Ein mal eins von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 4: 4*[cos(pi)+i*sin(pi)] -------------------------------- Noch am selben Tag wunderte sich Madam Boublils, Wäscherin von Beruf, warum ein ihr vollkommen fremder Mann ihr unbedingt ein Kleid abkaufen wollte. In der Rue de Hèrold fragte sich einer der fahrenden Händler, warum ein Käufer verzweifelte, nur weil das Kaminrot ausgegangen war. Madam Ferras, Besitzerin eines Bordells in der Rue de l'Albresec, führend unter diesen Etablissements in ganz Paris, stutzte über einen Gast, der nicht gewillt war nach einem ihrer Mädchen zu fragen, sondern fast panisch nach Lippenrot verlangte und auf die Frage, ob sie ihm mit einem Knaben dienlich sein konnte mit völligem Unverständnis reagierte. Leichenblass und mit Schweißperlen auf der Stirn erwarb sich jemand bei Monsieur Lecouvreur falsche Haarteile in honigblondem Farbton. Monsieur Lecouvreur entsann sich später nur noch daran, dass derjenige arge Probleme mit dem Magen gehabt hatte. Eben jener Kunde kämpfte zu früher Abendstunde mit starker Übelkeit, Magenkrämpfen und darüber hinaus Kleid, Make-up und Frisur. Als sich schon längst die Dunkelheit mit seinem schwarzen Schleier über das Land gesenkt hatte, verließ eine Frau, tief unter der weiten Kapuze eines weiten Umhangs verborgen, das Haus eines Musketiers namens Aramis. Nur hatte sie zuvor niemand eintreten sehen. Aramis eilte die Rue Vaneau entlang. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt. So fein, dass die Tropfen kaum ausreichten, um den Stoff ihres Umhangs zu durchnässen. Sie schritt in weiten Schritten zielgerichtet aus, erinnerte sich plötzlich daran, dass sie gerade nicht sie selbst war -und ging, besser gesagt schwebte die Straße hinunter. Über ein halbes Jahrzehnt war sie nicht mehr mit den kleinen, gemessen Schritten eines Drei-Unterrock-Trägers gelaufen. Doch es fiel ihr erstaunlicherweise gar nicht schwer. Irgendwo in ihrem Hinterkopf flüsterte eine Stimme Fragen wie "Was mache ich eigentlich hier?" und "Wie kam ich nur auf diese Idee?". Ein anderer Teil von ihr lief einfach ohne darüber nachzudenken. Sie fühlte sich schlecht wegen ihres Magens, einem für ihren Geschmack viel zu tiefen Ausschnitt und eines Gefühls, welches über Unbehagen und Ratlosigkeit entfernt an Scham heranreichte. Zusammen mit der Übelkeit und dem bitteren Metallgeschmack auf ihrer Zunge, lag ihr ihre absurde Idee derart schwer im Magen, dass sie am liebsten umgekehrt wäre. Umkehren, nach Hause laufen und den Körper wieder verpackungssicher hinter der gewohnten Männerkleidung verstecken. Noch besser wäre es, sich im Bett zu verkriechen und das Ende der Welt abzuwarten. Dorthin gehörte sie ohnehin mit ihren Magenschmerzen. Aramis schüttelte über sich selbst den Kopf. Ihr klarer Verstand musste ihr abhanden gekommen sein und sich irgendwo auf Wanderschaft befinden. Sie verfluchte ihre gedankenlose Schwester, während sie benommen über eine der sogenannten Hauptstraßen der Pariser Innenstadt lief. Der festen Überzeugung Athos hätte sich in ihre Zwillingsschwester verliebt und würde mit deren wortloser Abreise bitter enttäuscht sein, hatte ausgerechnet sie sich zu seinem Retter auserkoren. Sie würde Celinè spielen und eine bessere Ausrede für das Ende einer Liaison finden, die ihr fast selbst das Herz brach. Aber wie konnte sie nur davon ausgehen, dass Athos sich von der Maskerade täuschen lassen würde und sie für Celinè hielt? Aramis seufzte, als sie vor seiner Haustür zum Stehen kam. "Warum?" fragte sie sich