Die Diener der Dunkelheit von Zeras ================================================================================ Kapitel 16: Die Barriere ------------------------ „Endlich“, rief Sherra aus „sind wir zwei ganz ungestört.“ Bei diesen Worten bekam Filia langsam wirklich Panik. Verzweifelt mühte sie sich ihre Gedanken wieder zum funktionieren zu bringen. Schließlich überstürzten sie sich. Warum nur war Sherra hier? Wo kam sie her und vor allem was hatte sie vor? Filia wurde es flau im Magen. „Weißt du“, plauderte Sherra weiter. „Ich wollte schon eine ganze Weile etwas ausprobieren“, und dann gab sie ihr Spiel auf und lächelte grausam. „Wehr dich!“ Ein bläulicher Energieball sammelte sich abrupt in Sherras nach oben gedrehter Handfläche und Filia hechtete zur Seite. Sekunden später detonierte der Platz, an dem sie sich eben noch befunden hatte. Filia nahm sich nicht die Zeit sich umzudrehen, sie rannte ohne Unterbrechung weiter. Sie musste fliehen. Hinter ihr explodierte der schon arg mitgenommene Boden erneut; es war gerade so als würde sie eine Fahne an Detonationen hinter sich herziehen. ‚Man sollte meinen sie hätte etwas mehr Respekt vor Shabranigdos Festung‘, dachte Filia und sprintete auf das offene Halbbogentor in der Außenmauer zu, das den Ausgang markierte. Plötzlich materialisierte Sherra direkt unter dem Torbogen, ein blankes Schwert in der Hand. „Schlechte Idee“, tadelte sie. „Weglaufen gilt nicht!“ Filia musste ausweichen, wollte sie nicht mit Sherra zusammenstoßen, doch stattdessen rannte sie nur noch schneller, direkt auf sie zu. Sherras Augen weiteten sich überrascht, sie hob ihr Schwert beidhändig hoch über den Kopf und dann… teleportierte Filia. Sie tauchte noch im Tor der Festung hinter Sherra wieder auf, doch da traf sie abrupt die flache Seite von Sherras Schwert direkt im Magen. Die Generalin war ihr hinterher teleportiert. Atemlos brach Filia zu Sherras Füßen zusammen. „Oh nein, nicht so“, fauchte Sherra. „Du sollst gegen mich kämpfen! Ich möchte wissen, was das für eine Kraft ist, die so wertvoll ist, dass sie Xellos dazu bringt dich am Leben zu lassen. Du wirst sie mir zeigen. Steh sofort auf und wehr dich!“ Filia sah durch einen Schleier aus Schmerz hindurch, wie sich erneut blaue Blitze in Sherras Handfläche sammelten und war sich sicher, dass sie sterben würde, sollte Sherra sie treffen. Sie nahm alle Kraft zusammen und teleportierte erneut. Sie erschien direkt vor Xellos regloser Gestalt und schüttelte ihn. „Xellos, verdammt noch mal, wach auf!“ schrie sie und gab ihm eine Ohrfeige. Doch er rührte sich nicht. „So langsam strapazierst du meine Geduld“, sagte Sherra nah hinter ihr. ‚Und ich habe jetzt genug‘, dachte Filia wütend. Sie war schon jetzt wieder ausgelaugt. Nach so langer Zeit gleich zweimal zu teleportieren, hatte ihr zu viel abverlangt. Auch hatte sie weder Zeit noch Kraft um einen heiligen Zauber zu wirken, aber das war ihr alles egal. Sie sprang auf, griff unter ihren Rock, zog ihre Keule hervor und beschrieb einen weiten, brutalen Bogen damit. Klirrend traf sie auf Sherras Schwert und plötzlich sah Filia sich Sherras grinsenden Gesicht nur noch ein paar Zentimeter entfernt durch ihre gekreuzten Waffen gegenüber, so nah, dass sie wusste, dass es Absicht war. „Soll das ein Scherz sein?