Abraxas von CriD (Die Sehnsucht in mir) ================================================================================ Kapitel 40: Schuldig -------------------- Schuldig Kain duckte sich... Abraxas! - Der Golem grunzte zornig und hieb ein zweites Mal nach ihm, aber der Vampir war schon lange nicht mehr da. Panisch stürzte er sich auf die Stelle, die eben noch den Freund verschlungen hatte, stampfte auf den Boden - Abraxas! - brüllte vor Zorn und hämmerte die Fäuste auf den weißen Grund. Doch nichts half. Kein schwarzes Loch tat sich auf, kein dunkles Blut spritzte aus dem Boden. Die Ebene blieb bestehen, schimmerte weiß und kalt und hielt verborgen, was sie gefangen hatte. Aus dem Augenwinkel heraus sah er etwas aufblitzen, rollte sich reflexartig auf die Seite und schlug nach dem Arm des Golems, der ihn hatte packen wollen. Blut spritze - aber es war nicht das Blut des Monsters sondern das Kains, der sich zwei Krallen an der steinernen Haut des Ungetüms gebrochen hatte. Der Vampir zischte ärgerlich, ignorierte die schmerzenden Nägel und griff die Steingestalt erneut an. Bevor der Schlag aber traf und er sich doch nur wieder weitere Krallen gebrochen hätte, ließ ihn ein spitzer Hilferuf herumfahren. Karin und Yuuryon waren umzingelt und während der Flussmensch aufgrund akuter Lebensgefahr plötzlich seine männliche, heldenmütige Seite in sich entdeckte, einen Dolch gezogen hatte und damit, trotz wenigen Erfolgschancen, versuchte die Golems auf Abstand zu halten, erging sich Karin völlig in ihrer Angst, presste sich an den Rücken des Diebes, behinderte ihn dadurch noch zunehmend und schrie sich die Seele aus dem Leib. Beides half nichts. Der Kreis wurde immer enger, die hilflosen Dolchstiche immer panischer und die schrillen Angstschreie immer höher. Der Vampir zischte einen Fluch, lies sich zur Seite fallen, wich so erneut dem schnaufenden Golem aus und preschte auf die Runde zu. Der Weg war weit, zu weit für einen Normalsterblichen um ihn in dieser kurzen Zeit zu bewältigen. Aber Kain war nicht normal - er war ein Vampir und er war verdammt wütend. Brüllend vor Zorn stürzte er über die Steingiganten und schlüpfte unter ihnen hindurch. Eine der finsteren Gestalten verlor vor Überraschung, über die schwarze Gestalt, die da zwischen ihren Beinen, wie ein gestaltgewordener Blitz, hindurch schoss, das Gleichgewicht, machte einen unbeholfenen Ausfallschritt, prallte aber gegen einen Weiteren der Hünen und riss ihn mit sich zu Boden. Hinter Kain schepperte es laut - doch er hörte es nicht. In seinen Ohren gellten die Schreie Karins. Diese Schreie würde er ihr austreiben! Yuuryon war nur einen winzigen Augenblick unaufmerksam, als sich Karins spitze Fingernägel erneut in seinen Oberkörper gruben und ihn erschrocken zusammenzucken ließen. Für einen ach so kleinen Moment hatte er die riesige Gestalt vor sich aus den Augen gelassen - er bezahlte diesen Fehler teuer. Der Flussmensch sah nicht, wie der Golem zuschlug - er hörte nur ein merkwürdig krachendes Geräusch, wie von trockenen Ästen, die ihm leichtsinnigen Spiel zerbrochen wurden und gewahrte aus dem Augenwinkel heraus, wie der Dolch, den er eben noch gehalten hatte, im hohen Bogen davonflog. Verwirrt sah er auf seine Hand hinab - warum hielt er den Dolch nicht mehr? Er verstand sofort als er die grotesk abstehende, nutzlos gewordenen Gliedmaße sah - Ach deswegen - Aber erst der fahle Knochen, welcher ihn weiß und kalt aus dem offenem, blutendem Fleisch heraus provokant angrinste, ließ den Schmerz erwachen. Und er erwachte als brüllender Drache. Tausend Höllenfeuer schossen durch Yuuryons Unterarm ,kletterten