erneut. Sie wusste es nicht mehr, erinnerte sich aber dunkel daran, dass mehrere gute Gründe für diese Entscheidung gesprochen hatten. Jetzt fiel ihr keiner mehr ein. Hinter ihrer Stirn gab es ohnehin kaum Platz für Erinnerungen. Ihr Gehirn war vielmehr damit beschäftigt ihren revoltierenden Magen zu bezähmen. Mit dem letzten Rest an Entschlossenheit hob sie die Hand, um an die Tür zu klopfen, in der Hoffnung, dass ihr Verstand möglichst bald zu ihr zurückkehrte. Viel zu schnell öffnete sich die Tür und die Wärme von Athos Lächeln und einer geheizten Stube strahlten ihr entgegen. "Celinè" "Athos." Sie räusperte sich verlegen, da ihre Stimme wegbrach und wie verrostete Türangeln quietschte. "Athos, verzeih mir, aber ich bin etwas erkältet", flüsterte sie erneut und hoffte, dass der Unterschied ihrer rauen Stimme, gegen Celinè's süßlich sanfte Töne nicht auffiel. "Du hättest zu Hause bleiben sollen, meine Liebe." "Ich möchte ja gar nicht lange bleiben ..." Sie stockte. "Nun, dass heißt ,nicht möchten' ist vielleicht falsch ausgedrückt ... Ich musste dich aufsuchen ... ich meine, um dir nur zu sagen ... nein, nicht nur ... um dir zu sagen ... ich meine ... ich glaube, ich habe Fieber?" Athos legte ihr die Hand auf die Stirn, während er sie sanft und mit nachsichtigem Lächeln auf den Lippen in seine Wohnung führte. "Deine Stirn ist kühl." "Bist du sicher? Mir ist schrecklich heiß." "Gib mir deinen Umhang!" Zuvorkommend streckte ihr Athos seine Hand entgegen. Er hob verwundert eine Augenbraue, als sein Gast verschreckt zurückwich und ihren Umhang schützend vor der Brust zusammenpresste. "NEIN", stieß sie verzweifelt vor. "Eigentlich ist mir eher kalt ... Schüttelfrost." Athos Verwirrung steigerte sich angesichts ihres merkwürdigen Verhaltens. "Celinè, bist du sicher, dass ich keine Kutsche rufen soll, die dich nach Hause eskortiert?" Aramis schüttelte verneinend den Kopf. Sie waren mittlerweile in seiner Wohnstube. Es war das Zimmer eines Mannes, dessen Geschmack und Ästhetik deutlich über den eines üblichen Musketiers hinausging. Ein Feuer brannte im Kamin und erwärmte einen Raum, der sowohl zweckmäßig, als auch gemütlich war. Zaghaft setzte sich Aramis auf die Chaiselongue vor dem Kamin nieder, dem einzigen gepolsterten Möbelstück in Athos Wohnstube. Noch immer hielt sie ihren Umhang krampfhaft umfasst. "Ich werde uns etwas zu trinken holen." Mit diesen Worten verließ er sie. Aramis wartete, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, dann lehnte sie sich gegen das Rückenpolster und stieß einen tiefen, schmerzerfüllten Seufzer aus. Das konnte einfach nicht gut gehen. Nachdenklich trat Athos auf den groben Steinfliesen des tiefergelegenen Küchenraums von einem Bein auf das andere. Er schob nacheinander die Weinflaschen aus dem Regal und überprüfte die Etiketten, ohne deren Inhalt zu verstehen oder im Gedächtnis zu behalten. Seine Gedanken waren weit fort. Falten bildeten sich auf seiner Stirn, Falten wie bei jemanden, der versuchte konzentriert nachzudenken und herauszufinden, was ihn beunruhigt. Die Erkenntnis, dass irgendetwas nicht stimmte und nichts so zu sein schien, wie es sein sollte lag wie ein dichter Nebelschleier in der Luft. Irritiert ließ er die letzten Minuten Revue passieren, ohne zu einer Erklärung zu kommen. Nicht, dass er es in Worte kleiden konnte, aber er wusste, dass die Besucherin in seiner Wohnstube nicht Celinè war. Und dennoch war sie ihm nicht unbekannt. Die Art, wie sie sich bewegte, wie sie sprach, wie sie das Gesicht beim Sprechen verzog, war