Kurzgeschichten von Baerchi (aus dem Leben) ================================================================================ Kapitel 1: Der Regen und die Ex ------------------------------- Es war ein regnerischer Sonntagabend. Den ganzen Tag über hatte sich die Sonne nicht blicken lassen, und seltsamerweise konnte ihm auch sein Rechner von seiner schlechten Laune keine Abhilfe verschaffen. Er dachte an ein Gedicht aus der Schule, welches er zum Thema: "Leben in der Großstadt" geschrieben hatte: "Die Stadt, ein Paradies aus der Hand des Menschen. Vertrieben aus dem Paradies, geflohen in ihre Welt, nahe dem Tode waren die Menschen. Geschaffen von den vergänglichsten aller Wesen. Geschaffen vom Wissen, erlangt für jene Schwäche, unser eigenes Paradies. Zu beschützen von der Angst vor dem Tod, uns zu erfüllen mit Glück, geschaffen wurde dieses Paradies. Diese Stadt ist wahrlich ein Paradies. Ausgestattet mit den Waffen, um uns zu beschützen. Eine Stadt für Feiglinge, die vor der Welt dort draußen mit all ihren Feinden fliehen. Feiglinge, die länger leben." Der Regen prasste noch immer gegen das Fenster, während er den Fernseher ausschaltete. Es lief, wie in unseren Zeiten üblich, nur von kurzen Musikeinspielungen unterbrochene Klingeltonwerbung, die ihn ohnehin bis aufs Blut reizte. Nun erfüllte nurnoch das leise, kaum mehr hörbare Summen seines Rechners und das Geräusch von an der Fensterscheibe berstenden Regentropfen den Raum. Er atmete durch, und beschloss sich an das Fenster zu setzen. Das war im dann doch zu leise, sodass er sein Winamp startete, um etwas musikalische Untermalung zu haben. Natürlich begann die Playlist mit "Myself", einem Lied, dass er nach dem Verlust seiner letzten Freundin nur zu oft gehört hatte. "Verdammt" ging es ihm durch den Kopf. Er hatte seine Freundinnen nie lange halten können, meistens waren sie abgesprungen, und ein paar Mal, so musste er sich eingestehen, war er auch selbst nicht ganz ehrlich - zu ihnen und auch, und um so öfter - zu sich selbst. "Verdammt"... "Tja..." seufzte er kaum merklich, als er einen Schatten an seinem Fenster vorbeihuschen sah. Hätte es ihn interessiert, was unten auf der Straße passiert, dann hätte er auch erkannt, wer oder was dieser Schatten war. So aber erkannte er nur die Umrisse einer Gestalt auf einem Fahrrad. In Gedanken versunken trauert er um seine Freundin: "Warum kann Liebe nicht einfacher sein... Warum ist das alles so kompliziert... Keiner da zum kuscheln... zum Einfach-mal-in-den-Arm-nehmen... Einsamkeit.." Riiiiiiing! Seine Klingel weckte ihn aus seinem Gedankengang. Er sah auf die Uhr. "Die Post? So spät?"... Unmotiviert ging er zur Tür. "Wer ist da?" - "Lieferservice, ein Packet für Herrn ZENSIERT!" - "Kommen Sie hoch." Schnell warf er sich noch ein Hemd über und ging zur Tür. Mit dem typischen "Wo soll ich unterschreiben?" öffnete er die Tür. Weiter als "Wo soll..." kam er aber nicht. Vor ihm stand sie. Groß, relativ schlank und wunderschön. "Katrin... was machst du hier?" - "Ich war in der Gegend und... und... und... da fing es an zu regnen und ich..." - "Ist schon ok, komm rein..." Katrin war seine Ex. Er hatte sie schon oft weinen sehen und wusste, dass sie auch heute geweint hatte. Durch ihre vom Regen völlig durchnässten Klamotten sah sie noch viel schlimmer aus... "Komm mit" sagte er in einem ruhigen Ton. Er empfand keinen Groll, er mochte sie