Schicksalskämpfer von Finlass ================================================================================ Kapitel 2: Teil 2 ----------------- Schritte. Der beißende Geruch von Kräutern. Langsam öffnete Tarkus seine Augen. Die Welt wirke verschwommen, wurde nur langsam klarer. Ein bisschen entfernt konnte er eine Zeltwand erkennen, festgetrampelten Boden und ein Stück Knie. Vorsichtig hob er den Kopf und blickte in Ingvars besorgtes Gesicht. Als der König seinen Blick bemerkte, lächelte er. "Schön, dass es dir besser geht." Er wirkte etwas unbeholfen. "Bleib liegen!" Tarkus hatte sich aufgesetzt. Schmerzen spürte er keine, im war nur etwas schwindelig. Und sein gesamter rechter Arm fühlte sich seltsam taub an. Mit sanfter Gewalt drückte Ingvar ihn wieder zurück aufs Bett, was Tarkus unwillig über sich ergehen ließ. "Die Ärzte haben dir ein Schmerzmittel gegeben und mir aufgetragen, aufzupassen, dass du nicht zu übermütig wirst." Ingvar schüttelte den Kopf. "Um ehrlich zu sein: dein Glück hätte ich auch gerne." "Wieso?", fragte Tarkus, leicht verwirrt. "Was ist geschehen?" Genau, was war geschehen? War er nicht eben noch mit Silion draußen im Wald gewesen? Wie kam er hierher? Als er sich genauer umsah erkannte er, dass es auch nicht sein Quartier war. Dieses Zelt war geräumiger, bot mindestens Platz für zehn Personen. Und dann war da immer noch dieser beißende Geruch. Das musste eines der Zelte der Heiler sein. Der Größe nach zu urteilen das Quartier für höher gestellte Persönlichkeiten. Die Zelte für die Soldaten waren viel größer. Aber er war doch nicht nur wegen seiner kleinen Wunde am Arm hier. Oder? Dunkel erinnerte er sich an den Schmerz in seiner Schulter. Ingvar wartete ab, bis Tarkus' fragender Blick wieder auf ihm ruhte, dann antwortete er: "Du hast einen Schwertstich in die rechte Schulter empfangen. Wäre dieser bloß ein wenig kräftiger und ein Stück weiter links gewesen, weiltest du nun nicht mehr unter den Lebenden." Schwertstich in den Rücken? Hä? Silion hatte doch vor ihm gestanden! "Silion hat dich zurück ins Lager gebracht, in Begleitung einiger Soldaten", erklärte Ingvar. "Er berichtete, ihr hättet im Wald einen kleinen Übungskampf durchgeführt und du hättest ihn versehentlich an der Stirn verletzt. Daher dachten die Soldaten, die sich Sorgen um Silion gemacht hatten und ihn suchen gegangen waren, du würdest versuchen, ihren Helden umzubringen. Also wollten sie die Gefahr aus dem Weg schaffen. Silion konnte sie wohl nur knapp davon abbringen, dich zu töten." Aha. Ingvar sah sich kurz um, dann bückte er sich, sodass sein Kopf ganz nah an Tarkus' Gesicht kam und flüsterte: "Das war kein Übungskampf. Du wolltest Silion umbringen, oder?" Tarkus sah keinen Sinn darin, es zu bestreiten. Er nickte nur. Ingvar seufzte. "Willst du es immer noch?" Tarkus antwortete nicht. Wollte er es wirklich immer noch? Um abzulenken fragte er: "Was ist mit der Schlacht?" Ingvars Miene verdüsterte sich. "Sie dauert an. Silion hat heute morgen siegessicher wie eh und je die Soldaten angeführt." "Trotz seiner Verletzung?" Tarkus sah Ingvar ungläubig an. "Natürlich! Du glaubst doch nicht, dass er sich von solch einer Kleinigkeit wie einer Verletzung abhalten ließe!" Bei genauerem Nachdenken