Sherlock Holmes - Mission: Silberfalke! von kentasaiba2 ================================================================================ Kapitel 1: Ein Besuch in Sussex ------------------------------- Anmerkung des Autors Dr. John Watson: Die folgenden Ereignisse finden im August 1907 statt. Wie ich bereits in meinem Bericht zum Fall ‚Der zweite Fleck‘ beschrieb, zog es Holmes für seinen verdienten Ruhestand in die Grafschaft Sussex, wo er sich ausgiebig der Bienenzucht widmen wollte. Zudem möchte ich anraten meinen Bericht des ‚Illustren Klienten‘, der sich im September des Jahres 1902 abgespielt hat nachzulesen, da er meiner heutigen Geschichte mehr Kontext verleiht. Nachdem ich mein Gepäck überprüft und meinen Platz wieder verließ, in dem ich die Hälfte der Fahrt ein Buch gelesen, die andere jedoch in einen tiefen Schlaf verfallen war, stolzierte ich auf die Tür zu und trat ins Freie. Die kühle, gerade zu raue Luft Sussex‘ strömte mir entgegnete, die sich doch so sehr von jener in London unterschied. Es war einige Zeit her, dass mich meine Reise aufs Land hinaus führte, freute mich aber, einige ruhige Tage hier verbringen zu dürfen. Auf dem Bahnhof herrschte wie erwartet kaum reges Treiben und auch eine Droschke zu finden erwies sich als keine sonderlich große Herausforderung. Der Droschkenfahrer erwies sich sogar als so aufmerksam, mein Gepäck zu verstauen und mir ins Innere zu helfen. Mit dem Hintergedanken ihm später ein akzeptables Trinkgeld zu bezahlen, nannte ich ihm Holmes‘ Adresse und die Fahrt begann. Das Domizil meines Freundes befand sich glücklicherweise nicht zu sehr vom Bahnhof entfernt, immerhin kam es nicht selten vor, dass ihn Geschäfte immer wieder zurück nach London führten. Zu diesem Zweck hatte er auch seine alte Wohnung in der Baker Street, die einst unsere gemeinsame war nicht aufgegeben. Ob es dem Zwecke diente, dass er sie als Labor und Lagerraum benötigte, oder der guten Mrs. Hudson nicht zumuten wollte noch einen neuen Mieter bedienen zu müssen hatte ich ihn nie gefragt. Immerhin war die Beste auch nicht mehr die jüngste und hatte bereits unter Holmes‘ Eigenheiten stark zu kämpfen gehabt. Normalerwiese stattete ich meinem Freund in jenen Räumlichkeiten einen Besuch ab, doch dies war das erste Mal, dass er mich zu sich einlud. Bald hatten wir unser Ziel erreicht und ich reichte dem Kutscher seinen Lohn, nachdem ich mein Gepäck wieder entgegengenommen hatte. Auch wenn meine Augen in den Jahren etwas nachgelassen hatte, erkannte ich das Cottage meines Freundes am Ende der Straße. Nach wenige Minuten war ich angekommen und klopfte gegen die Holztür. Es dauerte nicht lange, bis mir geöffnet und eine Dame im gehobenen Alter öffnete. „Sie müssen der gute, Herr Doktor sein, nicht wahr? Treten Sie bitte ein, Mister Holmes erwartet Sie bereits.“ Ich dankte und folgte der Aufforderung. Ich erinnerte mich, dass Holmes mir in seinem letzten Schreiben von ihr berichtete. Mrs. Sinclair war sehr aufmerksam und sicher eine würdige Nachfolgerin für Mrs. Hudson, was die Wünsche und Belange meines Freundes betraf. Im Flur stellte ich meine Koffer ab und ließ mich in der Küche erst einmal mit einem Wasser bewirten. Ich erkundigte mich über den Gemütszustand meines Freundes, doch die Haushälterin tat sich schwer, diesen zu beschreiben. Schließlich ließ sie mich in die Privatgemächer des Detektivs, wo ich auf ihn warten sollte. Zum Glück nicht lange, denn kurz darauf betrat eine seltsame Gestalt in weißer Aufmachung den Raum. Ich hätte tatsächlich einen Moment gezögert anzunehmen, dass es sich dabei um meinen Freund handelte, hätte er die Schutzmaske nicht aufgemacht, unter welcher sein rötliches Gesicht zum Vorschein kam. Er entledigte sich nun auch des Overalls seines Imkeranzugs. Ihm zu Hilfe zu eilen erwies sich als unnötig, er schien bereits einiges an Routine an den Tag zu legen. „Diese Biester.“, stöhnte er auf. „Sie bereuen Ihr neues Hobby doch hoffentlich nicht bereits, oder, Holmes?“, fragte ich einen Hauch schelmisch. Der Detektiv legte seine Aufmachung beiseite und ließ sich in dem bequemen Stuhl vor mir nieder. „Nun, zunächst versichere ich Ihnen, dass es sich keineswegs um ein ‚Hobby‘ handelt, wie Sie es nennen. Bienen sind erstaunliche Wesen, das müssen wir anerkennen. Immerhin würde es uns ohne diese nützlichen Tiere gar nicht mehr geben.“ Ich bezweifelte diese Behauptung, wollte meinem Freund aber nicht schon so früh nach meiner Ankunft widersprechen. „Ich zeige sie Ihnen, nachdem wir uns einen Tee gegönnt haben.“, kam Holmes‘ nächster Vorschlag. Ich nickte zustimmend, bat aber, dies in geeignetem Abstand zu tun. Weder glaubte ich, dass Holmes einen Ersatz-Anzug besaß, noch wollte ich mich in so ein Teil zwängen. Also warteten wir darauf, dass uns Mrs. Sinclair den Tee brachte, bevor wir weiteres angingen. Danach hielt Holmes sein Versprechen und führte mich nach draußen. Ich erkannte die Kästen bereits von weitem, in denen Holmes seinen geliebten Bienen in neues Zuhause beschert hatte. „Ich gestehe, ich möchte diesen Tierchen zwar nicht zu nahekommen, aber ich freue mich bereits auf den leckeren Honig, den ich bei Ihnen genießen werden darf.“ Mein Freund tadelte mich sofort mit einem strengen Blick. „Watson! Sie haben wie erwartet nicht verstanden, worum es bei meiner Erforschung von Bienenstämmen geht. Die Gewinnung von Honig ist dabei doch ziemlich zweitrangig.“ Zwar wollte ich ihm da widersprechen, dass es sich bei Honig nun mal um das Markenzeichen dieser Tiere handelte, beließ es aber dabei. Bis Holmes‘ Haushälterin das Abendessen zubereitet hatte, beschloss der Detektiv mir etwas die nähere Umgebung um das Cottage herum zu zeigen. Dabei bekam ich immer mehr den Eindruck, dass Holmes seine Entscheidung nicht bereuen würde. Es war angenehm ruhig und gar als Idylle zu bezeichnen. Er war bestimmt froh, dem geschäftigen Treiben in London entkommen zu sein. Schließich wurde es dunkel und wir kehrten im Speisezimmer ein. Uns wurde Roastbeef mit Yorkshire Pudding serviert und ich beschloss sogleich zu überprüfen in wie weit sich die Kochkünste der Frau von jenen derer Mrs. Hudsons unterschied, an welche ich mich so viele Jahre gewöhnt hatte. Ich wusste, dass essen für Holmes nur eine leidige Pflicht war, dies schien sich nicht groß geändert zu haben, wenn ich ihn mir so betrachtete. Mir hingegen schmeckte das Mahl aber durchaus und ich gab mehrere Komplimente an die Köchin ab. Während des Essens erzählte ich von den neuesten Entwicklungen in London, meinem neuen Domizil in der Queen Anne Street und dass ich nur noch ausgesuchte Patienten behandelte. Dem war zum einen geschulten, dass mich meine zweite Frau mehr in Beschlag nahm und nichts davon hielt, dass ich den ganzen Tag arbeitete. Einem Besuch bei Holmes hatte sie jedoch nichts entgegenzusetzen, kannte sie meine Abenteuer mit dem Detektiv inzwischen doch schon in und auswendig. Holmes berichtete weiter von seinen Forschungen der Bienenzucht und auch von Klienten, die ihn immer noch aufsuchten. Den meisten erteilte er inzwischen eine Absage, sollte es sich bei dem Fall nicht um ein wahres Mysterium handeln. Wie etwa der Fall, der ihm letztens von Harold Stackhurst nahegetragen wurde, einem Klienten, dem ich selbst eine Empfehlung erteilt hatte. Er berichtete mir von