noch immer sehr, und war ohnehin ein Menschenfreund, was er sich nicht erklären konnte. Menschen waren für ihn immer wie Außerirdischen, die zu verstehen er nie so wirklich in der Lage gewesen war. "Hier, nimm das. Du kannst deine Sachen im Bad aufhängen. Handtücher sind da auch. Ich warte dann im Wohnzimmer." - "Danke" drang es sehr leise, aber voller Dankbarkeit in den bereitsleeren Flur. Er hatte ihr einen seiner Jogginganzüge gegeben, und sie ging ins Bad und zog sich um. "Ist das richtig, was ich hier tue?" dachten beide gleichzeitig. Er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Normalerweise hatten sie immer gemeinsam auf der Couch gelegen. Der Sessel schien ihm besser geignet, um sie nicht zu bedrängen. Unbequem war er, kein Zweifel, aber für sie würde er auch auf dem Boden liegen. Wie selbstverständlich kam sie aus dem Bad und setzte sich auf die Couch. Dann war Stille... Keiner wusste so wirklich, was man sagen sollte... "Was machst du grad so..." fragte er, denn er hasste Stille sehr. "Ich hab mich grad von meinem Freund getrennt..." - "Aha..." - "Ja, er wollte mich nur als Vorzeigepüppchen haben" - "Verstehe" - "Und bei dir?" - "Es muss... habe keine Freundin zur Zeit... und auch nicht gehabt..." - "Du?" - "Ja?" - "Der Sessel war doch immer unbequem... Willst du nicht, ich meine..." - "Ja." Sie verstanden sich, und so setzte er sich neben sie auf die Couch. Sie neigte unmerklich seitlich, bis ihr Kopf auf seiner Schulter ruhte. Ebenso unmerklich legte er seinen Arm um sie. Sie seufzten, auf irgendeine seltsame Art und Weise waren sie glücklich. "So einen lieben wie dich findet man ja auch selten... nein, nie" - "danke"... Er drückte sie. "Du, ich meine...", sagte sie, "warum bist Du immenroch so lieb zu mir, nach alldem, was ich Dir angetan habe?" Stille... Er überlegte gründlich, bevor er antwortete: "Es ist so..." seine Stimme begann zu zittern "... dass ich Dich liebe. Egal, was Du auch tust. Ich sehne mich nach Dir, Deiner Nähe, Deinen Küssen... einfach nach Dir..." Jetzt konnte er seine Tränen nicht mehr zurückhalten. "Es tut mir le..." - "ist schon gut." Er wischte sich die Tränen aus dein Augen, was ihm sichtlich schwer fiel. "Und", begann er zu fragen, "wie kommt es, dass Du ausgerechnet an meiner Tür klopfst?" Sie holte tief Luft und antwortete ihm leise: "Es ist... Tina hat mir erzählt, wie schlecht es Dir geht... Ich fühlte mich schuldig... Klein, Dreckig... verstehst Du? Ich wollte halt... zu Dir! Dann hat mich der Regen überrascht..." - "Es regnet schon den ganzen Tag..." - "Jaa... aber ich wollte Dich einfach sehen..." Sie blickten sich tief in die Augen. Dann schlossen sie die Augen und küssten sich. "Warum hattest Du mich eigentlich verlassen?" - "Das ist unwichtig" - "Nein, mich interessiert es..." - "Ich dachte, mit Vitali das würde besser laufen..." Er rückte von ihr weg. "Also dachtest Du, wenns bei Nummer 1 nicht klappt, kann ich einfach zu Nummer 2 zurück?" - "Nein! Das ist es nicht!" - "WAS ZUM TEUFEL SOLL ES DENN DANN SEIN???" sie begann zu weinen. "Ich habe gemerkt, dass ich mich nach Dir sehne, Dich brauche... Bitte..." Er war hin und hergerissen, entschloss sich dann aber, besonders, weil sie auch weinte, ihr noch eine Chance zu geben: "Es ist schwer... Aber wir können es nochmal versuchen..." - "Ja, bitte". So verbrachten sie den Abend auf der Couch, und schliefen in ihren Armen