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The Mirror's Truth

We are the insane as we ignore the mirror's truth...
von

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Prolog

Prolog
 

"Zuviel Neugier kann gefährlich sein."

So oder so ähnlich hatte einst Noriko versucht mich von Dummheiten abzuhalten.

Mein Blick wanderte über die Schnüre und Riemen an meinem Körper und blieb schließlich an dem Maul mit den rasierklingenscharfen Zähnen hängen, das sich meinetwegen öffnete.

Fauliger Atem schlug mir entgegen und angewidert wandte ich den Kopf zur Seite.

Mein Gott, der sollte es endlich hinter sich bringen, oder ich würde ihm noch in die Fresse kotzen.

Eine belustigte Stimme erreichte meine Ohren und fragte mich lachend wie ich nur in eine solch prekäre Situation kommen konnte.

Verwirrt runzelte ich die Stirn.
 

Ja, wie eigentlich?

while I collapse

while I collapse
 

Seit der Mensch die Uhrsuppe verlassen hatte und lernte auf zwei Beinen zu gehen, eine Keule zu schwingen und mit Fell seine Genitalien zu bedecken, gab es Dinosaurier, die nur dazu da waren die Nachkommen der Stammesältesten um den Verstand zu bringen. Zumindest war das meine Theorie, von der ich fest überzeugt war und ich wusste, dass ich recht hatte. Normalen Menschen würde es keinesfalls so viel Spass machen andere zu quälen. Nur diese Randgruppe wurde sogar noch dafür bezahlt. Dieses Phänomen der seelischen Grausamkeit schimpft sich gemeinhin "Lehrer".
 

Das Kinn auf die Tischplatte gelegt, die Arme von mir gestreckt und einen Gesichtsausdruck aufgesetzt, der eindeutiges Missfallen an meiner derzeitigen Situation darlegen sollte, saß ich da, verfolgte die abschätzenden Blicke meines Lehrberechtigten und konterte mit einer Grimasse, die sich gewaschen hatte. Frau Nanahara, wie dieser Drachen sich nannte, wusste über die Missgunst, in der sie bei mir stand, genauestens Bescheid. Und ebenso war mir bewusst wie sehr sie mich verachtete. Deswegen war es immer wieder erfreulich zu verfolgen mit wie viel Widerstreben sie mir Tests und Schularbeiten zurück gab, denn auch wenn ich kein Interesse am Unterricht zeigte und die Worte der Lehrer wissentlich ignorierte, so schrieb ich nie auch nur eine schlechte Note. Ein schrilles, ohrenbetäubendes Klingeln riss mich aus meinen düsteren Gedanken, in denen ich dieser Lehrberechtigten die Pest an den Hals wünschte und erlöste mich schließlich aus dieser Folterkammer, die sich Bildungseinrichtung betitelte und unter falschem Vorwand junge Menschen sammelte, um sie auf grausamste, unmenschlichste Weise zu peinigen.
 

Ich gähnte laut, während ich mir den Rucksack, den ich jeden Tag mitzuschleppen hatte, auf die rechte Schulter schwang und mich mit den anmutigen Bewegungen eines wandelnden Leichnams vorwärts schleifte. Ich war hundemüde und alles, was ich jetzt noch wollte, war endlich aus diesem verfluchten Gebäude raus zu kommen und mir die letzten Sonnenstrahlen dieses, ach so trostlosen, Tages auf die Haut fallen zu lassen. Es war doch grausamste Kindesmisshandlung Jugendliche in kaltes Gemäuer zu sperren, während die Sonne alle Mühe damit hatte den Asphalt zum schmelzen zu bringen. Mir fielen ungefähr tausend Dinge ein, die ich lieber täte, als auf meinem Tisch zu sitzen und dem langweiligen Gefasel der Lehrerin zu lauschen, da wurde ich auch schon aus meinen Gedanken gerissen.

