

„Entschuldigen Sie bitte“, wandte er sich dann an die Personen, die an dem Tisch saßen. Sie nickten irritiert.

„Nich zu klein“, erklärte Dean, richtete sich etwas auf und stieß sich wieder den Kopf. Die Gläser auf dem Tisch klirrten leise.

„Wohl zu klein“, grinste der Jüngere als Dean dann doch unter dem Tisch hervor krabbelte. Er wuschelte ihm durch Haar.

„Bist du nicht zu groß dafür?“, fragte jetzt auch der ältere Herr, der vorn an dem Tisch saß und den Blonden interessiert musterte.

„Nich zu groß! Bin fünf!“, erklärte Dean stolz und hielt dem Mann seine Hand mit fünf abgespreizten Fingern hin.

Das Murmeln der Menschen in dem Raum wurde lauter und Sam konnte einige schadenfroh kichern hören.

„Deine Cola ist da“, wandte er sich an seinen Bruder. Der strahlte, sauste an ihren Tisch und kletterte auf die Bank.

„Was ist mit ihm?“, wollte der ältere Herr am Tisch wissen, „Ich bin Psychologe“, fügte er erklärend hinzu als er Sams irritierten Blick sah.

Der warf einen Blick zu Dean, der mit seinem Strohalm Luft in die Cola blies und sich freute als das Getränk überschäumte. Er lächelte. Hatte die Bedienung gleich wieder was zu meckern.

„Er ist mein Bruder“, begann er dann, als er den fragenden Blick sah. Er hatte sich eine halbwegs plausible Geschichte ausgedacht. Was wollte er auch sagen? Mein Bruder ist irgendwie wieder zum Kind geworden, weil eine Hexe irgendwas mit ihm gemacht hat? Dann würde man sie beide einliefern. Er warf noch einen Blick auf den Blonden.

„Ich war damals noch keine zwei Jahre und lag mit einer schweren Lungenentzündung und Bronchitis im Krankenhaus. Mein Bruder durfte mich wegen der Ansteckungsgefahr nicht besuchen, also musste ein Elternteil bei ihm zu Hause bleiben.

An diesem Abend war Dad bei mir.

Als er nach Hause kam, wimmelte es in unserer Straße von Polizei und Feuerwehr und unser Haus war eine qualmende Ruine. Zwei Polizisten haben ihn sofort weggebracht und ihm so schonend wie möglich beigebracht, dass Mom bei dem Feuer ums Leben gekommen war.

Dad stand unter Schock und hat immer wieder nach meinem Bruder gefragt, doch niemand hatte einen kleinen Jungen gesehen und auch die Feuerwehrleute, die Moms“, Sam schluckte hart. Er konnte sich zwar an nichts erinnern, doch das hier ging ihm verdammt an die Nieren, immerhin war diese Geschichte auch ziemlich nah an ihrer Vergangenheit.

„Sie müssen nicht...“, versuchte der Psychologe ihn zu beruhigen.

„Schon okay, ich kenne das nur aus Erzählungen meiner Großeltern.“ Er zuckte entschuldigend mit den Schultern bevor er fortfuhr.

„Sie haben ihn am nächsten Tag halb erfroren ein paar Gärten weiter gefunden. Er war blutverschmiert und hatte einige teils schwere Verletzungen und leichte Verbrennungen. Wie er aus dem Haus gekommen ist, konnte niemand erklären.

Die Autopsie hat ergeben, dass Mom schon tot war, als das Feuer ausbrach. Sie war brutal ermordet worden. Die Polizei vermutete einen Raumbord und das Feuer sollte wohl die Spuren verwischen.

Der Typ, der sie angegriffen hatte, hatte wahrscheinlich auch meinen Bruder misshandelt. Die Polizei meinte, dass der in ihm wohl eine Gefahr für sich gesehen haben muss. Er war sechs! Wie kann man...?“

Sam schluckte.

„Lange sah es so aus, als ob auch er sterben würde.

Er hat überlebt, aber er war danach nie wieder der Alte.“

Schweigen hatte sich in den Raum ausgebreitet. Alle Anwesenden lauschte interessiert Sams Erzählung. Der schaute wieder zu Dean, der inzwischen den halben Tisch überschwemmt hatte.

„Die Ärzte sagten, dass er wahrscheinlich gesehen hat, wie der Typ Mom … und dass was der danach mit ihm gemacht hat und die Nacht in der Kälte draußen... Sie meinten, dass es zuviel für ihn war und er es nicht verarbeiten konnte. Er hätte verdrängt was passiert war. Sein Bewusstsein hatte dieses Ereignis gelöscht und ihn in eine Zeit gebracht, zu der seine Welt noch in Ordnung war.

Dad konnte das nicht verstehen.

Mein Bruder wurde von einer Klinik in die nächste gebracht. Es hat es nur noch schlimmer gemacht. Er zog sich immer weiter zurück. Dann haben ihn unsere Großeltern zu sich genommen. Sie haben ihn einfach so akzeptiert.

Mein Dad hat irgendwann wieder geheiratet und ich bin auch zu meinen Großeltern gezogen. Bis dahin war ich immer nur in den Ferien da gewesen.

Meine Großeltern haben ihn gefördert so gut sie konnten. Aber sie konnten ihn auch nicht aus seiner Isolation holen.

Ich kenne ihn nicht anders.“

Der Psychologe nickte bedächtig. Er hatte von solchen Fällen schon gehört und er wollte sich zu gerne selbst mit Dean unterhalten.

Plötzlich ertönten in der Ferne Sirenen.

„Scheiße!“, fluchte Sam.

Dean erstarrte, dann rutschte er von der Bank und rannte in die entfernteste Ecke des Lokals. Dort kauerte sich zusammen, hielt sich die Fäuste vor Ohren und weinte. Langsam wiegte er sich vor und zurück.

Sam lief sofort zu ihm, er setzte sich auf einen Stuhl und zerrte einen mehr als widerstrebenden Dean auf seinen Schoß. Kaum fühlte der Blonde die Berührung, begann er um sich zu schlagen.

„Nein, nein, ich will nicht, nein!“, schrie er immer wieder.

Sam brauchte eine Weile um ihn an sich zu drücken und zur Ruhe zu bringen, dann krallte der Blonde sich in dessen Hemd fest, versteckte sein Gesicht an Sams Schulter. Er weinte noch immer haltlos.

Sanft strich der Jüngere ihm immer wieder über den Rücken.

„Schsch. Ich bin hier. Keiner wird dich holen. Das lasse ich nicht zu“, flüsterte er ihm immer wieder ins Ohr. Seine Augen suchten die junge Frau, die ebenfalls am Tisch des Psychiaters saß.

„Der Esel“, formte er lautlos mit den Lippen und ließ seinen Blick zu ihrem Tisch wandern.

Die junge Frau verstand seine Bitte beim zweiten Mal und holte das Stofftier.

„Dean?“, fragte Sam leise und drehte seinen Kopf mit leichter Gewalt zu der Frau.

„Caro?“, schluchzte er den Namen seines Kuscheltiers, griff danach und drückte ihn ganz fest an sich.

„Danke!“, lächelte Sam sie an.

„Gern geschehen“, antwortete sie und ging zu ihrem Platz zurück.
 

Es dauerte noch eine Zeit, bis Dean sich endlich soweit beruhigt hatte, dass er sich ein Stück von seinem Bruder löste und ihn aus geröteten Augen anschaute.

„Hey“, sagte der Jüngere leise und wischte ihm vorsichtig die Tränen von den Wangen. Dean zog schniefend die Nase hoch und wischte sie dann an seinem Ärmel ab.

Die Bedienung, die sie vorhin noch so ruppig angefahren hatte, wischte ohne ein Wort die braune Pfütze von ihrem Tisch und stellte ein neues Glas Cola auf Deans Platz.

„Es hat aufgehört zu regnen“, stellte der Jüngere übergangslos fest. „Was hältst du davon, wenn du deine Cola austrinkst und wir dann Eis essen gehen?“

Ein kurzes Lächeln huschte über Deans Gesicht. Er nickte, rutschte von Sams Schoß und ging zu seinem Platz. In Rekordzeit hatte er das Glas geleert, während Sam seinen Laptop und Deans Autos einpackte und bezahlte.

„Na komm“, sagte er und hielt dem Blonden die Hand hin. Vertrauensvoll schob der seine hinein und drängte sich schutzsuchend an ihn.

Draußen schaute die Sonne immer wieder zwischen den dahin rasenden Wolken hindurch und brachte die vielen Pfützen zum Funkeln.

Mit großen Augen schaute der Blonde auf diese glitzernden Flächen. Fragend blickte er zu dem Langen.

Sam ahnte nur zu gut, worum es bei diesem Blick ging.

„Caro solltest du aber bei mir lassen“, sagte er ruhig und bekam den Esel sofort in die Hand gedrückt. Ein weiterer fragender Blick folgte.

„Na los“, lachte der Jüngere.

Das ließ sich Dean nicht zweimal sagen. Er lief zur ersten Pfützen die sich ihm in den Weg gelegt hatte und hopste mit beiden Beinen hinein, dass das Wasser nur so nach allen Seiten spritzte. Ein Strahlen lag auf seinem Gesicht, als er sich zu Sam umdrehte.
 

Bis zum Impala nahm der Kleinere jede Pfütze mit, die auch nur halbwegs zu erreichen war.

„So willst du Eis essen?“, fragte der Jüngere skeptisch.

„War ja klar“, grinste er, als er seinen Bruder heftig nicken sah.

„Wir fahren vorher besser ins Motel und ziehen dir trockene Hosen an.“

Dean zog eine wundervolle Schmollschnute und brachte seinen Bruder so richtig zum Lachen.
 

Endlich betraten sie die Eisdiele.

„Will ein ganz Großes“, erklärte der Blonde und zeigte auf eines der Bilder.

Sam bestellte es und ein kleineres Eis für sich und dann setzten sie sich an einen der hinteren Tische.

Während des Essens wanderte Deans Blick immer wieder zu der Plasmakugel, die auf der Theke lag.

Plötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper. Er stand auf, ging zu der Kugel und bevor Sam etwas sagen, oder es verhindern konnte, hatte er sie in den Händen. Ernst blickte er seinem Bruder in die Augen.

Sam erstarrte. Dieser Blick, das war eindeutig sein großer Bruder. Was wollte der ihm damit sagen? Was hatte die Kugel zu bedeuten?

„Dean?“ Der Jüngere rutschte aus der Bank und machte einen Schritt auf den Blonden zu, dessen Blick immer verzweifelter wurde. Er streckte die Arme und schlug sich dann die Kugel vor die Brust.

Sie entglitt seinen Händen, fiel zu Boden und zerbrach in unzählige Stücke.

„Ka-putt“, erklärte er Sam und schaute ihn aus großen Augen fragend an.

Eine Welle der Frustration erfasste Sam. Er wollte schreien, Dean schütteln oder auf irgendetwas einschlagen. Sein Bruder, sein großer Bruder Dean, hatte ihm etwas sagen wollen! Warum so? Warum nicht mit Worten?

„Dean! Bitte, was sollte das bedeuten?“, fragte er ihn eindringlich.

„Weiß nich“, erklärte der Blonde irritiert und schniefte.

Die Bedienung kam nach vorn gestürzt. Sie hatte etwas zersplittern gehört.

„Tut mir leid“, stammelte Sam. „Er wollte sie sich wohl ansehen. Ich ersetze sie Ihnen natürlich.“

„Lassen Sie mal. Ich hab das Ding ja auch nicht gemocht. Sie passte hier so gar nicht rein.

Aber Sie sollten ihn hier wegbringen, bevor er sich noch verletzt. Und Sie sollten besser auf ihn aufpassen!“

„Ja tut mir leid. Er lebt noch nicht so lange bei mir. Wir versuchen immer noch, uns aneinander zu gewöhnen“, erklärte der Jünger hastig.

„Schon okay!“, wehrte sie ab und ging um Kehrschaufel und Besen zu holen.

Sam brachte Dean in der Zwischenzeit wieder zum Tisch.
 

Was hatte sein Bruder ihm mit dieser Aktion sagen wollen? Schon den ganzen Tag kreisten Sams Gedanken um diese Kugel. Immer wieder hatte er sich regelrecht zwingen müssen, sich um seinen Bruder zu kümmern und nicht gänzlich in seiner Gedankenwelt abzutauchen. Dass Dean, der echte Dean, damit etwas bezweckt hatte, stand für ihn außer Frage, nur was?

Sein Bruder konnte ihm mit Sicherheit die Funktionsweise einer solchen Plasmakugel erklären, aber warum sollte er ihn auf Ionen aufmerksam machen wollen?

„Warum konntest du es mir nicht sagen?“, fragte er den schlafenden Dean, der sich tief unter den Decken versteckt hatte.

Nachdem sie aus der Eisdiele gekommen waren, war sein Bruder sehr anhänglich und erschöpft gewesen. Immer wieder wollte er kuscheln und vorgelesen bekommen.

Letztendlich hatten sie es sich wieder auf dem Bett bequem gemacht. Er hatte vorgelesen, während Dean sich an ihn gekuschelt und schweigend zugehört hatte.

Schon lange vor seiner eigentlichen Bettzeit hatte der Blonde geschlafen und er konnte sich endlich daran machen, das Rätsel um die Kugel zu lüften.

Sein Blick wanderte wieder zu dem Älteren, den er unter den Decken wusste. War sein Bruder noch in dem Körper? War seine Seele irgendwie darin gefangen? Hatte doch ein Dämon Macht über ihn?

Aber es war eindeutig er gewesen, der die Kugel benutzt hatte, um ihm etwas zu sagen. Nur was?

Hatte es ihn so sehr mitgenommen, seinen eigenen Körper zu steuern? Das war doch höchstens eine Minute gewesen! Auch das würde eher auf einen Dämon oder einen sehr starken Geist hinweisen.

War die deVendt vielleicht doch nicht tot? War sie noch hier auf der Erde und als Geist unterwegs?

Zu einer Hexe würde auch die magische Kugel passen.

Dean hatte sich die Kugel eindeutig vor die Brust geschlagen. Hatte ihn eine magische Kugel getroffen?

In der Kugel waren Blitze gewesen. Ein Kugelblitz?

Die Blitze waren Energie. Ein Energieblitz? Eine Energiekugel?

Sam rieb sich seine Schläfen. In seinem Schädel breitete sich unangenehm pochender Schmerz aus.

Bei Bobby

179) Bei Bobby
 

Endlich rollte der Impala auf den singerschen Schrottplatz. Erleichtert atmete Sam durch.

Die letzten drei Tage waren furchtbar gewesen. Er fühlte sich ausgelaugt, war unausgeglichen und mürrisch. Dean hatte seine gesamte Aufmerksamkeit gefordert. Er war anhänglich und verschmust wie ein kleines Kätzchen gewesen. Jeden Schritt, den er alleine hatte machen wollen, hatte er sich erkämpfen müssen. Aus einem, ihm nicht zu erschließenden Grund hatte der Blonde Angst gehabt, alleine zu bleiben. Immer wieder war er zu ihm gekommen und wollte kuscheln oder vorgelesen bekommen. Nicht einmal im Bad hatte der die Tür hinter sich schließen können, ohne mindestens Tränen zu provozieren.

Ob das immer noch an der Entführung lag? Aber sie hatten schon etliche Tage danach ohne diese ängstliche Anhänglichkeit gehabt. Warum also jetzt wieder? Ihm war nichts aufgefallen, was Dean so verschreckt haben konnte.

Seine Recherchen waren dabei vollkommen auf der Strecke geblieben.

Sein großer Bruder fehlte ihm wirklich. So niedlich er jetzt in vielen Situationen auch war und so sehr der echte Dean ihn auch auf die Palme bringen konnte, er hatte doch immer einen dummen Spruch auf Lager, um festgefahrene Situationen zu entspannen und seine Intuition hatte ihnen schon oft geholfen einen Fall zu lösen.

Hoffentlich konnte Bobby zur Lösung dieses Falles beitragen!
 

„Schau mal, Bobby wartet schon auf uns“, sagte der Jüngere und deutete auf ihren Freund, der gerade auf die Veranda getreten war.

„Du bleibst aber bei mir?“ fragte der Blonde ängstlich.

„Natürlich Dean! Ich lass dich nicht allein! Du musst keine Angst haben. Bobby ist ein guter Freund. Er wird auch immer für dich da sein.“ Eindringlich blickte er Dean über den Rückspiegel an.

„Komm, wir sagen ihm hallo.“

Zögerlich nickte der Blonde und presste Caro fest an sich. Sam seufzte. Er beeilte sich auszusteigen und Deans Tür zu öffnen. Schnell schob der Blonde seine Hand in Sams. Erst dann stieg er aus und drängte sich sofort an den Langen.
 

Der Jäger stand auf der Veranda und beobachtete seine Jungs aufmerksam. Er hatte sich so einiges ausgemalt, was mit Dean passiert sein konnte, aber ihn jetzt so verängstigt zu sehen, verschlug ihm den Atem. Er kannte die Brüder schon so lange und Dean konnte weiß Gott auch jetzt noch kindisch sein, aber er war nie ängstlich gewesen. Was war hier nur passiert und wie konnten sie ihm helfen?
 

„Hallo Bobby“, grüßte Sam und schloss resigniert die Augen, als er fühlte, dass Dean sich hinter ihm verkroch.

„Hallo Sam“, erwiderte der Jäger den Gruß mit belegter Stimme. „Wen hast du denn mitgebracht?“

Der jüngere Winchester zog Dean mit sanfter Gewalt nach vorn und Bobby hielt ihm die Hand hin.

„Hallo, ich bin Bobby!“

„Er sagt Dean zu mir“, stellte sich der Blonde kaum hörbar vor. Bobbys Augen weiteten sich fragend.

„Na dann herzlich willkommen, Dean. Möchtest du reinkommen?“

Wieder warf der einen fragenden Blick auf Sam. Der nickte und schob ihn ins Haus und weiter in die Küche. Dort stellte er erst einmal den Transportkäfig mit Gus ab.

„Wollt ihr was trinken?“

„Ich hätte gerne einen Kaffee und Dean mag Cola, mit Untersetzer und Strohhalm.“

Der ältere Jäger grinste und stellte wenig später das Bestellte vor den Blonden. „Is nicht schlimm, wenn du kleckerst.“

Dean blickte fragend, entschied sich dann aber dass es sicherer wäre, die Cola nur zu trinken.

„Warum gehen du und Caro nicht raus und ihr sucht ein paar Regenwürmer für Gus?“, fragte Sam ihn als das Glas leer war.

„Du bleibst aber hier?“, wollte Dean sofort wissen.

„Natürlich bleibe ich hier. Du kannst jederzeit wieder herkommen und nachschaun. Ich werde hier sitzen bleiben und mit Bobby reden.“

„O-kay“ zögernd verließ der Blonde die Küche und setzte sich auf die Stufen der Veranda. Immer wieder schielte er durch die offenstehende Tür.

„Was ist mit ihm?“, fragte Bobby und holte sich eine weitere Tasse Kaffee.

„Ich weiß es nicht. Ich habe dir ja erzählt, dass Dean sich diese Kugel vor die Brust geschlagen hat. Seitdem ist er so.“

„Und jetzt vermutest du, dass er doch irgendwie besessen ist?“

„Es war eindeutig Dean in der Eisdiele. Ich habe es an seinen Augen gesehen. Bis dahin wollte ich glauben, dass er mit einem Kind die Seele getauscht hätte, aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.“

„Wie kommst du darauf?“

„Da waren ein paar Situationen, in denen ich das Gefühl hatte, ich hätte wirklich Dean vor mir. Immer nur Sekunden lang, aber...“

„Du hast doch alles ausprobiert, um zu testen, dass er nicht besessen ist?“, fragte der Ältere eindringlich.

„Natürlich!“

„Gut, es gibt Fallen, die auch hochrangige Dämonen festhalten und wir werden ihm noch einmal Weihwasser zu trinken geben, wenn sich dabei keine Besessenheit ergibt, versuche ich noch einmal eine gute Freundin von mir zu erreichen. Sie ist das beste Medium, das ich kenne und sie kennt sich auch mit Hypnose aus. Vielleicht kann sie uns ja sagen, was Dean dir mit der Kugel sagen wollte und was genau mit ihm passiert ist. Jetzt sollten wir uns allerdings erstmal ums Essen kümmern. Hilfst du mir?“

„Ich wollte nach Dean sehen.“

„Hier kann ihm nichts passieren. Lass ihn ruhig mal alleine die Welt entdecken. Ich denke, das wird ihm ganz gut tun.“

Sam zuckte unschlüssig mit den Schultern, seufzte und trat dann aber doch neben den Älteren um ihm zu helfen.
 

Der jüngere Winchester lief durch die Reihen aufgestapelter Wracks und hoffte, dass Dean sich nicht eins davon als Spielplatz ausgesucht hatte, dann könnte er lange suchen.

Es wunderte ihn schon, wie weit sich sein Bruder vom Haus entfernt hatte, so ängstlich wie er vor einer Weile noch gewesen war, hätte er nicht damit gerechnet, dass er weiter als drei Schritte vom Haus wegbewegen würde. Er hatte sich geirrt!

Immer wieder rief er nach ihm, hatte damit aber keinen Erfolg. Aber das war ihm eigentlich von vornherein klar gewesen. Wenn Dean spielte, dann versank er in seiner eigenen Welt.

Der jüngere Winchester umrundete einen Stapel Wracks und sah seinen Bruder.

Der Blonde kniete auf dem Boden und spielte in einer Pfütze.

Ergeben verdrehte Sam die Augen. Wasser, egal in welcher Form, schien eindeutig Deans Element zu sein.

Er überbrückte die Distanz mit wenigen Schritten und hockte sich neben seinen Bruder.

„Was machst du?“

„Die waren dreckig!“, erklärte Dean und zeigte auf die Regenwürmer, die in der Pfütze zappelten.

„Du badest die Regenwürmer weil sie dreckig sind?“

„Ich muss auch immer baden, wenn du sagst, dass ich schmutzig bin!“

Die Logik in diesen Worten musste Sam anerkennen. Er verdrehte die Augen, als Dean sich wieder seinen Würmern widmete.

„Ich denke sie sind sauber genug für Gus.“

„Gus darf die nicht fressen!“ Dean war entsetzt.

„Warum nicht. Die hast du doch für ihn gesucht, oder?“

„Das sind meine Freunde!“

„Gus ist doch auch dein Freund“, versuchte Sam zu argumentieren.

„Ich will aber nicht, dass der sie frisst! Will nicht, dass sie sterben!“, protestierte der Blonde schniefend.

Sam schaute auf seinen Bruder. Dean fand überall sofort Freunde, im wahrsten Sinne des Wortes. Warum nur? War das Deans ureigenster Wunsch nach einem normalen Leben oder lag das an dem, der jetzt in Dean war?

„Okay, dann werden wir Guss weiter mit seinem Fleisch füttern“, antwortete er sanft und legte ihm die Hand an die Wange.

„Was soll denn jetzt mit ihnen geschehen, mal abgesehen davon, dass die gleich ertrinken werden, wenn du sie nicht bald rettest!“

„Die können in meiner Tasche wohnen!“

„Dean bitte! Das sind Regenwürmer. Die wollen in der Erde buddeln.“

„Und wieso kriechen sie dann hier draußen rum? Die wollen nicht in der Erde wohnen! Die wollen auch ein schönes Zuhause!“

Sam gab sich geschlagen. Gegen so viel Kinderlogik kam er im Moment nicht an.

„Dann nimm sie mit“, sagte er und verdrehte die Augen.

Ein Lächeln huschte über Deans Gesicht und er sammelte die Regenwürmer aus der Pfütze.

„Und jetzt komm. Bobby wartet mit dem Essen auf uns!“
 

Dean stand in der Küchentür und schaute den Mann am Herd fragend an. Sam hatte ihn schon in die Küche geschickt, während er noch im Bad war und die Spuren von Deans Waschaktion beseitigte.

Bobby musterte den Jungen. Sein Inneres zog sich schmerzhaft zusammen. Das war so gar nicht der Winchester, den er kannte. Sam hatte Recht. Deans Augen waren nicht Deans Augen! Er atmete tief durch. Auf keinen Fall wollte er den Jungen verunsichern. Er sollte sich hier sicher und geborgen fühlen, also drängte er das ungute Gefühl, das er bei dem Anblick des Blonden hatte, zurück. Das Dean nicht Dean war, tat ihm in der Seele weh.

Die Faust des Blonden war geschlossen.

„Was hast du denn da?“, fragte er und stellte die Teller auf den Tisch.

„Freunde!“

„Darf ich deine Freunde kennen lernen?“

Zögernd kam Dean näher und öffnete dann seine Hand.

„Haben die auch einen Namen?“, wollte der Jäger wissen.

Der Blonde schüttelte den Kopf, deutete aber auf einen Wurm.

„Das ist der Vater.“

„Und wie unterscheidest du die dann?“

„Mutter, Vater, großer Bruder, kleine Schwester“, erklärte der Blonde und deutete der Reihe nach auf die Würmer.

„Die ganze Familie ist mit dir befreundet?“

Dean nickte stolz.

„Und wo wohnen sie?“, fragte der Ältere.

Der Blonde überlegte eine Weile, dann deutete er auf seine Hosentasche.

„Meinst du nicht, dass das ein wenig zu eng ist, auf Dauer?“

Dean blickte ihn mit großen Augen an. Sam war gerade die Treppe herunter gekommen und stand an den Türrahmen gelehnt. Er war gespannt was jetzt passieren würde.

„Schau mal, wenn du die ganze Zeit in deinem Bett bleiben müsstest, würde dir das doch auch nicht gefallen, oder?“

Wieder schaute Dean ihn mir großen Augen an, schüttelte dann aber den Kopf.

„Sie wollen aber bei mir bleiben!“, erklärte er trotzig. „Und sie sind nicht für Gus!“

„Dann wollen wir ihnen mal ein schönes Plätzchen suchen“, schmunzelte Bobby. Er holte eine kleine Schale aus dem Schrank, legte Küchenpapier hinein und befeuchtete es mit etwas Wasser. Die Schale hielt er Dean hin.

„Wären sie denn mit diesem Übergangsquartier einverstanden?“

Der Blonde legte den Kopf schief und starrte auf seine Regenwürmer.

Einen Augenblick später suchten seine Augen wieder Blickkontakt zu dem Jäger und er nickte. Vorsichtig legte er die Würmer auf das Papier. Bobby schlug eine weitere Lage darüber und stellte die Schale aufs Fensterbrett.

Sam wusste nicht, ob er sich freuen sollte, wie schnell Bobby Zugang zu dem Kind in Dean gefunden, oder sich über sich ärgern, dass er so ewig gebraucht hatte. Er kam jetzt auch in die Küche und setzte sich an den Tisch, während der Hausherr dem Älteren half seine Hände noch einmal zu waschen.
 

Dean stocherte eher lustlos in seinem Essen herum und rieb sich immer mal wieder müde über die Augen.

„Macht er sonst Mittagschlaf?“, wollte Bobby von Sam wissen.

„Bin nicht müde!“, gähnte Dean.

„Eigentlich nicht, aber er hat die letzten Tage so schlecht geschlafen, dass ich ihn, unter viel Protest, immer noch mal ins Bett geschickt habe, wenn wir unser neues Motelzimmer bezogen hatten.“

„Wir wollten aber ein Zuhause suchen“, quengelte Dean.

„Sie sind in ihrem Motel ganz gut untergebracht. Du legst dich gleich auf die Couch und wenn du ausgeschlafen bist, suchen wir ihnen ein schönes Zuhause“, erklärte Bobby ruhig.

Dean gab sich dessen Autorität kommentarlos geschlagen und Sam schmollte. Er hätte mit seinem Bruder wie jeden vergangenen Tag eine längere Diskussion führen müssen.

Pamela Barns

180) Pamela Barnes
 

„Na komm, du schläfst doch gleich ein. Leg dich auf die Couch und ich hole dir eine Decke“, sagte Bobby ruhig, als Dean erneut gähnte. Der Blonde blickte ihn noch einmal fragend an, nickte dann aber und trottete ins Wohnzimmer.

Er lag noch nicht richtig, als er auch schon eingeschlafen war. Diese erneut halb durchwachte Nacht forderte ihren Tribut.

Caro rutschte von der Couch und fiel zu Boden.

Bobby hob sie auf, breitete die Decke über den schlafenden Winchester und schob ihm den Esel unter den Arm, bevor er ihn richtig zudeckte.

Eine Weile betrachtete er den Schlafenden und er war kurz davor auf irgendetwas einzuschlagen. Das war nicht sein Junge! So war er nie gewesen! Er holte tief Luft, straffte sich und ging dann in die Küche zurück. Sie mussten schnell eine Lösung finden!

Schwer ließ er sich auf seinen Stuhl fallen.

Dankbar nahm er den Kaffee von Sam entgegen.

„Es ist nicht Dean!“, seufzte er leise. „Äußerlich ja, innerlich wohl eher nicht.“

Der jüngere Winchester nickte nur.

„Und du bist dir sicher, dass es sich um einen Seelentausch handelt?“

„Nein, nicht mehr so sicher, wie ich es vor ein paar Tagen noch war. Es war eindeutig Dean, der sich die Plasmakugel gegen die Brust geschlagen hat.“

„Also wollte er dir etwas sagen?“

„Ja, aber was? Ich hab alles durchprobiert, aber es ergibt irgendwie kaum Sinn.“

„Was hast du dir überlegt?“, wollte Bobby jetzt wissen.

„Das, was noch halbwegs einen Sinn ergäbe, wäre, dass Dean von einer Energiekugel getroffen wurde. Und ich vermute, dass es in Grady war. Natürlich könnte er auch einen Kugelblitz meinen, aber den hätte ich auch sehen müssen, oder ein Geist hat ihn in Gestalt einer leuchtenden Kugel heimgesucht. Verdammt, Bobby ich zerbreche mir jetzt schon seit Tagen den Kopf und komme zu keinem sinnvollen Ergebnis.“

„Und warum hast du den Seelentausch verworfen?“

„Dann hätte Dean sich doch diese verdammte Kugel nicht vor die Brust hauen können, oder?“, antwortete der jüngere Winchester verzweifelt.

