Sherlock Holmes - Der Mann mit dem Flammenkopf von kentasaiba2 ================================================================================ Kapitel 1: Unfall oder nicht? ----------------------------- Anmerkung des Autors John H. Watson: Folgende Erzählungen finden im Juli 1889 statt, einige Monate, bevor Sherlock Holmes und ich beauftragt wurden, den Tod von Charles Baskerville zu untersuchen. Gerade an diesem Umstand ist es gemessen, muss ich eingestehen noch an Schreckgespenster geglaubt und weniger irdische Lösungen für jene Problematik herangezogen zu haben, von denen ich Ihnen diesmal berichten möchte. Holmes und ich hatten keine festen Tage vereinbart, an denen ich in der Baker Street, unserem alten Domizil, aufschlug. Im Grunde genommen war dies stets ein Glücksspiel, denn der Detektiv konnte genauso gut außer Haus sein, um Ermittlungen anzustellen, vermutlich in Verkleidung, in der er sich so oft am Hafen oder im East End herumtrieb. In diesen Fällen erwies sich die gute, alte Mrs. Hudson als genauso angenehme Gesprächspartnerin und ebenso als Köchin, wobei ich mich hütete, eines von beiden zu priorisieren. Als ich mich an jenem Dienstag jedoch in meinem bequemen Stuhl niederließ und wenig später von der guten Haushälterin bekocht wurde, hätte ich mir nicht gewünscht, irgendwo anders zu verweilen. Die Frau hatte beim Roast Beef nicht gespart, und ich gestand mir ein, diesmal froh über Holmes' Abwesenheit zu sein. Ein anstrengender Tag in meiner Praxis hatte dazu geführt, dass sich mein Appetit auf einem Allzeithoch befand. Also leerte ich meinen Teller und dankte der Haushälterin für ihre Mühe. Unten vernahm ich das Aufgehen der Haustür, und wenig später trat ein gehetzter Sherlock Holmes vor uns auf. Sein erster Blick traf auf mich, dann auf Mrs. Hudson und den leeren Teller. "Ah, wie ich sehe, haben Sie den guten Doktor bereits verköstigt. Ich hoffe, dass Sie etwas für mich übrig gelassen haben, Watson." Ich räusperte mich. Während Mrs. Hudson noch die Hände in die Hüfte stemmte, versuchte ich die Situation zu entschärfen. "Holmes, ich muss doch sehr bitten! Sie können es niemandem zum Vorwurf machen, wenn Sie Ihr Gehen und Kommen nie ankündigen. Wie soll sich die gute Frau denn so einen Zeitplan zurechtlegen können?" Holmes verdrehte die Augen und legte seine Straßenkleidung ab. "Es überrascht mich gar nicht, dass Sie die Arbeit eines Detektivs noch immer nicht verstanden haben oder inzwischen schon wieder völlig verdrängt haben. Spontanität und schnelles Handeln sind essenziell für diesen Beruf", belehrte er mich. Mrs. Hudson seufzte. "Schon gut, ich werde einfach ein paar Sandwiches zubereiten. Für Sie auch, Doktor?" Erst wollte ich nicht unhöflich erscheinen, dann spürte ich jedoch, dass sich in meinem Magen durchaus noch etwas Platz befand. Ich bejahte, und die Haushälterin machte sich auf in die Küche. "Watson, wenn Sie schon hier sind, begleiten Sie mich doch in mein Büro", schlug der Detektiv vor. Ich erhob mich und folgte ihm in seine Räumlichkeiten, wo schon der ein oder andere Fall seinen Anfang genommen hatte. Dort ließen wir uns nieder, und Holmes schenkte uns beiden ein Glas Scotch ein. Danach fiel sein Blick auf die große Standuhr am Ende des Zimmers. "Erwarten Sie jemanden, Holmes?", hakte ich nach. Dieser nickte nach einigen Sekunden. "In der Tat, ein Klient hat sich um 7 Uhr angemeldet. Er dürfte bald eintreffen." Ich fragte