ein. Und an einem Ort, den die Wirklichkeit nicht kennt, liegt ein Traum verborgen in der Wirklichkeit. Stets spürt der Mensch Schmerz in seinem Herzen. Wir lassen uns von anderen verletzen weil wir sie an unserer Geschichte teilhaben lassen. Das Herz ist verwundbar, deshalb ist das Leben so mühselig. Der Schmerz zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben der Menschen. Der Mensch lebt um zu vergessen. Der Mensch lebt, weil er vergessen kann. Die Liebe kann nicht alle Probleme lösen. Es ist nur allzu angenehm, auf dem leichten Weg der Ignoranz vor der Wahrheit zu fliehen. Die Trauer der Welt hat uns geführt. Wir alle waren von Aufruhr umgeben... und Einsamkeit erfüllte die Herzen der Menschen Kapitel 2: Du und Er -------------------- ... und so saßt ihr da. Es war ein schöner Spätsommerabend, das Licht der tief über dem Horizont stehenden, beziehungsweise untergeheneden, Sonne brach sich majestätisch in den bereits rot- und goldgelb gefärbten Blättern des Waldes, während ein angenehm warmer Wind sich seinen Weg durch das Tal suchte. Seine Hand hatte schon eine ganze Weile auf dem Rückenteil der Bank gelegen. Deine Augen waren geschlossen, und der Windhauch bewegte dein wunderschönes Haar anmutig. Er sah dich an. "Schön" dachte er. So einen Sonnenuntergang hatte er selten, und in Begleitung eines solch wahrhaftigen Engels nie betrachten dürfen. Er biss die Zähne zusammen. "Trau dich!", rumorte es in seinem Kopf, "Was hast du denn schon zu verlieren?". Seine Gedanken schweiften ab, auf die schöne Zeit, die Ihr zusammen erleben durftet, auf die schlechten Zeiten, in denen Ihr euch gegenseitig Trost spendetet und an diesen Moment, jetzt. "Ja", dachte er bei sich. Langsam hob er seine Hand, und führte sie ebenso langsam an deinem Rücken vorbei Richtung Hals. Ein letztes Mal zögerte er, veranlasst durch den Gedanken, den Moment durch eine falsche Bewegung, Geste oder was auch immer zu zerstören. Er spürte bereits deine langen Haare auf seiner Hand, schob sie zärtlich beiseiter, um mit kreisenden Bewegungen deinen Kopf zu kraulen. Du schlugst die Augen auf, sahst ihn kurz an, begannst zu lächeln und dann hast du deine Augen wieder geschlossen. Während er dich krault, neigtest du dich langsam zur Seite, um mit deinem Kopf auf seiner Schulter zur Ruhe zu kommen. Ein leichtes Seufzen verließ deinen Mund, und kurz darauf etwas, das sich anhörte wie ein leises Schnurren. Kapitel 3: Begegnung mit dem Tod - Teil 1 ----------------------------------------- ================================================================================== Diese Geschichte ist war, lediglich die Namen der Beteiligten wurden geändert. Danke für alles. Für "meine Kleine", die ich so sehr vermisse. ================================================================================== Langsam fuhr die Bahn durch das verregnete Hamburg. Der an die Scheibe prasselnde Regen vermochte ihn nicht aufsehen zu lassen. Imemr wieder starte er auf die Uhr, die ihm seine Großeltern vor acht Jahren zu Weihnachten geschenkt hatten. Es war der 24. Dezember. Er schüttelte seinen Kopf, der noch nass war durch den Weg zur Haltestelle. "Warum tue ich das eigentlich?" säuselte er vor sich hin und schlug leicht mit einer geballten Faust auf den Papierkorb zu seiner rechten. "Warum...". Die Bahn fuhr in den nächsten Bahnhof ein. Er stand auf, knöpfte bedächtig seinen Mantel