„Und wenn nicht seine ganze Seele in den anderen Körper gewandert ist?“

„Wie meinst du das?“

„Eine Kinderseele ist vielleicht kleiner oder kompakter als die eines Erwachsenen. Vielleicht war auch die Zeit zu kurz um Deans komplette Seele in das Kind zu übertragen?“

Sam schaute den Freund überlegend an. „Das würde einiges erklären.“

Jetzt war es an Bobby, fragend zu schauen.

„Er sagt, dass er fünf ist. Wenn es Dean wäre, müsste er dann nicht nach Dad und mir fragen? Müsste er dann nicht trotz Allem Dean sein und wie Dean handeln? Du kennst ihn doch noch von früher. Du weißt doch noch, wie er damals war. Ist er so?

Außerdem weiß er auch nichts mehr von dem, was er mal wusste.“

Der alte Jäger legte den Kopf schief. An diesen Gedanken war etwas dran.

„Nein. Es ist auf keinen Fall Dean, da gebe ich dir Recht. Er benimmt sich vollkommen anders.“

„Ich weiß einfach nicht mehr weiter, Bobby! Wenn Dean uns wenigstens sagen könnte, was passiert ist.“

„Okay“, sagte der Ältere, stand auf und ging wieder ins Wohnzimmer. Mit dem Telefon bewaffnet kam er zurück.

„Dean schläft noch. Warum hat er eigentlich gesagt, dass du ihn Dean nennst, als ich ihn nach seinem Namen gefragt hab?“

„Diese ganze Wandlung bei ihm kam schleppend und ich hab ihn die ganze Zeit mit Dean angesprochen. Als ich ihn dann fragte, wie er heißt, sagte er mir: „Du nennst mich Dean.“ Mehr habe ich zu seinem Namen nicht rausbekommen.“

„Wahrscheinlich hatte die Seele mit dem Tausch auch so ihre Probleme“, überlegte der Ältere.

„Du nimmst das bemerkenswert ruhig auf!“, staunte Sam“, ich hatte da mehr Probleme“

„Das ist nur äußerlich!“, wieder atmete der Ältere geräuschvoll durch.

„Du hast mich ja vorgewarnt. Sonst wäre ich wohl auch in etliche Fallen getappt. Außerdem bin ich lange genug Jäger, um nicht sofort schreiend wegzulaufen. Wenn es allerdings stimmt, dass da draußen irgendwo ein Kind mit Deans Seele herumläuft. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie die Eltern reagiert haben und was mit dem Kind passiert ist.“

„Oh mein Gott!“, japste Sam und starrte den Freund an. „An das Kind hab ich überhaupt gedacht! Ich hab mich so auf Dean konzentriert.“ Sein schlechtes Gewissen blähte sich gerade noch weiter auf und drohte ihn zu ersticken.

„Was hast du vor?“, fragte Sam um sich davon abzulenken und deutete auf das Telefon.

„Ich rufe jemanden an, von dem ich hoffe, dass sie uns helfen kann, Klarheit zu bekommen.“

Schnell wählte er die Nummer und lauschte eine Weile bevor er offensichtlich auf den Anrufbeantworter sprach.

„Hallo Pam, hier ist Bobby. Ich habe da ein Problem, bei dem wir deine Hilfe brauchen. Bitte ruf mich zurück.“ Er legte das Telefon zur Seite.

„Hast du bei deinen Recherchen sonst noch etwas gefunden?“

„Nein, nichts Verwertbares.“

„Wie geht es Dean?“, wollte der ältere Jäger wissen.

Sam schaute ihn fragend an.

„Muss ich irgendwas beachten?“

„Er ist vor Kurzem von Dämonen entführt worden. Ich habe keine Ahnung warum. Und ich habe ihr, als ich sie gefunden hatte, auch keine Zeit gelassen sich zu erklären. Ich hab sie sofort erschossen. Es waren zwei die ihn mitgenommen hatten, aber nur eine in der Mine. Keine Ahnung, wo der andere war. Ich hab nicht länger gesucht, Dean war wichtiger. Er hat panische Angst vor Krankenwagen und seit der Sache mit der Kugel reagiert er auf alles Neue so ängstlich.“

„Was hast du mit den Leichen gemacht?“

„Sie hatte ihn in einem alten Stollen festgehalten. Ich hab ihn gesprengt.“

„Na komm, noch schläft er. Vielleicht finden wir etwas. Ich hole mal ein paar Bücher, die wir durchgehen können.“

Schon bald war nur noch das Rascheln der Buschseiten zu hören.
 

„Ich hab Durst“, riss Deans verschlafenen Stimme sie aus ihrer Konzentration.

Die Jäger blickten auf und schauten sich dann an. Ein Lächeln zierte ihre Gesichter. Dean hatte den Abdruck des Kissens noch quer über die Wange laufen. In seiner Hand hielt er Caros Arm und mit der anderen rieb er sich die Augen. Der Inbegriff eines kleinen Kindes.

„Magst du Kakao?“, wollte Bobby wissen und stand auf, als der Blonde nickte.

„Setz dich, ich mach dir einen. Sam, du noch einen Kaffee?“

„Gerne, danke!“

„Und dann suchen wie deinen Freunden ein Zuhause, oder?“

Dean nickte heftig und strahlte Bobby mit leuchtenden Augen an. Ein warmes Lächeln erhellte dessen Gesicht und er hob ein großes Glas aus der Spüle. Er wusch es noch einmal ab und stellte es dann zum Trocknen auf.

Der Blonde zappelte auf seinem Stuhl herum. Am liebsten würde er sofort nach draußen laufen, doch er wollte auch Kakao trinken.

„Langsam. Er ist heiß“, warnte der Jäger und stellte noch eine Packung Kekse auf den Tisch. Deans Hand zuckte sofort zu der Leckerei, doch bevor er sie greifen konnte erstarrte er und schaute fragend zu dem Mann.

„Du darfst zugreifen“, ermutige ihn der Jäger. Sofort fuhren die Finger in die Packung und angelten sich ein paar der Plätzchen heraus, die er sich auch sofort in den Mund stopfte.

Sam und Bobby schauten sich an und lachten. Das war jetzt ja fast schon wieder typisch Dean.
 

„Fertig“, verkündete der Blonde gleich darauf und rutschte vom Stuhl.

Schnell kippte der alte Jäger seinen Kaffee hinunter und stand auf. Er nahm das Glas von der Spüle und wollte nach draußen gehen, als er plötzlich eine Hand in seiner spürte.

Bobby schaute verwundert erst auf seine Hand, dann zu Dean und zum Schluss zu Sam.

Der nickte nur und lächelte.

„Na, dann komm. Wir machen deinen Freunden ein schönes Zuhause“, sagte er und lächelte Dean an, auch wenn es ihm mehr als schwer fiel.

Gemeinsam gingen sie nach draußen.

Der Jäger blickte immer wieder zu seinem Jungen, der es jetzt zwar irgendwie nicht war, aber das war egal. Es war Dean! Er freute sich über das Vertrauen, dass selbst der fremde Junge ihm entgegen brachte, war aber gleichzeitig auch froh, dass hier keiner sah, wie er mit einem ausgewachsenen Mann an der Hand über das Gelände lief und er schämte sich für den Gedanken.

Energisch schob er seine Bedenken beiseite. Sein Junge war sein Junge, egal was mit ihm passiert war!
 

Gemeinsam füllten sie das Glas mit einer Schicht Sand, danach kamen helle Erde und zum Schluss dunkle Erde. Oben drauf setzten sie ein Büschel Gras und legten noch ein paar alte Blätter darauf.

Dann trugen sie das Glas in die Küche zurück.

„Dann lass deine Freunde mal umziehen“, sagte Bobby und gab Dean die Schüssel.

Ganz vorsichtig legte der die Regenwürmer auf die Blätter.

„So, jetzt stellen wir es an einen dunklen Platz und in ein paar Tagen schauen wir nach, ob sie sich ihr Heim schon gemütlich eingerichtet haben.“

Der Blonde nickte.

Im selben Augenblick klingelte das Telefon und während Bobby das Gespräch annahm bat Sam seinen Bruder Gus zu holen, damit sie ihn füttern konnten.

Jetzt wo keine Gefahr mehr bestand, doch noch die Würmer auf den Speisezettel zu setzen hatte der ältere Winchester auch kein Problem mehr damit.
 

„Das war Pamela, eine gute Freundin von mir. Wir sollen zu ihr kommen. Sie will ihn sich ansehen und dann entscheiden ob und wie sie helfen kann“, berichtete Bobby.

„Und wo wohnt sie?“

„Paris, Missouri.“

„Das sind wieder zwei Tage Fahrt. Ich hatte gehofft, dass wir, dass vor Allem Dean mal zur Ruhe kommen könnte.“ Sam seufzte.

„Wenn du Dean, den richtigen Dean wieder haben möchtest, werden wir ihm das wohl nicht ersparen können.“

„Trotzdem! Wir können ihn doch nicht wie Frachtgut immer wieder durchs Land fahren. Er ist fünf!“, schimpfte Sam resigniert.

„Pam kann da nicht weg.“

„Ich versteh es schon. Aber ich hatte wirklich gehofft, wir könnten eine Weile hier bleiben, damit er mal etwas Stabilität hat. Was Dad mit uns gemacht hat, müssen wir ja nicht auch mit anderen Kindern machen.“ Er holte tief Luft. „Ach verdammt! Warum musste diese ganze Sache überhaupt passieren?“

Dean schaute mit großen Augen auf den Langen, machte dann einen Schritt auf ihn zu und drückte sich an ihn. Schnell legte Sam seine Hand um dessen Schulter.

„Ist schon okay, Dean. Ich bin nicht sauer auf dich.“
 

Zwei Tage später standen sie mal wieder auf einer Veranda und klopften an eine Tür.

Dean hatte Caro mit der Linken fest an sich gepresst. Seine Rechte umklammerte die Hand seines Bruders und er drängte sich eng an den Jüngeren.

In diesen zwei Tagen schien er immer deutlicher zu spüren, dass es um ihn ging und dass etwas mit ihm passieren sollte. Er war kaum noch von Sams Seite zu bekommen. Er wollte nicht mehr nach draußen und er spielte auch nur noch, wenn Sam sich zu ihm setzte. Am Liebsten war es ihm, wenn sie gemeinsam im Bett kuschelten und Sam ihm vorlas.

Hatte Bobby am Anfang noch den Kopf geschüttelt über Sams Besorgnis, so musste er jetzt zugeben, dass der mehr als nur Recht gehabt hatte und er zu sehr vom echten Dean ausgegangen war. Er hoffte inständig, dass das hier bald ein Ende nahm und sie ihren Dean wieder zurückbekamen.
 

Eine rassige Brünette in den Vierzigern öffnete und Dean verkroch sich noch weiter hinter Sam.

„Da seid ihr ja endlich“, begrüßte sie die Männer. Sie schlang ihre Arme um den älteren Jäger und hob ihn zu Sams Verwunderung regelrecht aus.

Breit grinsend schaute er zu Bobby, der knallrot angelaufen war und sich jetzt bemühte, schnell an ihr vorbei zu kommen.

„Ich bin Pamela Barnes und ihr müsst Sam und Dean Winchester sein, die Söhne vom großen John. Kommt rein, Jungs!“

„Können wir bitte wieder gehen?“, wisperte Dean seinem Bruder ins Ohr und zog ihn sanft in Richtung Treppe.

„Entschuldigt ihr uns einen Augenblick?“, fragte der eher an Bobby gewandt und folgte dem Blonden, der ihn immer stärker zum Impala zog.

Ihre Augenbrauen zogen sich fragend zusammen und ihr Blick huschte zwischen Bobby und den Winchesters hin und her. Sowas hatte sie von denen nicht gehört!

„Komm, wir gehen schon mal rein und ich erzähl dir, warum genau wir deine Hilfe brauchen“, sagte der Jäger, nahm Pamela in den Arm und zog sie ins Haus, wo er ihr im Schnelldurchgang die Ereignisse der letzten Wochen schilderte.

Erkenntnisse

181) Erkenntnisse
 

Sam blieb an das Geländer der Veranda gelehnt stehen. Er zog seinen Bruder näher und fasste ihn bei den Schultern.

„Das was du hier machst ist unhöflich! Sie ist Bobbys Freundin und wir...“

„Dann soll Bobby sie doch besuchen und wir warten hier. Ich such auch Würmer für Gus!“, bot Dean sofort als Ausgleich an. Sam musste gegen seinen Willen lächeln.

„Sie hat sich extra für uns Zeit genommen und freut sich darauf, dich kennen zu lernen. Warum willst du denn nicht zu ihr?“ Vielleicht kam er ja so an den Grund von Deans Ablehnung.

„Komisch!“

„Was ist komisch?“

„Sie!“

Ja. Sam hatte es auch gespürt. Irgendetwas umgab Pamela Barnes wie eine Aura, was er durchaus nachvollziehen konnte, immerhin war sie ein Medium. Von Kindern hieß es, dass sie solche Schwingungen eher wahrnehmen konnten. Also musste ihm jetzt nur noch etwas einfallen um Dean davon zu überzeugen, doch in das Haus zu gehen.

„Würdest du mir einen Gefallen tun?“, fragte er den Blonden, der ihn sofort fragend anschaute.

„Wir gehen jetzt da rein, benehmen uns wie große Leute und sind ganz schnell wieder raus. Du musst auch nicht mit ihr reden!“

„Will nicht groß sein! Darf ich zu dir?“

„Du willst auf meinen Schoß?“

Dean nickte und zog schniefend die Nase hoch.

„Dann lass uns reingehen und dann darfst du zu mir“, sagte Sam erleichtert darüber, seinen Bruder davon überzeugt zu haben, mit in das Haus zu kommen, doch der Blonde bewegte sich keinen Meter.

Er seufzte und hob Dean hoch. Der schlang sofort seine Beine um Sams Hüfte, seine Arme um seinen Hals und versteckte sein Gesicht in dessen Halsbeuge.

„Du bist ganz schön schwer geworden“, stöhnte der Jüngere.

„Nich schwer!“

Sam trat ins Haus und ließ sich dankbar auf einen Stuhl fallen. Die fragenden Blicke der beiden Anwesenden beantwortete er mit einem kurzen Kopfschütteln.

„Kannst du dich etwas drehen, sodass er sie sehen kann?“, fragte Pamela und deutete auf die sich drehende Spirale schräg hinter Sam.

Der schaute sich um und blickte gleich darauf fragend zu Bobby.

Der Jäger nickte bestätigend. Er hatte sich mit ihr besprochen und sie waren zu dem Schluss gekommen, dass Hypnose unter den gegebenen Umständen wohl das Beste wäre.

Sam schloss die Augen und atmete tief durch. Er konnte nur hoffen, dass sie sich das auch wirklich gut durchdacht hatten, denn er wollte seinen Bruder auf keinen Fall noch mehr ängstigen.

Vorsichtig drehte er sich so, dass die Spirale in Deans Blickfeld sein musste, wenn er denn irgendwann gewillt sein sollte, den Kopf zu heben.

Und der Plan schien aufzugehen.

Sie unterhielten sich eine ganze Weile über Alltäglichkeiten und tranken Kaffee, als Sam merkte, wie sich sein Bruder bewegte. Langsam hob er den Kopf und blickte neugierig auf die rotierende Scheibe. Gleich darauf begann Pamela mit ruhiger Stimme auf ihn einzureden.

Nach einer, wie es Sam schien, halben Ewigkeit entspannte sich Dean plötzlich vollkommen.

„Leg ihn bitte auf die Couch“, sagte sie sofort und deutete auf das Möbelstück. „Und dann verlasst bitte das Haus.“

„Ich werde ihn nicht alleine lassen!“, begehrte der Winchester sofort auf.

„Ich werde ihm nichts tun und es ist einfacher, wenn ich mit ihm alleine bin!“, versuchte sie ihn zu beruhigen.

„Komm, je eher wir verschwunden sind, um so eher hast du ihn wieder“, sagte Bobby und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Sam musterte ihn fragend, denn auch Bobby hatte alles andere als wirklich überzeugt geklungen.

Der Winchester nickte. Er warf noch einen Blick auf seinen hypnotisierten Bruder und folgte dem Freund schweren Herzens.
 

Die Zeit verging und die Jäger wurden immer unruhiger. Noch konnten sie sich zurückhalten, doch wenn Pamela nicht bald fertig wäre, würden sie das Haus regelrecht stürmen.

Immer wieder huschten ihre Blicke zur Tür, um sich gleich darauf wieder fragend anzuschauen.

Auch Bobby, dessen Vertrauen in die Frau um ein vielfaches größer war, als das des jüngeren Winchester, hielt es kaum noch aus.

Gerade, als sie sich einig waren, das Haus wieder zu betreten, egal ob Pamela jetzt fertig war oder nicht, kam sie heraus. Sie sah mitgenommen aus.

„Was ist mit Dean?“, bestürmte Sam sie sofort und drängte sich an ihr vorbei.

„Er ist okay und schläft noch, bis ich ihn wecke“, sagte sie müde und lächelte. Die Sorge in Sams Stimme fand sie rührend. „Auch danach wird er noch sehr müde sein. Ich hab mir gedacht, dass es euch am ehesten bei der Recherche hilft, wenn er noch schläft.“

Trotz ihrer Versicherung stürmte Sam in den Raum. Er musste sich selbst vergewissern, dass es seinem Bruder gut ging. Vorsichtig drückte er ihm Caro in den Arm und zog die Decke noch etwas höher.

„Was hast du rausgefunden?“, wollte jetzt auch Bobby wissen. Er war mit ihr zurück ins Haus gekommen und da Sam so ruhig reagierte, schien alles in Ordnung zu sein. Er kannte und schätzte Pam, aber Dean stand ihm dann doch wesentlich näher und war ihm auch wichtiger.

Pamela ließ sich schwerfällig auf einen Stuhl fallen und nahm den Kaffee, den der ältere Jäger ihr reichte, dankend entgegen.

Als auch Sam saß, begann sie zu berichten.

„Das ist ein verdammt komplizierter Fall, den ihr mir hier gebracht habt. Es hat mich viel Kraft gekostet und ihn auch. So was hatte ich bis jetzt noch nie! Also!“ Sie hob beruhigend die Hände, als Sam auffahren wollte.

„Der Junge heißt Kyle Railey. Wo er wohnt weiß er nicht. Er hat etwas von Carolin erzählt und dass auf dem Nummernschild ein Vogel ist, den er mag und seine Lieblingsfarbe ist rot.“

Fragend blickten die Jäger sie an.

„Das ist eure Aufgabe, dieses Rätsel zu lösen“, wehrte sie sofort ab.

„Was ist passiert?“, wollte Sam jetzt wissen.

„Ihr hattet Recht. Es war ein Seelentausch, der, aus welchem Grund auch immer, nicht komplett erfolgte. Ein Teil von Dean ist noch in dem Körper, aber er wird immer schwächer. Eine zerrissene Seele stirbt mit der Zeit.

Ich habe ihn in einem sicheren Winkel seines Körpers eingesperrt und dann einschlafen lassen. So kann er Kräfte sparen und ist von dem Rücktausch geschützt“, beruhigte sie Sam sofort.

„Es muss sehr schmerzhaft gewesen sein, als seine Seele zerrissen wurde.“

Sams Augen weiteten sich. Deans Bauchschmerzen nach dem Diner in Grady! Die mussten noch um ein Vielfaches schlimmer gewesen sein, als er seinem Großen so schon zugeschrieben hatte, immerhin hatte der zugegeben, dass er Schmerzen hatte und das tat er nur, wenn er schon halb ohnmächtig davon war!

Er schloss seine Augen wieder und schluckte hart.

Auch Bobby wusste sofort woran der Jüngere dachte. Sie hatten es einfach Deans Verfressenheit zugeschrieben! Aber woher hätten sie es auch wissen sollen?

„Hier ist eine Formel, die ihr sprechen müsst, bevor ihr den Rücktausch einleitet“, fuhr das Medium fort. „Das Verbrennen der Kräuter, die hinten auf dem Zettel stehen, wird unterstützend wirken. Ihr müsst sie in genau dieser Reihenfolge verbrennen.

Der erste Teil dieser Formel bezweckt, dass die Seelen loslassen und sich zusammen ziehen, um den Austausch unbeschadet und so schnell wie möglich durchführen zu können. Danach erfolgt der Rücktausch und dann sprecht ihr den zweiten Teil der Formel. Das wird den Teil von Deans Seele, der jetzt noch in ihm ist befreien, wecken und dazu bringen, sich wieder mit dem Rest zu verbinden. Ihr solltet Schmerzmittel bereithalten, denn es wird alles andere als schmerzfrei für beide Seelen werden, wieder in ihre Körper zurückzukehren.“

„Und wie sollen wir das mit dem Rücktausch machen?“, fragte Bobby.

„Ihr müsst Kyle finden. Danach bringt ihr beide zusammen. Sie müssen sich berühren. Lange genug, damit die Seelen zurückwandern können. Die Berührung ist eine Art Leitstrahl.

Aber ihr dürft sie in dieser Zeit auf keinen Fall mit bloßer Haut anfassen, denn auch eure Seelen können sich durch die Formel von ihrem Körper lösen!“

„Was ist mit Dean in Kyles Körper? Wie hat er…?“, versuchte Sam seine Ängste in Worte zu fassen. Er war so sehr mit dem Kind in Deans Körper beschäftigt gewesen, dass er sich darüber überhaupt keine Gedanken gemacht hatte.

„Ich kann nur vermuten“, begann die Frau, „Er ist nicht vollständig in den neuen Körper gewandert. Das dürfte für ihn sehr schmerzhaft gewesen sein. Nicht körperlich, eher eine Art Schizophrenie. Er wird verwirrt sein, sich nicht zu Recht finden, vielleicht Albträume haben.“

„Weiß Dean, wie es passiert ist? Und warum?“

„Er hat im Keller der deVendt einen Energieball abbekommen, der auf dich zusteuerte. Du warst bewusstlos und er wusste nicht, wie er dich sonst hätte schützen können.“

Sams Augen füllten sich mit Tränen. Warum musste so etwas immer seinen Bruder treffen, weil er wieder versuchte ihn zu schützen. Und er fühlte sich mehr als schuldig. Immerhin hatte er sich in den ersten Tagen mehr als einmal gewünscht, Dean wäre an seiner Stelle.

„Es gibt da allerdings noch ein anders Problem! Was wird mit Kyle“, brachte sie den nächsten Punkt auf den Tisch.

„Warum, was soll mit ihm sein?“, wollte der ältere Jäger wissen.

„Dean ist von Dämonen entführt worden. Es war eine Lamia, die ihn in der Mine in der Mangel hatte. Sie hat ihre Helfer angewiesen, den Jungen zu finden. Sie wollte, nachdem sie Deans Körper vernichtet hatte, auch seine Seele haben. Ihr könnt euch schützen, aber was wird mit Kyle. Seine Eltern werden dieser Bedrohung auf keinen Fall gewachsen sein.“

„Darüber können wir uns Sorgen machen, wenn wir den Jungen haben. Jetzt will ich erstmal meinen Bruder wieder und zwar komplett!“, bestimmte Sam und stand auf. Seiner Meinung nach hatten sie hier genug geschwatzt, jetzt mussten Taten folgen. Dean hatte ihn gerettet, jetzt war er dran, seinen Bruder zu retten.

„Er wird, wenn er aufwacht nicht mehr ganz so panisch sein. Ich habe ihm während der Hypnose erklärt, dass er sich bei euch vollkommen sicher fühlen kann. Mehr konnte ich momentan leider nicht für ihn tun“, fügte sie noch hinzu und trat neben den schlafenden Winchester.

„Du wirst dich an nichts von dem, was du mir hier erzählt hast, erinnern können. Drei, zwo, eins und aufwachen!“, sagte sie ruhig und schnippte mit den Fingern.

Dean blinzelte. Müde rieb er sich die Augen und setzte sich langsam auf. Sein Blick fiel auf seinen Bruder und ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

„Du bist ja immer noch ganz müde“, stellte Sam schmunzelnd fest und setzte sich neben ihn.

„Nich! Caro müde“, nuschelte der Blonde schleppend.

„Und weil Caro müde ist musst du schlafen?“

Der Blonde blinzelte schon wieder. Er kippte langsam gegen den größeren Winchester.

„Na komm, ich bring dich ins Bett“, sagte der, stand wieder auf und hob Dean hoch. Augenblicklich kippte dessen Kopf gegen Sams Schulter und er schlief ein.

„Danke“, sagte er an die Frau gewandt und verließ das Haus.

„Ja, danke, Pam. Du hast uns sehr geholfen!“, sagte Bobby und nahm sie noch einmal in den Arm. Wieder hob sie ihn aus und er war mehr als froh, dass Dean schlief und Sam auf die Stufen achten musste und das ebenfalls nicht gesehen hatte. Einmal am Tag so blamiert zu werden war mehr als genug.

„Ich halte dich auf dem Laufenden“, sagte er noch und beeilte sich zum Impala zu kommen, um Sam dabei zu helfen, Dean auf die Rückbank zu legen.
 

„Suchen wir uns ein Motel und beginnen mit der Recherche.“

Sam nickte zustimmend. „Gut, dass wir das Ritual nicht brauchen, dass diese deVendt verwendet hat. Sonst würden wir Dean nie wiederbekommen.“ Er warf einen Blick in den Rückspiegel.

„Diese Hexe kann froh sein, dass sie tot ist, sonst würde ich sie auf ganz kleiner Flamme rösten, nachdem ich ihr die Haut abgezogen und sie mit Pfeffer eingerieben hätte!“

„So gewalttätig kenne ich dich ja gar nicht!“, kommentierte Bobby diese Aussage amüsiert.

„Jetzt sag bloß, du findest toll, was du da hinten siehst!“, schnaubte der Jüngere wütend. „Das ist nicht Dean! Es ist entwürdigend, ihn so zu behandeln, auch wenn es im Moment nicht anders geht. Ich hoffe nur, er bekommt das alles nicht wirklich mit, sonst wird er uns nie wieder in die Augen schauen können, ohne vor Scham im Boden zu versinken!“

„Die Zeit nach dem Höllenhundangriff hat er auch weggesteckt.“

„Ja, aber da war er richtig schwer verletzt. Jetzt ist er zum Kind mutiert!“

„Aber auch nur, weil er dich schützen wollte.“

„Reib es mir ruhig noch ein paar Mal unter die Nase. Davon wird es auch nicht leichter! Immer wieder gerät Dean in solche Situationen, weil er mich schützen will!“
 

Sie hatten sich im nächsten Motel eingemietet und während Sam ihr Zimmer einrichtete, besorgte der Ältere etwas zu Essen und ein paar Bier, damit sie die Nacht überstanden, denn jetzt wo sie wussten, wonach sie suchen mussten, würden sie so schnell nicht aufhören.
 

Schon bald brüteten sie über den Laptops. Sam hatte dem Freund Deans Rechner überlassen.

„Ich habe hier jede Menge Kennzeichen mit einem Vogel drauf. Da können wir auch gleich das ganze Land absuchen!“, resignierte der Jüngere.

„Kyle sagte doch, dass rot seine Lieblingsfarbe wäre.“

„Ja und?“

„Gibt es rote Vögel?“

„Du bist ein Genie, Bobby! Das grenzt die Suche immerhin auf drei Staaten ein. Ohio, Kentucky und Virginia.“

Gus Hunger

182) Gus Hunger
 

Sam schreckte aus dem Schlaf, als ihn jemand am Arm zog.

Er versuchte ruhig liegen zu bleiben und lauschte in den Raum. Leise Geräusche drangen an sein Ohr, aber er konnte sie nicht richtig zuordnen.

Wieder zog etwas an seinem Ärmel.

„Sam?“, wisperte der Blonde.

Sam schlug die Augen auf und blickte in die vor Freude strahlenden, grünen Augen seines Bruders. Wieso mussten Kinder solche Frühaufsteher sein?

„Hey“, sagte er heiser. „Warum bist du denn schon aufgestanden?“

„Bin schon ganz lange wach“, antwortete der Blonde.

Der jüngere Winchester setzte sich auf und schaute sich um. Gus hopste durch das Zimmer und inspizierte neugierig Deans Spielzeug. Dann fiel sein Blick auf den Wecker. Es war nach neun.

Jetzt war ihm auch klar, warum sein Bruder auf den Beinen war, immerhin hatte der seit gestern Nachmittag geschlafen!

„Liest du mir vor?“, wollte der jetzt wissen und hielt Sam das Feuerwehrbuch hin.

„Komm rein“, antwortete der nickend und hob seine Decke etwas an. Er hatte noch keine Lust aufzustehen und diese Kuschelzeit mit Dean rief so viele schöne Erinnerungen in ihm wach, als das er sie sich verwehren wollte.

Dean setzte sich zwischen seine Beine, sodass er über seine Schulter mit ihm ins Buch schauen und die wenigen Texte vorlesen konnte.

Sie hatten etwas mehr als die Hälfte geschafft, als es an der Tür klopfte.

„Ich bin's, Bobby“, meldete sich der Freund bevor Sam nachfragen konnte.

„Komm rein“, antwortete der jüngere Winchester. „Es ist offen.“ Er hatte, ganz entgegen ihrer sonstigen Vorsicht, nicht abgeschlossen, nachdem der Jäger weit nach Mitternacht gegangen war. Er war nur noch müde ins Bett gekippt und sofort eingeschlafen.

Der Ältere betrat das Zimmer. Er hob kurz die Augenbrauen, als er seine Jungs zusammen im Bett sitzen sah, sagte aber nichts. Es war mehr als ungewohnt, Sam und Dean so kuscheln zu sehen und er musste zugeben, dass er wirklich froh war, dass das nur ein vorübergehender Zustand war. Auch wenn es irgendwie schön anzusehen war, die Brüder so einträglich zusammen zu sehen.

Er wollte die beiden lieber heute als morgen in ihrem normalen Zustand haben.

