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Winterszenen

von

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Bühne frei

Lied: Unwell (Matchbox 20)

(Koushokus Theme)
 

Die Scheinwerfer gehen an. Blendende Lichtkreise auf dunkelrotem Samtstoff. Der Vorhang öffnet sich, auf der Bühne steht eine Tür. Sie ist so aufgebaut, dass man die Menschen auf beiden Seiten sehen kann. Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, berührt die Tür mit einer Hand, die andere liegt auf ihrer Brust, als versuche sie, ihr Herz in einem Stück zusammen zu halten. Ihr Blick ist zum Himmel gerichtet.
 

Auf der anderen Seite sitzt ein junger Mann, mit dem Rücken an die Tür gelehnt, die Knie angezogen. Seine Ellenbogen hat er darauf gestützt, sein Gesicht ist hinter seinen Händen verborgen. Die Kamera fokussiert sich auf ihn. Er gräbt die Finger in sein Haar, hält krampfhaft die Augen geschlossen und beißt sich auf die Unterlippe. Warte, möchte er sagen. Warte – und noch so viel mehr, aber jetzt gerade, in diesem Moment, ist das unmöglich. Er kann nicht und es tut ihm so weh. Warte...
 

A/N: Wie beim Prolog sind vielen Kapiteln Lieder zugeordnet - ein Soundtrack ist bei unseren Wichtelstories schon fast Tradition. Meiner Meinung nach ist es ganz empfehlenswert, diese Songs beim Lesen zu hören - verstärkt eben die Wirkung. Natürlich sollte die Atmosphäre auch so rüberkommen. :)

Alles Gute kommt von 'Oben'

Song: I'm Going Slightly Mad (Queen)
 

Mein Bruder Koushoku und ich hatten einander immer blendend verstanden. Trotz unseres Altersunterschiedes, trotz des ewigen Geschlechterkampfes, trotz unseres intakten Elternhauses, trotz der Pubertät, und wenn es nicht um eine ganz andere Sache ginge, dann könnte ich noch lange damit weitermachen. Der Punkt war nämlich, dass wir einander nicht mehr verstanden. Das heißt, er wurde immer eigenbrötlerischer und leichter zu reizen und unternahm auch nicht mehr diese Sachen mit mir, die tolle große Brüder mit ihren jüngeren Schwestern unternehmen. Und ich, ich war nun mal ein verzogenes kleines Gör und wollte meinen alten Kousho zurück.
 

Als ich genau das auf einen Zettel schrieb und diesen beim ersten Vollmond nach dem ersten Schnee draußen auf die Fensterbank legte, hatte ich nicht damit gerechnet, dass der Wunschzettel sich, von einem Windstoß aufgewirbelt, in Luft auflösen würde und mit einem Blitzen und Donnern plötzlich ein junger Mann mit einer Art Toga, einem unechten Heiligenschein und Flügeln auf unserer Terrasse im Schnee säße.
 

Elegant stand er auf, zupfte missmutig an dem knappen Stück Stoff um seine Hüften, blickte sich verstohlen um und wurde dann unauffällig den falschen Heiligenschein los. Fasziniert trat Nozomi Noeru zu ihm nach draußen und grabschte ohne zu fragen nach seinen Flügeln.
 

„Hey!“, warnte der Was-auch-immer und wich einen Schritt zurück. „Nicht anfassen, die sind von dem Sturzflug zerzaust genug. – Hast du mich gerufen?“ Sich der Situation bewusst werdend, sah sie ihn zum ersten Mal richtig an und legte nachdenklich den Kopf zur Seite. „Hast du den Wunschzettel geschrieben?“, hakte er ungeduldig nach, als sie nicht antworte, und erhielt im Gegenzug ein gestammeltes „Nein, ja, doch, vielleicht, was bist du?“ Zufrieden mit dieser Entgegnung stellte er sich mürrisch vor. „Aijou Tenshino, Engel. Zu Diensten. Hast du was dagegen, wenn ich mich umziehe, diese Dienstkleidung ist äußerst unpraktisch.“, sagte er monoton, wartete nicht auf ihre Antwort sondern holte eine kleine Reisetasche von Gott-weiß-wo hervor und zog eine zerschlissene Jeans, alte Turnschuhe und ein enges schwarzes Sweatshirt mit einem nicht entzifferbaren weißen Schriftzug heraus.
 

Nachdem er sich umgezogen hatte (und seine Flügel auf unerklärliche Weise verschwunden waren und nur zwei schlichte Tattoos auf seinen Schulterblättern zurück ließen) kramte er nach einem Haargummi und band sich die rotbraunen Haare zurück. „Ehrlich mal, ich bin doch kein dicker kitschiger Putte, diese dummen Klischees gehen mir echt auf den Sack.“, grummelte er, dann betrachtete er das immer noch verwirrte Mädchen. „Wie heißt denn du? Ich will wenigstens wissen für wen ich mich hier zum Affen machen durfte, scheiß Bewährung, ich will endlich was Richtiges machen und nicht diesen Kinderkram, verdammt…“
 

„Nozomi Noeru.“, brachte sie zustande und betrachtete noch einen Moment länger das absurde Bild, das sich ihr bot. Ein Engel. Ein verdammt gut aussehender und verdammt schlecht gelaunter Engel stand vor ihr auf ihrer Terrasse und sollte ihren Wunsch erfüllen, wovon er nicht sehr begeistert schien… „Kinderkram?!“, wiederholte sie dann ungläubig. „Kinderkram? Hör mal, wenn das Kinderkram wäre, dann hätte ich den Quälgeist von nebenan um Hilfe gebeten! Mein Bruder driftet zum Arschloch ab und das macht weder mir noch meinen Eltern Spaß! Sogar seine Freunde haben sich schon bei mir beschwert und ich glaube auch nicht, dass Koushoku“ – sie ignorierte das Kichern des Engels angesichts des ungewöhnlichen Namens – „gerne alle Menschen in seiner Umwelt vergrault, wenn er sie nur anguckt!“ Sie fühlte, wie ihre Rage ihre Wangen erröten ließ und Tränen der Frustration ihr die Kehle zuschnürten.
 

„Du bist hübsch wenn du dich aufregst.“, hauchte Aijou, dessen Gesicht plötzlich nur noch eine handbreit von ihrem entfernt war, nahm ihre Hand und führte ihr Handgelenk lasziv an die Lippen ohne den Augenkontakt zu brechen. Nozomi atmete zittrig ein als er einen federleichten Kuss auf ihren unregelmäßigen Puls presste, zarte warme Lippen streichelten ihre vom Wind kühle Haut und jagten kribbelnde Schauer durch ihren ganzen Körper.
 

Bis ihr klar wurde, was der Engel gerade tat und sie ihm ihre Hand entriss und eine Ohrfeige verpasste. „Du Perverser! Denkst du, du kannst mich ablenken?! Denkst du, ich bin so leicht zu kriegen!?“, wetterte sie und versuchte nicht darüber nachzudenken, dass ihre Stimme bei ‚leicht’ äußerst unwürdevoll brach und dass sein Plan beinahe aufgegangen wäre. Seine Äußerung des letzteren –nicht gedachten! – Gedankens brachte ihm eine weitere Ohrfeige auf die blasse Wange, auf der sich bereits ein roter Handabdruck zu zeichnen begann.
 

„Au!“, protestierte er gegen die grobe Misshandlung, besann sich dann aber auf die Gardinenpredigt, die sein Vorgesetzter ihm gehalten hatte, und fuhr in einem zivilisierteren Tonfall fort. „Okay, Frieden jetzt. Möchtest du mich nicht vielleicht einladen hereinzukommen? Du siehst ja auch schon halb erfroren aus, ohne Schuhe durch den Schnee laufen, mal ehrlich!“

Das Große Goldene ...

