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Ein Neuer Schuh ist wie ein neues Leben

von

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~Kapitel 1~
 


 

Ich habe immer gedacht mein Leben wäre total normal. Ich bin durchschnittlich hübsch. Meine Haare sind blond und fallen mir über die Schulter. Gelegentlich bekomme ich Besuch von einem Pickel im Gesicht. Sonst habe ich eher reine Haut. Wenn ich mich mit meinen Freundinnen unterhalte, müssen die meisten nach oben schauen. Mit meinen 1,73Metern bin ich nicht gerade die Kleinste. Was mir gefällt sind meine blau-grünen Augen. Wenn ich weine oder zuviel Shampoo in die Augen bekomme werden sie total blau. Grün werden sie, wenn ich richtig sauer werde. Sonst ist immer ein schönes Mittelmaß von Beiden da. Obwohl ich keine Modelmaße habe, bin ich mit meiner Figur recht zufrieden. Kein Gramm zuviel oder zu wenig. Mir laufen keine Jungs in scharren hinter her und beschwärmen mich, mich himmeln auch keine anderen Mädchen an und beneiden meine Schönheit. Mein ganzes Leben war bis her immer ganz normal. Auch meine Freunde sind alle ganz durchschnittlich. Auch wenn wir eher etwas verrückter sind als andere. Alex spielt unheimlich gerne Fußball. Ihn kenne ich jetzt schon, seitdem ich die Grundschule besuche. Nun nervt er mich schon seit der ersten Klasse. Mittlerweile haben wir es durch viel mogeln (vielleicht auch wegen ein bisschen lernen) in die Zehnte Klasse geschafft. Mit Annika bin ich aufgewachsen, auch wenn wir manchmal ein paar Kontakt Abbrüche hatten, immer wieder haben wir zu einander gefunden. Allerdings nennt sie keiner Annika, alle nennen sie Zipo, so heißt sie mit Nachnamen. Zipo hat das Glück, sie ist einmal Kleben geblieben. Zu ihrem Glück, machen sie fast immer das Selbe, was wir auch gemacht haben. So kommt es, dass sie schon mal unsere alten Sachen bekommt für die Schule. Alex und ich sind einfach zu großzügig. Nun Zipo geht auf die Realschule. Alex und ich gehen auf dieselbe Schule, die für den meisten Drogenhandel bekannt ist. Jedenfalls sagt man es sich so mit den Drogen. Wirklich mitbekommen habe ich es noch nie. Den Fleck wo ich wohne nennt man Velbert. Ja, Velbert ist eine kleine Stadt. Wir haben es gerade noch so geschafft mit unserer Einwohner Zahl, dass wir uns Stadt nennen dürfen. Velbert ist eigentlich relativ groß. Aber nur was die Größe von Wäldern, Bauernhöfen und irgendwelchen freiliegenden Wiesen betrifft. Wir Dorfkinder wissen wenigstens, dass Kühe nicht lila sind. Zu unserer Stadt gehören noch kleinere Anhängsel von Dörfern, die nicht zugeben wollen, dass sie zu uns gehören. Plötzlich wollen die Bewohner der Teile eigenständig sein, besuchen aber in Velbert die Schulen, gehen ins Zentrum einkaufen und besuchen unsere Ärzte. Außer kleinen Kneipen und Diskotheken, in denen die Meisten entweder viel zu alt sind oder sich zu junge Jungendliche mit gefälschten Ausweisen rein schmuggeln, hat Velbert am Wochenende nichts zu bieten. Manchmal sind so tolle Beach Partys, wo viel Sand am Forum liegt. Wenn man Glück hat, wird gute Musik gespielt. Sonst fährt man in eine für uns Dorfkinder „Großstadt“. Dort denkt man dann würde wirklich der Bär steppen. Das alles soll aber nicht heißen, dass man in Velbert keinen Spaß hat. Nein, ich komme immer auf meine Kosten. Mit meinen fünfzehn Jahren, bin ich hier auch noch festgebunden. Einen gefälschten Ausweis habe ich nicht. Zipo ist ja auch noch keine sechzehn und somit gehen wir meistens ins Chill-out, zur Ein-Euro Party. Wenn man nur einen Euro für jedes Getränk bezahlen muss, bleiben die anderen natürlich auch hier und verzichten liebend gerne auf das teure Zeugs in der sogenannten Großstadt. Manchmal wünsche ich mir auch schon sechzehn zu sein. Dann würde Alex nicht so damit angeben, einen fünfziger Roller fahren zu dürfen, er darf Legal Alkohol kaufen und in Discos gehen. Meistens aber muss er schon um zwölf Uhr Nachts zuhause sein. Ich in meinem alter, darf bis eins draußen bleiben. Alex dagegen möchte sehr bald 18 sein. Es gibt ja Leute, die bekommen den Hals nie voll genug. Zipo sagt immer:

„Genießen wir unser Alter. Nach 18 kommt nur noch Ehe, Kinder, Tod.“
 

Meine Eltern haben mir einen Namen gegeben, bei dem ich nicht jedes Mal vor Scharm im Erdboden versinken muss, wenn man ihn ruft. Sie gaben mir den Namen, Nicole. Alex und Zipo nennen mich aber meistens Nic oder Nici. Mein Freund Tim nennt mich immer Nici, dabei zieht er das "I" wie Kaugummi in die Länge. Tim ist siebzehn und ebenfalls ein Angeber, was sein Alter betrifft. Ich habe ihn schon oft gesagt, er solle doch was mit Alex anfangen, dann könnten sie abends zusammen um die Häuser ziehen. Was ich an Tim mag ist schnell erklärt. Sein süßes Sunnyboy lächeln. Seine schwarzen Haare, die er immer Perfekt Stylt. Seine grünen Augen, welche immer strahlen, wenn er glücklich ist. Sein Humor und manchmal auch seine Sturheit. Faszinierend finde ich auch seine Schlagfertigkeit, aber nur wenn er mit Zipo streitet. Tim spielt Fußball in einem Verein, macht sein Abi und wohnt in Wuppertal. Mit dem schnell Bus brauche ich fünfundzwanzig Minuten nach Wuppertal, mit dem normalen eine drei viertel Stunde und mit meiner Mutter höchstens eine viertel Stunde. Meine Mutter rast liebend gerne durch die Gegend. (Wundert mich nicht, wenn wir irgendwann einen Fahrrad Fahrer als Kühlerfigur haben.) Da kommen wir auch schon auf das Thema.

Soweit sind meine Freunde, ich und mein Umfeld ganz normal. Schlag auf Schlag änderte sich aber mein ganzes Leben.

Meine Eltern waren lange verheiratet und am 15.08.2005 kamen sie auf die Schnaps Idee, sich scheiden zu lassen. Vorher haben sie sich nie gestritten. Beide führten ebenfalls ein ganz normales Leben. Ihre Kosenamen waren immer noch Bärchen, mein Vater nannte meine Mutter so und bei Streuselchen fühlte sich mein Vater immer angesprochen. Abends gingen sie immer zusammen zu Freunden, redeten normal. Sonntags saßen sie zusammen da spielten Karten oder lasen Zeitung. Wenn meine Mama was sagte, antwortete mein Vater auch immer schon mit „Aha“, „Nein, echt?“ und „Ne, das waren die Kinder.“. Keinerlei Anzeichen für eine Scheidung. Als sie es uns mitgeteilt haben, habe ich gelacht.

„Wir haben kein April“, habe ich unter Tränen gesagt. Noch waren diese Tränen ein Ergebnis meines Gelächters, welches ich nicht abstellen konnte. „Es ist kein April Scherz. Euer Vater hat seine Sachen schon gepackt. Morgen wird er nach Heiligenhaus ziehen", sagte meine Mutter schroff. Nun waren meine Tränen Trauer Tränen. Wütend verließ ich die Küche, knallte meine Türe extra laut zu und schmiss mich aufs Bett. Wie lange bitte hatten die das schon gewusst, dass sie sich scheiden lassen wollen? Vielleicht fünf Jahre vorher? Wann hat mein Vater die Koffer gepackt? Oder hatte er seit der Hochzeit mit meiner Mutter und den Einzug in die neue Wohnung niemals seine Koffer aus gepackt? Meine Schwester Yvonne nahm das alles ganz gelassen. "Cool, dann bekomm ich jetzt doppelt Taschengeld und Geschenke."