als pulsierendes Übel den Oberarm hinauf und schlugen heiß und feurig verzerrend gegen Schulter, Brust und Oberkörper, ließen den ganzen Körper verbrennen. Schreiend vor Qual, fiel Yuuryon auf die Knie, riss Karin mit sich und rettet ihnen somit das Leben. Der Golem grunzte verstimmt. Wieder hatte seine gewaltige Faust nur Luft geschlagen. Nachdenklich sah die Höllenkreatur auf das schreiende Bündel vor seinen Füßen hinab. Der Golem bestand nur aus Lehm und Stein, entsprechend langsam und träge war seine Denkweise. Der Gedanke kam langsam, aber umso länger er wartete desto klarer wurde die Idee, welche ein perfides Grinsen auf die steinerne Maske malte, sie entrückte und diabolisch verzerrte. Diesmal - würde seine Faust Fleisch zermalmen. Karin blickte auf, sah in die bösartigen winzigen Augen der teuflischen Kreatur und erkannte darin den eben beschlossenen Gedankengang. Jetzt wagte sie nicht einmal mehr zu schreien. Das Mädchen schloss die Augen und versuchte sich auf den kurzen Moment des Schmerzes vorzubereiten, dem sofort eine alles verschlingende Dunkelheit folgen würde. Die gewaltige Klaue sauste hinab - es war vorbei - und das Mädchen fühlte sich hinfort gerissen. Doch der erwartete Schmerz blieb aus. Verwirrt öffnete Karin die Augen und schrie erschrocken auf, als sie die wüsten Steinfiguren unter sich hinwegrauschen sah. "Sei ruhig!", schrie Kain. "Ich lass dich sonst fallen!" Sofort war das Mädchen still. Ihr Glück, der Vampir hätte sie wirklich losgelassen, wenn sie ihm weiter die Ohren vollgeheult hätte. Es genügte schon, dass er heldenhaft in den Kreis der Steinernen gesprungen war und nicht nur Yuuryon sondern auch diese Göre gerettet hatte. Sah ihm gar nicht ähnlich. Aber generell musste sich Kain sowieso schon genug konzentrieren, mit jeweils einem Gewicht unter den Armen im wilden Galopp über die Giganten nicht doch einen Fehltritt zu machen, der möglicherweise der letzte seines Lebens sein konnte, da durfte man ihm nicht noch die Ohren zum Springen bringen. Rücksichtslos presste Kain die beiden Gefährten an sich - Yuuryon wimmerte leise - erreichte endlich den Letzten der Steinernen, sprang zu Boden und lief was die Beine hergaben den Ungetümen davon. - Wo war nur Abraxas? - Genau das fragte sich der in diesem Moment auch. Großartig veränderte hatte sich die Umgebung nicht, sie war immer noch weiß, aber über sich konnte er nun die Ausläufe einer kristallenen Kuppel erkennen - die Weite war also verschwunden. Das war aber auch alles. Wo war er nur? Das aber war nur eine von vielen Fragen, die dem Vampir durch den Kopf schwirrten. Viele Gedanken, aber nicht alle von gleicher Bedeutsamkeit. Ganz an erster Stelle stand der Schmerz und dieses dumpfe, pulsierende mehr als nur unangenehme Gefühl, welches man vielmehr als dauerhaft quälenden Zustand denn als Gedanken bezeichnen konnte, beherrschte alles andere, drängte die wichtigeren Fragen zurück, lies sie klein und unwichtig erscheinen und erhob sich zum größten und grausamsten aller gedankenbestimmenden Übel. Abraxas versuchte sich zu bewegen - es gelang ihm nicht. Sein Körper fühlte sich taub an, tot - wie auch sein Geist - und doch jagte bei jedem Atemzug feurige Pein durch seinen gebrochenen Körper, ließ ihn erzittern und bei jeder noch so winzigen Erschütterung kamen neue Wellen der flammenden Qual. Es hörte nicht auf. Wie hatte er nur so dumm sein können - So einfältig? Natürlich... Das war die Strafe, dass er sich von einer Frau - keiner Frau, einer pupertierenden Göre - derart hatte an der Nase herumführen lassen. Es geschah ihm nur Recht, hätte Kain jetzt wohl gesagt. "Und