“ zischte Sherra. Dann gab sie plötzlich wieder all ihre Kraft hinter den Schwertarm und stieß Filia von sich. Sie wurde im hohen Bogen in die Luft geschleudert und landete schmerzhaft im Schnee. Noch halb betäubt vom Aufprall versuchte Filia wieder auf die Beine zu kommen. Verzweiflung stieg in ihr auf. Ihre einzige Waffe konnte einem Astral Wesen wie Sherra nichts anhaben. Sie war ausgelaugt, ihre mühsam zurückgewonnene Kraft war fort. Sie hatte keine Möglichkeit Sherra zu verletzen. ‚Ich brauche Kraft‘, dachte Filia verzweifelt. ‚Ist mir egal woher, ich brauche…‘ Sie stutzte. Sherra schritt auf sie zu mit erhobenem Schwert. Filia stand schwankend auf und griff tief in sich hinein, zog etwas aus sich heraus und wand es um ihre Keule. Dann wirbelte sie herum und schlug mit aller Kraft zu, einen schwarzen Schweif hinter sich herziehend. Sherra war so überrascht, dass sie es zuließ, dass ihr Schwert von Filias Keule zur Seite geschlagen wurde, und dann traf Filia sie direkt im Gesicht und die Mazoku wurde zu Boden geschleudert. Keuchend blieb Filia über ihr stehen und starrte auf sie hinab. Sie hatte mehr Kraft verbraucht, als gut war. Unmöglich konnte sie noch fliehen. Sherra regte sich wieder und richtete sich dann ruhig auf. „Das“, sagte sie, während sie sich bedächtig den Schnee von der Uniform klopfte „war unverschämt.“ Sie starrte Filia eine Weile lang an und Filia starrte zurück. „Verstehe ich das richtig?“ fragte Sherra dann langsam. „Du hast deine Waffe mit Shouki ummantelt? So wie es Anwender von schamanistischer Magie mit der ihren tun?“ mit einem Ruck stieß sie die Spitze ihres Schwertes in den Schnee vor sich. „Woher hast du es?“ Kälte kroch Filias Beine hinauf. Ihre Zähne klapperten. Sie sah, wie sich Sherras Augen plötzlich weiteten. „Ah so ist das“, sagte sie schließlich. „Diese Kraft kommt von Meisterin Zeras. Und was dich gegen sie stärkt, das kommt von Xellos“, fuhr sie nachdenklich fort. „Also versucht Xellos sich das gleiche zunutze zu machen wie Gaav vor ihm. Nur deine Drachenkraft ist kein Überbleibsel, die schwarze Magie ist der Untermieter. Du bleibst Ryuzoku und bist so viel leichter zu kontrollieren, als ein zum Mazoku gemachter Drache.“ Sie schnaubte mit einem Ton, der wie eine Mischung aus Lachen und Entrüstung klang. „Was für ein extravagantes Spielzeug du doch bist. Nur Xellos käme auf den Gedanken, so viel Zeit auf dich zu verswenden.“ Sie löste ihre Hand vom Schwertgriff und ließ es mit der Spitze nach unten im Schnee stecken. Dann schritt sie langsam auf Filia zu und diese wollte zurückweichen, doch sie musste zu ihrem Entsetzen feststellen, dass sie es nicht konnte. Sie sah nach unten. Eis, so durchsichtig wie Glas, war an ihren Stiefeln hinaufgekrochen und hatte sie festgefroren. Als sie die Spur des Eises mit ihren Augen zurückverfolgte, sah sie, dass diese von Sherras Schwert ausging. Wie eine glänzende Ranke war das Eis von ihm her über den Schnee zu ihr gekrochen. „Was geschieht mit mir?“ stieß sie ängstlich hervor. Sherra lächelte kalt und antwortete nicht. Sie umrundete Filia gemächlich, so als wäre sie ein Exponat, dass zu studieren sie gekommen war. Das Eis hatte inzwischen Filias Hüfte erreicht und kroch schnell weiter. Es war schrecklich kalt. Sie musste etwas tun. Sie musste etwas tun. Noch einmal griff sie nach der Kraft, die ihr als letztes noch verblieben war, und versuchte sie zu greifen, doch es wollte nicht mehr klappen. Sie war schon viel zu schwach. ‚Dieser Idiot‘, dachte Filia, während ihr die Sinne schwanden. ‚Es ist alles seine Schuld.