Wer zuletzt lacht...
1. Wer zuletzt lacht...
In der sternenklaren Nacht stand eine Person am Rand eines Hochhauses und blickte auf die erleuchteten Dächer von Tokio hinab. Direkt vor dem Gebäude konnte man unter Anstrengung eine dichte Menschenmenge ausmachen, die Polizeiwagen dagegen waren an ihren Blaulichtern leicht zu erkennen.
Er hatte es wieder einmal geschafft! Hier oben war weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Seine Show heute Abend war ja auch bühnenreif gewesen. Ein Kinderspiel den Kommissar auszutricksen. Die Medien würden ein gefundenes Fressen haben und dem Titel Meisterdieb wurde er abermals mehr als gerecht! Ein triumphierendes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
„Das Spiel ist aus.“
Er erstarrte. Langsam löste sich ein Umriss aus dem Schatten und kam auf ihn zu.
„Keine Bewegung.“
Seine Mundwinkel verzogen sich wieder zu einem Lächlen. Er hatte sich wohl getäuscht, die Nacht war anscheinend doch noch nicht vorüber: Es wurde eine Zugabe verlangt! Na wenn das so war...
Spöttisch griff er nach der Krempe seines Zylinders und verbeugte sich in einer halben Umdrehung galant.
„Sieh an, sieh an, die kleine Nakamori. Aber sag mal, hat dein Vater dir denn gar keine Manieren beigebracht?“, er hob die Augenbrauen, „Es schickt sich nicht für junge Damen so spät nachts noch ganz allein draußen zu sein...und schon gar nicht um irgendwelchen Männern nachzustellen! Seien sie auch noch so gut aussehend.“
Der junge Mann zwinkerte ihr selbstgefällig zu. Seine Worte trieben ihr die Röte ins Gesicht, sie zitterte vor Wut.
„Ich sagte, keine Bewegung, klar?!“, zischte sie.
Kid hob grinsend die Hände.
„Aber, aber mit sowas spielt man nicht.“ Er deutete auf die Dienstwaffe ihres Vaters. „Wetten, du weißt nicht mal, wie man damit umgeht!“, unterstellte er ihr frech.
„Fordere dein Glück nicht heraus, Kid“, knurrte sie.
„Ich seh schon, du lässt mir keine andere Wahl.“ Bedauernd zuckte er mit den Schultern ehe er die kleine Blendgranate aus seinem Ärmel fallen ließ.
„Ahh“, Aoko kniff bei dem grellen Licht die Augen zusammen. Geblendet konnte sie gerade noch ausmachen, dass er überlegen lächelte.
„Ich bin dir eben immer einen Schritt voraus.“
Er zwinkerte ihr noch einmal zu bevor er sich in Rauch hüllte. Hustend hielt sie sich die Hand vor den Mund. Kaum hatte sie ihre Augen wieder geöffnet, war er spurlos verschwunden. Nicht das geringste Indiz deutete an, dass der weiß gekleidete Zauberer bis eben noch vor ihr gestanden hatte. Aoko stürzte so schnell wie möglich an den Rand des Daches und spähte in die Dunkelheit, doch sie konnte niemanden sehen. Der Meisterdieb war ein weiteres Mal entkommen.
„Wir werden ja sehen, wer zuletzt lacht“, murmelte sie leise.
Da flatterte ein kleines, schneeweißes Papierstück durch die Luft und landete genau vor ihren Füßen. Eine rote Rose war mit Klebestreifen daran befestigt. Erstaunt hob sie es auf. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck:
„Wer zuletzt lacht, denkt zu langsam! Kaitou Kid“
Er war also noch hier! Sie ballte ihre Hand zur Faust und schrie wütend: „Na warte! Ich werde dich schon kriegen, verlass dich drauf!“
Gar nicht weit entfernt von ihr lehnte der Angesprochene an einer Wand und musste unwillkürlich grinsen.
„Sei dir da mal nicht so sicher“, flüsterte er kaum hörbar ehe der Dieb endgültig in die mittlerweile tiefschwarze Nacht verschwand.
