Sherlock Holmes - Das Phantom von Maiwand von kentasaiba2 ================================================================================ Kapitel 5: Das Attentat ----------------------- Während der Fahrt ließ ich mir die Ereignisse immer wieder durch den Kopf gehen. Hatten wir am Ende einen schwerwiegenden Fehler begangen? Welche Konsequenzen würde es haben, Moran nicht dem Henker zuzuführen? Zu wach waren die Erinnerungen an unsere erste Begegnung in der Baker Street, in welcher er uns von einem aufstrebenden Professor mit großen Ambitionen erzählte. Nur meiner Deeskalation war es zu verdanken, dass Moran einem versteckten Scharfschützen nicht das Zeichen gab, auf mich und Holmes anzulegen. Jetzt, da ich darüber nachdachte... konnte es sich bei dem Schützen ebenfalls um das Phantom gehandelt haben? In diesem Fall... würde es seinem Namen alle Ehre machen. Ich erreichte schließlich mein Ziel und verließ die Droschke. Ich hatte meinen Besuch nicht angemeldet, kannte dafür aber die Praxiszeiten meines Freundes und wusste, dass er zugegen war. Ich klopfte und eine junge Frau ließ mich schließlich ein. Ich stellte mich sofort als Freund Dr. Smiths vor und bat um ein Gespräch. Zum Glück schien dieser heute nur einen Patienten zu behandeln und so wartete ich geduldig auf einem Stuhl vor der schweren Bürotür. Schließlich fand mein alter Freund Zeit für mich und ich setzte mich ihm gegenüber. „John, wie schön dich zu sehen. Wie geht es deiner alten Verletzung?“ Ich klopfte mir demonstrativ auf mein Bein. „Ach du weißt doch, Unkraut vergeht nicht. Aber... eigentlich gibt es etwas anderes, worüber ich mit dir sprechen wollte.“, kam ich schnellstmöglich zum Punkt. Clifford lehnte sich zurück und wartete. „Ihr... wart bereits vor Ort als ich und meine Einheit damals nach Kandahar geschickt wurden. Du hast viele Soldaten der 65ten Einheit zusammengeflickt, nehme ich an?“ Dr. Smith verschränkte die Hände und nickte. Verständlicherweise erinnerte er sich nicht gerne an diese Ereignisse zurück. „Ja. Viele Patienten habe ich damals verloren. Vielen musste ich einen Arm, oder ein Bein abnehmen. Viele... waren danach nicht mehr sie selbst.“ Ich atmete flach. „Wir alle... waren damals nicht mehr wir selbst. Bis vielleicht... auf eine Person. Ich habe Geschichten über einen von uns gehört. Einen Soldaten, dem es egal war, auf wen er anlegte. Seien es Soldaten, Kinder, oder Greise. Hast du schon einmal... von dem Phantom von Maiwand gehört?“, rückte ich mit der Sprache heraus. Cliffords Blick durchdrang mich wie die Kugel des afghanischen Soldaten damals. „Ja, John, das habe ich. Und du möchtest wissen... ob ich ihn behandelt habe.“ Ich nickte. „Die Geschichte hörten irgendwann auf. Die logische Annahme ist also, dass er wegen einer Verletzung nach Hause geschickt wurde.“ Mein Freund, der mir nach meiner Verletzung die Kugel aus dem Bein entfernt hatte, stimmte mir zu. „So war es wohl. Ja, ich denke, ich kenne die Person, von der du redest. Nur habe ich keinen Namen und auch die Akten mussten wir damals zurücklassen.“, offenbarte er. Dafür brachte ich Verständnis auf, dieser Krieg war an allen Fronten chaotisch gewesen. „Aber etwas musst du doch über ihn wissen!