damit würde er die Wahrheit sprechen", kicherte es höhnisch irgendwo links von Abraxas. Die Augen des Vampirs waren geschlossen, aber selbst wen sie offen gewesen wären, wäre er nicht in der Lage gewesen den Kopf so zu drehen, dass er den Besitzer der Stimme sehen könnte. Das brauchte er aber auch nicht. Ohne dass er sie sah, wusste er wem die Laute gehörte - erkannte sie sofort an dem leisen Glockenklingeln, der gesprochenen Worte und dem ewig höhnischen Lächeln, welches sich sogar in ihrer Stimme niederschlug. Das Mädchen hatte ihm bereits im Vollbesitz seiner Kräfte Angst eingejagt, nun aber da er plötzlich erkennen musste, dass er hilflos und ihr vollkommen ausgeliefert war, wandelte sich diese Angst in nackte Panik. Wie absurd. Sie war nur ein Mädchen - ein dummes Kind, dass sich zu weit von der Mutter Rockzipfel entfernt hatte. Möglich, möglich und doch war es dieses Kind, dass seine Schicksalsfäden im Moment in der Hand hielt. Nur ein Kind, aber Abraxas wusste zu was für grausamen Dingen gerade Kinder zuweilen fähig waren und dieser Umstand gefiel ihm überhaupt nicht. Plötzlich hörte er wie das Mädchen begann langsam um ihn herum zu wanderen. Zaghaft öffnete er die Augen und war erstaunt über den nachdenklichen Gesichtsausdruck, mit dem sie ihn bedachte. Schließlich blieb sie stehen, nah bei ihm, so dass sie auch der verletzte Vampir problemlos sehen konnte. Nachdenklich sah sie auf ihn herab, wiegte den Kopf leicht hin und her und schwieg. Abraxas schwieg ebenfalls. Er wagte nicht die Fragen zu stellen, die ihn auf der Seele brannten, wagte nicht seiner Wut auf sie, vor allem aber auf sich selbst Ausdruck zu verleihen, aus Furcht vor ihrer möglichen Reaktion. Warum hatte er eigentlich Angst? Wovor? Wovor sollte er sich denn noch fürchten? Vor dem Tod? Sicher das Mädchen war durchaus in der Lage in jetzt umzubringen, wenn sie es denn wollte. Er konnte ihr nichts entgegen setzten. Jeder unbedeutende Mensch hätte sich jetzt seiner entledigen können - jeder. Aber das war es nicht. Abraxas hatte keine Angst vor dem Tod. Der Gedanke, dass alles enden könnte und eines Tages, möglicherweise heute auch enden würde, hatte nichts Erschreckendes an sich. Vielmehr erschien es ihm als Trost, dass diese unsagbare Leere, dieses schwarze Loch in seiner Brust, dass ihn wie magisch anzog und in das er drohte hineinzustürzen auch nicht für immer existieren würde. Dann wenn alles andere ausgelöscht wurde, würde auch dies verschwinden - dann würde er endlich seinen Frieden finden. Alles würde sich im Nichts vereinen und bedeutungslos werden. Nein, davor fürchtete sich Abraxas nicht - er sehnte den Tag herbei, an dem endlich alles verschwinden würde. Aber noch war es nicht zu Ende, noch war es nicht vorbei und vor dem, was vor dem Nichts kam - davor hatte er Angst. Angst vor der Qual, den Schmerzen. Manche mochten sagen, dass, wenn einmal ein gewisser Grad an psychischen Leid erreicht war, wenn die eigene Seele kurz davor stand zu zerspringen, körperlicher Schmerz bedeutungslos wurde. Abraxas sah das anders. Wenn alles in einem erstarrt war, so dass niemand mehr in der Lage war durch diese stählerne Mauer zu dringen, dann erst konnte man lernen, was wirkliche Qual war. Und Abraxas fürchtete sich davor, wie vor nichts anderem. Er hatte schon genug gelitten. Deswegen schwieg er, schwieg um nicht ihren kindlichen Zorn zu erwecken. "Ich verstehe es nicht", riss sie ihn plötzlich aus seinen Gedanken, ließ sich in die Hocke sinken und strich ihm die Haare aus dem Gesicht, welche sich störrisch über seine Augen gelegt hatten. "Was verstehst du nicht?",wollte Abraxas wissen und