Mit der Scheidung unserer Eltern, wurde meine drei Jahre jüngere Schwester dann zum Punk. Nun hat sie nicht mehr ihr blondes Haar, sondern schwarze, die mit blauen Strähnchen noch mehr auffallen. Ihr Haar fiel ihr auch mal über die Schulter, war sogar ein ganzes Stück länger. Nun erreicht es nur ganz knapp ihre Schultern. Ihre Hosen sind nicht mehr von Orsay, sondern von irgendwo her. Sie durchlöchert diese und macht an ihnen über all Nieten und Sicherheitsnadeln dran. Mit grellen Farben schreibt sie dann Punk rulez, Green Day, Jackass und sonst was drauf. Hauptsache auffallen. Irgendwelche Buttons von Punk Bands verzieren ihre schwarze Tasche. Normalerweise war sie nie geschminkt, doch jetzt geht sie ohne Kajal nicht mehr Mal mehr aus dem Haus, um den Müll weg zu bringen. Gegen ein bisschen Kajal hat ja noch niemand was gegen gehabt, allerdings sind das schon Augenringe. Würde sie fünf Tage wach bleiben, hätte das denselben Effekt nur auf Naturbasis.

Abends, wenn ich nach Hause komme, bin ich immer noch leise, weil ich denke, dass mein Vater schon schlafen gegangen ist. Morgens beeil ich mich immer im Bad, weil ich das Gefühl habe, dass mein Vater mich raus scheuchen wird, wenn ich wieder zu lange brauche. Nichts aber passiert. Nun wohnt er in Heiligenhaus. Wenigstens kann ich ihn mit dem Schnellbus Richtung Heiligenhaus besuchen. Seine Wohnung ist gar nicht mal so schlecht. Schöne Möbel, schöne große Räume. Selbst ich und meine Schwester haben zusammen ein Zimmer dort. Selbst ein Bett haben wir. Allerdings arbeitet er auch in diesem Zimmer. Dennoch ist es schön. Genau wie bei uns ist sein Esszimmer mit dem Wohnzimmer verbunden. Vom Wohnzimmer aus kann man auf den Balkon gehen. Während er einen Blick auf einen Spielplatz hat und andere Häuser sieht, sehen wir nur unseren Garten, der ganz klein neben den ganzen anderen Gärten gequetscht ist, die den anderen Mitbewohnern gehören. Obwohl ich seine Wohnung recht schön finde, finde ich unsere besser. Vielleicht weil es einfach Gewohnheit ist, fünfzehn Jahre immer durchs selbe Treppenhaus zu gehen, sich über die selben Leute zu beschweren, den selben Gang zum Kühlschrank zu haben und sich jeden Morgen beim verlassen des Zimmers, seinen kleinen Zeh am Kaninchen Käfig stößt. Hermann mein Hase, hat dann immer einen ganz komischen Blick drauf, als ob er lachen würde, wenn er es könnte. Für ein Zwergkaninchen ist er viel zu dick und zu groß, für einen Hasen aber noch zu klein. Wenn er sich auf seine Hinterpfoten stellt und ich unter ihm liege, sehe ich sein Doppel-dreifach Fell, wo drunter sich das ganze Fett sammelt. Seine Forderpfötchen sind klein und total süß, ebenso wie seine schwarzen Knopfaugen. Sein schwarz-weißes Fell ist total flauschig weich. Hermann ist der tollste Mann den ich kenne. Von mir lässt er sich Gott sei dank nie scheiden.

Die Scheidung mit meinen Eltern ist jetzt schon eine Woche her.

Nun sitz ich auf einen harten Sitz, auf dem schon Tausende fremde Menschen gesessen haben. Neben mir sitzt ein Mädchen mit dunkelblondem Haar, Kakao braunen Augen und einem hübschen Gesicht. Ganz leicht sieht man Sommersprossen. Im Sommer sieht sie mit denen immer ganz süß aus. Sie hasst ihre Sommersprossen. Ich sage dann immer, ein Mädchen ohne Sommersprossen sei wie ein Himmel ohne Sterne. „Du hast auch keine!“, giftet sie mich an. „Tja ich hatte einfach Glück.“

An der nächsten Bushaltestelle müssen wir raus, wir stellen uns schon einmal zur Tür hin und ich bemerke, dass Zipo doch etwas kleiner ist als ich. „Weißt du, warum kannst du dir dein Buch nicht in Velbert holen?", meckert sie rum. „Weil in Essen die Auswahl größer ist. Außerdem laufen in Essen doch so süße Typen rum." Einen Augenblick kommt von ihr gar nichts. „Stimmt bei uns in Velbert sind die süßen Typen ausgestorben." Zipo ist ein Man-Eater.

„Vielleicht nicht unbedingt ausgestorben, nur einfach alle vergeben." Zipo lacht und schüttelt dann den Kopf. „Gib es zu", sage ich dann zu ihr. "Du bist gerne in Essen!" Der Bus hält, wir steigen aus. Auf dem Weg zur Straßenbahn antwortet sie immer noch nicht. Wieder sitzen wir auf so harten Sitzen. Warum können die nicht einmal bequem sein? Wir haben vier Uhr Mittags. Vor einer Stunde habe ich erst die Schule verlassen. Meine Rückenschmerzen werden auch nicht besser. Mit fünfzehn Jahren sage ich schon: „Ich hab Rücken.“

Jetzt im zehnten Schuljahr bekommen wir unheimlich fiel auf. Dabei wird das ganze auch nicht einfacher und vor allem meine Tasche wird nicht leichter. Meine letzten Arbeiten sind alle gut, die ich zurückbekommen habe, aber ohne Fleiß wären die bestimmt nicht so gut geworden. So ein Spickzettel erfordert eben höchste Konzentration. Zipo reißt mich aus meinen Gedanken. Mit ihrem Zeigefinger tippt sie an die Scheibe. Sie deutet auf einen Jungen, der vielleicht ein Jahr älter ist. Lässig mit einer Kippe im Mund steht er da und schaut auf die andere Straßenseite. Seine Hose hängt an ihm runter, sein dicker Nike Pullover schlabbert ebenfalls an ihm rum. Willst du mit Stil die Straße rocken, nimm die Hose aus den Socken, fällt mir dazu spontan ein. „Der sieht doch gut aus", quiekt sie. Ich verdrehe die Augen. „Wenn du ihn ansprechen willst, über uns ist dieses Hämmerchen. Schlag damit die Scheibe ein, spring raus und frag nach seiner Nummer." Schmunzelnd sieht sie mich an. „Denkst du die lassen das als Notfall gelten?" Ahnungslos zucke ich die Schultern. „Wenn du ihnen erzählst wie er seine Hose in den Socken hatte, denke ich schon." Es gibt nichts Schlimmeres. Doch schlimmer wäre, wenn er eine Jogging Hose angehabt hätte. Zum Glück war Tim nicht so. Lässig war sein Styl, ein bisschen punkig. Zipo schüttelt den Kopf. Als wir um die nächste Kurve fahren, verschwindet er. Seufzend lässt sie sich zurück in den Sitz fallen. "Und was macht Alex heute“, fragt sie mich. „Ich glaube er hat wieder Training."

„Und Tim?"

Da muss ich überlegen. Tim hat mit mir heute Morgen telefoniert, doch ich habe nur mit einem Ohr zu gehört. „Ich glaube irgendwas, wodurch er verhindert ist, seine Zeit mit uns Tod zu schlagen“, antworte ich nach ein paar Minuten. Nun überlege ich Krampfhaftig nach. Was war es noch mal? Inzwischen wird die Straßenbahn immer voller. Wir fahren unter die Erde. Je mehr wir uns Essen Hbf nähren, desto voller wird es. Neben mir steht ein junger Mann, der zehn Meilen gegen den Wind nach seinem Deo stinkt. Davon bekomme ich Kopfschmerzen. Jedes mal wenn ich atme, atme ich einen anderen Geruch ein. Frischen Kaffee, verschiedene Parfüms, Schweiß und Bier. Zipo hält Ausschau nach süßen Typen. Neben mir setzt sich nun ein sehr korpulenter Mann hin. Natürlich rücke ich ein wenig auf die Seite zum Fenster hin, worauf er mehr als die Hälfte meines Sitzes auch noch einnimmt. Würde Zipo nicht so grinsen, müsste ich mir mein Lachen nicht verkneifen. Immer wieder schaue ich durch das Fenster und wünsch mir, dass er endlich wieder geht. Er hebt seinen Arm, um was aus seiner Tasche zu holen. Ich glaub ich sterbe! Er riecht so nach Schweiß, dass ich mir den jungen Mann zurück wünsche, der zehn Meilen gegen den Wind nach Deo stinkt. Immer wieder schaut Zipo auf ihr Handy. „Wartest du auf eine bestimme Sms?"