Widerwillig hatte Nozomi sich ins altmodische Arbeitszimmer des Hauses schieben lassen und saß nun neben Aijou auf der weichen dunkelgrünen Couch vor dem Kamin, mit einer Tasse heißer Schokolade, die ihr die Hände wärmte, und einer kuscheligen Wolldecke. Sie fühlte sich wie ein Gast im eigenen Haus. Aijou hatte eine Art Business-Gesicht aufgesetzt, viel weniger kampflustig als zuvor, und auch irgendwie unpassend. Ein paar kürzere Strähnen hatten sich aus seinem Zopf befreit und fielen ihm in die Augen. Er streifte sie sich größtenteils vergeblich hinters Ohr. Nozomi blickte krampfhaft gerade aus in ihre Tasse, aus Angst ins Starren zu verfallen. Diese Augen waren einfach zu unnatürlich hell und ein bisschen verstörend und verdammt... fesselnd.
 

„Du möchtest also, dass ich herausfinde, warum sich dein Bruder so verändert hat?“, fragte er in einem professionellem Tonfall, der ihm zwar nicht halb so gut stand wie der neckende von vorhin, aber um einiges vertrauenerweckender war. Dankbar für die Ablenkung nickte Nozomi. „Richtig. Seit ungefähr drei Monaten ist er einfach nicht mehr er selbst. Es ist zum Verrückt-werden!“ „Hmm“, erwiderte der Engel. „Koushoku heißt er, nicht wahr?“, murmelte er mehr zu sich selbst als zu ihr und zog ein goldenes Notebook aus seiner Reisetasche.
 

Sich beobachtet fühlend schielte er von seinem Notebook zu Nozomi auf, über deren Kopf ein sprichwörtliches Fragezeichen aufleuchtete. „Ich schaue mir die Akte deines Bruders an.“, erklärte er ihr. Erkenntnis breitete sich auf ihrem Gesicht aus, dann Skepsis. „Solltest du nicht eher ein Großes Goldenes Buch haben, wie der Nikolaus?“, fragte sie mit einem kritischen Blick. „Modernisierung gibt es nicht nur auf der Erde, weißt du? Diese Großen Goldenen Notebooks sind viel übersichtlicher als die alten Dinger. Es war zwar eine Höllenarbeit den ganzen Kram ab zu tippen, aber jetzt geht alles viel schneller. Siehst du, hier haben wir ihn schon. Koushoku Noeru, 18 Jahre alt, geboren am 13. November...“ Nozomi bedachte ihn mit einem ungläubigen Kopfschütteln.
 

„Sehr fleißig, lügt nicht, höflich, freundlich... klingt doch perfekt.“, stellte Aijou fest. Nozomi nickte mit einem Lächeln, das verriet, wie sehr sie ihren Bruder mochte und wie sehr sie ihn vermissen musste. „Ah, hier. Seit Mitte August diesen Jahres zieht er sich immer mehr zurück, ist unwirsch... verstehe. Na, dann werde ich ihn mal im Auge behalten. Geht ihr auf die gleiche Schule?“

„Nein, aber unsere Schulen sind nicht weit voneinander entfernt. Wenn du morgen mit mir kommst, kann ich dir den Weg von dort aus erklären. Findest du dann alleine zurück?“
 

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Aijou machte Anstalten, das Notebook zu schließen, als er bemerkte wie Nozomi auf ihrem Platz unruhig hin und her rutschte. „Ist was?“, erkundigte er sich und das Mädchen wurde rot. „Kann ich... ähm... na ja... was steht denn bei mir?“, stammelte sie, ertappt. Aijou grinste selbstgefällig. „Das willst du wissen? Du Naseweiß, du Schelmenpack!“, zitierte er, öffnete allerdings trotzdem ihre Akte und drehte ihr den Bildschirm zu, so dass sie lesen konnte, was dort über sie geschrieben stand...
 

„Frech und unverschämt?!“

Fanservice

Oder: Eine Ode an College Musical
 

Lied: Don't Cha (The Baseballs)
 

Troy zog die Augenbrauen hoch. Als er sich umdrehte schnellten ein paar Mädchenköpfe in die entgegengesetzte Richtung. Er schluckte wieder und hörte nun auf das Tuscheln hinter seinem Rücken.

“Oh Gott, und diese zerwuschelten Haare!”

“Der ist doch echt zum Anbeißen!”

“Ja, unwiderstehlich!”

“Ich werde noch weniger essen!”

Troy stöhnte abermals entnervt und ließ seinen Kopf auf den Tisch sinken. Ryan klopfte ihm grinsend auf die Schulter.

“Unser Held hält den Rummel um seine Person nicht aus?”, neckte er ihn.

Mädchen quietschten.

“Er hat ihn angefasst! Oh mein Gott! Er hat ihn angefasst! Habt ihr das gesehen?!”

“Ich will ihn auch mal anfassen!”

Der Tag fing ja toll an.

(zitiert aus College Musical)
 

“Du gehst also die Straße weiter gerade aus und nimmst dann die zweite rechts. Vor dem Haus mit dem blauen Dach links die Treppe hoch und du stehst vor dem Tor von Koushokus Schule. Ist nicht zu verpassen. Groß und gelb... du bist ja nicht farbenblind, oder?“, erklärte Nozomi gut gelaunt. Aijou, der sie vor ihrem Kaffee erlebt hatte, verzichtete auf jeglichen Kommentar zu selbiger Laune und nickte nur, um ihr zu signalisieren, dass er verstanden hatte. Eben waren sie in die Straße abgebogen, in der sich Nozomis Mädchen-Gymnasium befand, das nun in Sicht gelangte.
 

Aijou nahm mit einem selbstgefälligen Grinsen einen Anstieg in der Kreisch-Rate wahr, als er und Nozomi sich näherten. Er betrat, ihre erhobene Augenbraue ignorierend, mit ihr das Schulgelände, posierte gekonnt lasziv und ließ den Blick schweifen. Starrende Mädchen wichen seinen Augen ertappt aus, drehten sich zu ihren Freundinnen und begannen aufgeregt zu tuscheln. Es hätte ihn nicht verwundert, wenn sie angefangen hätten zu sabbern. Quiekende Mädchen. Süß. Neben sich vernahm er ein „Ah!“ von seiner Begleiterin, das ihm verriet, dass sie seine Absicht durchschaut hatte, ein wenig in schmachtenden Gesichtern zu baden.
 

„Oh Gott, und diese Haare!“

„Der ist doch zum Anbeißen!“

„Ja, unwiderstehlich!“

„Meinst du, er hat mich gesehen?“
 

Aijou unterdrückte ein amüsiertes Lachen, das Nozomi nicht entging.
 

„Du genießt wohl den Rummel um deine Person, was?“, neckte sie ihn. Er nickte nur mit einem engelsgleichen Lächeln und Nozomi fragte sich, wozu er den falschen Heiligenschein benötigt hatte. „Jetzt mach aber, dass du weg kommst. Genug hysterischen Mädchen den Kopf verdreht!“, scheuchte sie und schob ihn mit einer Hand an der Schulter in Richtung Straße.

Mädchen quietschten.
 

„Sie hat ihn angefasst! Oh mein Gott! Sie hat ihn angefasst! Habt ihr das gesehen!?“

„Ich will ihn auch mal anfassen!“
 

Aijou erlaubte sich ein Grinsen. Der Tag fing ja toll an.
 

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A/N: College Musical ist die Story, die mir die Freundin, für die diese Geschichte ist, letztes Jahr geschenkt hat - habe mir selbstverständlich die Erlaubnis geholt^^

Der Große Bruder

Song: Unwell (Matchbox 20), ab Koushokus Auftauchen
 

Aijou lehnte lässig neben der Wohnzimmertür an der Wand, als Nozomi von der Schule nach Hause kam. Scheinbar verärgert stapfte sie zu ihm herüber und stellte sich vor ihm auf die Zehenspitzen, so dass ihr Gesicht nur noch zwei Handbreit von seinem entfernt war. Sie holte tief Luft, um – wahrscheinlich lautstark – eine Kritik los zu lassen, doch bevor sie beginnen konnte, öffnete sich die Tür ein weiteres Mal und ins Zimmer kam der junge Mann, den Aijou den gesamten Vormittag beschattet hatte.
 