‘ Und dann schrie sie in ihren Gedanken. ‚Xellos, du Idiot! Wach endlich auf!‘ *** Außerhalb der physischen Welt hielt Ceelia Xellos immer noch umklammert. Er mochte sich befreit haben, sagte sie sich, aber wenn er sich dessen nicht gewahr werden konnte, lief es doch auf dasselbe hinauf. Dann war es egal, dass sie nun so geschwächt war, dass sie für eine Weile nicht mehr in die physische Welt zurückkehren konnte. Und so spann sie ihren Kokon aus Licht und wartete darauf, dass das Vergessen schließlich einsetzte und mit sich den Wahnsinn brachte, der ihr so bekannt war. „Du wirst hier bleiben“, versprach sie Xellos und berührte seine Wange mit einer Hand. „Bis du uns folgst oder zerbrichst. Und vielleicht siehst du sie dann ja doch noch wieder“, schnurrte sie ihm aufmunternd zu. „Hier erreicht sie dich nicht. Gib einfach auf, es ist besser so.“ Was für zwei Dummköpfe das doch waren. Sie brachten die natürliche Ordnung durcheinander, obwohl doch nur Leid daraus erwachsen würde. Ja doch, es war wohl das Beste an der Sache, dass sie dem Drachen einen Dienst erweisen konnte, indem sie ihn von ihr weggeholt hatte. Selbst wenn der Drache nun starb, hatte sie ihr noch einen Gefallen getan. „Wie schön.“ Ceelia lächelte herzlich. Plötzlich durchbrach etwas ihre wohlige Stille, wie ein Blitzschlag. Xellos! Ceelia erstarrte und Xellos riss die Augen auf. Xellos, du Idiot! Wach endlich auf! „Oh je.“ Xellos rieb sich den Kopf. „Sie scheint schon ganz schön wütend zu sein. Nichts für ungut, werte Ceelia.“ Er zwinkerte ihr zu. „Aber ich muss gehen.“ Und bevor sie noch Zeit hatte zu reagieren, teleportierte er davon und ließ sie allein im Licht zurück. *** Die Szene, die sich Xellos bot, als er wieder in der Arena materialisierte, war ihm alles andere als willkommen. Da war Sherra, die ihn in offenkundiger Wut anstarrte, und Filia, die von Kopf bis Fuß von Eis umschlossen und offenbar kurz davor war das Bewusstsein zu verlieren. ‚Oh, wunderbar‘, dachte Xellos. ‚Noch eine Katastrophe heute.‘ Er schnippte mit dem Finger und Filias Eiskerker zerbrach. Sie fiel schlaff in den Schnee und bewegte sich schwach. Xellos sah über ihre Gestalt hinweg Sherra an, die trotzig zurückstarrte. Er erinnerte sich noch sehr gut daran, wie er und Sherra sich das letzte Mal begegnet waren. Er war einen schmalen, aus hellem Stein gefügten Flur entlang gegangen. Immer wieder waren Muster in dessen Seiten gemeißelt worden, Blätter und Blüten und alte Zeichen für Gesundheit und Glück. Ein paar davon waren zerkratzt und zerbrochen. Blut war über den Boden geflossen und hatte hier und da die Wände verschmiert. Ein paar Mal musste er über eine der Leichen treten, die verkrümmt im Gang lagen, ausnahmslos mit einem Ausdruck des Horrors im Gesicht, und als er dann um eine Kurve bog, sah Sherra ihm schon entgegen. Sie hielt ein weiteres Opfer am Kragen gepackt und von der Art und Weise, wie dessen Kopf haltlos hin und her pendelte, wusste Xellos, dass er schon tot war. Xellos hatte nachsichtig den Kopf geschüttelt, während das Blut seine Schuhsohlen rot zu färben begann. „Wirklich, Sherra.