„Ich?" Fragend sieht sie mich an. „Nein, die Zipo, die hinter dir steht", gebe ich patzig zurück.

Lächelnd sieht sie mich an. „Ach so, ich dachte schon ich muss mit dir reden." Eine weile sagt sie nichts, dann aber antwortet sie mir: „Nein, warte ich nicht. Aber vielleicht denkt ja auch mal so einer an mich."

Endlich kommen wir Essen Hbf an. Ich gehe schnell an den Mann vorbei, bevor ich vor lachen explodiere. Ich weiß, man lacht nicht über andere. Mit Zipo aber ist das was anderes. Da muss man immer lachen. Da lacht man sogar über seinen eigenen Schatten.

Den Weg zur Buchhandlung gehen wir so eingeübt, wie den Weg zum Klo. Wir wissen ganz genau, wo was steht. Wie voll es wann und wo ist. Essen wird mit der Zeit auch langweilig, jedenfalls für mich. Zipo hält schon wieder Ausschau nach ganz anderen Sachen. Als wir in der Buchhandlung sind, suche ich nach Büchern und sie nach hübschen Typen. Ich murmele manchmal was von: „Das habe ich schon gelesen.“ „Dieses Buch habe ich auch.“ Oder „Das war langweilig.“ Während ich die Abteilung Jugendgeschichten Suche, sucht sie wohl die Abteilung Süße Singles.

Hinter einem der großen Regale steht Zipo mit großen Augen. Ein Grinsen kann sie sich nicht verkneifen. Was sie wohl gesehen hat? Das ist eigentlich schon eine Rhetorische Frage. Ich drehe mich um. Eine Horde Jungs, vielleicht zwei Jahre älter, streift ebenfalls hier herum. „Hast du sie auch gesehen?", haucht Zipo. „Nein Zipo, ich bin doch blind." Leicht schlägt sie mir auf die Schulter. "Was fragst du denn auch? Sie sind laut, es sind viele und..."

"...Und es sind Jungs“, beendet sie den Satz für mich. Einer von denen setzt sich auf einen Stuhl. Er hält ein kleines Buch in der Hand. Der Richter und sein Henker, kann ich lesen. „Und was liest er?" Mein gelangweiltes Gesicht spricht Bände. „Der Richter und sein Henker. Du weißt, was ich gerade auch in Deutsch lesen muss." Nickend bestätigt sie es. Ich denke aber, dass sie mir gar nicht zugehört hat, als ich ihr erklärt habe worum es darin überhaupt geht. Dieser Typ streicht sich kurz durchs Haar. Um seinen Arm trägt er verdammt viele Armbänder, alle sind farblich aufeinander abgestimmt. Dieser ganze Typ ist farblich abgestimmt. Mit seinen Armbändern könnte er Wolle fast Konkurrenz machen. Deutscher ist er nicht, das erkennt man an seiner leichten Bräune, die definitiv nicht vom Solarium kommen kann. „Ich tue jetzt so, als ob ich mich für Bücher interessiere", flüstert Zipo vor sich her, atmet tief ein und geht Richtung Regal. Von der ganzen Meute bekommt sie volle Aufmerksamkeit. Schnell hole ich mir ein Buch aus dem Regal, halte es vor meinem Gesicht und spähe nur mit meinen Augen über den Bücherrand, um das Ganze besser verfolgen zu können. Zipo macht ihre Sache ganz gut. Sie holt sich ein Buch aus dem Regal, welches direkt neben seinem Stuhl steht. Alle in diesem Umfeld wissen, was Zipo wirklich vorhat, außer der farblich abgestimmte Typ. Plötzlich, das heißt natürlich von Zipo genau geplant, fällt ihr Buch in seinen Schoss. Ohne rot zu werden nimmt sie es weg, murmelt was von, es täte ihr leid. Nun grinst der Typ sie an und mustert sie dabei bis ins kleinste Detail. Die Meute Jungs schaut zu mir rüber. Unbewusst spähe ich immer noch über den Rand, dabei merke ich nicht wie lächerlich das Ganze aussehen muss. Beide kommen ins Gespräch. Laut fängt Zipo an zu lachen, schüttelt den Kopf, sie kann gar nicht mehr auf hören ihn zu schütteln. Was hat er sie bloß gefragt? Ein paar Minuten später holen beide ihre Handys raus, vermutlich tauschen sie ihre Nummer. Dankend geht Zipo davon, an mir vorbei zur Rolltreppe. Ist sie etwa die Blinde von uns beiden? Ohne zu zögern gehe ich ihr nach. Mit schnellen Schritten, ja fast schon am rennen, verlässt sie den Laden. Draußen angekommen bleibt sie stehen, zuerst schaut sie ob ihr jemand gefolgt ist. Danach erst lächelt sie mich an. Sie sieht so aus, als ob sie im Laden etwas geklaut hätte und nun befände sie sich auf der Flucht, um nicht erwischt zu werden. „Warum bist du an mir vorbei gegangen?“, frage ich sie sofort. Zugegeben dabei klinge ich etwas wütend. „Du sahst echt dämlich mit dem Buch aus. Als er mich gefragt hat, ob du eine Freundin von mir seiest und die anderen Jungs zu dir geschaut haben, habe ich den Kopf geschüttelt."

„Und gelacht", bemerke ich. Es ist ja auch so normal, seine aller beste Freundin zu verleugnen und dann auch noch über sie zu lachen. „Ja, aber nur weil er mir sonst nicht geglaubt hätte. Nun habe ich seine Nummer."

In Essen herrscht wieder dichtes Gedrängel. Das überdachte Zentrum ist viel zu voll. Wie Fische eines großen Schwarms bewegen sich hier alle. Alle schwimmen mit der Strömung. Manchmal wird man von irgendwelchen Tüten gegen eine Scheibe gedrängt, läuft anderen in die Hacken oder muss so langsam gehen, dass einem selbst in die Hacken gelaufen wird. Je mehr wir im Zentrum sind, desto mehr löst sich der Fischschwarm und alle hören auf mit der Strömung zu schwimmen. Aus einem Geschäft riecht es ganz grauenvoll nach Parfüm. Meine Nase brennt sofort. Meine Mutter würde sagen: „Ich kann das schon schmecken." Man sprüht nur einmal kurz mit Deo rum, schon ruft sie wie widerlich es stinkt. Meine Mutter hat mit Abstand die beste Nase, die es gibt. Ganz zu schweigen von meiner. Ich rieche nur, was es zu essen gibt und sonst nur die starken Gerüche. Stolz sieht Zipo immer wieder auf ihre neu erworbene Handynummer. "Weißt du auch seinen Namen?"