Koushoku starrte die beiden für einen Moment an, senkte dann den Kopf und blickte misstrauisch bis boshaft über seine schmale Brille hinweg. Seine gold-braunen Augen funkelten und Aijou notierte, dass eigentlich ein Lächeln in das hübsche Gesicht gehörte. Koushoku rückte seine Schultasche auf seiner Schulter zurecht, so dass sie ihm nicht herunterrutschte und marschierte dann auf seine Schwester und den fremden jungen Mann zu, in ähnlicher Manier wie Nozomi zuvor. Erstaunlich sanft zog er das Mädchen von Aijou weg und knurrte diesen förmlich an.
 

„Finger weg von meiner kleinen Schwester!“, zischte Koushoku und mit einem Mal verstand Aijou die Beziehung zwischen den beiden Geschwistern besser. In beschwichtigender Geste hob er die Hände. „Keine Sorge. Ich gehe ganz sittlich korrekt mit ihr um.“, antwortete er.
 

Er wurde noch einmal eingehend studiert, dann verschwand Koushoku mit einem todernsten „Und wehe wenn nicht!“ in den Flur. Seine Hausschuhe klangen laut auf der Treppe, dann knallte eine Tür.

Des Rätsels Lösung

„Du sollst mir helfen, verdammt!“, rief Nozomi, piekste ihn mit einem Finger in die Brust und funkelte zornig zu ihm auf. „Du sollst mir helfen und nicht hier so faul herumlungern. Mach’ gefälligst deinen Job und sorg’ dafür, dass Koushoku und ich uns wieder so gut verstehen wie früher!“
 

Aijou unterdrückte gekünstelt ein Gähnen. „Dein Bruder, ganz ehrlich, der muss einfach mal flachgelegt werden.“, grummelte er beiläufig und ignorierte die rote Farbe, die sich auf den Wangen seiner Klientin ausbreitete. „Der Einfluss sexueller Frustration auf das Alltagsverhalten eines Teenagers ist nicht zu unterschätzen, weißt du?“ Erstauntes Schweigen traf auf seine Ohren.
 

„Ja, dann… schlaf’ halt mit ihm.“, schlussfolgerte Nozomi, jegliche Scham war von ihrem Gesicht gewichen. Mit großen Augen starrte er sie an, seine verborgenen Flügel juckten mit dem Bedürfnis auf schnellstem Wege zurück nach Hause zu fliegen und er stieß sich von der Wand, an der er lehnte, ab um noch größer zu erscheinen und sie einzuschüchtern. „Spinnst du?! Ich habe dir gesagt woran es liegt, dass er so bockig ist. Damit ist meine Aufgabe erfüllt!“, bellte er und verschränkte defensiv die Arme vor der Brust. „Außerdem sind Beziehungen mit Menschen in meinem Beruf verboten. Und auch wenn ich vielleicht nicht so aussehe und die Dienstkleidung absolut nicht schätze, ich mag meinen Job.“, fuhr er ruhiger fort.
 

„…aber an und für sich würdest du es tun.“, stellte das unverschämte Gör fies grinsend fest. „Was?! Nein!“, japste er nur etwas zu schnell und wollte sich weiter rechtfertigen, doch sie fuhr ihm einfach über den Mund. „Und bist du nicht eh gefeuert?“ „Auf Bewährung, verdammt.“ „Dann eben auf Bewährung. Kannst du die denn nicht später absolvieren? Ich meine, wenn du schon Mist gebaut hast, dann macht es doch auch keinen so großen Unterschied, ob du noch ein bisschen mehr Unsinn anstellst... weshalb bist du überhaupt auf Bewährung?“ Mehr als ein unverständliches Grummeln erhielt sie nicht als Antwort.
 

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Aijou hatte sich ins Arbeitszimmer zurückgezogen, das Nozomi ihm großzügig als Gästezimmer angeboten hatte. („Bleib hier. Fass nichts an, mach nichts kaputt und keine Flecken! Wenn Mama und Papa wiederkommen und hier stimmt irgendetwas nicht, dann bin ich geliefert!“) Er hatte nicht vorgehabt, sich nicht daran zu halten und fand die Anweisungen äußerst unnötig. Vor allem, da er ohnehin nicht sonderlich lange zu bleiben gedachte. Herausfinden, warum Koushoku sich verhielt wie er sich verhielt, Nozomi einen mehr oder weniger ausführlichen Bericht erstatten und wenn möglich eine Versöhnung oder Aussprache einleiten. Ende. Genauere Ausarbeitung variabel.
 

Damit, dass er bereits am ersten Tag das Problem schon so gut wie entdeckt hatte, hatte er zwar nicht gerechnet, aber ihm sollte es Recht sein. Was er Nozomi vorhin eher scherzhaft wegen der Reaktion ihres Bruders erzählt hatte, war sogar eine Art Halb-Wahrheit gewesen. Sexuelle Frustration spielte tatsächlich eine gewisse Rolle bei der Sache... Er musste seine Vermutung nur noch bestätigen.
 

Ein wenig Ermutigung und ein Schubs in die richtige Richtung dürften dann sogar schon genügen, beschloss Aijou, zumindest als ein erster und wichtigster Schritt – um den Rest durfte sich dann Nozomi kümmern. Dass sie diesem Plan nicht im Wege stehen würde, hatte sie ihm zuvor sogar unwissentlich offenbart...

Alles auf Anfang

Lied: River Flows in You
 

Seufzend betrat Koushoku Noeru sein Zimmer und fuhr erschrocken zusammen als die Tür hinter ihm zuschlug. Das Schloss schnappte ein und Aijou blickte ihn ernst an während er den Schlüssel in der Hosentasche verschwinden ließ. Langsam schritt er an Koushoku vorbei und ließ sich dann auf der Kante des Bettes nieder. Der junge Mensch stand noch immer mit großen Augen wie angewurzelt in der Mitte des Zimmers und machte den Eindruck einer Maus, der gerade eine Katze in Gesicht grinste. „Wir müssen uns mal unterhalten.“, sagte Aijou und der Satz klang Unheil verkündend in Koushokus Ohren nach.
 

Der Engel erhob sich, legte einen Arm um ihn und zwang ihn dann mit sanfter Gewalt neben sich auf das Bett. Seine Finger glitten in die schwarzen Haare des anderen und lockten den müden Kopf auf seine Schulter. Die zärtliche Geste verführte Koushoku sich zu entspannen, die Steifheit wich aus seiner Haltung und er schmiegte sich an den warmen Körper neben sich. Bis er die Situation realisierte und angespannt so weit es Aijous Halb-Umarmung zuließ wegrückte.
 

„Bist du...?“, fragte er unsicher und wurde rot als er das Zittern in seiner eigenen Stimme vernahm. Aijou schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Nein.“, erwiderte er simpel. „Dann bist du...?“, hakte Koushoku nach, ein wenig neugierig, ein wenig hoffnungsvoll, er vermochte es nicht zu sagen. „Nein.“, war wieder die Antwort und er hatte reichlich Mühe seine Enttäuschung nicht zu zeigen. „Aber-“, setzte er an, doch Aijou unterbrach ihn. „Schönheit ist Schönheit, Gefühle sind Gefühle.“, erklärte er. „Also bist du doch...“ „Wenn du meinst.“, resignierte der Engel mit einem Augenrollen.
 

