Tochter des Hohepriesters von Bettyna (Das Schicksal eines kleinen Mädchens) ================================================================================ Kapitel 8: VIII --------------- VII Eine lange Zeit später: Eine alte Papyrusrolle studierend, saß ich im kühlen Sand im Schatten einer großen Palme mit breiten, weit ausschweifenden Blättern. Der Inhalt der Papyrusrolle war in alten Hieroglyphen geschrieben, der sich jedoch für mich genauso problemlos wie ein normaler Text lesen ließ. Ich sah kurz auf, in die sengende Hitze hinaus, dann neigte ich meinen Kopf wieder dem Text zu. Meine Augen schmerzten. Ich fuhr mir seufzend über mein Gesicht, dann durch meine lockigen kupferroten Haare. Ich saß heute schon den ganzen Tag hier und versuchte den Kontext dieser Papyrusrolle zu einer anderen zu verstehen. Als ich in der Früh herausgekommen war, war ich mit dem Rücken nach Osten gesessen, nun zeigte ich dem Osten mein Gesicht. Ich war den ganzen Tag lang dem Schatten der Palme gefolgt und sah nun, wie die Sonne im Begriff war, unterzugehen. Ich streckte meinen von der Sonne gebräunten Körper und seufzte abermals. Sieben Jahre waren nun vergangen. In diesen sieben Jahren hatte ich fast alles vergessen, was vor meinem neunten Geburtstag geschehen war. Je länger ich hier in der Oase Siwa geweilt hatte, desto mehr Erinnerungen hatte ich einbüßen müssen. Ich hatte jedoch auch in diesen sieben Jahren keine Zeit gehabt, mich zurück zu besinnen. Mein Zeitplan hatte es nicht zugelassen. Mein Tag begann noch bevor die Sonne aufgegangen war. Ich, die einzige Auszubildende hier, zelebrierte jeden Morgen die vorgeschriebenen Riten vom Siege des Horus gegen Seth, damit es Morgen werde. Am Anfang war ich ungeduldig, zu verweichlicht, sodass ich bei den Riten, die zu einer ungeheuerlichen Zeit am Morgen zu vollenden waren, immer einschlief. Doch nun, wenn ich mich vor das Heiligtum stellte und meine Anwesenheit Re offenbarte, war es, als ob er in mich einfließen würde, als ob er meine Arme lenken würde, wenn ich sie hob oder senkte. Ich konnte die magischen Formeln nun schon im Schlaf sprechen und ich lernte gewissenhaft weiter. Lernen war mein Tagesinhalt. Nachdem ich ein wenig gegessen hatte, setzte ich mich in die kleine Schreiberstube, die man mir zugewiesen hatte und öffnete die kleine Truhe, die sich in dem Raum befand. Jeden Tag lagen neue Papyrusrollen darin. Sehr alte Schriftstücke, wie auch neuere, mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Der, der mir die Papyrusrollen zum studieren vorlegte, war mein Vater. Er bestimmte Tag für Tag, was ich lernen sollte, ob ich bis in die Nacht hinein lesen musste oder manchmal auch nur, bis die Sonne im Zenith stand. Ihn persönlich jedoch sah ich eigentlich nie. Er ließ mich nur zu sich kommen, wenn er mir etwas über Heilkräuter, Heiltränke oder über die Tiere der Wüste erklären wollte. Alles andere erfuhr ich nur durch die Papyrusrollen. Wenn die Sonne unterging, vollzog ich die Abendriten, die vom Siege Seths gegen Horus zeugten, damit es wieder Nacht wurde. Dann lernte ich noch weiter, wenn ich noch nicht fertig war, aß noch etwas und ging dann zu Bett. Nun war ich sechzehn Jahre alt. Mein Vater hatte keine Ahnung, wie viel Wissen ich mir bis heute angelesen hatte. Oft standen in den Papyrus mehr Dinge, die nicht nur zu einem Thema gehörten, alte Formeln, geheime Erkenntnisse. Vater suchte die Papyrusrollen anscheinend nur nach deren Hauptaussage aus und hatte sie nicht einmal selber gelesen. Ich besaß mittlerweile mehr Wissen und Macht als er. "Du sieht aus wie eine Hure! Zieh dir die Tempelgewänder an!", maulte mich mein Vater plötzlich an. Ich sah über meine Schulter und erblickte ihn in seiner schwarzen Robe, seinem gewohnten Erscheinungsbild. Ich lachte nur. "Es ist heiß, Vater. Im Gegensatz zur dir, ist mein Schutzgott nicht Seth, der Gott der Wüste!", antwortete ich gelassen. Ich trug an diesem Tag ein kurzes Trägerkleid aus grobem Leinen und dazu die Hosen, wie die Beduinen sie trugen, nur hatte ich die Hosenbeine