"Natürlich er heißt, ehm... Moment.." Auf ihrem Handy drückt sie zweimal rum, es erscheint wieder die heutige geschnappte Beute. "Mike ", antwortet sie ganz schnell.“Wie hast du dich den vorgestellt. Ich bin Zipo das Lese-Hipo?" Wütend funkelt sie mich kurz an. Jede Aggression verliert sie aber sofort wieder. "Ich habe mich Angie genannt." Niemals würde sie auch ihren richtigen Namen nennen. Zipo findet mit Annika ist sie gestraft fürs Leben. Der Name ist so mies, der hat noch nicht mal einen Spitznamen. Nika, An, alles gefiel ihr nicht. Alex hat sie immer gerne Nika genannt. Irgendwann kam dann die Zeit, wo wir uns alle nur mit Nachnamen angesprochen haben und so ist es dann auch bei Zipo geblieben. Vor mir taucht jemand auf, in dessen Gesicht ich nicht sehen kann. Sein Korpulenter Körperbau wird mit dem Wort Adidas betont. Außerdem sieht der Pullover aus, als wäre er falsch rum angezogen. Ich kenne nur einen, der so einen trägt. Nils Lemten. Diesen gab es mit seinem Aussehen nur ein einiges Mal auf der Welt. Niemand sieht ihn ähnlich auch nur in kleinster Weise. Sein Wasserstoff blondes Haar, ist ganz kurz, seine blauen Augen so blau wie Tinte und sein Gesicht sieht ganz süß und blas aus. Selbst seine Augenbrauen und Wimpern sind Wasserstoff blond. Zipo will ihn gerade anmaulen, weil sie ebenfalls nur sieht, dass er im Weg steht, doch dann aber schaut sie in sein Gesicht. Grinsend, wie ein Riesen Baby, welches gerade einen Lutscher bekommen hat, steht er vor uns. "Was machst du denn hier?", platzt es sofort aus mir und Zipo gleichzeitig raus. Unser entsetzten hört man förmlich heraus. "Ja, ich wünsche euch auch einen guten Tag."

"Das war nicht die Antwort, die wir hören wollten", bemerke ich beiläufig. Was macht er bitte alleine in Essen? Alleine in Velbert würde ich noch verstehen, aber in Essen? bei aller Liebe, aber allein die Zugfahrt ist mit Mp3-player schon langweilig genug! Zögernd schaut er uns an. Irgendwas verbirgt er doch vor uns. Nicht nur ich sehe das so. "Sag schon ", stochert Zipo weiter "Was machst du hier alleine?" Ihre ganze Betonung liegt auf dem Wort alleine. Sie spricht es wirklich Zeitlupen artig aus. Mein Gehirn ist nicht das schnellste, jedoch jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Mit einem breiten Grinsen stelle ich mich neben ihn und boxe ihn leicht mit meinem Ellebogen in seinen runden Bauch. "Du triffst dich mit Icegirl551 aus Knuddels!“ Meine Vermutungen müssen stimmen, er wird so rot, dass er fast leuchtet. Seine sonst so blasse Haut wird Feuerrot. Verlegen schaut er auf den Boden. "Ja, sie wollte mich bei McDonalds treffen." Zipo fängt an zu strahlen. Seit Wochen hat Nils kein anderes Thema drauf als Lena. Lena ist toll, mit Lena kann man so gut Chatten, Lena würde jetzt wissen was ich fühle. Lena, Lena, Lena. Nun bin ich froh, dass er sich mit ihr trifft. Entweder sagt er dann "Lena ist toll, wir wollen uns noch mal treffen" oder er motzt "Lena ist langweilig" Er könnte auch heulen:"Lena hat mich abblitzen lassen."

"Wie sieht sie aus?" Zipo ist so neugierig, dass sie ihn während ihres Satzes fast anspringt. Wir bemerken nicht, wie wir mitten im Strom stehen. Wir blockieren einen Eingang, jeder versucht sich an uns vorbei zu quetschen. "Schwer zu beschreiben, ich werde euch ein Foto schicken. Aber ihr haltet mich auf, ich komme noch zu spät!"

Aufmunternd klopfe ich ihm auf die Schulter, er taumelt ein paar Schritte nach vorne. "Schnapp sie dir Tiger!" Nickend sieht er mich an. "Ich kam, sah, siegte."

"Gut gebrüllt Tiger ", wendet sich Zipo dann ein. Nachdem er zwischen den Massen, gegen die Strömung, geht, verschwinden wir Richtung U-Bahn. Unser Ausflug neigt sich dem Ende. Wir haben kein Buch, aber eine Nummer erbeutet und einen Nils beim Date erwischt. Im Bus frage ich mich, wann wollte mir Nils es erzählen? Wollte er mir gar nichts von Lenas Begegnung erzählen? Neben mir vibriert Zipo. "Huch", flüstert sie leise, kramt dabei nach ihrem Handy. "Es ist Mike", kreischt sie laut. Zum zweiten Mal zieht sie schon die Aufmerksamkeit auf sich. "Hi, ich bin es Mike. Wollte dich fragen, ob wir uns mal treffen können. Ich würde dich gern besser kennen lernen", liest sie total glücklich vom Handy ab.

Unverhofft kommt oft

~Kapitel 2~
 


 

Ich steig aus dem Auto aus mit Rückenschmerzen und Herzrhythmusstörungen. Meine Mutter hat die neue Deep Dance gerade im Auto gehört. Der Bass hat so gebumt, dass ich dachte, ich hätte zwei Herzen. Total fröhlich steigt meine Mutter aus dem Auto. Ihr neuer Look lässt sie jünger aussehen. Ihr blondes kurzes Haar, was Ähnlichkeiten mit einem Igel hatte, ohne dabei beleidigend zu sein, ist nicht mehr da. Beim Friseur hat sie sich eine Haarverlängerung gemacht und ihre Haare braun gefärbt. Es ist aber, zugegeben, ein wunderschönes rot-braun. Zum Glück hat sie ihre grünen Augen behalten und diese nicht durch irgendwelche blauen oder gar lila Kontakt Linsen ersetzt. In letzter Zeit nämlich, beweist meine Mutter ihr Talent für die ausgefallendsten Ideen. Nicht nur das, sie ist auch jeden Freitag in eine Disco mit ihrer besten Freundin Tina, die erst kürzlich von ihrem Freund verlassen wurde, geht. Nein sie beweist auch dass sie die ausgefallendsten Trends modern machen will. Nun gehen sie beiden als Singles in die Disco und reißen irgendwelche Männer auf. Meine Mutter frisch geschieden und Tina zum x-ten Mal verlassen. Sie sagt immer, er habe immer weniger Zeit gehabt. Ja die hätte ich auch haben wollen! Ständig rief sie bei ihm an, um ihn jenes und dieses zu sagen, was gar nicht wichtig war. Wenn er sagte, dass sie wirklich schön sei, motzte sie ihn an, er solle aufhören zu lügen. Wenn er nichts sagte, sagte sie, er mache ihr viel zu wenige Komplimente. War er mal fünf Minuten zu spät, verdächtigte sie ihn eine Affäre zu haben. Jede Frau, die mit ihm redete oder ihn nur sah, war sofort ihre Erzfeindin. In Discos musste er sich in ihrer Nähe befinden und durfte ja mit niemand anderen tanzen. Einmal hat er einen alten Freund in der Stadt begrüßt, sofort hat sie gedacht, er sei Schwul. Nett servierte er sie dann beim Chinesen ab. Gefühlvoll schrie er sie an "Ja, ich bin Schwul! Ich ertrage es nicht mehr von dir immer kontrolliert zu werden und wie ein kleines Kind behandelt zu werden." Seine letzten Worte waren das. Alle haben getrauert mit ihr. Ich nicht. Jeder musste doch merken, dass er nicht wirklich Schwul war! Bestimmt hat er Angst gehabt, sie könnte ein Stalker werden und Schwul war ja mal mehr als eindeutig, dass sie keine Chance mehr hat bei ihm. Eine Woche später, sah ich ihn mit einer blonden Schönheit im Eiscafe. Die war bestimmt nicht seine Schwester!

Im Treppenhaus kommen uns Möbelpacker entgegen. Sofort macht meine Mutter platz. Ganz elegant drückt sie sich gegen die Wand, grinst dabei einen der Männer an. Dieser grinst natürlich sofort zurück. Ich natürlich quetsche mich noch an ihnen vorbei. Anders als meine Mutter, nehme ich von ihnen keine Notiz. Oben in der Wohnung grinst meine Mutter übers ganze Gesicht. "War der nicht süß?", schwärmt sie, zieht ihre hohen Schuhe aus. Auch sie ist kleiner als ich, sogar mit hohen Schuhen. "Oh sicher, aber mein Fall ist das nicht."

"Gut dann werden wir uns wegen ihm auch nicht streiten."