“ Er grinste dunkel. „Sieh nur, was für eine Sauerei du angerichtet hast. Wer soll das nur wieder in Ordnung bringen?“ Sherra ließ den toten Ryuzoku los und er fiel mit einem Geräusch, das jedem außer einem Mazoku den Magen umgedreht hätte, in sein eigenes Blut. Noch mehr Rot spritzte gegen ihre besudelten Stiefel und Kleidung, doch sie bemerkte es nicht einmal. „Verschwinde“, fauchte sie ablehnend. Xellos trat näher. „Drachentempel sind für uns tabu“, erinnerte er sie gutmütig. „Ich hoffe deswegen für dich, dass du eine gute Ausrede parat hast.“ Er öffnete seine Augen. „Was machst du hier?“ Ein Gefühl beschlich ihn, dass er die Antwort nicht mögen würde. „Das geht dich gar nichts an.“ Sherra musterte ihre blutroten Handflächen, die so leuchteten, als hätte sie sie in Farbe getaucht. Sie mied es in das kalte Lila zu blicken, das zu Xellos Augen gehörte. „Was du hier tust, brauche ich ja gar nicht erst zu fragen“, bemerkte sie fast nur, um ihn abzulenken. „Du bist hier um den Drachen rauszuholen.“ „Sie hat nach Hilfe geschickt, das stimmt“, sagte Xellos. „Und du, du bist doch ebenfalls wegen deinem Diener hier? Die Frage ist jetzt nur, wie er hier her gekommen ist.“ Er machte eine Pause. „Wirklich, muss ich etwa doch noch zu dem Schluss kommen, dass er Filia hinterher spioniert hat?“ Sherra sah wütend auf. Sie rang offenbar um eine glaubwürdige Antwort und Xellos musste einfach grinsen. „Dein Pokerface ist wirklich bewundernswert, Sherra.“ „Ach halt doch die Klappe“, fauchte Sherra mürrisch zurück. „Na gut, dann ist es halt wegen dem Drachen. Der ist ja sowieso deine Schuld. Warum nehmt ihr ihn auch einfach in unsere Reihen auf, ohne jegliche Erklärung abzugeben? Sie könnte ein Spion oder, wer weiß was, sein, aber Greater Beast schweigt meinen Meister Grausherra an. Es ist nur rechtens, dass wir selbst eine Untersuchung einleiten.“ „Und in welchem geistigen Zustand hätte ich meine Dienerin nach dieser ‚Untersuchung’ wieder zurückbekommen?“ unterbrach Xellos sie interessiert. Wahrscheinlich hatte nur Filias überraschendes Abtauchen in einen Drachentempel, der wie gesagt mehr oder weniger Tabu für sie war, Sherra davon abgehalten, sie geradewegs zu kidnappen. Stattdessen hatten die Ryuzoku ihren Diener, der tatsächlich blöd genug gewesen war, Filia auch in einem Drachentempel weiter beschatten zu wollen, entdeckt und Filia hatte Xellos gerufen. Und jetzt hatte er den Salat. „Sie ist Greater Beasts Untergebene“, sagte Sherra kühl. „Ich hätte sie schon nicht über Gebühr verhört.“ ‚Das ist wirklich ein Trost’, dachte Xellos sarkastisch, doch dann lenkte ihn die Entfesselung einer beachtlichen Menge heiliger Magie ab. „Nun, Sherra“, bemerkte er vorsichtig, nachdem die Mazoku vor ihm zwar merklich zorniger wurde, sich aber nicht bewegte. „Dir ist doch sicher klar, dass dein werter Diener das höchstens noch ein paar Sekunden aushält?“ „Jemand, der gerade mal eine Minute nachdem ich ihn befreit habe schon wieder in die nächste Falle tappt, hat meine Hilfe nicht verdient“, erwiderte Sherra mit mühsam unterdrückter Wut. „Auf so einen Diener kann ich verzichten!“ Und weg war sie. Genauso wie Xellos, der sich aufmachte Filia zu retten und dabei mit jeder Sekunde wütender über Sherras Unverfrorenheit wurde. ‚Und jetzt ist es doch passiert.‘ Mit diesem ärgerlichen Gedanken kehrte Xellos in die Gegenwart zurück und sah auf die völlig verfrorene Filia hinab. ‚Sie hat Filia direkt unter meiner Nase verhört. Sie hat sie fast umgebracht.