dem interessanten Fall, den ich beschloss später zu dokumentieren und der den Titel ‚Die Löwenmähne‘ erhalten sollte. Nachdem wir das Essen, das durchaus gemundet hatte verspeist hatten, trug Holmes den Vorschlag an mich heran, morgen doch das Dorf zu besuchen, das kaum einen Kilometer entfernt lag. Ich war froh, dass ich mein Freund nicht gänzlich der Zivilisation entzogen hatte und stimmte gerne zu. In der Nacht richtete ich mich in meinem Gästezimmer ein und schloss sogar das Fenster, aus Angst, einige der Bienen könnten Holmes entkommen. Natürlich unbegründet, wusste ich doch, wie sorgfältig mein Freund seine Arbeit ausführte. Am nächsten Tag schien wie am Vortag die Sonne und auch die Luft war durchaus angenehm. Ich fragte mich, ob dies in der Gegend hier die Regel sei. Ebenfalls kein Vergleich zu London, wo mittlerweile gefühlt jeden zweiten Tag dunkle Wolken aufzogen. Nach einem kleinen Spaziergang hatten wir das Dorf erreicht und schlenderten etwas durch die Straßen. Schließlich beschlossen wir ein Lokal aufzusuchen und uns mit einem Tee zu stärken. Aufgrund des guten Wetters nahmen wir im Außenbereich platz und gaben die Bestellung auf. Ein Mann rannte in einiger Entfernung an uns vorbei, ich schenkte ihm jedoch kaum Aufmerksamkeit. Erst nachdem wir den Tee zu uns nahmen, tauchte er wieder vor uns auf. Ich erkannte, dass es sich um einen Constable handeln musste. Dieser musterte uns kurz, verschwand dann wieder, jedoch nur, um mit einem etwas älteren Mann im Anzug zu erscheinen. Dieser musterte uns ebenfalls, wodurch ich doch etwas nervös wurde. Er schien zu überlegen, stolzierte dann aber auf uns zu. Der bärtige Mann zögerte etwas, räusperte sich dann aber. „Entschuldigen Sie die Störung, aber… kann es sein…, dass es sich bei Ihnen um Sherlock Holmes handelt?“, sprach er uns nun an. Mein Freund ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und trank seinen Tee aus. Schließlich bejahte er und ich stellte mich ebenfalls vor. „Mr. Holmes, ich bin Inspektor Alburry, ich bin für den südliche Distrikt zuständig. Wir… haben hier ein gewisses Problem. Wir haben einen Toten gefunden und sind etwas unterbesetzt. Wir würden Ihre Hilfe wirklich sehr zu schätzen wissen.“, rückte er mit der Sprache heraus. „Selbst im Ruhestand lässt Sie das Verbrechen nicht in Ruhe.“, frotzelte ich etwas. Holmes merkte an, dass er nicht mehr als Detektiv tätig war und generell einen Gast hatte. Ich jedoch versicherte, dass dies kein Problem sei. Ein neuer Fall interessierte mich durchaus und meine späteren Leser ohnehin. Holmes seufzte und willigte schließlich ein, dem Inspektor zu helfen. Also bezahlten wir und folgten dem Mann in die Gasse, in welcher der Tote gefunden worden war. Vor uns lag ein jüngerer Mann, um die 30, eine Untersuchung meinerseits würde sich als überflüssig erweisen. Das Gesicht des Opfers war nur noch eine blutige Masse, man schien mehrfach darauf eingeschlagen zu haben. Holmes bückte sich zu ihm und betrachtete ihn eingehend. „Können… Sie uns eine erste Einschätzung abgeben, Mr. Holmes?“, bat der Inspektor aufgeregt. Ich nahm an, dass er unter einem gewissen Druck stand, immerhin hatte er es bestimmt nicht oft mit einem Mord zu tun, hier in diesem beschaulichen Idyll. Mein Freund hingegen ließ sich nicht drängen und nahm jedes Detail in Augenschein. „Inspektor, dieser Mann wurde zweifelsfrei erdrosselt.“, kam es dann von ihm. Auch mir entgingen die Würgemale am Hals nicht. „Aber… wozu dann die Gewaltanwendung?“, wollte ich wissen. Holmes verschwieg mir die Antwort nicht allzu lange. „Sehen Sie. Neben dem Opfer liegt seine Brieftasche. Das Geld ist noch vorhanden, aber keinerlei Ausweispapiere.“, machte er uns darauf aufmerksam. „Vielleicht hatte er keine dabei.“, warf der Inspektor ein. Mein Freund schüttelte aber den Kopf. „Welchen Grund hätte der Täter dann ihm seine Brieftasche wegzunehmen und wegzuwerfen? Wenn es also nicht wegen des Geldes war, muss er etwas anderes daraus entnommen haben. Dafür spricht auch die Gewalteinwirkung gegen das Gesicht des Opfers. Es ist unmöglich eine Fotographie anzufertigen, niemand könnte ihn noch identifizieren. Ich überlegte kurz. „Demnach muss der Täter ein nahestehender des Opfers gewesen sein. Er wollte nicht, dass man den Mann identifiziert und so auf ihn kommt.“ Holmes brummte nur leise. „Ja, das möchte man meinen. Aber eines ist seltsam. Sehen Sie sich die rechte Hand des Opfers an. Sehen Sie den Ring an seinem Mittelfinger?“, machte er uns darauf aufmerksam. Ich ging etwas in die Hocke, während sich der Inspektor gleich hinkniete. Holmes behielt wie immer recht. Ich erkannte einen silbernen Ring, der an der Hand des Opfers steckte. Er war durchaus auffallend, mit einem Muster oder dergleichen. Holmes beschwerte sich, seine Lupe nicht dabei zu haben und musste auf seine Augen vertrauen. „Das Tier, das auf dem Ring könnte ein Adler… nein eher ein Falke sein. Was meinen Sie?“ Ich gestand, ebenfalls unschlüssig zu sein, dass es jedoch ein Vogel war, stand außer Zweifel. „Dann… werde im Dorf herumfragen, ob jemand mit einem solchen Ring vermisst wird.“, entschloss der Inspektor. Holmes tätigte aber sofort eine ablehnende Handbewegung. „Das können Sie sich sparen. Dieser Mann stammt zweifelsfrei nicht von hier. Die Kleidung und die Bräunung seiner Haut sprechen dagegen. Ich bin mir auch sicher, dass es sich bei ihm nicht um einen Engländer handelt.“ „Aber Holmes! Dann wird es gerade zu unmöglich ihn zu identifizieren! Wie sollen wir weiter vorgehen?“, warf ich ein. Mein Freund überlegte einen Moment und erhob sich dann. „Mir ist da durchaus eine Idee gekommen. Inspektor, Sie möchte ich bitten, den Tatort zu übernehmen. Sie können die Leiche abtransportieren. Sie, werter Doktor, möchte ich bitten ins Cottage zurückzukehren. Ich werde wohl bis zum späten Abend beschäftigt sein. Sie können sich gerne meiner Bibliothek bedienen.“ Ich schlug vor, Holmes doch helfen zu können, doch davon wollte dieser augenscheinlich nichts wissen. Etwas beleidigt, dass er mich wohl für so nutzlos hielt, willigte ich schließlich ein. So trennten sich unsere Wege und es würde wie Holmes bereits gesagte hatte, bis zum Abend dauern, bis ich ihn wiedersehen würde. Ich erkannte, dass er etwas abgehetzt wirkte, er war wohl viel unterwegs gewesen. Als er Mrs. Sinclair darum bat, das Abendessen für drei Personen vorzubereiten, stutzte ich. „Wir erwarten Besuch, Holmes?“ Der Detektiv antwortete nicht direkt, sondern verwies mich auf sein Arbeitszimmer. Ich folgte ihm, wo er sich niederlass und erst einmal einen Moment ausspannte. Ich wollte ihn nicht unnötig drängen, wusste ich doch, wie ungern Holmes in seinem Ruhestand ermittelte. Zumindest in Fällen, die er sich nicht expliziert ausgesucht hatte. Also schenkte er sich und mir ein Glas Brandy ein. „Nun, konnten Sie in dieser Mordsache bereits weiterkommen?“, versuchte ich meine Frage so beiläufig wie möglich klingen zu lassen. Mein Freund stellte sein Glas hin und nickte. „Das kann man durchaus so betiteln. Ich konnte den Fall lösen.“, verriet er. Damit verschlug er mir sichtlich die Sprache. Ich wusste, dass mein Freund gut war, aber einen Mörder an nur einem Tag zu stellen?“ Also konnten Sie das Opfer doch identifizieren?