Ein Buch, das hochmotiviert die Schallmauer durchbrach, traf mich direkt am Hinterkopf und durch den Schwung, den dieses Teil mit sich nahm, landete ich der Länge nach auf den Pflastersteinen, die den Schulhof säumten. Auch ohne mich umzudrehen und in die Stille hinein zu brüllen, wusste ich wer diesen Anschlag auf mich verübt hatte und ich hatte große Mühe damit mich wieder auf meine Füße zu rappeln und diesem bestimmten Menschen zu entkommen. Natürlich war ich nicht schnell genug und so konnte ich nur Sekundenbruchteile später zwei schlanke Arme an meinem Hals fühlen, die sich kontinuierlich enger zogen. "Was hat Ka-san gesagt? Was solltest du machen? Sprich, oder ich breche dir das Genick", schrie das Ungetüm, das wohl eher mit einem Gorilla verwandt war als mit dem Homo Sapiens. Kreischend schlug ich mit der flachen Hand auf den Boden, doch mein Flehen wurde ignoriert und krächzend versuchte ich zu einer Antwort anzusetzen. "Dass ich auf dich warten soll, weil wir nach der Schule noch was zu erledigen haben, Aniki", gab ich gequält von mir und rang verzweifelt nach Luft, als sie mich schließlich wieder los ließ und ich hechelnd eine Hand an meine Kehle legte. Auch ohne mich umzusehen, wusste ich, dass wir angestarrt wurden und ich konnte das Tuscheln und Kichern, das durch die Reihen der Schüler ging, nur genauestens vernehmen. Wie sehr ich meine große Schwester doch dafür hasste, dass sie stärker war als ich. Es reichte doch schon, dass ich mit meinen 15 Jahren nicht größer war als 1,67. Frustration stieg in mir hoch und ich ballte wütend die Fäuste, als ich meine Schwester hasserfüllt anstarrte. "Meinetwegen kannst du die Scheiße alleine machen, ich gehe nach Hause." Schnaufend stapfte ich an ihr vorbei und bahnte mir einen Weg durch die Massen von Schülern, die sich alle aus dem gleichen Tor quetschen wollten, um noch rechtzeitig nach Hause zu kommen und nicht wieder Ewigkeiten auf die U-Bahn warten zu müssen.
 

Als ich schließlich in eine Seitengasse einbog, in der ich schlussendlich vollkommen alleine der Dämmerung entgegen lief, wurden meine Schritte langsamer und die Wut verschwand allmählich. Ich war klein, na und? Ich mochte meinen Körper und ich war ganz zufrieden damit nicht so groß zu sein wie alle anderen, aber musste sie mir das bei jeder passenden Gelegenheit unter die Nase reiben? Wütend trat ich gegen eine Laterne und seufzte schließlich auf, während ich mich an einem Gartenzaun sinken ließ und schließlich auf dem Boden sitzend in den dunkler werdenden Himmel starrte. Schritte hallten leise von den Wänden der Häuser wieder und ich wandte mich ein wenig zur Seite, um sehen zu können, wer mir unfreiwillig Gesellschaft leisten würde. Verwirrt hob ich die Augenbrauen, als ich eine meiner Nachbarinnen entdecken konnte, die auf den Namen Noriko Nakashima hörte, 20 Jahre alt und stolze 1,80 groß. Ganze vierzehn Zentimeter mehr als ich. Deprimiert stieß ich die Luft aus meinen Lungen und dadurch schien sie mich schließlich zu bemerken, denn sie sprang kreischend und mit weit aufgerissenen Augen vor mir zurück. Hatte ich sie etwa erschreckt? Ein schiefes Grinsen schlich sich auf mein Gesicht und ich hob zum Gruß die Hand, doch ehe ich auch nur ein Wort an sie hätte richten können, rannte sie auch schon an mir vorbei, als würde eine Aussage von mir ihren Tod bedeuten. Seltsames Mädchen.
 

Schulterzuckend erhob ich mich schließlich wieder auf meine Beine, streckte mich genüsslich und gähnte einmal laut auf, ehe ich erstarrt feststellen musste wie spät es schon war. Verdammt, Aniki würde mir den Hals umdrehen, wenn ich jetzt erst zu Hause eintrudeln würde. Von meiner Mutter ganz zu schweigen. Hektisch hetzte ich durch die Straßen der Großstadt, immer auf der Hut niemandem zu begegnen, der mein Verhängnis darstellen konnte. Vor dem Haus, in dem meine Familie sich nieder gelassen hatte und schon seit vier Generationen lebte, hielt ich schließlich inne, besah mir den großen Baum vor meinem Fenster und fasste einen Entschluss. Sie würden mich nicht erwischen. Ich würde sie überlisten.
 

Ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter ziehend starrte ich finster vor mich hin und ließ die Standpauke meiner Mutter über mich ergehen. Die sollte endlich zum Schluss kommen, sonst würde ich noch an Altersschwäche sterben, ehe sie geendet hatte. Ich rollte mit den Augen und antwortete ab und an wenig motiviert, wenn sie mir eine Frage stellte, sodass sie irgendwann das Handtuch warf und mein Zimmer verließ. Murrend starrte ich auf die Tür, die hinter ihr ins Schloss fiel und seufzte schließlich auf, als ich mich wieder unter meiner Decke verkroch. Wie kam sie dazu mich an einem Samstagmorgen so lange und dazu noch SO FRÜH tadeln zu müssen? Gut, ich hatte mir den Arm gebrochen, aber das war noch lange kein Grund mir vorzuhalten wie unzuverlässig und unfähig ich doch war. Mein Blick wanderte aus dem Fenster und ich konnte in das Nachbargebäude sehen, das ich beinahe so gut kannte wie mein eigenes zu Hause. Als kleiner Junge war ich oft bei meinen Nachbarn gewesen und hatte mit Noriko gespielt, doch nun würdigte sie mich keines Blickes mehr. Scheinbar war es ihr irgendwann zu peinlich mit einem fünf Jahre jüngeren Kerl herum zu tollen und mich ihren besten Freund zu nennen. Mit der Pubertät kam eben immer die Erkenntnis, dass man sich dem eigenen Alter anpassen musste. Oder so. Ich hatte keine Ahnung, immerhin hatte ich noch nie das Bedürfnis gehabt mich irgendjemandem anzupassen, vielleicht war ich auch einfach nur zu jung dafür.

Etwas Gutes hatte mein Krankenstand genau betrachtet dann doch. Ich musste mir Frau Nanahara nicht antun. Dieses Gezicke an einem Montagmorgen war wohl das Grausamste, das ich in meinen jungen Jahren zu erdulden hatte und was mich noch jahrelang in meinen Träumen verfolgen würde. Diese wandelnde Ruine, der der Salat vom Mittagessen von vor vierzehn Tagen noch zwischen den Zähnen klebte, würde mich wohl noch mit ihren letzten Atemzügen verfluchen. Vermutlich starb ich noch vor ihr. Wie viele Generationen sie wohl schon hinter sich hatte? Vielleicht hatte sie sogar noch die Neuzeit und die Erfindung der Glühbirne miterlebt. Zuzutrauen war es ihr.
 