‘ Er wusste wirklich nicht mehr, was mit dieser Mazoku los war. Sie musste doch wissen, dass es ihr unglaublich viel Ärger einbringen würde, den Diener eines anderen Mazoku Lords ohne Grund anzugreifen oder gar zu töten. Selbst wenn sie behauptet hätte, dass es ein Unfall war, wäre es nicht ausgeschlossen, dass Dynast selbst sie hart bestraft hätte. ‚Sie muss sie wirklich hassen‘, dachte Xellos verwundert. ‚Aber warum?‘ Er hatte keine Ahnung. „Reg dich jetzt bloß nicht auf“, fauchte Sherra gerade. „Sie lebt ja schließlich noch. Und du hast das hier lange kommen sehen.“ „Ich kann mich nicht erinnern, dein Eindringen in Meisterin Zeras innere Angelegenheiten in meine nähere Planung aufgenommen zu haben“, bemerkte Xellos beißend. „Innere Angelegenheiten?“ fragte Sherra ungläubig. „Du nennst dieses Rattennest hier“ sie machte eine umfassende Geste um die Festung „eine innere Angelegenheit?“ „Die Auswahl von Meisterin Zeras Dienern ist eine innere Angelegenheit“, erwiderte Xellos gefährlich ruhig. „Und übrigens Sherra, wo warst du eigentlich als dieses Rattennest, wie du es so schön genannt hast, uns um die Ohren geflogen ist?“ ‚Sie ist Filia und mir vom Tempel bis hierher gefolgt‘, dachte er verärgert. ‚Und dann hat sie uns seelenruhig dabei zugesehen, wie Ceelia uns auf der Nase rumgetanzt ist.‘ Er erwartete von einem anderen Mazoku nicht, dass er ihm uneigennützig half, aber das hier war ein gemeinsamer Auftrag gewesen. Selbst wenn Sherra nicht direkt daran arbeitete, rechtfertigte das nicht Xellos Zwangslage für diesen Dreck auszunutzen. „Oh, tu bloß nicht so, als ob du mir geholfen hättest, wenn du mich in so einer Lage gefunden hättest“, bemerkte Sherra sarkastisch. „Das tut hier nichts zu Sache“, meinte Xellos kategorisch. „Sie hat aber recht“, war plötzlich Filias schwache Stimme von unten zu vernehmen. „Du genießt es doch am meisten, anderen dabei zuzusehen, wie sie in Schwierigkeiten kommen.“ „Auf wessen Seite bist du hier eigentlich?“ fragte Xellos sie empört. Sie grinste schwach. „Nun, ich habe jedenfalls genug“, sagte Sherra da. „Wir sehen uns, Xellos.“ Und dann war sie weg einfach so und ließ eine erschöpfte Filia und einen vor Entrüstung rauchenden Xellos zurück. Er spürte ihr auf der Astral Side nach, bis sie ganz verschwunden war. Nur zu gerne wäre er ihr gefolgt, aber was brachte das letztlich schon? Sherra mochte Filia angegriffen haben, aber wenn er sie dafür tötete, würde das seiner Meisterin ernsthaften Ärger mit Grausherra einbringen. Er konnte sich ausrechnen, auf wen ihre eigene Verärgerung dann zurückfallen würde. Xellos seufzte. „Was für ein grausiger Tag“, er sah zum klaren Himmel auf. „Ich finde, so langsam haben wir uns eine Pause verdient, meinst du nicht auch?“ Filia antwortete nicht gleich. Die Wärme kam nur langsam in ihren Körper zurück und erweckte mit ihr die scharfe Wahrnehmung des Schmerzes, der ihr durch alle Knochen ging. Wo Xellos Ringen mit Ceelia ihr noch keine Verletzungen zugefügt hatte, da hatte Sherra das ausgeglichen. Ihre Arme und Beine waren mit Blutergüssen übersät, ihr Gesicht war zerkratzt und ihre Lippen aufgesprungen. Doch all das wurde in den Hintergrund gedrängt von der tiefen Erleichterung, die sie empfand. „Xellos“, sagte sie schließlich und stand auf, wobei sie sich an ihm festhalten musste. „Es geht dir gut.