“, hakte ich nach. Mein Freund schüttelte den Kopf. „Nein, das nicht. Aber ich bin zuversichtlich, seinen Namen in Kürze zu erfahren. Doch eine Identifizierung war nicht nötig um die Tat aufzuklären.“ Ich wollte nachhaken, da steckte Mrs. Sinclair ihren Kopf durch die Tür und kündigte einen Gast an. Der Hausbesitzer bat sie, diesen direkt zu uns ins Arbeitszimmer zu schicken. Ich sah den Detektiv an und erwartete eine Erklärung. Als diese nicht kam, fragte ich nach. „Wollen… Sie mir verraten wer uns Gesellschaft leistet?“ Die Antwort haute mich beinahe von den Socken. „Natürlich, werter Doktor. Der Mörder. Ich habe den Mörder zu uns eingeladen.“ Hätte ich Holmes zu diesem Zeitpunkt nicht so gut wie kaum einen anderen Menschen gekannt, hätte ich seine Aussage sofort als Scherz deklariert. Jedoch konnte ich an seinem Gesicht zweifelsfrei ablesen, dass er es ernst meinte. „Dann… soll ich vielleicht meinen Wepley holen?“, fragte ich, nur um wenig später zu bemerken, dass sich dieser in meinem Apartment in der Queen Anne Street befand. Holmes schüttelte den Kopf. „Unser Gast kann zwar durchaus gefährlich sein, aber nicht für uns. Zumal er noch einiges an Gewicht zugelegt hat und die Tat wohl eher einer seine zahlreichen Handlanger ausgeführt hat.“, fuhr er fort. Ich wurde zusehends verwirrter, bis die Tür aufging und unser Gast eintrat. Ich staunte nicht schlecht als sich dieser als eine mir bekannte Person herausstellte. Mycroft Holmes musterte erst mich, dann meinen Freund. Schließlich suchte er sich selbst eine Sitzgelegenheit und nahm Platz. „Sherlock. Doktor Watson. Es ist mir eine Freude, auch Sie hier zu sehen.“, begann er schließlich. Ich wusste erst gar nicht, was ich entgegnen sollte, also überließ sich Holmes das Feld. „Ich muss schon sagen, Mycroft. Dein erster Besuch an meinem Ruhesitz und schon legst du mir eine Leiche vor die Tür.“, wirkte seine Stimme anklagend. Sein Bruder prustete aber nur. „Ich bitte dich, Sherlock. Dieser Mann hatte vermutlich den Auftrag dich umzubringen. Ein wenig Dank wäre angebracht.“, rechtfertigte er sich. Holmes schien aber gar nicht daran zu denken. „Das ist mal wieder typisch. Selbst wenn der Mann diesen Auftrag hatte, es wäre leichter gewesen, ihn während der Überfahrt auszuschalten, spätestens aber in London. Aber nein, du musstest deinen Leuten ja auftragen, ihn hier in Sussex erledigen zu lassen.“ Mycroft Holmes lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Nun… der Agent, der ihn beschatten sollte, ist noch recht jung. Es ist seiner fehlenden Erfahrung geschuldet.“ Es war deutlich, dass er meinen Freund damit nicht überzeugen konnte. „Wohl kaum. Dein Agent sollte den Attentäter nur hier ausschalten um mein Interesse zu wecken. Ein Mann, den man nur schwer identifizieren kann, lediglich an seinem Siegelring an der rechten Hand. Deine Handschrift ist inzwischen so einfach zu erkennen, werter Bruder.“ Man sah Mycroft Holmes nun an, dass er ertappt wurde. „Was sollte ich auch sonst unternehmen? Du bist ja sonst für nichts mehr offen seit du dich diesen Bienen verpflichtet hast.“ Nun erlaubte ich auch mir, mich in das Gespräch miteinzubringen. „Verzeihung, aber könnten Sich beide auch mich einweihen, worum es hier geht? Wer genau hatte ein Attentat auf Holmes vor?“, wollte ich wissen. Während mein Freund schwieg, war es Mycroft, der mich ins Vertrauen zog. „Ludger Heinen. Ein deutscher Auftragsmörder, der auf meinen Bruder angesetzt wurde.“ Verdutzt wechselte mein Blick immer wieder zwischen den Brüdern. „Ihnen ist doch der Siegelring des Mannes aufgefallen, richtig? Hätte man ihn entfernt, wäre eine Identifizierung wahrlich unmöglich gewesen. So war es jedoch einfach seine Herkunft und Gesinnung in Erfahrung zu bringen.“, klärte Holmes auf. Es war Mycroft, der fortfuhr. „Heinen gehörte einer Organisation an, die sich Silberfalken nennt. Eine recht neue Gruppierung im deutschen Kaiserreich, die wir mit Argusaugen beobachten.“ Ich nickte langsam. „Gut… aber wieso sollte es einer dieser Leute auf meinen Freund hier abgesehen haben?“, wollte ich wissen. Doch Mycroft brachte mir nur ein Schulterzucken entgegen. „Das kann ich Ihnen nicht beantworten, Doktor. Ich weiß nur, dass mehrere Mitglieder dieser Gruppierung den Auftrag haben, nach England einzureisen. Vermutlich gibt es noch andere Ziele als Sherlock.“ Mrs. Sinclair meldete sich, dass das Abendessen nun bereitstand, doch der Detektiv schickte sie harsch weg. „Und was genau erwartest du jetzt von mir, werter Bruder?“, wollte er wissen. Mycroft räusperte sich kurz. „Ich möchte, dass du nach Bremen reist, wo sich der Standort dieser Gruppierung befindet. Dort sollst du ihren Kopf identifizieren, so dass wir ihn ausschalten können.“, lautete sein Vorschlag. Holmes rümpfte wie erwartet die Nase. Zwar war es nichts Neues, dass sein Bruder als Klient an ihn herantrat, man erinnere sich nur an den Vorfall mit den Bruce Partington Plänen, doch Mycroft ignorierte konsequent, dass sich sein Bruder im Ruhestand befand. Auf der anderen Seite hatte ich inzwischen auch miterlebt, dass es Holmes kaum möglich war, seinem Bruder einen Wunsch abzusprechen. Also wandte er sich an mich. „Watson, ich weiß, es war geplant einen ruhigen Urlaub zu verbringen, aber könnten Sie sich vorstellen, mich nach Deutschland zu begleiten?“ Damit überrumpelte er mich etwas, doch meine Antwort folgte kurz darauf. „Nun, zwar hatte ich mir unsere Zusammenkunft etwas anders vorgestellt, aber Sie kennen mich, Holmes. Ein gefährlicher Fall und noch dazu eine Reise auf den Kontinent? Sofern Vater Staat für unsere Kosten aufkommt, begleite ich Sie gerne.“ Mycroft erhob sich. „Natürlich wird das Außenministerium für sämtliche Kosten aufkommen. Auch das Hotel in das Sie und Sherlock unterkommen werden ist bereits gebucht. Sie erinnern sich vielleicht an Frederic Woodrow?“, wollte er schließlich von mir wissen. Ich nickte. „Natürlich tue ich das. Ist er noch immer für Sie tätig?“ Mycroft bejahte. „Ja, er hat durchaus bereits einiges an Vorarbeit in Bremen geleistet, seit ich ihn dort stationiert habe. Er kann euch mit allem versorgen, was ihr benötigt, Informationen miteingeschlossen.“ Auch der Detektiv erhob sich. „Du hast bereits wie erwartet im Vorfeld bereits für alles gesorgt. Also gut, ich werde diese Angelegenheit für dich bereinigen, andernfalls lässt du mich damit ohnehin nicht in Ruhe.“, gab er schließlich sein Einverständnis. Mycroft Holmes rieb sich freudig die Hände. „Gut, die Details besprechen wir dann. Aber zuerst… deine Haushälterin hat etwas von einem Abendessen erwähnt?“ Ich und Holmes sahen einander nur an und traten dann zu Tische. Mycroft Holmes verließ uns noch am selben Abend, als er von einer privaten Kutsche abgeholt wurde. Der Detektiv wies seine Haushälterin an, während seiner Abwesenheit auf seine Bienen aufzupassen. Er schien sie bereits zuvor instruiert zu haben, welche Abfolgen in so einem Fall zu tun seien. Kapitel 2: In Bremen -------------------- Schließlich kam der Morgen und wir bereiteten alles für die Überfahrt vor. Ich hatte nicht das nötige Gepäck für eine längere Reise, doch Holmes half mir mit allem aus, was ich benötigen würde. Ein Anruf bei meiner Frau verschaffte mir noch die nötige Erlaubnis diese Reise anzutreten. Von Sussex ging es nach Dover, wo wir das nächste Schiff auf den Kontinent nehmen würden. Mycroft Holmes hatte in der Tat alle Vorbereitungen getroffen und so bezogen wir dort unsere Kabinen, bevor wir wenige Tage später an Land gingen. Unser Anschlusszug nach Deutschland ließ nicht lange auf sich warten und fanden wir Zeit dort endlich näher über den Fall zu sprechen. „Holmes, was hat es mit diesem Siegelring auf sich? Den mit dem Falken, meine ich.