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Vampire Kiss

Vermouth x Jodie, (Curaçao x Kir)
von

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Nach und nach kam sie wieder zu sich. Zuerst wurde sie sich bewusst, dass sie zusammengerollt auf der Seite lag. Mh...? Wie spät war es denn? Und warum war ihr Bett so verdammt kalt und unbequem? Sie fühlte sich viel mehr, als würde sie auf dem Boden liegen.

Dieses Gefühl irritierte Jodie. Genau so wie die Tatsache, dass sie sich nach dem Aufwachen nicht erholt, sondern vollkommen erschlagen fühlte. Was zum? Wurde sie vielleicht krank? Ihr Hals schmerzte zumindest.

Dann wurde sie sich bewusst, dass die Schmerzen sich gänzlich anders anfühlten, als gewöhnliche Halsschmerzen, wie man sie oftmals bei einer Erkältung oder Grippe bekam.

Im nächsten Moment war die junge Frau schlagartig hellwach, als sie bemerkte, dass sie nicht in ihrem Bett lag. Sie hatte auch nicht geschlafen, sie hatte das Bewusstsein verloren. Die Erinnerungen daran, was passiert war, bevor sie in Ohnmacht gefallen war, waren sofort wieder präsent.

Sie war von einer Gruppe Vampiren verschleppt worden, hatte sich gefesselt in der Bar befunden und dann hatte dieses elende Biest sie gebissen.

Als sie realisierte, dass sie trotz dem Biss noch lebte, krampfte ihr Herz sich zusammen. Der Vampirjägerin wurde speiübel. Sie hasste Vampire. Diese schreckliche Spezies hatte ihr in ihrer Kindheit alles genommen, was ihr etwas bedeutet hatte. Ihre gesamte Familie. Nur sie hatte damals überlebt. Der ausschlaggebende Grund für sie, sich später für ihren gefährlichen Beruf zu entscheiden.

Und nun? Sie war von diesen Monstern gefangen und gebissen worden. Das sie den Biss überlebt hatte, bedeutete zwangsläufig auch... Entsetzen stieg in ihr auf. Alles, nur das nicht!

Jodie riss die Augen auf, stützte sich mit einer Hand am Boden ab und setzte sich ruckartig auf.

Bei der Aktion wurde ihr schwindelig, doch sie versuchte dieses Gefühl so gut es ging zu ignorieren.

Gehetzt sah sie sich um. Sie befand sich nicht länger in der in die Jahre gekommenen Bar. Nein, dieser Raum war kleiner und hatte viel größere Ähnlichkeit mit einem Wohnzimmer.

Sie selbst hatte in einer Ecke auf dem Boden gelegen. Wie sie hier her gekommen war, konnte sie nicht sagen, hatte sie es doch nicht mitbekommen.

Weiterhin schmerzten ihre Schulter, ihr Kopf und ihr Hals, doch dies rückte in den Hintergrund, als sie auf dem Sofa den Grund für ihre Misere entdeckte.

Inzwischen hatte die andere Blondine sich umgezogen. Sie trug nicht länger das Kleid, welches sie während der Autogrammstunde und vorhin in der Bar getragen hatte. Irritierenderweise war die Schauspielerin lediglich in einen flauschigen, weißen Bademantel gehüllt. Sie hatte sich ein Handtuch um die Schultern gelegt, da ihre Haare noch nicht ganz trocken waren.

Jodie war mehr als verwirrt. Wie war sie in dieses Wohnzimmer gelangt und warum um Himmels Willen war die Vampirin ebenfalls anwesend? Dem Outfit nach zu urteilen, musste die Ältere gerade gebadet oder geduscht haben. Nun saß Chris zumindest auf dem Sofa und lackierte sich in aller Seelenruhe die Nägel, während im Hintergrund der Fernseher lief.

Jodie fühlte sich wie im falschen Film. Das glaubte sie jetzt nicht. Sie hatte viel mehr das Gefühl durch irgendeine Kamera eine Alltagsszene aus dem Leben der Schauspielerin zu beobachten, doch die Realität sah anders aus.

Diese Frau war nicht das, was sie zu sein schien und sie selbst beobachtete das Zimmer nicht bloß durch eine Kamera, sondern war hier her verschleppt worden. Und dieses Biest hatte sie gebissen!

Als sich diese Erkenntnis zurück in ihre Gedanken drängte, schnürte sich ihr erneut die Kehle zu.
 

Derweil schien Chris gemerkt zu haben, dass die Gefangene das Bewusstsein wiedererlangt hatte.

Ohne große Eile, drehte sie den Kopf in Jodies Richtung und musterte die andere Blondine für einen Moment. "Sieh an wer endlich wieder zu sich gekommen ist. Ich dachte schon du hältst Winterschlaf.", spöttelte sie.

"Sehr witzig!", fauchte die Vampirjägerin verstimmt. "Wo sind wir hier?! Was hast du mit mir gemacht?!"

Wieder ließ ihr Gegenüber sich einige Sekunden Zeit zu antworten. Höchst wahrscheinlich war das Absicht, da Chris sich denken konnte, wie unerträglich die Situation für die Andere war und wie dringend Jodie wissen wollte, was hier eigentlich gespielt wurde.

"Wir sind immer noch im gleichen Gebäude, allerdings auf einer anderen Etage. Und ich habe gar nichts mit dir gemacht, Kätzchen. Du hast fast zwei Stunden geschlafen wie ausgeschaltet."

"Ich habe nicht geschlafen, ich war ohnmächtig!", erinnerte Jodie die Schauspielerin mit wenig freundlicher Stimme.

"Am Anfang vielleicht, aber irgendwann hast du nur noch geschlafen.", winkte Chris gleichgültig ab und betrachtete prüfend ihre frisch lackierten Nägel, ehe sie das Fläschchen Nagellack zuschraubte und zurück auf den Tisch stellte.

"Du hast mich gebissen!" Anklagend und entsetzt zugleich, blickte die Jägerin sie an.

Die Vampirin nickte nur. "Mhm."

Ungläubig starrte Jodie sie an. Die Ältere hatte mit dieser Aktion ihr Leben zerstört, wenn man es denn so wollte und mehr als ein zustimmendes Murren, fiel ihr nicht dazu ein?!

"Du hast mich gebissen und mich nicht getötet. Oh Gott, was hast du dir dabei gedacht?! Ist das das grausame Spiel, das ihr Vampire mit Jägern spielt? Ich will nicht auch zu so einem Monster werden!"