musste Tarkus zugeben, dass Ingvar recht hatte. Daher ging er auf ein anderes Thema über. "Warum seid Ihr nicht bei den Strategen und schaut zu?" "Weil ich ohnehin nichts ausrichten könnte. Da bleibe ich lieber bei dir, als tatenlos zuzuschauen, wie sich mein Volk niedermetzeln lässt." Tarkus setzte sich entschlossen auf. "Ich muss wissen, was vor sich geht." Ingvar versuchte erst gar nicht, ihm zu widersprechen, sondern antwortete nur seufzend: "Ich schätze, ich kann dich ebenso wenig aufhalten wie Silion." Kurze Zeit später waren die beiden auf jener unscheinbaren Anhöhe angekommen, von der aus die Taktiker das Kampfgeschehen beobachteten. Nicht, dass sie momentan irgend etwas hätten tun können (was einige von ihnen auch sichtlich frustrierte), aber sie wollten auch nicht gehen. Anscheinend sahen sie es als Verletzung ihrer Ehre an, bei einer Schlacht nicht anwesend zu sein. Den gesamten Weg lang hatte Ingvar Tarkus stützen müssen. Zwar hatte dieser vehement dagegen protestiert, doch dieses Mal gab der König nicht nach. Das Argument, dass es unter der Würde des Königs war, seinen General zu stützen, hatte Ingvar einfach ignoriert. Genauso wie die pikierten Blicke, die ihm einige der Taktiker zuwarfen. Einer von ihnen murmelte sogar: "So etwas hätte es unter dem alten König nicht gegeben." Ingvar gab erhaben vor, es nicht gehört zu haben, aber Tarkus wusste, wie sehr es ihn traf. Kaum, dass die beiden sich gesetzt hatten, kam einer der Taktiker an und begann, detailliert die Strategie des heutigen Tages zu erklären. Tarkus schenkte ihm keine Aufmerksamkeit, sondern betrachtete das Kampfgeschehen. Es schien genau so zuzugehen, wie an den Tagen zuvor. Jede taktische Anweisung, jede Truppenformation hatte sich in Luft aufgelöst. Übrig geblieben war ein Gemetzel, in dem nur schwerlich auszumachen war, wer welcher Armee angehörte. Die einzigen Kämpfer, die noch geordnet standen, waren die Lanzenträger, die den Zugang zum Lager beschützten- und offensichtlich für die Gegner uninteressant waren. Denn im Gegensatz zu den bisherigen Schlachten fand dieser Kampf ein ganzes Stück von den Lanzenträgern entfernt statt. Konnte es wirklich sein? Es sah so aus, als hätten die Krieger unter Silions Führung ihre Gegner zurück gedrängt. Und das viel weiter als sonst. Er blickte einen der Strategen fragend an. Dieser antwortete: "Das geht schon seit einer ganzen Weile so. Es scheint, als würden wir dieses Mal gewinnen." Einige Stunden später waren die Soldaten triumphierend zurückgekehrt. Im ganzen Lager erklang Jubel. "Sieg!", schrieen die Soldaten. Sieg. Einige wunderbare Augenblicke lang ließ sich Tarkus von der Euphorie mitreißen. Ein Glücksgefühl, wie er es kaum kannte. Fröhlichkeit, Erleichterung. Doch dann meldete sich sein Verstand wieder zu Wort. Am liebsten hätte er diese durchdringende Stimme aus seinem Kopf verbannt. Er wollte fröhlich sein, nicht nachdenken! Doch wie so oft war sein Verstand stärker als sein Wille. Wieso hatten sie gesiegt? Das konnte nicht sein! Das ergab keinen Sinn! Ingvar bemerkte, dass Tarkus' Miene keineswegs mehr fröhlich war und fragte: "Was ist mit dir?" Tarkus ließ seinen Blick unruhig über das Lager schweifen, bevor er antwortete: "Wie kann das sein? Wieso... Wieso