“ Mein Freund konnte mir im Moment jedoch keine definitive Antwort geben. „Eine Erkennungsmarke wie ein Ring ist durchaus üblich in solchen Organisationen. Anders als in einem Agentennetzwerk, oder in einer Armee, ist diese wesentlich persönlicher und soll die Mitglieder von der Sache überzeugen.“ Ich fragte ihn was genau mit ‚der Sache‘ gemeint sei, doch so weit schien auch Holmes noch nicht zu sein. Dass diese neue Gruppierung eine Gefahr für das Empire sein konnte, das hatte bereits sein Bruder glaubhaft da gelegt. Schließlich kamen wir in Bremen an und wurden am Bahnhof von einem alten Bekannten begrüßt. Frederic Woodrow, den wir während des Falls um einen mysteriösen Scharfschützen kennengelernt hatten, reichte uns überschwänglich die Hand. Er freute sich aufrichtig uns zu sehen und wollte sich sogar um unser Gepäck kümmern. Da wir jedoch nicht als alte Männer durchgehen wollten, übernahmen wir diesen Part selbst. Er kutschierte uns ins Hotel Kuckucksnest, ein beschauliches Gebäude am Rande der Stadt. „Mr. Holmes, Doktor Watson, bitte betrachten Sie dies hier als Ihre vorhergehende Kommandozentrale.“, sagte der Agent. Wir richteten uns wie erbeten ein und Holmes erkundigte sich über die Stadt. Er hatte im Zug einen Reiseführer gelesen, wollte jedoch Informationen aus erster Hand. Woodrow klärte ihn über die Verbindungen, Fortbewegungsmittel und wichtige Einrichtungen auf. „Ich nehme an, dass sich die Silberfalken irgendwo im Untergrund bewegen. Ich habe bereits Annäherungen in diesen Bereich getätigt, bisher aber mit mäßigem Erfolg.“, gestand er. Ich erinnerte, dass Holmes mittels seiner zahlreichen Verkleidungen ebenfalls bereits Durchstöße in dieses Milieu erzielt hatte. Mein Freund verlor jedoch ein wenig an Selbstsicherheit. Immerhin befanden wir uns hier auf fremden Boden und trotz seiner guten Verkleidungskünste, würde er den Briten nicht zur Gänze verbergen können. Nachdem wir unsere Kommandozentrale, wie es Woodrow formuliert hatte eingerichtet hatten, überprüfte mein Freund unsere Ressourcen. „Ich benötige noch einige Dinge, die ich wohl in der Stadt erwerben kann.“ Der Agent bot sich an, diese für Holmes zu besorgen, doch beim Freund lehnte ab. Er musste sich ohnehin mit den Örtlichkeiten vertraut machen. Ich wollte ihn natürlich begleiten und so sahen wir uns nur wenige Stunden später in der Innenstadt um. Als wir durch die belebten Straßen schlenderten, fiel ihnen sofort die beeindruckende Architektur auf. Die historischen Gebäude und Fachwerkhäuser verliehen der Stadt einen charmanten und traditionellen Charakter. Holmes war besonders fasziniert von der prächtigen Bremer Stadtmusikanten-Statue, die das Märchen der Gebrüder Grimm darstellte. Er analysierte jedes Detail und machte sich Notizen, während ich nur lächelnd zuschaute. Wir beide beschlossen, eine Pause in einem der gemütlichen Cafés einzulegen, um sich auszuruhen und das Flair der Stadt zu genießen. Während wir den Kaffee tranken, beobachteten wir das geschäftige Treiben um uns herum. Die Menschen eilten vorbei, Touristen bestaunten die Sehenswürdigkeiten und Straßenkünstler unterhielten das Publikum mit ihren Darbietungen. Wir besuchten das beeindruckende Bremer Rathaus mit seiner imposanten Architektur und dem berühmten Roland-Statue, einem Symbol für Recht und Freiheit. Wir bestaunten auch die wunderschöne Bremer St. Petri-Domkirche mit ihren gotischen Elementen und ihrer reichen Geschichte. Wir setzten unsere Erkundung fort und bogen gerade in eine Seitenstraße ein, als uns ein Mann mit Buckel entgegenkam. Er schien etwas in der Hand zu halten, das ich als Büchse identifizierte. Schnell kramte ich in meinen Taschen, bis ich innehielt. Ich kannte mir von Woodrow noch kein deutsches Geld geben lassen, also wies ich Holmes an, dem armen Mann doch etwas zu geben. Dieser zögerte jedoch. Dann packte er mich an die Schulter und wollte mich mit sich ziehen. Ich verstand nicht was das sollte, doch gleich darauf wurde es klarer. Vor der Gasse hatte sich ein weiterer Mann aufgetan, der nun einen Revolver aus dem Mantel zog. Ich drehte mich um, um mit Holmes eventuell in die andere Richtung zu fliehen. Doch dort stand immer noch der Bettler, der inzwischen gar nicht mehr so arm wirkte. Immerhin war auch er inzwischen in den Besitz eines Revolvers gekommen. „Wir haben nicht so viel Geld!“, hoffte ich, dass mein Deutsch dafür ausreichte. Doch die Männer reagierten gar nicht darauf. „Sherlock Holmes? Wir möchten Sie bitten mit uns zukommen.“, sagte nun der Bettler. Es hatte etwas dauert. Dem Detektiv war es natürlich sofort aufgefallen, doch ich verfluchte meine Unaufmerksamkeit wieder einmal. Sowohl der Bettler, als auch sein Komplize besaßen eine Gemeinsamkeit. Und zwar im Sinne eines Siegelrings, der an ihren Mittelfingern prangte. Trotz der Entfernung hätte ich mein Leben darauf gewettet, dass auch beidem ein Falke eingekerbt war. Mein Leben zu verwetten war aber vielleicht gar nicht nötig gewesen. Uns blieb keine andere Wahl als den Männern zu folgen, welche uns weiterscheuchten und schließlich vor einer stählernen Tür zum Stehen blieben. Während einer davon sie aufschloss, drückte sich Komplize uns immer wieder den Lauf des Revolvers in die Leisten. Ich wünschte, der Agent hätte uns begleitet, immerhin wäre dieser bestimmt bewaffnet gewesen. Gegen zwei Gegner hätte aber vielleicht auch er den Kürzeren gezogen. Die Bewaffneten zwangen uns, in einen düsteren Keller zu gehen, der mit alten Holzkisten und abgenutzten Möbeln gefüllt war. Die Tür wurde hinter uns verschlossen, und wir waren gefangen. Holmes, immer ruhig und gefasst, beobachtete seine Umgebung aufmerksam. Er erkannte, dass die beiden Bewaffneten nervös und unentschlossen waren. Ich hingegen war besorgt und versuchte, die Situation zu entschärfen. Ich trat vor und begann mit ruhiger Stimme zu sprechen. "Meine Herren, es scheint, dass wir uns in einer misslichen Lage befinden. Aber ich bin überzeugt, dass wir eine friedliche Lösung finden können. Was sind Ihre Forderungen? Gibt es etwas, das wir für Sie tun können?" Die Männer sahen sich kurz an, dachten aber nicht im Ansatz daran, ihre Revolver sinken zu lassen. Sie warfen sich einige Worte zu, doch mein Deutsch war nicht gut genug, um ihnen zu folgen. Es verstrichen einige Minuten, bis sich etwas tat. Als die Tür erneut aufging, erkannten wir, dass die Männer wohl auf jemanden gewartet hatten. Eine weitere Person betrat den Keller und ich machte sie als Frau aus. Sie trug ein weißes Kleid, ihr Gesicht jedoch war halb durch einen Schleier verdeckt, wodurch ich ihr Alter nicht ausmachen konnte. Die Männer wanden sich sofort an sie, doch ich verstand auch dieses nicht. Sie schienen zu diskutieren. Scheinbar zu unseren Ungunsten, denn einer der Männer, der Bettler, richtete erneut seinen Revolver auf uns. Ich erkannte an seinen Augen, dass er es ernst meinte und ging meine Optionen durch. Es war unmöglich sich gegen zwei bewaffnete Gegner durchzusetzen. Ich sah zu Holmes und verstand nicht, wie dieser so gelassen sein konnte. Sein Blick ruhte auf der Frau. Der Bettler legte bereits seinen Finger um den Abzug, da trat die Frau in Aktion. Sie zog von sich aus einen Revolver und schoss auf den Bettler. Dessen Komplize war so irritiert, dass es für sie ein leichtes war, auch diesen auszuschalten. Die Männer lagen nun tot vor uns und ich war unsicherer als zuvor. Holmes hingegen erwies sich als unbeeindruckt. „Ich muss zugeben, etwas enttäuscht zu sein, meine Herren. Sich so einfach gefangen nehmen zu lassen.