Entsetzen und Verzweiflung waren in der gleichen Intensität zurück wie kurz vor dem Biss. Bloß das die Blondine sich nun noch hilfloser fühlte, da das Kind bereits in den Brunnen gefallen war und sich der Horror nicht mehr rückgängig machen ließ. Zu ihrer Verzweiflung mischten sich nun auch noch Hilflosigkeit und Ärger.

Dann kam ihr ein Gedanke. Ein höchst beunruhigender Gedanke. Wenn es stimmte, was Chris sagte und sie zwei Stunden lang ausgeschaltet gewesen war, dann war auch der Biss schon über zwei Stunden her. "Oder bin ich am Ende etwa schon...?" Voll Horror fuhr sie sich mit der Zunge prüfend über die obere Zahnreihe. Noch keine Spur von spitzen Fangzähnen. Aber was nicht war, das würde ganz sicher noch werden. Für die junge Frau war diese Gewissheit kaum zu ertragen.

Chris hingegen hatte ihr zugehört und sie beobachtet. Der Blick der Schauspielerin wirkte erst leicht fragend, dann überaus amüsiert. Schließlich konnte sie ein Lachen nicht länger unterdrücken. Eine Tatsache, die Jodie köcheln ließ. Diese verdammte Vampirin hatte ihr Leben zerstört und machte sich nun auch noch über sie lustig!

"Hey! Das ist nicht witzig! Was hast du dir nur dabei gedacht?!"

So elend ihre aktuelle Situation auch war, für einen Moment überschattete der Ärger das Entsetzen der jungen Frau. Jodie wollte sich aufrichten und sich dem Sofa nähern, um dafür zu sorgen, dass die andere Blondine aufhörte über sie zu lachen, doch kaum, dass sie sich in Richtung der Anderen gelehnt hatte, wurde sie von irgendetwas am Hals zurückgehalten und fand sich in der nächsten Sekunde bereits auf dem Boden sitzend wieder.

Jodie stutzte und legte sich rasch eine Hand an den Hals, um zu prüfen, was genau sie zurückgerissen hatte. Ihre Hände waren inzwischen frei, dafür befand sich nun ein Ring um ihren Hals, der mit einer Kette an der Wand befestigt worden war. Verdammt!

"Du glaubst wirklich, was du da sagst, oder?" Weiterhin klang die Stimme der Schauspielerin ziemlich amüsiert. Schließlich stand Chris vom Sofa auf und tat einige Schritte auf die Jägerin zu, jedoch hielt sie sich wohlweißlich außerhalb des Radius auf, den die Kette der Jüngeren als Bewegungsspielraum einräumte.

Anstatt einer Antwort, funkelte Jodie sie lediglich an.

"Und du bist dir wirklich ganz sicher, dass du Mondnebel angehörst? Der legendären Gruppe der Vampirjäger?", verhöhnte Chris sie.

Jodie stutzte. "Mondnebel? Woher kennst du unsere Gruppe?"

"Na jedem Vampir ist diese Gruppe ein Begriff, immerhin heißt es, dass ihr eine ernsthafte Gefahr seid.", erklärte die Schauspielerin ihr und blickte spöttisch zu ihr herab. "Aber wenn ich dich so betrachte, bekomme ich ernsthafte Zweifel, Süße."

"Was weißt du schon über Mondnebel?!"

Chris bedachte sie mit einem überheblichen Blick. "Nun, ich wage zu behaupten, dass ich mehr über Mondnebel weiß, als du im allgemeinen über Vampire."

Erneut betrachtete sie prüfend ihre Nägel, scheinbar um festzustellen, in wie weit der Nagellack bereits getrocknet war. "Du bist wirklich davon überzeugt, dass ich dich mit dem Biss vorhin gewandelt hätte, oder? Ach Kleines, so naiv kannst du doch unmöglich sein."

Jodie horchte auf. Einerseits missfiel es ihr wie Chris sie behandelte, andererseits ließen ihre Worte sie durchaus stutzen. Vermutlich war es Absicht, aber da war er wieder, dieser winzige Grashalm der Hoffnung, an den sie sich so gerne klammern würde, auch wenn dies vermutlich nur ein grausames Spielchen der Schauspielerin war.

"Was meinst du damit...?", hakte sie skeptisch nach.

"Schätzchen, wenn du schon Vampirjägerin spielen willst, dann solltest du vielleicht erst einmal damit anfangen deine Hausaufgaben zu machen.", verhöhnte Chris sie. "Aber gut, ich will mal nicht so sein und zumindest diese Sache klarstellen. Ein einfacher Biss wandelt einen Menschen nicht. Dafür hätte ich dir schon etwas von meinem eigenen Blut einflößen müssen und das liegt mir weiß Gott fern."

Jodie starrte ihr Gegenüber an. War das ihr Ernst? Der Halm, an den sie sich mit all ihrer Hoffnung klammern wollte, rückte in greifbarere Nähe und doch befürchtete sie, dass die Vampirin sie im nächsten Moment lediglich auslachen und verkünden würde, sich einen Spaß erlaubt zu haben.

"Du fragst dich, ob du mir glauben kannst?", erriet Chris ihre Gedanken.

"Etwas auf das Wort eines Vampirs geben? Woher soll ich wissen, dass du mich nicht anlügst?" Weiterhin klang die Stimme der Jägerin skeptisch und wenig freundlich.

"Wenn du Zweifel hast, dann bleibt dir nichts anderes übrig als abzuwarten. Die Zeit wird dir schon zeigen, ob ich gelogen habe oder nicht." In den Augen der Schauspielerin blitzte Schadenfreude auf.

Diese Situation fand allerdings nur sie witzig. Jodie war zwischen Verzweiflung und Ärger hin und her gerissen. Sie hasste Vampire im Allgemeinen, aber diese Vampirin brachte sie mit ihrer Art wirklich zum köcheln. "Darüber kannst auch nur du lachen.", murrte sie verstimmt. "Sag mir lieber, was du jetzt mit mir vor hast."

Einerseits war Jodie sich nicht sicher, ob sie die Antwort auf diese Frage überhaupt kennen wollte, andererseits zehrte die Unwissenheit nur noch zusätzlich an ihren Nerven. Als wenn es nicht schon reichen würde, dass sie nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob die Information, die sie von Chris bezüglich des Bisses erhalten hatte, nun der Wahrheit entsprach oder nicht.

"Vielleicht später, Süße. Jetzt habe ich erst einmal keine Zeit mehr für dich."

Mit diesen Worten wandte die Schauspielerin sich ab und ging auf die Zimmertür zu.