haben wir gesiegt?" "Weil wir stärker waren." Ingvar sah Tarkus mit einem mitleidigen Lächeln an. Aus seinem Gesicht war klar zu lesen, dass er ahnte, was nun kommen würde. "Aber wir kämpfen gegen drei große Armeen! Sie haben viel mehr Soldaten und viel mehr Kampfeskraft als wir! Wir können sie unmöglich geschlagen haben!" Tarkus hielt einen Moment inne, dann fuhr er mit ruhigerer Stimme fort: "Mein König, wir müssen kapitulieren! Oder wenigstens einen Waffenstillstand schließen!" "Aber wieso?", wandte Ingvar ein. "Jetzt haben wir unsere Chance. Morgen greifen wir ihr Lager an und vertreiben sie endgültig von diesem Gebiet. Danach können wir mit ihnen verhandeln. Somit hätten wir erreicht, was wir mit diesem Krieg bezweckt hatten: Fruchtbares Land, damit wir in den kommenden Jahren keine Hungersnöte mehr erleiden müssen." "Das ist bloß ein Trick!" Ingvar legte Tarkus eine Hand auf die unverletzte Schulter und betrachtete ihn so verständnisvoll wie ein kleines Kind, das ihm versuchte zu erklären, die Sterne seien von einer hellgrünen Kuh geschaffen worden. "Sei nicht immer so ein Schwarzseher! Alles wird gut werden, da bin ich mir sicher." Tarkus wollte widersprechen, doch in diesem Moment stolzierte Silion auf die beiden zu. In seiner Hand hielt er eine Flagge, die er triumphierend im Wind flattern ließ. Seine Miene war unter dem Helm nicht zu erkennen, doch Tarkus war sich sicher, dass Silion fröhlich lachte. "Sieg!", brüllte er. "Sieg!" Um ihn herum brachen die Soldaten in ohrenbetäubenden Jubel aus. Silion wartete, bis das Geschrei wieder abgeebbt war, dann verbeugte er sich tief vor Ingvar und verkündete: "Mein König, voller Stolz darf ich Euch mitteilen, dass wir die Schlacht gewonnen haben!" Er hob die Hand, um den Kriegern, die wieder jubeln wollten, Einhalt zu gebieten. "Morgen werden wir ihr Lager stürmen, und dann wird dieser Krieg endlich beendet sein!" Tarkus stutzte. Täuschte er sich, oder klang Silions Stimme längst nicht so kräftig wie sonst? Mittlerweile war Ingvar vorgetreten und sprach würdevoll: "Ich danke Euch, General Silion, für Eure tapfere Führungskraft. Möge auch Euer nächster Kampf von solch durchschlagendem Erfolg gekrönt sein!" "Das wird er", erwiderte Silion. "Das schwöre ich Euch, mein K---" Plötzlich brach Silion zusammen. Fiel zu Boden und blieb regungslos liegen. Ein erschrockenes Keuchen ging durch die Reihen der Soldaten. Einige brachen in verunsichertes Tuscheln aus. Tarkus lief ein Schauer den Rücken herunter. Ihn beschlich eine üble Vorahnung. Silion schien keine Verletzungen aus der Schlacht davongetragen zu haben, doch als die Heiler ihm den Helm abnahmen, war sein Gesicht kreidebleich und blutüberströmt. "Er hat seine Wunde unterschätzt", murmelte Ingvar. Tarkus nickte nur. Er saß auf seinem eigenen Bett im Zelt der Heiler und betrachtete das Geschehen von dort aus. Ingvar hatte darauf bestanden, dass er sich ausruhte. "Ich will nicht, dass du auch noch zusammenbrichst", hatte er gesagt. Nun schritt der König rastlos im Zelt auf und ab. "Was sollen wir tun?", murmelte er, immer wieder. "Aufgeben", antwortete Tarkus irgendwann entnervt. "Oder einen dauerhaften Waffenstillstand schließen." "Jetzt, wo wir dem Sieg so nahe sind..." Ingvar seufzte