„Wir lesen hier noch fertig“, sagte Sam ruhig und wandte sich wieder dem Buch zu, während Bobby etwas Unverständliches brummelte, in einem Ton, der am ehesten Zustimmung signalisierte und das mitgebrachte Frühstück auf dem Tisch verteilte. Er ging das Geschirr aus dem kleinen Kochbereich holen.

Diesen unbeobachteten Moment nutzte die Krähe. um erst auf den Stuhl und dann auf die Tischplatte zu springen und die Tüten zu untersuchen.

„Wirst du das wohl lassen, du verfressenes Federknäul!“, schimpfte der Jäger und vertrieb den Vogel.

Der flatterte noch etwas ungelenk auf das Bett und schüttelte sich missbilligend.

„Gus Hunger“, krächzte er kaum verständlich.

„Gar nich wahr! Ich hab dich vorhin gefüttert!“, maulte Dean beleidigt und verschränkte die Arme vor der Brust. Er war so stolz auf sich gewesen, dass er das alleine gemacht hatte und dann ignoriert der blöde Vogel seine Bemühungen einfach!

Sam und Bobby erwachten aus ihrer sprachlosen Starre und prusteten los, bis ihnen die Tränen in die Augen traten. Dean war zu niedlich, wie er da saß und Gus legte den Kopf mal in die eine und mal in die andere Richtung schief und musterte die Menschen aus schwarzen Knopfaugen.

Der Blonde schmollte. Er verstand nicht warum die Männer lachten. Er hatte dem Vogel doch wirklich schon Fleisch aus dem Kühlschrank gegeben!

Endlich beruhigte Sam sich keuchend.

„Hab ihn wirklich schon gefüttert!“, maulte Dean.

„Das glaube ich dir sogar.“

„Wir haben dich nicht ausgelacht“, bestätigte jetzt auch Bobby und kämpfte darum ein ernstes Gesicht zu machen.

„Gus Hunger!“ meldete sich der Vogel erneut und sorgte für einen weiteren Lachanfall.

„Gus lügt!“, schimpfte Dean laut.

Bobby erbarmte sich des verfressenen Federballs. Noch immer vor sich hin glucksend, trug er das schwarze Bündel in die Küche und holte die Schale mit dem Fleisch aus dem Kühlschrank um ihn wieder zu füttern.

„Ich hab ihn gefüttert! Gas lügt!“ Dean klappte das Buch zu. Er hatte keine Lust mehr darauf. Er schmollte noch immer.

„Gus ist verfressen. Der hat bestimmt schon vergessen, dass du ihm heute schon was gegeben hast“, versuchte Sam seinen Bruder wieder gnädig zu stimmen.

„Gus ist doof!“

„Komm, wir machen uns fertig, nicht dass Gus uns unser Frühstück auch noch wegfuttert“, versuchte Sam den Blonden abzulenken. Das stellte sich jedoch als schwieriger heraus, als er angenommen hatte, denn Dean schmollte auch während des Frühstücks weiter und sorgte dafür, dass Bobby und Sam sich mächtig zusammenreißen mussten, um nicht wieder laut loszulachen.

Gus kümmerte das wenig. Er hopste über Stuhl und Kommode auf ein Wandregal, verkündete noch einmal: „Gus Hunger“ und schob seinen Kopf unter einen Flügel um zu schlafen.

Sam und Bobby schauten sich an und versuchten nicht zu lachen.

„Gar nich Gus Hunger! Gus müde!“, verbesserte Dean den Vogel und sorgte dafür, dass die Bemühungen der beiden vollkommen sinnlos waren.
 

„Was hast du gestern noch herausgefunden?“, wollte der Ältere wissen, um sich irgendwie abzulenken.

„Ich hab nicht mehr lange weiter gemacht. Ich war auch zu müde, aber ich hoffe, wir werden heute fertig.“

Bobby nickte zustimmend und stand auf.

„Hilfst du mir den Tisch abzuräumen?“, fragte er Dean und gab ihm, nachdem er nickend aufgestanden war die Teller. Sofort lief der los und trug sie zur Spüle.

Schnell waren sie fertig.

„Machsu?“, wollte der Blonde wissen und machte einen langen Hals um auf Sams Bildschirm schauen zu können.

„Ich muss hier etwas suchen.“

„Was?“

„Ich suche nach jemandem. Hast du Lust für Bobby ein Bild zu malen?“, versuchte Sam ihn abzulenken und gleichzeitig so zu beschäftigen, dass er hier mit am Tisch sitzen konnte.

„Hm“, überlegte er einen Moment, um dann nickend seine Stifte zu holen. Er setzte sich neben seinen Bruder, schob die Zungespitze zwischen die Lippen und begann zu malen.
 

Den ganzen Tag über wechselten sich Sam und Bobby bei der Betreuung des Blonden ab. Er sollte auf keinen Fall unter ihrer Suche leiden müssen, denn auch wenn es letztendlich für ihn war, würde er das nicht verstehen und so baute Bobby mit ihm Lego-Häuser, bei denen Sam dann mit ihm unter lautem Tatü-tata die größten Brände löschte, während der Ältere weiter recherchierte. Später ging der dann mit Dean zu einem Diner, um ihnen etwas zu essen zu besorgen und Sam nutzte diese Zeit um Ohio nach weiteren Kyle Raileys abzusuchen.

Sie fütterten Gus, der sich passend zur Essenszeit mit einem lauten: „Gus Hunger“ auch mal wieder ins Geschehen einbrachte. Danach las Sam mit dem Blonden zum gefühlt tausendsten Mal das Feuerwehrbuch und als sie fertig waren, zeigte Bobby ihm wie man „Bobby“ und „Gus“ schrieb.

Als Dean nach dem Abendbrot, baden, den Schlümpfen und nur einem Kapitel Puh-Bär endlich schlief, atmeten die beiden hörbar auf.

Dieser Tag war anstrengend gewesen.

Jetzt wollten sie nur noch ihre Recherchen beenden, um endlich die richtiger Körper mit den richtigen Seelen zusammenbringen zu können.
 

Wieder gähnte Bobby und massierte sich seinen schmerzenden Nacken.

„Warum gehst du nicht ins Bett?“, wollte der Jünger wissen.

„Und dann willst du morgen weiter machen?“

„Nein, ich mache hier noch fertig. So lange wird es wohl nicht mehr dauern.“

„Wie lange meinst du?“

„Halbe Stunde?“

„Dann warte ich. Wenn Dean morgen früh wieder dazwischen wuselt, dauert es doppelt so lange. Wenn wir Glück haben, können wir morgen schon weiter.“ Bobby stand auf, holte noch zwei Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich in den Sessel.

Ganz automatisch wanderte sein Blick zu dem Bett, in dem Dean schlief. Zu sehen war von ihm nicht viel und er wusste ja auch, dass es ihm soweit gut ging. Ging es ihm gut?

Eigentlich konnte er es nur hoffen. Was er wusste war, dass es seinem Körper soweit gut ging. Was mit seiner Seele war, würden sie erst erfahren, wenn sie den Kyle gefunden hatten.

Aber selbst wenn er nur von dem ausging was er hier sah und bedachte, dass es ihm wahrscheinlich besser ging als in der Zeit als er wirklich fünf war, er wollte seinen Jungen wieder!

Es war nicht richtig, dass Dean vor Sam ins Bett ging. Es zerriss ihm fast die Seele dem Blonden dabei zusehen zu müssen, wie er seine Autos schiebend über den Boden rutschte. Es tat weh zu sehen, wie er mit Sam kuschelte, nicht weil er das tat, sondern weil er das unter normalen Umständen nie so tun würde!

Nein! Er konnte nicht schlafen gehen, schon gar nicht wenn er daran dachte, dass Sam die Lösung vielleicht finden würde.
 

„Ich denke ich bin fertig“, riss der jüngere Winchester ihn aus seinen trüben Gedanken.

Sam streckte sich und gähnte. Mit leisem Stöhnen massierte er seinen schmerzenden Nacken. Er warf einen Blick auf die Uhr. Fast zwei. Nur um sich zu bewegen, ging er zu Dean, legte ihm Caro wieder richtig in den Arm und zog die Decke etwas höher, dann blickte er zu Bobby, der wieder aufstand und zum Tisch zurück kam.

Sein Blick wanderte noch einmal zu Dean.

„Was hast du?“, wollte der Jäger wissen.

„Okay“, Sam blätterte in seinen Unterlagen. „In Kentucky habe ich vier Personen, die auf den Namen Kyle Railey hören und im Alter zwischen drei und acht sind. In Florence der ist sieben, in Evanville vier, in Lexington fünf und in London sieben.“, begann er einfach mit dem Staat in dem er zuerst gesucht hatte.

„Bis auf den aus Lexington können wir die anderen erst einmal vernachlässigen“, schlug der Bärtige vor. „Genau wie die zwei aus Virginia. Da ist einer aus Beckley drei und der in Maryland wohnt ist auch sieben.“

„Bleibt Ohio. Canton vier, Delphos fünf, Lima fünf und Massillon acht.“

„Hast du die Adressen?“, wollte Bobby sofort wissen.

„Moment!“, er blätterte ein paar Blatt zurück. „Also der aus Lexington, Kentucky wohnt Melbourne Way.“ Wieder blätterte er. „Delphos, State Road und Lima, Carolina Avenue.“

„Dann sollten wir uns zuerst den in Lima anschauen.“

„Warum den?“

„Was hat Pamela über Kyle gesagt?“

„Das ein Vogel auf dem Nummernschild ist, dass er rot mag und irgendwas von Carolin.“

„Genau.“

„Carolina Avenue“, sagte Sam in einem Ton, der erkennen ließ, wie sehr er über sich selbst enttäuscht war. Darauf hätte er auch selbst kommen können.

„Okay, dann fahren wir morgen Richtung Lima.“

„Bobby nickte.

„Manchmal wünschte ich wirklich, dass wir fliegen könnten, oder das Land nicht so riesig wäre.“

„Wie hat euer Dad das denn damals mit euch gemacht?“, wollte der Ältere wissen.

„Er ist gefahren, bis wir da waren. Gespielt haben wir auf der Rückbank, soweit man das spielen nennen konnte. Als ich größer war hat sich Dean auf den Beifahrersitz gesetzt, damit ich mehr Platz hatte. Offiziell natürlich, weil er der Ältere war und ihm dieser Platz somit gebührte. Aber ich bin nicht Dad. Ich werde Dean weiterhin höchstens vier Stunden zumuten!“

„Ist die schon mal aufgefallen, dass du Dad sagst, Dean aber John?“

„Nein. Du meinst...“

„Ich habe nur ausgesprochen, was mir aufgefallen ist“, wehrte der Ältere ab. Er würde den Teufel tun, eine Vermutung zu äußern. Deans Gefühle waren kompliziert und das Verhältnis zu seinem Vater wohl noch ein wenig komplizierter. Die bedingungslose Zuneigung, die er John gegenüber früher empfunden hatte, gab es wohl schon länger nicht mehr. Der Blonde schien seinen Dad inzwischen sehr viel differenzierter zu sehen.

Er erhob sich und ging zur Tür. Nicht dass Sam noch weiter nachfragen würde.

„Wir sehen uns morgen“, verabschiedete er sich.

Wo ist Kyle

183) Wo ist Kyle?
 

Nach einem weiteren Zwischenstopp kamen sie in Lima an und fanden ein kleines Motel in einer ruhigeren Seitenstraße nicht allzu weit von der Carolina Avenue entfernt.
 

„Ich werd mir gleich mal das Haus der Raileys anschauen“, sagte Bobby und schaute dabei zu Dean, vielleicht erkannte der ja seinen Nachnamen?

Der Blonde zeigte keine Reaktion. Er kramte weiter, von Gus aufmerksam beäugt, in seiner Spielzeugkiste. Der ältere Jäger schloss resigniert die Augen.

„Das hier muss aufhören, je schneller umso besser ist es für alle!“

Sam nickte traurig. Bobby hatte am Vortag miterleben müssen, wie Dean auf die Sirenen eines Krankenwagens reagierte und es hatte ihn zutiefst schockiert.

Selbst wenn Sam mit dieser Situation ganz gut klar gekommen war und auch er offensichtlich einen Draht zu dem kleinen Jungen in Dean gefunden hatte, er wollte seinen Jungen nicht weiter wie ein Kleinkind behandeln, das er nie gewesen war, zumindest nicht solange er ihn kannte. Er hatte sich nur mit Mühe beherrschen können. Am Liebsten hätte er etwas zerschlagen.

Diese deVendt gehörte ganz langsam über kleiner Flamme geröstet. Schade eigentlich, dass Dean sie schon einen Kopf kürzer gemacht hatte!

„Ich bringe nachher Essen mit“, fügte er noch hinzu und wandte sich dann zur Tür. Sein Blick glitt zu Dean, der sich inzwischen für ein Spielzeug entschieden hatte und das jetzt über den Teppich zu schieben begann.

Der Vogel schien mit der Wahl ebenfalls zufrieden zu sein. Er hopste über den Boden und auf den Anhänger des Trucks und genoss es sichtlich nicht laufen zu müssen.

Bobby hockt sich vor den Blonden.

„Pass auf Sam auf, okay“, forderte er leise und strich dem Jungen sanft über die Wange.

Dean nickte eifrig und strahlte ihn mit großen Augen an.

Der Jäger holte tief Luft und verließ das Zimmer. Er wollte schreien. Er wollte auf irgendetwas oder irgendwen einschlagen! Das war nicht sein Junge aber er wollte ihn wiederhaben!
 

„Ich hab Hunger“, beschwerte sich Dean.

„Gus Hunger“, meldete sich die Krähe in leicht nörgelndem Ton.

„Gus hat auch Hunger!“, übersetzte Dean den Vogel, obwohl der recht deutlich gesprochen hatte, wie um seine Worte zu bestätigen.

„Ich weiß. Wir müssen noch auf Bobby warten“, versuchte Sam zu beruhigen. Genau in diesem Moment öffnete sich die Tür und der Jäger kam voll beladen in das Zimmer.

„Du kommst genau richtig“, empfing Sam ihn. „Ich stand kurz davor, von gefräßigen Raubtieren gefressen zu werden“, stöhnte er erleichtert.

„Bin kein Raubtier“, erklärte Dean entrüstet.

„Nicht?“

„Bin ein Löwe!“, rief der Blonde. Er stürzte sich mit lautem Gebrüll auf seinen Bruder, der noch auf dem Bett saß und versuchte ihn zu kitzeln. Sam wand sich wie ein Aal und ging seinerseits zum Angriff über.

Bobby schüttelte leicht grinsend den Kopf. Eigentlich gefiel ihm das Bild. Viel zu selten hatten die Brüder so unbeschwert miteinander gerauft. Aber im gleichen Augenblick zog sich auch sein Magen vor Kummer zusammen. Es war eben nicht normal, dass die Jungs sich so benahmen und es zeigte ihm wieder wie weit die beiden von einer normalen Kindheit entfernt gewesen waren und wie falsch das Ganze hier war.

„Nich… nich mehr kitzeln“, japste Dean, versuchte aber seinerseits noch immer Sams längere Arme zu umgehen und bis zu seinen Rippen durchzudringen.

„Dann hör du aber auch auf!“

„Ich wollte auch mal gewinnen!“, schniefte der Blonde leise.

Diese Aussage traf Sam mitten ins Herz. Er schluckte. Hatte sich Dean früher auch so gefühlt? Hatte er ihn deshalb immer wieder gewinnen lassen, obwohl er mit Sicherheit schlechter gespielt hatte?

Er hatte nicht daran gedacht, wie es sich für ihn als Kind angefühlt hatte, zu verlieren.

„Beim nächsten Mal gewinnst du bestimmt“, versuchte er seinen Bruder zu trösten und nahm sich fest vor, ihn wirklich gewinnen zu lassen.

„Kommt essen, bevor hier einer den anderen noch auffrisst, oder noch schlimmer, ihr euch an mir vergreift!“, schmunzelte der Jäger gutmütig. Er hatte Sams Gesicht gesehen und er konnte sich denken, welche Erinnerungen diesen Blick ausgelöst hatten. Vielleicht hatte diese unselige Geschichte ja wenigstens etwas Gutes. Sam wusste jetzt, wie Dean sich früher gefühlt haben musste und konnte jetzt das Eine oder Andere besser nachvollziehen.
 

„Ich hab mir das Haus angesehen. Es ist ziemlich gut einsehbar. Nur im hinteren Bereich stehen Bäume, die das Haus wohl gegen die Schule, die dahinter liegt, abschirmen sollen“, begann der Ältere beim Essen.

„Und was schlägst du vor?“

„Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sind auch Bäume.

Morgen früh werde ich mich da auf die Lauer legen. Ich denke so bekommen wir am Schnellsten heraus, wo Kyle zum Kindergarten geht und wie wir den Tausch am besten einfädeln können.“

„Soll ich das nicht besser machen?“, fragte Sam.

„Nein, du bleibst bei Dean. Du kannst ihn beruhigen, sollte etwas sein, das ist mindestens genauso wichtig.“

„Okay. Dann bleibe ich hier. Wann wolltest du Pamela anrufen?“

„Sobald wir genau wissen wie und wo wir den Jungen abpassen können.“

Wieder nickte Sam. Hoffentlich hatte das hier bald ein Ende. Er wollte endlich wieder richtig mit seinem Bruder streiten, wollte sich dumme Sprüche von ihm anhören und er wollte nachts in seinem Bett liegen, den ruhigen Atemzügen seines Großen lauschen und wissen, dass alles seine Ordnung hatte!
 

Schon bald nach dem Essen hatte sich Bobby verabschiedet. Er wollte noch einmal zu dem Haus fahren. Vielleicht konnte er ja schon einiges über den Tagesablauf der Familie herausfinden. Das hatte er zumindest Sam gegenüber als Grund angegeben. Der wahre Grund war allerdings, dass er Dean so einfach nicht mehr sehen wollte und konnte. Es war falsch, den älteren Winchester ein Spielzeugauto über den Boden schieben zu sehen, es war falsch ihm dabei zuzusehen, wie er Erbsen fangen auf seinem Teller spielte und es war falsch mit ihm die Schlümpfe im Fernsehen anzuschauen.

Außerdem nagte Pamelas Aussage darüber, das der Teil von Deans Seele, der noch in seinem Körper war immer schwächer wurde, unaufhörlich an ihm. Er hatte Angst, dass sie, wenn sie noch lange warteten, zu spät kamen, um ihn wirklich retten zu können. Und was dann?

Würde der Junge so bleiben? Ein Kind im erwachsenen Körper? Würde er verrückt werden?

Nein, er wollte nichts riskieren!
 

Mit Kaffee und Kuchen beladen kam der ältere Jäger am nächsten Vormittag in das Motelzimmer der Winchester-Brüder.

„Onkel Bobby!“, rief Dean und umarmte den Neuankömmling, der es gerade noch schaffte, das Essen auf der Kommode sicher abzustellen.

„Freust du dich so sehr, mich zu sehen?“, wollte er wissen.

„Wir waren im Park“, erzählte der Blonde breit strahlend nachdem er sich wieder von ihm gelöst hatte.

Bobby warf Sam einen fragenden Blick zu und der jüngere Winchester nickte.

„Ja, wir sind gestern Abend noch eine Rund durch den Park gelaufen. Er brauchte unbedingt mal wieder Bewegung.“

„Wow“, begann der Jäger und überlegte sich, wie er Dean jetzt beschäftigen konnte, ohne dass der sich ausgegrenzt fühlte. Er musste dingend mit Sam reden.

„Was habt ihr denn alles gesehen?“, wollte er wissen. „Malst du mir ein Bild davon?“

Dean nickte und holte sich sofort ein paar Blätter und Stifte und setzte sich an den Tisch.

„Was ist los?“, wollte Sam wissen, kaum dass sein Bruder in seiner Welt abgetaucht war.

„Der Junge ist nicht da!“

„Was heißt: Der Junge ist nicht da?“, hakte der Winchester nach und versuchte die Übelkeit herunter zu schlucken, die sich langsam immer weiter in ihm auszubreiten drohte.

„Ich bin Gestern zu dem Haus gefahren und habe die Familie beobachtet. Die Kinder kamen nach der Schule nach Hause. Das heißt: Ein Junge und ein Mädchen. Sie war vielleicht 12 und er 10. Kein Fünfjähriger! Die Frau ist einkaufen gefahren und wiedergekommen. Kein Fünfjähriger. Der Mann war am Abend noch mit Freunden unterwegs. Aber auch er kam ohne einen kleinen Jungen wieder. Bist du dir ganz sicher, dass hier ein Kyle Railey wohnen sollte?“

„Laut Computer ist der Junge hier gemeldet“, begann Sam stockend und holte sich seinen Laptop an den Tisch. Hatte er einen Fehler gemacht? Musste Dean wegen ihm jetzt noch länger in diesem Zustand verharren? Wo war verdammt noch mal die Seele seines Bruders?!?

Sofort begann er mit der Suche.

„Kannst du dich um Dean kümmern?“, wollte er noch schnell wissen, bevor er in den Weiten des WWW abtauchte.

Bobby holte tief Luft. Er nickte und setzte sich zu dem Blonden.

Müde rieb er sich über das Gesicht. Es hatte aber auch alles zu gut zusammengepasst.

Hoffentlich hatten die Dämonen Deans Seele nicht schon ausfindig gemacht!

Er blickte auf den Jungen und verbot sich diesen Gedanken. Nein! Sie würden Dean finden und sie würden alles wieder in Ordnung bringen und in ein paar Wochen würden sie beim Bier zusammen sitzen und darüber naja, vielleicht nicht lachen, aber es doch als eine weitere Episode ihres Lebens abtun! So schön es mit dem Jungen war und so sehr er ihn manchmal auch an den kleinen Dean erinnerte, der damals noch kindlich neugierig und doch schon fiel zu ernst in die Welt schaute, er wollte den Jungen so wieder haben, wie er ihn nun schon seit Jahren kannte. Er wollte mit ihm ein Bier trinken und über Autos fachsimpeln.

Bevor er noch weiter in seinen trüben Gedanken abtauchen konnte, zupfte der Blonde an seiner Jacke und hielt ihm ein Bild hin, auf dem es Bäume und ein paar bunte Flecken, die wohl Blumen darstellen sollten und zwei Strichmännchen zu sehen gab.

„Das hast du toll gemacht“, sagte er und strich ihm sanft über den Kopf. „Danke Dean!“

Der strahlte ihn breit an.

„Hilfst du mir bei dem Puzzle?“, wollte er gleich darauf wissen und holte einen großen Karton aus seiner Spielzeugkiste und legte ihn vor Bobby auf den Tisch.

Der Ältere nickte und setzte sich wieder neben den Blonden. Gemeinsam setzten sie die einzelnen Teile zu einem Bild zusammen.
 

Sam grinste, als er die beiden sah. Dean schien Mitleid mit dem alten Mann zu haben

Das sollte er aber besser nicht laut aussprechen, überlegte sich der Winchester. Sonst würde Bobby vielleicht doch noch handgreiflich werden. Ein kurzes Grinsen konnte er sich allerdings nicht verkneifen.

„Die Raileys haben drei Kinder“, begann er, kaum dass Bobby zu ihm schaute. „Kyle ist der Jüngste. Er ist im Einwohnermeldeamt, beim Schulamt und auch im Krankenhaus registriert worden. Also muss er existieren!“

„Dann müssen wir jetzt nur noch herausbekommen was mit ihm passiert oder wo der Junge abgeblieben ist“, fasste der Jäger zusammen.

„Hoffentlich haben die Dämonen ihn nicht“, sprach der Winchester Bobbys Ängste laut aus.

„Das darfst du nicht mal denken, Sam!“, polterte der Ältere. „Ich will mir nicht vorstellen müssen, dass Deans Seele mit einem Jahr Verspätung doch noch in der Hölle gelandet ist!“

Sam zuckte zusammen und nickte schnell. Diesen Gedanken wollte auch er nicht weiter verfolgen müssen.

Auch der blonde Winchester schaute erschrocken auf.

„Onkel Bobby?“, fragte er schüchtern.

„Es ist alles in Ordnung. Dein Bruder ist nur manchmal ein wenig begriffsstutzig“, versuchte er ihn zu beruhigen.

„Ich werde mich heute Nacht in dem Haus umschauen“, beschloss der Jüngere.

„Dann komme ich mit.“

„Nein, Bobby, du bleibst bei Dean. Außerdem brauche ich jemanden, der mich rausholt, wenn was schiefgehen sollte.“ Der Winchester grinste schief während Bobby missbilligend den Kopf schüttelte. Doch letztendlich stimmte er dem zu, was blieb ihm auch anderes übrig. Einer musste bei ihrem Sorgenkind bleiben. Sie konnten die Kleinen nicht alleine lassen.
 

„Was hältst du davon, wenn Dean und ich Essen holen fahren?“, fragte Bobby, als er mit Dean sämtliche Puzzles zusammengesetzt hatte.

„Warte noch kurz, ich möchte mitkommen“, antwortete Sam.

„Die paar Kartons können wir schon alleine tragen, oder Dean?“

Der Blonde nickte eifrig, schließlich war er schon groß und konnte ganz schwer tragen!

„Darum geht es nicht. Ich will mir einen Leihwagen für heute Nacht holen. Der Impala ist zu auffällig. Nicht dass sich den noch jemand merkt und uns dann die Polizei auf den Hals hetzt.“

„Wir lange brauchst du noch?“

„Nicht mehr lange. Ich will nur noch eine Liste ausdrucken, die du heute Abend noch durchgehen könntest.“

„Was ist das für eine Liste?“, wollte der Ältere wissen.

„Die Telefonliste der Raileys. Vielleicht finden wir da ja einen Hinweis.“ Sam stand auf und streckte sich. Vorsichtig massierte er seinen schmerzenden Nacken. Diese Suche musste endlich aufhören! Wann hatte er ja so lange für einen Fall hinter dem Computer gesessen? Wann hatte er je solche Rückenschmerzen von einer Recherche gehabt?

„Ich habe sämtliche Sterbeanzeige der letzten Wochen hier durchsucht, genauso wie die Vermisstenfälle, jedoch keinen Kyle Railey gefunden. Also müsste er eigentlich noch bei seinen Eltern sein.“

„Komisch ist das schon“, bestätigte Bobby.

„Okay“, sagte Sam und zog das Blatt aus dem Drucker, „wir können los.“
 

Nach dem Essen macht Sam seinen Bruder bettfertig, damit Bobby ihm nach der täglichen Dosis Schlümpfe und Phineas und Ferb, gleich nur noch eine Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen brauchte.

Er wollte Bobby nicht zumuten, Dean auch noch zu baden.

„Sei lieb zu Onkel Bobby“, sagte der jüngere Winchester zu seinem Bruder, wuschelte ihm noch kurz durch die Haare, nahm sich seine Jacke und verschwand.

Ein Rückschlag

184) Ein Rückschlag
 

Sam parkte den Mietwagen in einer Nebenstraße und ging zu Fuß zu dem Grundstück der Raileys.

Vorsichtig schlich er sich an der Rückseite an. In zwei Räumen brannte das Licht und er sah hin und wieder eine Person herumlaufen. Er atmete tief durch und machte sich auf eine längere Wartezeit gefasst.

Die Hausbewohner schienen es nicht eilig zu haben, in Bett zu kommen.
 

Langsam kroch die Kälte in seinen Beinen nach oben.

Endlich erlosch das Licht im oberen Stockwerk und die Umgebung versank in Dunkelheit.

Der Winchester verharrte noch und wartete, leicht zitternd, weiter. Er wollte ganz sicher sein, dass auch wirklich alle im Haus schliefen.

Endlich entschloss er sich zu handeln. Er hätte zwar lieber noch eine Weile länger gewartet, aber wenn er hier auch nur noch fünf Minuten herumstand, dann würde er so stark frieren, dass er gar nichts mehr geregelt bekommen würde, ohne viel Krach zu machen.

Er warf erst einmal einen Stein auf das Grundstück, nicht dass er in den Erfassungsbereich eines Bewegungsmelders lief. Es passierte nichts.

Gerade als er loslaufen wollte, hörte er rechts neben sich ein Poltern und erstarrte. Wer trieb sich denn da noch in dem Garten rum? Oder saß vielleicht noch jemand draußen im Dunklen? Er konnte jedoch keine offenen Fenster oder Türen erkennen.

Sam lauschte angestrengt in die relative Dunkelheit der städtischen Nacht. Folie zerriss und dann hörte er ein Schmatzen. Erleichtert atmete er durch. Es war nur ein Waschbär, der sich an dem Müll gütlich tat und ihm gleichzeitig gezeigt hatte, dass hier alles in Ordnung war.

Sam schlich zum Haus. Er schaute sich noch einmal um und versuchte das Zittern zu unterdrücken, das durch seinen Körper lief.
 

Unbeeindruckt davon, dass ein Mensch in seiner nächsten Umgebung herumschlich, durchwühlte der Waschbär weiterhin den Müll nach Fressbarem.
 

Ohne große Probleme knackte der Winchester das Schloss und trat in den Wohnraum. Er schaltete seine Taschenlampe an und leuchtete den Raum kurz ab. Leise ging er zur Tür und huschte in den Flur. Wieder ließ er den Lichtkegel der Taschenlampe über die Wände huschen, um sich ein Bild zu machen. Er grinste. Diese Familie schien sehr ordnungsliebend zu sein. Neben der Haustür stand ein Schuhregal in dem sämtliche Schuhe der Familie standen. Die Jacken hingen an Haken darüber. Nichts lag herum. Das ließ ihn hoffen. Sam öffnete jede Tür und leuchtete kurz in die Zimmer. Küche und Bad brachten ihn nicht weiter. Er hoffte auf ein Büro, da er im Wohnzimmer keinen Computer gesehen hatte, obwohl der ja immer noch hinter einer Schranktür versteckt sein konnte.

Wieder war ihm das Glück hold. Das letzte Zimmer im Erdgeschoss erwies sich als Gästezimmer mit Bürocharakter. Schnell trat er ein und schloss die Tür bis auf einen Spalt. Er öffnete die Schränke und fand etliche Ordner. Schulunterlagen der Kinder, Kreditbelege, eine Kaufurkunde des Hauses, jedoch nichts, was ihn wirklich interessierte.