zu und seufzte. Der Regen hatte aufgehört, und der Himmel schien ihm grauer, als er es gewöhnt war. Unmotiviert und mit einem Hauch von Widerwillen strauchelte er die Treppe hinab. In seiner Hand hielt er einen Strauß Orchideen und ein Grablicht. Er überquerte die Straße und betrat durch das große Tor den Ohlsdorfer Friedhof. Nach einigen hundert Metern klang der Lärm der Straße ab und nurnoch das Wasser unter seinen Schuhen machte ab und an glucksende Geräusche. Ein paar Rentner kamen an ihm vorbei; sonst war es erstaunlich ruhig. Er bog nach links ab und blieb vor einem Grab stehen. Dann sank er auf die Knie. Stille. Er streifte sanft über die nasse Erde, als ob sie noch immer seine Berührungen spüren könnte. Dann legte er den Strauß auf das Grab, neben einen anderen, der schon ein paar Tage zu liegen schien. "Es tut mir leid", sprach er, "dass ich es dir nie rechtzeitig sagen konnte, aber: Ich liebe dich!" Er kramte ein Feuerzeug aus seiner Tasche hervor, zündete das Grablicht an und platzierte es vorsichtig vor dem Grab. Tränen standen in seinen Augen und bahnten sich ihren Weg, vorbei an seinen Wangen hinab auf die Erde. Träne um Träne fiel herab auf die vom Regen noch völlig durchweichte Erde. Es schien, als habe der Himmel solange für ihn geweint, bis er hier sein konnte. Er blieb noch etwa eine halbe Stunde kniend sitzen, bevor er aufstand. "Ich muss los", sagte er zu sich selbst, "tut mir leid. Ich grüße alle von dir, und komme dann wieder, nächstes Jahr." Er stand auf und wischte sich seine Tränen aus den Augen. "Tut mir leid, ich weiss, du magst es nicht, wenn ich weine...", sagte er noch. Dann verließ er den Friedhof. Auf dem Rückweg drehte er sich nicht um. Er hatte sie nie umgedreht. Denn er wusste, solange er konnte, würde er zurückkehren, und Jahr um Jahr das ganze wiederholen. Abends dann ging er zu seiner besten Freundin, die genau wusste, dass er wie die Jahre zuvor, heute vorbeikommen würde. Sie nahm ihn in den Arm und seine Jacke ab. "Danke, Süße" sagte er wie immer. Die Freundschaft der beiden war unbeschreiblich. Sie war die erste, die damals, nach dem Tod seiner Freundin, von selbigen erfahren hatte. Besonders hart für ihn war, dass er kurz vor ihrem Tod sich entschlossen hatte, ihr zu sagen, dass er sie liebte. Er kam nie dazu, und das Gefühl von Schmerz plagt ihn tief in seiner Brust. Es fiel ihm schwer, sich anderen mitzuteilen, außer Sandra. Aber er hatte gar nicht das Bedürfnis, sich jemandem mitzuteilen. Er lag längst in ihrem Schoss und weinte aus ganzem Herzen. Er tat ihr leid, aber sie konnte nichts für ihn tun, als seine Schulter zum ausweinen sein, und das tat sie, bis er unter Tränen eingeschlafen war. Dann legte sie ihn vorsichtig hin, deckte ihn zu, und sah ihn kurz an, bevor sie sich selbst zur Ruhe bettete. "Er nimmt sein Schiksal an, obwohl es so grausam ist...", ging es ihr durch den Kopf. "Bewundernswert. Sowas Schlimmes hat er nicht verdient...". Dann schlief auch sie ein. Und das Weihnachtsfest war für dieses Jahr zu ende. =============================================================================== Dies ist Teil 1. In Teil 2 werdet ihr mehr über die Story davor erfahren, aber ich wollte erstmal den Teil mit Bezug zu Weihnachten online haben. Bitte fühlt euch nicht zu sehr deprimiert. Euer Bärchi =============================================================================== Kapitel 