“ „Gut?“ Mit einem schiefen Grinsen drehte er seinen Kopf zu ihr um. „So würd ich das nicht grad bezeichnen. Aber ich lebe, immerhin.“ Filia sah zu ihm auf und seufzte, ob aus Erleichterung oder Resignation; Xellos konnte es nicht sagen. Dann straffte sie sich und rote Flecken erschienen auf ihren zuvor blassen Wangen. „Xellos.“ „Ja?“ fragte er vorsichtig. „Ich verlange eine Erklärung.“ ‚Ach herje’, dachte Xellos und trat unauffällig einen Schritt vor ihr zurück. Das hörte sich ganz nach noch mehr Ärger für ihn an. Und da legte Filia auch schon los. „Was macht diese Mazoku, diese Ceelia hier?“, begann Filia ihn mit Fragen zu bestürmen. „Wer ist sie und warum hat sie uns angegriffen? Und Sherra, warum…“ „Sie ist keine Mazoku“, unterbrach Xellos sie. Filia stutzte. „Was?“ fragte sie ihn verwirrt. „Ceelia ist keine Mazoku“, wiederholte Xellos bestimmt. „Wirklich sie ist eher das Gegenteil. Ihre Magie hat mir deshalb so sehr zugesetzt, weil ihre Basis aus heiliger Magie besteht.“ „Aber“, versuchte Filia verdutzt diese Tatsache zu verarbeiten. „Soll das etwa heißen, dass sie am Ende eine Ryuzoku ist? Das hätte ich doch gemerkt.“ Oder etwa nicht? Xellos zuckte die Schultern. „Alles was ich weiß ist, dass sie irgendetwas mit der Seite der Shinzoku zu tun haben muss“, meinte er schlicht. „Ob sie jetzt ein Drache oder ein Mensch oder was auch immer ist, es ist jedenfalls ganz und gar nicht gut für uns.“ Filia sah in Xellos Gesicht und meinte fast körperlich seine Bestürzung zu fühlen. Mit einem Mal war ihr klar, dass er das ganze hier gar nicht erwartet hatte. Ceelia und wahrscheinlich Sherra auch hatten ihn genauso überrascht wie sie selbst. „Meinst du es besteht ein Zusammenhang zwischen ihnen?“ fragte Filia ihn plötzlich. „Zwischen Sherra und Ceelia.“ „Bei Shabrangido“, Xellos wurde blass. „Alles, bloß das nicht. Ich möchte es lieber nur bei den Shinzoku, anstatt den Shinzoku und einem Mazokuverrräter belassen. Freu dich, Filia“, er grinste schwach. „Die Drachenkönige scheinen ein paar gefährliche Tricks für uns Mazoku ausgegraben zu haben. Schade nur, dass du gerade jetzt auf der falschen Seite stehst.“ Filia runzelte die Stirn. „Ich kann nicht glauben“, sagte sie langsam „dass dies alles ihr Werk ist. Sonst hätten sie diese Art von Magie doch schon viel früher gegen euch eingesetzt. Ich habe nie etwas von einer Technik gehört, mit der man Mazoku auf solch eine Weise binden kann. Außerdem ist da noch etwas…“ Sie verstummte und Xellos sah sie fragend an. Da musterte Filia ihn abschätzend und dann reckte sie sich zu ihrer vollen Größe auf. „Ein Tausch“, sagte sie fest. „Du sagst mir endlich, warum wir hier sind und was unser wirklicher Auftrag ist. Der, den du mir schon die ganze Zeit verschweigst, während mir andauernd alles um die Ohren fliegt. Dafür zeige ich dir, was ich meine.“ Xellos hob eine Augenbraue. „So funktioniert das Diener-Meisterverhältnis nicht, Filia.“ Filia schnaubte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte ihn an. „Ich bin heute zweimal völlig unerwartet angegriffen worden“, begann sie gefährlich ruhig „und wäre mehrere Male beinah zu Tode gekommen und habe trotzdem nicht mal den Hauch einer Ahnung, warum ich hier bin oder was ich hier überhaupt mache. Ich will es jetzt wissen Xellos und komm mir nicht mit deinen Ausreden!