“, beharrte ich dennoch. Clifford ließ sich Zeit und starrte eine Weile zum Fenster hinaus. „Ich werde niemals seinen Blick vergessen. Alle anderen Soldaten hatten Furcht in ihren Augen, aber er nicht. Er war angeschossen worden, doch ich erkannte... Anerkennung. Anerkennung für seinen Feind.“ Ich schluckte. Es gab in der Tat Männer, die nur im Gefecht richtig aufblühten und ihr wahres Selbst sein konnten. Zum Glück war ich so jemandem bisher nie begegnet. Anders als Clifford. „Wie schlimm war er verletzt?“, wollte ich erfahren. Der ehemalige Militärarzt dachte kurz nach. „Ich habe mehrere Splitter als seinem Knie geholt. Ich überlegte erst sein Bein abzunehmen, doch der Mann machte unmissverständlich klar, dass dies außer Frage stand. Ich weiß nicht, ob ich alle Splitter gefunden habe, jedenfalls benötigte es einer langen Reha. Was aus ihm wurde nachdem er mein Lazarett verließ... kann ich dir nicht sagen.“ Ich ließ mir noch eine Beschreibung des Mannes geben, auch in dem Wissen, dass mich diese nicht weit bringen würde. Zu viele Jahre waren vergangen und als Attentäter würde man sein Aussehen ohnehin stetig verändern. Ich schüttelte Clifford die Hand und verabschiedete mich dann. „John, glaubst du... dass uns dieser Krieg jemals loslassen wird?“, fragte er mich noch im Gehen. Ich drehe mich noch einmal zu ihm zu. „Bestimmt. Wenn wir es zulassen.“ Zurück in der Baker Street fand ich Holmes in seinem Arbeitszimmer vor. Er hatte mehrere Akten vor sich ausgebreitet, ich nahm, er hatte diese von seinem Bruder erhalten. „Holmes, haben Sie bereits Meldung von Inspektor Bradstreet erhalten?“, wollte ich wissen. Mein Freund schenkte mir einen einen geringen Anteil seiner Aufmerksamkeit. „Was? Ja... er hat diesen Mittelsmann inzwischen festgenommen.“, verriet er. Eine freudige Nachricht wie ich fand. „Aber... er schweigt sich aus?“ Holmes schüttelte leicht den Kopf. „Nein, er ist geständig um dem Galgen zu entkommen. Bei dem Phantom scheint es sich um einen Corporal Ethan Thompson zu handeln, geboren in Sussex. Er war wie Sie vermuteten in der 65ten Einheit.“ Ich setzte mich sofort und starrte meinen Freund an. „Das... sind hervorragende Neuigkeiten. Dann nehmen wir den Kerl sofort fest!“ Holmes bedachte mich eines erschöpften Blickes. „Ich wünschte es wäre so einfach, mein Freund. Unser Gegner ist vorsichtig, er hat Shepard überwacht und weiß, dass wir ihn verhaftet haben. Er ist untertaucht, auch seine bisherigen Verstecke dürften uns wenig bringen.“ Ich fluchte innerlich. „Dann... wird er bestimmt versuchen aus dem Land zu fliehen! Das dürfen wir nicht zulassen, Holmes!“, sagte ich entschieden. Doch meinem Freund schien anderes im Kopf herumzugehen. „Nein, das wird er mit Sicherheit nicht tun. Nicht, solange er seine Arbeit nicht vollendet hat.“, stand für den Detektiv fest. Ich runzelte die Stirn. „Seine Arbeit? Aber der Botschafter ist tot. Das würde ich ein definitives Ende nennen.“ Holmes ignorierte meinen Einwand. Scheinbar hatte er eine interessante Stelle gefunden und richtete seine Aufmerksamkeit darauf.. „Ich Trottel! Dort will er also zuschlagen! Das hätte ich mir auch gleich denken können!“, kritisierte er sich selbst und erhob sich dann. „Los, Watson, wir müssen uns beeilen!“, trieb er mich an. Ich versuchte erst gar nicht nachzuhaken, wusste ich doch, dass mein Freund sparsam mit Erklärungen war. Erst in der angehaltenen Droschke kehrte Ruhe ein. „Holmes, wollen Sie mir nicht endlich verraten wohin wir unterwegs sind?