4: Mobbing ------------------ Eine große Wiese, unter einem hohen alten Baum liegt eine Wolldecke. Die Sonne scheint. Romantik und Ruhe pur. Einfach schön. Nur selten hatte sie in letzter Zeit diese Ruhe und das Gefühl von Zufriedenheit verspürt. Auch wenn der Wecker sie in nächster Zeit rabiat aus dem schönen Traum wecken sollte, so war es für sie doch eine erholsame, und auch willkommene Abwechslung, eine Nacht mal nicht von Alpträumen geplagt zu sein oder vor lauter Sorge und Beklemmung nicht einschlafen zu können. Mühevoll kletterte sie aus dem Bett, streifte mit der Hand durch ihr langes, aber in letzter Zeit leider strohiges Haar, schaltete auf dem Weg ins Bad beiläufig den CD-Player an und blickte schließlich in den Spiegel. Sie sah sich an. Von oben nach unter musterte sie sich, so, wie es auch nachher wieder passieren würde. "Häßlich" ging ihr durch den Kopf "Häßlich". Ihr Augen waren immernoch rot, denn gestern war sie wie immer öfter in letzter Zeit unter Tränen eingeschlafen. Aus dem selben Grund sah sie tiefe Augenringe. "Häßlich"... Früher stand sie oft allein vor dem Spiegel, weinte hilflos. Mit ihrer Mutter hatte sich nie darüber reden können. Aber inzwischen wurde sie auch mutlos, und teilweise kam sogar Wut hoch, die aber ebensoschnell abebbte, denn, was bringt das schon? Doch heute hatte sie nur einen Gedanken: "Häßlcih. Es ist genug." "Schatz, du musst los!" sagte ihre Mutter wie jeden morgen, wenn sie ihre Selbstzweifel plagten. Sie atmete tief durch "Ja, ich weiss". Sie ging in ihr Zimmer, und zog sich ihre Klamotten von gestern an, während aus dem Radio Kittie mit einer nicht ganz falschen Passage tönte: She is not scared to die... The best things in life drive her to cry. Crucify then learn.. take so much away from inside you, makes no sence you know he can't guide you, he's your fucking shoulder to lean on, be strong! I'd like to take you down, and show you deep inside, my life my inner workin so smell and lack of inner pride, to touch upon the surface, is not for what it seems, I take away my problems, but only in my dreams. "Schatz, mach bitte die schreckliche Musik aus!" schrie ihre Mutter chancenlos gegen die Gitarrenriffs an. "Und zieh dir was anderes an, die Klamotten sind dreckig!" - "Ich weiss... macht keinen Unterschied..." Unmotiviert das Haus verlassend zog sie die Tür zu. Noch hatte sie Ruhe. Noch... Auch im Bus sollte sich das nicht ändern. Immerhin lag ihr Dorf so abgelegen, dass sie noch nie jemanden mit bei sich zu Hause hatte. Und das hätte sicher auch keiner gewollt. Denn zumindest in der Schule wollte niemand mehr viel mit ihr zu tun haben. Nach einer halben Stunde näherte sich der Bus der Schule. Die Sonne hatte sich schon langsam über die Felder erhoben, und so die Stadt in Morgengrauen getaucht. Der Bus bog um die letzte Kurve, hielt an, und sie stieg aus. "Nur noch 8 Stunden" ging es ihr durch den Kopf... Sie schlenderte durch das Schulgebäude in Richtung ihres Klassenraumes. Dort saß nur Sven, wie immer in der ersten Reihe und grüßte sie beiläufig, denn er war gerade dabei, Karinas Deutschhausaufgaben zu kopieren. Sandra wollte sich grade setzen, als sie die Reißzwecke auf ihrem Stuhl entdeckte. "War ja klar" dachte sie bei sich. Nachdem das bereinigt war, wollte sie sich setzen, da stand schon Karina vor ihr: "Na, haste mir was mitgebracht?" fragte sie. "Nein" antwortete