Annähernd drei Wochen lang lag ich flach. Ich fragte mich wer außer mir es schaffte sich seinen Arm bei einem Sturz dreifach zu brechen. Stirn runzelnd blickte ich in den azurblauen Himmel und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Es war brütend heiß. Welcher Idiot war auf die Idee gekommen, dass wir heute Klassenfahrt hatten? Eigentlich hatte ich nichts dagegen, aber warum zum Teufel musste es ein Ausflug zu einem alten Schrein in der Nähe sein? Konnten wir nicht einfach wie alle anderen Klassen auch an einen See oder in ein Schwimmbad in der Nähe fahren? Nein, natürlich nicht, denn wir hatten den einzig lebenden Dinosaurier an unserer Seite, der Obhut über uns hatte. Mein Blick wanderte zu besagter Person und diese fixierte mich mit einem Ausdruck in den Augen, der eine Mischung aus Belustigung und Herausforderung darstellte. "Na, Tsukatani-chan, machen deine kurzen Beine schon schlapp?" Augenblicklich war mein Kampfgeist geweckt und eine Ader an meiner Schläfe pochte bedrohlich. "Passen Sie auf, dass Ihre Tarnung nicht auffliegt, immerhin weiß nicht jeder hier, dass sie eine alte Hexe sind", gab ich keifend zurück und rannte, in meinem Stolz verletzt, den Rest des Berges im Alleingang hoch. Oben angekommen, streckte ich die Arme von mir und stieß einen Siegesschrei aus, ehe ich vornüber fiel und auf schmerzhafte Art und Weise mit den Treppen des alten Schreins Bekanntschaft schloss. "Wenn man so eine Amöbe wie du ist, sollte man seine Grenzen besser kennen", drang es an meine Ohren und sofort war ich wieder bei Bewusstsein. Diese Stimme. Diese von Verachtung triefende Stimme, ich kannte sie. Mein Blick wanderte über die umstehenden Personen und an einer bestimmten Gestalt blieb er schließlich hängen. "D.K. ...", zischte ich abfällig und es schien als wollten das blonde Mädchen und ich uns alleine mit unseren Blicken in die Knie zwingen. Ich hatte mich auf meine Arme gestützt, um mich umsehen zu können und so wirkte das junge Mädchen vor mir beinahe riesenhaft im Vergleich zu meiner eigenen Gestalt, die sich mühsam vom Boden aufzusammeln versuchte. "Hast du niemand anderen, dem du auf den Sack gehen kannst? Irgendwelche neuen Opfer? Das muss doch langsam langweilig werden immer nur hinter mir her zu sein", seufzte ich schließlich auf und gab mich dem Anschein hin es würde mich überhaupt nicht interessieren, ob sie neben mir stand und mich mit ihren Blicken zu erdolchen beabsichtigte, oder ob sie mir gerade verbale Rosen geschenkt hatte. Erst, als ich gespielt gelangweilt in ihre Richtung sah und ihr bereits den nächsten Kommentar um die Ohren werfen wollte, wurde meine Neugier geweckt und ich hielt in meinen Bewegungen inne. Hinter Akane, die mich schon mein Leben lang triezte, obwohl ich nicht wusste, was sie sich davon versprach, konnte ich Noriko erkennen, die noch vor wenigen Wochen schreiend vor mir weg gelaufen war. Irritiert blinzelnd, jedoch ein schiefes Grinsen auf den Lippen, hob ich eine Hand zum Gruß, wie ich es schon das letzte Mal versucht hatte und murmelte ein paar zusammenhangslose Worte, die mein Gegenüber wohl erst recht in tiefste Verwirrung versetzten. Noriko sah mich an als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank und geistig trat ich mir für diese Idiotie selbst in den Arsch.
 

Knurrend biss ich auf mein Mittagessen ein, als müsste ich es erst töten, ehe ich es verspeisen konnte, starrte böse vor mich hin und ließ mich selbst in Gedanken die grausamsten Alpträume durchleben. Warum war ich nur so neben mir gewesen, als ich mich endlich in der Situation wiederfand mit meiner alten besten Freundin zu sprechen? Ich hatte sie immerhin schon seit Jahren nicht mehr gesehen und sie hatte sich mir auch nicht mehr genähert, wenn man das so nennen konnte, seit wir Kinder gewesen waren. Ein deprimiertes Seufzen verließ meine Lippen und ich sah in den azurblauen Himmel. In letzter Zeit war es beinahe schon ekelhaft sonnig. Wenn mich das düstere Wetter nicht anödete, dann war es die Sonne, die versuchte mir ein freudiges Lächeln abzugewinnen. Doch irgendwie konnte ich mich für nichts dergleichen begeistern. Für gewöhnlich liebte ich dieses Wetter. Ich war guter Dinge, unternehmungslustig und nichts konnte mich in schlechte Laune versetzen. Doch seit einem Monat ging es einfach nicht. Ich war gereizt, eine tickende Zeitbombe und wer zum Zeitpunkt des Vulkanausbruchs neben mir stand, der wurde mit in die Lava gezogen. Kurz und gut: Ich war einfach unausstehlich. Zumindest für meine Familie. Auf andere wirkte ich eher ... gedankenlos, beinahe geistig verwirrt. Als stünde ich den ganzen Tag neben mir. Was war nur mit mir los?
 