“, wand sie sich nun in bestem Englisch an uns. Holmes trat einen Schritt vor. „Ehrlich gesagt war ich etwas enttäuscht, als ich Sie auf dem Marktplatz erblickte, Sie mir aber keine Aufmerksamkeit schenkten. Also beschloss ich dies zu provozieren.“, gestand er. Ich stutzte. Sollte das heißen, Holmes war absichtlich in diese Falle getappt? Die Frau nahm nun ihren Schleier ab und gab ihr Gesicht preis. Es dauerte etwas, bis ich sie identifizieren konnte, immerhin waren zahlreiche Jahre ins Land gezogen. „Mr. Holmes, Doktor, Watson, es ist mir eine Freude, Sie in meinem Land begrüßen zu dürfen. Auch wenn die Umstände alles andere als erfreulich sind.“ Mein Freund nickte. „Es ist zumindest schön, Sie dieses Mal auf unserer Seite zu wissen, Fräulein von Hoffmanstal.“, begrüßte er sie dennoch kühl. In meinem Kopf ging ich noch einmal alle Details durch, die ich in meinem Bericht ‚Das Ungeheuer‘, welcher aber später vom Strand-Magazine den mysteriöseren Titel ‚Die Frau aus der Themse‘ erhalten hatte, niedergeschrieben hatte. Damals wollte die deutsche Agentin uns ausschalten, diesmal schien sie uns allerdings das Leben gerettet zu haben. „Könnten Sie… uns vielleicht aufklären, was hier vor sich geht?“, bat ich schließlich. Mein Freund stimmte mir zu. „Dies möchte ich ebenfalls erbitten. Angefangen bei der Tatsache, dass Sie noch am Leben sind. Ich hörte von meinem Bruder, Sie wären während Ihrer letzten Mission umgekommen.“, sprach er. Ilse von Hoffmannstal nickte kaum merklich. „Das bin ich auch. Zumindest musste ich dies offiziell. Und der Grund dafür ist…“ Sie steckte nun ihren Revolver weg und streckte uns ihre Hand entgegen. Der silberne Siegelring stach uns sofort ins Auge. „Verstehe, Sie sind ein Silberfalke.“, meinte Holmes nur. Ich zeigte mich verwirrt. „Holmes… ist die werte Dame nun ein Feind, oder nicht?“, konnte ich sie nicht einordnen. Der Detektiv holte tief Luft. „Verzeihung, werter Doktor. Es gibt da wohl ein Detail, das ich vergaß Ihnen mitzuteilen. Mycroft hat mir versichert, dass die Aktivitäten der Silberfalken keineswegs in Einklang mit der deutschen Regierung geschehen. Er versicherte mir, sie im Rahmen der Kooperation durchaus auf unserer Seite sein dürfte.“ Ich verstand. Und diese Kooperation erfolgte augenscheinlich in Form der deutschen Agentin. „Sie… haben sich bei den Silberfalken eingeschmuggelt?“, fragte ich. Die Agentin hob die Augenbrauen. „so könnte man es nennen, ja. Es gelang mir bisher bereits den Kopf der Gruppierung zu treffen. Ein unangenehmer Zeitgenosse. Das Ministerium hält diese Leute für aufrührerische Anarchisten und möchte sie nicht länger frei herumlaufen sehen, als nötig.“ „Dann gehe ich davon aus, dass Sie uns in dieser Angelegenheit helfen werden?“, fragte Holmes erwartend. Die Agentin seufzte. „Nun, ich kann den Umstand nicht verwehren, dass ich Ihnen noch etwas schuldig bin, Mr. Holmes. Jedoch kann ich nicht zulassen, dass Sie den ‚Falken‘ ausschalten, bevor ich nicht die Erlaubnis von meinem Ministerium dafür habe. Das könnte zu einem internationalen Zwischenfall führen.“, erwiderte sie. Der Detektiv konnte sie allerdings beruhigen. „Keine Sorge, wir schalten niemanden aus. Wir sind keine Attentäter und wurden von meinem Bruder lediglich gebeten Informationen über diesen sogenannten ‚Falken‘ zu beschaffen. Die Drecksarbeit liegt nicht in unseren Händen.“, versicherte er. Mit dieser Antwort schien sich die Agentin zufrieden zu geben. „Gut, ich weiß aus verlässlicher Quelle, dass heute Abend ein Treffen stattfindet. Der Falke trifft sich mit einem wichtigen Kontakt, ich konnte jedoch nicht herausfinden, um wen es sich dabei handeln könnte.“ Holmes nickte und bat darum, dieses Treffen aus sicherer Entfernung beobachten zu können. Die Agenten sagte zu und versprach etwas zu arrangieren. Kapitel 3: Die Silberfalken --------------------------- Zurück im Hotel berichteten wir Woodrow von den Geschehnissen. Er war wenig begeistert, dass wir unser Leben in die Hände einer deutschen Agentin legten. Er beharrte darauf uns zu begleiten, doch Holmes verneinte vehement. Seine Anwesenheit wäre definitiv zu gefährlich. Und sollte uns tatsächlich etwas zustoßen, musste es jemanden geben, der eingeweiht und für einen sofortigen Zugriff sorgen musste. Auch ich kam nicht umher, das Vertrauen, das Holmes für diese Frau an den Tag brachte zu bestaunen. Während unseres letzten Falls mit ihr, hatte er sie fast augenblicklich durchschaut. Es war ein seltsames Spiel, das die beiden miteinander trieben. Wie ich bereits in einigen älteren Berichten erwähnte, gab es immer nur eine Frau für Sherlock Holmes, über die er in einem bewunderten Tonfall sprach und gerne als Referenz mir gegenüber wiedergab. Ich fragte mich, wie Holmes wohl über die Agentin dachte. Am liebsten hätte ihn dazu gefragt, nicht aus persönlichem Interesse, sondern mehr dem meiner Leser, empfand es dann aber doch als unangebracht. Am Abend holte uns schließlich eine Kutsche ab und wir wurden in eine Gegend gebracht, welche mich an das Londoner Est End erinnerte. Holmes hatte sich und mir zuvor passende Verkleidungen verpasst, auch wenn uns Fräulein von Hoffmannstal versichert hatte, niemand würde uns zu Gesicht bekommen. Durch den Hintereingang führte sie uns in ein Gebäude, das kaum Einrichtungsgegenstände besaß. Sie erklärte uns, dass hier lediglich das Treffen abgehalten wurde. Sie platzierte uns in einem Raum, welcher sich direkt neben jenem befand, in welchem der Kopf der Gruppierung seinen Kontakt treffen sollte. Durch eine schmale Öffnung in der Wand, nicht von außen einsehbar, sollten wir das Treffen erfolgen können. Zu unserem Glück hatte sich die Agentin bereits soweit in der Organisation hochgearbeitet, dass man ihr einiges an Vertrauen schenkte. Niemand würde uns also in unserem Versteck überraschen. Was nicht bedeutete, dass wir so laut sein durften wie wir wollten, wie mich Holmes mehrmals an diesem Abend erinnerte. Scheinbar verspätete sich zumindest eine der beiden Parteien, denn ich wurde langsam ungeduldig. Endlich traten mehrere Leute ein. Holmes beobachtete alles durch den Spalt, während ich seine Reaktion verfolgte. Zwar hörte ich ihre Stimmen, verstand aber kein Wort. „Holmes! Was ist?“, flüsterte ich. Mein Freund warf mir einen ermahnenden Blick zu. „Der Kontakt scheint eingetroffen zu sein. Ein kahler Mann mit militärischem Auftreten. Aber er sagt mir nichts.