Erneut stutzte die junge Jägerin und glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Einerseits hätte sie am liebsten so viel Abstand wie nur möglich zwischen die Vampirin und sich gebracht, andererseits wollte sie nicht mit so vielen unbeantworteten Fragen hier zurückbleiben.

"Das meinst du jetzt nicht ernst...!", protestierte sie.

Doch allem Anschein nach meinte die Blondine es in der Tat ernst, hatte sie inzwischen doch die Tür erreicht und öffnete diese.

In der halb offenen Tür stehend, hielt sie jedoch noch einmal inne. "Du wirst sicherlich verstehen, dass ich mich umziehen will und mich noch auf eine Rolle vorbereiten muss. Aber du bist ja nicht allein. Für etwas Gesellschaft habe ich gesorgt." Sie zwinkerte der Jüngeren zu und trat hinaus auf den Flur.

Gesellschaft? Verschleppt und gefangen in diesem Vampiranwesen, gefiel Jodie die Aussicht auf Gesellschaft ganz und gar nicht. Sie wusste nicht, was für eine Person gleich den Raum betreten würde. Höchst wahrscheinlich der nächste Vampir, der ihr an den Hals wollte. Auf ihre Arme legte sich schlagartig eine Gänsehaut. Unter diesen Umständen würde sie dann doch lieber allein bleiben.

Doch die Schauspielerin schien nicht so, als würde sie auch nur im Entferntesten Rücksicht auf das nehmen, was die Jägerin wollte.
 

"Sie ist aufgewacht. Geh rein und sieh nach der Kleinen. Ich schaue später noch einmal vorbei.", hörte Jodie die andere Blondine auf dem Flur mit jemandem sprechen.

"Ja, natürlich, Vermouth.", antwortete eine andere Frauenstimme respektvoll, dann entfernte die Schauspielerin sich in Richtung eines anderen Zimmers.

Derweil behielt Jodie ganz genau die Tür im Blick. Sie war ganz und gar nicht scharf darauf, dass nun die nächste Person nach ihr sah, etwas daran ändern konnte sie jedoch auch nicht.

Was sie irritierte, war die Tatsache, dass Chris praktisch direkt vor der Tür mit jemandem gesprochen hatte. Hatte die Fremde vor der Tür also darauf gewartet hereingerufen zu werden?

Wie dem auch sei, sie würde die Person gleich kennenlernen, so viel stand fest.

Als die Fremde nach einigen Sekunden schließlich den Raum betrat, stutzte die Jägerin. Im Türrahmen stand eine junge Frau, die ungefähr in ihrem Alter sein musste. Zumindest sah sie so aus, aber danach konnte man in diesem Vampirnest ja nicht gehen.

Die Andere war ein Stückchen kleiner als sie selbst und hatte brünettes Haar, welches sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte.

Jodie konnte sich nicht helfen, doch fand sie, dass die taubenblauen Augen ihres Gegenübers ungewöhnlich sanft für ein Monster wirkten. Aber auch das täuschte vermutlich nur.

Was ihre Aufmerksamkeit jedoch noch viel mehr fesselte, war das bereits verblassende, aber noch immer unübersehbare Veilchen am linken Auge der Frau und ihr Gesichtsausdruck. Die Fremde wirkte ungefähr genau so verstört, wie Jodie selbst sich nach der Entführung fühlte.

"Du bist also wieder aufgewacht?", ergriff die Brünette das Wort. Ihre Stimme hatte einen ruhigen, beinahe schüchternen Klang. "Wie übel hat man dich zugerichtet?"

Die andere Frau durchquerte den Raum und stelle einen Verbandskoffer auf dem Wohnzimmertisch ab. "Ich habe zumindest den Auftrag, mich um deine Verletzungen zu kümmern."
 

Einige Augenblicke lang starrte die Blondine ihr Gegenüber an, ohne ihr zu antworten. Die Fremde wirkte ganz und gar nicht so wie einer dieser grausamen Vampire. Erneut ermahnte Jodie sich gedanklich, dass ein harmloses Äußeres nichts heißen musste. In der Bar hatte sie viele Gestalten erblickt, die ihr auf der Straße niemals verdächtig vorgekommen wären. Auch die Schauspielerin, in deren Zimmer sie sich aktuell befinden musste, wirkte rein äußerlich weder besonders gefährlich, noch furchteinflößend. Viel mehr wie ein arrogantes, verzogenes Sternchen, was zum Teil sicherlich auch der Wahrheit entsprechen musste, doch ihre dunkle Seite sah man ihr auf den ersten Blick nicht an. Warum also sollte es bei der Frau, die ihr nun gegenüberstand, anders sein?

Jodie warf ihrem Gegenüber einen skeptischen, wenig freundlichen Blick zu. "Diese nette Tour kannst du dir gleich sparen. Allein schon die Tatsache, dass du in diesem Haus bist, zeigt doch, dass du zu dieser Bande gehörst."

Die andere Frau bedachte sie mit einem ruhigen Blick, in dem fast so etwas wie Verständnis lag. Aber vermutlich bildete sie sich das nur ein, oder dieser Blutsauger versuchte ihr Vertrauen zu gewinnen.

"Ja und nein. In gewisser Weise stimmt es schon, dass ich zu diesen Leuten gehöre.", stimmte die Brünette ihr zu und machte sich noch nicht einmal die Mühe, diese Tatsache abzustreiten.

Schließlich trat sie auf die Gefangene zu, blieb vor ihr stehen und beugte sich ein Stück weit zu der am Boden Sitzenden herab.

"Ich weiß, dass ich mich in einer denkbar ungünstigen Situation befinde, aber versuchst du an mein Blut zu kommen, werde ich mich nach Kräften wehren.", grollte die Jägerin warnend.

Durch die Kette, welche sie an jedem Fluchtversuch hinderte, fühlte sie sich ein wenig so, wie ein in die Ecke gedrängtes Tier, so wenig ihr dies auch gefiel.

"Dein Blut?", wiederholte ihr Gegenüber überrascht. Schließlich schüttelte die andere Frau leicht den Kopf. "Keine Sorge, darauf habe ich es nun wirklich nicht abgesehen. Ich bin ein Mensch, genau so wie du."

Jodie stutzte und beäugte die Andere skeptisch. Äußerlich unterschieden Vampire sich kaum von Menschen. So freundlich ihr Gegenüber auch wirkte, sie konnte vieles behaupten.

"Und deine Augen? Kurz bevor dieses Biest mich vorhin gebissen hat, sind ihre Augen plötzlich von grün zu blau gewechselt."

Erst wirkte die Mimik der Brünetten überrascht, dann schon fast ein klein wenig amüsiert.