Ein vorwitziges Blatt, das sich wohl auf dem Weg zu Boden verirrt hatte, flog mir direkt ins Gesicht und unterbrach meine abstrusen Gedankengänge vorläufig, brachte mich dazu mich verwirrt umzusehen, als hätte mich jemand angesprochen und ich es nicht sofort bemerkt und fiel schließlich auf meinen Schoss. Ich blinzelte ein paar Mal, ehe ich bemerkte, dass mein imaginärer Gesprächspartner, den ich so unhöflich ignoriert hatte, ein Abkömmling eines Ahornbaumes war und ich fühlte mich verarscht. Selbst die Natur machte sich über mich lustig. Schnell hatte ich den Rest meines Imbisses hinunter gewürgt, spülte mit Mineralwasser nach, an dessen Stelle ich mir jetzt eine eiskalte Limo wünschte - hauptsache irgendwas mit Geschmack -, streckte mich, nachdem ich wieder alles in meinem Rucksack verstaut hatte und sah mich schließlich um. Die anderen waren noch dabei ihre Brote zu verzehren und selbst der T-Rex persönlich machte sein eigenes Päuschen. Ein sarkastisches Grinsen schlich sich auf meine Lippen und ich ließ meinen Rucksack schließlich bei meinen Klassenkameraden liegen, ehe ich mich auf den Weg zu meiner selbsternannten Erkundungstour machte. Ich wollte mir keinen langweiligen Vortrag unseres Klassenvorstandes anhören, ich wollte auf eigene Faust Informationen sammeln. Mühsam suchte ich mir einen Weg durch das Gestrüpp und quetschte mich zwischen Dornenbüschen und verdorrten Sträuchern hindurch, ehe ich auf einer großen, steinernen Plattform angelangt war und mich insgeheim fragte, wo ich hier wohl gelandet war. Langsam trat ich auf das vor mir liegende und majestätisch wirkende Bildnis zu und musste den Kopf in den Nacken legen, um bis zu der Spitze des Daches sehen zu können. Mir erschien dieses Gebäude beinahe schon zu groß und zu mächtig, als dass es ein einfacher Schrein hätte sein sollen. Mein Blick wanderte über die Initialen an der Tür, doch ich konnte nicht verstehen was da stand. Das hatte nichts mit meiner Muttersprache zu tun, das war sicher. Doch welcher Sprache sollten sich Priester im alten Japan schon bedient haben? Misstrauisch runzelte ich die Stirn und legte meine Hand an die vermoderte Holztür, als mich eine schrille, alte Stimme aus meinen Gedanken riss. Mein Herz setzte einen Schlag aus, das Blut wich mir aus dem Gesicht und ich konnte fühlen wie sich das Adrenalin in meine Muskeln zwängte und mein Gehirn den Urinstinkt in mir weckte, der mir in Gefahrensituationen den Arsch retten sollte. Mein Körper war bis zum Bersten gespannt und alles in mir schrie "Lauf!", doch ich blieb wie erstarrt stehen. Meine Finger zitterten und ich konnte kalten Schweiß auf meiner Stirn fühlen, als ich mich schließlich der fremden Person zu wandte, die mir eine ihrer kleinen Hände an die Schulter gelegt hatte. Als ich erblickte, wer mich angesprochen hatte, sprang mir das Herz beinahe aus der Brust und ich vergaß Luft zu holen. Mir wurde schlecht und ich hatte das Gefühl mich vor Schock übergeben zu müssen. Zwei schmale, weiße Augen lugten unter einem Berg von Falten und überschüssiger Haut hervor, starrten direkt in meine und ließen mir das Blut in den Adern gefrieren. Der Geruch der von der alten Frau ausging, erinnerte mich an Friedhofserde und Leichenbalsam. Zudem drang der modrige Gestank von Verwesung an meine Nase und ich hatte sichtliche Schwierigkeiten meinen Mageninhalt hinunter zu zwingen. Die fettigen, verfilzten Haare, hingen ihr bis über die üppigen Brüste und es war schwer zu erkennen, ob die Insekten, die darin hingen, sich in diesem Knäuel eingenistet hatten oder darin verendet waren. Ihre speckige Haut war über und über mit Warzen und Pickeln übersehen und die Nägel an ihren Händen waren beinahe so lang wie ihre Finger. Das lange Kleid, das sie trug war ihr viel zu eng und ließ die Speckfalten nur zu deutlich erkennen, die sich unter dem Stoff abzeichneten. Erneut erhob die alte Frau ihre Stimme, als ich sie nur entgeistert anstarrte und zu keiner Regung fähig schien. Diese Stimme war so eindringlich. Furchteinflößend und doch autoritär. Sie brannte sich in meine Gedanken und ließ mich nicht mehr los. Sie öffnete den Mund und offenbarte ihre gelblichen, verdreckten Zähne meinem Blick.
 