ihm gespenstig vertraut. Gedankenverloren griff er die Weinflasche mit der dicksten Staubschicht und kehrte, mit Weinkelchen bewaffnet, - nicht zu Celinè zurück, sondern zu der Erinnerung an jemand anderes. Athos lächelte seinem Besuch entgegen, während er den Staub von der Flasche entfernte und diese schwungvoll entkorkte. Ein eher gezwungenes Lächeln antwortete ihm. Sie wich seinen Blicken aus. Während ihr Blick unbeteiligt das Zimmer durchstreifte, nur um nicht in seine Augen sehen zu müssen, beobachtete er sie. Ihre Gestalt blieb weiterhin der Mutmaßung überlassen, da sie sich noch immer in den Untiefen ihres Umhangs verborgen hielt. Schon hier wurde Athos stutzig. Hatte doch Celinè ihm sonst ihre Formen mit dem Selbstbewusstsein einer wohlgerundeten Dekolleteträgerin bei jeder erdenklichen Gelegenheit dargeboten. Seine jetzige Besucherin lehnte sich nicht lasziv, verführerisch im Polster zurück, sondern saß steif auf der Polsterkante und scharrte nervös mit den Füßen. Die Gesichtszüge waren unverändert, dass vom Feuer in ihrem Rücken in rot-orange getauchte Haar das gleiche. Er setzte sich und reichte ihr einen Becher mit der roten Flüssigkeit. "Oder ist dir Tee lieber, wenn du dich nicht wohlfühlst?" warf er ein. Sie schüttelte den Kopf. "Wein ist ausgezeichnet", entgegnete sie und stürzte den Alkohol in einem Zug hinunter. Erschüttert hing sein Blick an den letzten Weintropfen auf ihrer Unterlippe, bis dieser unter ihrer Zunge verschwand. Er schenkte nach. Sie lächelte, er lächelte, betretenes Schweigen machte sich im Raum breit. "Weswegen wolltest du mich denn sprechen?" fragte er und sah sie aufmunternd an. Er gehörte zu jenen Leuten, die oft verhalten schmunzelten und statt einer Antwort ein Lächeln andeuteten, was in anderen Leuten den Verdacht weckte, dass er intelligenter war als sie, auch wenn er nur zu verstehen versuchte, was sie sagten. "Nun", sie lächelte unsicher, rang nach Worten und stürzte den zweiten Becher Wein hinunter. "Ich fürchte, ich werde dich nicht mehr sehen können." Sie warf Athos einen besorgten Blick zu und wartete auf eine Antwort. Dieser zog die Brauen hoch und unterließ es vorsorglich ihr nachzuschenken. "Warum?" "Nun ja ... weißt du ... nun..." Ihre Miene spiegelte das Ringen mit den Worten wieder. "Nun?" "Nun..." "Soweit warst du schon." "Nun", begann sie, mit einem ärgerlichen Seitenblick auf ihn. "Mein Onkel, der ja mein Vormund ist, verlangt dass ich heirate. Den passenden Ehemann hat er schon ausgesucht. Wir werden uns in die Provinz zurückziehen." "Und du möchtest ihn heiraten?" "Neeein ... aber ich muss. Er ist doch mein Vormund, mir bleibt keine Wahl." "Ich denke, dein Onkel hat keine Verfügungsgewalt mehr über dich, seit du verheiratet bist. Du hast mir doch erzählt, dass das auch auf dich als Witwe gilt." Aramis geriet ins Stocken. "So? Habe ich das?" "Ich glaube mich zu erinnern", warf Athos ernst ein und nahm ihre nervös herumfuchtelnde Hand in seine, um sie zu beruhigen. Dabei fiel sein Blick auf ihre linke Hand und endlich verstand er. Stimmten die Gesichter rein optisch überein, so war doch die längliche Narbe auf diesem Handrücken nicht auf Celinè's Hand gewesen. Selbst stolzer Besitzer einiger duzend Narben, wusste er, dass es sich um keine frische Wunde handelte und er wusste auch, wer durch eine Narbe gezeichnet war. Ausgerechnet durch ihn, bei einer unachtsamen Minute in einer Übungsstunde. Schon von seinen Genen her mit einem guten Maß an Intelligenz ausgezeichnet, mit einem gut trainierten Gedächtnis bestückt