bedauernd. "Es ist besser. Die Soldaten sind verwirrt und verunsichert, nun, da ihr Held Schwäche gezeigt hat." Ingvar warf ihm einen zweifelnden Blick zu. "Bist du dir sicher?" Tarkus wollte antworten, doch bevor er dazu kam, betraten vier der Generäle das Zelt. Sie trugen ihre besten Uniformen und hatten eine würdevoll ernsthafte Miene aufgesetzt. In respektvollem Abstand zu Ingvar blieben sie stehen und verbeugten sich tief. "Verzeiht die Störung, mein König", begann einer von ihnen. "Aber wir wollten Euch versichern, dass wir uns einig sind: Die morgige Schlacht wird im Andenken an Lord Silion stattfinden. Wir werden uns bemühen, ihm als Anführer ebenbürtig zu sein." "Ihr redet von ihm als ob er tot sei!", brummte Tarkus verärgert. "Nun", erwiderte ein anderer General verunsichert. "Zumindest kann er nicht kämpfen." "Wie dem auch sei", fuhr der erste General fort. "Wir schwören Euch hiermit, erhabener König, dass wir die morgige Schlacht gewinnen werden." Die vier Generäle schlugen zur Bekräftigung mit der Faust auf ihre Brust, dann verbeugten sie sich noch ein Mal tief. Ingvar wirkte zufrieden. "Mögen die Götter mit uns sein und uns den Sieg schenken!" Die Generäle nickten, salutierten und verließen mit stolzen Schritten das Zelt. Kaum dass sie verschwunden waren, wandte sich Ingvar lächelnd Tarkus zu. "Schau, sie sehen sich in der Lage, zu kämpfen. Ich denke, deine Zweifel sind unbegründet. Ruh dich lieber aus und verbanne die negativen Gedanken aus deinem Geist. Wir werden es schaffen, das spüre ich." Tarkus fuhr auf, wollte Ingvar anschreien, ihm sagen, dass er sich irrte, ihn einen Dummkopf schelten, doch die Welt begann sich vor seinen Augen zu drehen. Ein beißender Schmerz durchzuckte seinen ganzen Körper, verdrängte alles andere, jedes Gefühl, jeden Gedanken. Dann wurde es dunkel. Im Nachhinein konnte Tarkus nicht mehr sagen, was ihn geweckt hatte. Ein Geräusch, eine Bewegung oder einfach ein ungutes Gefühl. Als er die Augen aufschlug war es dunkel. Einen Moment lang zweifelte er daran, dass er überhaupt aufgewacht war, doch ein kleiner Lichtstrahl, der wohl durch den Eingang des Zeltes schien und einige unidentifizierbare Geräusche von draußen vertrieben seine Zweifel. Es musste Nacht sein. Langsam setzte er sich auf und stützte seinen Kopf auf seine unverletzte linke Hand. Er konnte sich nicht erinnern, schlafen gegangen zu sein. Seine letzte Erinnerung bestand aus unbändiger Wut. Wahrscheinlich hatte er sich überanstrengt und war umgekippt. So ein Mist... Und noch wahrscheinlicher war Ingvar von seinem Angriffsplan nicht abgewichen. Noch schlechter. Der König begann, genauso starrsinnig zu werden wie Silion und er selbst. Ein unheimlicher Gedanke... Tarkus blickte sich im Zelt um. Alles war friedlich. Doch gerade, als er das dachte, wurde er der aufgeregten Geräusche gewahr, die von Außen ins Zelt eindrangen. Was war da los? Tarkus stand auf, zog sich seine Stiefel an und gürtete sein Schwert um (auch wenn es ihm wohl kaum etwas nützen würde) und schlich zum Ausgang des Zeltes. Draußen herrschte große Aufregung. Soldaten schrieen sich alarmiert etwas zu, aber Tarkus verstand nichts. Er schauderte. Hier stimmte definitiv etwas nicht. "Was ist los?", fragte Tarkus einen der