Sandra. Karina packte sie an ihrer Bluse und drückte sie gegen einen Schrank. "Du kleine dreckige... Was bildest du dir eigentlich ein?" Drohend ballte sie ihre rechte Hand. "Dann mach jetzt wenigstens meine Hausaufgaben, Schlampe!" sie ließ von Sandra ab, die steif vor Angst zu Boden sackte. Sie hörte nur noch, wie Karina ihr Heft auf Sandras Platz legte, und dann mit ihrer besten Freundin weiter über sie herzog. Sie musste sich sehr zusammennehmen. Martin war inzwischen auch dazugekommen, und wollte ihr aufhelfen. "Warum sagtste das niemanden?" - "Mir hilft eh keiner. Auch du hast schön zugeschaut" - "Aber..." - "nichts aber. Ich bin dir nicht böse..." Sie setzte sich und starrte auf Karinas Heft. Rosa... Sie hasste es... Der Unterricht hatte grade angefangen, da blickte sie zu Karina, mit dem Heft winkend. Dann riss sie es in Stücke, so, dass Karina es sehen musste, der Lehrer es aber nicht sehen konnte. Karina schien wütend und sprach sich mit ihren Freundinnen ab. In der Pause blieb Sandra meist sitzen. Karina machte Anstalten, zur Tür zu gehen, versperrte sie dann aber mit einem Stuhl. Sie und ihre zwei Freundinnen gingen auf Sandra zu. Die eine hielt sie links, die andere rechts fest. Karina schlug immer wieder auf sie ein. Ins Gesicht, in den Magen. Sandra fing an zu weinen. Die letzten Schläge vollführte Karina mit der Faust. Dann kam ein Lehrer rein. "Was macht ihr da?" Die beiden Mädels hatten natürlich längst losgelassen, so dass der Lehrer nur Karina und Sandra zur Verantwortung ziehen konnte. Letzten Endes erhielt Sandra einen Schulverweis. Bevor sie aber das Gelände verlassen konnte, schwor sie Rache. Normalerweise hatte sie sowas immer kindisch gefunden. Aber heute würde sie Ernst machen. In der Stadt ging sie zunächst zu einem Kücheneinrichter, und suchte sich ein Messer aus. Es war lang, nicht teuer, aber scharf genug. Und für Karina würde es allemal reichen. Sie hatte die selben Stunden wie Karina, und daher wusste sie, wann sie etwa in dem kleinen Wäldchen vor der Schule vorbeikommen würde. Außerdem war sie die einzige, die diesen Weg ging. Die Sonne senkte sich bereits, als Karina endlich durch das Wäldchen kam. Sandra sprang kurz vor ihr auf den Weg, das Messer bereits in der Hand. "Wer ist jetzt hier die Schlampe?" Sie war auch in Sport besser als Karina, daher blieb Karina ruhig stehen. Im Laufen hatte sie keine Chance. "Leg dich auf den Boden, mit dem Gesicht nach oben." Befahl ihr Sandra. Karina tat wie ihr geheissen, da kniete sich Sandra auf Karinas Arme. Langsam führte sie das Messer an Karinas Gesicht. "Bald bist du nicht mehr so schön... Dann wirst du sehen, wie es ist, nicht gut auszusehen..." Karina spürte die Klinge an ihrer Haut, und versuchte sich vergebens zu wehren. Sandra schnitt tief in Karinas Gesicht, Blut floss über den Boden. Karina schrie vor Schmerzen. Als Sandra aufstand hielt sie sich das Gesicht. "Ich bin keinen deut besser als ihr... Nicht einen..." stammelte Sandra benommen und von dem Bewusstsein über das, was sie getan hatte, geschockt... "Es... es... es.."