Koushoku holte tief Luft, so als müsse er allen Mut, der im Raum war in sich aufnehmen um das zu auszusprechen, was sie beide wussten und was er doch endlich sagen musste, um darüber hinweg zu kommen. „Ich...“, begann er, aber die Worte verließen ihn und er biss sich frustriert auf die Unterlippe. „Ich weiß.“, beschwichtigte Aijou. „Ist okay.“ Mit einem erleichterten Seufzen lehnte Koushoku sich wieder an ihn an und für eine Weile saßen sie so da, schweigend, den plötzlichen Frieden genießend, einander himmlische menschliche Nähe gebend. Ein unausgesprochenes Danke schwebte mit einem Gern geschehen im Raum und tanzte über ihren Köpfen.
 

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„Du warst wohl ein ziemliches Arschloch deswegen.“, brach Aijou schließlich die Stille. „Hmm.“, brummte der junge Mann an seiner Schulter benommen.

„Ist ja auch nicht unverständlich. Aber irgendwie musst du jetzt auch wieder damit aufhören.“

„Ich weiß. Will ich ja auch, aber-“

„Nichts aber. Du bist nicht alleine. Nozomi will ihren Koushoku zurück, so wie er war bevor er aus ihr unerfindlichen Gründen eine 180°-Wendung gemacht hat. Du warst ja vorher auch schon schwul, du wusstest es nur nicht, und Nozomi mag dich genau so wie du bist, glaub mir. Wahrscheinlich ist sie sogar eins von diesen quietschende Fangirls, wenn du verstehst, was ich meine... Und ich für meinen Teil, könnte mich nicht weniger daran stören. Ich würde viel eher gerne mal den richtigen Koushoku Noeru kennen lernen! - Mein Name ist Aijou Tenshino, ich bin 18 Jahre alt und meine Hobbies sind fliegen, Harfe spielen und Menschen helfen. Ich will... ähm... Rettungssanitäter werden oder sowas in der Art. Und du?“
 

Verblüfft sah Koushoku ihn an, Aijous Finger waren noch immer in seine Haare verwoben und sein Blick war vollkommen ernst. Harfe spielen? Komisches Hobby... Die ganze Situation war schlichtweg bizarr. Aijou, der seit einer Woche bei ihnen wohnte, den er zuerst für den Freund seiner kleinen Schwester gehalten und äußerst brüsk ignoriert hatte, half ihm gerade über seine Krise hinweg. Der Gedanke entfachte ein leises Kribbeln in seinem Bauch, eine unverhältnismäßige Freude, wenn nicht sogar Euphorie, die nach Zuckerwattewolken und Schlaraffenland schmeckte.
 

„K... Koushoku Noeru. Ich bin auch 18. Ich spiele Geige, kutschiere meine Schwester durch die Gegend und ich will Gerichtsmedizin studieren.“, ging er jedoch dann auf das Spiel ein. „Freut mich, dich kennen zu lernen.“, Aijou strahlte über das ganze Gesicht und das unnatürliche Glitzern in seinen blass grünen Augen brachte auch Koushoku zum Lächeln. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite.“, konterte er galant und reichte dem anderen die Hand. Dieser lehnte ein Händeschütteln ab und rutschte stattdessen vom Bett auf die Knie, um seine Lippen auf den dargebotenen Handrücken zu legen. Überrumpelt starrte Koushoku ihn an und wandte dann beschämt den Kopf, in der Hoffnung seine geröteten Wangen zu verbergen.

Man tanzt

1.Lied: Rama Lama Ding Dong

2.Lied: Sweet Lady (Supercharango)

(Übergang aus Handlung erschließbar)
 

Mit federnden Schritten tänzelte Nozomi durch das Wohnzimmer. Rück, Platz, Wechselschritt, Wechselschritt. Sie sang laut und größtenteils schief mit. Tip, tip, tip, kick, kick, kick, kick, Pause. In einem Wirbel von halben Drehungen, Wechsel- und Wiegeschritten umkreiste sie das Sofa. Links, rechts, links, Tip, vor, Tip, kreuzen, Drehung, klatschen. Sie warf den Kopf zurück und drehte sich um die eigene Achse bis ihr schwindelig wurde und sie gegen die Sofalehne taumelte und vorne überfiel, nur um lachend wieder aufzuspringen und den Moment der Ausgelassenheit weiter auszukosten.
 

Amüsiert standen Aijou und Koushoku im Türrahmen und beobachteten die Szene, die sich vor ihnen abspielte. Nozomi trug die Boxershorts und ein kariertes Hemd ihres Bruders und ihr linker Strumpf war zum Knöchel herunter gerutscht. Ihre Haare waren feucht von einer Dusche und ungekämmt. Koushoku musste Lächeln. „Die ungeschminkte Wahrheit.“, scherzte Aijou hinter ihm und er verbesserte ihn. „Die ungeschminkte hüpfende Wahrheit.“
 

Koushoku machte einen unsicheren Schritt in den Raum und spürte eine warme Hand auf seiner Schulter, die halb ermutigte und halb schob. „Na los.“, flüsterte Aijou und gab ihm mit einem Räuspern einen Stoß, der ihn auf eine erschrockene Nozomi zu stolpern ließ. „W...willst du dein Hemd wieder haben?“, fragte sie ihn eingeschüchtert, weil sie wusste, dass er es nicht leiden konnte, wenn sie sich an seinem Kleiderschrank vergriff. Koushoku schüttelte den Kopf und schluckte den Kloß in seinem Hals herunter. Dann beugte er sich zu seiner kleinen Schwester herunter und flüsterte ihr etwas ins Ohr, das ihre Augen groß werden ließ. Nach einer Sekunde überraschten Schweigens fiel sie ihm um den Hals, während das Lied verklang.
 


 

Koushoku machte zwei Schritte rückwärts und bot Nozomi mit großer Geste eine Hand zum Tanz, die sie über beide Ohren strahlend annahm. In einer improvisierten Mischung aus Salsa, Tango und Rock'n'Roll wirbelte er sie durch das Zimmer und durch die Luft. Hosenträger und doppelte Drehung heraus, Valentino und Promenade, eine bunte Kombination von kompliziert wirkenden Schritten und die ein oder andere Hebefigur.
 

Aijou hatte es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht und folgte dem tanzenden Pärchen mit den Augen. Es sah ganz so aus, als wäre seine Arbeit beendet. Er suhlte sich in dem schönen Gefühl der Zufriedenheit, die eine erfüllte Aufgabe mit sich brachte, und in dem Lachen, dass hinter den Geschwistern her durch den Raum geisterte.

Krisensitzung

„Du musst noch ein bisschen bleiben, Aijou!“, beschwerte sich Nozomi patzig.
 

„Aber mein-“ „Scheiß auf deinen Auftrag. Wenn man es genau sieht, dann ist Kousho ja noch gar nicht wieder der Alte. Mir gegenüber zwar schon. Aber was ist mit seinen Freunden? Er muss doch jetzt erst mal lernen, mit der Sache umzugehen. Seine komische Paranoia loswerden. Und dann wären da noch Mama und Papa. Koushoku könnte jeden Moment wieder in seine asozialen Verhaltensmuster zurückfallen!“, schlussfolgerte Nozomi.
 


 

„Hey!“, meldete sich nun das Gesprächsthema protestierend zu Wort. Koushoku hatte den vollkommen perplexen Ausdruck immer noch nicht verloren, der auf sein Gesicht getreten war als Nozomi ihm erzählt hatte, Aijou sei ein Engel. („Ich habe nämlich einen Wunschzettel geschrieben und den beim ersten Vollmond nach dem ersten Schnee-“ „Vollmond und Schnee haben damit überhaupt nichts zu tun, das klappt das ganze Jahr über. - Aber nur mit nicht-materiellen Wünschen, bevor du auf dumme Gedanken kommst.“ „Och Mensch, Aijou! Jetzt hast du die ganze Dramatik zunichte gemacht!“)
 

„Ach, Kousho, ist schon in Ordnung.“, beschwichtigte Nozomi und tätschelte ihrem Bruder den Kopf. Sie mit einem bösen Blick versehend, aber ohne die provokante Geste mit einem Kommentar zu würdigen, wandte dieser sich an Aijou. „Aber in einer Sache hat sie nicht Unrecht. Bleib doch noch ein bisschen. Nimm' dir Urlaub oder so. Ist doch bald Weihnachten. Außerdem glaube ich mich daran zu erinnern, dass du gesagt hast du würdest gerne den echten Koushoku kennen lernen? Voilà ta chance.“ Nozomi hüstelte gekünstelt und er war sich nicht sicher ob sie darin ein scherzhaftes „Streber“ oder „Schwuchtel“ versteckt hatte, aber dann nickte sie bekräftigend.
 