~
Sensationell! Meisterdieb verblüfft durch unglaublichen Einfallsreichtum!
Er konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Wie erwartet sparten die Reporter nicht mit Lob und berichteten enthusiastisch von Kids neuestem Streich. Kaito saß auf seinem Platz in der Schule und studierte aufmerksam die Artikel als er durch einen lauten Knall aus seinen Gedanken gerissen wurde. Aoko hatte mit beiden Fäusten auf den Tisch neben ihm geschlagen.
„Seien sie auch noch so gut aussehend...Was bildet sich der Kerl eigentlich ein?“, lautstark machte seine Freundin aus Kindertagen ihrem Ärger Luft.
Ihr Gesicht war vor Wut gerötet und ihre Augenbrauen zuckten gefährlich. Kaito betrachtete sie amüsiert.
„Das ist nicht lustig!“, fauchte sie ihn aufgebracht an.
Er hob abwehrend die Hände: „Ich hab nichts gesagt!“
Für einen kurzen Moment starrte sie ihn an. Die Geste...ihre Gedanken schweiften wieder zur gestrigen Nacht.
~
Kid: Meisterdieb der Herzen
„Guten Abend Kaitou Kid!“ Lächelnd tippte sich Hakuba zum Gruß an seinen Hut.
Verdammt! Wo kam der denn jetzt auf einmal her? Egal, er hatte keine Wahl. So einfach würde er sie ihm nicht überlassen.
Kid schnappte sich Aoko und sprang mit ihr vom Dach. Vor Schreck klammerte sich die Oberschülerin an seinem Hals fest. Ein rötlicher Schimmer breitete sich auf ihren Wangen aus, als sie realisierte, wie nah sie ihm war.
„Oh sieh mal, da ist er!!“, schrie eine weibliche Stimme aus der Menge beigeistert.
„Was?!“ Inspektor Nakamori drehte sich hastig um.
„Wen hat er denn da bei sich?“ Ein Raunen ging durch die Menge. „Sieht aus wie ein Mädchen!“
„Wer sie wohl ist?“
„Wie gern wäre ich jetzt an ihrer Stelle!“
Die Augen eines Mannes weiteten sich. Aufgeregt zeigte er mit dem Finger in die Luft: „Heh, Inspektor, ist das nicht Ihre Tochter?“
Alle Augen richteten sich auf den Polizisten. Dieser kniff die Augen zusammen und starrte angestrengt in das Licht. Kein Zweifel, die Person in Kids Armen war Aoko!
„Um Himmels Willen nehmt die Waffen runter!“, herrschte der Kommissar seine Untergebenen an.
„Aber Inspektor-“
„Hab ich mich nicht klar genug ausgedrückt?!“ Seine Stimme überschlug sich förmlich.
„D-doch Sir!“ Auf den Befehl hin ließ einer nach dem anderen mit zusammen geknirschten Zähnen seine Waffe sinken.
„Wie’s aussieht, hast du mir gerade das Leben gerettet“, raunte Kid ihr leise ins Ohr.
„Das war bestimmt nicht meine Absicht!“, gab sie bissig zurück.
„Aber, aber, warum so kratzbürstig? Die Nacht ist doch noch jung...“ Er zwinkerte ihr ihr vielsagend zu.
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Während sich die Polizisten immer noch schwarz ärgerten, dass Kid ihnen wieder einmal direkt vor ihrer Nase entwischt ist, öffnete eben dieser Aokos Fenster und ließ sie vorsichtig in ihr Zimmer gleiten. Er selbst verharrte auf dem Fensterbrett. Der Mond schien hell und erleuchtete den strahlend weißen Anzug des Zauberers.
„Woher-?“, wollte Aoko verblüfft wissen, doch der Meisterdieb unterbrach sie, indem er einen Finger auf seine Lippen legte und ihr so bedeutete zu schweigen.
„Schh...das bleibt mein kleines Geheimnis!“ Er zwinkerte er ihr zu.