und von schneller Auffassungsgabe, zählte Athos eins und zwei zusammen und drei ergaben Aramis. Was ihm unklar blieb, waren dessen Beweggründe für diese Maskerade und wie ein Mann, dessen Gesicht er schon Abermillionen mal erblickt und als männlich befunden hatte, ihn als Frau täuschen konnte? Sollte dies ein Scherz sein? Wenn ja, und hier war sich Athos sicher, war es ein äußerst schlechter. (Nun brauchte der Autor, um Athos gerade gereifte Erkenntnis gewissenhaft zu dokumentieren knappe 150 Wörter. Im Handlungsrahmen, nahmen seine Überlegungen aber nur Sekundenbruchteile in Anspruch. Während Aramis noch nach einer glaubwürdigen Erklärung rang, ging mit Athos, einem sonst überaus vernunftdenkendem Mensch der Schalk durch. Vielleicht war es auch verletzter Stolz. Er fasste den Entschluss den Spieß umzudrehen. Nicht er würde der Genarrte sein.) Aramis überlegte krampfhaft. Die Hitze des Feuers in ihrem Rücken brannte durch den dicken Wollstoff, aber sie wagte es nicht den Umhang abzulegen. "Ja, weißt du ... Er ist immer noch mein Onkel und meine Familie braucht das Geld ..." "Egal!" "Egal?" wiederholte sie ungläubig und sah ihn mit großen Augen an, während sie versuchte ihre Hand aus seiner zu befreien. "Egal! Ich habe nicht das Recht deine Entscheidung anzuzweifeln." "Nicht das Recht?" "Du wirst schon genau wissen, was du tust." "Was ich tue?" Athos nickte. Der sturmgraue Blick bohrte sich zwingend in ihre Augen. Sein Knie berührte ihrs. Seine Hand hielt weiterhin ihre umfangen und drückte sie sanft, während sein Daumen über ihren Handteller strich. Mittlerweile war sich Aramis sicher, dass die Hitze in diesem Raum nicht nur vom Kamin ausging. Sie schluckte schwer. "Loyalität gegenüber der Familie ist überaus wichtig", flüsterte er. "Loyalität?" wisperte sie und lehnte sich zurück, als die grauen Augen näher kamen. Sie sah etwas Unheilvolles in seinem Blick. "Irgendetwas ist heute anders an dir!" "ANDERS an mir? Aber nein!" Mit einem wölfischen Lächeln auf seinen ebenmäßigen Zügen registrierte Athos die Panik in Aramis Stimme. "Mir kommt es vor, als bist du noch schöner als sonst." "Tatsächlich?" kam es zaghaft von ihren Lippen. Sie lächelte. "Wunderschön!" bestätigte er. Um ihr Lächeln zu beschreiben, müsste man schon sagen, dass wenn Aramis noch breiter gelächelt hätte, sich ihre Lippen am Hinterkopf berühren würden. Nach 6 Jahren als Mann verkleidet, lechzte sie geradezu nach einem Kompliment. "Zum Küssen schön!" Sein Oberkörper kam näher, während Aramis zeitgleich zurückwich, bis das Polster ihren Rücken berührte und sie flach auflag. Athos Gesichtsausdruck erinnerte an etwas langes, geschmeidiges und weißes, das übers Riff glitt und dorthin schwamm, wo Kinder planschten. Sollte Aramis ruhig glauben, dass er Celinè weiterhin vor sich sah. Sollte er glauben, dass er vorhatte ihn zu küssen. Athos wollte Panik in den Augen seines Freundes sehen. Seine Hand glitt zu den Bändern, die den Umhang zusammen hielten. Der Umhang würde fallen und die Maskerade hätte ein Ende. Aramis spürte, wie Athos Atem über ihre Wange strich. Die Chaiselongue war in ihrem Rücken. Weiter konnte sie nicht mehr zurückweichen. Ihr Blick glitt zu seinen Lippen und blieb an seinem Oberlippenbart, Statussymbol der spätmittelalterlichen Epoche, hängen. Was bei anderen wie der nachweisliche Genuss einer Tasse Kakao aussah, wirkte bei Athos flott. Sie sah in seine Augen, dann wieder auf seine Lippen. "Athos?" Wenige Augenblicke später passierte es. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)