„Komm' schon. Nur ein bisschen!“, bettelte sie und klimperte mit den Wimpern.
 

Aijou seufzte.
 

„Na gut.“, willigte er zögerlich ein und musste sich die Ohren zuhalten, weil Nozomi in schrilles Siegesgeschrei ausbrach. Er wechselte einen verzweifelte Blick mit einem achselzuckenden Koushoku. Was hatte er sich da eingebrockt?

Schmelzender Schnee

Lied: Siciliano
 

Es regnete.
 

Große Tropfen fielen auf den glitzernden Schnee, durchdrangen das weiße Geflecht, machten es durchsichtig und brachten es schließlich zum Einsturz, wie ein Kartenhaus im Wind.
 

Runde Flecken übersäten die Terrasse und den Garten, weiteten sich aus, gleich Wellen auf einem See, wenn man einen Stein hinein warf.
 

Weiß wurde wieder zu grau und grün, als würde der Welt alle Unschuld genommen. Der Regen zerstörte das friedliche Bild draußen und färbte es mit jeder enthüllten Farbe ein wenig trister.
 

Der Zauberer verriet seinen Trick, die Magie verblasste hinter den Tatsachen und stahl den Menschen die Fähigkeit des Bewunderns und Stauens.
 

Aijou saß vor dem großen Fenster im Wohnzimmer und betrachtete mit großen Augen das Schauspiel hinter der Scheibe. Das Bild hatte etwas Wundersames, Melancholisches, Himmlisches... Etwas, das mir den Atem nahm, das mir die Tränen in die Augen trieb und mein Herz schmerzhaft aus dem Rhythmus kommen ließ. Ich wagte es nicht, ihn zu stören und diese Szene so achtlos zu zerbrechen, wie der Regen den Schnee mit sich riss und in nichts verwandelte.
 

Ein Gefühl des Schwindels überkam mich und ich langte nach dem Türrahmen, der mir wie ein Fenster in diese fremde Welt schien, in der Aijou sich befand. Alles Licht im Raum verfing sich in seinen Haaren und tauchte das Zimmer in einen nicht mehr irdischen Schimmer, den man mit den Augen nicht wahrnehmen konnte. Ein fast unsichtbares Rosa überzog seine blassen Wangen und seine Hände waren in seiner Faszination um eine Tasse mittlerweile abgekühlten Tees erstarrt. Regungslos saß er da und folgte jedem Tropfen mit seinen unmenschlichen Augen. Ohne irgendetwas anderes zu tun als zu sein zog er mich in einen Bann, den ich mir nur auf eine Weise erklären konnte. Jeder Zweifel daran, ob er wirklich ein Engel war, erschien mir ab diesem Moment vollkommen lächerlich.
 

Bevor ich etwas noch Dümmeres tat, als mich mit einem Blick in ihn zu verlieben, wandte ich mich leise um und ließ ihn mit dem Regen allein. Der Schnee war geschmolzen.

Nozomis geheime Identität

1.Lied: The Ninjas (Barenaked Ladies)

2.Lied: Gay Bar (The Boss Hoss)
 

Nozomi war ein Ninja. Ein Auftragskiller. Ein Elitekämpfer. Und sie hatte eine Mission. Die Mission war von äußerster Wichtigkeit und Nozomi würde sie unter Einsatz ihres Lebens erfüllen. Sie war fest entschlossen.
 

Eine schwarz behandschuhte Hand drückte lautlos die Türklinke herunter, mit einem Auge spähte sie unter der Phantom-der-Oper-Maske hervor durch den Türschlitz und schob sich dann seitlich hindurch; ihre schwarzen (Kniestrümpfe) Sandalen machten kein Geräusch auf dem Teppichboden. Sie fixierte ihr Ziel an der anderen Seite des Raumes, ihre Beine, in einer Netzstrumpfhose, bereit jeden Moment zu fliehen, sollten ihre Opfer auch nur die kleinste Bewegung machen. Sie hörte das gleichmäßige Atmen der beiden. Ihr blutroter (Bademantel) Kimono raschelte nicht ein einziges Mal, als sie auf Zehenspitzen das Zimmer durchquerte.
 

Ein paar geschickte, professionelle Handgriffe und so still wie sie gekommen war, verschwand sie wieder. In ihrem (Zimmer) geheimen Hauptquartier angekommen, entledigte sie sich ihrer (albernen Verkleidung) angsterregenden Ninja-Uniform. Und brach in größenwahnsinniges Kichern aus.
 

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„I WANNA TAKE YOU TO A GAY BAR, GAY BAR, GAY BAR!“, dröhnten die Lautsprecher von Koushokus Stereoanlage und rissen zwei junge Männer unsanft aus ihrem tiefen Schlaf. Verwirrt und verschlafen blickte Aijou sich um. Anscheinend war er gestern nach der dritten DVD bei Koushoku im Zimmer eingeschlafen. Sein Nacken knackte als Dank dafür, dass er auf dem harten Boden genächtigt hatte. Sieben Uhr morgens, stellte er blinzelnd fest. Ein weniger verwirrter Koushoku saß kerzengerade im Bett und grollte vor Zorn. „Nozomi!“
 

„Das schreit nach Rache, Schwesterherz.“, murmelte er und wandte sich dann an Aijou. „Bist du dabei?“ Ein teuflisches Grinsen, das keinem Engel so gut hätte stehen dürfen, breitete sich auf dessen Gesicht aus. „Aber selbstverständlich. Eine solche Herausforderung kann man nicht nicht annehmen.“ Er hob seine Hand zum High Five. Koushoku schlug ein.
 

„I WANNA SPEND ALL YOUR MONEY AT THE GAY BAR!“

Night Out

1.Lied: Circus (Britney Spears)

2.Lied Superstar (David May)
 

Mit einem schiefen Lächeln, das ein bisschen mehr als charmant war, erschmeichelte sich Nozomi ein sensationelles Zahl-Zwei-Trink-Drei-Angebot für ihre Cocktails vom Barkeeper. Ihre violett karierte Krawatte war aus Versehen mit Absicht verrutscht und gab freie Sicht in den Ausschnitt ihres durchscheinenden weißen Tops, den Koushoku als großer Bruder nur tolerierte, weil er sie im Auge behalten konnte und weil sie zahlte. Er war sich auch sicher, dass ihre Büstenhalter nicht alle bis auf den schwarzen mit Spitze in der Wäsche waren...
 

„Cheers!“, griente sie und stieß mit ihren Begleitern an. Mit beunruhigend großen Zügen leerte sie das neon-orange farbige Getränk und verabschiedete sich dann mit einem Kuss auf die Wange bei Koushoku und – unter kritischer Beobachtung – Aijou. Geschickt wand sie sich durch die wogende Masse in Richtung Tanzfläche, die bunten Scheinwerfer tauchten ihre kurzen strubbeligen Haare in mehr als das gewöhnliche braun und violett, und für einen Moment verschwand sie in der Menge, die zu einem einzigen Körper verschmolzen zu sein schien. Im nächsten Augenblick tauchte sie wieder auf, in der Mitte einer der runden Bühnen, die auf der Tanzfläche errichtet waren.
 