Oben schlug eine Tür.

Sofort schaltete er die Taschenlampe aus und schlich sich neben die Bürotür.

Über ihm schlurften Schritte. Eine weitere Tür wurde geschlossen, dann herrschte erst einmal Ruhe.

Wenig später hörte er die Toilettenspülung.

Sam grinste.

Eine Tür wurde geöffnet und geschlossen. Wieder schlurften Schritte über den Flur und eine weitere Tür schlug zu. Zumindest klang es in der Ruhe der Nacht ziemlich laut.

Der Winchester wartete noch einen Moment lauschend an der Tür und wandte sich dann wieder seiner Suche zu.

In der Ablage, hinter der letzten Schranktür wurde er fündig. Ein Aufnahmeformular einer Klinik für Kinder war an das Prospekt dieser Klinik geheftet. Während er den Computer hochfuhr schoss er von diesen Belegen Fotos. Das konnte er sich im Motel in aller Ruhe anschauen. Es reichte ihm, dass er den Namen Kyle Railey auf dem Formular gelesen hatte.

Er schob alles wieder an seinen alten Platz, schickte sich noch eine E-Mail mit der IT-Adresse des Familienrechners und fuhr den wieder runter.

Leise schlich er sich aus dem Haus.

Als er unter den Bäumen in die Dunkelheit eintauchte, atmete er erleichtert auf.

Jetzt wollte er nur noch zu Bobby und seinem Bruder und die gefundenen Formulare auswerten. Vielleicht hatte ja Bobby anhand der Telefonliste auch noch etwas herausfinden können.
 

Leise öffnete er die Tür zu ihrem Zimmer. Er wollte niemanden wecken, immerhin war es schon weit nach Mitternacht. Kurz hatte er überlegt, ob er gleich in Bobbys Zimmer gehen und dort übernachten sollte, doch er hatte Sehnsucht nach seinem Bruder. Laut würde er das allerdings nie zugeben. Sollte ihn jemals jemand danach fragen, würde er sagen, dass er nur sehen wollte, ob Bobby mit seinem Nichtbruder klargekommen war.

„Du musst nicht so schleichen“, sagte der Jäger und Sam zuckte zusammen. Er war wirklich davon ausgegangen, dass die beiden schliefen.

„Hallo Bobby.“

„Hattest du Erfolg?“

„Ich hab etwas über eine Klinik gefunden. Hab es fotografiert. Warte ich lade es schnell auf meinen Laptop.

„Die Telefonnummer, die die Raileys in den letzten Tagen mehrfach angerufen haben, gehört auch zu einer Klinik in Cincinatti. Sonst hat diese Liste nicht viel ergeben. Arbeitsstelle, Schule, Freunde und Verwandte, mehr nicht“, brachte Bobby den Jüngere auf den Stand seiner Recherchen.

Gleich darauf schauten sich die Jäger die Bilder an.

„Das ist ein Einweisungsformular für Kyle“, stellte der Jüngere entrüstet fest und Bobby brummelte etwas Unverständliches.

„Sie haben ihn wegen was einweisen lassen? Wegen Verdacht auf Schizophrenie? Starker Persönlichkeitsveränderung? Und weil sie sich bedroht gefühlt haben? Von einem Fünfjährigen haben sie sich bedroht gefühlt?“ Der Winchester wurde immer lauter. Er rief sich die Internetseite der Klinik auf und klickte sich durch die Seiten.

„Das ist eine geschlossene Psychiatrie für Kinder!“, stieß er wütend hervor. „Die haben die Seele meines Bruders in eine Psychiatrie gesperrt?!?“

Sam lief aufgebracht hin und her.

Dean begann sich unruhig von einer Seite auf die andere zu werfen.

„Sam! Bitte sei leiser oder du weckst deinen Bruder“, mahnte der Ältere.

„Sieh dir das an. Sie haben keine zehn Tage gebraucht, bis sie ihren Sohn haben einweisen lassen. Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht mal, was mit ihm wirklich los war!“, knirschte der Winchester leiser aber nicht weniger wütend.

„Wie kann man sich von einem Fünfjährigen bedroht fühlen, oder anders gefragt, was muss ein Fünfjähriger tun, damit sich seine Eltern vor ihm fürchten?“

„Du vergisst, dass es Deans Seele ist, die in dem Körper steckte.“

„Ein Teil von Deans Seele, ja. Aber trotzdem. Er wird ja wohl kaum mit einer Waffe auf diese Familie losgegangen sein!“

„Also fahren wir morgen nach Cincinatti?“, wollte der Winchester wissen.

„Ja. Und ich werde Pamela anrufen. Sie wollte ja ebenfalls kommen und uns bei dem Ritual und nachher auch mit Kyle helfen. Immerhin wissen wir noch nicht, was mit ihm geschehen soll. Wenn die Dämonen noch hinter ihm her sind, müssen wir ihn und seine Familie schützen. Ich habe allerdings noch keine Ahnung wie.“

Vielleicht macht Pamela ja einen Vorschlag, wie wir das bewerkstelligen können“, sagte Sam und atmete tief durch. Immerhin hatte er jetzt die Hoffnung seinen Bruder in wenigen Tagen wieder zu haben.

„Lass uns ins Bett gehen. Morgen früh ist die Nacht zu Ende und du weißt, Dean hält es nicht wirklich lange im Bett aus, seit er wieder fünf ist“, schlug der Ältere vor und erhob sich, um das Zimmer seiner Jungs zu verlassen. Auch er war mehr als froh, ein Ende dieses Dilemmas in Aussicht zu haben.
 

„Will aber nich schon wieder weiter fahren!“, quengelte Dean. „Wir fahren nur! Du hast versprochen, dass wir bleiben! Ich will zu Onkel Bobby!“

Sam holte tief Luft. Ja, er hatte Dean versprochen, dass ihre Rumfahrerei ein Ende hätte, aber da hatte er noch nicht gewusst, dass sie noch weiter fahren mussten um Kyle zu finden.

Er ließ sich auf ein Bett fallen.

„Komm mal her, Dean“, bat er leise und wartete, bis der sich ihm langsam näherte. Sofort umfasste er Deans Arme und zog ihn noch ein Stück an sich heran. Er schaute ihm fest in die Augen.

„Es tut mir leid, dass ich mein Versprechen brechen muss, aber es ist wichtig, dass wir nach Cincinatti fahren. Danach, und das verspreche ich dir ganz fest, fahren wir nach Hause und bleiben ganz lange da.“ Sams Blick streifte Bobbys, der ihn missbilligend unter seine Schirmmütze anfunkelte. Er hielt nichts davon ein Kind anzulügen.

Sam schaute schnell wieder zu seinem Bruder.

„Darf ich dann auch bei den Autos spielen?“, wollte der leise wissen.

„Du darfst spielen wo und solange du willst“, erlaubte Sam großzügig und hoffte, dass er dann seinen Bruder wieder hatte, auf den er weder ständig aufpassen, noch ihn ins Bett bringen musste. Wie hatte sein Bruder das nur die ganzen Jahre so klaglos durchgehalten? Okay, Dean war damals auch jünger gewesen, aber trotzdem. Obwohl das ja eher noch mehr für ihn sprach. Er hatte ihn aufgezogen und auch noch Dad versorgt, wenn der mal wieder verletzt in ihr Zimmer gestolpert gekommen war.

Bobby schüttelte über Sams Aussagen den Kopf und verließ, etwas Unverständliches vor sich hin brummend, das Zimmer, dass wie „Hoffentlich geht das gut“, klang.

Der Blonde zuckte mit den Schultern. So ganz wollte er dem Langen nicht glauben, der hatte ihm schon zu viel versprochen und das Wenigste davon gehalten. Und außerdem hatte er einfach keinen Bock mehr darauf, ewig in dem Auto zu sitzen und kaum Platz zum Spielen zu haben!

„Wir fahren nicht lange, Dean und in Cincinnati gibt es einen Zoo. Was hältst du davon, wenn wir in den Zoo gehen?“

„Tigger gucken?“

„Tiger können wir uns auch anschauen.“

„Und Schnabeltiere!“

„Ich weiß nicht, ob sie die haben, aber wir werden sie suchen, okay?“

Dean nickte begeistert und Sam freute sich, dass er ihn so schnell hatte umstimmen können.

„Können wir fahren?“, fragte er leise.

Der Blonde zuckte mit den Schultern, blieb aber sonst unbeweglich stehen. Er wollte nach Hause! Immer nur im Auto sitzen und durch die Gegend fahren war langweilig. Er wollte wieder mit seinen Freunden spielen. Er wollte schaukeln und im Sand buddeln! Er wollte mit Mom kuscheln und er wollte Kuchen essen!

„Na komm. Je eher wir fahren umso eher sind wir fertig.“

Der jüngere Winchester hielt seinem Bruder die Hand hin und gemeinsam gingen sie zum Impala.

Dean kletterte auf die Rückbank und schaute traurig aus dem Fenster während Sam auf den Beifahrersitz rutschte, Bobby den Motor startete und sie zu ihrer hoffentlich letzten Station dieser Odyssee aufbrachen.
 

„Wir wollen nachher in den Zoo“, verkündete Sam nach einer Weile und blickte zu seinem Bruder. „Kommst du mit?“, fragte er und schaute jetzt direkt zu Bobby.

„Zoo?“, der hob die Augenbrauen.

„Sonst hätte es noch länger gedauert ihn aus dem Zimmer und in das Auto zu bekommen.“

Der Ältere brummte mal wieder etwas Unverständliches in seinen Bart.

„Hast du dir schon überlegt, wie wir Kyles Körper aus der Klinik bekommen?“, fragte er statt einer deutlichen Antwort.

„Bei unserem letzten Fall sind Dean und ich als Anwälte aufgetreten. Ich denke, wir könnten hier etwas Ähnliches abziehen.“

„Anwälte? Wer soll sich denn einen Anwalt genommen haben, weil Eltern ihren Sohn in eine Psychiatrie eingewiesen haben? Dean in Kyles Körper?“, schnaubte der Jäger.

„Nein, aber was hältst du von einer Tante, die nicht versteht, warum ihr Neffe, der nie Anzeichen einer psychischen Erkrankung oder die kleinste Aggressivität überhaupt zeigte, so plötzlich abgeschoben wurde.“

„Und du meinst, die glauben uns das? Muss die gute Tante dann nicht erst durch einige andere Instanzen?“

Sam überlegte eine Weile und blickte dabei immer wieder besorgt zu seinem Bruder, der sich noch immer nicht gerührt hatte und weiterhin traurig aus dem Fenster starrte.

„Und wenn wir sagen, wir kommen vom medizinischen Dienst des Jugendamtes und sollen den Jungen für einige Test bei unseren Vertrauensärzten abholen? Eben weil die gute Frau geklagt hat?“

„Die Anwälte haben es dir angetan, oder?“

„Ich fand die Idee ganz gut.“

„Warum nicht.“

„Und kommst du mit?“

„Wohin?“

„In den Zoo!“

„Nein, geht ihr mal. Ich werde noch einige Zutaten für das Ritual besorgen.“

Sam nickte.

„Kannst du auch Opana mitbringen?“

„Warum?“, wollte der Bärtige wissen.

„Pamela sagte, dass es sehr schmerzhaft sein kann. Dean spricht wunderbar darauf an. Die machen ihn so richtig müde. Damit würde er selbst den Weltuntergang verschlafen.“

„Was brauchst du?“

„Tabletten und zwei oder drei Spritzen?“, überlegte Sam laut.

Die letzten Vorbereitungen

185) Die letzten Vorbereitungen
 

„Hast du Pamela schon angerufen?“

„Ja, kurz bevor ihr aus dem Zimmer gekommen seid.“

„Und kommt sie?“

„Nein, sie hat anderweitig zu tun und wollte einer Bekannten Bescheid geben, die mich heute noch anrufen soll. Sie will sich dann später mit ihr treffen und schauen, was sie für den Jungen und seine Familie tun kann.

„Einer Bekannten?“, fragte Sam skeptisch. Wie vielen Leuten sollte er Dean denn noch vorführen?

„Ja, den Fall hat sie gerade erst rein bekommen. Er muss wohl ziemlich wichtig gewesen sein, dass sie ihn nicht hat abwimmeln können. Außerdem hat Pam es nicht so wirklich mit Kindern und sie wäre spätestens mit Kyle dann auch zu dieser Bekannten gefahren.“

„Und wer ist das?“

„Sie heißt Carol und ist Kinderpsychologin.“

„Dann können wir uns ja sofort alle einweisen lassen!“, schnaubte der Winchester ungehalten.

„Sie hatte vor ein paar Jahren mit Jugendlichen zu tun, die einer Hexe verfallen waren. Pam hat ihr damals geholfen, die unschädlich zu machen. Seitdem weiß diese Ärztin Bescheid.“

Sam zuckte mit den Schultern. Ganz geheuer war ihm diese Geschichte noch nicht, aber er wusste auch keinen besseren Weg.

Wieder drehte er sich zu seinem Bruder um. Doch der starrte nur weiter aus dem Fenster.

„Sag mal, könnte es möglich sein, dass Kyle sich immer mehr in Dean festigt?“

„Warum?“

„Er entwickelt immer mehr eine eigene Persönlichkeit. Dinge die er mag oder nicht mag. Er verändert sich.“

„Pamela hat den Rest von Deans Seele, der noch in seinem Körper steckt schlafen geschickt. Es könnte durchaus sein, dass der Junge den Körper immer mehr in Besitz nimmt.“

„Dann lass uns zusehen, dass wir ihn so schnell wie möglich da wieder rausbekommen. Ich will Dean zurück. Ich will wieder als Erster morgens wach werden. Ich vermisse seine dummen Sprüche, seine ganze Art. Bobby, ich vermisse meinen Bruder!“

„Wäre auch schlimm, wenn du das nicht tun würdest und vielleicht erkennst du auch mal an, was er sein Leben lang geleistet hat und sagst ihm das auch mal.“

„Meinst du er will das hören?“

„Du kannst es immerhin versuchen!“
 

Der Rest der Fahrt verlief recht ruhig. Dean hatte sich in seiner eigenen Welt verkrochen und sagte kein Wort und auch Sam und Bobby hingen ihren Gedanken nach.

Etwas außerhalb von Cincinatti fanden eine Hotelanlage, zu der auch eine Bungalowsiedlung gehörte. Dort bezogen sie ein recht abseits stehendes Häuschen mit zwei Schlafzimmern, einem Wohnraum, der alle Zimmer miteinander verband, Küche und Bad.

Dean entdeckte, kaum dass er aus dem Impala geklettert war, neben ihrem Bungalow einen Spielplatz, auf dem zu dieser Tageszeit noch nicht viel los war. Er rannte ins Haus, setzte Caro auf ein Bett, wühlte, kaum das Sam die Spielzeugkiste abgestellt hatte, ein Auto heraus und wollte wieder nach draußen laufen. Sam versperrte ihm den Weg.

„Wo willst du denn hin?“, fragte er.

„Spielen!“

„Wo?“

„Draußen!“, erklärte der Blonde in einem Ton, der Sam nur zu deutlich zu verstehen gab, dass er das doch wohl nicht hätte fragen brauchen.

„Ich dachte wir wollten in den Zoo!“

„Will spielen!“, erklärte Dean mit Nachdruck. Da draußen gab es Sand und eine Schaukel und ein Karussell! Er wollte endlich wieder richtig spielen. Die Tiere konnten warten! Bittend schaute er zu dem Langen.

„Dann geh“, sagte Sam und nickte bekräftigend. Sofort schoss der Blonde aus dem Raum und kniete, als der Jüngere gleich danach nach ihm schaute, vor dem Sandhaufen und buddelte mit beiden Händen ein tiefes Loch.

Sam lächelte. Wenn er gewusst hätte, wie einfach sein Bruder zufrieden zu stellen war, hätte er schon vor langer Zeit einen Sandhaufen für ihn gesucht!

„Wolltet ihr nicht in den Zoo?“, fragte Bobby und trat mit einer Tasse Kaffee zu Sam.

„Er will lieber im Sand spielen.“

„Ja dann! Kaffee ist in der Küche. Ich wollte gleich los.“

„Okay“ Sam warf noch einen Blick auf seinen Bruder und ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu holen. Auf der Anrichte stand ein Korb mit frischem Obst. Er schüttelte den Kopf. Entweder war die Chefin dieses Hotels noch nicht lange im Geschäft, oder wirklich eine der wenigen guten Seelen, die es in dieser Branche wohl auch gab, zumindest in dem Preissegment, in dem sie sich bewegten.

Schnell machte Sam noch einen Teller mit Obst fertig, kochte Kakao und brachte alles nach draußen.

„Willst du mal eine Pause machen?“

„Warum?“

„Ich dachte Bauarbeiten machen hungrig?“, fragte der Jüngere und hielt seinem Bruder den Teller und die Tasse hin. Sofort nickte Dean und griff danach. Obst verschwand gepaart mit Sand von seinen Händen in seinem Mund und wurde mit Kakao hinunter gespült.

Sam seufzte. ‚Dreck reinigt den Magen’, überlegte er und grinste. Er hatte den Sandkuchen als Kind auch probiert, wie wahrscheinlich jedes Kind auf der Welt.

Damals hatte er mit Dean gespielt. Sie hatten eben diesen Sandkuchen gebacken und er wollte den dann natürlich auch probieren. Sein großer Bruder hatte zugestimmt und sich fast totgelacht, als er den Sand in den Mund gesteckt und sofort danach versucht hatte ihn wieder los zu werden. Das Gefühl war noch heute präsent, wenn er daran dachte, genau wie das Knirschen zwischen den Zähnen.

„Darf ich auf das Karussell?“, riss Dean ihn aus seinen Erinnerungen.
 

Als Bobby wiederkam waren die Brüder noch immer auf dem Spielplatz. Dean klammerte sich an die Haltestangen auf dem Karussell und jauchzte vor Freude und Sam gab ihm Schwung.

Er lächelte gequält. Das Bild kam ihm sehr bekannt vor, nur dass damals Dean derjenige war, der Schwung gegeben hatte. Im Prinzip hatte er ja nichts dagegen, dass die Jungs Blödsinn machten, aber doch nicht mit einem Fünfjährigen in Deans Körper!

Bobby riss seinen Blick von den Brüdern los und ging ins Haus. Er überprüfte noch einmal seine Einkäufe auf Vollständigkeit und verstaute dann alles auf dem Küchenschrank. Danach ging er das Ritual wieder und wieder durch, bis er es auswendig konnte.
 

Vollkommen erschöpft kamen die Brüder in den Raum.

Bobby blickte ihnen entgegen und lächelte. Deans Wangen glühten und seine Augen strahlten vor Freude. ‚Immerhin hatte er einen letzten schönen Tag in diesem Körper’, überlegte der Ältere und hoffte, dass hier nicht nur der Wunsch Vater des Gedankens war.

Aber auch Sam sah vollkommen verschwitzt aus und keuchte. Er verschwendete einen kurzen Gedanken daran, zuerst schnell duschen zu wollen, als Dean sich an ihn wandte: „Ich hab Durst.“

Der ältere Freund nickte Sam zu: „Geh du duschen, ich mache ihn etwas.“

„Was möchtest du denn?“, wollte er auch gleich von Dean wissen.

„Cola!“

„Okay, sollst du haben“, antwortete er und holte eine Flasche samt Glas aus dem Schrank.

Schnell verschwand der jüngere Winchester im Bad und kam zehn Minuten später frisch geduscht zurück.

„Du kannst gleich in die Wanne“, sagte er zu Dean, der ihm auch sofort mit leuchtenden Augen ins Bad folgte. Er ließ sich beim Ausziehen helfen und kletterte, als Sam die Wassertemperatur geprüft und ihm die Erlaubnis gegeben hatte in die Schaumberge.

„Überschwemm nicht alles“, bat der Jüngere noch und ging dann ins Zimmer zurück.

Gus hockte auf einem Regal. Er schielte zu Sam, reckte sich, schlug die Flügel aus und vermeldete: „Gus Hunger!“

Die beiden Männer schauten sich an. Ein breites Grinsen legte sich über ihre Gesichter. Beide hatten noch die Szene vor Augen, als der Vogel von Dean als Lügner entlarvt worden war.

„Dann werde ich uns mal etwas zu Essen besorgen und du kümmerst dich um Gus?“

„Mach ich, Bobby, bis gleich“, sagte Sam und holte die Packung Schabefleisch aus dem Kühlschrank. Er vermengte es mit Apfel und Banane und begann dann den Vogel zu füttern, der ihn schon während der Zubereitung ständig am Ärmel gezogen hatte.

Endlich war der Vielfraß satt und Sam begann die Küche aufzuräumen.

Die versandeten Trucks standen auch noch auf der Anrichte, wo er sie abgestellt hatte, um schnell duschen zu gehen. Er brachte sie zu Dean ins Bad.

Sein Bruder formte noch immer Schaumberge und baute Höhlen in die fragile Struktur.

„Kannst du die noch mit durch die Waschstraße fahren?“, wollte Sam wissen. Sein Bruder nickte und schon verschwanden die Feuerwehrfahrzeuge in den weißen Bergen.

Sam hörte, wie Bobby wiederkam.

„Na komm, raus hier, bevor das Essen kalt wird“, bat er ruhig und half seinem Bruder beim Aufstehen. Er duschte ihn ab, half ihm aus der Wanne und wickelte ihn in ein großes Handtuch.
 

Nach dem Essen setzten sich die Brüder gemeinsam vor den Fernseher und schauten sich die Schlümpfe und Phineas und Ferb an. Dean kuschelte sich ganz dicht an den Langen und Sam gab tief in sich drin zu, es zu genießen. Laut würde er das nie sagen. Soviel Stolz hatte der dann doch noch im Leid, immerhin wollte er nicht den Rest seines Lebens als Mädchen betitelt werden. Aber vor sich konnte er es ruhig zugeben, dass das Kuscheln mit Dean zu seinem schönsten Kindheitserinnerungen gehörte und dass er es auch jetzt richtig genoss.

Damals, war die Welt noch fast in Ordnung!

Bobby telefonierte inzwischen mit dieser Carol.
 

„Ich bring dich ins Bett. Caro kann seine Augen ja kaum noch offen halten“, schlug Sam vor, als der Abspann lief. Dean nickte und tapste mit halb geschlossenen Augen hinter dem Langen in ihr Zimmer.

Dicht an ihn gekuschelt schaffte er es, noch eine halbe Puh-Bär-Geschichte lang die Augen offen zu halten, doch dann unterlag er seiner Müdigkeit. Der Tag toben an der frischen Luft forderte seinen Tribut.

Sam erhob sich vorsichtig, legte Caro in Deans Arm, deckte ihn zu und drückte ihm noch einen brüderlichen Kuss auf die Stirn.

„Er schläft“, verkündete er dem Freund.

Bobby nickte nur.

„Was hat das Gespräch mit dieser Psychotante ergeben?“

„Das sie ganz nett zu sein scheint. Sie hat ihre Termine für morgen verschoben und will zwischen acht und neun hier sein.“

„Hoffentlich ist sie auch nett zu Dean! Vor Pamela hatte er Angst!“

„Sie ist schon seit Jahren Kinderpsychologin, sie sollte sich wohl mit ihm verstehen“, gab Bobby zu bedenken.

„Ich hoffe es!“ Sam holte tief Luft, dann konzentrierte er sich darauf, seinen Bruder endlich wieder zu bekommen.

„Also, wie gehen wir morgen vor?“, wollte er wissen.

„Ich denke, wir sollten deine Idee nehmen. Wir kommen vom Jugendamt und sollen den Jungen zu einem Vertrauensarzt bringen.“

„Dann brauchen wir Ausweise vom Jugendamt und einen richterlichen Bescheid, dass wir ihn holen dürfen.“

„Und wie willst du das bewerkstelligen?“, fragte der Ältere skeptisch.

Sam legte seinen Laptop auf den Tisch und klappte ihn auf.

„Lass das mal meine Sorge sein.“
 

Kurz vor Mitternacht streckte sich Sam. Sein Nacken schmerzte, aber er hatte es geschafft.

Er hatte ihnen ein Paar fast perfekt aussehende Ausweise vom Jugendamt des Staates Ohio gemacht, die er morgen nur noch einlaminieren musste und er hatte sich in das System eines Jugendrichters einhaken können und dort ein Fax deponiert, dass hoffentlich zur passenden Zeit in der Klinik eintreffen würde.

Sofort schaute der ältere Jäger zu ihm auf.

„Die Klinik bekommt morgen früh ein Fax, dass wir kommen und ich habe Ausweise gemacht. Die müssen wir nur noch einlaminieren. Das wollte ich morgen machen, wenn ich Frühstück hole.“

„Gut!“

„Wie gehen wir vor?“, fragte Sam und ließ sich neben dem Freund auf die Couch fallen. Er nahm sich das letzte Bier und trank die Flasche in einem Zug halbleer.

„Wir holen uns morgen einen Wagen für Liegendtransporte. Eine Liege ist drin. Ich hoffe zwar, dass das nicht notwendig ist, aber wir wissen nicht, inwieweit die ihn ruhiggestellt haben.“

„Soll ich mal versuchen, einen Blick in die Krankenakten zu werfen?“, wollte Sam wissen und machte Anstalten aufzustehen.

„Lass mal. Das bringt jetzt auch nichts mehr.“

„Und was ist mit dem Ritual? Wie aufnahmefähig muss Dean denn sein, damit das auch wirklich funktioniert?“

„Verdammt!“, fluchte Bobby über den Umstand, darüber nicht nachgedacht genauso, wie sich nicht sofort bei Pamela erkundigt zu haben. Er zog sein Handy aus der Tasche und rief die Freundin an.

Schnell schilderte er ihr Problem.

„Er sollte ansprechbar sein und wach bleiben. Auf eine gezielte Antwort auf Fragen sollten wir in seinem derzeitigen Zustand allerdings nicht hoffen, da seine Seele geteilt ist“, teilte er dem Winchester mit, kaum dass er aufgelegt hatte.

„Gut“, sagte Sam und atmete kurz durch. „Nein, nicht gut, aber wir wissen woran wir sind.“ Er trank sein Bier aus.

„Es ist zwar noch relativ früh, aber lass uns ins Bett gehen, ich will das einfach nur noch hinter mich bringen und endlich wieder mit meinem Bruder streiten können!“

Der ältere Jäger lächelte. Seine Jungs waren wie ein Paar alter Latschen. Mit nur einem war irgendwie nichts anzufangen. Er nickte, trank sein Bier aus und verschwand in seinem Zimmer.

Auf dem Weg

186) Auf dem Weg
 

Sie saßen noch beim Frühstück, als es an ihrer Tür klopfte.

Sofort standen die beiden Jäger auf und während Bobby öffnete, griff Sam kaum sichtbar nach der Waffe, die hinten in seinem Bund steckte.

„Hallo!“, hörte der Winchester eine Frauenstimme sagen, „Ich glaube, wir hatten telefoniert. Ich bin Carol.“

„Ja, ich bin Bobby, kommen Sie rein“, antwortete der Jäger und trat zur Seite.

„Das sind Sam und Dean“, stellte er die Jungs vor. „Wir wollen nur noch fertig frühstücken. Möchten sie eine Tasse Kaffee?“

Sam ging sofort wieder zu seinem Bruder, der sich ängstlich in eine Ecke drückte und sprach beruhigend auf ihn ein.

„Sagten Sie nicht, dass ich mich um einen traumatisierten Fünfjährigen kümmern soll?“, fragte sie skeptisch und ließ ihren Blick über die Brüder gleiten. „Bitte sagen Sie mir nicht, dass Sie ihn alleingelassen haben. Ist er nebenan?“

„Nein, es ist Dean.“

Irritiert musterte sie die Brüder erneut, um dann ihren fragenden Blick wieder auf Bobby zu richten.

„Ja“, antwortete er, „körperlich ist er dreißig.“

„Ich...?“

„Das ist Dean. Sams großer Bruder. Die Seele von Kyle, einem fünfjährigen Jungen, um den Sie sich später kümmern sollen, ist noch in seinem Körper. Wir hatten bisher keine Möglichkeit seinen Körper mit Deans Seele zu holen. Deshalb habe ich Sie gebeten schon heute morgen zu kommen, um auf Dean aufzupassen, während wir Kyle holen.

Ich hoffe wir können dann den jeweiligen Körper wieder mit seiner eigenen Seele vereinen. Ich denke, danach wird der Junge ihre Hilfe brauchen“, sagte Bobby ruhig.

„Oh! Natürlich, gerne. Ich hatte angenommen, Sie wären mit der Rückübertragung schon fertig. Pam sagte etwas von einem Ritual, dass Sie durchgeführt hätten und dass ich mich um den Jungen kümmern sollte, bis sie kommen würde, um mit mir die weiteren Schritte zu besprechen.“

„Ja, nur hat sich das Ganze etwas verkompliziert, weil die Eltern das Kind in eine Psychiatrie abgeschoben haben. Wir wollten Kyle gleich holen, allerdings können wir Dean dabei nicht wirklich gebrauchen“, antwortete Sam leicht genervt.

„Will aber mit!“, ließ der Blonde vernehmen.

„Nein Dean. Du musst doch auf Gus aufpassen. Der Piepser wird langsam flügge. Nicht dass er hier einfach so abhaut“, versuchte Sam ihn umzustimmen.

„Was ist flügge?“

„Wenn ein Kind groß geworden ist und die Eltern verlässt, um sein eigenes Leben zu leben.“

„Und wann bin ich flügge?“

‚Hoffentlich in wenigen Stunden’, dachte Bobby. Laut sagte er: „Das dauert noch ganz viele Jahre. Du willst doch erstmal in die Schule kommen.“ Zärtlich strich er ihm über die Wange und Dean schmiegte sich in die Berührung.

„Können Sie auf ihn aufpassen?“, wollte Sam jetzt noch einmal von der Psychologin wissen.

