Eisblaue Augen von Chi_desu (Shounen-Ai) ================================================================================ Kapitel 12: Geständnisse ------------------------ Ich war derjenige, der zuerst aufwachte. Ich lag neben ihm, auf der Seite in seine Richtung. Er lag auf dem Rücken, Arme und Beine weit von sich gestreckt und beanspruchte damit fast das ganze Bett für sich. Er sah geradezu unverschämt süß aus wenn er schlief, aber ich hatte nicht lange Zeit, mich an dem Anblick zu erfreuen. Denn mein schlechtes Gewissen packte mich. Ich stieg vorsichtig aus dem Bett und ein Blick auf den Wecker zeigte mir, dass es kurz nach zehn Uhr morgens war. Ein wenig peinlich berührt angelte ich nach meinen Shorts und schlüpfte hinein. Immer mehr Erinnerungen an den gestrigen Abend stiegen in mir hoch, und eigentlich waren es sehr schöne Erinnerungen. Nur jetzt, im Licht des Tages, im nüchternen Zustand betrachtet, da fühlte ich mich einfach nur schlecht. Ich hatte Anya eiskalt betrogen, ohne auch nur einen Gedanken an sie zu verschwenden. Ich ging zur Balkontür und schob den Vorhang zur Seite. Ich war überrascht. Es regnete. Der Himmel war wolkenverhangen, und dabei war die Nacht noch so klar gewesen. Wie schnell sich alles ändern konnte... Und was sollte ich jetzt tun? Ich war verlobt, und ich mochte Anya ja auch, nein, ich liebte sie. Aber Kay... Ich warf einen Blick auf ihn. Ihn liebte ich auch. Konnte man zwei Menschen gleichzeitig lieben? Für wen sollte ich mich entscheiden? Oder würde er mal wieder aufwachen und nüchtern einen Rückzieher machen? Mir damit die Entscheidung abnehmen? Ich ließ den Vorhang los und setzte mich auf den Fußboden vor dem Bett. Seine Hand hing über dem Bettrand und ich nahm sie ganz vorsichtig. Einen Moment lang sah es so aus, als würde er aufwachen. Aber sein gleichmäßiges Atmen hörte nicht auf und ich strich über seine weiche Haut. Ich lehnte meinen Kopf gegen das Bett. Das alles war so merkwürdig. Auf einmal kam mir wieder das Sommerfest von damals in den Sinn, und mein gewaltiger Liebeskummer. Wenn ich damals gewusst hätte, dass ich einmal so neben ihm aufwachen würde... Sein Atem stockte und seine Hand umfasste meine. Ich hob den Kopf. Er hielt kurz die Luft an und atmete dann zischend aus. Dann drehte er sich auf die Seite und sah mich an. Seine blauen Augen fixierten meine, aber auf eine angenehme Art. Lange schaute er mich an. Ich war nicht gespannt, unruhig oder unsicher. Es lag eine merkwürdige Ruhe in der Luft. Er öffnete den Mund und sagte: "Ich liebe dich." Diesmal war es sein Ernst. Man konnte es in seinen eisblauen Augen sehen. Ich sah es. Es war, als würde mir jemand die Kehle zuschnüren. Ich drückte seine Hand und rang nach Worten. Meine Augen brannten und plötzlich lief etwas über meine Wange. Ich weinte. Das letzte mal, dass ich geweint hatte, war damals bei unserem Abschied gewesen, um Mitternacht beim Sommerfest. Seine Augenbrauen wölbten sich und sein Gesicht sah plötzlich besorgt aus. Ich drückte seine Hand an meine Wange und sagte ihm ehrlich: "Ich weiß nicht, was ich tun soll. Vielleicht... vielleicht hab ich einen großen Fehler gemacht. Anya und ich haben uns verlobt, weißt du? Es tut mir leid, aber ich... ich brauche etwas Zeit, um eine Entscheidung zu treffen." Vermutlich hätte ich jede Reaktion von ihm erwartet, nur diese nicht. Er setzte sich auf und lächelte mich an, auch wenn man deutlich merkte, dass es aufgesetzt war. "Das ist okay.", sagte er. "Nimm dir so viel Zeit