"Die Iriden von Vampiren sind stahlblau, meine Augen haben ein dunkleres Blau, was daran liegt, dass es einfach nur meine normale Augenfarbe ist. Wenn ich dich daran erinnern darf, du hast selbst blaue Augen."

Die junge Vampirjägerin starrte ihr Gegenüber an und kam sich schlagartig dumm vor, denn das, was die Andere da sagte, ergab durchaus Sinn. Hier in Amerika waren blaue Augen nun wirklich keine Seltenheit. Kurz verzog sie das Gesicht. Wie peinlich! Doch trotz allem traute sie dieser Frau nicht über den Weg. Das es in dem Gebäude nur so vor Vampiren wimmelte, hatte sie vorhin unten in der Bar selbst gesehen.

Die Andere streckte die Hand nach ihr aus und hielt ihr irgendetwas entgegen. Im ersten Moment griff Jodie aus reiner Abwehr nach dem Handgelenk der Fremden und hielt es fest, doch dann stutzte sie. Ihr Gegenüber machte keine Anstalten den Arm wieder zu sich ziehen zu wollen und wirkte in gewisser Weise verständnisvoll. "Das hier ist doch deine Brille, oder? Ich denke nicht, dass jemand etwas dagegen hat, wenn du sie zurück bekommst."

Mit ihrer freien Hand, nahm Jodie der Anderen die Brille ab und musterte die Sehhilfe für einen Moment. Sie hing an dieser Brille, handelte es sich bei dem Brillengestell doch um das ihres Vaters. Eine der wenigen Erinnerungen, die ihr geblieben waren. Lediglich die Gläser waren ausgetauscht worden, da sie eine andere Sehstärke benötigte.

Nachdem Jodie ihre Brille aufgesetzt hatte, wirkte die Welt gleich wieder etwas klarer. Glücklicherweise waren die Gläser nicht beschädigt worden. Skeptisch, aber eine Spur weniger feindselig, blickte sie die andere Frau an. "Wie kommst du an meine Brille?", wollte sie wissen.

"Die Drei, die deinen Kollegen und dich vorhin mitgenommen haben, haben mich hinter ihnen aufräumen lassen. Dabei ist mir die Brille aufgefallen und ich habe sie mitgenommen."

Kaum, dass die Fremde ihren Kollegen erwähnte, fuhr ein erneuter Adrenalinschub durch die junge Blondine. Andre! Verdammt! Sie hatte keine Ahnung, was genau aus ihm geworden war!

"Mein Kollege.... was habt ihr mit ihm gemacht, nachdem er vorhin aus der Bar gebracht worden ist?", hakte sie alarmiert nach.

Ihr Gegenüber blinzelte nur und schüttelte den Kopf. "Tut mir leid, darüber kann ich dir nichts sagen. Mich hat man diesbezüglich nicht eingeweiht."

Während Jodie sich noch den Kopf darüber zerbrach, ob Chris ihr Wort gehalten hatte, oder Camel inzwischen doch etwas zugestoßen war, machte die Brünette Anstalten ihren Arm zu sich zurückziehen zu wollen, auch wenn sie überraschend sanft versuchte, ihr Handgelenk zu befreien.

"Könntest du mich wohl wieder loslassen?"

Immer noch verblüfft über die eher sanfte Natur dieser Frau, blickte Jodie einen Moment lang auf das Handgelenk der Anderen, welches sie festhielt. Dabei fiel ihr ein unscheinbares, kleines Tattoo auf, welches von einer Narbe durchzogen war, sodass es beinahe nicht mehr zu erkennen war. Dennoch meinte sie das Symbol zuordnen zu können.

"Dieses Tattoo... das ist doch das Symbol von Sternenstaub, oder nicht?", wollte sie wissen.

Sternenstaub war, ähnlich wie Mondnebel, eine Gruppe von äußerst erfolgreichen und talentierten Vampirjägern, bloß das Mondnebel in Amerika agierte, während Sternenstaub ihres Wissens nach in Japan ansässig war.

"Damit hast du wohl Recht.", bestätigte ihr Gegenüber und zog schließlich die Hand zurück, nachdem Jodie sie losgelassen hatte.
 

Vorhin schon hatte die Blondine geglaubt, dass die Situation nicht mehr verwirrender werden könnte. Nicht nur die Entführung an sich, auch was sie in der Bar beobachtet hatte, hatte so viele Fragen aufgeworfen, auf die sie keine Antwort hatte.

Und nun hatte sie das Symbol von Sternenstaub, einer Gruppe von japanischen Vampirjägern, auf dem Handgelenk ihres Gegenübers entdeckt. Das Englisch nicht ihre Muttersprache war, hatte Jodie der Brünetten schon nach den ersten paar Worten angehört. Zumindest dies ergab nun durchaus Sinn. Etwas anderes hingegen...

"Wenn du ein Mitglied von Sternenstaub bist, wie zur Hölle kommt es dann, dass du mit diesen Monstern gemeinsame Sache machst?"

Der Blick der Anderen wurde schlagartig etwas bitterer und reservierter. "Das trifft es nicht ganz.", erklärte sie vage, ehe sie zwei Schritte zurück in Richtung Wohnzimmertisch lief. "Hör zu, ich will dir wirklich nichts Böses und ich werde versuchen, gleich einige deiner Fragen zu beantworten, aber zuerst müssen wir uns um deine Verletzungen kümmern."

Die Brünette pflückte den Verbandskasten vom Tisch. "Vermouth reißt mir den Kopf ab, wenn sie zurück kommt und ich nicht das getan habe, was sie mir aufgetragen hat.", murrte sie leiser vor sich hin, sodass Jodie sie kaum verstand und davon ausging, dass dieser Satz nicht wirklich für sie bestimmt gewesen war.

Die Blondine betrachtete die andere Frau, welche sich gerade damit abmühte den Verbandskoffer zu öffnen. Scheinbar klemmte der Verschluss.

Irgendwie machte sie in der Tat keinen besonders gefährlichen Eindruck. Wenn es stimmte, was die Kleinere sagte, dann war sie ein Mitglied von Sternenstaub, also auch eine Vampirjägerin und menschlich. Bloß was sie dann hier in diesem Vampirnest tat, wollte nicht in Jodies Kopf. Ihr Gegenüber schien mit diesen Monstern immerhin zusammenzuarbeiten.

Doch die Brünette hatte angekündigt, ihr einige Fragen zu beantworten, nachdem sie sich um ihre Verletzungen gekümmert hätte. Vielleicht brachte ihr das ein wenig mehr Klarheit?