ganz kurz abgeschnitten. So ließ es sich gut aushalten, wenn man dazu noch im Schatten saß. Ich ließ mir nicht sagen, was ich anzuziehen hatte, wenn ich nicht Tempelarbeiten verrichtete. Mein Vater wusste es inzwischen, drehte sich brummend um und ging. Ich sah die untergehende Sonne an und tat einen letzten Blick auf die Papyrusrolle in meinen Händen. Der Inhalt war mir mittlerweile klar geworden und füllte nun eine weitere Lücke meines Wissens. Ich rollte den Papyrus vorsichtig zusammen und stand auf. Ich verließ meinen Platz unter der Palme, deren Schatten nun weit über den Sand ausgestreckt war. Der Sand schimmerte in der untergehenden Sonne rot, als ob die Sandkörner alle aus kleinen Rubinen bestanden. Ich tauchte meine Hand in den noch warmen Sand und streute ihn dann dorthin, wo ich gesessen hatte. Die Papyrusrolle unter dem Arm ging ich nicht in den Tempel zurück, sondern zum Oasenbrunnen. Ich legte das Schriftstück dort ab und ließ einen Eimer am Haken der Brunnenschnur herab. Als ich den Eimer wieder hochzog, war er voll mit dem kostbaren kühlen Nass des Brunnens. Ich nahm den schweren Eimer, ging mit ihm zu der Palme, die mir heute und auch die Tage davor als Sitzplatz und Schattenspender gedient hatte, und entleerte den Inhalt des Eimers auf dem Boden rund um die Palme herum. "Auf das du mir auch weiterhin deinen Schatten gewährst.", sprach ich lächelnd und ging wieder zurück zum Brunnen, um den Eimer dort abzustellen und die Papyrusrolle wieder an mich zu nehmen. So ging ich wieder zurück zum Tempel. Beim Tempel erwartete mich schon ungeduldig eine kleine, zierliche Gestalt. Ihr wallendes tiefschwarzes Haar schien kaum zu ihren kurzen Beinen und Armen und ihrer mageren Gestalt zu passen. Man merkte ihr es nicht an, doch ihr Geist war wach, sie war nie müde und verzehrte ein Mahl, dass zwei Männer hätten verschlingen können. Ebenso blitzten ihre Augen in einer Lebensfreude, die man nicht oft bei Menschen entdecken konnte, vor allem nicht hier, in einem Ort, fern der Zivilisation. Sie winkte mir hektisch zu. "Ia-Re!!! Die Priester! Sie werden erzürnt sein, wenn du zu spät kommst, um die Abendriten zu vollziehen!", rief sie mir zu, doch ihr Ton war eher belustigt, als ernst. Ich musste grinsen. So war sie immer, nie um einen Scherz verlegen. "Mach dir darüber keine Kopf, Kanah! Keiner wird es wagen, mich zu kritisieren, denn wer sollte sonst die Riten vollziehen, wenn nicht ich?", erwiderte ich abwinkend. Kanahs Mundwinkel gingen nach oben. "Dein Vater? Er hat es getan, bevor er dich eingewiesen hat!", sagte sie, mittlerweile breit grinsend. "Sie haben Angst vor ihm, niemand würde sich trauen, ihn zu bitten... Ist mein Gewand bereit, Kanah?", fragte ich, nach einem Blick in Richtung Westen, nun doch ein wenig eilig. "Ja, Herrin!", antwortete Kanah brav und führte mich in mein Gemach, dass ich im Tempel bewohnte. Dort half sie mir, schnell das weiße Priesterinnengewand überzuziehen und reichte mir dann den langen roten Stoffstreifen, der mir als Gürtel diente. Ich zog ihn fest und zeigte Kanah, die bereits schon gekleidet war, dass ich fertig war. Gemeinsam betraten wir den Raum, in dem ich den Untergang der Sonne jeden Abend zelebrierte. Der Raum war nach Westen hin offen, nur wallende, aus feinem Stoff gewebte Vorhänge, schirmten ihn von außen ab. Einer der glatzköpfigen jungen Novizen trat vor und schob die Vorhänge beiseite. Ich - ich hatte mich inzwischen auf ein Kissen, das in der Mitte des Raumes auf dem dunklen Steinboden lag, niedergekniet - wurde nun voll von dem letzten Licht der blutroten Sonne angestrahlt. Ich hob schnell die Arme zum Himmel und die Priester versanken wie auf Befehl in die Gesänge der Götter. Auch ich erhob meine Stimme: "Seth, der du kämpfst jeden Abend gegen Horus, erringst einen weiteren Sieg über die Mächte des Lichtes. Senke deine schützenden Dunkelheit über uns herab und gewähre uns deine Güte auch diese Nacht, wenn die eisige Kälte der Nacht uns umhüllt, die versucht uns zu ersticken. Schenke uns die Früchte der Wüste und sei