“ Am Ende ihrer Tirade hatte sich so richtig schön in Rage geredet. Sie holte einmal tief Luft und grinste ihn dann herausfordernd an. „Glaub mir“, lockte sie. „Der Tausch lohnt sich.“ Xellos sah sie belustigt an. Er versuchte für einen Moment in Filias blassen Gesicht zu lesen, doch alles was er sah und fühlte, waren ein wenig Wut und ihre ganze Entschlossenheit. Ihm war natürlich so klar wie Filia selbst, dass er sie zwingen konnte ihm zu sagen, was sie wusste und nichts dafür im Gegenzug zu geben brauchte. Andererseits hatte er inzwischen nicht mehr das Gefühl, einen Vorteil zu haben, wenn er Filia alles verschwieg. Dafür waren die Dinge nun wirklich zu kompliziert geworden. „Na gut“, lenkte er schließlich ein. „Aber da ist nicht sehr viel zu erzählen. Das ganze hat im Grunde schon vor einiger Zeit angefangen, als eine Gruppe Mazoku einfach verschwunden ist. Bisher ist erst einer von ihnen wieder aufgetaucht und zwar genau hier in der Festung und mausetot noch dazu. Ich soll herausfinden, was es damit auf sich hat.“ Er seufzte. „Zumindest habe ich jetzt eine gute Ahnung, wer für seinen Tod verantwortlich ist. Wenn Ceelia jeden Mazoku, der hier auftaucht, so begrüßt, wie sie uns begrüßt hat, dann kann ich mir schon vorstellen, was sie mit ihm angestellt hat.“ „Sind diese Mazoku denn so wichtig?“ fragte Filia ihn verwirrt. Xellos schüttelte den Kopf. „Nein, das nicht. Aber dass wir so gar keine Ahnung haben, was mit ihnen geschehen ist, ist beunruhigend. Es hat… Zeichen gegeben. Meine Meisterin meinte, dass wir dies nicht ignorieren sollten. Und je mehr wir nachforschen, desto seltsamer wird es…“ „Also“, sagte Filia langsam, die noch immer versuchte, sich einen Reim aus dem ganzen zu machen „suchen wir Diener von Meisterin Zeras, die ohne Erlaubnis verschwunden sind?“ „Nein“, Xellos schüttelte den Kopf. „Sie gehören nicht zu Meisterin Zeras.“ „Dann zu Dynast Grausherra?“, fragte Filia ihn nun noch mehr verwirrt. „Oder Deep Sea Dolphin?“ „Auch das nicht.“ Filia starrte ihn aufgebracht an. „Aber zu irgendjemanden müssen sie doch gehört haben“, sagte sie verzweifelt. „Mazoku entstehen doch nicht einfach so.“ Xellos schüttelte nur den Kopf. „Es ist Zeit“, unterbrach er sie „für deinen Teil der Abmachung. Also, was ist dir so wichtiges noch eingefallen?“ Filia sah ihn finster an. Er hatte ihr mal wieder nur die Hälfte von allem erzählt und wahrscheinlich war es der weniger brisante Teil gewesen. Aber wahrscheinlich konnte sie sich schon glücklich schätzen, überhaupt etwas erfahren zu haben. Schweigend schritt sie an Xellos vorbei und trat in die Mitte der zerstörten Arena. Wie Xellos zuvor zog sie einen Kreis um sich in den Neuschnee, wozu sie ihre Stiefelspitzen benutzte. Dann klatschte sie unter Xellos verdutztem Blick einmal in die Hände und rief ihre heilige Magie zu sich. Während Xellos dabei zusah, wie Filias Körper zu leuchten begann, spürte er Energie um sich herum aus dem Boden strömen. Sie würde doch nicht etwa Ceelia wecken? Doch stattdessen spürte er nun, wie das Siegel aus heiliger Magie, das ihm bisher jeglichen Blick auf die Festung in der Astral Side verwehrt hatte, langsam verging. Es faserte sich auf und verschwand. Natürlich... er selbst hatte Filia darum gebeten sich das Siegel anzuschauen