erschrak über den müden und abgekämpften Klang der eigenen Stimme. Es schien als würde er sich selbst von ganz weit weg hören, als wäre er nur noch ein unbeteiligter Zuhörers eines Szenarios, das ihn nicht interessierte. Das Mädchen musste den veränderten Klang wohl auch wahrgenommen haben, den ein spöttisches Lächeln legte sich über die ansonst so ernsten Züge. "Dein Körper ist zertrümmert",stellte sie sachlich fest. "Du bist mir vollkommen hilflos ausgeliefert." "Ja... Wenn du mich töten willst, hast du jetzt die Gelegenheit dazu.",sagte Abraxas leise. "Aber du solltest dich beeilen. Kain wird sicher kommen, um mich zu retten." Das Mädchen lachte. "Kain, ja... der wird kommen. Das steht ganz außer Frage. Siehst du? Und das verstehe ich nicht." Langsam richtete sie sich auf. Auf einmal hatten ihre Bewegungen jede Geschmeidigkeit verloren, jede Eleganz - sie wirkte nur noch unheimlich müde und erschöpft. "Du nutzt ihn aus!" Abraxas schwieg. Was sollte er auch antworten, wenn sie von Dingen sprach, die offensichtlich waren. "Und trotzdem wird er kommen. Obwohl er spätestens nachdem ich mit ihm gesprochen habe wissen muss, wie du wirklich über ihn denkst.",sagte sie bitter und machte eine wegwerfende Handbewegung. "Und obwohl er das weiß, hat er mich ohne zu zögern zurückgewiesen, als ich ihn bat dich zu vernichten. Und er ist nicht der einzige!" Plötzlich war sie über Abraxas. Der Vampir stöhnte gequält auf, als sich ihr Gewicht auf seine gebrochenen Rippen lagerte. Sie bemerkte es, aber anstatt ihm Erleichterung zu verschaffen und von ihm runter zu gehen, stützte sie sich derart auf ihn, dass der Druck auf seinen Brustkorb noch zunahm. "Erbärmlich",kommentierte sie und musterte angewidert den verletzten Vampir. "Du bist erbärmlich! Ich habe gedacht, wenn ich endlich vor dir stehe, wenn ich dich versuche zu bezwingen, dann würde ich verstehen, was dich ausmacht. Aber ich verstehe nichts. An dir ist nichts Besonderes. Du unterscheidest dich überhaupt nicht von jedem anderen dummen Vampir. Warum also? Woran liegt es dann?" Abraxas war verwirrt. Er verstand immer weniger wovon sie sprach. Was wollte sie denn eigentlich? Und woher kannte sie ihn? Das Mädchen erhob sich und augenblickliche verschwand der mörderische Druck auf seinem Oberkörper und Abraxas bemerkte endlich, dass die Schmerzen allgemein nachließen. Sein Körper begann zu heilen. Sie bemerkte es nicht. Aufgebracht lief sie neben Abraxas hin und her, die Arme vor dem Körper verschränkt, die schönen Haare wehten im eiskalten Wind hinter ihr her. Und wieder erschien sie ihm vertraut und nah, als müsste er wissen um wen es sich bei ihr handelte - aber die Angst blieb. "Eigentlich ist es egal",stellte sie lächelnd fest, blieb stehen und sah mit einem eigentümlichen Lächeln auf Abraxas hinab. "Ich muss es nicht verstehen. Was es auch ist, es wird mit dir verschwinden. Ich muss dich nur töten und alles ist vorbei." "Warum willst du mich töten?", wollte der Vampir wissen. "Ich kenne dich überhaupt nicht! Ich habe dir nichts getan." Ein trockenes Lachen brach über die schönen Lippen. "Nichts getan? Halte mich nicht zum Narren! Du bist doch an allem Schuld! Nur du!" Langsam fühlte sich Abraxas wieder stark genug, dass er sich hätte aufrichten können. Trotzdem tat er es nicht. Das Mädchen musste nicht wissen, dass er nicht mehr so hilflos war, wie sie annahm. Sie glaubte, dass sie ihn töten konnte? Im Moment schon noch, aber nicht mehr lange und bis dahin musste er Zeit schinden. "Woran trage ich die Schuld? Ich verstehe das nicht. Erklär es mir!",forderte er vom Boden aus - teils aus Berechnung, teils