uns weiterhin wohlgesonnen." Indem ich diese Worte sprach, senkte ich meine Arme langsam hinab, bis meine Finger den kühlen Boden berührten und die glühende Scheibe der Sonne verschwunden war. Hinter mir tat Kanah einen Schritt auf mich zu und richte mit einen Korb mit Früchten, Datteln und Granatäpfeln. Ich stand auf, passierte die im Wind wogenden Vorhänge, die den Raum von außen schützen, stieg die Treppen hinab, bis meine Füße den Sand berührten und stellte den Korb zu Füßen einer großen schwarzen Statue, die Seth, den Herrn der Finsternis und alles Bösen, Gott der Wüste, des Chaos und des Unglücks darstellte. Danach wandte ich mich um und ging wieder zurück. Ebenso schweigend wie ich gekommen war, verließ ich gemeinsam mit Kanah wieder den Raum, in dem ich gerade die Abendriten vollzogen hatte. Zum Glück war ich heute schon mit dem Lernen fertig, denn ich fühlte mich ermartert und schwach. Ich legte mich auf mein Bett, das aus einer dicken Schicht Stroh auf dem Boden bestand, auf der ein Leinentuch lag, das gefüllt war mit Daunenfedern der heiligen Gänse, die sich der Tempel hielt. Ich fütterte sie jeden Tag und wenn sie mich sahen, kamen sie zu mir, jedoch ohne ihr nervtötendes Geschnatter, dass sie sonst immer von sich gaben, wenn sich jemand ihnen näherte. Ich setzte mich auf, löste meinen Gürtel und zog das Gewand über meinen Kopf. Ich ließ es auf dem Boden liegen, denn Kanah würde sich morgen früh darum kümmern, nachdem sie aufgewacht war, was sie noch früher tun musste als ich. Kanah war meine beste Freundin hier in Siwa. Natürlich, alle Leute respektierten mich und waren immer sehr freundlich zu mir, da ich einen hohen und wichtigen Rang als Priesterin hatte, doch zu niemandem hatte ich so einen feste Beziehung wie zu Kanah. Sie war nur ein paar Monate älter als ich und arbeitete auch damals bei meiner Ankunft schon hier im Tempel. Kanah war jedoch schon hier geboren worden. Sie war nun meine persönliche Assistentin hier. Sie half mir immer bei verschiedenen rituellen Festen, die ich vorbereiten muss, manchmal lernte sie auch mit mir. Sie bereitete mir meine Gewänder vor, klärte mich jeden Tag über meinen Tagesablauf auf, der meistens sowieso derselbe war. Ich weiß nicht, ob ich es ohne sie hier jemals ausgehalten hätte. Hatte ich mich nicht oft bei ihr ausgeweint, früher, als mein Vater noch rücksichtslos gemein zu mir war und mir beim Lernen und Üben der magischen Formeln keine Pause gegönnt hatte? Manchmal war sie mir eine große Schwester gewesen, ohne die ich hier in dieser Einsamkeit wahnsinnig geworden wäre. Doch langsam lernte Vater mich auch zu respektieren. Er sah, wie weit ich geistig gewachsen war, wie meine Weisheit und Intelligenz aufgegangen war. Er gab es nicht zu, doch er und ich, wir wussten es schon lange, ich war schon längst mächtiger als er. Schon länger war es so, dass mein Vater nicht mehr richtig wusste, was er mich noch lernen konnte. Die Tage an denen er mich zu sich rief, um mir etwas zu zeigen, wurden immer weniger, bis sie schließlich ganz ausfielen und es kam nun auch schon öfter vor, da setzte Vater mir Papyrusrollen vor, die ich schon studiert hatte. Er überließ mir schon alle Aufgaben im Tempel, die er früher noch erfüllt hatte und so wurde ich zur wichtigsten Person im Geschehen des Tempels. Mein Vater hingegen zog sich zurück und legte sich auf die faule Haut. Er hatte schon nichts besseres zu tun, als meine Kleidung zu kritisieren... Doch war es das, was er mit mir vorhatte? Mich zur einzigen Priesterin von Siwa, der ödesten Einöde ganz Ägyptens zu machen? Nein, das glaubte ich nicht. Nein. (@ Ifnaka: Bingo! ^^ Sehr gut erkannt, das mit dem schwarzhaarigen Mädchen! Nach diesem Kapitel wirst du wissen, warum ich nichts dazwischen geschrieben hab, ich hätte einfach nicht genug Stoff dazu gehabt, wenn es dort ja so langweilig ist! ^^ Hoffentlich kommt dieser große Zeitsprung nicht zu überraschend, aber irgendwie muss es ja weitergehen! Also dann, bitte Kommis!!! *schnüff* oO) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)