"Wer zieht drüben ein?" Ich find es echt toll, dass die beiden alten Menschen neben uns aus gezogen sind. Sie waren nämlich die Sorte alte Menschen, die dachten der Bus würde ihnen alleine gehören. Die ihre letzten Tage mit lästern über andere Mitbewohnern verbrachten. All die Jahre über, wo sie den Gesprächsstoff noch mitbekamen und körperlich Top fit waren, stand ihre Waschmaschine in ihrer Küche. Als sie aber bemerkten, dass nicht mehr oben auf dem Speicher gelästert wurde, mussten sie andere Quellen finden. Am besten lässt es sich doch noch im Waschkeller lästern, das dachten auch unsere Nachbarn. So wollten sie ihre Waschmaschine, als sie alt und grau worden, nach unten stellen. Jetzt bekamen sie wieder genug Lästerstoff mit. Jedoch überanstrengende sie das wohl auch und so kommen sie jetzt ins Heim. Manchmal frag ich mich wie alt sie wirklich sind. Ich vermute sie haben in der Steinzeit das Feuer erfunden. "Keine Ahnung ", antwortet meine Mutter eine ganze Weile später. Ich habe schon fast die Frage wieder vergessen. "Hoffentlich irgendein ein Junge in meinem Alter ", höre ich die Stimme meiner Schwester sagen. Vollkommen fertig kommt sie aus ihrem Zimmer. "Was hast du gemacht?" Fragend sehe ich sie an, während ich versuche meinen Joghurt Becher zu öffnen. "Getanzt. Ach ich gehe jetzt mit Melissa raus." Mama nickt und tanzt zu dem neuen Lied, was Rihanna singt. "Was gibt es denn heute Abend zu essen? ", fragt meine Schwester. Was sie erwartet hat, war wann sie wieder zuhause sein sollte. "Wir haben was für die Mikrowelle bekommen ", antworte ich für meine Mutter, welche immer noch mit dem tanzen beschäftigt ist. Jetzt tut sie auch noch so, als ob sie den Text kennen würde und versucht mit zu singen. "Wenn du willst mach ich um halb acht essen." Meine Schwester ist mit meinem Angebot einverstanden, schnappt sich ihr Skateboard und verschwindet. Mit Eismann kann man nichts falsch machen. Seitdem meine Eltern geschieden sind, hat Mama uns nur solchen Fraß gekauft. Abends ist sie auf Achse, deswegen kommt sie nicht zum Kochen. Da ich auch nicht gerade oft Zuhause bin, bin ich mit Eismann und meiner Mutter zufrieden. In diesem Augenblick klingelt es an der Tür. Natürlich denke ich, dass es meine Schwester wäre. Vor mir stehen aber, Lukas und Alex. "Lukas will nicht alleine zum Fußballspiel mit kommen ", fängt Alex sofort an zu sabbeln.“Und ich soll ihm dann Gesellschaft leisten?", beende ich fragend seinen Satz. Beide nicken. "Wir müssen uns beeilen. Der nächste Bus, der nach Essen fährt, kommt in fünf Minuten."

"Bis heut Abend oder Morgen früh ", ruf ich in die Küche zu meiner Mutter. Danach gehe ich mit den beiden zur Bushaltestelle. Im Bus setzten wir uns auf einen vierer und starren aus dem Fenster. Manchmal sehe ich in Lukas braune Knopfaugen rein. Diese Augen sehen einfach zu süß aus. "Tim hat mir gerade eine Sms geschrieben ", fällt es Alex ein.“ Er fragt was wir morgen machen." Ahnungslos zucke ich mit den Schultern. Morgens habe ich wie immer auch eine Sms von ihm bekommen. Aber er hat mich nicht gefragt, was ich morgen vorhabe. "Wir können ja zu ihm fahren ", schlägt Lukas vor. Zustimmend nicken ich und Alex ihm zu. Nach ein paar vielen, verstrichenen Minuten sind wir endlich da. "Weißt du", fängt Lukas auf einmal an, als wir den Platz fast erreicht haben "Ich will dir keine Angst machen oder so! Du kennst mich ja, aber diese Mannschaft ist echt schwer. Wir mussten auch gegen die Spielen, die haben uns voll gezogen. Ich sag es dir, die sieben ist übel! Außerdem sind das alle so Bullen. Hoffentlich brechen sie dir nicht die Knochen." Ich weiß, warum Lukas ihm das erst jetzt erzählt. Hätte er es Zuhause gesagt, hätte Alex ein Margendarm Virus simuliert. An diese Aussage geht Alex mit entsprechender Motivation ran. "Ach wir werden null zu fünfundzwanzig verlieren." Ich fange laut an zu lachen. Auch ihn klopfe ich aufmunternd auf die Schulter. "Ein eins zu fünfundzwanzig schlagt ihr auch noch raus."

Lukas und ich sind überrascht, wie gut die Mannschaft wirklich ist. Bis jetzt steht es sieben zu drei für die Herausfordere. Diese vier Tore werden Alex und seine Mannschaft schon aufholen. Immer wieder schreit der Trainer etwas zu ihnen hin. Manche der anderen Mannschaft machen sich über ihn lustig. Lukas meint, Alex spielt schlecht. "Nun ja, immerhin ", ich kann meinen Satz nicht zu Ende sprechen. Mein Handy klingelt, auf meinem Display leuchtet der Name: Mama.

"Wer stört?", geh ich ran. "Ja, Schatz pass auf. Du schläfst heute bei deinem Vater. Ich habe deine Schultasche schon gepackt und den Rest auch. Er weiß bescheid." Ohne dass ich antworten kann legt sich auch schon wieder auf. Fragend sieht mich Lukas an. "Meine Mutter, die will, dass ich bei meinem Vater schlafe."

"Findest du es schlimm?"

"Nein, aber ich muss dann gleich mit einem anderen Bus zurück fahren, der mich direkt bis nach Heiligenhaus bringt."

Wieder fällt ein Tor, Lukas und ich jubeln. Die Mannschaften versammeln sich. Das Spiel ist vorbei und Alex Mannschaft hat mit drei Punkten im Rückstand verloren. Gar nicht mal so schlecht, wenn man mal den Punkte Stand vergleicht, den Lukas und ich geschätzt haben.
 

Zwar sind sie keine Sieger, aber ziemlich stolz gehen die Fußballspieler zur Bushaltestelle. Auch ein paar Mädchen, die auf dem Sportplatz Hürden lauf gehabt haben, gehen mit. Ein Mädchen sticht dabei besonders hervor. Ihre Solarium gebräunte Haut sieht genauso toll aus wie ihr Blondes Haar, welches zu einem Zopf gebunden ist. Ihre blauen Augen stechen hervor und verzaubern Alex ganz. Total gebannt sieht er auf ihre vollen Lippen, wenn sie redet. "Stell das Sabbern ein", sage ich und Lukas lacht. "Steffi", haucht Alex nur, ohne mich und Lukas wirklich zu beachten. Würde es Kühe vom Himmel hageln, er würde es nicht bemerken. Sonst würde ihm ein weiblicher Schrei entfahren und hysterisch würde er auf der Stelle im Kreis rennen. Unser Alex ist in Gefahrensituationen zu nichts zu gebrauchen. Genauso wenig wie einen sabbernden Alex. Steffi nimmt aber auch keine Notiz von ihm. Stadt dessen lacht sie immer, wenn jemand einen Witz erzählt. Unser Bus kommt. Lukas und ich müssen ihn von der Straße ziehen, sonst würde er Steffi das nächste Mal nur aus dem Himmel angaffen können. Bis zum Werdener Markt fahre ich noch mit den beiden, dann muss ich den sabbernden Alex und den normalen Lukas verlassen. Mein Bus kommt zum Glück nur ein paar Minuten später, dafür ist er aber ein bisschen voller. Also ergattere ich mir lieber noch einen guten Stehplatz. Meine Beine tun mir langsam weh. Ich hasse es wirklich, dass meine Mutter auch immer auf den letzten Drücker damit kommt. Kurz bevor ich ankomme leert sich der Bus und endlich bekomme ich auch einen Sitzplatz. Immer wieder sehe ich auf mein Handy. Weder eine Sms noch ein Anruf in Abwesenheit ist zu lesen. Mein Freund sollte, was das melden betrifft, noch einiges lernen. An der Bushaltestelle ist alles leer. Niemand scheint heute irgendwie Lust auf Heiligenhaus zu haben, ich hab es nämlich auch nicht. Morgenfrüh, darf ich dann auch noch mit dem Bus zur Schule fahren. Was mich am meisten stört ist, warum wollte meine Mutter Sturmfrei haben. Vor der Tür meines Vaters sehe ich meine Schwester sitzen. Total sauer sieht sie mich an. "Er ist noch nicht da ", mault sie, eher ich überhaupt fragen kann, was los ist. Zusammen mit ihr gehe ich auf den Spielplatz. Yvonne hat meine Sachen mitgenommen. "Weißt du warum Mama uns loswerden will?" Auch sie ist vollkommen Ahnungslos. "Vielleicht will sie mit ihren Freundinnen eine Pyjama Party machen." Ich muss lachen. "Mit Milch und Keksen", fügt sie dann hinzu. "Ja, Hasch Keksen und dreiundvierziger mit Milch", verbessere ich sie und nun lachen wir beide. Auf dem Spielplatz ist nichts los. Ein paar Katzen laufen über den Sand, kleine Kinder gehen nach Hause und von den Balkonen sehen alte Leute auf uns runter. "Ich bin froh, dass unsere Nachbarn endlich weg sind ", unterbricht meine Schwester die Stille.