“, erwiderte er. „Vielleicht kann uns Fräulein von Hoffmanstal etwas zu ihm…“, begann ich, doch der Detektiv unterbrach mich. Drei Personen traten ein, scheinbar der Falke und zwei seiner Handlanger. Was nun in Holmes‘ Gesicht vorging, ließ sich nur schwerlich beschreiben. Er wurde bleich. Ich las Zorn, Unglauben und Skepsis. Ich wollte nachhaken, was los sei, traue mich aber nicht. Mein Freund ballte eine Hand zu einer Faust und verfolgte weiterhin das Treiben. Das Gespräch ging nicht sonderlich lange, beide Parteien schienen sich auf das wesentlichste zu konzentrieren. Dann verließen sie das Zimmer wieder und Holmes stapfte zur Tür. So geduldig wie möglich wartete er, bis Ilse von Hoffmannstal ihm öffnete und uns wieder entließ. „Sie kennen den Namen des Anführers?“, hakte er nach. Die Agentin nickte. „Ja, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen diesen ohne Erlaubnis mitteilen kann.“, entschuldige sie sich. Holmes selbst schien das nicht als nötig zu erachten. Ich ahnte, dass er etwas im Raum gesehen hatte. „Watson, wir gehen. Zurück ins Hotel.“, wies er mich an. Ich wollte nachhaken, was genau er erfahren habe, doch er ließ mir keine Gelegenheit. Der Fahrer brachte uns zurück, wo der Detektiv als erstes das Zimmer von Mycroft Holmes‘ Agenten aufsuchte. Ohne anzuklopfen stieß er die Tür auf und überraschte den Mann, wie er gerade seine Waffe reinigte. „Holmes! Was ist denn…“, begann ich, doch der Detektiv schritt auf unseren Verbindungsmann zu. „Das hat sich mein Bruder ja fein ausgedacht. Sie wussten davon, oder? Von dem Mann, der diese Silberfalken anführt.“ Ich wechselte meinen Blick zu Woodrow. Dessen Schweigen galt als Bestätigung. „So sagen Sie doch, Holmes! Wen haben Sie gesehen?“, forderte nun auch ich eine Antwort. Dieser antwortete ohne seinen Blick von seinem Gegenüber abzuwenden. „Baron Adelbert Gruner.“ Kaum hatte mein Freund den Namen ausgesprochen, war mir bewusst, warum dieses Mitglied der Gruppierung nach Sussex gekommen war um Holmes auszuschalten. „Gruner war bei dem Treffen anwesend?“, wollte Woodrow wissen. Der Detektiv nickte. „Ja, es reichte lediglich eine Gesichtshälfte um ihn zu identifizieren.“, schob er ein. Zu gut erinnerte ich mich, wie dem Baron mitgespielt wurde und er durch einen Säureanschlag entstellt wurde. Er machte uns daraufhin verantwortlich und unternahm bereits mehrere Versuche seine Rache in die Tat umzusetzen. Nachdem er England verließ, hatte ich gehofft, ein für alle Mal Ruhe vor diesem Kerl zu haben. „Aber wieso… ist Gruner nun auf einmal der Kopf dieser Silberfalken?“, wollte ich wissen. Ich wusste, dass es Woodrow war, an welchem ich diesmal meine Frage richten musste. Dieser zögerte einen Moment, doch Holmes erinnerte ihn daran, was wir bisher alles für ihn getan hatten. „Nachdem Gruner in sein Land zurückkehrte, war er ein verbitterter Mann. Alle Beziehungen und Kontakte, die er besaß, ebbten mit der Weile ab. Irgendwann galt er nur noch als Schwätzer. Doch genau das war das Problem. Jemand der sich so für eine Sache einsetzt, findet auch Anhänger. Leute, die dem britischen Empire nicht wohlgesonnen sind.“, führte er aus. „Die Silberfalken.“, ergänzte Holmes. Der Agent nickte. „Seine Weltanschauung ist gefruchtet, zumindest bei den Leuten, auf die es ankommt. Und natürlich möchten wir eine Fraktion unterbinden, welche England feindlich gesinnt ist.“ Eines verstand ich jedoch nicht. „Aber wenn Sie wissen, dass Gruner hinter allem steckt… wieso sind Sie noch nicht gegen ihn vorgegangen?“, wollte ich wissen. Woodrow wich meinem Blick aus. „Weil wir keinen Märtyrer riskieren wollen. Schalten wir Gruner aus, so stärken wir nur seine Anhänger. Diese würden sich verteilen und noch gefährlicher für uns werden.“, schilderte er das Problem. Holmes schien zu verstehen. „Dann bleibt uns also nichts anderes übrig, als die gesamte Gruppe zusammen zu verhaften.“ Ich brummte skeptisch. „Und wie wollen wir das anstellen?“ Mein Freund überraschte mich jedoch. „Ganz einfach. Für morgen ist eine Versammlung anberaumt. Gruner spricht zu seinen Anhängern, die perfekte Gelegenheit um zuzuschlagen.“ Ich verstand. Das war es also, was Holmes bei dem Treffen vernommen hatte. Ich wollte ihn bezüglich des anderen Mannes mit dem militärischen Auftreten fragen, kam aber nicht zu. „Schwierig. Ich müsste die Deutschen überzeugen, eine gemeinsame Verhaftung vorzunehmen. Allein können und dürften wir das gar nicht stemmen.“ Der Detektiv nickte. „Gut, dann überlasse ich das Ihrem diplomatischen Geschick. Watson und ich werden jedenfalls der Versammlung beiwohnen.“ Ich schluckte. Würden wir das? Ich bezweifelte, dass Holmes sich dieses Vorgehen eingehend überlegt hatte. Die Vendetta zwischen ihm und Gruner könnte dazu führen, dass er diesmal einen Fehler machte. Als Woodrow uns verließ um seine Arbeit nachzugehen, wandte ich mich an meinen Freund. „Holmes, finden Sie wirklich, dass wir uns da einmischen sollten? Ich bin sicher, Woodrow bekommt das auch alleine hin. Er ist immerhin der fähigste Mann Ihres Bruders, richtig?“ Doch meine Überzeugungskraft schien nachgelassen zu haben. „Watson, Sie sollten inzwischen genau wissen, dass man diesen Mann nicht unterschätzen darf. Wir müssen um jeden Preis verhindern, dass er uns erneut entkommt.“, stand für den Detektiv fest. Da konnte man nichts machen, seine Meinung hatte sich gefestigt. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mich von Holmes am nächsten Tag erneut in eine Verkleidung stecken zu lassen und mir zudem einen der beiden Silberringe anstecken zu lassen, welchen wir den beiden Kerlen im Keller abgenommen hatten. Dann brachten wir auf. Jedoch gab es für mich zu viele unsichere Faktoren. Würde es Woodrow gelingen, die deutschen Verbündeten von dem Zugriff zu überzeugen? Und würden wir wirklich nicht unter den anderen Mitgliedern auffallen? Kapitel 4: Das Ende des Barons ------------------------------ Wie am Vortag brachen wir am Abend auf, diesmal aber ohne die Hilfe der deutschen Agentin. Ich hoffte, dass dies kein schlechtes Zeichen war, was die Zusammenarbeit unserer beiden Regierungen betraf. Wir ließen uns zu jener Adresse bringen, die der Detektiv durch den Spalt in der Wand vernommen hatte. Jene Gegend wirkte durchaus anschaulicher als die von gestern. Wir schlenderten einen Fluss entlang, dessen Wellen unaufhaltsam gegen mehrere Felsen preschte. Unser Ziel war ein großes Haus, das durchaus im Besitz eines Adeligern sein mochte. Am Eingang tummelten sich bereits einige Personen, ich und Holmes versuchten uns möglichst unverdächtig einzureihen. Ich hoffte nur, dass sich nicht alle Mitglieder untereinander kannten. Zwar war es schwer, Holmes unter seiner Maskerade zu erkennen, doch was, wenn man uns ansprach? Ich überließ meinem Freund das Reden, sein deutscher Akzent hätte sogar mich überzeugen können. Falls ich in ein Gespräch verwickelt wurde, würde es unser Unternehmen schon schwieriger gestalten. Wir zeigten unsere Ringe vor und wurden eingelassen. Drinnen befanden sich bereits an die zwei Dutzend Personen, sich unter sie zu mischen wurde nun einfacher. Nach einer Weile läutete ein Mann eine Glocke und bat alle Anwesenden doch in den großen Hauptsaal zu kommen. Wir folgten und positionierten uns möglichst hinten im Saal. Es dauerte kaum eine Minute, da betrat ein älterer Mann den Raum. Er humpelte und brauchte hin und wieder Hilfe von seinen Handlangern. Doch das Gesicht wühlte meine Erinnerungen auf. Die verätzte linke Seite, der gnadenlose Ausdruck in den Augen… Wir hatten Adelbert Gruner vor uns. Jetzt, da wir bestätigt hatten, dass er hier war, konnte auch ein Zugriff stattfinden. Ich setzte meine Hoffnungen in Woodrow, so wie es auch Holmes offenbar tat. Es dauerte etwas, bis Gruner zu sprechen begann. „Sehr verehrte Silberfalken! Es gibt einen Grund warum ihr euch heute versammelt habt. Nein, warum wir uns heute versammelt haben. Und zwar, um gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen. Die Briten auf ihrem hohen Ross… und was es hat ihnen gebracht? Sie sind schwach! Sie verlieren ihre Kriege…. Ihr Ansehen… und wenn wir mit ihnen fertig sind, auch alles andere.