Die junge Frau war dankbar über jede Information, die ihr dabei half, ihre derzeitige Lage besser einschätzen zu können. "Na schön, dann verarzte mich. Ich glaube meine Schulter hat es am schlimmsten erwischt.", erlaubte Jodie der Anderen schließlich, sie zu versorgen. "Im Übrigen musst du die beiden Plastikriegel oben auf dem Koffer jeweils nach außen schieben, sonst geht er nicht auf."

Ihr Gegenüber stutze und setzte den Vorschlag in die Tat um. Ohne Probleme öffnete der Koffer sich. "Wie peinlich...!", murmelte die andere Frau vor sich hin und lief ein wenig rot an, da sie gerade noch so lange mit einem so offensichtlichen Verschluss gekämpft hatte. Unbewusst schmunzelte Jodie und entspannte sich in Gegenwart der Brünetten etwas mehr.

Diese hatte sich zu ihr gesellt und legte den aufgeklappten Verbandskoffer neben ihr auf dem Boden ab.

"Wie heißt du eigentlich? Du hast dich noch gar nicht vorgestellt.", wollte die Blondine nun wissen.

Für einen kurzen Augenblick zögerte ihre Gesprächspartnerin, ehe sie sich schließlich vorstellte.

"Ich heiße Rena, aber in diesen Kreisen nennt man mich Kir.", erklärte sie kurz. "Such dir aus, welcher Name dir lieber ist."

"Jodie Starling.", stellte nun auch die Blondine sich vor und nickte der Anderen kurz zu. "Aber sag mal Rena, was hat es mit diesen ganzen alkoholischen Spitznamen auf sich?"
 

"Codenamen trifft es eher.", korrigierte ihre Gesprächspartnerin sie. "Die Namen mancher Vampire sind der Außenwelt natürlich bekannt, aber wenn sie sich untereinander mit Codenamen ansprechen, ist es für Außenstehende nicht so leicht besagte Codenamen einer Person zuzuordnen, sollte ein Gespräch einmal abgehört, oder Nachrichten abgefangen werden.", erklärte sie weiter. "Außerdem sind einige Vampire so alt, dass sie ihren ursprünglichen Namen vergessen haben." Rena schmunzelte schief, prüfte kurz Jodies verletzte Schulter und begann schließlich damit diese zu bandagieren.

"Du hast eben noch von dir behauptet menschlich zu sein. Warum genau trägst du dann auch einen solchen Codenamen?", bohrte die Blondine noch einmal nach.

"Aus dem gleichen Grund. Er dient der Tarnung. Ich bin ein ganz normaler Mensch, aber es würde der Vampirgesellschaft Umstände bereiten, sollte jemand über meinen echten Namen stolpern."

Vorsichtig steckte die Brünette den Verband fest, betrachtete ihr Werk kurz und nahm schließlich den Biss am Hals der Vampirjägerin genauer unter die Lupe.

"Sie war wirklich vorsichtig. Du hattest nochmal Glück im Unglück.", stellte Rena fest, ehe sie in dem Verbandskasten nach einem Pflaster in passender Größe zu suchen begann.

"Vorsichtig?! Ich hab mich wohl verhört!", brauste Jodie auf. "Weißt du eigentlich, wie es sich anfühlt, wenn dir jemand zwei scharfe Zähne in den Hals rammt?!"

Ohne sich wirklich von der eher temperamentvollen Reaktion der Blondine beeindrucken zu lassen, brachte Rena ein Pflaster an deren Hals an. "Das weiß ich zu Genüge. Und glaub mir ruhig, wenn ich dir sage, dass es noch viel schlimmer hätte kommen können." Schließlich blickte sie sie fragend an. "Du hattest eben auch noch etwas von Kopfschmerzen gesagt?"

Jodie winkte nur ab. Es stimmte zwar, dass ihre Kopfschmerzen weiterhin äußerst präsent waren, doch eine Wunde schien sie sich nicht zugezogen zu haben. "Schon gut, die werden von allein wieder verschwinden. Sag mir lieber, was genau du in diesem Vampirnest machst und was du damit meinst, dass es bei dem Biss durchaus hätte schlimmer kommen können." Wieder musste sie an das denken, was Chris ihr vorhin gesagt hatte. Ihrer Aussage nach wandelte ein Vampirbiss einen Menschen nicht automatisch. Jodie wusste immer noch nicht, ob sie ihr Glauben schenken sollte, oder ob die Schauspielerin sich nur einen grausamen Scherz erlaubt hatte.

"Und stimmt es, dass ein Vampirbiss nicht bedeutet, sich dadurch selbst in einen zu verwandeln?", hakte sie nach, noch bevor Rena die Gelegenheit gehabt hatte, ihr auf die ersten beiden Fragen zu antworten.

Die Brünette schob den Verbandskasten ein Stück zur Seite und setzte sich neben Jodie auf den Boden. Zwar wusste die junge Frau immer noch nicht, wie sie die japanische Vampirjägerin einzuordnen hatte, doch fühlte sie sich in ihrer Gegenwart inzwischen nicht mehr bedroht. Die ganze Art der Anderen und Jodies Bauchgefühl sagten ihr, dass Rena nicht ihr Feind war.
 

"So viele Fragen. Wo fange ich am besten an...?" Die Kleinere wirkte ein wenig überfahren und dachte einen Moment nach, dann ergriff sie erneut das Wort.

"Am besten erstmal damit, was dich am meisten beschäftigen dürfte. Das, was du sagst, stimmt. Ein Vampirbiss wandelt dich nicht. Dafür müsste besagter Vampir dir schon sein eigenes Blut eingeflößt haben. Aber das scheint nicht passiert zu sein. Zumindest was das betrifft, kannst du also beruhigt sein."

In der Tat gestattete Jodie es sich bei dieser Information insgeheim ein wenig aufzuatmen. Ihre Lage war nach wie vor katastrophal, aber wenigstens musste sie nicht befürchten, selbst zu einem dieser Monster zu werden. "Woher...?", hakte die Blondine noch einmal nach, doch Rena unterbrach sie.

"Du kannst mir ruhig glauben. Ich bin selbst schon oft genug gebissen worden und ich bin nach wie vor menschlich." Sie schob das Halstuch, welches sie trug, ein Stück weit zur Seite, sodass Jodie einen Blick auf den Hals ihrer Gesprächspartnerin werfen konnte.

Erschrocken riss die junge Amerikanerin die Augen auf. "Mein Gott! Das sieht ja schlimm aus!", japste sie. In der Tat glaubte sie ihren Augen kaum zu trauen. Am Hals der Brünetten waren zahlreiche blaue Flecken und eine noch recht frisch wirkende Bisswunde zu sehen. Die Wunde sah in der Tat ziemlich übel aus.