„Die Stimmen verlorener Seelen verfolgen mich. Sie suchen mich in meinen Träumen heim und lassen mich nicht mehr los. Ich höre ihre Schmerzensschreie, ihr Leid und ihren Todeskampf, während ich versuche mich in den Schlaf zu wiegen. Der Gestank ihres faulenden Fleisches umgibt mich mit jeder Sekunde, die verstreicht. Der Anblick ihrer blutenden Kadaver hat sich in meine Augen gebrannt. Sie lassen mich nicht mehr los. Sie wollen mich holen. Sie wollen mich zu sich holen. Ich habe sie verraten. Sie werden mir nicht verzeihen.“ Ihr Griff wurde fester und ich wich – soweit mir das bei dieser Gewalteinwirkung möglich war – zurück, wandte das Gesicht ab und kniff die Augen so fest ich konnte zusammen. „Du gehörst zu ihnen, ich weiß es. Du bist gekommen, um mich zu holen, doch das werde ich nicht zu lassen. Du willst mir meine Seele nehmen und mich den gleichen unmenschlichen Qualen aussetzen, hab ich nicht recht?“ Ein heiseres Krächzen verließ meine Lippen und ich verneinte ihre Frage mit zitternder Stimme, während ich meine Finger an ihre Faust hielt und verzweifelt versuchte mich zu befreien. Was wollte diese alte Schreckschraube eigentlich von mir? Ihr Blick entgleiste regelrecht, als sie mein wortloses Betteln beobachtete und sie öffnete die eingerissenen Lippen, jedoch unfähig etwas zu sagen. Erst, als sich ihr Griff im Stoff meines T-Shirts lockerte und ich ein paar Schritte zurück wich, bis ich die morsche Holztüre im Rücken fühlen konnte, die nachgab und mich ins Innere des Tempels fallen ließ, kam sie wieder näher und sah mich gefasst an. „Du kommst aus der Außenwelt. Wie hast du es geschafft hier her zu kommen, eh? Sag schon, was hast du gemacht, damit du diesen Ort betreten konntest?“ Ich schwieg, schüttelte stumm den Kopf und kroch auf dem Boden sitzend rückwärts vor ihr weg ohne zu wissen, was mich im Inneren des Gebäudes erwartete. „Du hättest bleiben sollen wo du warst! Dieser unheilige Ort wird dir nichts als Kummer und Verzweiflung bringen. Dein junges Leben endet, bevor es begonnen hat und du weißt es noch nicht einmal!“ Langsam kam sie immer näher, bis sie schließlich direkt vor mir stand und sich zu mir hinab lehnte. Ich hatte mich unterdessen in ein Eck des Zimmers geflüchtet, konnte nun jedoch nicht mehr weiter und starrte sie aus angsterfüllten Augen an. „Du hast nur eine Chance dieser Hölle wieder zu entkommen: Finde das Licht, das zum Dunkel gehört, das in deiner Seele Einzug halten wird. Alleine wirst du untergehen.“
 

Mit diesen Worten und dem nächsten Wimpernschlag war die unheimliche Gestalt der alten Frau wie vom Erdboden verschlungen und erschreckt zuckte ich zusammen. Ohne einen Moment darüber nachzudenken was sie zu mir gesagt hatte, oder wo ich überhaupt war, erhob ich mich und stürzte über den Platz vor dem Schrein und die Treppen hinunter, ignorierte die Dornen und Ranken und fühlte wie meine Haut unter den scharfen Spitzen nachgab und aufriss. Meine Lunge schmerzte und das Herz hämmerte mir so stark gegen die Rippen, dass ich bereits dachte mir eine davon zu brechen. Die Muskeln in meinen Beinen brannten, doch ich rannte weiter, verlor das Gleichgewicht und fiel schließlich vornüber aus dem Gebüsch. Für einen Moment blieb ich liegen und verschnaufte, ignorierte die Schmerzen in meinem Körper, doch dann hob ich langsam den Kopf. Mein Blick klärte sich langsam und ich konnte die Gestalt Norikos vor mir entdecken, die mich entsetzt anstarrte. Einem inneren Impuls folgend ergriff ich ihre Hand, sah ihr beschwörend in die Augen und krächzte atemlos die Worte "Hilf mir", ehe mich die Dunkelheit übermannte und ich in die Ohnmacht sank. Noch immer konnte ich die eiskalte Stimme der schaurigen Gestalt am Schrein hören, die sich wie ein Parasit in mein Hirn einnistete und mich langsam von innen aufzufressen schien.



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