“ Ein Jubelschwall ertönte, in den auch Holmes und ich einstimmten, um uns nicht zu verraten. Gruner fuhr mit seiner Rede fort und hetzte derart gegen mein geliebtes England, dass ich am liebsten vorgetreten wäre um ihm meine Meinung zu sagen, wenn nicht gar, um meine Faust gegen ihn zu erheben. Gruner verließ die Tribüne wieder, doch anstatt des Saals zu verlassen, beschloss er, jedem seiner Mitglieder die Hand zu schütteln. Eine Geste, mit welcher er Einigkeit zum Ausdruck bringen wollte. Ich hoffte, dass er es bei der vordersten Reihe beließ, doch diese Hoffnung wurde enttäuscht. Bald war er in der letzten angelangt und ich versuchte so ruhig zu bleiben wie möglich. Gruner war noch eine Person von mir und Holmes entfernt. Nervös sah ich aus dem Fenster. Keine Anzeichen von Polizei. Gruner stand nun vor mir und streckte mir die Hand auf. Er ergriff sie etwas zu schnell und hoffte, er würde meine Nervosität nicht erkennen. Dann stand er vor Holmes. Dieser hatte seine Hand bereits ausgestreckt und der Baron nahm sie entgegen. Lange sah er den Detektiv an, die Blicke der beiden Männer sprachen Bände. Er hatte meinen Freund durchschaut. Egal, wie gut Holmes‘ Maskerade auch sein mochte, Gruner würde seine Augen so wenig vergessen, wie Holmes die seinigen. „Mister Holmes, es ist mir eine Freude, Sie diesmal in meinem Reiche begrüßen zu dürfen.“, sagte er schließlich. Ein Raunen und Flüstern gingen durch die Anwesenden. Der Detektiv nickte. „Ich wünschte, diese Freude wäre auch meinerseits. Jedoch bin ich nur hier um einem Individuum - wenn man es denn so ausdrücken möchte - wie Ihnen ein Ende zu bereiten.“, sagte er forsch. Die beiden Männer harrten einen Moment in ihrer Position, dann ließ der Baron von ihm ab und trat einen Schritt zurück. „Ergreifen! Und den Mann neben ihm ebenfalls, bei dem es sicher sicherlich um den guten Doktor handeln dürfte.“, wies er seine Leute an. Sofort waren wir von allen Seiten umring, ein Entkommen war absolut ausgeschlossen. Wir wurden gepackt und in die Knie gezwungen. Ich raunte Holmes zu, was wir nun unternehmen sollten, doch dieser war weiterhin auf den Anführer der Gruppierung fixiert. „Sperrt den Doktor irgendwo ein. Mr. Holmes… möchte ich in meinen privaten Gemächern sehen.“, befahl er. Die Silberfalken packten uns und trennten uns schließlich. Ich wehrte mich, aber ohne großen Erfolg. Holmes ging anstandslos mit, er wusste, dass wir zu zweit nichts ausrichten würden. Die Verbrecher sperrten mich in einen Kühlraum, wodurch ich nicht mitbekam, was mit Holmes geschah. Ich kann also nur aufgrund seiner Erzählung berichten, was als nächstes geschah. Der Detektiv wurde in einen Raum getrieben, bei dem es sich wohl um das Arbeitszimmer des Barons handelte. Dort wurde er auf einen Stuhl gesetzt und seine Arme an die Lehnen gefesselt. Danach ließen ihn die Anhänger der Gruppierung allein und er atmete erst einmal tief durch. Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Noble Möbel, Eichenholz und Bücherregale mit seltenen Werken. An den Wänden Porträts und Fotographien, die Gruner mit wichtigen Funktionären zeigten. Im nächsten Moment trat der Gastgeber höchstpersönlich ein und setzte sich Holmes gegenüber. „Es ist schon einige Zeit her, Mr. Holmes. Wie ist es Ihnen ergangen?“, wollte er wissen. Der Detektiv zeigte sich unbeeindruckt. „Danke, ich kann nicht klagen. Aber Ihnen dürfte es nicht viel anders ergangen sein, oder? Gut, Sie sind vielleicht noch ein wenig fanatischer geworden. Aber mit so etwas habe ich gerechnet.“ Gruner lachte auf. „Wie immer erheben Sie sich über andere, nicht wahr? Aber sagen Sie mir, Herr Detektiv. Was glauben Sie, hier erreichen zu können?“ Dieser hob eine Augenbraue. „Ich möchte ganz ehrlich zu Ihnen sein, Herr Baron. Ich wurde darum gebeten mich dieses Falls anzunehmen. Aber ich habe auch ein persönliches Interesse, Sie endlich im Gefängnis zu sehen.“, erwiderte er. Gruner lachte erneut. „Hah! Wie immer halten Sie zu viel von sich selbst. Aber so seid ihr Briten eben, nicht wahr? Aber da liegen Sie falsch. Ein Stampfer auf den Boden und Sie erzittern. Ihr gesamtes Empire wird erzittern. Spätestens wenn der Krieg kommt.“ Holmes‘ Stirn zog sich in Falten. „Krieg? Von welchem Krieg sprechen Sie?“, hakte er nach. Gruner tat aber nur eine abfällige Handbewegung. „Oh, der wird kommen, da können Sie sich sicher sein. Er ist unaufhaltsam und ihr tolles, britisches Empire wird nicht darauf vorbereitet sein. Das Deutsche Kaiserreich wird sich erheben und wie ein Feuer über Sie hinwegfegen! So, dass nur noch Asche von Ihnen bleibt! Und dann wird uns der ganze Kontinent. Unsere Macht wird Europa revolutionieren!“ sagte er scharf. Holmes seufzte. „Ich muss mich entschuldigen. Ich habe Sie vorhin als Fanatiker bezeichnet, doch dies ist nicht korrekt. Sie sind eindeutig ein Wahnsinniger.“, entgegnete er. Damit provozierte er Gruner so sehr, dass sich dieser erhob und einen Brieföffner griff, der in Reichweite war. Er richtete ihn gegen Holmes und sah ihn erbost an. „Ich hätte Sie schon sehr viel früher beseitigen sollen. Das war mein Fehler.“, grummelte er. Mein Freund verneinte sofort. „Nein, das war kein Fehler. Das war Unvermögen. Sie waren schon immer zu schwach um irgendetwas zu erreichen. Und auch dieses Kartenhaus hier wird zusammenfallen.“, beschwor er herauf. Der Baron hob die Waffe, bis plötzlich die Tür aufsprang und zwei seiner Leute eintraten. „Herr Baron! Die Polizei! Die Polizei ist hier! Sie ist dabei, das Gebäude zu umstellen!“, warnten sie. Gruner bedachte Holmes eines wütenden Blickes. „Es ist noch nicht vorbei.“, warnte er. Ich war überglücklich, dass doch auf Woodrow verlass gewesen war. Es hatte gereicht, Fräulein von Hoffmanstal zu überreden, die wiederum ihren Vorgesetzten von der Notwendigkeit überzeugte, sofort zu agieren. Die Gruppierung war einfach zu gefährlich geworden, um sie weiterhin ihre Ideologien verfolgen zu lassen. Die ersten Mitglieder waren bereits verhaftet worden als mich Woodrow aus meinem Verließ entließ. Er erkundigte sich sofort, wo Holmes steckte, doch ich konnte es ihm nicht beantworten. Schnell durchsuchten wir die Zimmer, bis wir auf Gruners Arbeitszimmer stießen. Wir stießen die Tür auf uns musterten die Situation. Vor uns standen zwei der Silberfalken, dahinter konnten wir Holmes und Gruner ausmachen. Der Detektiv schien gefesselt gewesen zu sein, welche der Baron nun gelöst hatte. Dafür hielt er Holmes nun eine spitze Waffe an den Hals und herrschte uns an, zurückzubleiben. Woodrow hatte seinen Revolver gezogen, doch ich streckte eine Hand aus um ihn vor ungestümen Vorgehen zu bewahren. Gruner verschwand nun mit Holmes hinter einer Seitentür und seine Handlanger