nach, ob ich mich zurückziehen sollte, doch Holmes wehrte ab. Kurz nachdem uns Mrs. Hudson mit Sandwiches versorgt hatte, läutete es bereits, und die gute Dame kümmerte sich um den Gast. Wir stellten das Essen beiseite und warteten auf dessen Ankunft in Holmes' Büro. Ein zögerliches Klopfen folgte, dann bat der Detektiv die Person herein. Ein etwas rundlicher, fein gekleideter Mann trat ein und musterte uns abwechselnd. "Mr. Sherlock Holmes?", fragte er unsicher. Mein Detektiv erhob sich und bat ihn sich zu setzen. Unser Gast folgte und machte sich auf den leeren Stuhl neben mir bequem. "Sherlock Holmes. Das ist mein Kollege und Chronist, Dr. Watson. Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn er unserem Gespräch beiwohnt?", hakte er nach. Der Gast schüttelte den Kopf. "Was auch immer Sie für das Beste halten, Mr. Holmes." Sein elegant gezwirbelter Schnurrbart wippte beinahe bei jedem Wort, so kam es mir vor. "Also. Was kann ich für einen Direktor des Aktienhauses Clark & Hall tun?", wollte er wissen. Unser Gast machte schon Anstalten zu antworten, da stutzte er. "Verzeihung... hatte ich in meinem Brief meine Profession angegeben?", wirkte er abrupt verdutzt. Mein Freund schüttelte den Kopf. "Nein, darauf haben Sie verzichtet. Doch das war auch nicht nötig. Aufgrund Ihrer Kleidung, die anderen gegenüber hervorstechen soll, ist es nicht schwer abzusehen, dass Sie ein erfolgreicher Geschäftsmann sind. Dazu passt auch Ihr fein zurückgekämmtes Haar und der mehr als sorgfältig gepflegte Bart. Sie befinden sich demnach in einer hohen Position und wollten nicht nur Eindruck auf Kunden, sondern auch auf Untergebene machen. Die Spitzen Ihrer Kleidung weisen dennoch gewisse Abnutzungsspuren auf, was darauf hinweist, dass Sie zwar in einem Büro tätig sind, jedoch nicht nur am Schreibtisch sitzen. Ihre Schuhe hingegen weisen weniger dieser Abnutzungen auf, was dafür spricht, dass ein Broker Ihre nötigen Dienstgänge für Sie erledigt. Außerdem besitzen Sie neben Ihrer Armbanduhr zusätzlich eine Taschenuhr, deren Kette ich aus Ihrer Brusttasche herausragen sehe. Sie sind demnach ständig darauf vorbereitet, die genaue Uhrzeit zu wissen. Was unerlässlich ist, bedenkt man die festen Zeiten dieses Geschäfts." Unser Gast nickte kräftig. "Ja, das ist richtig. Aber wie kommen Sie auf Clark&Hall? Ich könnte genauso gut für jedes andere Aktienhaus arbeiten", wand er ein. Holmes wehrte ab. "Das habe ich Ihrem Brief entnommen. Er wurde in der Evergrand Street abgeschickt, und Clark&Hall ist das einzige Aktienunternehmen in diesem Viertel", fügte er erklärend hinzu. Unser Gast nickte bedächtig. "Ja, Sie haben vollkommen recht. Mein Name lautet Joseph Kensington, ich bin Direktor bei Clark&Hall. Ich hatte gehofft, dass Sie mir bei einer Angelegenheit mit Rat und vielleicht Tat zur Seite stehen können", offenbarte er. Mein Freund nickte und bat den Mann mit seinen Ausführungen zu beginnen. Dieser griff in seine Manteltasche und reichte uns eine Fotografie. Ich rückte etwas näher und erkannte einen älteren Herren mit einem sympathischen Gesicht. "Hier handelt es sich um Benjamin Fitzroy, einem wichtigen Funktionär unserer Aktiengesellschaft", erklärte er. Ich lehnte mich wieder zurück, während Holmes das Bild etwas genauer studierte. "Und welches Problem besteht mit diesem Mann?", fragte ich an Kensington gewandt. Dieser zögerte einen Moment. "Nun… er ist tot", konkretisierte er. "Ja, das