“ Diesmal erhielt ich zum Glück eine Antwort. „Natürlich zur Geburtstagsfeier des Kronprinzen in den königlichen Gärten, was denken Sie denn?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung was ich denken soll. Hat es Thompson etwa auf den Prinzen abgesehen? Oder gar wirklich die Königin?“, konnte ich es nicht glauben. Die Miene meines Freundes verriet mir, dass ich wohl nicht ins Schwarze getroffen hatte. „Ich rede selbstverständlich von Außenminister Holdhurst. Es ging die ganze Zeit über um ihn!“, korrigierte mich Holmes. Ich versuchte ihm zu folgen, doch dies gelang mir nur schleppend. „Es war mir bereits klar, dass Mycroft verwundet und mehrere Kugeln ins Leere abgefeuert wurden. Ein meisterhafter Schütze hatte mit dem Kopfschuss des Botschafters bereits die Hälfte seiner Ziele erreicht. Jedoch musste er noch meinen werten Bruder verwunden um die Zahnräder in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken.“ Ich räusperte mich. „Und die wäre, Holmes?“ Der Detektiv fuhr fort. „Die Regierung in Aufruhr zu versetzen. Es wäre ein leichtes gewesen auf das Eintreffen des Ministers zu warten, doch es gab zwei Probleme. Eine der Zielpersonen hätte nach dem ersten Schuss in Sicherheit gebracht werden können. Und zweitens sollten die Hinrichtungen eine Botschaft überbringen. Vermutlich eine, die Thompson von seinen Auftraggebern diktiert wurde.“ Ich nickte verstehend. „Einen ausländischen Botschafter auf britischem Boden zu verlieren ist bereits eine große Schmach. Den Außenminister.. Holmes! Sie denken doch nicht...“ Doch der Detektiv schien meinen Gedanken fortzuführen. „Normalerweise hätte Holdhurst meinen Bruder vorgeschickt um diesen peinlichen Zwischenfall zu erklären. Nun muss er sich aber selbst dem Thron gegenüber rechtfertigen. Unser Phantom wird die Geburtstagsfeier des Prinzen nutzen um ungesehen an sein Ziel heranzukommen. Den Minister in den königlichen Gärten zu töten, so nahe an der Königin, würde eine eindeutige Botschaft hinterlassen.“ Ich stockte. „Wir können jederzeit eure Führung auslöschen, wenn wir es wollen.“, murmelte ich. Doch dies schien genau das zu sein, worauf Holmes hinaus wollte. Die Akten über das Handelsabkommen, welches mit dem deutschen Botschafter besprochen werden sollte, schien Holmes auf den Ort des Anschlags gebracht zu haben. Am Zielort verließen wir die Droschke und sahen uns um. Es war Inspektor Bradstreet, der uns zuerst entdeckte. Hektisch kam er angerannt. „Holmes! Doktor! Ich habe bereits mit de Sicherheitskräften gesprochen. Es wird uns erlaubt die Feier zu betreten, doch wir müssen äußerst behutsam vorgehen. Ein Zwischenfall und eine Katastrophe könnte das Ergebnis sein. Die Königsfamilie darf unter keinen Umständen schaden nehmen.“, stand für ihn fest. Nachdem wir kurz durchsucht wurden, gewährte man uns schließlich Einlass. Zuerst wollte man mir meinen Webley abnehmen, doch Bradstreet setzte sich für mich ein. Er bezeichnete mich sogar als exzellenten Schützen, einen Titel, von dem ich nicht wusste, ob ich ihn verdient hatte. Zusammen mit den Sicherheitskräften mischten wir uns unter die Gäste. Immer noch hatten wir keinen Schimmer, wie Thompson heute überhaupt aussah. Cliffords Beschreibungen waren veraltet und die des Mittelsmanns sicher ebenso. Bradstreet gab