... Sie wusste nicht mehr weiter. Sie sah sich die Klinge an... Oft schon hatte sie sich den Arm geritzt, aber noch nie mit einem solchen Messer... Karina hatte inzwischen ihr Handy herausgekramt, und einen Krankenwagen gerufen, bevor sie ohnmächtig wurde. Sandra drehte das Messer, dachte an ihre Freunde, die sie nie hatte, niemand, den es je interessiert hätte, was sie tut. "Und zu wissen, dass ein Schlaf das Herzweh und die 1000 Stöße endete, ist's ein Ziel, aufs innigste zu wünschen." Diese Zeile hatten sie erst vor kurzem in Hamlet besprochen. Unter Schmerzen aber in dem Gewissen, das es nur besser werden konnte trieb sie das Messer immer tiefer in ihren Körper, bis auch sie ohnmächtig niederfiel, auf eine Wolldecke unter einem hohen alten Baum... Der Wecker klingelte und mühevoll kletterte sie aus dem Bett, streifte mit der Hand durch ihr langes, aber in letzter Zeit leider strohiges Haar, schaltete auf dem Weg ins Bad beiläufig den CD-Player an und blickte schließlich in den Spiegel... Kapitel 5: Freier Wille ----------------------- Von 2004/5: Der Zerfall des Seins gipfelt in der Erkenntnis, dass das Leben an und für sich ein komplexes Ding ist, dessen mikroskopische Strukturen Platz für beliebige Interpretationen bieten, die auch makroskopisch noch ihre Gültigkeit behalten können, so man sie nur auf einem kleinen Interval betrachtet. Verzweiflung und Hoffnung, wie zwei Seiten einer Medaille, spiegeln im Leben wieder die Tatsache des Kampfes zwischen Libido und Destrudo oder auch Thanatos. Die Erhaltung des altbekannten oder aber die Umwandlung in Neues, das Erschaffen und Vernichten eingeschlossen, sind ein unendlicher Kreis der Freude und des Schmerzes. Der Mensch verletzt seine Umgebung durch reine Anwesenheit, die Wünsche und Ängste erscheinen bisweilen unbedeutend, und doch hat jeder seine Angst und seinen Traum. Die höchste Form der Befriedigung, die Perfektion in der Zufriedenheit ist ein dem Menschen nicht zugänglicher Punkt, sodass er stehts auf dem Weg ist, das Ziel zu erreichen, auch, wenn der den letzten Grenzprozess nie vollführen wird. Der eigene Wille ist, in diesem Zusammenhang, eine Mischung aus Segen und Fluch, so man sich oftmals wünschte, man wäre ohne ihn. Der Unterschied zwischen ausgeliefert sein und dem eigenen Willen folgend Taten zu begehen begründet sich damit also lediglich in dem Umstand der Verantwortung des Handelnden. Der Egoismus an sich, als unaufhörliche Triebfeder des individuellen und allgemeinen Lebens dient also dem höheren Zweck und kontrakarikiert die Tatsache des freien Willens, da ja dieser den Suizid ermöglich, trotz des Bestrebens der Erhaltung des Lebens. Der Suizid indes auf mikroskopischer Skala als Apoptosis angenähert, ist ebenso ein Grundprinzip der Existenz von Leben. Moral und Ethik sind ebenso egoismusredizierende Objekte, da sie den freien Willen einer höheren Macht unterwerfen wollen, respective einer allgemeingültigen und makroskopischen Regulierung, die zwar den Egoismus der Masse interpretieren, nicht aber den des Individuums. Letztendes ist der freie Wille auch nur eine Auswirkung der Materie und manifestiert sich daher nur in dieser, was nun unmittelbar darauf führt, dass alles in gewisser Form einen Willen hat, lediglich der Nachweis der Existenz dieses schwierig oder bisweilen unmöglich ist und eine allgemeine Maxime an und für sich als nicht schlüssig hingenommen werden kann. Der Mensch irrt, solange er strebt. Und das tut er, da die zwei Fixpunkte des Lebens zwischen Geburt und Tot unweigerlich das Leben einklammern, dessen Bedeutung aufgrund der Endlichkeit des Einzelnen höchstens im Erhalt der Zivilisation gelten kann. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)