Koushoku bewunderte seine Schwester dabei, wie sie alles um sich herum verzauberte; ihre Augen waren geschlossen, doch er wusste, dass sie fühlte – und genoss – dass man sie förmlich mit den Augen auszog. Der Strass auf ihren Gürteln, Ketten und Armbändern glitzerte in einem wilden Tanz, der sich gleichzeitig über jeden Rhythmus hinwegsetzte und mit der Musik verwachsen war. Nozomi brauchte nicht einmal einen Scheinwerfer um zu leuchten. Sie hatte scheinbar den ganzen Club in der Hand, mit einem gezielten Lächeln, einem mutigen Hüftschwung und einem entrückten Glanz in den Augen. Nozomi tanzte mitten in einem Haufen von tanzenden jungen Leuten und Koushoku konnte seine Augen nicht abwenden, weil er ihren Übermut in seinen eigenen Adern spürte.
 

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#11 Superstar
 

Nozomi lehnte an der Bar, ihren Cocktail hielt sie nur ein bisschen unsicher und schräg. Ihre Füße weigerten sich, ihr zu gehorchen und still zu stehen. Immer wieder stachen ihr Aijou und ihr Bruder in der verschwommenen Masse auf der Tanzfläche ins Auge und sie leckte sich unwillkürlich über die Lippen. Koushoku trug sein engstes kurzärmeliges Hemd, das petrolfarbene Karomuster kaum erkennbar in dem schummrigen Licht, das vom Zigarettenqualm nur noch unklarer wurde. Seine schwarze zerschlissene Jeans saß wie eine zweite Haut und wäre er nicht ihr Bruder gewesen, hätte sie sich schamlos, wie sie war und wie der Alkohol gemacht hatte, an ihn heran geschmissen.
 

Aijous dunkelbraune Hose war weiter, betonte aber genau die richtigen Stellen und sein eng anliegendes grünes Rollkragentop trug die treffende Aufschrift TEASE in pink und orange. Seine Haare hatte er lose hoch gesteckt, und schaffte es irgendwie weder verkleidet noch – in Ermangelung treffenderen Vokabulars – tuntig auszusehen. Das einzige, was Nozomi davon abhielt ihn anzubaggern waren die flüchtig wahrgenommenen Blicke, die zwischen den beiden wechselten. Sie war nicht sicher, ob sie es sich einbildete, aber dann und wann glaubte sie sprichwörtliche Funken zu sehen. Sie schloss mit fahriger Geste die Lippen um den Strohhalm in ihrem Glas und nahm einen großen Schluck von dem blaugrünen Irgendwas-dessen-Namen-sie-vergessen-hatte.
 

Koushoku war ein tanzendes Kompliment, fand Aijou. Kompliment an braune Augen, an zwei Ohrringe im linken Ohrläppchen, an zerrissene Jeans, an karierte Hemden, an Brillen, an schwarze Haare... Sie balancierten wie über einem Abgrund, sich nie vom anderen abwendend, ihm aber auch niemals zu Nahe kommend, als hätten sie Angst sich die Finger zu verbrennen.
 

Die Wangen rot von Hitze, Alkohol und Schwärmerei legte Koushoku ein „You're a superstar“ für Aijou in jede seiner Bewegungen, die Zeile hing eine Sekunde lang in der Luft, umspielte bald die Hüften, bald die Schultern des anderen und segelten dann zurück wie ein unsichtbaren Band, das sich immer fester wand und in die Haut einzog. Und je tiefer die Verbindung wurde, desto mehr fühlte sich Koushoku wieder heil und ganz.

Ein Abend am Kamin

Song: Stolen (Dashboard Confessional)
 

We watch the season pull up its own stage
 

Auf der Couch vor dem Kamin war es warm und im flackernden Schein des Feuers wehte ein Gefühl von Winterlichkeit und Weihnacht durch den Raum. Nozomi saß mit einer Tasse Ingwer-Tee mit Honig auf dem Teppich zu den Füßen ihres Bruders und starrte versunken in die Flammen. Sie hatte ihren Kopf seitlich auf Koushokus Schoß sinken lassen. Gedankenverloren hatte dieser seine Finger in die glänzenden Strähnen ihres Haares verwoben und streichelte sie nun wie eine Katze. Er hatte seine Brille abgesetzt und hielt seine Augen geschlossen. Ein leuchtendes Schweigen erfüllte die Herzen und das Zimmer mit Seligkeit.
 

Aijou betrachtete die Geschwister mit einer Zuneigung, die alles überstieg, was er bisher in so kurzer Zeit hatte aufbauen können. Diese beiden waren etwas Besonderes und er konnte den Blick nicht von Koushoku abwenden. Eine drückende Schwere überkam ihn.
 

Invitation only grants farewells

Crush the best one of the best ones
 

Ich war schon viel zu lange hier. Mein Auftrag war längst vollendet. Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte sofort zurückkehren sollen. Mein Job stand auf dem Spiel. Und so wie es aussah auch meine Heimat... Ich wollte nicht einsehen, warum es mir so schwer fiel, Abschied zu nehmen, aber diese Unbeständigkeit nagte an mir. Schon lange. Höhlte etwas in mir aus und ließ mich leer zurück. Wie sollte ich all diesen Menschen helfen, ohne Anteil zu nehmen? Es schien, als hätten selbst Engel ihre Grenzen... Ich wollte nicht mehr großherzig sein. Ich wollte meine Löcher und Laufmaschen stopfen. Einmal wollte ich etwas tun aus reiner Selbstsucht. Zumindest wenn Liebe und der Wunsch nach Glück selbstsüchtig war...
 

I'm too early to say goodnight
 

Koushoku war in einen Zustand zwischen Wach und Schlaf gesunken. Er nahm das seidige Gefühl von Nozomis Haaren wahr, und die wunderbare Wärme, die vom Kamin ausging. Und die Sorge, die Aijou ausstrahlte. Er wartete förmlich darauf, dass der Engel jeden Augenblick aufspringen und heimkehren würde. Fürchtete es. Er wollte die Nähe des anderen noch ein wenig länger genießen, wenn er ihn schon nicht für immer haben konnte. Und das war ihm von vornherein klar gewesen.
 

Als wäre er eingeschlafen ließ er sich zur Seite sinken und schmiegte sich an das fantastische Wesen neben sich.
 

We all will sleep well, sleep well, sleep well... sleep well...
 

Überrascht betrachtete Aijou den jungen Menschen, der sich im Schlaf an ihn angelehnt hatte. Der Kontakt verwandelte seinen Körper in ein einziges Kribbeln und bescherte ihm gleichzeitig eine innere Ruhe, die ihn seine Sorgen vergessen und den Moment genießen ließ. Behutsam legte er einen Arm um Koushokus Schultern und sank in die Berührung. Für heute Abend, am Kamin, war alles in Ordnung. Sie würden diese Nacht gut schlafen und Morgen war ein neuer Tag.
 

Liebevoll sah er zu Koushoku herunter, auf dessen Gesicht sich ein zufriedenes Lächeln ausbreitete. Dann schloss er die Augen und gab sich der Stimmung hin. „Du bist mein vierblättriges Kleeblatt.“, flüsterte er so leise, dass er es selbst nicht hören konnte.
 

You have stolen my heart

Weihnachtsplätzchen

Lied: Canon in D (Johann Pachelbel)
 

Weiß wie Schnee rieselte das Mehl auf Aijous rotes Haar. Siegreich grinsend sprang Nozomi behände von der Eckbank in der Küche und flüchtete dann mit einer Hand, an der immer noch Mehlstaub klebte, und einer mit Schokoladenglasur beschmierten Wange aus dem Raum, um neues Glühweingewürz zu holen.
 