uns ein Zeichen. Er schien die Position von Außenminister Holdhurst entdeckt zu haben. Ihn in Sicherheit zu bringen würde auch die Pläne des Phantoms ruinieren. Ich sah mich nach Holmes um, konnte ihn aber nicht entdecken. Immer wieder rempelten mich Gäste an, während ich ziellos umherirrte. Aber Moment mal. Hatte der eine nicht gerade gehumpelt? Ich wand mich um, doch der Mann war bereits wieder in der Menge verschwunden. Ich ließ meinen Blick schweifen und erkannte Holmes und Bradstreet. Beide hatten den Minister inzwischen erreicht und schienen ihm die Lage zu erklären. Schließlich setzten sich die drei in Bewegung und steuerten auf den Ausgang zu. Ich tat es ihnen nach, doch dann hielt ich inne. Da war er wieder. Der humpelnde Mann. Ich beobachtete, wie er sich erst auf eine Hecke kämpfe und dann auf die Mauer darüber kletterte. Dabei ließ er eine schwere Tasche fallen. Ich verstand. Durch die Intervention unsererseits war es ihm nicht möglich seinen ursprünglichen Plan von einer sicheren Position aus zu schießen auszuführen. Er öffnete die Tasche und holte sein Scharfschützengewehr heraus. Der Minister und seine Begleiter hatten den Ausgang fast erreicht, den Schützen konnten sie von dort aus aber nicht erkennen. Als das Phantom seine Waffe in ihre Richtung richtete, wusste ich, dass ich handeln musste. „Thompson!“, brüllte ich so laut wie ich nur konnte. Er richtete seine Waffe nun auf mich, ich hob meine Hände. Er schien zu überlegen, ob er abdrücken sollte, zögerte aber. Ein lauter Schuss würde unweigerlich dazu führen, dass der Minister in Deckung gehen würde. Die Sicherheitskräfte wären sofort vor Ort und die Mission gescheitert. „Keine Bewegung!“, befahl er mir und wand seinen Blick dann wieder dem Minister zu. Er musste nun schießen. Und ich... ebenfalls. Erneut brüllte ich seinen Namen, zog meinen Webley und ließ mich dann auf die Knie fallen. Thompson bemerkte meine Waffe und richtete sein Gewehr wieder auf mich. Mein einziger Vorteil war es, seine Position auszunutzen. Um mich zu treffen, würde er in die Tiefe gehen müssen. Doch ich erinnerte mich an die Worte meines Freundes Clifford. Mit einer Knieverletzung wie seiner, würde es ihm nicht sofort gelingen, egal wie sehr er seinen Schmerz auch unterdrückte. Ich konnte zweifelsfrei den ersten Schuss abfeuern. Und das tat ich auch. Ich richtete meinen Webley nach oben und feuerte. Die Kugel traf Thompson in die Brust und dieser fiel nach hinten die Mauer hinab. Es war ihm nicht einmal gelungen auf mich zu feuern. Sofort brach Panik aus, dies war unvermeidlich gewesen. Die Gäste drängten aneinander und versuchten zu fliehen. Ich rief in die Menge, dass die Gefahr gebannt wäre, aber nur mit mäßigem Erfolg. Die Sicherheitskräfte taten ihr Möglichstes um die Gäste zu beruhigen, dennoch ließ es sich nicht verhindern, dass es im Nachhinein zu leichten Verletzungen gekommen war. Bradstreet und seine Leuten hatten den Außenminister inzwischen komplett abgeschirmt und brachten ihn gerade in Sicherheit. Holmes tauchte an meiner Seite auf und erkundige sich über mein Wohlergehen. „Sind Sie verletzt, alter Freund?“, wollte er wissen. Ich schüttelte leicht den Kopf. „Nur eine alte Verletzung. Und ein alter Geist. Aber... beides verfolgt mich inzwischen nicht mehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)