wie du brauchst. Bei mir hat es immerhin über fünf Jahre gedauert." Er wickelte die Decke um sich und stieg aus dem Bett. Ohne ein weiteres Wort streifte er an mir vorbei und zog sich an. Er drehte sich nicht mehr zu mir um sondern murmelte nur ein leises: "Ruf mich an." Dann knallte plötzlich die Tür und er war weg. Ich stemmte mich mühsam in die Höhe und schlurfte ins Bad. Die nächsten Tage und Wochen waren die Hölle für mich. Ich war ständig nur am Grübeln. Mein Verstand wälzte lauter dämliche Argumente, versuchte mir zu sagen, warum ich mich wofür entscheiden sollte. Je mehr ich nachdachte, umso dümmer erschien es mir, sollte ich mich für Kay entscheiden. Und trotzdem war es das, was ich mir am sehnlichsten wünschte. Zweites Problem war die Arbeit. Das Sommerfest war nun beendet, aber es galt noch, einen Projektabschlussbericht zu machen, und natürlich die Aufräumarbeiten und alles andere zu koordinieren. Außerdem lief mein Telefon geradezu heiß, lauter Leute gratulierten mir zu meinem Erfolg und meine Chefs versprachen mir - rein inoffiziell natürlich - dass ich schon bald meine Aufstiegsmöglichkeit bekommen sollte. Aber das alles war für mich nur zweitrangig. Ich hatte ganz andere Probleme. Und die Zeit drängte, obwohl mir Kay alle Zeit der Welt zugesichert hatte. Er würde auch nicht ewig warten. Und Anya wurde auch schon langsam misstrauisch, sie merkte natürlich, dass mich etwas bedrückte und unsere Telefongespräche wurden immer knapper, weil ich ihr natürlich nicht sagen konnte, was mir zu schaffen machte. Ich versuchte, mich zu entscheiden. Lief deswegen tagelang wie ein Zombie durch die Gegend, machte lange Spaziergänge und versuchte, einen klaren Kopf zu bewahren. Letzten Endes war es Blödsinn. An einem heißen Sommertag hielt ich es nicht mehr aus, ich wachte morgens auf und entschied, dass es reichte. Ich rief in der Firma an und nahm mir frei, packte ein paar Sachen ein und fuhr nach Köln. Ich musste unbedingt mit Anya sprechen, so schnell wie möglich. Sie war zwar überrascht, freute sich aber auch über meinen überraschenden Besuch. Da sie noch Studentin war, war es kein Problem, mal einen Tag lang nicht die Vorlesungen zu besuchen und wir verbrachten einen wundervollen gemeinsamen Tag. Schnell waren auch meine Gefühle für sie wieder da, sie war einfach ein liebes, süßes Mädchen. Und deswegen musste ich ihr auch die Wahrheit sagen. Was ich da getan hatte, quälte mich. Ich hatte sie betrogen und sie musste das wissen. Insgeheim hoffte ich vielleicht auch, dass sie mich verlassen und mir damit meine schwere Entscheidung abnehmen würde. Als wir abends zurück kamen (sie wohnte im Studentenheim) wurde ich sehr still. Ich grübelte darüber nach, wie ich ihr das bloß beibringen sollte. Sie merkte, dass mich etwas bedrückte und wir setzten uns aufs Bett. "Was hast du denn heute, Lukas?", fragte sie. "Du warst schon den ganzen Tag über so komisch, und jetzt bist du auf einmal so still geworden. Warum bist du hier? Du hast doch was." "Anya.... ich muss dir was sagen.", murmelte ich unsicher. "Was denn?", fragte sie und sah mich aus großen Augen an. "Ich... Anya, ich hab... ich... hab..." Gott, ich stammelte herum wie der letzte Idiot. Und sie schaute mich aus unwissenden, vertrauensvollen Augen an...! Ich seufzte unhörbar. "Ich hab... dich lieb." Oi. Ich war immer noch der gleiche Feigling wie vor fünf Jahren. Anya lächelte. "Ich dich auch, Lukas." Ich lächelte schief zurück und verdrehte innerlich die Augen. Ich war keinen