aus echter Neugier. Warum hatte dieses Mädchen solch einen Hass auf ihn? Für einen Moment sah es so aus, als wolle sie nicht antworten. Misstrauen spiegelte sich in ihren Augen. Hatte sie gemerkt, dass ihr die Zeit davon lief? Scheinbar nicht, denn ihr Gesicht verzerrte sich auf einmal vor offenen Hass. "Du bist Schuld, dass meine Mutter mich nicht liebt!" Kain setzte seine beiden Gefährten ab. Die Steingestalten waren verschwunden. Er hatte sie weit hinter sich gelassen, war gerannt und gerannt, bis nichts mehr von ihnen zu sehen gewesen war. Aber jetzt war er am Ende seiner Kräfte angekommen. Erschöpft von dem Marathonlauf ließ er sich auf die Seite fallen und schnappte atemlos nach Luft. Aber ihm blieb nicht lange Zeit, sich zu erholen. Neben ihm hörte er Yuuryon leise stöhnen und jetzt nahm er auch den stechende Blutgeruch wahr, den der Flussmensch verströmte. Verwirrt richtete sich Kain auf, richtete seinen Blick auf Yuuryon. Der Dieb begegnete seinem Blick hilflos. Er schien starke Schmerzen zu haben. Stumme Tränen rannen seine Wangen hinab. Trotzdem war sein Blick klar. Die Angst gestattete seinem Verstand nicht, sich einfach zurückzuziehen. Er zitterte leicht. Das Hemd, an das er die verletzte Hand presste, war blutgetränkt. Kain konnte nichts erkennen, da er die Linke darüber hielt, wohl um das dunkle Blut, welches immer noch sacht zwischen seinen Fingern herab tropfte, zurückzuhalten. Sanft beugte sich Kain zu Yuuryon, zog den linken Arm sacht beiseite. Der Flussmensch ließ es widerstandslos geschehen. Was darunter zum Vorschein kam ließ Kain erschrocken zusammen zucken, und entlockte Karin einen angewiderten Schrei. Dann drehte sie sich auch schon hastig weg und übergab sich hustend. Yuuryons Handgelenk war zersplittert. Seine Hand stand in einem unmöglichen Winkel zum eigentlichen Unterarm. An der Bruchstelle lugte weiß und fahl der Knochen hervor, Fleisch und Sehnen waren zerrissen, hingen in Fetzten herab und immer noch strömte schillerndes Blut aus der Wunde. Kain war ratlos. Er wusste nicht, was in solch einer Situation zu unternehmen war. Wie auch, wenn bei einem selbst, sich alle Wunden von ganz allein wieder schlossen? Trotzdem wusste er, dass zu hoher Blutverlust, tödlich enden konnte - immerhin galt das ja sogar für Vampire. Außerdem musste Yuuryon sowieso noch recht geschwächt von Kains erster Attacke sein, wenn er jetzt schon wieder in diesem Maß Blut verlor... Als hätte der Flussmensch nur auf dieses Zeichen gewartet, kippte er plötzlich vornüber, wurde aber sofort von Kain festgehalten. Der Vampir schüttelte ihn grob. "YUURYON!", rief er wütend, doch klang die Sorge um den jungen Mann deutlich aus seiner Stimme hervor. "Wag es ja nicht einzuschlafen! Hörst du? Wag das ja nicht! Ich prügle dich windelweich! Ich sag's dir!" Der Flussmensch grinste müde. Scheinbar war doch noch nicht alles verloren. "Mädchen! Scher dich her!", rief Kain nach Karin, aber die Tempeldienerin bewegte sich nicht. Nur ein Blick in Yuuryons Richtung, auf Kain, dessen Hände mittlerweile auch voller Blut waren, reichte aus um ihren Magen soweit zu strapazieren, dass er auch noch das letzte bisschen Inhalt von sich gab. Wütend sprang Kain auf die Beine - "Schlaf ja nicht ein!" - lief zu Karin und zerrte sie grob zu Yuuryon hinüber. "Wenn du kotzten musst, von mir aus! Aber hilf mir gefälligst!", herrschte er sie an, griff im nächsten Moment nach dem unteren Rand ihrer Robe und riss sie mit einem harten Ruck kurz über den Knien ab. "Was tust du!?", kreischte sie erschrocken auf und wollte nach dem Stofffetzen greifen. Kain schlug ihre Hand spielerisch zur Seite