Kurz musterte sie das verblassende Veilchen im Gesicht der Anderen, wobei ihr auffiel, dass Rena ihrem Blick augenblicklich auswich, als sie sich bewusst wurde, was Jodies Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.

"Ein Mitglied von Sternenstaub, dann dein Hals und dein Auge... du bist doch unmöglich freiwillig hier, oder?"

Wieder schwieg Rena einen Augenblick lang, dann nickte sie zögerlich. "Du und ich, wir sind in der gleichen Situation. Jägerinnen, die dem Feind in die Hände gefallen sind und entführt wurden."

Jodie glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Zwar hatte sich genau diese Vermutung während des Gesprächs immer weiter verstärkt, doch diese Bestätigung nun aus dem Mund ihrer japanischen Kollegin zu hören, war noch einmal etwas ganz anderes.

"Mein Team ist vor einem guten halben Jahr in Kyoto mit einer Gruppe Vampire aneinandergeraten. Wir haben diese Blutsauger wohl unterschätzt, dass kann ich nicht leugnen. Diese Monster haben meine Kameraden getötet, aber mich haben sie wegen meiner seltenen Blutgruppe verschont und mitgenommen." Bei ihrer Erzählung blitzte Horror in den Augen der Jägerin auf. "AB negativ trifft genau den Geschmack ihres Anführers. Er hat mich kurzerhand zu seiner privaten Blutbank erklärt und lässt mich seit jenem Tag die Drecksarbeit für seine Gruppe machen, oder aber Aufgaben während des Tages erledigen."

War die Amerikanerin der Brünetten gegenüber zu Beginn noch skeptisch eingestellt gewesen, jetzt tat die geringfügig Jüngere ihr leid. Von Vampiren verschleppt und zu deren Dienstmädchen erklärt zu werden, war grausam. Für eine Vampirjägerin erst recht.

"Das ist schrecklich.", stellte Jodie betroffen fest und legte Rena tröstend eine Hand auf den Oberarm. "Hattest du nie die Gelegenheit das Ruder wieder herumzureißen? Ich meine, wenn sie dich Aufgaben tagsüber erledigen lassen, können sie dir nicht folgen."

Oder doch? Sofort musste sie wieder an die blonde Schauspielerin denken, welche erst vorhin noch in aller Seelenruhe im Tageslicht auf dem Balkon gestanden und geraucht hatte.

"Sie würden mir tagsüber nicht folgen können, das ist richtig, aber sie wissen, dass ich eine so offensichtliche Chance nicht nutzen würde. Es geht hier immerhin nicht nur um mein eigenes Leben, welches ich im Übrigen auch nicht zwingend wegwerfen möchte."

"Es geht nicht nur um dein eigenes Leben?", hakte Jodie nach.

Rena schüttelte den Kopf und wich ihrem Blick aus. "Frag nicht weiter nach, in Ordnung?", bat sie die Blondine.
 

Kurz herrschte Schweigen. Jodie versuchte sich auch nur ansatzweise das grausame Schicksal ihrer Gesprächspartnerin vorzustellen. Was für eine Demütigung für einen Vampirjäger, für diese Monster arbeiten zu müssen.

Hin und wieder kam es zu blutigen Zwischenfällen, bei denen Jäger ihr Leben ließen, davon war auch Mondnebel leider nicht verschont geblieben, doch davon, dass Vampire Gefangene nahmen und sie für sich arbeiten ließen, hatte Jodie bislang nie etwas gehört. Rena tat ihr wirklich leid. Ein solches Schicksal hatte diese Frau, die so ruhig und sanftmütig wirkte, nicht verdient.

Aber da war noch etwas, was sie beunruhigte. Die Brünette hatte schon ganz treffend festgestellt, dass sie im selben Boot saßen.

Auch sie selbst hatte den Kampf mit den Vampiren lebend überstanden, weil diese es so gewollt hatten. Leider nur war auch sie eine Jägerin, die entführt worden war. So wie es aktuell aussah, sprach wirklich alles dafür, als würde sie das Schicksal ihrer brünetten Kollegin teilen.

Eine Tatsache, die ihr ganz und gar nicht gefiel und die sie nicht so einfach akzeptieren konnte.

Gleichzeitig war sie sich unsicher, ob dies wirklich ihr Schicksal war. Bislang hatte man sie zwar entführt, es aber verpasst ihr zu sagen, was genau man nun eigentlich mit ihr vor hatte.

"Weißt du was diese Vampire mit mir vorhaben?", wechselte Jodie schließlich das Thema und brach somit das Schweigen.

"Mit Sicherheit kann ich es dir nicht sagen, aber es scheint, als hätte Vermouth Gefallen an deinem Blut gefunden. Sie hat zumindest vorhin verhindert, dass du in der Bar auf dem Tisch gelandet bist. Sollte sie auf die Idee kommen, dich zu behalten, hast du damit Pech und Glück zugleich."

Bei Renas Worten, lief Jodie ein Schauer über den Rücken. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, wie selbstverständlich die Andere davon sprach, dass sie vorhin beinahe auf dem Mittagstisch der Vampire gelandet wäre.

Und falls die Schauspielerin auf die Idee kommen sollte sie zu behalten?! Sie hörte ja wohl nicht recht! Sie war doch kein Haustier! "Sie hat mich nicht einfach zu behalten! Ich bin ein Mensch und kein Hamster!", brauste die Blondine auf.

"Ich bin ja deiner Meinung, aber du bist aktuell nicht unbedingt in der Lage um Forderungen zu stellen. Sieh dir nur diesen Halsring und die Kette an, die mit der Wand verbunden ist. Der Schlüssel könnte überall sein.", erinnerte Rena sie und seufzte.

Jodie zog ein Gesicht, zog die Beine zu sich heran und umarmte ihre Knie, auf der Suche nach einer bequemeren Sitzposition.

"Erinnere mich nicht an die verdammte Kette.", grollte sie vor sich hin. "Das werde ich mit diesem arroganten Sternchen noch ausdiskutieren."

Rena sah sie halb fragend, halb besorgt an. "Du solltest es dir mit Vermouth nicht verscherzen.", wandte sie ein.

Die Blondine zog eine Augenbraue hoch. "Ach ja?" Dann fiel ihr ein, was Rena eben noch gesagt hatte. "Was meintest du eigentlich damit, das ich Pech und Glück gleichzeitig habe?"