"Sie verlassen alle unser Haus." Fragend blickt sie mich an. "Zuerst Papa, dann unsere Nachbarn. Glaub mir mal die Legers werden es auch nicht mehr lange aushalten, je nachdem, was für neue neben uns einziehen." Nickend stimmt sie mir zu. Dann Vibriert mein Handy. Papa, leuchtet auf dem Display. "Der Herr meldet sich also auch ", nehme ich ab.“Ihr könnt jetzt kommen bin da ", ertönt es aus dem Handy. Ich halt mir mein Handy weit weg vom Ohr. Obwohl es auf niedrigste Stufe eingestellt ist, kann selbst Yvi alles hören. "Sind auf dem Weg ", mit diesen Worten leg ich auf. Langsam machen wir uns auf dem Weg. Nach weniger als einer Minute sind wir aber auch schon da. Nicht aber mein Vater macht mir auf, sondern eine Frau. Ihre Beine ragen fast in den Himmel. Ihr braunes Haar fällt über ihre Schulter und ihre grünen Augen sind wirklich gift grün! Ihre Haut ist durch und durch Solarium bräune. Darin besteht kein Zweifel. Wahrscheinlich ist sie Mitte dreißig oder jünger. Sind wir hier eigentlich richtig? Verlegen sehe ich auf die Klingel. Alles richtig. "Oh isch bin Florence, die Freundin eures Vaters." Ach Freundin also, denk ich mir und sie ist eine Französin. "Kommt doch bitte rein. Euer Vater 'at mir soviel erzählt von eusch."

Mit ausgestreckten Armen steht mein Vater im Wohnzimmer. Er hat also eine neue Freundin und wann wollte er uns dies Mitteilen? Er und Mama gehören doch zusammen und nicht er und diese, diese Florence. Genauso empört wie ich, ist auch meine Schwester. Mein Vater steht unverändert da. Doch etwas hatte sich an ihn geändert. Er hat seine grauen Haare übertönt und steht in einem Schicken Arbeitsanzug da. Außerdem glänzt die Küche und Florence. Ihr Dekoltee wird von silbernen und glitzernden Ketten geschmückt, um ihre Arme sind ebenfalls silberne Ketten und an ihren Fingern trägt sie Ringe mit dicken Klunkern. An ihren Ohren hängen ebenso dicke Klunker. Woher nimmt sie das Geld? Meine Schwester lässt meinen Vater nicht länger warten und umarmt ihn. Kurz darauf umarme ich ihn auch. "Also wie ihr sicher wisst", fängt er an, deutet dabei auch auf seine Französin "Ist das meine Freundin, Florence."

" 'allo", sagt sie mit ihrem Französischen Akzent. "Isch 'abe gar nicht gewusst wie 'übsch ihr seid." Mich betrachtet sie noch nett, als würde ich gerade noch in ihren Rahmen passen. Bei meiner Schwester hat sie aber große Schwierigkeiten, ihre Abneigung gegen Punks und alles andere, was ihrer Norm nicht entspricht, nicht zu zeigen. Meine Schwester hat wieder eine durchlöcherte Hose an, diesmal eine alte Jeans. Darunter trägt sie eine Boxer-Shorts von Homer Simpson, die aus grauer Seide ist. Über ihren kleinen Bauch hat sie ein Top an, welches ganz viele Nieten an den Seiten hat. Ihre Haare sind wie immer wild gestylt. "Nun isch werde was zu Essen 'olen." Darauf hin nickt meine Schwester und setzt sich an den Tisch. "Wie findet ihr sie?", will sofort unser Vater wissen, als sie in der Küche verschwindet. "Sehr Französisch", gebe ich mit einem Touch Französischem Akzent zurück. "Wie alt ist sie? Dreißig?", platz es aus meiner Schwester raus. "Oder ist sie noch in unserem alter?", gebe ich unwillkürlich dazu. "Nein sie ist vierunddreißig und ihre Oma ist Deutsche sowie ihr Vater."

Mit einer großen Platte kommt Florence zurück. Darauf liegen Pommes und Schnitzel, an den Enden wurde in kleinen Förmchen eine Soße gegossen. Die Ränder sind mit irgendwelchem Grünzeug verziert. "Lasst es eusch schmecken."

Alle setzten sich an den Tisch. Zuerst langt meine Schwester zu. Misstrauisch schaut mein Vater zu mir rüber. "Bekommt sie Zuhause nichts mehr?" Lachend sehe ich ihn an. "Aber Papa, hat dir Mama noch nichts erzählt? Wir leben Zuhause nur noch von Wasser und Brotkruste." Entsetzt schaut Florence mich an. "Ist das wahr?" Kopfschüttelnd verneint mein Vater. "Mit Eismann werden wir artgerecht am Leben gehalten", nuschelt meine Schwester, die ihren Mund wirklich sehr voll hat.

Plötzlich geht mein Handy. Sofort spring ich auf und geh ohne zu zögern dran. "Jaaah?", brüll ich in den Hörer rein. "Hier Zipo. Oh hör auf in den Hörer rein zu brüllen!"

"Was los? In Velbert irgendwas Spannendes passiert? Prügelei? Ein Mord?"

"Manuel hat in Karstadt ein Kaugummi geklaut. Aber deswegen ruf ich nicht an! Sag mal wo bist du überhaupt?"

"Bei meinem Vater. Warte ich gib die eben die Nummer." Nachdem ich dann aufgelegt habe, klingelt sein Telefon. "Ist für mich", ruf ich und geh gleichzeitig ran. In seinem Schlafzimmer leg ich mich auf das Wasserbett. "Pass auf Mike will sich morgen mit mir treffen. Was mach ich den jetzt?"

"Dich mit ihm treffen?", sage ich und verdrehe die Augen. "Aber doch nicht alleine?"

"Nimm am besten deine Mutter mit", scherze ich. "Worauf ich hinaus will ist, dass du mitkommen musst!"

"ICH? ", diesmal brüll ich wirklich in den Hörer rein. "Du hast mich verleugnet und über mich gelacht, vergiss es Zipo."

"Bitte, ich flehe dich an. Ich sag einfach, ich habe was Falsches verstanden. Du bist doch meine Freundin!"

Ja, jetzt kommt diese Masche wieder. "Was zahlste denn?"

Man hört nur ein brummen. "Ist ja okay. Morgen um wie viel Uhr und wo? ", gebe ich zurück.

"Ahhhh", kreischt sie diesmal. "In Essen am Bredeney vier Uhr. Danke süße, ich muss dann auch auflegen Tschüs."

Sie legt nur so schnell auf, damit ich es mir nicht anders überlege. Taktisch natürlich sehr geschickt, aber ich könnte ihr auch ne sms schreiben, um abzusagen. Im Esszimmer sind alle schon fertig. "Hab auch kein Hunger mehr", sage ich und leg mich auf das Sofa. "Okay, 'at es denn nicht geschmeckt?" Fragend blick mich Florence an. "Nein, mein Vater hat sich was Gutes geangelt, also Kochen kannst du auf jeden fall." Etwas verwirrt und stolz zugleich, räumt sie den Tisch mit meinem Vater ab. Lässig, locker pflanzt sich meine Schwester neben mich. "Sie ist pingelig, aber kochen kann sie." Ohne was gesagt zu haben, weiß ich die Frage meiner Schwester. "Jo und jetzt mach die Simpsons an."