und schubste sie zu Boden. "Reg dich nicht künstlich auf!",schimpfte er, während er nebenbei Yuuryon traktierte, der schon wieder weg zu dämmern drohte. "Ich brauch' was zum Abbinden! Und so kurz sieht's eh besser aus, als vorher!" Grob riss er den Stoff in Streifen und versuchte vorsichtig Yuuryons Handgelenk abzuwinden. Prompt begann der Flussmensch wieder stärker zu weinen, aber kein Laut kam über seine Lippen. Er hielt sich tapfer. Wahrscheinlich half ihm die Anstrengung nicht zu schreien dabei nicht einzuschlafen. Kains Hilfeversuche waren plump und ungeschickt - einen Preis für den schönsten Verband, hätte er in jedem Fall nicht bekommen - trotzdem erfüllte der merkwürdig gewickelten Stofffetzen den Dienst, zu welchem er gedacht war. Als die Blutung endlich nachließ, befestigte Kain, aus den verbliebenen Stoffstreifen, eine Schlinge um Yuuryons Hals, in die er vorsichtig seinen Arm bettete. Kommentarlos ließ der Dieb alles über sich ergehen, starrte stupide geradeaus und begann sich langsam zu fragen, was denn eigentlich los war. Verwirrt suchte er in seinen Erinnerungen nach einer Erklärung und wurde zunehmend unruhiger als er keine Antwort finden konnte. "He Yuu, was ist los?" Überrascht hob Yuuryon den Kopf, blinzelte Kain einen Moment lang ausdruckslos an - Wer war das gleich noch mal? Ah ja, der komische Vampir, von dem er noch nicht mal den Namen wusste - dann erinnerte er sich an die Frage, die ihm gestellt wurden war. "Ich hab Angst",antworte er kläglich. Oh, die hatte Kain auch. Sie hatte ihn nicht mehr losgelassen, seit ihnen die Wände um die Ohren geflogen waren. Trotzdem lächelte er aufmunternd. "Brauchst du nicht. Es wird alles gut. Vertrau mir." Dann bemerkte er, dass Yuuryon zitterte. Ohne groß nachzudenken, zog er seinen Mantel aus und schlang ihn um den Flussmenschen. Er brauchte ihn ja eh nicht wirklich - sah nur schick aus. "Es wird alles gut!",wiederholte er leise und je öfter er die Worte, einer magischen Formel gleich, immer wieder aufsagte, desto mehr glaubte er auch selbst daran. Es wird alles gut... Hinter ihm begann Karin plötzlich wieder zu schreien. Alarmiert drehte sich Kain in ihre Richtung. Für einen kurzen Augenblick setzte sein Herzschlag aus. Viel schneller als erwartet hatten die Steingestalten sie erreicht. Und kam es ihm nur so vor, oder bewegten sie sich viel rasanter als noch zu Beginn? Darüber nachzudenken ließ sich Kain keine Zeit. Hastig hob er Yuuryon auf die Arme, sprang auf die Beine und preschte davon. "Lauf",schrie er Karin noch zu, war sich aber schon nicht mehr sicher ob sie ihn noch gehört hatte. Die Tempeldienerin hatte. Doch hätte es dieser Aufforderung nicht mehr bedurft. Bereits nachdem sie ihren ersten Schock überwunden hatte, hatte sie von ganz allein auf der Stelle kehrt gemacht und war davon gelaufen. Der Vampir war natürlich trotzdem viel schneller als sie. Hilflos musste sie mit ansehen, wie die Entfernung zwischen ihnen immer größer wurde. Panik breitete sich aus. "So warte doch", rief sie atemlos, achtete kurz nicht auf die eigenen Schritte, blieb prompt an einer winzigen Bodenerhebung hängen und schlug krachend der Länge nach hin. Sofort waren die Giganten über ihr. Sie waren schneller geworden! Diesmal würde sie niemand retten. Das Mädchen begann zu weinen. Nein, so konnte es doch nicht enden! Nicht so schnell! Was hatte sie den getan! Nichts! Gar nichts! Das war so ungerecht! "Lasst mich in Ruhe! Hört auf!",schluchzte sie aufgebracht. "LASST MICH IN RUHE!" Und das Wunder geschah. Die Natur verharrte stillschweigend und wartetet. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)