"Naja, als Jägerin in die Gefangenschaft von Vampiren zu geraten, würde ich als Pech bezeichnen und Bisse sind verdammt schmerzhaft. Aber gleichzeitig lebst du noch, das solltest du nicht vergessen. Außerdem hätte es schlimmer kommen können, wenn ein anderer Vampir beschlossen hätte dich zu behalten."

Fragend blickte Jodie ihre Gesprächspartnerin an. "Du sagtest eben, dass der Anführer damals beschlossen hätte dich zu behalten. Wer genau ist er?" Behalten...weiterhin kam ihr diese Wortwahl surreal und falsch vor.

Kaum fiel die Sprache auf besagten Anführer, konnte sie förmlich dabei zusehen, wie Rena sich anspannte und Angst in ihren blauen Augen aufblitzte.

"Gin ist das Oberhaupt der japanischen Vampirgesellschaft. Der Mann mit den langen silbernen Haaren und dem schwarzen Mantel, von vorhin aus der Bar. Du erinnerst dich? Mit ihm ist nicht unbedingt gut Kirschen essen.", antwortete die Brünette ihr schließlich.

Und ob Jodie sich an diesen gruseligen Kerl mit den eiskalten Augen erinnerte! Wenn sie an diesen Typen dachte, bekam sie jetzt noch eine Gänsehaut.

Sie fragte sich, ob der Silberhaarige für das Veilchen und die Verletzungen am Hals der anderen Jägerin verantwortlich war, doch ihr war aufgefallen, wie Rena ihrem Blick eben praktisch sofort ausgewichen war, als sie ihr Auge gemustert hatte. Sie beschloss diesbezüglich aktuell besser nicht weiter nachzubohren.

"Und ob ich mich erinnere. Dieser Mann sah in der Tat nicht gerade aus, wie die Freundlichkeit in Person.", murrte sie. "Aber was war das bitte vorhin in der Bar? Vineyard und er haben sich ganz eindeutig die Stirn geboten. Sie scheint auch etwas in diesem Laden zu sagen zu haben, oder nicht?"

Das hatte die Schauspielerin vorhin immerhin noch selbst behauptet und in der Tat hatten die Anwesenden praktisch sofort auf ihre Befehle reagiert.

"Hat sie. Sie ist Amerikas neue Nummer Zwei, wenn du es genau wissen willst"

Jodie horchte auf. Die andere Blondine sollte Amerikas Nummer Zwei sein?! Das kam unerwartet, erst recht, da sie sie vorhin noch für einen ganz normalen Menschen gehalten hatte. Wenn sie diese Information doch nur an die verbliebenen Mitglieder Mondnebels weitergeben könnte...

"Ist das dein Ernst...?" Doch dem Blick ihrer Gesprächspartnerin war anzumerken, dass sie nicht scherzte.

"Also bekleiden die beiden einen sehr hohen Rang.", fasste Jodie noch einmal zusammen. "Aber was lässt dich glauben, dass ich mit dieser Vampirin mehr Glück gehabt hätte, als mit irgendeinem anderen dieser Monster?" Ihrer Meinung nach, war es ein einziges Desaster, überhaupt erst verschleppt worden zu sein. Da wollte sie nun wirklich nicht von Glück reden, zumal Vampire doch sowieso alle gleich waren.

Rena warf ihr einen schiefen Blick zu. "Es ist nur ein erstes Bauchgefühl, denn die Gruppe, zu der ich wohl oder übel gehöre, ist vor noch nicht einmal drei Wochen von Japan aus eingereist und versteh mich bitte nicht falsch, diese Frau ist weiß Gott kein Engel, arrogant und absolut unberechenbar, aber sie ist mir gegenüber nie handgreiflich geworden. Weißt du, eigentlich stehe ich unter Gins Kommando, aber das hat Vermouth von Tag eins an nicht interessiert. Sie spannt mich ständig für kleinere Aufgaben ein und Gin stört sich nicht daran, solange er gerade nicht selbst etwas für mich zu tun hat." Kurz verdrehte die Brünette die Augen. "Die Wohnung staubsaugen, Fensterputzen, Zigaretten holen, oder Markenkleider in die Reinigung bringen ist ziemlich nervig, aber es ist immer noch besser, als irgendetwas Kriminelles zu tun. So lange sie mich wie eine Assistentin umherscheucht, kann ich wenigstens vom Radar meiner eigenen Leute verschwinden."

Für einen Moment musterte Jodie ihre Gesprächspartnerin skeptisch.

Die Kleinere war ernsthaft froh darüber von dieser verzogenen Schauspielerin herumgescheucht zu werden, da sie in dieser Zeit ihre Ruhe vor der aus Japan angereisten Gruppe hatte. Das war absurd und traurig zugleich. Rena tat ihr leid. Wenn ihr selbst solche Aufgaben lieber waren, dann wagte Jodie es sich kaum vorzustellen, wie der Alltag der anderen Jägerin normalerweise aussah.

Und sie wollte lieber nicht darüber nachdenken, was diese elenden Vampire mit ihr selbst in nächster Zeit planten.

Anders als ihre Gesprächspartnerin hatte sie sich jedoch noch nicht mit ihrem Schicksal abgefunden, wie auch immer das aussehen sollte. Sie würde mit Sicherheit nicht einfach so den Kopf einziehen, sie würde auf eine Gelegenheit warten um von hier zu fliehen. Auch wenn die Ausgangssituation in diesem elenden Vampirnest mehr als bescheiden war.

"Sklaventreiberin.", murrte die Blondine im Bezug auf die Schauspielerin. Die Aufgaben, die sie Rena übertrug, könnte sie genau so gut allein erledigen, wenn sie sich nicht zu fein dafür wäre.

Doch anstatt sich noch länger über diese Tatsache aufzuregen, beschloss sie Rena noch etwas anderes zu fragen, das ihr schon die ganze Zeit über keine Ruhe ließ.
 

"Aber sag mal, Vampire sind doch Geschöpfe der Nacht. Sie vertragen kein Sonnenlicht, fangen Feuer und zerfallen zu Staub, wenn sie doch in Kontakt damit kommen. Wie also kann es dann sein, dass Chris wie selbstverständlich tagsüber draußen herumläuft?"

Diese Begebenheit wollte ihr einfach nicht in den Kopf. Sie hatte bereits mit eigenen Augen gesehen, was normalerweise passierte, wenn ein Vampir dem Tageslicht ausgesetzt war. Auch Mondnebels spezielle Munition erzielte einen ähnlichen Effekt. Das ein Vampir sich am Tag frei bewegen konnte, hatte sie zuvor noch nie gesehen.