und er erinnerte sich, dass sie ihm etwas hatte sagen wollen. Doch Ceelia hatte sie unterbrochen gehabt. Filia fiel auf die Knie. Sie atmete schwer und Schweiß glitzerte auf ihrer Stirn. „Wenn ich das konnte“, sagte sie zwischen zwei Atemzügen zu dem aus Verblüffung noch immer wie angewurzelt dastehenden Xellos „dann haben es die Shinzoku, von denen du gesagt hast, dass sie früher hier gewesen sind, auch gekonnt. Sie hätten das Siegel jederzeit lösen können und das sie es nicht getan haben, muss einen Grund gehabt haben. Deshalb glaube ich nicht, dass Ceelia auf ihrer Seite steht.“ Xellos schüttelte verblüfft den Kopf. „Meinst du“, sagte er schließlich „dass es dann so klug war dieses Siegel einfach zu brechen?“ Filia zuckte die Schultern, während sie sich mit dem Stoff ihres Umhangs über die Stirn wischte. „Welche Wahl hatte ich schon?“ fragte sie ihn. „Außerdem, wenn das hier wirklich so gefährlich wäre, hätten es die Shinzoku doch gleich zerstört, oder etwa nicht?“ Xellos blickte nachdenklich auf den Boden vor sich, doch seine Augen sahen etwas anderes, sahen viel weiter in die Tiefe. „Vielleicht“, meinte er schließlich „haben sie auch einfach gar nicht gewusst, ob es gefährlich ist oder nicht. Ich glaube nicht, dass irgendjemand etwas hiermit wird anfangen können.“ Von seinen Worten neugierig gemacht ließ Filia ihre Sicht ebenfalls auf die Astral Side gleiten und sah dann überall Magie. Doch ob sie schwarz oder weiß, schamanistisch oder heilig war, konnte sie wirklich nicht sagen. „Was ist das?“ fragte sie und starrte auf die Masse unter sich, die sich ihrer Wahrnehmung als ein Sumpf aus einer schwarzgolden glitzernden Substanz präsentierte. „Das“, meinte Xellos mit einem Anflug von Übelkeit „ist wirkliche ganz und gar vermischte Magie. Das was aus Shabranigdos schwarzer und Ceiphieds heiliger Energie geworden ist, nachdem sie irgendwann vor ein paar tausend Jahren zerfallen sind. Niemand wird das noch einmal entwirren können“, er seufzte enttäuscht. „Ich glaube, wir werden wohl niemals herausfinden, wofür dieser Ort geschaffen worden ist.“ „Na ja“, bemerkte Filia. „Wir könnten immer noch Ceelia fragen. Nicht dass ich besonders scharf auf so einen Versuch wäre.“ Fügte sie noch schnell hinzu. Xellos verzog das Gesicht. „Wenn wir wirklich Pech haben“, meinte er „bleibt uns vielleicht gar nichts anderes übrig. Allerdings glaube ich immerhin schon einen Ort zu kennen, der hinter dieser Magie liegt. Vielleicht müssen wir gar nicht mehr wissen.“ Filia sah ihn neugierig an. „Was meinst du damit?“ „Nun, als Ceelia meinen Geist noch gefangen hielt“, erzählte Xellos ihr „da erwachte ich zuerst in der hellen Sphäre, in der sie sich auch zu jenem Zeitpunkt befand. Zu dem Rest meines Körpers zurückzukehren hat dann zwar nur Sekunden gedauert, aber während dieser Reise hatte ich das Gefühl, durch eine sehr seltsame Art von Materie zu gleiten. Jetzt da ich dies hier sehe, denke ich, dass es die vermischte Magie von Göttern und Dämonen war, die ich gespürt habe.“ „Das ist die Art von Magie mit der wir Dark Star besiegt haben“, erinnerte sich Filia. „ Du meinst also, du warst für einen Moment hinter dieser Barriere?“ Xellos nickte düster. „Ja. Unter uns liegt der Platz, an dem Ceelia Zuhause ist. Und es ist ein trostloser Ort.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)