„Natürlich, gerne. Lassen Sie mich nur schnell ein paar Sachen aus meinem Auto holen und dann nehme ich auch gerne einen Kaffee“, antwortete sie lächelnd und verschwand wieder. Wenige Augenblicke später kam sie mit einer Kiste wieder.

„Was ist denn da alles drin?“, fragte der ältere Jäger interessiert.

„Sozusagen mein Notfallset. Einige Rollen Malpapier, kinderfreundliche Wassermalfarben, Backmischungen für Muffins und Kuchen, Kinderbücher, ein Teddy und ein paar Legobausteine.“

„Sie sind ja besser ausgerüstet als manche Tagesmutter!“

„Ich werde oft zu Unfällen, Bränden oder anderen derartigen Notfällen gerufen und habe die Erfahrung gemacht, dass Kinder beim Spielen, Malen oder gemeinsamen Backen besser auf die Ablenkung ansprechen und eher beginnen zu erzählen, als wenn sie auf einem Sessel sitzen sollen.“
 

Schnell hatten die Männer ihr Frühstück beendet.

„Hilfst du mir den Tisch abzuräumen?“, fragte Carol Dean, kaum dass Sam und Bobby sich erhoben.

„Will nich!“, antwortete der, mogelte sich an Sam vorbei, ging zu der Kiste und begann neugierig deren Inhalt zu untersuchen.

„Aber wir brauchen den Platz, um die Kiste auspacken zu können“, versuchte sie es erneut.

„Geht auch hier! Ich spiele sonst auch immer auf dem Boden.“

„Dean!“, ermahnte Sam seinen Bruder.

„Gus muss auch nicht abräumen!“

„Gus ist ein Vogel!“

„Will auch ein Vogel sein!“, schmollte der Blonde.

„Okay. Dann sperren wir dich jetzt in die Kleiderkammer und du bleibst da, bis wir wiederkommen.“ Er fasste Deans Handgelenk und zog ihn in Richtung Badezimmertür.

„Will nicht! Da ist dunkel!“

„Dann hilf mit den Tisch abräumen!“

Widerwillig nahm Dean einen Teller und trug ihn zur Küchenzeile, wo Bobby ihn schon mit einem Waschlappen erwartete, um ihm die Erdnussbutter aus dem Gesicht zu wischen. Dann verschwand auch er in seinem Zimmer und zog sich um.
 

„Was wollen wir denn gleich machen?“, fragte Carol den blonden Winchester.

„Weiß nich“, antwortete der und musterte die Frau skeptisch.

„Wie wäre es, wenn wir für heute Nachmittag Muffins backen? Oder möchtest du lieber malen? So richtig mit Wasserfarben?“

„Schlümpfe malen!“

„Okay“, antwortete sie. „Ich male vor und du malst sie aus?“

Dean legte den Kopf schief und schaute sie fragend an. Carol holte eine Rolle Papier und breitete sie auf dem Tisch aus.
 

Sam und Bobby betraten den Raum wieder.

„Sei lieb“, bat Sam seinen Bruder, „wir sind bald zurück.“

Dean nickte nur knapp und schaute der Psychologin dabei zu, wie sie mit flinken Pinselstrichen begann Papa Schlumpf auf das Papier zu malen.

„Dann los. Lass uns Dean holen“, sagte Bobby und ging zum Impala.
 

Eine knappe Stunde später parkte Bobby den Transporter vor der Klinik. Er drehte den Zündschlüssel und der Motor erstarb. Mit starrem Blick schaute er auf den Eingang des Gebäudes, das irgendwie bedrohlich wirkte.

Seine Hände ruhten auf dem Lenkrad und er versuchte zu ergründen, woher dieser Eindruck kam. War es, weil sie als Jäger mit ihrem Wissen immer irgendwie mit einem Bein in der Psychiatrie standen? Weil sie, wenn sie geschnappt wurden entweder hier oder im Knast landeten, wobei er nicht wusste, was die bessere Alternative war.

Auch Sam rührte sich nicht. Ihm gingen ähnliche Gedanken durch den Kopf. Doch dann drängte sich die Sorge um seinen Bruder vehement in den Vordergrund. Er atmete tief durch und öffnete die Beifahrertür.

Das schien für den Älteren wie ein Startschuss zu wirken. Auch er stieg aus.

Die Jäger rückten ihre Krawatten zurecht und marschierten auf den Eingang zu.
 

„Wem darf ich sie melden?“, knarrte die Stimme des Pförtners aus einem Lautsprecher, kaum dass sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte.

„Professor Sounders!“, erwiderte Bobby ruhig.

„Und wen darf ich melden?“

„Detectives White und Connor, Kinder- und Jugendschutz!“

„Und worum geht es bitte?“

„Das erklären wir dem Professor selbst!“

„Bitte warten sie einen Augenblick.“ Der Lautsprecher gab ein metallisches Knacken von sich und der Mann hinter der dicken Glasscheibe griff nach seinem Telefon.

Die Detectives sahen ihn nicken und den Hörer wieder auflegen, dann knackte der Lautsprecher erneut.

„Wenn sie mir ihre Ausweise bitte zeigen würden.“

Sam und Bobby legten die in ein Fach, das sich jetzt öffnete und schauten zu, wie die Ausweise im Inneren des Glaskastens verschwanden.

Der Mann prüfte die Papiere flüchtig und trug sie in ein Buch ein, das er ihnen danach mit ihren Ausweisen durch das Fach reichte.

„Bitte unterschreiben sie!“

Die Männer taten wie ihnen geheißen und gaben das Buch zurück. Gleich darauf öffnete sich eine Tür und eine dunkelhäutige, ältere Dame kam auf sie zu.

„Ich bin Mrs. Johnston, die Sekretärin von Professor Sounders. Bitte folgen sie mir.“

Sam ließ Bobby den Vortritt.
 

Die elegant gekleidete Dame führte sie ins erste Obergeschoss. Am Ende des Ganges prangte an einer Tür groß das Schild: Klinikleitung. Durch diese Tür wurden sie geführt.

Gleich gegenüber war eine weitere Tür, die von Innen mit Leder bespannt war.

Sam schluckte unbehaglich.

„Professor?“, fragte sie in den Raum.

„Schicken Sie sie durch, meine Liebe“, erklang eine Stimme und Mrs. Johnston machte eine Geste in den Raum hinein.

„Darf ich Ihnen einen Kaffee bringen?“, fragte sie noch.

„Nein, danke. Wir haben gerade erst gefrühstückt“, lehnte der Ältere freundlich ab. Sie würden wohl beide nicht runterbekommen. Er betrat das Büro des Professors und reichte ihm die Hand. Dann ließ er sich auf den letzten freien Stuhl vor dem wuchtigen Schreibtisch fallen.

„Schließen Sie bitte die Tür, Alexa“, bat der Professor noch und wartete bis die Tür ins Schloss gefallen war.

„Worum geht es?“, wollte er dann ruhig wissen.

„Wir sind hier wegen eines Kyle Railey. Er wurde vor etwa zwei Wochen bei ihnen eingeliefert.“

„Das ist richtig“, bestätigte Sounders.

„Wissen Sie über jeden Patienten so gut Bescheid?“

„Das ist mein Beruf. Aber der Junge ist auch etwas, sagen wir, Besonderes!“

„In wieweit?“, fragte Sam.

„Das geht Sie wohl kaum etwas an, oder?“

„Ich denke doch. Professor“, erwiderte Bobby. „Wir kommen extra aus Columbus hierher, um den Jungen abzuholen.“

„Und mit welchem Recht, wenn ich fragen darf!“

„Haben Sie den richterlichen Beschluss noch nicht erhalten?“, fragte Sam scharf.

„Das geht Sie zwar nicht unbedingt etwas an, aber ich will es ihnen trotzdem erklären“, fiel Bobby dem Jungen etwas ruhiger ins Wort. „Eine Tante des Jungen hat gegen diese, ihrer Meinung nach vollkommen willkürliche, Einweisung geklagt. Sie hat in einem Schnellurteil erwirkt, dass der Junge mindestens einem weiteren Psychologen vorgestellt werden muss.“

Der Professor blickte von Bobby zu Sam und wieder zurück zu Bobby.

„Mir liegt kein richterlicher Beschluss vor“, sagte er ruhig.

„Der sollte gestern Abend noch, spätestens aber heute Morgen als Erstes zu ihnen rausgehen.“

Der Professor drückte auf eine Taste seiner altertümlichen Sprechanlage.

„Alexa? Haben Sie einen richterlichen Beschluss auf den Tisch bekommen?“

„Ich habe noch keinen gesehen, aber unser Fax hatte heute Morgen auch wieder Probleme. Es kann durchaus sein, dass es noch nicht angekommen ist. Doch jetzt läuft es wieder. Er müsste also auch gleich kommen.“

„Bitte bringen Sie es sofort herein, wenn es da ist!“
 

„Was genau haben Sie bei dem Jungen diagnostiziert?“, begann Sam das Gespräch.

„Eine sehr ausgeprägte Schizophrenie.“

„Sie als Psychologieprofessor sollten eigentlich wissen, dass die bei Kindern in dem Alter aufgrund ihrer noch nicht ausreichend entwickelten Fähigkeiten nicht diagnostizierbar ist.“

„Da haben Sie durchaus Recht, aber wie würden sie so ausgeprägte Wahnvorstellungen sonst bezeichnen?“, wollte der Klinikleiter ungehalten wissen.

„Was für Wahnvorstellungen?“, hakte sich jetzt auch Bobby in das Gespräch ein.

Der Professor tippte auf seiner Tastatur und begann dann vorzulesen:

„Er hat immer wieder verlangt zu seinem Bruder gebracht zu werden. Wenn aber Rees, der ältere Bruder, dann vor ihm stand, hat er behauptet, dass der nicht sein Bruder wäre. Er hat Salz vor alle Türen und Fenster gestreut und behauptet es würde vor Geistern schützen. Er hat satanische Symbole auf Teppiche gezeichnet.“ Saunders drehte den Bildschirm so, dass die Herren vom Jugendamt die Bilder sehen konnten. Die henochischen Siegel waren mehr als dilettantisch und so ungenau, dass sie keinen Dämon gehalten hätten, aber trotzdem als solche erkennbar.

Bobby und Sam schauten sich betroffen an. Dean hatte wirklich versucht sich zu schützen. Aber er hatte sich entweder nicht richtig erinnern können oder den Körper nicht richtig unter Kontrolle. Allerdings fehlte ihm auch ein Teil seiner Seele, vielleicht machte das ja den Unterschied, denn Kyle kam mit und in Deans Körper sehr gut zurecht.

„Und als der Junge mit einem Messer vor dem Postboten gestanden hatte, haben sich die Eltern hilfesuchend an einen Psychologen gewandt und der hat ihn zu uns überwiesen.

Wir haben ihn hier auf Herz und Nieren geprüft. Er klagte über permanente starke Kopfschmerzen, sodass wir ihn auf diverse Medikamente einstellen mussten. Wir hatten gehofft, seine Wahnvorstellungen würden daher kommen, da ein Schädel-CT keinen Befund gezeigt hat.

Gestern hat er versucht zu fliehen und einen Pfleger angegriffen und verletzt. Wir mussten ihn sedieren.“

„Ein fünfjähriger Junge verletzt einen Pfleger?“, fragte Bobby ungläubig.

„Er hat aus dem Essenraum eine Gabel gestohlen und diese dem Pfleger in den Arm gerammt.“

Sam versuchte die Tränen, die sich immer vehementer in seine Augen drängten zu unterdrücken. Immer wieder schluckte er hart. Das Alles klang so sehr nach Dean, der verzweifelt versuchte mit einer Situation klar zu kommen, die ihn vollkommen überfordert haben musste. Und dann auch noch ständige Kopfschmerzen. Dean musste ja durchdrehen. Obwohl er das ja noch nicht einmal hatte, denn mit ihrem Wissen hatte er mehr als logisch reagiert.

Er musste sich zwingen seine Hände weiterhin entspannt in seinem Schoß liegen zu lassen und sie nicht zu Fäusten geballt in das Gesicht dieses Professors zu rammen.

Gerade als er glaubte diesen Kampf nicht länger gewinnen zu können, klopfte es an der Tür.

„Ich habe hier die richterliche Verfügung“, sagte Alexa und reichte sie an ihren Chef weiter, der sie sofort eingehend studierte.

Stillstand

187) Stillstand
 

Die Jäger tauschte einen Blick und beide konnten in den Augen des jeweils anderen erkennen, wie aufgewühlt dieser war und bei Sam kam noch eine Flut von Schuldgefühlen dazu, sich so viel Zeit gelassen zu haben.

Bobby versuchte den Jüngeren mit Blicken aufzumuntern. Sie würden Dean gleich einpacken und hier verschwinden können. Danach mussten sie nur noch das Ritual durchführen.

Sam versuchte zu nicken.

Sounders legte den Bescheid beiseite.

„Hier steht, dass sie das Kind mitnehmen werden.“

„Richtig!“

„Wie ich ihnen schon sagte, ist der Junge sediert. Ich glaube nicht, dass er heute noch ansprechbar sein wird“, erklärte der Professor ruhig.

Sam wollte auffahren, doch der Ältere kam ihm zuvor.

„Das ist kein Problem. Machen Sie uns bitte die Akte fertig und dann bringen Sie die mit dem Jungen zur Liegendeinfahrt. Wir haben einen passenden Wagen mit“, erklärte Bobby professionell ruhig.

„Trotzdem wäre es besser, wenn sie ihn erst morgen…“

„Das ist keine Option, Professor. Wir müssen heute Nachmittag noch im Fall eines misshandelten Mädchens aussagen. Außerdem hat unser Chef wegen diesem Reiley eh schon schlechte Laune. Die alte Tante muss ihm wohl mächtig zugesetzt haben. Wenn wir ohne den Jungen auftauchen, möchte ich nicht in Ihrer Haut stecken!“, sagte der alte Jäger noch immer ruhig aber schon deutlich drängender. „Aber wenn Sie durchaus Ihre Bedenken äußern wollen, können Sie gerne mit ihm reden.“ Er griff nach seinem Handy.

„Nein, nein. Ich denke, wenn Sie ihn liegend transportieren können, wird es wohl gehen.“ Professor Sounders gab sich geschlagen. Wieder drückte er eine Taste: „Dr. Mitchell? Bitte machen Sie mir die Akte dieses Reileys fertig und bringen Sie sie mir umgehend in mein Büro.“

Eigentlich war er froh, das Kind los zu sein, doch das konnte er ja wohl nicht zeigen. Außerdem hätte es ihm, wenn der Junge in seiner Klinik geheilt worden wäre, zu jeder Menge Ansehen verhelfen können. Das wäre ein interessanter Fall für die Medien gewesen.
 

Ein unangenehmes Schweigen breitete sich in dem Büro aus. Der Professor legte keinen Wert darauf mit der Staatsmacht zu plaudern und die beiden Jäger hingen ihren Gedanken nach, die sich vom Inhalt doch sehr glichen.

In welchem Zustand würden sie Deans Seele vorfinden? Wie lange würde diese Sedierung andauern? Wann konnten sie das Ritual durchführen? Würde es überhaupt klappen? Würden sie die Seelen wieder in ihren jeweiligen Körper bekommen? Und wie würde es Dean und Kyle danach gehen?

Jede Minute zog sich quälend in die Länge.
 

Endlich klopfte es an die Tür.

„Herein“, rief der Professor. Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme erleichtert klang. Er wollte diese Staatsbeamten nur noch loswerden und seiner normalen täglichen Betätigung nachgehen. Sollten die sich doch mit dem Jungen rumschlagen! Die würden schon sehen, dass der alles andere als ein harmloses fünfjähriges Kind war! Wenn er es nicht besser wüsste, würde er sagen, dass der Junge besessen war! Aber das war ja wohl unmöglich und außerdem gleich nicht mehr sein Problem!

Ein junger schmächtiger Arzt betrat das Büro und reichte seinem Chef eine Akte.

„Danke, Dr. Mitchell. Das war alles!“

Der Arzt verschwand wieder und Sounders blätterte kurz durch die wenigen Blätter, dann gab er sie an Bobby weiter.

„Fahren Sie um das Gebäude herum. Die Liegendanfahrt ist auf der Rückseite“, sagte der Professor und reichte erst Bobby dann Sam die Hand.
 

Schnell waren die Jäger wieder an der Pforte, wo sie einfach durchgewinkt wurden.

Erleichtert atmeten sie auf, als sie wieder in der warmen Frühlingssonne standen.

Mit ruhigen Schritten gingen sie zu ihrem Wagen und erst als die Türen hinter ihnen ins Schloss gefallen waren, ließen sie diese Erleichterung auch in ihren Gesichtern deutlich werden.

„Es ist noch nicht vorbei“, sagte der Ältere und startete den Wagen.

Sam nickte nur und begann in der Akte zu blättern, doch außer dem, was ihnen der Professor schon erzählt hatte und einer langen Liste mit Medikamenten war nichts darin.

Diese Liste wollte er an Carol weitergeben. Sie würde wissen, was wie lange wirkte und wann sie das Ritual durchführen konnten.
 

Die Jäger hatten den Van vor einem großen, eisernen Tor geparkt und warteten, an ihr Fahrzeug gelehnt, darauf, dass sie den Jungen in Empfang nehmen zu können.

Äußerlich betrachtet schienen die Männer eher gelangweilt zu sein, doch innerlich versuchten beide gegen ihre Gefühle anzukämpfen, die kurz vor einem Ausbruch standen.

Keiner sagte ein Wort oder wagte es auch nur, den anderen anzuschauen, aus Angst in dessen Augen die gleiche Bedenken zu lesen, die einen selbst plagten.

Endlich ging das Tor auf und gab einen Blick auf zwei weißgekleidete Männer frei, die eine Liege schoben.

Sam verspannte sich vor Wut.

„Setzt dich vorne rein. Du fährst!“, sagte Bobby ruhig.

„Was? Du kannst doch nicht…“, begehrte der Winchester wütend auf.

„Ich will nicht, dass wir uns noch in letzter Sekunde verraten, also beweg deinen Arsch hinter das Lenkrad“, knurrte der Ältere äußerlich noch immer ruhig und Sam gab sich zähneknirschend geschlagen. Bobby hatte ja Recht, trotzdem wollte er jetzt nichts lieber als seinen Bruder in die Arme schließen! Er holte tief Luft und ging zu Fahrertür, um einzusteigen.

Bobbys Blick glitt über den kleinen Körper, der auf der Liege festgeschnallt war.

Er kämpfte die Tränen nieder. Was hatten sie dem Jungen nur angetan?

„Hat er noch etwas bekommen?“, wollte er wissen und half den Pflegern die Gurte zu lösen.

„Keine Ahnung! Aber der Doc war bei ihm, als wir ihn holen kamen.“

„Alles klar. Danke!“, erwiderte der Ältere und hob den schmächtigen Körper hoch. Er trug ihn in den Van, legte ihn auf die Liege und befestigte sporadisch einen Gurt, bevor er die Türen schloss und Sam ein Zeichen gab loszufahren.

Sein Blick klebte förmlich am Gesicht des Jungen, um auch ja nicht die kleinste Regung zu verpassen. Doch das Kind rührte sich nicht. Bleich und mit geschlossenen Augen lag er da.

Bobbys Herz krampfte sich zusammen. Er wollte ihn anschreien oder schütteln, irgendetwas nur, um eine Reaktion zu bekommen.

„Was haben sie dir nur angetan?“, fragte er tonlos.

Sam ging es hinter dem Lenkrad nicht viel anders, nur dass er sich auch noch auf den Verkehr konzentrieren musste. Die Gedanken in seinem Kopf fuhren Achterbahn. Immer schlimmere Szenarien spielten sich in seinem Kopf ab. Hoffentlich waren sie bald am Impala! Unruhig rutschte er auf seinem Sitz hin und her. Jede Meile die er zurücklegte, schien die Strecke mindestens zu verzehnfachen. Immer wieder warf er einen Blick in den Rückspiegel, um vielleicht aus Bobbys Miene etwas herauslesen zu können.
 

Endlich sah er Deans schwarze Schönheit am Straßenrand stehen. Er parkte daneben und half dem Freund, Kyles kleinen Körper aus dem Van zu holen und auf die Rückbank des Impalas zu legen. Ohne ein weiteres Wort setzte er sich ebenfalls nach hinten. Er würde sich keinen Meter mehr von Deans Seele entfernen, egal was passierte.

Bobby hatte schon fast damit gerechnet. Er nahm es kommentarlos hin und beeilte sich den Van wieder zurückzugeben. Solange der Junge noch so stark sediert war, konnten sie eh nur warten. Außerdem wollte er so schnell wie möglich hier verschwinden, wenn das Ritual erfolgreich gewesen war.
 

„Wer ist das?“, fragte Dean neugierig und kam auf sie zu gerannt, kaum dass Bobby die Tür geöffnet und Sam hindurchgelassen hatte.

„Ein Freund.“

„Und warum trägst du den?“

„Weil er schläft.“

„Ist das ein Baby?“, bohrte Dean weiter.

„Nein, nicht ganz“, grinste der jüngere Winchester. Vorsichtig legte er den kleinen Körper auf die Couch und breitete eine Decke darüber aus.

„Warum schläft er?“

„Er ist krank, Dean.“

„Kann ich mit ihm spielen, wenn er wieder gesund ist?“ Die Freude auf einen Spielkameraden stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben.

„Lass ihn erstmal wach werden und dann schauen wir, ob ihr beiden euch mögt. Okay?“

„Bestimmt“, erklärte der Blonde mit dem Brustton der Überzeugung.

„Sind Sie mit ihm klargekommen?“, wollte Bobby jetzt von der Psychologin wissen.

„Wir haben Muffins gebacken und sie hat mir ein ganzes Schlumpfdorf gemalt!“, plapperte Dean dazwischen.

Carol lachte hell. „Abgesehen von seiner Größe ist er ein aufgeweckter fünfjähriger Junge.“ Sanft strich sie ihm über den Kopf, was ziemlich komisch aussah, da Dean locker einen Kopf größer war als sie.

„Erkennen Sie irgendetwas von ihrem Bruder in ihm?“, wollte sie dann vollkommen zusammenhanglos von Sam wissen.

„Nein. Seit Pamela den Teil von Deans Seele, der noch in seinem Körper ist, schlafen geschickt hat nicht mehr.“

„Und davor?“, fragte sie interessiert.

„Hin und wieder mal einen Blick. Aber ich bin mir da wirklich nicht mehr sicher.“ Er hielt ihr die Akte hin, die sie mitgebracht hatten. „Können Sie sich das mal anschauen und uns sagen, wie lange er noch schlafen wird?“

Und dann wandte er sich wieder seinem Bruder zu: „Ihr habt Muffins gebacken?“

„Jaha!“

„Sind davon denn noch welche da, oder sind sie schon alle, wie durch Zauberhand, in deinem Bauch verschwunden?“

„Gus hat einen geklaut!“

„Okay. Dann hast du also alle, bis auf einen aufgegessen?“, neckte Sam den Blonden, obwohl ihm eher zum Heulen war, weil sie nicht weiter kamen und schon wieder zum Warten verdammt waren. Doch dafür konnte der Kleine ja nichts.

„Hab garnich alle aufgegessen!“, maulte Dean und zog eine wundervolle Schmollschnute.

„Hat er wirklich nicht“, schaltete sich jetzt auch die Psychologin ein, „Wir haben sie nur vor dem Raubvogel in Sicherheit gebracht. Sie stehen in einem der Schränke.“

„Dann koch ich uns mal Kaffee“, meldete sich Bobby zu Wort. Er hatte sich in der Zwischenzeit schon umgezogen.

„Siehste! Ich hatte Recht!“, verkündete Dean mit stolzgeschwellter Brust.

Sam wuschelte ihm durch die Haare und verschwand in ihrem Zimmer, um sich ebenfalls seines Anzugs zu entledigen.

„Wie sieht es aus Doc?“, fragte er, als er den Raum wieder betrat.

„Er hat jede Menge Psychopharmaka bekommen. Das ist soweit in Ordnung, auch wenn ich die Dosierung recht hoch finde. Was mich allerdings wundert sind die Unmengen an Schmerzmitteln, die hier aufgeführt sind.“

„Und das heißt?“

„Sagen Sie es mir!“

„Wann wird er aufwachen?“, fragte der jüngere Winchester jetzt direkt.

„Wenn das stimmt, was hier eingetragen ist, müsste er eigentlich schon wieder wach sein. Aber jeder Körper reagiert anders auf die Medikation. Lassen wir ihm noch ein oder zwei Stunden Zeit!“, antwortete sie ruhig und kontrolliert Kyles Pupillenreaktion. Viel mehr konnte sie leider auch nicht tun, auch wenn sie es gerne gewollt hätte, sah sie doch wie sehr die Männer unter der Situation zu leiden schienen.

„Und was dann?“

„Warten wir erst einmal bis er wach ist, dann sehen wir weiter.“

Sam schluckte hart. Diese Antwort hatte er befürchtet. Er würde sich weiterhin in Geduld üben, auch wenn er seinen Bruder lieber jetzt als in zwei Stunden zurückhaben wollte. Schweren Herzens half er Bobby beim Tisch decken.

Das Ritual

188) Das Ritual
 

Die Minuten zogen sich wie Kaugummi.

Immer wieder wanderten die Blicke zu dem schlafenden Kind. Es fiel den Männern mehr als schwer sich auf Dean zu konzentrieren und mit ihm zu spielen. Schon die Muffins mussten sie sich mit einem mehr als verbissenen Lächeln durch den Hals zwingen, um Deans Werk genügend zu würdigen. Auch wenn sie wirklich lecker waren.

Und dann regte sich der kleine Körper auf der Couch. Sofort erstarrte Sam. Sein Blick heftete sich auf Kyle. Langsam näherte er sich ihm.

Ein leises Stöhnen entwich den schmalen Lippen.

Mit einem Satz kniete Sam neben der Couch.

„Dean?“, fragte er ganz leise. Seine Stimme zitterte. Was wenn es nicht Dean war? Was wenn er ihn nicht erkannte oder wenn sie zu spät waren?

Viel zu viele Fragen spukten durch seinen Kopf, auf die es jede Menge negative Antworten zu geben schien, aber kaum eine positive.

Es dauerte noch einmal quälend lange neun Minuten, ehe Kyle seine Augen öffnete und unruhig seine Umgebung absuchte.

„Dean?“, fragte Sam erneut.

Für einen Augenblick schaute Kyle ihn an und Sam bildete sich ein, so etwas wie Erkennen darin gesehen zu haben, doch dann huschten seine Augen, unfähig, einen Punkt länger als ein paar Sekunden zu fixieren, weiter durch den Raum.

„Dean, bitte! Schau mich an!“, bettelte der jüngere Winchester.

„Bin doch hier!“, meldete sich der Blonde zu Wort.

„Ich meine ihn“, sagte Sam mit erzwungener Ruhe. „Er heißt auch Dean.“

„Auch?“ Dean näherte sich ihm neugierig. Er stand auf und näherte sich der Couch zögerlich.

„Carol? Können Sie ihn beschäftigen, bis wir soweit sind?“

„Komm, Dean, wir wollten doch das Schlumpfdorf fertig malen“, sagte sie und nahm ihn an der Hand.

Sofort folgte er ihr. Das Schlumpfdorf war noch verlockender als ein Junge der zwar auch so hieß wie er aber nur auf dem Sofa rumlag.

Sam wandte sich wieder voll und ganz dem Jungen auf der Couch zu.

„Hey!“, versuchte er dessen Aufmerksamkeit erneut zu erlangen. Wieder fixierten ihn die Kinderaugen. Dieses Mal schien es seinem Bruder sogar für länger zu gelingen und das Erkennen darin war nicht nur eingebildet. Er hätte heulen können vor Freude.

„Dean! Wir haben ein Ritual gefunden, dass eure Seelen wieder in eure Körper bringt. Dazu musst du allerdings wach bleiben und wenn ich es dir sage, Kyles Hand so lange wie möglich festhalten. Schaffst du das?“

Der Junge versuchte ein Nicken, kniff aber sofort die Augen fest zu, so als hätte er wahnsinnige Schmerzen. Und schon wieder wollten sich die Tränen in seine Augen drängen. Was hatten sie Dean nur angetab?

„Okay. Halte durch! Es ist bald vorbei!“, versuchte Sam ihm Mut zu machen. Er wartete auf eine Reaktion, doch als der Junge die Augen erneut öffnete, huschten sie wieder unstet durch den Raum.

„Lass uns anfangen, Bobby!“

Routiniert begannen die Jäger das Ritual vorzubereiten.

„Carol?“, wandte sich Sam an die Frau. „Wenn wir angefangen haben, vermeiden Sie bitte jeden Körperkontakt zu ihm. Wir wollen nichts riskieren. Nicht das unsere Seelen auch noch lustig miteinander tauschen.“

Die Ärztin starrte ihn fragend an, schien einen Augenblick zu überlegen und nickte dann verstehend.

Gleich darauf begann Bobby den ersten Teil des Rituals vorzulesen.

Sam entzündete in einer Schale ein Feuer und stellte sich dann hinter den Freund. Zeile für Zeile las er den Text stumm mit und warf an den richtigen Stellen die jeweiligen Kräuter in das Feuer. Beißender Rauch verbreitete sich in dem Zimmer und reizte sie immer wieder zum Husten.
 

Mit stoischer Ruhe las Bobby Zeile für Zeile.

Sams Blick zuckte immer wieder kurz zu Kyle und Dean. Doch während der kleine Körper auf der Couch durch nichts erkennen ließ, dass etwas mit ihm passierte, wurde der Blonde immer fahriger. Unruhig rutschte er auf seinem Platz hin und her.

„Dean?“, sprach Sam ihn an, als Bobby sich dem Ende des vorletzten Absatzes näherte. Grüne Augen blickten ihn fragend an.

„Was hältst du davon wenn du ihm Hallo sagst?“

Dean nickte und tapste wie unter Zwang unsicher zur Couch.