Während wir uns die Simpsons reinziehen, scheinen Florence und mein Vater wie vom Erdboden verschluckt. In der ersten Werbepause schreibe ich meinen Freund eine Sms.

Hey Schatz,

morgen musst du wohl alleine was mit Lukas und Alex machen. Muss Zipo mal wieder beistand leisten. Sei mir nicht böse, wir sehen uns ja am Freitag

Lieb dich Nic

Erst spät am Abend gehen meine Schwester und ich ins Bett. Mit Florence haben wir nicht mehr viel gesprochen. Irgendwie war sie damit beschäftigt noch Staub ausfindig zu machen.

Morgens weckt meine Schwester mich liebevoll, indem sie mir meine Decke klaut und immer wieder das Licht an und ausmacht. "Verdammt ich bin ja wach", fauch ich sie fünf Minuten später an. Der Tisch im Esszimmer ist auch schon gedeckt. In einem Korb liegen frische Brötchen, es gibt Käse und Wurst Teller. Wieder ist alles mit so komischem Grünzeug an den Enden geschmückt. Natürlich ist meine Schwester wieder die erste am Esstisch. Ruhig setz ich mich dazu, als ich in der Küche plötzlich einen Schrei höre. Er ist so laut und schrill, dass ich Angst habe, dass mein Trommelfell platzt. "Isch kann doch nisch in einer Küche arbeiten, in der Käfer rum kriechen!" Mein Vater hält ihr tapfer die Hand. "Schatz es war nur einer, ein kleiner."
 

"Aber wenn dieser eine seine Eier 'ier abgelegt 'at?!" Meine Schwester verdreht die Augen. "Der arme Käfer. Er hat doch mehr Angst vor Florence!"

Wortlos gehe ich in unser Zimmer, packe meine Tasche und gehe dann ins Bad, wo ich mich beeile, bevor mein Vater mich wieder hetzt. Als ich den Spiegelschrank auf mache, trifft mich der Schlage. Tausende und aber Tausende Pflege Produkte. Für die Nacht, den Tag, vorher, nachher. Florence hat wirklich alles. Für die Augen, Hände, den Body, Fingernägel, Million verschiedene Schmink Sachen. "Ach du scheiße", flüstert mir meine Schwester zu, die nun hinter mir steht. "Hat Papa vielleicht gewollt, dass Mama sich auch so verhält?"

"Das ist gar nicht Papas Stil! Ich frag misch was er an ihr findet", gebe ich mit Französischen Möchtegern Akzent zurück, um damit deutlich zu machen, dass er auch gar nicht auf die Franzosen abfährt. "Denkst du Mama hat noch eine Chance bei Papa?", fragt sich mich dann leise und macht sich dabei Zahnpasta auf ihre Zahnbürste. "Bestimmt, wenn sich unser Badezimmer in ein Douglas verwandelt."

Im Bus reden meine Schwester und ich nicht viel miteinander. Florence hat sich von uns verabschiedet wie eine Freundin. Mit zwei Küsschen auf die Wange hat sie gelabert:" Isch würde misch freuen, wenn ihr bald wieder kommt."

Natürlich war der Bus brechend voll. Meine Schwester sitzt hinten und muss sich mit irgendwelchen Idioten rumschlagen. Sie findet das ganze richtig lästig und ich komm voll auf meine Kosten. Nicht nur das diese Typen wirklich verpeilt sind, neun zu gleich auch noch Stroh doof. Meiner Schwester reicht es nach ein paar Minuten, geht nach vorne und bleibt an der Tür stehen. Neben mir sitzt eine alte Dame, die so laut atmet wie meine Schwester in der Nacht schnarcht. Jedes mal wenn der Bus erneut anfährt, habe ich Angst, dass sie auseinander fällt. Ihre paar Flausen auf dem Kopf, sollen wohl Haare sein und ihre Augen sind gelblich. Was sie trägt ist dieser typischer Omi Rock, lang, grau einfach Schlicht. Dazu trägt sie eine Bluse in der Größe XXL, welche mit bunten Blümchen verziert ist. In ihrem Gesicht befinden sich keine Falten mehr, es sind tiefe, tiefe Schluchten. Bergziegen hätten dort einen wunderschönen Lebensraum. Wenn sie so alt ist wie sie aussieht, hat sie die Kreuzigung von Jesu noch mitbekommen. Wenigstens ist sie still und hat nicht den Drang mich voll zu labern über gute alte Zeiten. Nicht das ich was gegen alte Leute habe, aber sie müssen nicht direkt am frühen Morgen anfangen.

Endlich sind wir am Willy-Brandt-Platz. Für mich lief alles am Morgen so gut, dass ja noch irgendwas schief gehen musste. Während ich mich mit meiner Schwester Unterhalte, stoße ich mit einem großen Jungen zusammen. Grün-blaue Augen funkeln mich an. Ich weiß nicht welche Haarfarbe er hat, er trägt eine schwarze Puma Mütze. Seine Lippen sind schmal und er hat feine Gesichtszüge. Mir wird erst zwei Sekunden später klar, dass ich diesen Jungen angaffe. „Tut mir leid", stammle ich vor mir her. „Pass das Nächste mal besser auf", sagt er kühl und geht an mir vorbei. "Arsch", murmle ich und gehe über die Straße. Wieso soll ich aufpassen? Er hat doch auch zwei Augen oder etwa nicht? War das hier seine Straße? Ich glaube eher nicht.

Abgesehen davon, dass ich meine Hausaufgaben in Chemie vergessen habe, keine Lust auf Wp1 habe, ist der Schultag ganz okay. Es ist gerade fünf Minuten Pause und unsere Jungs haben den Drang sich mit irgendwas zu bewerfen. Zu meiner Klasse äußere ich mich mal so. Wir sehen alle aus wie fünfzehn oder sechzehn unser Benehmen scheitert aber und entspricht nicht unserem Alter. Nicht einmal annährend. So ziemlich oft bekommen wir nicht Grundlos gesagt, dass selbst die fünfer disziplinierter sind als wir. Zuerst wirft Alex mit einem Stück Kreide. Geschützt steht er am anderen Ende des Klassenraumes vor den Fenstern und neben dem Schrank. Vorne an der Tür holt Christian zum Wurf mit einen Papierball aus. Als nächstes wirft Alex mit dem Schwamm und Chris wirft mit einem alten Buch zurück. Alles was in dieser Flugbahn sitzt muss ausweichen oder wird getroffen. Plötzlich aber, mal wieder muss Alex übertreiben, schmeißt er mit einer Kiste nach Chris. Dieser kann gerade noch so Matrix-mäßig ausweichen, doch die Kiste prallt gegen den Spiegel. Innerhalb weniger Sekunden hört man ihn laut zu Boden klirren. Im selben Augenblick lachen alle und schreien: „Idiot, Idiot, Idioooot." Wie bei einem Konzert verneigt sich Alex vor allen. „Danke schön, danke schön. Ohne euch wäre es nicht möglich gewesen."

Nun kommt Anette in den Raum. Schwungvoll wirft sie ihr braunes, dickes Haar auf die Schulter, stolziert mit ihren Storchenbeinen ins Klassenzimmer und funkelt Alex mit ihren grünen Augen an. „Bist du eigentlich noch ganz dicht? Wie soll ich mich den jetzt im Spiegel betrachten? Soll ich jetzt so in die Pause gehen?", schreit sie ihn an. Neben ihr stehen ihre weiblichen Anhänger. Ebenfalls wie Anette sind sie auch ganz außer sich. „Hör mal Anette", beginnt Alex im ruhigen Ton. „Du siehst doch ganz wundervoll aus."

„Ja natürlich sehe ich das! Würde irgendwer jemals was anderes behaupten?!"