„Na warte!“, rief der Engel ihr nach und setzte an, ihr zu folgen, als sich Koushoku mit einem Löffel voller Himbeermarmelade zwischen ihn und die Tür schob. „Keinen Schritt weiter!“, gebot er und sein drohender Blick büßte dank dem Plätzchenteig, der in seinen Haaren klebte und sein rechtes Brillenglas verschmierte, stark an Bedrohlichkeit ein. „Finger weg von meiner kleinen Schwester. Ich dachte, ich hatte mich da klar ausgedrückt!“ Aijou machte Anstalten, den etwas schmächtigeren jungen Mann aus dem Weg zu drängen und fand sich mit einem Gesicht voller Marmelade wieder. Er leckte sich über die Lippen und wischte sich die rote Masse aus den Augen. „Bah, Koushoku!“
 

Genauso überlegen grinsend wie Nozomi zuvor, sah dieser zu ihm auf und ließ es scheinen, als blickte er herab. „Weißt du was?“, bot Aijou nun ruhiger an. „Du hast dich klar ausgedrückt. Finger weg von Nozomi. Ich schwöre.“ Er hob die klebrigen Hände feierlich zum Schwur, nachdem er sich den größten Teil der Marmelade aus dem Gesicht gewischt hatte. „Aber Finger weg von dir hast du nicht gesagt!“, sagte er und untermauerte seine Behauptung, indem er genüsslich über Koushokus Wangen strich. „Außerdem steht rot dir viel besser als mir. Das beißt sich nämlich mit meinen Haaren.“
 

Koushoku war froh, dass der Brotaufstrich die Röte verdeckte, die sich nun auf seinem Gesicht breit machte. Im ersten Moment eingeschüchtert, fürchtend einen Schritt zu weit zu gehen, dann aber wild entschlossen sich zu rächen, tauchte er zwei Finger in die Schokoladenglasur und zog dann damit einen Strich quer über Aijous Nase. Der starrte ihn zunächst verdutzt an und langte dann zur Puderzuckerdose. Das weiße Pulver bliebt an der Marmelade haften.
 

Ohne den Blickkontakt zu brechen griff Koushoku nach den bunten Zuckerstreuseln und zog den Bund von Aijous Hose ein Stück auf um seine Hand darin zu leeren. Überrascht von der Aktion hielten beide einen Augenblick inne, als sei die Zeit stehen geblieben. Wie in Trance lehnte sich Aijou vor und Koushoku konnte nachher nicht mit Sicherheit sagen, ob er dem anderen entgegen gekommen war oder nicht. Langsam legte der Engel den Kopf auf die Seite, seine Lippen öffneten sich leicht, Koushokus Augen fielen zu und er schauderte erwartungsvoll.
 

Statt ihn zu küssen fuhr Aijou ihm zart mit der Zungenspitze über die Wange und hinterließ eine Spur, die frei von Marmelade und Puderzucker war. Dann biss er Koushoku sanft ins Ohrläppchen und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
 

„Gewonnen.“
 

„Noch nicht.“, krächzte Koushoku, halb enttäuscht, halb herausfordernd, und ahmte die Geste des anderen nach, probierte die braune noch halb geschmolzene Glasur auf dessen Nase und verfolgte dann einen Tropfen aufwärts, der über seine Wange bis beinahe unter den Hemdkragen gelaufen war. Zufrieden lauschte er, wie Aijou scharf einatmete.
 

Die Tür knarrte leise, als Nozomi sie öffnete. Erschrocken wichen die beiden jungen Männer auseinander. „Lasst euch von mir nicht stören.“, flötete das Mädchen unschuldig und ohne einen Hauch von Schadenfreude oder Provokation in der Stimme. Erleichtert, aber trotzdem peinlich berührt nickte Koushoku Aijou zu. „Ich glaube, du hattest Recht mit deiner Annahme, sie sei eins von diesen Fangirls.“ Der Engel pflichtete ihm bei. „Wenigstens quietscht sie nicht.“
 

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„Hey Koushoku...“, murmelte Aijou, der auf der Fensterbank saß. Der Angesprochene blickte von seinem Buch auf. „Hmm?“, fragte er. „Wegen heute in der Küche...“, begann der Engel. „Ich weiß. Vergiss es.“, unterbrach ihn Koushoku und fixierte mit verschwimmender Sicht das Buch auf seinem Schoß. „Aber-“ „Ich sagte vergiss es.“, fuhr er dem anderen unwirsch über den Mund, erhob sich und stürmte aus dem Zimmer bevor sich ein Schluchzen seiner zugeschnürten Kehle entrang.

Eines Engels Ehrenwort

Lied: Unintended (Muse)
 

Es war der Tag vor Heiligabend, als Aijou an Nozomis Zimmertür klopfte. „Moment!“, rief sie. Es raschelte und dann wurde ein Schlüssel im Schloss herumgedreht. „Du störst, ich packe gerade Geschenke ein.Was-?“, sie stockte als sie seine Miene sah und kombinierte aus dieser und aus der Reisetasche, die er über seine Schulter geworfen hatte, was er ihr sagen wollte. „Nein.“, stellte sie nüchtern fest. „Nein, Aijou. Du darfst nicht gehen. Das werde ich nicht zulassen. Das wird Koushoku nicht zulassen! Er l-“ Aijou legte seinen Zeigefinger auf ihre Lippen und brachte sie so zum Schweigen. „Tut er nicht. Ich kann nicht hier bleiben. Wenn ich noch länger hier bleibe, dann kann ich nicht mehr gehen. Koushoku ist einkaufen gegangen, er wird sicher bald zurückkommen. Bis dahin bin ich verschwunden. Bestell' ihm liebe Grüße von mir. Ich wünsche euch ein frohes Weihnachtsfest.“
 

Nozomi biss ihm kräftig in den Finger und machte sich nicht die Mühe die heißen Tränen von ihren Wangen zu wischen. „Du willst ihm nicht einmal auf Wiedersehen sagen!“, schrie sie mit erstickter Stimme. „Es wird kein Wiedersehen geben.“, flüsterte der Engel und Nozomi konnte sehen, wie seine Augen zu schimmern begannen, bevor er sie schloss und ihr einen Kuss auf die Wange hauchte. „Gib den bitte auch an ihn weiter. Sag ihm, ich... sag ihm, ich hatte das alles nicht so beabsichtigt. Sag ihm, dass der echte Koushoku keinen Grund hat sich zu verstecken. Und sag ihm, dass er mich vergessen soll. Das gilt auch für dich.“, beschwor er sie und legte ihr die Hände auf die Schultern. Sie riss sich los bevor er sich abwenden konnte und stürmte zur Haustür. Stumm drehte sich Aijou von ihr fort und schritt zur Terrassentür.
 

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Hektisch flogen Nozomis Finger über die Tastatur ihres Handys.

„Kousho! Kousho, komm sofort heim! Aijou will gehen!... Kousho?“ Ihr Bruder hatte bereits aufgelegt, sie sah ihn um die Ecke sprinten. „Garten!“, rief sie ihm zu, als er an ihr vorbei rauschte, dann folgte sie ihm langsamer wieder ins Haus. Nachdem sie die Tür geschlossen hatte, lehnte sie sich mit dem Rücken dagegen, fühlte den tröstend stabilen Widerstand des glasierten Holzes, schloss die Augen und seufzte. „Ich wünsche dir viel Glück, Kousho.“
 

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Die Glastür klirrte und vibrierte als Koushoku sie auf stieß und in den Garten rannte. Aijou stand mit ausgebreiteten Flügeln auf der gefrorenen Wiese und hatte den Blick gen Himmel gerichtet. „Bleib!“, brüllte Koushoku und Aijou wandte sich ihm verbittert lächelnd zu. Er schüttelte den Kopf.
 