Soldaten. "Sie greifen an!", schrie dieser und rannte davon. Verdammt! Tarkus hastete zu Silions Bett, packte ihn an der Schulter und schüttelte ihn, bis er wach wurde. "Was---", fragte er erschöpft, doch Tarkus unterbrach ihn. "Komm! Wir müssen hier weg!" Auf Silions Gesicht spiegelte sich grenzenlose Verwirrung wieder. "Wieso?" "Frag nicht! Komm einfach!" Silion starrte Tarkus einige Momente lang an, dann erhob er sich unwillig und mit schmerzverzerrtem Gesicht. Tarkus lief zum Zelteingang und blickte alarmiert nach draußen. Soldaten rannten in großer Hast durch das Lager. Niemand schien zu wissen, aus welcher Richtung genau die Gefahr drohte. "Was ist geschehen?", fragte Silion, der neben Tarkus aufgetaucht war. Plötzlich schien er hellwach und nicht minder alarmiert als alle anderen zu sein. "Nachtangriff", antwortete Tarkus knapp. "Komm!" Er lief so schnell er konnte durch das Lager, Silion folgte ihm. Es war schwierig, sich durch die Masse an vorbeirennenden Soldaten und am Boden liegenden Gegenständen zu kämpfen, und so kamen sie nur langsam voran. Als Silion merkte, dass Tarkus auf die Pferdekoppel zuhielt, packte er ihn an seinem unverletzten Arm und hielt ihn zurück. "Was soll das? Der Kampf findet in der anderen Richtung statt!" Tarkus warf ihm einen verächtlichen Blick zu. "Du willst kämpfen? Vergiss es! Keiner von uns beiden kann in seinem Zustand kämpfen! Zumindest keine große Schlacht. Hilf mir lieber, unseren König zu beschützen!" Mit diesen Worten deutete er auf die Pferdekoppel, vor der König Ingvar stand, umringt von einigen Soldaten. Silion murmelte etwas Unverständliches, kam aber Tarkus' Aufforderung nach. Sie eilten zu der Koppel, wo sie Ingvar erleichtert empfing. "Den Göttern sei Dank! Ich hatte schon befürchtet---" "Verzeiht, mein König!", unterbrach ihn einer der Soldaten. "Jetzt ist keine Zeit dazu. Ihr müsst sofort fliehen!" Wie um seine Worte zu unterstreichen, regneten plötzlich flammende Pfeile herab, die einige Zelte in Brand setzten. "Wir werden uns um die Sicherheit des Königs kümmern", versicherte Tarkus dem Soldaten. In diesem Moment kamen weitere Krieger an, einige Pferde führend, die hastig gesattelt worden waren. Ingvar bestieg unwillig sein Pferd, ebenso wie Silion, Tarkus und zehn weitere Soldaten der königlichen Leibgarde. Tarkus hoffte inständig, dass seine einarmigen Reitkünste ihn nicht im Stich ließen. Dann rief er: "Auf geht's!" Die Pferde galoppierten los und trugen ihre Reiter rasch weg vom Kampfgeschehen und von dem Lager, das in Flammen aufgegangen war. Im Gegensatz zu dem lärmenden Kampfgetümmel war die Stille, welche die dreizehn Reiter umgab beinahe unheimlich. Kein Geräusch außer dem Trampeln der Pferdehufe auf dem Gras. Niemand sprach ein Wort. Tarkus war sich nicht sicher, ob es nicht auch besser so war. Soviel jedenfalls zu dem Plan, das feindliche Lager zu stürmen. Er war in das genaue Gegenteil umgeschlagen. Ein Trick, genau wie Tarkus befürchtet hatte. Und nun? Tarkus machte sich keine Hoffnungen, dass das Heer diesen tückischen Angriff überstehen würde. Sie hatten endgültig verloren. Sie waren geschlagen. Und er hatte es geahnt und nichts verhindern können! Dieser Gedanke schmerzte Tarkus beinahe mehr als die Niederlage selbst und