Schritt weiter gekommen. Ich musste es sagen. Ich musste einfach. Es war nicht richtig, ihr etwas vorzulügen. Das hatte sie nicht verdient. Es dauerte den halben Tag und fast den ganzen Abend, bis ich es wagte. Wir saßen gerade vor dem Fernseher und vor lauter Anspannung bekam ich die Handlung nicht mit. In meinem Kopf wälzte ich tausend Möglichkeiten, wie ich es ihr sagen könnte. Im Endeffekt machte ich es dann auf die allerdämlichste Weise, die man sich vorstellen konnte. Anya schmachtete gerade dem Helden entgegen, da platzte ich heraus: "Anya! Ich hab mit Kay geschlafen!" Ich glaube, im ersten Moment kapierte sie gar nicht, was ich da gesagt hatte. Sie war ganz still, Ewigkeiten lang, so still dass es mir den Magen umdrehte. Oh Gott. Ich musste etwas tun, irgendwas, Hauptsache sie würde mich nicht mehr anschweigen. "Anya, sag doch was!", murmelte ich heiser. "Schrei mich an, aber sag endlich was!" Ich griff automatisch nach ihrer Hand, und das brachte sie zum Explodieren. "Fass mich nicht an!!!!!", fauchte sie mich hysterisch an und sprang auf. "Ist das ein Witz? Wenn das einer ist, kann ich nicht darüber lachen!", schrie sie. "Du hast mit diesem KERL geschlafen!? Bist du schwul??" "Nein... ja... ich weiß nicht! Ich hatte zu viel getrunken, und er auch. Er hat mich geküsst und dann ist es halt passiert!", stammelte ich. Das kleine Detail, dass wir zwischen dem Kuss und dem Sex erstmal nach Hause gegangen waren ließ ich wohlweislich weg. Es war ja im Grunde eine Kurzschlussreaktion von mir gewesen und so sollte sie es auch glauben. "Dann ist es halt passiert??", wiederholte sie. "Spar dir deine blöden Erklärungen! Du hast mich betrogen, mit einem Mann! Was..." Ihre Stimme überschlug sich. Sie atmete tief ein und beendete wesentlich ruhiger ihren Satz: "Was erwartest du denn von mir?" Ich konnte ihr darauf keine Antwort geben. Sie schüttelte ihren Kopf und schaute an die Decke. Ich saß hilflos auf der Couch und wartete. "Liebst du ihn?" Die Frage traf mich unvorbereitet. "Nein...", rutschte es mir heraus und ich spürte in dem Moment, wo ich es aussprach, dass es eine Lüge war. Aber ich wollte nicht, dass sie es wusste. Ich hatte nicht vor, sie für ihn zu verlassen... aber wahrscheinlich wollte sie jetzt sowieso nichts mehr mit mir zu tun haben. Wieder schüttelte sie ihren Kopf und murmelte: "Ich hab gleich gewusst, dass da was nicht stimmt. Wie du ihn angesehen hast..." Sie blieb stehen. "Ich muss das verarbeiten... Lukas, geh bitte." "Aber..." "Verschwinde!!" Mit gesenktem Kopf schlich ich mich aus der Tür und ließ Anya allein zurück. Ich mietete mich für diese Nacht in einem Hotel ein, weil ich keine Lust auf komische Fragen meiner Eltern hatte. Und ich sollte in diesem Hotel fast die ganze Woche über wohnen. Wenn ich versuchte, Anya anzurufen, nahm sie nicht ab. Wenn ich an ihrer Tür klopfte, öffnete mir niemand. Anya setzte ein deutliches Zeichen, sie wollte mich nicht sehen. Vielleicht hätte ich abreisen sollen. Dann hätten wir uns getrennt und die Sache wäre ein für alle mal vorbei gewesen. Aber was für ein Abschied wäre das gewesen? Ich blieb in Köln. Ich versuchte, ihr zu vertrauen, unserer Beziehung zu vertrauen. Sie würde kommen, sei es auch nur, um mir zu sagen dass ein für alle mal Schluss sei. Und am sechsten Tag kam sie. Zuerst rief sie an und ich sagte ihr den Namen meines Hotels. Am Abend dann tauchte sie dort auf. Ich bat sie herein und sie setzte sich. Zwischen uns herrschte unangenehme Stille. Ich rechnete