hoben die Hände. Zumindest ihnen war klar geworden, dass es aus war. Woodrow kümmerte sich um sie, während ich Holmes und seinem Entführer nachrannte. Hinter der Tür erwartete mich eine steile Treppe nach oben. Ich hastete keuchend nach oben und auch mir war klar, dass ich nicht jünger wurde. Im Dachgeschoss angekommen, sah ich, wie Gruner mit Holmes auf die Dachterrasse hinausmarschierte. Scheinbar wollte er wohl dadurch entkommen. Ich wusste nicht, wie viele Polizisten Woodrow zusammentrommeln hatte können und in wie weit das Haus umstellt war. Ich erkannte jedoch, dass es keine Treppe oder sonstige Abstiegsmöglichkeit von der Terrasse gab. Gruner saß fest. Was ihn allerdings auch enorm gefährlich machte. Ich versuchte ihn zu beruhigen, aber ohne mäßigen Erfolg. Es war Holmes, der nun die Initiative übernahm. Er packte Gruners Arm, zog diesen zu sich und drehte sich nach vorne, so dass sie nun die Position wechselten. Ich ahnte was mein Freund plante, doch das was als nächstes geschah, rechnete ich nicht. Beide fielen über den Rand der Terrasse in die Tiefe. Ich keuchte und schrie den Namen meines Freundes, Ich eilte zum Rand und starrte hinunter. Hinter dem Gebäude verließ der Fluss und sowohl Holmes, als auch der Baron waren ins Wasser gestürzt. Doch beiden fehlte die Gelegenheit sich irgendwo festzuhalten, wodurch sie erbarmungslos von der Strömung mitgerissen wurden. Bald verlor ich meinen Freund aus den Augen. Woodrow kam angerannt und ich informierte ihn. „Wir müssen Holmes sofort helfen! Nicht auszumalen, falls er gegen einen der Felsen schlägt!“, warnte ich. Zum Glück reagierte der Agent sofort und sammelte einige der Polizisten für eine Rettungsaktion. Wir liefen los, doch die jungen Kerle ließen mich bald hinter sich. Mein Alter und mein kaputtes Bein machten sich immer mehr bemerkbar. Es dauerte etwas, bis ich die Gruppe eingeholt hatte. „Mr. Holmes! Halten Sie durch!“, rief Woodrow. Ich erkannte wie Holmes sich mitten im Fluss an einen Ast klammerte, der zwischen zwei Felsen eingeklemmt war. Lange würde dieser aufgrund des Gewichts des Detektivs aber nicht halten. Da es ewig gedauert hätte, ein Seil aufzutreiben, traten zwei der Polizisten in den Fluss und bildeten eine Kette. Holmes ergriff die Hand des Mannes vor ihm und gemeinsam zogen wir alle wieder ins Trockene. Holmes keuchte schwer und rang nach Luft. „Er muss sofort aus den nassen Kleidern!“, wies ich Woodrow an. Dieser stimmte mir zu. Die Polizisten organisierten eine Decke, die wir Holmes anschließend überstülpten. Nur schwerlich fand er wieder zu sich. „Holmes… war das… dieses Baritsu von dem Sie mir erzählt haben?“, wollte ich wissen. Der Detektiv nickte schwach. „Nun, das war mein Plan, ja. Allerdings habe ich eine Sache nicht in meinen Plan einkalkuliert. Nämlich mein Alter. Sie müssen wissen, es gibt einen Grund, warum ich eigentlich im Ruhestand bin.“, erklärte er. Ich stimmte ihm zu. Alte Männer wie wir sollte man nicht mehr herumscheuchen. Er wollte Gruner über den Rand der Terrasse stoßen, doch dieser hatte mit einem letzten Kraftakt diesen mit sich gezogen. „Was… ist mit dem Baron geschehen?“, fragte ich stockend. Holmes konnte mich aber beruhigen. „Ich sah wie er mit dem Kopf gegen einen Felsen prallte. Es ist nicht viel davon übriggeblieben. Keine Sorge, alter Freund. Wir sind ihn los. Diesmal endgültig.“ Ohne es auszusprechen, spürten wir beiden, dass wir froh über diesen Umstand waren. Drei Tage später verließen wir unser Domizil im Hotel Kuckucksnest. Agent Woodrow reichte uns die Hand und dankte uns herzlich für unsere Mithilfe. „Und wenn die britische Regierung Sie wieder einmal braucht…“, begann er, doch Holmes schnitt ihm den Satz ab. „Dann werde ich meinem Bruder eine Absage erteilen.“, sagte er forsch. Woodrow nahm es zum Glück nicht persönlich und verabschiedete uns aufs herzlichste. Doch er war nicht der einzige Vertreter unseres kleinen Ausflugs, der erschienen war. Ilse von Hoffmannstal hatte es sich nicht nehmen lassen, uns persönlich zum Bahnhof bringen zu lassen. Also stiegen Holmes und ich in die Kutsche und ließen uns fahren. „Ich soll Ihnen beide den Dank als auch die Hochachtung meiner Regierung mitteilen.“, entgegnete sie. Am Bahnhof bat Holmes mich, mich um die Fahrkarten zu kümmern. Also ließ ich die beiden einen Moment allein. „Ich möchte Ihnen noch einmal danken, diesmal aus persönlicher Natur heraus. Dank Ihnen konnte ich diese Mission schneller abschließen als erwartet.“, meinte die Agentin. Holmes rümpfte die Nase. „Ja? Ist das so? Ist sie wirklich beendet?“ Die Agentin schien sich über die Frage zu wundern. „Aber ja. Die Silberfalken sind Vergangenheit. Sie werden uns keine großen Probleme mehr bereiten.“, versicherte sie. Der Detektiv taxierte sie einen Moment. „Der Mann mit dem militärischen Auftreten. Sie wissen wer er war, richtig?“ Die Agentin zögerte nun deutlich zu lange, schließlich schien sie nachzugeben. „Von Bork. Ein ranghohes Mitglied des Geheimdienstes, für den ich tätig bin.“, gestand sie nun. Holmes brummte. „Ihr Geheimdienst hätte bereits viel früher gegen diese Gruppierung vorgehen können. Sie besaßen all die notwendigen Informationen. Wer hat es torpediert? Dieser… Von Bork?“, hakte er nach. Ilse nickte schwach. „Er besitzt sehr viel Einfluss. Und es gibt andere wie ihn. Sie dachten, man könnte die Silberfalken zum Vorteil des Kaiserreichs einsetzen.“ „Als Attentäter? Da hätte Gruner niemals mitgespielt.“, sagte Holmes zu ihr. Die Agentin schien zuzustimmen. „Ja, er war ein Mann, den man nicht kontrollieren kann. Das haben meine Vorgesetzten zum Glück eingesehen. Aber nächstes Mal… könnten Von Bork und seine Schergen mit ihren Anschauungen durchkommen. Er ist jemand… den man definitiv nicht unterschätzen sollte.“ Holmes schien dies ähnlich zu sehen. „Ja, es würde mich nicht wundern, wenn ich nicht das letzte Mal von ihm gehört hätte. Ich werde darauf vorbereitet sein.“ Die Agentin rang sich ein Lächeln ab. „Falls es dazu kommt, stehe ich Ihnen zur Verfügung. Immerhin stehe ich noch in Ihrer Schuld.“, erinnerte sie. Auch Holmes rang sich ein Lächeln ab, was selten der Fall war. „Ich gebe zu… ich würde mich auf eine weitere Zusammenarbeit zwischen uns freuen.“, verriet er. Die beiden verabschiedeten sich und wenig später saßen wir im Zug zurück nach Hause. „Holmes, eine Frage hätte ich da noch.“, begann ich schließlich. Der Detektiv wandte sich mir zu. „Woher ich wusste, dass Woodrow Worthalten und uns unterstützen würde? Mein Bruder spricht in den höchsten Tönen über ihn. Und auf sein Urteil kann ich mich nun zweifelsfrei verlassen.“, erwiderte er. Ich nickte, wollte jedoch auf etwas anderes hinaus. „Nein, das meinte ich eigentlich gar nicht. Diese Frau… Von Hoffmannstal. Was genau sehen Sie in ihr?“ Ich wusste, dass ich einen Drahtseilakt beging, Holmes würde mir diese kleine Stichelei vielleicht nicht verzeihen. Er musterte mich einen Moment, bis er mir antwortete. „Nun, dasselbe wie das, was ich auch in Ihnen sehe, Watson. Einen verlässlichen Partner, bei dem man sich stets glücklich schätzen kann, ihn an seiner Seite zu wissen.“ Mit dieser Antwort würde ich mich dann wohl zufriedengeben müssen, während wir die Heimreise ins geliebte England antraten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)