Wenn sie die Tonne Make-up weg lassen würde, ihren glänzenden Lipp Glosse nicht jede zweite Minute dick auftragen würde und sich nicht nuttig anziehen würde, würde ich sagen sie könnte irgendwann mal hübsch aussehen. Persönlich habe ich ihr das noch nicht gesagt. Sie mag mich. Würde sie mich drauf ansprechen, ja dann würde ich es ihr sagen. Aber warum soll ich mich vorher schon in die Pfanne hauen?! Außerdem vielleicht bekommt sie irgendwann den Gedankenblitz und merkt wie lächerlich sie sich manchmal aufführt. Unsere Klasse war die einzige mit einem Spiegel, jetzt soll Alex einen neuen holen.

Immer wieder lässt Zipo auf mein Handy durch klingeln, nur damit ich sie auch ja nicht vergesse. Zwischendurch lässt auch Tim zurück klingeln, der mir damit zeigen will, dass er an mich denkt. Oder er ist einfach nur zufällig an die Wahlwiederholung gekommen. Das Erste gefällt mir aber besser.

Nach der Schule ist Anette immer noch ganz sauer. Wir haben drei Uhr, wenn ich den Bus um zwanzig nach schaffe, steigt Zipo am Plätzchen dazu. Wenn nicht, werde ich zwanzig Minuten zu spät kommen. Entweder sagt sie ab, wartet auf mich oder sie lässt ihn in Ungewiesenheit um sonst auf sich warten.

Schließlich steigt sie doch am Plätzchen zu mir. Ich frage mich warum sie so bedrückt aussieht. Zur Begrüßung gibt sie mir ein Küsschen und lässt sich in den Sitz fallen. „Ich bin so kaputt", stöhnt sie. „Warum?" Fragend ziehe ich eine Augenbraue hoch. „Die Schule, meine Mum, aber vor allem meine Mum."

Alex, Zipo und ich nennen unsere Mütter alle anders. Alex nennt sie immer Mutter, Zipo ihre Mum und ich meine irgendwie immer noch Mama. Mutter kommt mir vor, als würde ich eine Fremde damit ansprechen und bei Mum komme ich mir viel zu Amerikanisch vor. „Was ist passiert?", will ich dann doch langsam wissen. Seufzend schaut sie aus dem Fenster. „Ach die meint, ich sollte viel besser in der Schule sein und all so was. Wir streiten in letzter Zeit nur noch. Warum streitest du dich nie?"

Ahnungslos zucke ich mit den Schultern. „Ich sehe sie kaum."

Einige Minuten wird gar nichts gesagt. Neben unseren vierer sitzt ein Junge. Er ist bestimmt erst elf, hält sich aber schon jetzt für einen echten Hardcore Gangster. Lässig breitbeinig sitzt er dort, mit seiner geilen Mütze. Die Hose viel zu breit, da würden fünf von ihm rein passen. Sein schwarzer Pulli ist hoch gezogen und an seinem Arm befinden sich Schweißbänder von Puma und Nike. Dazu hört er noch viel zu laut irgendwelche Gangster Musik und nickt dazu immer wieder im Takt mit dem Kopf. Ob er wohl weiß, dass er mehr einer riesigen Lachnummer ähnelt? Nun steigt ein alter Mann ein. Er sieht aus, als wäre er schon Wochen nicht mehr nüchtern gewesen. Schwankend und mit einer starken Fahne erreicht er einen Sitz. Darauf sitzt er allerdings nicht, sondern liegt fast. Zipo bekommt fast einen Kotzreiz. „Bäh, der stinkt" sagt sie angewidert. Nickend Stimme ich ihr zu und versuche meine Atmung zu reduzieren. Hoffentlich steigt er gleich aus. Aber auch er hat das Ziel Bredeney und somit steigt er mit uns aus. Wieder schwankt er zum nächsten Sitzplatz, fällt dann aber in eine Ecke. Einige schaulustige stehen um ihn herum. Ich und Zipo suchen ihren Typen. Hinten, an einer Stange angelehnt, steht er und winkt uns zu. Sofort geht Zipo hin und beide begrüßen sich. Zuerst überlege ich, ob ich mich vielleicht doch aus dem Staub machen soll, lass es dann aber und gehe auch zu ihnen hin. Er nickt mir schweigend zu. Ich deute es als ein Hallo. Auch Heute ist er wieder farblich auf sich abgestimmt. Mit seinem Deo riecht er besser als der Mann mit der Fahne, nach wenigen Minuten brennt aber meine Nase von seinem Deo Geruch. Nicht nur ich, sondern auch Zipo, scheint wenig von ihm begeistert zu sein. Irgendwie quatscht der Typ von irgendwelchen Autos, von denen ich noch nie gehört habe. Er fragt Zipo irgendwas, aber sie hat ihm längst nicht mehr zugehört. Tja, so lernen wir daraus, dass gutes Aussehen nicht unbedingt auch einen guten Charakter besitzt. Gelangweilt setzten wir uns auf eine Bank. Offensichtlich sind nur wir beide gelangweilt, Mike zeigt nämlich ein großes Interesse an Zipo. Zum Glück leistet Tim mir beistand und hört nicht auf mit mir Sms zu schreiben. Ich schreib ihm, ob er nicht morgen Lust hat zu mir zu kommen. Zum Glück sagt er nicht nein und lässt mich etwas glücklicher werden. Plötzlich, total unerwartet, springt Zipo auf und mustert Mike. „Es tut mir leid", stammelt sie. Nicht nur Mike ist verwirrt, ich bin es auch. „Ich wollte es dir zuerst nicht sagen, aber ich habe seit gestern Abend einen Freund." Niedergeschlagen sieht er sie an. ZACK eine Ohrfeige ins Gesicht hätte er besser verkraften können, schein es mir. „Schon okay.“

Schon okay? Ich kann es nicht fassen wie gut sie Schauspielern kann und zu lügen ohne rot zu werden. „Ich habe nämlich auch eine Freundin", stammelt er später. ZACK das ist eine Ohrfeige für mich. Warum tut man so was, wenn man vergeben ist? Ob sie wohl langweiliger ist als er? Über was spricht sie stunden lang. Schuhe? „Dann wäre das geklärt und wir beide fahren wieder nach Hause."

Somit endet dieses super treffen und fünf Minuten später sitzen ich und Zipo wieder im Bus. Auf der Fahrt unterhalten wir uns nur kurz über diesen Mike. „Er ist langweilig, deswegen streiche ich die Begegnung aus meinem Gedächtnis." Damit war das Thema für sie beendet. Für mich aber nicht. Was wäre gewesen, wenn Zipo sich in ihn verliebt hätte? Wen hätte er sitzen lassen, Zipo? Seine Freundin? Hätte er es niemanden gesagt und ein doppelt Leben geführt? Oder hatte er das mit der Freundin nur gesagt, weil die gesprochene Ohrfeige von Zipo ziemlich weh tat? Am Plätzchen steigt sie wieder aus. Den Rest muss ich wieder alleine fahren. Zum Glück hält der Bus fast vor meiner Haustüre. Vor unserem Haus stehen Umzugswagen und ein dicker Bmw. Was für Leute ziehen den hier ein? Auf dem Weg zur Tür krame ich mein Handy raus. Ich stoße zum zweiten Mal mit einem zusammen. Grün-blaue Augen funkeln mich zum zweiten Mal am Tag an. Diesmal trägt der Junge keine Mütze. Sein blondes Haar ist kurz, sonst sieht er genauso aus wie heute Morgen. "Pascal komm schon, ich kann das nicht alleine hoch schleppen", ruft ein Mann ihm zu. Er hat Ähnlichkeiten mit Pascal und muss wohl sein Vater sein. Kurz danach trifft mich der zweite Schlag. Er ist mein neuer Nachbar.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  zuckersuessertot
2009-11-25T12:58:34+00:00 25.11.2009 13:58
aus der geschichte könnte man wirklich viel machen
aber irgendwie klingt es eher wie ein tagebuch eintrag
einiges könnte man nur kurz anschneiden was die beschreibungen angeht oder ganz weg lassen außerdem merkt man nicht wo es hingehen soll da dem ganzen eine gewisse würze fehlt, eine art veränderung bei nicole oder ein sich anbahnender konflikt
könnte aber auch daran liegen das du erst mal die ganzen personen vorstellst um hintergrundwissen zu schaffen
tut mir leid wenn ich kaum was positives schreibe aber ich dachte mir das würde dir vllt mehr weiterhelfen
lg zucker


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