mit dem Schlimmsten. "Lukas?", fragte sie unsicher in die Stille hinein. "Liebst du mich überhaupt noch?" "Natürlich.", antwortete ich, und es war die Wahrheit. "Willst du mich denn immer noch heiraten?" "Ja." Sie stand auf und kam zu mir, lehnte ihren Kopf an meine Brust. "Dann will ich um unsere Beziehung kämpfen. Ich hab dich sehr gern, und du hast gesagt, du warst betrunken, als du mit ihm..." Sie konnte es nicht einmal aussprechen. "Ich will dir so gern verzeihen, aber ich weiß noch nicht, ob ich das kann. Fahr zurück nach Salzburg und gib mir etwas Zeit." "In Ordnung.", flüsterte ich und umarmte sie. Ich war einfach nur froh, dass sie mich nicht gleich zum Teufel gejagt hatte. Noch am selben Abend fuhr ich zurück nach Salzburg. Anya ließ mich ewig warten. Diese Zeit der Ungewissheit war schlimm für mich und ich war ständig geknickt. Meine Freunde in Salzburg merkten das irgendwann und entschlossen sich, mich aufzuheitern. Sie hatten von meiner Hochzeit Wind bekommen und wussten natürlich nicht, dass es nicht mal feststand, ob die Hochzeit überhaupt noch stattfinden würde. Sie glaubten wohl, ich hätte kalte Füße bekommen und wäre deshalb so traurig. Also entschloss man sich, eine Party zu schmeißen, zu Ehren des "bald frisch gebackenen Ehemanns", oder auch eine vorgezogene Junggesellenparty. Oh, und sie machten es wirklich raffiniert! Tagelang hatte ich das Gefühl, die anderen verheimlichten mir irgendwas, aber ich kam einfach nicht hinter das Geheimnis (und das obwohl ich wirklich höllisch neugierig bin!). Sie schafften es sogar, bei einem Besuch bei mir zu Hause (mit fadenscheinigem Vorwand) mein Adressbuch zu klauen. Und ich Idiot wunderte mich noch, wo ich es hatte liegenlassen. An einem Freitag klingelten sie bei mir Sturm und als ich die Tür aufmachte, stürmten sie an mir vorbei in die Wohnung, beladen mit Bierkisten und CDs. Da erfuhr ich, dass ich eine Party gab. Schon eine Stunde später trudelten die ersten Leute ein. Zuerst Leute die ich kannte, aus der näheren Umgebung eben, und nach und nach füllten sich meine bescheidenen Wohnräume mit Leuten die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Die Anlage wurde voll aufgedreht und ich befürchtete, morgen früh würde mich mein Vermieter glatt vor die Tür setzen. Ich war sprachlos, aber nur solange bis man mir das erste Bier in die Hand gedrückt hatte. Diese Party war der absolute Hammer und etwa zwei Stunden lang amüsierte ich mich einfach köstlich. Bis plötzlich ein Gast durch die Tür schritt, bei dessen Anblick ich mein Bier über den Tisch prustete. Blondes Haar, unter dem blaue Augen hervorstachen, ein hochgewachsener junger Mann betrat den Raum. Ich packte mir den nächstbesten meiner Freunde und fragte ihn: "Was zum Teufel macht Kay hier??" "Kay? Kay wer?", machte er unschuldig. "Ach sooo.. jetzt fällt's mir wieder ein... tja der stand auch in deinem Adressbuch. Sogar ganz vorne, nur unter ,Kay'." "Ihr. Habt. Kay. Eingeladen." "War das falsch?" Ach du Scheiße! Ich schüttelte geschlagen meinen Kopf und murmelte ein: "Aber nein. Anya wird mich köpfen, aber das ist kein Probleeem." Mein Kampfgeist erwachte. Na schön! Kay war hier, aber das musste ja noch nichts heißen. Meine Wohnung war zum Bersten voll mit Leuten und er hatte mich noch nicht gesehen. Ich würde einfach untertauchen und ihm für den Rest des Abends nicht begegnen! Genau! Es war ein brillanter Plan. Er hätte sogar funktionieren können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)