der Verlust so vieler Leben. Die dreizehn Reiter passierten gerade einen kleinen Fluss, als einer der Soldaten plötzlich schrie: "Sie folgen uns!" Tarkus fuhr herum und entdeckte in der Dunkelheit die Silhouetten einiger Reiter, die stetig näher kamen. Noch war nicht zu erkennen, ob die "Verfolger" wirklich Feinde waren, oder doch Krieger der eigenen Seite. Wenn Tarkus ehrlich war, glaubte er jedoch nicht an letztere Möglichkeit. Ein Schwarzseher, wie immer. Aber was sollten sie nun tun? Einige Augenblicke später stellte einer der Soldaten diese Frage laut. Eine Weile antwortete niemand, bis Silion schließlich entschlossen sagte: "Wir reiten weiter und beobachten sie. Mal sehen, ob sie uns wirklich einholen." Tarkus gefiel dieser Vorschlag nicht wirklich- zu riskant- aber aus Mangel an besseren Vorschlägen fügte er sich Silions Anweisungen. Die dunkle Landschaft der Ebene zog rasch an ihnen vorbei, als sie die Pferde antrieben. Doch wie um alle ihre Bemühungen lächerlich zu machen, holten die Verfolger trotzdem immer weiter auf. Vor ihnen ragten nun die Berge in die Höhe. Standfest. Unbezwingbar. "Dorthin!", schrie Silion plötzlich und deutete auf einen kleinen Pass, der sich nicht weit von ihnen durch die Felsen zog. Sie schafften es tatsächlich noch, den Pass zu erreichen, bevor die Verfolger sie eingeholt hatten. Dort stellten sich drei Soldaten schützend vor ihre Mitstreiter. Mit ihrer Breite füllten sie den Pass ganz aus. Auch die Anderen zogen ihre Waffen. Tarkus hielt sein Schwert mit der linken Hand und war erstaunt, wie ungelenk sich das anfühlte. Fraglich, ob er überhaupt einen Gegner damit abwehren konnte. Es dauerte bedenklich kurz, bis die Verfolger heran waren. Die Krieger spannten ihre Muskeln an, bereit, sofort zuzuschlagen. Doch dann hob einer von ihnen die Hand. "Wartet!", rief er. "Sie gehören zu uns!" Die Erleichterung war spürbar. Bald konnten sie es alle erkennen: Die Reiter trugen die gleichen grün-schwarzen Tuniken wie sie selbst. Sogar Tarkus fühlte sich erleichtert. Ein Mal, wenigstens ein Mal hatten sich seine schlechten Vorahnungen nicht erfüllt! Ein erschrockener, schmerzerfüllter Schrei ließ sie herumfahren. Einer der Soldaten war von einem Pfeil in den Rücken getroffen worden. Ein Stück weiter entfernt standen einige Krieger und spannten ihre Bögen. Verdammt, wo kamen die denn her? Im nächsten Moment ging ein Pfeilregen auf die Reiter nieder. Tarkus' Pferd wurde am Rücken getroffen, nur ein winziges Stück weiter und es hätte ihn selbst erwischt. Einige andere Pferde wurden ebenfalls verletzt und scheuten. Da preschte Silion auf seinem Pferd plötzlich vor, gefolgt von zwei weiteren Reitern. Direkt auf die Krieger zu, die noch mit dem Spannen ihrer Bögen beschäftigt waren. Einige ließen die Bögen fallen und brachten sich in Sicherheit. Der Rest wurde von den drei Pferden einfach überrannt. Tarkus ließ seinen Blick über die zerklüfteten Felsen schweifen. Ob sich dort weitere Krieger versteckt hatten? Unwillkürlich lenkte er sein Pferd näher zu Ingvar hin, der das Ganze mit niedergeschlagenem Gesichtsausdruck beobachtete. Es beruhigte Tarkus nicht unbedingt, dass er keine weiteren Angreifer auf den Felsen entdeckte. Doch ihm blieb keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn ein großes Geschrei von der anderen Seite ließ ihn aufschrecken. Er blickte zum Eingang des Passes, wo in diesem Moment die anderen Krieger eintrafen. Doch anstatt ihre Pferde zu zügeln, rasten sie direkt in die Reihen der Soldaten hinein, mit gezogenen Schwertern. Binnen weniger Sekunden war unter den Kriegern Chaos ausgebrochen. "Verrat!", schoss es ihm durch den Kopf. Und ein verdammt gut geplanter. Es gab kein Entkommen. Sie waren eingekesselt. Es war ein schrecklicher Kampf, denn niemand konnte genau unterscheiden, wer Freund und wer Feind war. Die Angreifer unterschieden sich Äußerlich nicht von ihren Opfern- Tuniken, Helme und Rüstungen waren genau gleich. Wenn sie einen Feind erkannten, war es meistens zu spät. Und Tarkus bezweifelte, dass sie es immer richtig erkannten. Er trieb sein Pferd so nah zu Ingvar, wie es nur möglich war und hielt sein Schwert schützend vor seinen Körper. Seine Blicke jagten hin und her. Von den kämpfenden Reitern über die Felsen zu Silion und seinen beiden Begleitern, die zwar bemerkt hatten, was vor sich ging, mit ihren eigenen Gegnern aber genug zu tun hatten. Tarkus war so abgelenkt, dass er zu spät bemerkte, wie ein Krieger mit gezogenem Schwert auf Ingvar zupreschte. Im letzten Moment scheute das Pferd. Der Reiter konnte sich mit großer Mühe im Sattel halten. Doch kaum dass er wieder gerade saß, wurde er von einer Lanze durchbohrt. Er schrie nicht einmal mehr, sondern sackte nur leblos zu Boden. Ingvars Retter, einer der Soldaten, salutierte kurz und war dann wieder im Kampfgetümmel verschwunden. Schnell wurde klar, dass die Angreifer es allein auf den König abgesehen hatten. Immer wieder stießen Krieger aus dem Gewühl hervor und attackierten den König, doch jedes Mal schafften es Tarkus und die königstreuen Soldaten, sie aufzuhalten. Irgendwann ließ sich ein Kämpfer aus dem Getümmel zurückfallen, um bei Tarkus und Ingvar zu bleiben. Er wehrte mit Leichtigkeit mehrere Attacken ab. Tarkus nutzte die Gelegenheit, wiederum die Felsen abzusuchen. Nichts. Ob das ein gutes Zeichen war? Er wandte seinen Blick wieder zu Ingvar. Genau rechtzeitig um zu merken, dass der Krieger sein Schwert gegen den König erhoben hatte. Tarkus konnte den Schlag gerade noch abwehren. Der Krieger wurde wütend und startete eine ungestüme Reihe Attacken, die Tarkus kaum parieren konnte. Ihm wurde schmerzhaft bewusst, wie schlecht er mit seiner linken Hand kämpfte. Verdammte Verletzung! Der Krieger erkannte die Schwäche seines Gegners und zielte nun auf seinen Kopf. Immer wieder. Tarkus duckte sich jedes Mal weg, doch mit jedem Ausweichmanöver wuchsen die Schmerzen in seiner Schulter. Es konnte nicht so weitergehen! Unter dem nächsten Hieb duckte sich Tarkus wieder weg, doch dieses Mal ging er das Risiko ein und attackierte. Jedoch nicht den Krieger. Sondern sein Pferd. Er traf das Tier am Hals. Sein Angriff war nicht annähernd so kräftig wie der eines normalen Kriegers, doch es reichte aus, eine Wunde zu schlagen. Das Pferd scheute vor Schreck und Schmerz. Der Krieger wurde zu Boden geschleudert und blieb regungslos liegen. Tarkus atmete kurz auf. "Der Weg ist frei!", brüllte Silion von hinten. Seine Begleiter preschten bereits vor, um sich ins