„Gib ihm die Hand“, bat Sam leise und wunderte sich, wie gut das klappte. Doch er wollte hier nichts hinterfragen. Wenn er so seinen Bruder wiederbekam war es gut und richtig.

Zögernd streckte der ältere Winchester seine Hand aus. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis sich die Hände berührten.

Kyles kleine Hand schloss sich wie unter einen Krampf um die große. Ein Wimmern entrang sich Deans Kehle und er versuchte verzweifelt sich zu befreien, doch er hatte keine Chance.

Und dann erschien plötzlich ein Lichtball, der ihre Verbindung umschloss. Dieser Ball weitete sich aus. Er wuchs, bis er die beiden Körper einhüllte und dann fiel er so schnell wie er erschienen war wieder in sich zusammen und verschwand.

Dean brach in die Knie. Ein schmerzerfülltes Knurren entrang sich seiner Kehle und Bobby beeilte sich, den letzten Absatz der Formel zu sprechen.
 

Kaum war die letzte Silbe verklungen, schoss Sam um ihn herum und war mit zwei langen Schritten bei seinem Bruder. Der hatte während der letzten Worte die Arme um seinen Körper geschlungen, war zur Seite gekippt und hatte sich so fest wie möglich zusammengerollt. Noch versuchte er seine Schmerzensschreie zu unterdrücken, doch das würde er nicht mehr lange durchhalten. Sein Atmen wurde immer hektischer. Laut rasselnd kämpfte sich die Luft in seine Lungen.

Sam kniete sich hinter ihn und zog ihn auf seinen Schoß.

„Bobby! Die Spritze!“, forderte er laut und kämpfte darum Deans Hand soweit zu lösen, dass sie frei zugänglich war.

Der alte Freund kniete sich neben Sam. Schnell hatte er eine Vene an Deans Hand gefunden und injizierte einen kleinen Teil des Opioids. Dann legte er die Spritze neben den jüngeren Winchester und erhob sich, um nach Kyle zu schauen.

Der Junge lag mit geschlossenen Augen unter der Decke und atmete ruhig. Entweder ging es ihm wirklich gut, oder er hatte noch genügend Schmerzmittel im Körper und er entschied, dass Dean jetzt erst einmal wichtiger war.

Noch immer hielt Sam seinen Bruder in seinen Armen und redete beruhigend auf ihn ein.

Das Schmerzmittel schien seine Wirkung auch endlich zu entfalten. Dean begann sich langsam zu entspannen. Sofort machte sich der Jüngere an seiner Hose zu schaffen. Er öffnete Knopf und Reißverschluss und schob sie ihm soweit über den Hintern, dass er den bequem erreichen konnte.

Ohne den Blick von seinem Bruder zu nehmen tastete er nach der Spritze und injizierte, kaum dass er sie in der Hand hielt, den Rest des Schmerzmittels in Deans Hinterteil.

Er zog seinen Bruder wieder richtig an und drehte ihn so, dass er ihm ins Gesicht sehen konnte.

Noch waren Deans Augen geschlossen und seine Züge schmerzverzerrt.

„Hey, großer Bruder, komm schon. Schau mich an, bitte“, bettelte Sam leise. In seiner Stimme hielten sich Hoffnung und Angst die Waage. Hoffnung, endlich seinen großen Bruder wieder zu haben und Angst, dass das Ritual nicht funktioniert und Kyles Seele noch immer in dessen Körper war und sie ihm nur unnötig Schmerzen breitet hatten.

Unverwandt schaute er in Deans Gesicht. Endlich flatterten seine Lider und gaben den Blick auf trübe, unfokussierte grüne Augen frei.

Deans Blick irrte durch den Raum und kam nach einer Weile auf Sams Gesicht zur Ruhe. Seine Augen wurden klarer.

„Bist du okay, Sammy?“, wisperte der Blonde leise und trieb damit seinem kleinen Bruder die Tränen in die Augen.

„Gott sei Dank“, atmete Bobby erleichtert auf. Sein Junge war wieder da. Das zu wissen war das Wichtigste für ihn. Diese ersten Momente überließ er liebend gern den Brüdern und begann das Zimmer aufzuräumen.

„Es wird alles gut“, sagte er und lächelte die Psychologin an. „Sie können jetzt ohne Probleme zu ihm.“ Er beutete auf Kyle. Sie nickte und setzte sich neben den Jungen auf die Couch. Sanft strich sie ihm über die Wange und redete beruhigend auf ihn ein.

„Du bis so ein Idiot!“, schimpfte Sam schniefend.

„Mist … kerl“, antwortete der Blonde schleppend.

„Wie geht es dir? Und ich will nicht wieder hören: Ich bin okay! Okay?“

„Zerrissen … und in … die Müllpresse gestopft … falsch!“

Der Blonde verlor den Blickkontakt zu Sam. Seine Augen trübten sich langsam wieder ein und wanderten unstet durch den Raum. Immer wieder schlossen sich seine Lider und es kostetet ihn jedes Mal mehr Kraft sie wieder zu heben.

„Schlaf Dean! Es ist okay. Du bist in Sicherheit und ich bin bei dir. Ruh dich aus“, flüsterte Sam leise. Er atmete erleichtert auf, als er sah, wie sich Deans Augen schlossen und sich sein Körper kurz darauf sichtbar entspannte.

Mit seinem Bruder in den Armen erhob er sich und bettete ihn auf den Zweisitzer, der neben der Couch stand. Er holte eine Decke aus ihrem Schlafzimmer und deckte ihn zu.

Jetzt endlich schaute auch er nach Kyle.

„Wie geht es ihm?“, wollte er von der Psychologin wissen.

„Ich kann noch nicht viel sagen. Er ist eingeschlafen, ohne die Augen noch einmal zu öffnen. Aber er schläft vorerst ruhig. Ich denke, das ist ein sehr gutes Zeichen“, antwortete sie und ließ ihren Blick erneut über das Kind gleiten.
 

„Wir sollten hier so schnell wie möglich verschwinden“, gab Bobby zu bedenken.

„Sie werden Ihre Gründe haben, aber ich denke, dass es besser wäre, wenn die Beiden erst einmal wieder zu sich kommen würden“, sagte sie überlegend.

„Wir haben den Jungen aus der Klinik entführt. Irgendwann fällt das auf und bis dahin sollten wir so weit wie möglich von hier weg sein“, antwortete der ältere Jäger. „Der Rücktausch hat funktioniert. Dean ist wieder er selbst. Also gehe ich davon aus, dass auch Kyle wieder das Kind ist, das er sein sollte. Bleibt nur die Frage, wie wir das prüfen können.“

„Sind Sie sich sicher, dass er“, sie deutete auf Dean, „wieder normal ist?“

„Mehr als sicher. Seine ersten Worte galten dem Befinden seines Bruders. Das bringt nur er“, sagte Bobby ruhig. Die Psychologin überlegte eine Weile, dann blickte sie wieder zu den Jägern.

„Ich hatte mit Pamela abgesprochen, dass ich den Jungen mit zu mir nehme und ihn da ein paar Tage beobachte. Sie will in dieser Zeit auch noch kommen und sehen, was sie für ihn tun kann.

Wenn er halbwegs in Ordnung ist, werde ich mich mit seinen Eltern in Verbindung setzen und dann sehen wir weiter. Ich hatte nur angenommen, dass wir länger hier bleiben würden.“

„Nein. Es ist sicherer, wenn wir hier so schnell wie möglich verschwinden“, antwortete Bobby.

„Würden Sie mir helfen, ihn ins Auto zu tragen?“ fragte sie und griff nach ihrem Schlüssel. Der Mann hatte Recht. Wenn sie den Jungen wirklich entführt hatten, würde das auffallen und die halbe Staatsmacht nach ihnen suchen.

„Natürlich“ Sam nahm die Decke von dem Jungen. „Wollen Sie das Spielzeug mitnehmen, das wir hier für ihn haben?“

„Gerne. So hat er bei mir schon etwas Bekanntes.“

Während Bobby den Jungen nach draußen trug, sammelte Sam die wenigen Spielsachen ein, die im Zimmer verstreut lagen und half Carol, ihre Malsachen und die Papierbahnen wieder einzupacken. Wenig später verabschiedeten sie sich kurz mit der Bitte sich später auch nach dem Jungen erkundigen zu dürfen.
 

Sam ließ sich auf die Couch fallen. „Ist schon ein komisches Gefühl, Kyle einfach so wieder aus dem Leben verschwinden zu sehen“, sagte Sam mit leiser Wehmut in der Stimme. „Trotzdem bin ich mehr als froh, Dean wieder zu haben. Wann wollen wir los?“

„Ich denke, wir packen zusammen und machen uns auch auf den Weg. Ohne den Jungen sind wir zwar unverdächtig, aber ich denke, je eher Dean in ein Bett kommt, umso besser wird es für ihn sein.“

„Willst du durchfahren?“, fragte Sam.

„Dann sind wir heute Nacht da.“

Der Winchester nickte. „Was denkst du hat Dean mit zerrissen gemeint?“

„Pam sagte doch, dass ein Teil seiner Seele noch in seinem Körper geblieben war. Vielleicht hat er das gemeint?“

„Wahrscheinlich. Aber Wie in eine Presse gestopft?“

„Dazu wirst du ihn wohl selbst fragen müssen. Lass uns packen. Nachdenken können wir auch während der Fahrt.“
 

Schnell waren ihre Sachen im Impala verstaut und Sam und Bobby machten noch eine letzte Runde durch ihr Zimmer.

Gus kannte diese Anzeichen schon und deutete sie richtig. Er hüpfte in seine Transportbox.

„Was wird damit?“, fragte Bobby und hielt ihm die Feuerwehrautos hin, mit denen Dean gestern gespielt und die Sam ihm am Abend zum Putzen mit in die Wanne gegeben hatte. Er hatte sie auf den Wannenrand gestellt und vergessen.

„Wir nehmen sie mit. Dean wollte früher Feuerwehrmann werden. So hat er was als Deko für sein Zimmer“, sagte er und schloss das Fenster.

Unter der Couch schaute etwas Graues hervor. Er bückte sich und hob Caro auf. Auch sie hatten sie vergessen Kyle mitzugeben. Sie musste wohl irgendwie heruntergefallen sein.

Er packte ihn zusammen mit den Autos in den Kofferraum des Impalas und faltete sich dann auf dem Beifahrersitz zusammen. Gus‘ Box stand wie immer auf der Hutablage. So konnte der Vogel ein wenig von der Umgebung sehen.

Bobby startete den Motor und er warf noch einen Blick auf die Rückbank. Dean hatte sich noch nicht gerührt.

Zurück zu Bobby

189) Zurück zu Bobby
 

Sam blickte konzentriert auf die dunkle Straße vor sich. Er hatte gerade das Steuer von Bobby übernommen und wollte jetzt bis Sioux Falls durchfahren. Leise summte er eine Melodie vor sich hin.

Er zuckte merklich zusammen, als Deans Gesicht plötzlich bleich und verschwitzt im Rückspiegel auftauchte. Sofort lenkte er den Wagen auf den Seitenstreifen und stieg aus.

„Was wird das denn?“, wollte er leise wissen, kaum dass er die Tür geöffnet und neben seinem Bruder in die Hocke gegangen war.

„Ich…“, begann das Ältere schleppend und schaute seinen Bruder aus dunklen Augen an.

„Du hast Schmerzen!“, fiel Sam ihm ins Wort.

„Geht schon“, versuchte er zu beschwichtigen, doch gleichzeitig suchte er sich eine andere Sitzposition. Das schmerzverzerrte Gesicht, das Sam dabei zu sehen bekam, schimpfte seine Aussage Lügen.

„Du musst dich nicht quälen. Ich habe Tabletten und wenn du willst auch noch eine Spritze. Die wirkt noch schneller.“

Dean zögerte.

„Die Spritze hält nicht ewig“, grinste Sam, wusste er doch, dass Dean eine derartige Verschwendung nicht wirklich gut finden würde, und half seiner Entscheidung etwas nach. Der Blonde nickte.

Schnell hatte der Jüngere das Medikament aus dem kleinen Kühlpack in seinen Rucksack geholt, einen Teil in die Vene an Deans Handgelenk und den Rest seinem Bruder in den Oberschenkel verabreicht.

„Wo sind wir?“, wollte der wissen.

„Kurz vor Omaha auf dem Weg nach Sioux Falls.“

„Und warum ist Bobby hier?“

Sam schaute ihn erstaunt an. „Weil er uns geholfen hat?“

„War es doch nicht der Wang?“

„Wang?“, Sam starrte seinen Bruder fragend an.

„Der kopflose Reiter?“

„Doch es war Wang. Nick hat auf Grund der Aussage von Westwood, Lynch und Speight verhaften können. Dann haben sie die Knochen von Wang ausgegraben und wollten diese, nach der Obduktion, den Eltern übergeben. Aber das ist schon eine Weile her und du warst danach nicht mehr...“

„Eine Weile her?“ Deans Augen weiteten sich. „Und was ist danach passiert?“

„Du weißt es nicht?“

„Nein! Ich… Was hatte ich mir den eingefangen?“

„Eingefangen?“

„Naja, mir war bei dem Fall doch immer wieder so komisch! Ich dachte, ich krieg ´ne Erkältung.“

„Das war keine Erkältung!“, versuchte Sam so ruhig wie möglich zu erklären.

„Aber was…?“

„Du kannst dich an nichts erinnern?“ Sams Herz klopfte immer stärker gegen seinen Brustkorb und ein dicker Klos schnürte ihm die Luft ab.

„Weiß nich“, nuschelte der Blonde und erinnerte Sam so unwissentlich an den kleinen Jungen, der er noch vor wenigen Stunden gewesen war.

Der Jüngere schluckte hart, während der Ältere versuchte gegen die immer stärker werdende Müdigkeit anzukämpfen.

„Schlaf, Dean! Wir reden wenn es dir besser geht“, sagte Sam mit bemüht leiser Stimme.

Der Blonde nickte kurz. Die Schmerzen verblassten immer mehr und seine Lider schienen Tonnen zu wiegen. Es wurde immer schwerer, sie wieder zu öffnen.

„Schlaf“, bat Sam noch einmal leise.

Von Dean gab es nur noch ein müdes Brummeln, dann entspannte er sich und Sam drückte ihn wieder in die Waagerechte. Mit wenigen Handgriffen zog er die Decke über ihn und ging danach wieder nach vorn. Bobby blinzelte ihn müde an, als er sich hinter das Lenkrad hatte fallen lassen.

„Dean war wach. Ich hab ihm noch eine Spritze gegeben“, informierte Sam ihn kurz. Auch der Ältere brummelte etwas Unverständliches und schlief dann ruhig weiter.

Der Jüngere blickte noch einmal in den Rückspiegel und starrte dann in die Dunkelheit vor sich.

Dean hatte keine Erinnerungen an die letzten Wochen! Hatte er wirklich keine Erinnerungen an die Zeit, oder konnte er sich nur jetzt nicht daran erinnern?

Er wusste nicht, was er sich für seinen Bruder wünschen sollte, denn die Seele seines Bruders war in einem Kinderkörper gefangen gewesen. Wenn, dann müsste er sich wohl oder übel ja an die Zeit da erinnern und die war wohl alles andere als schön gewesen, unverstanden und von wahnsinnigen Schmerzen gequält.

Oder waren seine Erinnerungen mit dem Stückchen Seele verbunden, das noch in seinem Körper verblieben war? Immerhin konnte er sich an den Fall erinnern. Zumindest so lange, bis Kyles Seele die Kontrolle über seinen Körper übernommen hatte. Um das zu klären, würde mit seinem Bruder reden müssen, wenn es dem wieder gut ging und der dann reden wollte.

Aber vielleicht war es auch ganz gut, wenn Dean sich nicht erinnerte? Weder die Zeit bei ihm war wirklich etwas woran man sich gerne erinnerte, noch der Aufenthalt in der Psychiatrie.

Noch einmal blickte Sam zu seinem Bruder, dann startete er den Wagen und brachte sie wieder auf den Weg nach Sioux Falls.
 

Erleichtert atmete der jüngere Winchester auf, als er den Wagen auf Bobbys Schrottplatz lenkte. Er drehte den Zündschlüssel und der Motor erstarb. Sofort drehte er sich zu seinem Bruder um, der friedlich schlief, dann steig er aus.

Steifbeinig verließ auch Bobby den Wagen und schaute Sam dabei zu, wie er sich ausgiebig streckte.

Sie hatten es endlich geschafft. Er blickte auf die Uhr.

„Willst du einen Kaffee?“, fragte er rau.

„Lieber ein Bier, zum Runterkommen. Aber vorher bringe ich Dean und unsere Sachen rein.“

„Brauchst du Hilfe?“

„Bei Dean nicht. Den kann ich so tragen. Bin ja jetzt gut in Übung“, grinste er bitter und zog den Blonden vorsichtig aus dem Wagen. „Aber wenn du unsere Taschen mitbringen würdest?“

Unter leisem Ächzen brachte er seinen Bruder nach oben. Er ließ ihn auf das Bett gleiten und atmete erleichtert auf. Schnell hatte er ihn ausgezogen und unter die Decke gesteckt.
 

„Was, wenn er sich an nichts von dem erinnern kann“, wollte Sam plötzlich vollkommen zusammenhanglos wissen, als er wenig später in der Küche stand und einen tiefen Zug aus der Flasche nahm.

„Wäre vielleicht besser“, antwortete der Ältere nach einer ganzen Weile.

„Ja, das habe ich mir auch schon gedacht. Aber meinst du nicht, dass wir es ihm vielleicht erzählen sollten? Ich meine, vielleicht kommen die Erinnerungen wieder, und dann?“

„Dann kann er immer noch fragen.“

„Du kennst Dean. Er wird es eher in sich rein fressen, als zu fragen.“

„Wir sollten uns dazu Gedanken machen, wenn es soweit ist“, antwortete der Ältere gähnend und trank sein Bier aus. „Ich geh ins Bett und du solltest auch schlafen gehen“, sagte er und verließ die Küche.

„Gute Nacht“, sagte Sam und leerte ebenfalls seine Flasche.
 

Langsam kehrte das Bewusstsein in ihn zurück. Er lag auf dem Bauch in einem Bett. Mit geschlossenen Augen lauschte er auf die leisen Geräusche um ihn herum. Es rauschte und über ihm knackte es leise im Gebälk. Er horchte auf. Das kam ihm bekannt vor. Dean öffnete die Augen. Er lag in seinem Zimmer in Bobbys Haus. Wie war er hierher gekommen? Träge rollte er sich auf die Seite und versuchte sich aufzusetzen. Sein Körper schmerzte wie bei einem heftigen Muskelkater. Was war passiert? Langsam schaute er sich in seinem Zimmer um. Auf dem Nachttisch stand eine Flasche Wasser und daneben lagen Aspirin und diese Hammertabletten, die ihn immer wieder für Stunden aus dem Verkehr zogen. So wie er sich fühlte, würde er lieber die nehmen, aber durfte er das? Sein Blick glitt weiter. Auf dem Regal über seinem Schreibtisch standen ein Feuerwehrtruck und ein Pick-up und auf der kleinen Couch gegenüber seinem Bett saß ein Plüschesel mit Latzhose und Ballonmütze. ‚Caro’, schlich sich ein Name in sein Gedächtnis. Wollte er jetzt wissen, was es damit auf sich hatte? Wollte er sich jetzt damit auseinandersetzen? Kaum merklich schüttelte er den Kopf. Die Schmerzen in seinem Körper wurden langsam stärker und die Leere in seinem Kopf ließ auch den unangenehm pochen. Er nahm die Hammertablette und spülte sie mit genügend Wasser herunter, dann ließ er sich wieder in Waagerechte fallen. Mit einem Lächeln driftete er zurück in die schmerzfreie Dunkelheit.
 

Leise öffnete Sam die Tür zu Deans Zimmer. Die Neugier hatte ihn schon den ganzen Tag immer wieder in den oberen Flur getrieben, doch er hatte sich bis jetzt beherrschen können und war nicht einfach so in das Zimmer geplatzt. Doch nun hielt er es nicht mehr aus.

Sein Bruder lag unter den Decken vergraben, also ging er um das Bett herum.

Sofort musterte er den Nachttisch. Dean war wach gewesen und er hatte eine Tablette genommen.

Erleichterung und Sorge machten sich in ihm breit. Sein Bruder war wach gewesen und hatte eine der Hammertabletten geschluckt, das hieß immerhin, dass er nicht den starken Mann spielte und dass er wohl auch wusste, was er tat. Auf der anderen Seite aber, zeigte das auch, dass Dean noch immer starke Schmerzen haben musste, denn sonst hätte er höchstens die Aspirin geschluckt.

Sams Blick wanderte über das Bett und blieb an Deans Gesicht hängen. Sein Bruder schlief tief und fest und er sah entspannt aus. Das Schönste aber war, dass er auf dem Bauch lag, bewies es ihm doch wieder ein Bisschen deutlicher, dass er wieder der Alte war.

Trotzdem wünschte er sich nichts sehnlicher, dass sein Großer endlich wach wurde.

Für ein paar Minuten konnte er sich noch in dem Zimmer beschäftigen, ohne wie ein Trottel nur dazustehen und auf den Schlafenden zu schauen.

Mit leisem Bedauern nahm er die restliche Schmutzwäsche und ging nach unten.
 

Dean öffnete träge seine Augen und blickte zum Fenster. Draußen war es immer noch oder schon wieder hell. So wie er die Reaktion seines Körpers auf die Tablette kannte, eher schon wieder.

Er streckte sich vorsichtig. Es ging ganz gut, trotzdem fühlte er sich noch immer wie zerschlagen, so als hätte ihn jemand innerlich filetiert und dann wieder zusammengesetzt.

Was war nur passiert? Zögerlich setzte sich auf und rieb sich den Schlaf aus dem Gesicht. Sein Blick glitt zu seinem Nachttisch, auf dem wieder ein volles Glas Wasser stand und auch die fehlende Tablette hatte jemand ersetzt. Für einen Moment war er versucht die nächste zu schlucken und sich wieder dem schmerzlosen Vergessen zu überlassen. Aber er wollte auch wissen, was passiert war. Warum tat ihm alles weh? Was hatte der Geist mit ihm gemacht? Hatte der ihn so durch die Mangel gedreht? War es überhaupt ein Geist gewesen oder hatte er sich doch eine Krankheit eingefangen, die ihm so zugesetzt hatte? Langsam zog er sich an und ging dann nach unten.
 

„Hey“, grüßte er leise, als er die Küche betrat. Sein Blick wanderte durch den Raum, er registrierte die offenstehende Tür, so warm war es doch gar nicht, und glitt weiter über den Tisch. ‚Frühstück’, entschied er für sich und ließ sich auf einen Stuhl fallen.

Die beiden Jäger starrten ihn an, als hätten sie eine Erscheinung.

„Bekomme ich auch was?“, wollte er ruhig wissen.

„Klar!“, platzte Sam hervor und sprang auf um Geschirr und Besteck zu holen und seinem Bruder dann eine Portion Rühreier mit Speck und gebackenen Bohnen zu machen

„Wie geht es dir?“, fragte er, kaum dass der leere Teller vor Dean stand.

„Ich weiß nicht! Wie sollte es mir gehen?“

„Du musst doch wissen, wie... Hast du Schmerzen? Woran kannst du dich erinnern? Wie fühlst du dich? Und bitte speise uns nicht mit „ich bin okay“ ab, okay?“, drängte Sam während er die Zutaten verrührte.

„Ich …“, der Blonde schüttelte den Kopf. Grübelnd zog er die Augenbrauen zusammen. Wovon redete sein Bruder? „Wieso? Was heißt: Woran erinnerst du dich?“

„Dean, du musst doch irgendetwas wissen! Du kannst doch nicht alles…?“

„Was ist das Letzte woran du dich erinnerst?“, unterbrach Bobby Sams Redefluss und zog die Aufmerksamkeit des Blonden auf sich.

„Warum?“, fragte der irritiert, doch die beiden Jäger schauten ihn nur weiter fragend an.

„Wir haben den Kopf gefunden und uns über Hamlet unterhalten“, antwortete er nach einer Weile, nur um dann gleich noch eine Frage loszuwerden: „Was hat der Geist mit mir gemacht? Ich meine, immerhin fehlen mir mindestens drei Tage und da du“, er blickte zu Sam, „mich mit diesen Hammertabletten fütterst, die du immer nur rausrückst, wenn es mir echt beschissen geht und du mich komplett aus dem Verkehr ziehen willst, scheint es was Ernsteres gewesen zu sein.

Was hab ich mir eingefangen? Ich dachte es wäre eine Erkältung, aber das war es wohl nicht! Irgendeine Kinderkrankheit, die ich noch nicht hatte? Kamen meine Kopfschmerzen daher? Wie lange war ich weg? Ihr mustert mich als sei ich von den Toten auferstanden!“

Die beiden anderen tauschen verwundert einen Blick. Diesen Redefluss waren sie von dem älteren Winchester nicht gewohnt.

„Sagt mir nicht, dass der Geist mich getötet hat und ihr einen Pakt geschlossen habt, um mich zurückzuholen!“

Zu viele Informationen

190) Zu viel Informationen
 

„Nein. Das haben wir nicht. Wir haben dich nicht durch einen Pakt zurückgeholt.

Es ist kompliziert“, wiegelte Sam schnell ab. Zu schnell wie Dean fand. Doch bevor er aufbegehren konnte, unterbrach ihn sein Bruder.

„Ich werde dir alles erklären!“ Wieder tauschte er einen Blick mit Bobby, der aufstand und den Platz am Herd mit dem Jüngeren tauschte. Sam hatte bisher lediglich die Zutaten zusammengerührt und Fett in die Pfanne getan, das jetzt begann Rauchzeichen zu geben.

Der Jüngere holte sich eine weitere Tasse Kaffee und setzte sich neben den Blonden.

„Aber bevor ich das tue, möchte ich dass du mir eine Frage beantwortest. Wie geht es dir? Und ich will nicht wieder deine übliche Floskel hören!“

Dean überlegte einen Augenblick bevor er Sam in die Augen schaute und sagte: „Zerschlagen, so als hätte jemand mich ausgelöst und wieder reingestopft.“

„Und du erinnerst dich an nichts?“

„Sam! Was soll die Fragestunde? Du wolltest mir…“

„Bitte Dean!“

Der ältere Winchester verdrehte die Augen und starrte schweigend in seinen Kaffee, als könnte er die Antwort im Kaffeesatz finden.

Bobby stellte ihm sein Frühstück vor die Nase und riss ihn aus seinen Grübeleien. Er erinnerte sich an nichts, außer an Gefühle. An Gefühle, die er nicht gefühlt haben sollte, und das war doch unmöglich oder?

„Nichts was ich zuordnen könnte. Aber vielleicht erklärt ihr mir ja endlich mal, warum ich plötzlich Lego-Autos und einen Plüschesel in meinem Zimmer habe“, antwortete er leise aber eindringlich, bevor er begann den Teller langsam zu leeren.

„Das hängt alles zusammen“, sagte Sam.

„Okay. Und wie?“

Zuerst einmal: Dir fehlen nicht nur drei Tage. Es sind vier Wochen.“

„Was? Vier Wochen? Was ist passiert?“ Dem Blonde war der Hunger vergangen.

„Erinnerst du dich an einen kleinen Jungen in dem Diner in Grady? Den mit dem Flugzeug?“, begann Sam seine Erzählung umständlich.

„Was hat das denn mit der mir fehlenden Zeit zu tun?“

„Die deVendt hat irgendetwas mit dir gemacht. Etwas ist mit dir in dem Keller passiert. Ein Fluch, ein Zauberspruch. Erinnerst du dich an etwas?“

„Der Kugelblitz“, platzte der ältere Winchester plötzlich hervor. „Keine Ahnung was es genau war, es sah zumindest so aus, ein Zauberspruch vermutlich. Sie wollte dich damit treffen.

Ich hatte das Ding beim ersten Mal abwehren können. Es ist in einer Glaskugel gelandet.

Aber als sie starb brach der Altar zusammen und die Kugel zersprang in tausend Stücke, als sie auf dem Boden landete. Das Leuchtding ist wieder wie ein Irwisch durch den Raum geschossen.“

„Und das Teil hat dich getroffen“, unterbrach Sam seinen Bruder.

„Ich musste dich doch schützen!“

Sam holte tief Luft und verdrehte die Augen. Er würde seinen Bruder wohl nicht mehr ändern können. In dieser Richtung hatte ihr Dad ganze Arbeit geleistet. Außerdem hatte er jetzt ein gleich doppelt schlechtes Gewissen. Einerseits hatte Dean ihn zum gefühlt tausendsten Mal gerettet und das nur, weil er mal wieder einfach weggelaufen war, statt sich der Probleme direkt zu stellen und andererseits, weil er sich gewünscht hatte, er wäre an Deans Stelle zum Kind geworden.

Wie hatte er nur solche Gedanken haben können!

„Und was hatte das mit dem Jungen zu tun?“, unterbrach der Blonde seine trüben Gedanken.

„Der Zauberspruch hat bewirkt, dass du mit ihm die Seele getauscht hast.“

„Ich hab was?“

„Hier kann ich wieder nur vermuten: Der größte Teil deiner Seele war in dem Jungen und seine komplette Seele in dir.“

„Der größte Teil?“

„Ja. Ein kleiner Teil deiner Seele ist in deinem Körper geblieben.

Vielleicht war die Zeit zu kurz, damit deine ganze Seele wandern konnte? Vielleicht sind die Seelen von Erwachsenen größer als die von Kindern. Oder fester mit ihrem Körper verbunden. Keine Ahnung.

Ich vermute, du hast ihn irgendwie berührt. Zumindest haben wir dich damit zurückgeholt, indem du ihn wieder berührt hast, und mit einem Ritual und jeder Menge verbrannter Kräuter.“

„Aber dann hätte ich doch sofort anders sein müssen und nicht erst nach Tagen!“, versuchte sich der Blonde gegen das Unglaubliche zu wehren.

„Ein kleiner Teil deiner Seele war ja noch in dir und die des Jungen möglicherweise so vollkommen verwirrt, dass du deinen Körper noch weiter steuern konntest, bis er soweit war, die Kontrolle zu übernehmen“, versuchte Bobby zu erklären.