Dann drehte er sich um und verschwand in die tiefblaue Nacht. Aoko stürzte zum Fenster und blickte verzweifelt in die Dunkelheit, doch keine Spur von Kids weißem Markenzeichen war zu sehen.
„Nächstes Mal!“, nahm sie sich entschlossen vor.
Gerade als sie das Fenster schließen wollte, flatterte ein kleiner weißer Zettel gegen die Scheibe.
„Hm?“ erstaunt löste Aoko es von dem Glas und drehte es um. Es ähnelte sehr dem, welches sie bei ihrer letzten Begegnung gefunden hatte; wieder zierte eine Rose das Papier.
„Morgen, morgen, nur nicht heute, das sagen alle faulen Leute! Kaitou Kid“
Sie hätte es wissen müssen! Aoko spürte wie die Wut wieder in ihr hochstieg und riss ruckartig das Fenster auf.
„Das wirst du mir büßen, Kid!“, schrie sie aufgebracht in die Nacht hinein, bevor sie das Fenster mit einem lauten Knall schloss. Woher sollte sie auch wissen, dass der Meisterdieb direkt über ihrem Zimmer auf dem Dach saß und sich ins Fäustchen lachte?
„Ich wusste doch, dass ihr das gefallen würde.“ Ein breites Grinsen umspielte seinen Mund. "Gute Nacht Aoko!"
Lautlos machte er sich nun endgültig auf seinen Weg.
~
„Von wegen, du hasst Kid!“ Spöttisch grinsend wedelten ihre Freundinnen Aoko mit der heutigen Ausgabe der Tageszeitung vor der Nase herum.
„Gib das her!“ Wütend schnappte sie sich die Zeitung und schlug die Titelseite auf. Was sie sah, ließ ihren Atem stocken.
„Kid stiehlt Nakamoris wertvollsten Schatz: Das Herz seiner Tochter!“, prangte da dick und fett über dem großen Bild von ihr in Kids Armen.
„Du siehst nicht so aus, als würdest du dich wehren“ ,bemerkte eine Mitschülerin spöttisch.
„I-ich...stand unter Schock!“, stammelte Aoko feuerrot.
„Ja, hat sie ihre Arme nicht fest um seinen Hals geschlungen?“
„Hab ich auch schon gedacht.“
„Tzz wer hätte das geahnt?“, tuschelten andere hinter vorgehaltener Hand.
Allgemeines Gekicher folgte. Ihr Herz pochte laut und ihr Gesicht wurde noch eine Spur dunkler. Sie vergrub ihren Kopf in ihren Händen und starrte auf die Tischplatte. Aoko hoffte, dass es bald zur Stunde klingeln würde und versuchte dabei vergeblich die Kommentare der anderen zu ignorieren. Sie seufzte. Fehlte doch eigentlich nur noch...
„Ich finde nicht, dass dir blau sonderlich gut steht.“
„Wa-?“ Sie begriff blitzschnell und presste ihre Beine zusammen. „KAITO!“
Damit schnappte sie sich den Mopp und jagte hinter ihrem Freund aus Kindertagen her. Auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte, so was es doch eine willkommene Ablenkung. Außerdem konnte sie dabei ihre aufgestaute Wut loswerden.
Als sie schließlich keuchend stehen blieb um Luft zu holen, musterte Kaito sie verstohlen. Er war besorgt. Sie benahm sich irgendwie anders. Klar wusste er, dass sie nicht wie die anderen Mädchen war. Dazu war sie viel zu....ja was eigentlich? Reizbar? Burschikos? Stur? Er suchte nach den treffenenden Worten, doch viel kam nicht dabei heraus. Am meisten hob sie sich von den anderen ab, weil sie ihn nicht anhimmelte. Weder als Kaito, nach als Kid. Für ein Mädchen in diesem Alter äußerst ungewöhnlich. Er seufzte. „Schade eigentlich...“
Was? Was dachte er denn da?!
„Ich sollte mich lieber auf morgen konzentrieren...“, murmelte er kopfschüttelnd.
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