Kampfgetümmel zu stürzen, in dem die Angreifer scheinbar Überhand nahmen. "Kommt!", rief Tarkus Ingvar zu. Sie eilten zu Silion. Der und seine Begleiter hatten gute Arbeit geleistet. Sämtliche Bogenschützen waren tot. Gegen die berittenen Angreifer hatten sie keine Chance gehabt. "Wir müssen fliehen", sagte Tarkus, als sie Silion erreicht hatten. "Es sind zu viele. Wenn wir überleben wollen, dürfen wir uns auf keinen Kampf einlassen." Silion blickte erst zu Ingvar, danach zum Schlachtgetümmel, dann nickte er. Sie trieben ihre Pferde an und jagten weg von der Masser der gleich aussehenden Krieger. Die feindlichen Reiter wollten ihnen nachsetzen, doch die überlebenden Soldaten stellten sich ihnen in den Weg. Dann verschwand das Kampfgeschehen hinter den Felsen. Sie ritten bis weit in die Morgenstunden herein. Erst als sie den Bergpass hinter sich gelassen hatten und tief in den angrenzenden Wald vorgedrungen waren, wagten sie es, Rast zu machen. Keinen Augenblick zu früh für Tarkus. Er spürte, dass er vor Erschöpfung bald vom Pferd gefallen wäre. Silion schien es auch nicht besser zu gehen, obwohl er sich bemühte, sich nichts anmerken zu lassen. Daher hockten die beiden Generäle und ihr König auf dem feuchten Moos, gegen einen Baum gelehnt und starrten den Waldboden an. Sie alle schwiegen. Irgendwann erhob sich Ingvar schwerfällig und schlurfte zu seinem Pferd, das ein Stück entfernt hungrig graste. Geistesabwesend streichelte er die dunkle Mähne, lehnte seinen Kopf an den Hals des Tieres. Tarkus konnte nur einen kurzen Blick auf sein Gesicht erhaschen, doch ihn schauderte, als er Ingvars schmerzerfüllte, verzweifelte Miene sah. Er ballte die Hände zu Fäusten, ungeachtet des Schmerzes. Warum in aller Welt konnte er nichts tun? Warum nicht? Er war beinahe dankbar, als Silion mit einem Mal näher zu ihm rückte und leise fragte: "Warum hast du mich gerettet?" Tarkus blickte ihn fragend an. "Du weißt, was ich meine." Silions Stimme war todernst. "Du hättest mich genauso gut schlafen lassen können. Entweder wäre ich wehrlos abgestochen worden oder in einem brennenden Zelt verreckt. So wärest du mich endlich los gewesen. Also warum? Und erzähl mir bloß nichts von Dankbarkeit!" Tarkus starrte einen Moment lang einen interessanten Käfer auf dem Waldboden an, dann antwortete er ruhig: "Weil du gebraucht wirst." Auf Silions überraschten Blick hin setzte er hinzu: "Wir sind ein geschlagenes Land. Es werden harte Zeiten auf uns zu kommen. Was braucht das Volk da mehr als einen strahlenden Helden?" Nun war es an Silion, den Waldboden anzustarren. "Sicher? Immerhin habe ich diese Niederlage nicht verhindern können." "Nicht verhindert?" , dachte Tarkus ärgerlich, "Du hast sie angezettelt!" Doch er sprach diesen Gedanken nicht aus, sondern lächelte bloß niedergeschlagen. "Sie werden die Schuld ihrem König zuschieben, wie sie es immer tun. König Ingvar wird eine schwere Last zu tragen haben. Ich werde ihm dabei helfen. Und du wirst dem Volk dabei helfen, seine Hoffnung aufrecht zu erhalten." Silion nickte und murmelte: "Warum nur geschieht das alles?" Tarkus starrte das dichte Blätterdach über ihnen an und antwortete mit bitterer Stimme: "Schicksal." ~ Ende ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)