„Und was …“, der Blonde wusste nicht, ob ihn das wirklich interessierte.

Bevor er eine Antwort bekam, kam eine Krähe durch die offene Tür geflogen und landete auf dem Tisch. Neugierig beäugte sie das Essen auf seinem Teller.

„Gus Hunger!“, erklärte sie krächzend und hopste näher an Deans Teller heran.

Hilfesuchend blickte der ältere Winchester zu Sam und Bobby.

„Du hattest schon, außerdem bist du inzwischen groß genug, um dir selbst dein Futter zu suchen“, erklärte der Hausherr, schnitt aber trotzdem einen Apfel klein und verfütterte die Stücke an den Vogel.

„Was … ist … das?“, wollte Dean irritiert wissen.

„Gus? Eine Krähe. Den hast du angeschleppt“, sagte Sam und musste sich das Lachen verkneifen. Deans leicht panischer Blick war einfach herrlich.

„Ich hab was?“

Der jüngere Winchester begann zu berichten, was sich in den letzten Wochen zugetragen hatte.
 

„Ich … Mir ist übel. Ich brauch frische Luft! Ich muss hier raus“, keuchte der Blonde, nachdem ihm Bobby auch noch erzählt hatte, was in der Akte aus der Psychiatrie über ihn, oder eher seine Seele, gestanden hatte.

Er stemmte sich mühsam in die Höhe und stolperte aus dem Haus. Das waren einfach viel zu viele Informationen, die er eigentlich nie hatte haben wollen, selbst wenn er jetzt die Gefühle an die er sich erinnerte, irgendwie zuordnen konnte.
 

„Ich glaube, wir hätten ihm vielleicht nicht alles so geballt auftischen sollen“, überlegte Sam und blickte zur Tür.

„Lass ihm Zeit, er wird es schon überstehen und zur Not hab ich noch das eine oder andere Auto für ihn.“

„Trotzdem hätten wir es vielleicht nicht alles jetzt erzählen sollen. Das war wirklich heftig.“

„Und wie wolltest du es dann machen? Alles häppchenweise? Heute was und morgen und vielleicht in drei Tagen noch was? Er wäre sich doch nie sicher wann wir wieder etwas auspacken.

Jetzt kann er es in Ruhe verarbeiten. Lass ihm bis zum nächsten Essen Zeit, dann kommt er schon wieder rein und morgen ist die Welt wieder in Ordnung.“

Sam zuckte mit den Schultern. Der alte Freund hatte wohl Recht. Er würde seinem Bruder nachher einen Kaffee bringen und noch mal mit ihm reden, falls der davon nicht für die nächsten Wochen genug hätte, oder geflüchtet war.
 

Langsam ging er mit einer großen Tasse Kaffee in der Hand durch die Reihen der Wracks und suchte seinen Bruder. Er fand ihn hinter dem Schuppen.

Ohne ein Wort setzte er sich zu ihm und hielt ihm die Tasse hin.

„Vorsichtig, der ist heiß“, erklärte er eindringlich. „Erst pusten!“

Irritiert schaute Dean ihn von der Seite an. Ohne eine Antwort nahm er den Kaffee entgegen.

Schweigend inhalierte er das Aroma und nahm einen Schluck.

„Ah! Heiß“, keuchte er.

„Dean! Ich hab gesagt, du sollst er pusten. Warum kannst du nicht einfach mal hören?“, fragte der Jüngere frustriert.

„Sam? Ich bin erwachsen!“

„Ich weiß, aber...“

„Ich bin dir ja wirklich dankbar, dass du auf mich... meinen Körper aufgepasst hast, aber jetzt bin ich wieder da und ICH würde gerne in Ruhe über all das nachdenken und es dann möglichst schnell wieder vergessen!“

„Du bist mir dankbar, dass ich auf deinen Körper aufgepasst hab und du willst das alles wieder vergessen? Dean, ich hab mich um dich gekümmert!“

„Ich... ich...?“

„Du … du hast dich wie ein fünfjähriges Kind benommen.“

„Soweit ich dich verstanden habe, war genau das in meinem Körper. Also was willst du hören? Soll ich mich in aller Form bei dir bedanken? Soll ich auf die Knie gehen vor dir, oh großartiger Sam?“, fragte der Blonde zynisch. Er wollte doch nur seine Ruhe! Warum musste sein Bruder immer reden wollen? Warum konnte er nicht einmal etwas auf sich beruhen lassen?

Er brauchte einfach Zeit um nachdenken zu können und um alles zu verarbeiten. Er musste seine Schutzwälle wieder aufbauen, hinter denen er seine Gefühle verstecken konnte.

Er hatte nie gewollt, dass irgendwer außer Mom auf ihn aufpasste und die war ihm genommen worden.

Und nicht nur das er so lebte, jetzt hatte er auch noch ein kleines Kind mit in diesen Strudel hineingezogen! Wer wusste denn schon, ob der Junge je wieder normal lachen und spielen könnte?

„Ich meine doch nur...“ Verdammt das Gespräch lief ja in eine vollkommen andere Richtung als Sam geplant hatte. Er hatte ihn beruhigen wollen, aber jetzt?

„Hast du dich je bei mir bedankt, dass ich dich großgezogen habe?“ Nur zu gerne ließ der Ältere sich von den Gefühlen aus Wut und Scham mitreißen, die das Gehörte in ihm ausgelöst hatten, und die er auf sich und die Welt hatte. Es war nicht fair die jetzt an Sam auszulassen. Der konnte nun wirklich nichts dafür. Warum war er hier nur aufgetaucht?

„Es tut mir leid“, sagte er, bevor der Jüngere antworten konnte. „Ich hätte das nicht sagen dürfen. Bitte, ich möchte einfach nur hier sitzen, okay?“

Sam nickte und stand auf. Das hier war ja mal wieder vollkommen nach hinten losgegangen! Wortlos verschwand er aus Deans Blickfeld.

„Danke!“, sagte Dean kaum hörbar.

Doch der Jüngere hatte es trotzdem gehört und er fühlte sich jetzt nur noch mieser.

Was sollte er nur tun? Sich entschuldigen? Aber Dean wollte seine Ruhe und die sollte er ihm auch erst einmal lassen. Er ging zur Veranda und setzte sich auf die knarrenden Stufen und hoffte, dass der Hunger seinen Großen wieder ins Haus trieb.
 

Bobby stand in der Küche, um das Abendessen vorzubereiten, als er den Impala vom Hof fahren hörte. Kurz darauf kam Sam wieder ins Haus und ließ sich frustriert auf einen Stuhl fallen.

„Ich bin ein Idiot“, stöhnte Sam frustriert.

Bobby drehte sich zum Kühlschrank um, konnte er doch so das Grinsen verbergen, dass sich in sein Gesicht geschlichen hatte. Er erinnerte sich noch gut an ein Gespräch ähnlicher Natur, dass sie vor einem knappen Jahr geführt hatten. Er nahm zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank, reichte eine davon an Sam weiter und setzte sich neben ihn.

„Was hast du jetzt wieder angestellt?“, fragte er.

„Ich wollte noch mal mit Dean reden. Aber wir haben uns gestritten.

Okay, vielleicht hab ich ihn etwas gedrängt“, bekannte der Jüngere geknickt.

„Vielleicht?“, brummte Bobby ungehalten. „Nur vielleicht?“

„Naja, ich…“

„Sam! Du bist ein Idiot!“

„Aber ich wollte doch nur…“

„Wann wollte dein Bruder je über Gefühle, Erinnerungen oder Ereignisse, die ihn zutiefst verunsichert haben, reden?“

„Noch nie?“

„Und warum sollte er es dann heute tun?“

„Naja, ich dachte, vielleicht…“

„Nein, Sam. Du hast eben nicht gedacht! Der kleine Dean, der deine Nähe gesucht hat, wenn er Angst hatte oder nicht weiter wusste, ist nicht mehr. Du hast deinen großen Bruder zurück haben wollen und du hast ihn bekommen. Jetzt musst du auch wieder mit ihm und der Tatsache leben, der kleine Bruder zu sein. Er hat sich nicht geändert, nur weil du dir das vielleicht wünschst.“

Sam ließ den Kopf hängen.

„Hat er was gesagt, bevor er in den Impala gesprungen und von Hof gerast ist?“

„Ich weiß nicht. Ich hab ihn gleich nach unserem Streit allein gelassen und mich auf die Treppe gesetzt. Ich dachte vielleicht kommt er ja.“

„Er wird in irgendeine Bar fahren und sich die Kante geben. Lassen wir ihn. Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus. Hilfst du mir beim Abendbrot?“

„Aber wenn ihm was passiert? Er ist doch noch nicht wieder der Alte und…“

„Sam! Hör auf die Glucke zu spielen. Das steht dir nicht! Dean ist erwachsen und wenn er seine Ruhe haben will, dann sollten wir ihm nicht hinterherlaufen. Er wird schon wiederkommen.“

„Und wenn nicht?“

„Wie alt bist du?“

Der Winchester atmete tief durch: „Du hast ja Recht. Es ist aber trotzdem schwer! Ich meine, ich hab ihn doch gerade erst wieder.“

„Und genau deshalb lässt du ihn jetzt tun, was auch immer er tun will und wirst morgen ganz normal mit Aspirin und einer Flasche Wasser für ihn da sein. Danach wird alles wieder wie vorher und ihr werdet euch schon bald wieder auf den Geist gehen.“

„Dein Wort in Gottes Ohr“, nuschelte der Jüngere.

Beschäftigungstherapie

191) Beschäftigungstherapie
 

Dean trieb seine schwarze Schönheit über die Straßen. Er hatte die Musik bis zum Anschlag aufgedreht und versuchte sich auf die Straße zu konzentrieren. Auf keinen Fall wollte er jetzt denken! Das hatte er schon den ganzen Tag getan und war zu keinem Ergebnis gekommen außer, dass er sich noch mieser fühlte.

Links neben der Straße tauchte das Hinweisschild einer Bar auf und er überlegte, ob er sich nicht einfach die Kante geben und hoffen sollte, dass er die Nacht schlafen konnte. Morgen sah die Welt dann bestimmt schon wieder anders aus.

Er rauschte an der Bar vorbei.

Verwundert senkte er den Blick auf den Tacho und nahm den Fuß vom Gas. Ganz so schnell sollte er dann doch nicht unterwegs sein, sonst würde er den Abend in einer Zelle und nicht in einer Bar beenden und ihm stand der Sinn wesentlich mehr nach jeder Menge Alkohol als nach gesiebter Luft.
 

Schon bald wies ein weiteres Schild auf die nächste Bar hin und Dean nahm den Fuß vom Gas.

Er lenkte sein Baby auf den Parkplatz und betrat den nur spärlich beleuchteten Raum.

Sein Blick wanderte über die Besucher und blieb an der etwas älteren, dennoch attraktiven Barkeeperin hängen.

In der hintersten Ecke der Theke fand er noch einen freien Platz und ließ sich dort nieder, nicht gewillt hier nüchtern oder ohne Begleitung wieder zu verschwinden.

„Wer Sorgen hat, braucht auch Likör?“, fragte die Barkeeperin und musterte den jungen Mann interessiert. Er sah gut aus und war hoffentlich auch kein Kind von Traurigkeit.

„Ich hätte lieber etwas Härteres und ein Bier“, bestellte er und kippte, kaum dass das Glas vor ihm stand den ersten Whiskey hinunter.

„Noch einen!“

„Ich wüsste eine bessere Art, um zu vergessen“, lächelte sie und füllte sein Glas wieder auf.

„Und wann?“

„Je nachdem, wann der letzte Gast geht und wir schließen.“

„So lange kann ich nicht warten, ohne vorher Amok zu laufen“, erwiderte er mit einem traurigen Lächeln und kippte auch den zweiten Whiskey hinunter. Noch fühlte er das warme Brennen in seiner Speiseröhre.

Mit einem dankbaren Nicken quittierte er, dass sie sein Glas sofort nachfüllte. Er nahm es in seine Hände und drehte es langsam dazwischen hin und her. Mit den Augen verfolgte er wie die Flüssigkeit am Glas entlang glitt.

Aber auch wenn er nicht denken wollte, kreisten seine Gedanken unaufhörlich um das, was Sam und Bobby ihm erzählt hatten und er versuchte verzweifelt sich daran zu erinnern, was er bei dieser Familie angestellt haben sollte. Wenigstens an etwas müsste er sich doch erinnern! Doch das Einzige was er fassen konnte, waren Gefühle! Gefühle wie Angst, Verzweiflung, Kälte, Einsamkeit, Schmerzen. Aber diese Gefühle konnten nicht alle an diesen Ort passen, wenn überhaupt. Sam hatte ihm doch auch erzählt, dass Dämonen seinen Körper entführt hatten. Dazu würden die genauso gut passen. Oder hatte er sie in der Psychiatrie gefühlt?

Verdammt! Das war wirklich zum Verzweifeln!

Und die einzige Methode diese Gedankenflut zu stoppen, die ihm einfiel, war Alkohol. Viel Alkohol.

Er winkte der Barkeeperin, die ihm auch sofort sein Glas wieder auffüllte.

Hin und wieder versuchte sie noch mit dem niedlichen Fremden zu flirten, doch er schien sie die meiste Zeit nicht einmal zu sehen und er schien eine ganze Menge zu vertragen.
 

„Sam!“, bellte Bobby.

Der Winchester zuckte zusammen und starrte erschrocken zu dem Freund.

„Hör auf, auf der Couch ständig hin und her zu rutschen, du machst mich nervös!“

„Aber…“

„Davon kommt Dean auch nicht wieder! Du benimmst dich wie eine frisch verliebte Sechzehnjährige, deren Freund sich mit einer Anderen unterhält.“

„Ich…“

„Verdammt noch mal Sam! Du kennst deinen Bruder. Der ist mit Sicherheit in einer Bar versackt. Zumindest hätte ich das wenn du ans Eingemachte gegangen wärst.“

„Du…?“

„Was Sam? Ja, ich hätte genauso reagiert, wie dein Bruder. Ich bin nämlich auch nicht von der Fraktion, die Gefühle gerne auf dem Präsentierteller ausbreitet, vor Allem nicht, wenn ich noch nicht mal die Zeit hatte, sie zu verarbeiten. “

„Ich dachte es würde ihm helfen!“, erwiderte der Jüngere geknickt.

„Das hatten wir doch heute schon mal. Sam, bitte! Schalte demnächst deinen Kopf ein, bevor du denkst, dass du jemandem helfen musst und jetzt nimm es hin, dass es ist, wie es ist. Ließ ein Buch oder mach dich anderweitig nützlich, aber lass meine Couch in Frieden! Die ist schon durchgesessen genug!“ Der Junge tat ihm leid. Er hatte alles versucht und war gescheitert. Zumindest im Moment konnte er nichts tun und er marterte sich mit Sicherheit selbst genug, aber nach einem Tag Glucken-Sam waren auch seine Nerven dünnhäutig und er hätte sich zu gerne mit Dean an die Bar gesetzt.

„In Stanford wäre ich in so einer Situation ins Fitnessstudio gegangen“, nuschelte der Winchester leise. Er hatte in den letzten Jahren nie daran gedacht und es auch nicht gebraucht, aber jetzt fehlte ihm diese Ausarbeitung schon. Komisch, wie sehr man etwas vermisste, wenn man erst daran dachte, überlegte er und versuchte sich wieder auf das Buch zu konzentrieren.
 

Gegen Mittag des nächsten Tages scheuchte das dumpfe Grollen des Impalas Sam von seinem Platz hoch. Sofort ging er zur Kaffeemaschine. Von hier hatte er den besten Blick auf die Eingangstür, ohne zu neugierig auszusehen.

Es dauerte noch eine Weile, bis Dean ins Haus kam.

Der Jüngere blickte kurz auf. Hatte der sich volllaufen lassen, oder hatte er die Nacht endlich mal wieder mit einer Frau verbracht?

„Willst du auch einen Kaffee?“, fragte er und schaute seinem Bruder jetzt offen entgegen.

Der Blonde überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. Die Bewegung verursachte neue Schmerzen in seinem brummenden Schädel und er zog die Augen zusammen. Leise murrend trollte er sich Richtung Treppe.

Sam seufzte. Dean hatte gesoffen und so wie er aussah auch noch genügend Alkohol im Blut als das er hätte fahren dürfen.

Er holte Aspirin und eine Flasche Wasser und ging nach oben. Sein Bruder duschte.

„Geh ins Bett“, sagte er leise, als der wieder auf den Flur kam und hielt seinem Großen die Aspirin hin. Mit einem kurzen Nicken nahm der die Tablette, spülte sie mit Wasser hinunter und trottete in sein Zimmer, wo er sich ohne ein weiteres Wort auf sein Bett fallen ließ, das Kissen mit beiden Armen fest umschloss und binnen Sekunden eingeschlafen war.

Sam holte den Quilt und legte ihn über seinen Bruder. Er stellte ihm noch die Flasche Wasser ans Bett und verließ dann das Zimmer.

In der Tür drehte er sich doch noch einmal um und ließ seinen Blick über Dean gleiten.

Wann hatte der sich so verändert? Wann war er um so vieles ernster geworden und wie konnte er ihm die alte Fröhlichkeit zurückgeben?

Es war einfach nicht richtig, wenn sein Bruder mehr grübelte als er, schließlich konnte und wollte er den Part seines Großen nicht übernehmen! Das hatte er in den letzten Wochen begriffen.

So lief ihre Partnerschaft nicht!

Noch einmal ließ er seinen Blick über den schlafenden Mann gleiten, dann straffte er sich, schloss die Tür und ging nach unten Bobby suchen. Vielleicht hatte der ja Arbeit für ihn.
 

Noch immer verkatert kam der Blonde am nächsten Morgen in die Küche. Er hatte seit er gestern Mittag wiedergekommen war, fast die ganze Zeit geschlafen und doch fühlte er sich noch immer ausgelaugt. Wortlos nahm er eine Tasse Kaffee entgegen.

„Dean?“, versuchte Sam vorsichtig ein Gespräch zu beginnen, doch Dean hob nur abwehrend die Hand. Er wollte nicht reden.

Bobby setzte ihm Speck, Würstchen und Rührei mit Tost vor die Nase und beobachtete argwöhnisch, ob sein Junge einfach nur keinen Bock auf analytische Gespräche hatte, oder allgemein noch nicht ansprechbar war. Sollte das Zweite der Fall sein, wüsste er schon etwas, um ihn zu beschäftigen und von seinen trüben Gedanken abzulenken.

Sein Junge aß, ohne seine übliche Hektik, aber doch mit Genuss und er entschied, dass es das Beste sein würde, ihn für eine Weile zu beschäftigen.

„Bist du aufnahmefähig oder denkst du, dass dir ein weiterer Tag im Bett besser tun würde?“

Langsam hob Dean den Kopf und blickte den Älteren in die Augen. „Was hast du?“ Stumm bettelte er, dass es weder mit der Jagd zu tun haben, noch um sein Innenleben gehen sollte.

„Lass uns nach dem Essen rausgehen, dann kannst du es dir selbst anschauen“, antwortete der Ältere kryptisch und wusste nur zu gut, dass er damit Deans Neugier geweckt hatte.

„Darf ich auch mitkommen?“, wollte Sam ein wenig nörgelnd wissen.

„Klar, warum nicht?“

„Kann ja sein, dass Dean mich nicht dabeihaben will!“, erklärte er leicht eingeschnappt.

„Nur weil ich am frühen Morgen keine Lust darauf habe, Seelenstriptease zu betreiben, heißt das nicht, dass ich dich generell ausschließe!“

„Ich wollte doch nur wissen, wie du dich fühlst.“

„Ich bin okay.“

„Das sagt mir, dass du das eben nicht bist!“

„Stimmt, aber es ist die einfachste Art und Weise, dir begreiflich zu machen, dass ich nicht darüber reden will!“

„Aber warum…“ Sam schluckte. Sein Bruder wusste, dass er wusste, dass dieser von ihm so oft benutzte Satz eine Lüge war und er verwendete das bewusst! Das fand er jetzt schon erschreckend!

„Sammy, bitte. Ich will und ich werde nicht mit dir darüber reden, was in den letzten Wochen passiert ist, schlicht weil ich es nicht kann. Ich hab keine Ahnung was los war. Weder mit dir noch bei der anderen Familie und … Es ist einfach nicht richtig, dass du dich um mich kümmern musst! Es ist nicht richtig, dass du mir vorliest. Es ist nicht richtig, dass du mir die Nase putzen musst!“ Dean schaute ihn verzweifelt an. „Es ist einfach nicht richtig“, nuschelte er betrübt.

Der jüngere Winchester nickte traurig. Diese Worte taten weh, auch wenn er seinen Bruder irgendwie verstehen konnte und er sich selbst eingestehen musste, dass er sich in der Rolle des großen Bruders wirklich nicht besonders gut angestellt hatte. Zumindest am Anfang war er doch sehr unbeholfen gewesen.

Er würde schweigen und abwarten, vielleicht war sein Bruder ja irgendwann gesprächsbereiter. Bislang war er das meistens irgendwann einmal gewesen, auch wenn das eine halbe Ewigkeit bis dahin dauern konnte.
 

Nach dem Frühstück gingen sie nach draußen zum Unterstand. Davor standen zwei Wracks, die früher wohl einmal Schönheiten gewesen waren.

„Was willst du denn damit?“, wollte der blonde Winchester wissen.

„Ich hab einen Kunden, der die gerne wieder fertiggemacht haben möchte.“

„Und jetzt denkst du, dass ich…“

„Sag nicht, dass du dazu keine Lust hast!“

„Wann sollen sie fertig sein?“

„Wann immer sie fertig sind.“

Deans Augen begannen vor Freude zu funkeln. Sein ganzes Gesicht wurde von einem Strahlen erhellt. Hier wartete für Wochen jede Menge Arbeit auf ihn, bei der er auch noch größtenteils Ruhe vor seinen Achterbahn fahrenden Gefühlen haben würde und keiner, der ihn ständig fragen würde, wie es ihm ginge. Langsam ließ er seine Hand über das rosige Blech des einen Wagens gleiten.

„Was ist, wenn ich Teile brauche?“, wollte er wissen.

Ein 1970er Camaro steht irgendwo dahinten. Den müssen wir nur frei räumen. Bei dem Stingray weiß ich es nicht wirklich.“

„Du solltest mal eine Liste machen, was du auf dem Schrottplatz rumstehen hast“, meinte Dean.

„Das könnte hilfreich sein, da hast du Recht.“ Der Ältere grinste verlegen.

„Sam könnte mir doch dabei helfen. Das heißt, wenn du Lust dran hast, kleiner Bruder“, überlegte der Blonde laut und schaute herausfordernd zu dem Jüngeren.

„Ich hab nicht wirklich Ahnung von Autos“, meinte der skeptisch.

„Aber du kannst schreiben! Und ein Klemmbrett halten, oder?“

„Idiot!“, maulte der Jüngere und freute sich heimlich, dass sie wenigstens zu einen bisschen Normalität zurückzufinden schien.

„Mistkerl!“

„Dann lass und loslegen, damit diese beiden wieder zu den Schönheiten werden, die sie mal waren“, erklärte Dean und knuffte Sam in den Oberarm. Gemeinsam machte sich auf den Weg ins Haus.

„Brauchst ihr noch irgendwas?“, wollte Bobby wissen.

„Hin und wieder einen Kaffee?“

„Sollt ihr haben.“
 

„Und du hast befürchtet, dass Dean dich die nächsten Wochen nicht sehen wollte!“, sagte Bobby leise zu dem jüngeren Winchester. Der schaute ihn ertappt an. War das so eindeutig gewesen?

Er hatte sich ja schon überlegt, dass er sich mal daran machen wollte, John Winchesters Tagebuch auf seinen Laptop zu übertragen. Auch wenn sein Bruder das Teil auswendig kannte, wäre eine Suche so einfacher und er könnte diese Datenbank auch mit ihren Fällen erweitern.

Aber jetzt galt es eine andere Datenbank anzulegen und seine Gedanken kreisten darum, wie er die Wracks am besten katalogisieren konnte.

Geburtstagsvorbereitungen

192) Geburtstagsvorbereitungen
 

John Winchesters Tagebuch blieb allerdings unberührt in Deans Tasche, denn schon die Arbeit an der Datenbank für den Schrottplatz war aufwendiger als gedacht und wurde außerdem immer wieder von Anrufen unterbrochen, mit denen Jäger um Hilfe baten. Und so verkrochen sich Sam und Bobby immer wieder hinter Stapeln von Büchern und suchten nach Lösungen.
 

Ein paar Tage später hatte sich zu dem Frühlingssturm auch noch heftiger Regen gesellt und Deans ins Haus getrieben.

Frisch geduscht und mit einem Bier in der Hand, betrat er das Wohnzimmer. Suchend sah er sich nach einer Sitzgelegenheit um und ließ sich dann auf einem Bücherstapel neben dem Schreibtisch nieder.

„Kannst dich hierher setzen“, sagte Bobby und erhob sich von seinem Stuhl.

„Wollte dich nicht von deinem Platz vertreiben.“

„Tust du nicht, Junge. Ich wollte eh mal in die Küche und sehen, was ich uns zu essen zaubern kann.“

Der Blonde nickte und ließ sich mit einem leisen Schnaufen auf dem Stuhl nieder. Er schaute zu Sam, der sich auf Couch, Sessel, Tisch und Boden breit gemacht hatte und sich auf der Suche nach einem Ritual wie man einen Kobold bannen könnte, durch die Bücher wühlte.

„Brauchst du Hilfe?“, fragte er in den Raum.

„Ich könnte ein Büro brauchen“, brummelte der Ältere und ging in die Küche. Von Sam kam gar keine Antwort. Der war wohl mal wieder in der Wunderwelt der Bücher verschwunden.

Dean zuckte mit den Schultern griff einen Stift und begann mit ein paar Strichen.
 

Bobby hatte etwas Zeit, bis er sich wieder um das kochende Essen kümmern musste und schaute ins Wohnzimmer. Er sah Dean etwas zeichnen und stellte sich hinter ihn. Es dauerte eine Weile, bis er erkannte, was sein Junge da machte.

„Dean?“, sprach er ihn an.

Erschrocken blickte ihn der Blonde an. Er war so konzentriert gewesen, dass er den Freund nicht kommen gehört hatte, denn hier brauchte er ja nicht auf seine Umgebung zu achten.

„Was wird das?“, wollte Bobby neugierig wissen.

„Hab mir nur die Langeweile vertrieben.“

„Du könntest mir jetzt schon in der Küche helfen.“

Sofort stand der Winchester auf und schob die Zettel zusammen.

„Erklärst du es mir trotzdem?“ Bobby hatte da so eine Ahnung, was der Junge gezeichnet hatte und irgendwie interessierte es ihn.

„Das sind nur ein paar Striche!“

„Das sind nicht nur ein paar Striche. Das ist der Grundriss meines Hauses!“, stellte der Ältere ruhig fest.

Dean fühlte sich ertappt.

„Ich hab nur mal so…“

„Es sieht interessant aus. Erklärst du es mir?“

„Du hast doch gesagt, dass du ein Büro brauchst. Ich hab dir eins eingebaut. Das sieht allerdings eher nach einem größeren Umbau aus…“, grinste der Blonde.
 

Ein paar Tage später brachte Bobby Dean mal wieder einen Kaffee.

Er und Sam wechselten sich ab, da sie beide die Bewegung brauchten. Das Übernatürliche schien den Frühling zu genießen und immer wieder brauchten Jäger ihre Hilfe.

Allerdings schienen Geister und Dämonen die Umgebung von Sioux Falls zu meiden, sodass sich die Brüder nie auf den Weg machen mussten. Die Fälle waren alle weiter weg und immer schon ein Jäger an ihnen dran. Bis sie vor Ort gewesen wären, waren die schon gelöst. Außerdem suchte keiner von ihnen direkt nach einem Fall für sie.

Die Männer genossen diese Ruhe.
 

Bewundernd schaute der Hausherr auf Deans Arbeit. Der Camaro war schon bald soweit, dass er lackiert werden konnte.

„Du hast ganze Arbeit geleistet“, stellte Bobby fest und hielt ihm die Tasse hin.

„Danke, den kann ich brauchen. Der Wind ist immer noch unangenehm“, entgegnete Dean.

„Wo hast du Sam gelassen?“, wollte der Winchester nach einer Weile wissen.

„Der hat sich überlegt, wie er meine Bücher besser sortieren könnte. Meine Ordnung ist ihm zu unordentlich.“

„Womit er sogar Recht hat.“

„Werd nicht frech, Junge!“, drohte der Ältere grinsend.

„Gut, dass ich hier zu tun habe.“

„Warum hasst du die Bücher so?“

„Ich hasse Bücher nicht!“

„Warum liest du so ungern?“, stellte Bobby die Frage anders.

„Das ist eine längere Geschichte und sie würde mit „John“ beginnen.“

„Wie so vieles in deinem Leben.“

„Sam hat bald Geburtstag“, lenkte Dean das Gespräch auf ein ganz anderes Thema.

„Ja. Ich hab auch schon überlegt. Was schenkst du ihm?“

„Ich hab keine Ahnung. Ich kann ihm ja nicht schon wieder ein Handy schenken, auch wenn ich seins, so wie er es mir erzählt hat, ersäuft habe. Außerdem hat er schon wieder ein Neues.“

„Er hat mal was von einem Fitnessstudio gesagt, in das er gerne gehen würde“, sagte der Ältere.

„Willst du ihm eine Mitgliedschaft schenken? Bei unserem Lebenswandel ist das ein bisschen unsinnig, oder? Er könnte sie ja kaum nutzen.“

„Hast du eine bessere Idee?“

„Sam liebt Computer. Wie wäre es mit einer Wii? Die könnte ich dann auch mal nehmen.“

„Einer was?“

„Diese Spielekonsole mit der man auch Sport machen kann.“

„Die dein Bruder dann nicht nutzen könnte, weil du ständig davor hängen würdest.“

„Er kann es ja machen, wenn ich schlafe.“

„Du bist ein Idiot, Dean“, sagte der Ältere und verdrehte die Augen.