Erschrocken riss die Jüngere die Augen auf. "Sprich sie am besten niemals mit Vornamen an, wenn du dir das Leben nicht von Anfang an unnötig schwer machen willst. Es gibt nur zwei Personen, von denen ich weiß, dass sie sie mit ihrem Namen und nicht mit dem Codenamen ansprechen."

Nach diesem Hinweis, der Jodie ehrlich gesagt nicht sonderlich beeindruckte, beschloss Rena auf ihre Frage zu antworten. "Sie kann sich problemlos im Tageslicht bewegen, weil sie eine Daywalkerin ist. Daywalker sind wohl so etwas wie eine Laune der Natur und ausgesprochen selten. Soweit ich weiß, steht die Chance, dass ein Vampir ein Daywalker ist, deutlich unter 1 zu einer Million."

Ungläubig blickte die Blondine die junge Frau an, die sich bei diesem Gesprächsthema jedoch sichtlich unwohl zu fühlen schien.

"Alles in Ordnung mit dir?", hakte Jodie nach, wobei sie sich fragte, in wie weit diese Frage überhaupt passend war. Nichts war in Ordnung. Ihre japanische Kollegin und sie befanden sich in der Gewalt von verdammten Vampiren! Das war eine Katastrophe, die die arme Rena jetzt schon seit über einem halben Jahr erdulden musste.

"Ich fürchte, das geht jetzt etwas zu tief in die Materie. Das Thema und die internen Strukturen in dieser Gesellschaft interessieren dich verständlicherweise, aber ich komme in Teufelsküche, wenn ich zu viel plaudere. Frag Vermouth am besten selbst danach, auch wenn ich nicht weiß, ob sie dir auch nur eine Frage beantworten wird."

Jodie biss sich auf die Lippe. Zu gerne hätte sie weiter nachgebohrt und versucht, weitere Informationen aus Rena herauszubekommen, doch die Brünette schien langsam dicht zu machen und wirklich Angst davor zu haben, sich auf zu dünnes Eis zu begeben.

"Sie hat sich vorhin lediglich über meine Misere lustig gemacht, nicht mehr und nicht weniger.", fauchte die Blondine frustriert, als sie sich an das vorherige Gespräch mit der Schauspielerin erinnerte.
 

Plötzlich waren auf dem Gang schwere Schritte zu hören, welche sich dem Zimmer näherten, in dem sie sich befanden.

Nach wenigen Sekunden wurde die Tür geöffnet und ein bulliger Mann mit Hut und Sonnenbrille blickte in den Raum. Sein Gesicht hatte etwas Dümmliches an sich.

Kaum das die Tür geöffnet worden war, klang vom Gang aus auch eine wunderschöne Melodie über den Flur. Irgendwo in den umliegenden Zimmern musste jemand auf einem Flügel spielen und das ziemlich gut. Wie surreal in diesem Horrorhaus.

Doch die Musik rückte für Jodie in den Hintergrund. Alarmiert starrte sie dem Fremden entgegen und verfluchte es erneut, dass die Kette sie an der Wand hielt. Auch ihre Waffe vermisste sie in diesem Vampirnest schmerzlich.

"Vodka.", begrüßte Rena den im Türrahmen stehenden Mann. Sie gab sich Mühe möglichst locker und neutral zu klingen, doch Jodie bemerkte, wie angespannt die Andere war.

"»Ah, hier steckst du also. Ich habe dich schon gesucht, aber dann hat Korn mir den Tipp gegeben, dass Vermouth dich einmal mehr für irgendwelche Aufgaben eingespannt hat. Wie auch immer, Gin will dich sehen.«"

Jodie verstand von dem, was der bullige Typ sagte, kaum ein Wort, da er japanisch sprach. Ironischerweise hatte sie hobbymäßig vor einigen Wochen damit angefangen japanisch zu lernen, doch leider reichte ihr Wortschatz noch nicht, um den Mann wirklich zu verstehen.

Vodka grinste die andere Jägerin breit an und bedeutete ihr mit einer kurzen Geste den Raum zu verlassen.

Im Gegensatz zu ihr selbst, musste Rena ihn verstanden haben, immerhin war sie Muttersprachlerin.

Jodie fiel auf, wie der Brünetten schlagartig jedes bisschen Farbe aus dem Gesicht wich. Eine Schweißperle lief ihre Schläfe hinab, während sie sich merklich angespannt hatte und in ihren Augen der blanke Horror geschrieben stand. Eine Tatsache, die Vodka zu amüsieren schien.

"Hey, ich weiß nicht, was du ihr gesagt hast, aber lass sie in Ruhe!", fauchte die Blondine in seine Richtung. Auch wenn sie im Prinzip chancenlos und noch dazu mit einer Kette an die Wand gebunden war, sie konnte nicht anders, als augenblicklich Partei für ihre offensichtlich verängstigte Kameradin zu ergreifen.

Vodka wiederum blickte sie fragend an und legte den Kopf schief. Er fragte Kir etwas, die sich wiederum an Jodie wandte. "Er spricht kein Englisch.", informierte sie die Blondine knapp.

Schließlich erhob die junge Japanerin sich von ihrem Sitzplatz und wandte sich noch einmal der anderen Jägerin zu. "Du hast Temperament, aber halt am besten die Füße still und tu nichts Unüberlegtes, wenn du hier überleben möchtest.", beschwor sie sie, ehe sie Vodka zunickte.

"»Ich bin schon unterwegs.«", antwortete sie ihm auf japanisch und verließ den Raum. Der Vampir folgte.

Jodie blieb zurück und ballte die Hände zu Fäusten. Rena tat ihr unendlich leid. Sie hatte so verstört und verängstigt gewirkt. Kein Wunder in diesem elenden Vampirnest.

Frustriert blickte die junge Frau in Richtung Tür, die Vodka hatte offen stehen lassen.

Der Blick auf den Flur brachte sie nicht wirklich weiter. Im Gegensatz zu diesem modern und edel eingerichteten Zimmer, in dem sie sich aktuell befand, machte der Gang einen altbackenen Eindruck. Dunkle Holzdielen und ein roter Teppich in der Mitte des Flures, wenn sie das von hier aus richtig erkannt hatte.

Bis auf die Melodie des Flügels, war es in diesem Teil des Gebäudes totenstill.

Jodie lauschte dem Instrument, tastete einmal mehr ihren Halsring nach einer möglichen Schwachstelle ab, die ihr zur Flucht verhelfen könnte und versuchte, die neuen Informationen zu verarbeiten. Sie saß gehörig in der Tinte und musste unbedingt einen Weg finden, lebend aus diesem Gebäude zu entkommen.



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