könnte man ein Problem nennen. Wobei es immer auf die Umstände ankommt. Wie genau ist der Mann gestorben?", wollte Holmes in Erfahrung bringen. Kensington holte tief Luft. "Es war vor einem Monat. Er und andere Gäste besuchten mein Herrenhaus in Sheffield. Wir hielten eine Feier aufgrund eines erfolgreichen Abschlusses ab. Es war bereits dunkel geworden, als sich Fitzroy noch einmal vor die Tür wagte, angeblich um frische Luft zu schnappen. Eine weitere Person, eine Angestellte unseres Unternehmens, sah einige Zeit später nach ihm und fand ihn tot im Garten vor. Er blutete stark aus dem Kopf, scheinbar hatte er sich an einem Stein aufgeschlagen, der aus der Erde ragte", begann er seine Erzählung. "Das klingt nach einem gewöhnlichen Unfall", musste ich feststellen. Kensington spielte nervös an seinen Ärmeln herum. "Ja, dieser Meinung war auch die Polizei, die wenig später gerufen wurde." Holmes reichte ihm die Fotografie zurück. "Und wie kann ich Ihnen dabei tatkräftig unter die Arme greifen?", wollte er wissen. Der Klient seufzte. "Es ist so… ich habe Zweifel, dass es sich wirklich um einen Unfall handelt. Zum einen ist Fitzroy trotz seines gehobenen Alters noch nie gestürzt. Er war für sein Alter recht fit. Zudem erscheint es mir seltsam, dass er ausgerechnet auf den einzigen hervorstehenden Stein im Garten fällt. Und dazu… wie soll ich es ausdrücken… die Angestellte, die ihn fand, glaubte eine weitere Person gesehen zu haben", gestand er. Holmes hob eine Augenbraue. "Eine weitere Person? Und die Polizei stuft die Sache dennoch als Unfall ein?", fragte er skeptisch. Kensington zuckte mit den Schultern. "Ihre Aussage… war doch etwas konfus. Wissen Sie, wir hatten an dem Abend alle etwas getrunken. Dazu war es bereits dunkel draußen. Und ihre Beschreibung der Person war… wie soll ich sagen… nicht sehr glaubhaft." Ich hakte nach, was er damit genau meinte, doch er schien sich mit einer Antwort schwerzutun. "Mr. Holmes, sollten Sie sich für meinen Fall interessieren, hätte ich einen Vorschlag. Wir halten dieses Wochenende erneut eine Feier ab. Zum einen, um Fitzroy zu gedenken, zum anderen, um zu besprechen, wie sehr sein Tod der Firma schaden könnte. Ich würde Sie ebenfalls gerne einladen. So hätten Sie Gelegenheit, mit allen Anwesenden persönlich zu sprechen." Mein Freund erkundigte sich, ob es sich bei den Gästen um diejenigen handelte, die bereits bei der letzten Feier zugegen waren. Der Klient bestätigte dies, und Holmes sagte zu. Nachdem die finanziellen Details geklärt waren, reichte Kensington uns die Hand und dankte für die rasche Hilfe. Dann verabschiedete er sich und ließ uns allein. "Was halten Sie von der Sache, Watson?", fragte er mich, nachdem er in sein Sandwich gebissen hatte. Ich tat es ihm gleich und überlegte gleichzeitig. "Es kann gut sein, dass er den Tod seines Freundes nicht wahrhaben will, dass er einen Sinn dahinter sucht. Auf der anderen Seite kann dieser Fitzroy auch genauso gut gestoßen worden sein. Mir erscheint beides plausibel." Mein Freund pflichtete mir bei. "Aus diesem Grund möchte ich, dass Sie mich dieses Wochenende begleiten. Sie haben doch nichts vor?" Insgeheim hatte ich bereits mit dieser Frage gerechnet. Meine Praxis war geschlossen, und meine Frau war zu Besuch bei Verwandten. Also sagte ich Holmes zu, und wir verabredeten uns zu einer bestimmten Zeit am Bahnhof. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)