Eine Weile herrschte Schweigen und Dean trank seinen Kaffee.

„Mal ernsthaft. Wo wolltest du denn die Geräte hinstellen? Willst du eine Hütte irgendwo auf dem Schrottplatz bauen, oder soll er damit in den Keller? Wir könnten es auch in dein Wohnzimmer stellen, da ist ja noch so viel Platz!“

„Dean!“

„Ist doch wahr! Bevor wir über so was nachdenken, sollten wir erstmal klären wohin!“

„Hm“, brummelte der Ältere und schwieg wieder.
 

„So schlecht finde ich die Idee mit dem Wohnzimmer gar nicht! Allerdings nicht unten, sondern oben“, sagte er, als er die Tasse von Dean entgegen nahm.

„Und wo willst du dann die Möbel hinstellen?“

„Das sollte ja wohl das kleinere Problem sein.“

„Wenn du es sagst.“ Der Winchester zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder dem Wagen zu.

Bobby machte sich auf den Weg in das gemütlich warme Innere des Hauses und ließ den Blonden weiter werkeln.
 

Vielleicht eine Stunde später stand Sam auf, um Kaffee nach draußen zu liefern.

„Hey“, rief er über den Platz.

Der Ältere tauchte unter dem Lenkrad auf und kletterte, nach einem Blick auf seinen kleinen Bruder aus dem Inneren.

„Hey“, sagte er ruhig und nahm die Tasse entgegen. Schweigend versenkte er sich in der Betrachtung seines Heißgetränkes.

Nach ein paar Schlucken stellte er die Tasse auf der Motorhaube ab und musterte Sam.

„Was?“, fragte der Jüngere und wischte sich unsicher über das Gesicht.

„Was?“, fragte er noch einmal, da sich Deans Blick noch nicht verändert hatte.

Und dann, als er sich gerade abwenden wollte trat sein Bruder auf ihn zu und zog ihn in eine stumme Umarmung.

„Danke“, nuschelte er leise.

Sam sagte nichts. Er wollte diesen Moment nicht durch ein unbedachtes Wort zerstören. Außerdem erinnerte ihn das gerade an all die schönen Momente der Wochen, in denen er es mit Kyle in Deans Körper zu tun hatte.

„Danke, dass du auf mich aufgepasst hast und danke, dass du nichts fragst“, fuhr der leise schniefend fort.

„Gern geschehen“, nuschelte jetzt der Jüngere und versuchte den Klos herunter zu schlucken, der sich in seinem Hals gebildet hatte.

„Wirst wohl auf deine alten Tage noch sentimental“, witzelte Sam, um die Stimmung nicht komplett ins Rührselige abgleiten zu lassen.

„Mistkerl!“

„Idiot!“

Deans Augen suchten Sams und der sah sich mit so viel Liebe, Wärme und Dankbarkeit konfrontiert, dass er jetzt schniefen musste. Ein Lächeln breitete sich über seine Züge, dann machte er sich auf den Weg zurück ins Haus.

Dafür hatte sich das Warten gelohnt. Gut, Dean hatte nicht geredet, nicht so, wie er es sich gewünscht hatte, aber das gerade war mehr als jedes Wort hätte bewirken können. Er wusste ja, dass Dean niemand war, der Gefühle offen zeigte und deshalb war diese Umarmung etwas ganz besonderes gewesen. Die Erinnerung würde er tief in seinem Inneren aufbewahren.

Ein Lächeln zierte sein Gesicht, als er das Haus wieder betrat.
 

In den nächsten Tagen verwarfen Dean und Bobby die Idee eines Fitnessstudios immer wieder und kramten sie auch genau so oft wieder hervor, weil ihnen doch nichts anderes einfiel.

Letztendlich war es jedoch Dean, der den entscheidenden Anstoß dazu gab, indem er auf ein Schild in einem großen Fenster zeigte.

Sie waren auf dem Weg vom Einkaufen an einem der ersten Opfer der Finanzkrise in Sioux Falls vorbei gekommen. Ein Fitnessstudio musste schließen und veranstaltete eine Auktion, um wenigstens noch etwas Geld in die Kassen zu bekommen.

Die beiden Älteren besprachen sich und fuhren noch einmal gemeinsam los, um sich die Geräte anzuschauen, die Bobby dann bei der Auktion auch ersteigern konnte.

Diese ins Haus zu bekommen und das obere Wohnzimmer umzuräumen erwies sich letztendlich als einfacher als gedacht.
 

Die drei Männer saßen einen Tag vor Sams Geburtstag beim Frühstück. Dean schaufelte schweigend Rührei und Speck in sich hinein, das Bobby in Unmengen in der Pfanne brutzelte und Sam kippte sich gerade die nächste Ladung Milch in sein Müsli, als das Telefon klingelte.

Ein junger Jäger hatte Probleme mit einem Monster, das zumindest seinen Ermittlungen nach nur Single-Frauen tötete und Bobby versprach ihm natürlich eine Lösung zu finden.

„Er sucht nach einem Okami. Darüber weiß ich nicht viel und hier hab ich auch kein Buch. Sam, könntest du in die Bibliothek fahren und dort suchen? Die haben eine Abteilung über Mythen und Legenden, die ganz gut bestückt ist“, bat der Ältere.

Widerwillig zuckte der jüngere Winchester mit den Schultern. Irgendwie kam ihm der Anruf nicht koscher vor, so kurz vor seinem Geburtstag. Ob die beiden was planten?

„Und du?“

„Ich wollte mit deinem Bruder heute den Motor in den Camaro einbauen.“

„Okay“, gab sich Sam geschlagen. Gegen dieses Argument konnte er nicht viel einwenden. Zwar war Dean fast die ganze Zeit allein mit dem Wagen zugange gewesen, aber dass bei Motor und Getriebe ein zweiter Mann von Nutzen war, ahnte selbst er.

Nach dem Frühstück zog er sich an und machte sich auf den Weg.

Kaum war er vom Hof, als sich Bobby und Dean grinsend anschauten und dann nach oben gingen. Der Anruf hatte mit einem Schlag ihre Überlegungen, wie sie Sam beschäftigen konnten ohne, dass er etwas von den Vorbereitungen für seinen Geburtstag mitbekam, erledigt. Manchmal schienen auch sie einfach Glück zu haben.
 

Noch vor dem Mittag hatten sie die Möbel aus dem kleinen Wohnzimmer im Panikraum verstaut, die Geräte, Hantelbank, Ruderbank, eine Multifunktionsbank und einen Boxsack geholt und aufgebaut und eine Reckstange sicher an der Wand verschraubt.

Verschwörerisch grinsten sie sich an, als Bobby die Tür hinter sich abschloss und in die Küche ging, um ihnen Kaffee zu kochen.

Gemeinsam gingen sie danach zum Camaro, um jetzt wirklich den Motor in den Wagen zu bauen.
 

Sam hatte letztendlich doch etwas über ein solches Monster finden und dem Jäger helfen können. Er legte die Notizen auf den Schreibtisch, um sie nachher in seine Datenbank aufnehmen zu können, doch vorher wollte er noch nach den beiden Bastlern sehen.

Als er auf den Hof kam, hing Bobby im und Dean lag unter dem Motorraum.

„Wie lange braucht ihr noch?“, wollte er wissen.

„Höchstens eine Stunde“, kam es dumpf von seinem Bruder. „Du könntest Burger oder Pizza besorgen.“

Sam nickte nur und machte sich erneut auf den Weg. Dass seine Antwort weder von Dean noch von Bobby gesehen werden konnte, kam ihn erst in den Sinn, als er schon im Impala saß. Jetzt wollte er auch nicht mehr umkehren.
 

Zurück im Haus deckte er den Tisch und konnte der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick in jeden Küchenschrank zu werfen. Vielleicht hatten die beiden ja doch irgendetwas ausgeheckt, oder er konnte so ja wenigstens erraten, was es morgen zu essen geben würde und sehen, ob die beiden einen Kuchen besorgt hatten. Geschenke würden sie ja wohl in ihren Zimmern aufbewahren und da wollte er nicht suchen.

Dass er so gar nichts fand, wurmte ihn doch. Hatten die beiden seinen Geburtstag etwa vergessen?

Aber fragen wollte er auch nicht, wie sah das denn aus? Immerhin wurde er sechsundzwanzig und nicht sechs! Er konnte sich noch gut an diesen Geburtstag erinnern. Sie waren hier bei Bobby gewesen. Warum wusste er nicht mehr, nur, dass es eine tolle Zeit war, wie immer wenn Dean und er hier bei Onkel Bobby sein durften. Hier war Dean wirklich sein Bruder und tobte mit ihm herum. Hier mussten sie nicht so streng trainieren und Bobby spielte mit ihnen Baseball oder Fußball.

Am Abend vor seinem Geburtstag hatte er kaum einschlafen können, hatte Dad doch versprochen zu kommen. Außerdem hatte sein Bruder eigentlich immer ein Geschenk für ihn und da sie bei Bobby waren, hatte der ja vielleicht auch was.

Und er hatte Recht. Bobby zauberte zum Frühstück einen Kuchen aus einem Küchenschrank und er bekam ein Buch, Dean hatte da ein eher praktisches Geschenk, ein Butterfly-Messer.

Sie waren im Kino gewesen, in einem Trickfilm und zum Abendessen war doch tatsächlich sein Vater aufgetaucht.

Ja, dieser Geburtstag war ein ganz besonderer gewesen.

Und irgendwie erwartete er immer noch, dass Kuchen im Küchenschrank stand.

Lächelnd schüttelte er den Kopf über sich.

Sams Geburtstag

193) Sams Geburtstag
 

Nach dem Essen machten es sich die drei Männer auf der Couch gemütlich und versuchten sich auf einen Film zu einigen.

„Lasst uns Dracula mit Bela Lugosi schauen“, schaltete sich Bobby in das Geplänkel der Brüder ein, die sich nicht einigen wollten, ob es jetzt eine Dokumentation über die Wunder der Welt und ägyptische Götter oder ein „Nobody“ Film sein sollte.

Die Winchesters nickten und setzten ihren Disput fast sofort über den besten Snack beim Fernsehen fort und der Hausherr schaute ihnen lächelnd zu. Das war einer dieser Momente, die er gerne im Gedächtnis behalten wollte.
 

Wann die Stimmung in der kleinen Runde umschlug wusste hinterer niemand mehr zu sagen, doch plötzlich waren die dummen Kommentare und kleinen Neckereien verstummt und immer wieder huschten verstohlene Blicke zur Uhr. Jeder dachte daran, was vor einem Jahr gewesen war und alle warteten darauf, dass der Zeiger endlich auf die zwölf sprang.

Hatten sie den Pakt gebrochen? Hatten sie es wirklich geschafft Deans Leben zu retten, oder war das Jahr nur ein Aufschub gewesen und sein Pakt durch Liliths Tod auf einen anderen Dämon übergegangen?

Die letzten Tage waren von allen fast unbemerkt vergangen. Keiner der drei hatte daran gedacht, was vor einem Jahr gewesen war, doch jetzt schlug diese Erinnerung unbarmherzig zu.

Dean war ungewöhnlich blass.

Sam blickte immer wieder zu seinem Bruder. Würde der gleich in Panik erstarren, weil er den Höllenhund hörte?

Jeder für sich wusste, dass der blonde Winchester gerettet war und jeder für sich schimpfte sich einen Idioten, weil er es nicht schaffte, diese beängstigenden Gedanken zu unterdrücken und doch waren sie da und bohrten sich hartnäckig immer tiefer in ihre Herzen.

Quälend langsam rückte der Zeiger auf die zwölf zu.

Und dann standen beide übereinander. Die Männer hielten die Luft an und warteten.

Nichts geschah. Die Uhr drehte sich weiter.

Eine Minute verstrich, eine zweite folgte. Erst nach fünf Minuten gestatteten sich die Drei durchzuatmen und langsam kehrte die Farbe in Deans Gesicht zurück.

„Lasst uns ins Bett gehen“, sagte Bobby mit belegter Stimme. Auch ihm waren die letzten Minuten deutlich anzusehen, auch er hatte plötzlich eine aberwitzige Angst davor gehabt, dass das letzte Jahr nur ein Aufschub gewesen sein könnte.
 

In dieser Nacht kam keiner im singerschen Haushalt wirklich zur Ruhe. Während Bobby und Sam eher an die Zeit nach dem Höllenhundangriff und Deans langwierige Genesung denken mussten, kreisten die Gedanken des Blonden eher um den Grund für seinen Pakt und darum, dass er trotz dieser furchtbaren Erfahrung wohl wieder so handeln würde, sollte Sam etwas Schlimmes zustoßen.
 

Endlich forderte die schwere körperliche Arbeit der letzten Tage ihren Tribut und er glitt langsam in einen unruhigen Schlaf hinüber.

Darauf schien sein Unterbewusstsein nur gewartet zu haben. Wie ein hungriges Raubtier fiel es ihn an. Leise wimmernd warf er sich von einer Seite auf die andere, bis er endlich mit einem erstickten Schrei auffuhr. Fast sofort wurde seine Zimmertür vollkommen aufgerissen und Sam stürmte herein. Sofort ließ sich der Jüngere auf der Bettkante nieder.

„Hey!“, sagte er leise.

Orientierungslos huschte Deans Blick durch den Raum. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis er an Sam hängen blieb.

„Was ist?“, wollte der leise wissen.

Dean schüttelte den Kopf. Weniger, weil er es nicht sagen wollte. Ihm fehlten schlicht die Worte, seinen Traum zu beschreiben.

„Was hast du geträumt?“, fragte der Jüngere direkter.

„Ich weiß nicht.“

„Woran kannst du dich erinnern?“

„Farben. Rot, schwarz, bunt und Angst, panische Angst. Schmerzen und Einsamkeit.“

„Du bist nicht allein, Dean. Du wirst nie allein sein, außer du willst es wirklich.“

Dean schüttelte nur den Kopf und gestattete sich die Schwäche für einen Augenblick in die Arme seines Bruders zu flüchten.
 

„Können wir uns darauf einigen, dass das nie passiert ist?“, fragte er danach leise. Er wusste, dass er sich damit eine Blöße gegeben hatte, aber nach diesem Abend hatte er das einfach gebraucht. Und Sam genoss diesen kostbaren Moment viel zu sehr. Sein Bruder hatte sich ihm geöffnet. Er hatte ihm erzählt, was er träumte und was ihn quälte.

Das war schon die zweite Umarmung innerhalb einer Woche. Schon alleine diese Tatsache machte ihn sprachlos.

„Wenn wir uns darauf einigen können, dass wir so etwas nie wieder erleben müssen? Ich will nicht noch einmal ein Jahr lang um dein Leben bangen müssen und ich will nicht noch einmal solche Wochen erleben, in denen dein Leben immer wieder am seidenen Faden hängt.“

Zögerlich nickte der Blonde. Er wollte den Jüngeren nicht belügen, aber er würde auf keinen Fall tatenlos zusehen, wenn Sams Leben, in welcher Weise auch immer, bedroht werden sollte.

„Versuch zu schlafen. Es war nur ein böser Traum“, versuchte Sam ihn zu beruhigen.

Ein Lächeln huschte über Deans Gesicht und er nickte kurz.

„Du auch, Sammy“

Der Jüngere blieb noch kurz sitzen, bis sich Dean wieder richtig hingelegt hatte und ging dann zurück in sein Zimmer.

Trotz des guten Gefühls konnte er noch lange nicht einschlafen. Immer wieder kreisten seine Gedanken um das, was Dean gesagt hatte, das was er geträumt hatte.

Die Gefühle konnte er sich ja halbwegs erklären, aber woher kamen die Farben? Hatte das mit den Drogen zu tun, die sie ihm verabreicht hatten? Hatte sich deren Wirkung in seiner Seele festgesetzt, obwohl es Kyles Körper war, den sie damit betäubt hatten? Waren Schmerzen nur körperlich oder zerfraßen sie auch die Seele? In den Berichten stand, dass er wahnsinnige Schmerzen gehabt haben musste.

Nein, darüber wollte er nicht länger nachdenken. Er hatte seinen Bruder wieder und das sollte ihm reichen!
 

Im Haus war es noch ruhig als Sam am nächsten Morgen erwachte. Er streckte sich träge und setzte sich auf. Noch einmal gähnte er herzhaft und schlurfte dann ins Bad.

Es war herrlich, hier so ruhig in den Tag starten zu können. Er genoss es, sich keine Gedanken um Monster machen zu müssen, die in der letzten Nacht gewütet hatten und um deren Opfer. Es war schön sich einfach an einen gedeckten Tisch zu setzen und über die kleinen Alltäglichkeiten zu reden.

Und außerdem hatte er Geburtstag!

Er beeilte sich mit seiner morgendlichen Toilette und ging dann voller Vorfreude nach unten.

Sein Blick fiel in die Küche und die Vorfreude erstarb.

Niemand war hier und in der Spüle stapelte sich das gebrauchte Geschirr.

Auf dem Tisch lag ein Zettel: Sind zu einem schweren Verkehrsunfall – kann dauern. Sorry! Dean

Niedergeschlagen ließ er sich auf einen Stuhl fallen.

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“, nuschelte er niedergeschlagen. So hatte er sich den Tag wirklich nicht vorgestellt. Er nahm sich Müsli und Milch, machte sich einen Latte Macchiato und ließ sich dann wieder auf einem Stuhl nieder. Und jetzt?

Gerade als er die Milch auf das Müsli gekippt hatte, hörte er wie ein Truck auf den Hof gefahren kam. Schnell sprang er auf und lief nach draußen.

Es war Bobby.
 

„Hey“, grüßte er als der Ältere aus dem Führerhaus kletterte.

„Hey Junge.“ Bobby ließ das Wrack vom Haken auf einen freien Platz gleiten. Vielleicht wollte die Polizei sich die Wagen ja noch einmal anschauen.

„Was ist passiert?“, wollte Sam jetzt wissen. Der Wagen, oder das, was von ihm übrig war, sah furchtbar aus.

„Massencrash von fünf Wagen mit drei Toten. Die Feuerwehr ist noch dabei die Wracks auseinander zu schneiden. Zwei Personen konnten sie noch nicht einmal bergen.“

„Braucht ihr Hilfe?“

„Wir sind mit beiden Trucks draußen. Ganz ehrlich? Es ist furchtbar. das musst du dir nicht anschauen, außerdem würdest du da auch nur rumstehen. Wir müssen warten, bis die Feuerwehr soweit ist. Auch wenn das jeder Zeit sein kann.“

„Okay“, antwortete der Jüngere geknickt und ging wieder ins Haus zurück. Er ließ sich an den Frühstückstisch fallen und starrte auf den Paps, der in seiner Schüssel schwamm. Voller Ekel kippte er das Zeug weg und machte sich eine neue Schüssel Müsli.

Irgendwie konnte er sogar verstehen, dass sie seinen Geburtstag vergessen hatten, nach all dem, was in den letzten Wochen passiert war. Und auch sonst. Leider war der Tag, oder der Tag davor in den letzten Jahren immer mit Negativem behaftet gewesen. Er hatte gehofft, dass diese Serie endlich zu Ende war.

Er atmete tief durch. Das konnte ja ein toller Tag werden!
 

Wie zur Bestätigung begannen große Tropfen gegen das Fenster zu trommeln. Binnen weniger Minuten goss es in Strömen.

Schon nach wenigen Löffeln schob er die Schüssel wieder von sich. Er hatte keinen Hunger mehr.

Wieder starrte er in den Regen. Wann waren die beiden losgefahren? Hatte er so fest geschlafen, dass ihn noch nicht mal das Telefon geweckt hatte, oder hatten sie sich leise aus dem Haus geschlichen?

Das war ja wirklich ein wundervoller Tag!
 

Erst am späten Nachmittag kamen die beiden nass bis auf die Knochen wieder. Sofort verschwanden sie, einer oben und einer unten, im Bad um wenigstens die Kälte von der Haut zu vertreiben und Sam beeilte sich im Kamin noch einige Scheite nachzulegen. Er hatte ihn vor einer Stunde angemacht, da es doch recht frisch geworden war. Danach kochte er Kaffee mit Schuss und reichte jedem eine Tasse.

Mit einem dankbaren Nicken ließen sich die Zwei auf ihre Plätze fallen.

„So was muss ich auch nicht öfter haben“, ließ Bobby vernehmen und Dean nickte schweigend.

„Soll ich uns Pizza holen?“, fragte Sam leise.

Noch bevor er eine Antwort bekommen konnte, knurrte Deans Magen gut vernehmlich.

„Nein, lass mal, ich war vorhin noch einkaufen. Ich muss es nur noch reinholen.“

Er schaute zu Bobby.

„Wir legen gleich los“, versprach der Hausherr.

Sam seufzte leise und ging wieder ins Wohnzimmer, wo er sich niedergeschlagen auf das Sofa fallen ließ. Sie hatten seinen Tag wirklich vergessen!

Bestimmt hatten sie vorgehabt ihm noch was zu besorgen und dann kam der Unfall dazwischen.

Wenn sie wirklich noch dabei zusehen mussten, wie die Toten aus den Wracks geschnitten wurden, hatte das wahrscheinlich gereicht, um jeden anderen Gedanken zu vertreiben.

Klar, Dean und Bobby machten beide auf harte Kerle, doch in ihnen schlug ein gutes Herz und so was ging ihnen viel zu nahe, auch wenn sie es nie zeigen würden.
 

„Willst du nicht endlich…“, begann der Hausherr leise.

„Jetzt hat er so lange warten müssen, da spielt die Stunde auch keine Rolle mehr!“, entgegnete Dean.

Bobby schüttelte nur den Kopf.

„Was denn? Du hast mich heute Morgen zu dem Unfall geschleppt. Eigentlich wollte ich ihn mit seinen Lieblingssandwiches wecken und ihm danach zeigen, wie er es wieder loswerden kann, aber das war wohl nichts“, flüsterte der Blonde.

„Ach, jetzt bin ich schuld?“

„Oder der, der den Unfall gebaut hat?!?“

„Du bist so ein Trottel, Dean!“

Der Blonde grinste breit. Er liebte diese Geplänkel mit seinem Ersatzvater. Genauso wie mit Sam. Er hatte sich schon viel zu lange nicht mehr mit ihm gekabbelt. Das musste sich schnellstens ändern.

Bei John hatte es das nie gegeben. Der hatte sie nur selten Kind sein lassen und so rumgeblödelt hatte er auch nicht mit ihnen.

Er warf noch einen Blick zu Bobby und beeilte sich dann, ihm bei der Vorbereitung des Essens zu helfen und er erinnerte sich, dass es ihm als Kind Spaß gemacht hatte, mit Bobby in der Küche zu werkeln. Denn da fielen immer etwas zu naschen für ihn und auch fast immer ein „Gut gemacht, Junge. Danke“, ab und er wusste heute noch, wie gut er sich dabei jedes Mal gefühlt hatte.

Wann hatte John ihn je gelobt oder sich gar bei ihm bedankt? Klar, damals im Krankenhaus, nachdem er den Pakt mit dem Dämon geschlossen hatte und dann hatte er ihn gleich danach in das größte Dilemma seines Lebens gestürzt. Naja und am Anfang bei den Schießübungen kam auch hin und wieder ein Lob. Doch auch das hatte schnell aufgehört.

Sein Blick wanderte wieder zu Bobby. Wie anders war der doch!
 

Eine gute Stunde später saßen die drei Männer am Tisch und ließen sich gegrillte Forelle mit Folienkartoffeln und Salat schmecken.

Nach dem Essen wollten Dean und Bobby den Abwasch machen, doch das ließ Sam nicht zu. Er schmiss die beiden regelrecht aus dem Raum.

„Verdammt aber auch. So wird das doch nie was mit seinem Geburtstagsgeschenk! Vielleicht sollten wir den gleich morgen feiern?“

„Immer mit der Ruhe, Dean. Der Abend ist noch lang.“
 

Sam kam mit drei Flaschen Bier wieder ins Wohnzimmer und ließ sich neben seinem Bruder nieder.

„Was guckt ihr?“

„Dr. Sexy MD“

„Oh Gott, Bobby! Hat er dich auch schon damit angesteckt?“, fragte der Jüngere mit gespielter Entrüstung.

„Hab gelesen“, erwiderte der Ältere.

„Ihr habt ja keine Ahnung!“, grummelte der Blonde und stand auf. „Ich mach mir ein Sandwich.“

„Du kannst nicht schon wieder Hunger haben!“

„Doch, mir fehlt heute eine ganze Mahlzeit!“

„Wir sollten dich in „Vielfraß“ umtaufen!“

„Und dich in „Hase“, Hase!“

Bobby blickte von einem zum anderen und lächelte gutmütig. „Jetzt lass ihn doch, Sam. Du weißt, er wird unleidlich, wenn er unterzuckert ist.“

Dean schnaubte nur und verschwand in der Küche.

Gleich darauf hörten die beiden anderen das Klappern von Schranktüren und das Öffnen und Schließen der Kühlschranktür und gleich darauf, wie Dean nach oben stapfte. Der wollte wohl nicht, dass sie sahen, wie viel er sich noch reinstopfte.
 

Für eine Weile herrschte Ruhe.

Plötzlich schreckte ein markerschütterndes „SAM“ aus Deans Kehle die beiden auf.

Sie sprangen auf, hetzten die Treppe hinauf und stürmten in das kleine Wohnzimmer.

Natürlich war Sam mit seinen langen Beinen zwei Schritte vor Bobby da.

„Was ist Dean?“, fragte er panisch.

Der Blonde schaute ihm lachend entgegen.

Nur langsam wandelte sich der Blick des jüngsten Winchester von wütend zu ungläubig staunend.

Dean stand mit einem Teller Erdnussbutter-Bananen-Sandwiches in der Hand vor ihm, auf denen er sechsundzwanzig Kerzen verteilt hatte. Und hinter ihm waren mehrere Fitnessgeräte zu erkennen.

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, kleiner Bruder.“

Den Teller auf einer Hand balancierend umarmte er den Jüngeren.

„Auch von mir alles Gute“, brummelte Bobby und klopfte ihm auf die Schulter.

„Das ist… man, ich dachte, ihr habt meinen Geburtstag vergessen“, stammelte Sam. „Ihr seid irre!“

„Von mir aus auch das“, lachte Dean, „aber jetzt wünsch dir was und blas die Kerzen aus!“

Nur zu gern kam Sam dem Wunsch nach!
 

~~~ ENDE ~~~



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Kommentare zu dieser Fanfic (7)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  C_iwi-chi
2017-12-03T20:41:07+00:00 03.12.2017 21:41
Ich bin entsetzt, dass diese FF nur 5 Kommentare hat!
Das war eine der besten Geschichten von Supernatural, die ich hier je gelesen habe. Du hast die Charaktere sehr gut geschrieben und die einzelnen Fälle waren auch wirklich spannend.
Nur der arme Dean musste wirklich viel Leiden. Sam kann manchmal echt Begriffsstutzig sein.
Ich fand den Umbau von Bobbys Haus super. Da haben Dena und Sam ja jetzt einen Ort gefunden, der am ehesten ein Zuhause für sie ist (Zumindest vom Stand deiner Geschichte).
Ich freue mich schon auf den zweiten Teil, durch den ich diesen hier erst gefunden habe! Aber ich wollte es mir nicht nehmen, hier noch einen Kommentar zu hinterlassen :D
Liebe Grüße
Ciwi
Antwort von:  C_iwi-chi
03.12.2017 21:42
Doofe Autokorrektur, ich meinte natürlich Dean und nicht Dena...
Antwort von:  Kalea
17.12.2017 16:56
Vielen Dank für Deinen Kommi. Ich freue mich, dass diese Geschichte auch jetzt noch fesseln kann.

Das mit den Kommis ist leider so eine Sache. Sie sind, nicht nur hier, sehr rar gesäht. Deshalb freue ich mich um so mehr, dass Du Dir die zeit genommen hast, mir ein paar Worte zu hinterlassen.
Danke, nochmal.

Kalea
Von:  Vanilein
2013-10-07T21:19:27+00:00 07.10.2013 23:19
Das war die beste Geschichte die ich seit langem gelesen habe :D
Sie ist so wundervoll auch wenn der arme Dean für seinen Bruder so Leiden muss, aber dafür lieben wir den süßen Dean ja ;) weil er ein riesiges Herz hat!
Es ist nur so schade das sie jetzt vorbei ist :'( ich würde so gerne wissen wie es mit den dreien weitergeht! Bleiben die Brüder jetzt bei bobby und leben ein ruhiges beraterleben gönnen würde ich es den beiden oder gehen sie wieder auf die Jagd? Fragen über fragen :o
Aber nichts desto trotz danke ich dir für diese wundervolle Geschichte
Von:  Vanilein
2013-01-25T00:21:23+00:00 25.01.2013 01:21
I love it!!!
du musst diese geschichte unbedingt zu ende schreiben, du schreibst so toll und ich liebe es sie zu lesen! ich war richtig genervt sie für die arbeit und schlafen unterbrechen zu müssen ich konnt sie einfach überhaupt nicht aus der hand legen sie ist so genial!
danke für diese tolle ff!
bitte schreib weiter
LG vanilein
Von:  -Loki
2010-11-25T18:50:52+00:00 25.11.2010 19:50
Freu mich schon aufs nächste Kappi =) armer dean weiß gar nicht was los ist :(
Von:  -Loki
2010-11-20T21:08:04+00:00 20.11.2010 22:08
wie cool ich bin grad nur durch zufall bei animexx reihn weil ich dachte vielleicht hat ja doch wer weitergeschrieben und juhu so war es ^^
Bin total gespannt wie es weiter geht das ist iwie total traurig armer dean T.T
naja freu mich schon aufs nächste kappi
Von:  -Loki
2010-11-18T21:32:03+00:00 18.11.2010 22:32
Bitte bitte schreib schnell weiter das is sooo traurig aber auch voll schön. Un dtotal gut geschrieben freu mich schon darauf wie es weiter geht ^^


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