„Bleib!“, wiederholte Koushoku. „Bitte, bleib hier. Du kannst bei uns wohnen. Oder wir suchen uns zusammen eine Wohnung. Wir werden dir helfen, eine Arbeit zu finden. Sag mir, was du willst, ich werde es dir geben. Alles. Alles. Bitte. Bleib bei mir. Ich brauch dich.“ Seine Stimme war zu einem Wispern verklungen. Er taumelte auf den Engel zu und ergriff dessen Hände. Führte sie zu seinen Lippen und hauchte einen Kuss darauf. „Ich dachte, ich könnte dich gehen lassen. Ich dachte, ich könnte einfach genießen, was ich haben konnte. Ich... ich wusste ja, dass du wieder fort gehen würdest, aber... ich glaube, ich kann doch nicht so stark sein, wie ich gehofft hatte. Sag mir was du willst, damit du bleibst. Ich verspreche dir, dass ich alles tun werde.“
 

„Halt die Klappe, Koushoku. Du weißt nicht, wovon du sprichst. Du weißt nicht, was du verlangst. Du willst, dass ich mein ganzes Leben aufgebe für deine Schwärmerei. Ich bin ein Engel. Ein gottverdammter Engel. Ich gehöre hier nicht hin. Ich gehöre nicht in die Menschenwelt. Selbst wenn ich es wollte...“ Koushoku strich sich fahrig durch die Haare, um sich zu fassen. „Das ist keine Schwärmerei. Ich bin wirklich, ganz und vollkommen und unwiderruflich und bedingungslos in dich verliebt. Engel sind Menschen doch gar nicht so unähnlich. Kannst du nicht zu einem Menschen werden?“, gestand Koushoku und seine Stimme war wie Sünde und Schokolade. „Kousho...“, Aijou zog ihn in eine feste, verzweifelte Umarmung. „Mein Koushoku...“, schmeckte er den Namen auf seinen Lippen. „Ich würde für dich ein Mensch werden, aber...“ Koushoku drückte ihn dicht an sich. Seine Knie gaben nach und Aijou ließ sie beide bedächtig zu Boden sinken.
 

Koushoku lockerte die Umarmung und nahm Aijous Gesicht in beide Hände, mit den Daumen strich er über die blassen Wangen. Quälend langsam näherten sich ihre Lippen. „Nur einen.“, bat er kaum vernehmbar, dann fielen seine Lider zu. Er fühlte Aijous rechten Arm um seine Taille. Mit dem linken strich der Engel seinen Rücken herauf und verblieb mit seiner kühlen Hand in Koushokus Nacken. Beinahe andächtig streiften sich ihre Lippen, der Kuss war sanft und liebevoll und einer von denen, die man vollständig auskostete, und die noch Jahre später im Traum so echt brannten, dass man glaubte sie hielten noch immer an. Ein Aufkeuchen von Aijou brach jäh die absolute Stille. Koushoku öffnete die Augen und spähte verwirrt über die Schulter des anderen. Die Sonne ging bereits unter und tünchte die schneeweißen Engelsflügel in einem warmen Goldton. Ein Schimmern ging von ihnen aus; ein Glitzern, das in den Himmel aufstieg. Sie wurden transparent. Sie lösten sich auf.
 

„Aijou...“, Koushoku verstand nicht, was gerade geschehen war. Aijous Augen waren noch immer geschlossen. Er lächelte und eine einzelne Träne rann aus seinem Augenwinkel. „Sie sind fort, nicht wahr?“, fragte er und Koushoku nickte, obgleich der andere ihn nicht sehen konnte. Er hatte das Gefühl, dass diese Frage ohnehin keine Antwort erwartete.
 

„Ich hab doch gesagt, dass Vollmond und Schnee nichts damit zu tun haben. Was zählt, ist der ehrliche, aufrichtige Wunsch. Ich-“, Aijou stockte mit einem fast unhörbaren Schluchzen. „Es tut mir Leid, Aijou.“, entschuldigte Koushoku sich, doch der andere lehnte mit einer beschwichtigenden Geste ab. „Das war nicht nur dein Wunsch. Ich... bin gefallen. Dir verfallen, wenn du es so willst.“ „Das klingt aber kitschig.“, stellte der Schwarzhaarige fest. „Hmm“, bestätigte Aijou. „Du weißt, dass du dein Versprechen besser halten wirst, richtig?“ Koushoku schlang seine Arme um seinen Freund und küsste ihn noch einmal, tiefer, leidenschaftlicher. „Versprochen ist versprochen. Wenn du nur bei mir bleibst.“, flüsterte er ohne seine Lippen ganz von Aijous zu lösen.
 

„Ehrenwort.“

Noël

Lied: The First Noël (Celtic Woman)
 

„Mama! Papa! Wie gefällt es euch in Neuseeland?... Wow! Macht bloß viele Fotos!... Ja, haben wir... Lila und weiß... Kousho hat gekocht... Ja, war sehr lecker, da habt ihr echt was verpasst! Haha... Ich klinge traurig? Ach was, ist nur ein bisschen komisch ohne euch Weihnachten zu verbringen... Ja, die Geschenke haben wir alle gefunden. Vielen Dank! Unsere bekommt ihr dann sobald ihr wieder da seid... Oh, ok. Kein Problem. Liebe Grüße von Kousho und Aijou... Ja, genau der. Wir haben ihn eingeladen, damit er nicht alleine feiern muss... Hmm, mach ich... Ja. Tschüss, Mama, Papa. Genießt eure Flitterwochen. Und keine neuen Geschwister, ja?... Hahaha... Euch auch frohe Weihnachten! Bis bald!“
 

Schweren Herzens legte Nozomi den Hörer auf. Mit einem Mal war der Flur, war das ganze Haus unnatürlich still. Unwillkürlich spielte sie mit der silbernen Kette, die über ihrer violetten Bluse lag. Sie betrachtete das filigrane Muster, drei Spiralen, die in der Mitte zusammen liefen, und musste an Koushoku, Aijou und sich selbst denken. Solche Dinge, wie sie ihnen widerfahren waren, geschahen wirklich nur an Weihnachten, egal was Aijou behauptete. Sie machte sich auf den Weg zurück ins Wohnzimmer, um ihrem Bruder und dessen Freund die Weihnachtsgrüße von ihren Eltern zu überbringen.
 

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Aijou drückte sein Gesicht an Koushokus Brust und vergrub die Hände in dessen Hemd. Nozomi beobachtete, halb hinter dem Türrahmen verborgen, wie ihr Bruder seine Arme um den gefallenen Engel, nein, um den Menschen legte und sein Gesicht in dem rotbraunen Haar vergrub. Leise und vorsichtig schritt sie auf die beiden zu. Die schwache Beleuchtung am Weihnachtsbaum ermöglichte den Blick durch das große Fenster, vor dem sie auf dem Teppich saßen. Die Sterne funkelten auf die Welt hinab, die so gar nicht weiß und weihnachtlich war. Nozomi ließ sich neben ihrem Bruder nieder und zog die beiden in eine enge Umarmung. Tränen stiegen ihr in die Augen.
 

Sie war so glücklich und so unendlich traurig und fühlte sich so fürchterlich verantwortlich. Ihr Wunsch hatte sich erfüllt. Koushoku hatte, was er brauchte. Aijou hatte sich für das entschieden, was ihm wichtiger war. Es war Weihnachten. Eigentlich war alles gut. Und was noch kommen würde, das konnten sie zusammen meistern.
 

Das Wohnzimmer verschwindet, die drei sitzen auf der Bühne. Im Hintergrund eine umgestoßene Tür. Das Licht der Scheinwerfer wird weniger grell, schwindet zu einem blassen orange. Weiße Flocken beginnen eine nach der anderen um die Freunde nieder zu tanzen. Es schneit. Aijou und Koushoku erwidern Nozomis Umarmung. „Fröhliche Weihnachten!“, flüstert eine Stimme aus dem Off und kurz bevor das Licht ganz erlischt und der Vorhang sich schließt, glaubst du ein Glitzern zu sehen, als hätte Aijou seine verlorenen Flügel um die Geschwister gebreitet...



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