Sherlock Holmes - Das Heulen des Wendigo von kentasaiba2 ================================================================================ Kapitel 2: Ankunft in Carlisle ------------------------------ Es war nicht schwer Holmes auf dem Bahnhof zu finden, immerhin hatte er diesmal keine seiner vielfältigen Verkleidungen angelegt. Gemeinsam bestiegen wir den Zug, der uns in den Norden Englands, nach Carlisle bringen sollte. Die Fahrt wurde zweimal unterbrochen um zu dichten Schnee beiseitezuschieben, der sich auf den Gleisen angesetzt hatte. Nach wenigen Stunden hatten wir unser Ziel aber erreicht und fanden einen Mann vor, der ein Schild mit unseren Namen hochhielt. Er stellte sich als der Kutscher Mr. Driscolls vor und sollte uns zu seinem Landsitz bringen. Die Fahrt dauerte nicht all zulange und vor uns tat sich ein hohes Herrenhaus auf. Driscoll war zweifelsfrei vermögend, kein Wunder bei der Beliebtheit seiner Werke. Der Kutscher ließ uns aussteigen und gab uns Bescheid, uns morgen Nachmittag wieder abzuholen. Den Rest gingen wir zu Fuß und klopfen an der Holztür des Hauses. Kurz darauf wurde uns schon geöffnet und ein Mann um die 40 begrüßte uns. Er war äußerst adrett gekleidet und machte eine einladende Handbewegung. „Mr. Holmes und Doktor Watson, wenn ich mich nicht irre. Erlauben Sie mir, Sie auf Driscoll-Hall Willkommen zu heißen. Ich bin Mr. Driscolls Butler, Stanhope, aber sagen Sie ruhig Daniel zu mir.“ Er ließ uns ein und wir erfreuten uns am warmen Inneren. Der Kamin schien sein Werk zu tun und wir würden während unseres Aufenthalts hier definitiv nicht als Eiszapfen enden. Der Butler Stanhope schloss die Tür und bat uns, ihm zu folgen. Offenbar begaben wir uns ins Speisezimmer, bis wir aufgehalten wurden. „Sherlock Holmes!“, sagte eine Stimme und mein Blick fiel auf die Treppe, die zum ersten Stock hinaufführte. Oben stand ein älterer, aber sehr erfreut wirkender Mann mit weißem Vollbart, der nun nach unten hastete. Dort angekommen, schüttelte erst meinem Freund die Hand, dann mir. „Es ist mir eine wahre Ehre. Ich bin ein großer Fan von Ihnen, müssen Sie wissen. Ich hatte wirklich starke Zweifell, ob Sie mein Angebot auch annehmen würden.“, gestand er. Holmes lächelte gespielt. „Aber ich bitte Sie! Als ob ich das Angebot eines so begabten Autors wie Ihnen hätte ablehnen können.“, schmeichelte er ihm. Ich unterdrückte ein Schmunzeln, angesichts dessen, dass sich Holmes zuvor noch ausdrücklich gegen so eine herabwürdigende Veranstaltung ausgesprochen hatte. Einzig und allein dem Fall war es zu verdanken, den Miss Pembroke an uns herangetragen hatte. „Und auch über Ihr Kommen freue ich mich besonders, werter Doktor. Ich habe jede Ihrer Erzählungen im Strand-Magazine wahrlich genossen.“ Ich dankte ihm für das Kompliment und gab es gerne zurück. Ich gestand ihm, ein Bewunderer seiner Romane zu sein, auch wenn ich in diesem Bereich noch einiges aufzuholen hatte. „Daniel, ich übernehme, bereiten Sie weiter das Dinner zu.“, wies er seinen Butler an. Dieser nickte und rückte ab, während uns der Hausherr mit sich zog. Offenbar führte er uns in einen Gemeinschaftssaal, indem ich bereits einen Billardtisch, einen Likörschrank und mehrere Sitzmöglichkeiten entdeckte. Nicht zuletzt, die bereits eingetroffenen Gäste, die uns Neuankömmlinge zaghaft musterten. „Darf ich vorstellen? Sherlock Holmes und sein Assistent Dr. Watson.“, präsentierte er uns beinahe schon wie Zirkusaffen. Holmes raunte mir jedoch zu mitzuspielen, immerhin hatten wir diesen Abend eine Rolle auszufüllen. Wir sollten Driscoll auf den Zahn fühlen, um mehr über das Ableben von Victor Pembroke herauszufinden. Abwechselnd reichten wir den bereits anwesenden Gästen die Hand. Es handelte sich um eine Frau und zwei Männer. „Wenn ich vorstellen darf? Dies ist Miss Agnes Cresswell, meine treue Lektorin. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie anstellen sollte.“, schwärmte Driscoll förmlich. Miss Cresswell war noch keine 40, fein gekleidet und schien bereits mindestens ein Glas Whiskey zu sich genommen zu haben. „Und hier haben wir meinen Freund, den bekannten Meteorologen Frank Foster. Er kann Ihnen erklären, warum wir unter diesem grässlichen Wetter leiden müssen.“ Foster wirkte nur etwas jünger als Driscoll, dafür aber reservierter. „Ich wünschte ich könnte. Doch das Wetter macht, was es will.“, entgegnete er. „Und zum Schluss noch den erfolgreichen Zoologen, Edwin Palmer, vielleicht haben Sie schon eine Abhandlung von ihm gelesen.“ Während ich verneinen musste, konnte Holmes tatsächlich einen Artikel als Beispiel nennen, der von Palmer verfasst worden war. Auf mich machte er einen charmanten Eindruck, der eines Frauenschwarms, wie ihn unser gemeinsamer Freund Doyle in Form des Abenteurers Lord John Roxton in seinen Romanen beschrieben hätte. Er wirkte am unbeeindruckten von unserem Erscheinen. Holmes und ich gaben uns dazu hin von unseren letzten Fällen zu erzählen. So charmant wie an diesem Abend hatte ich meinen Freund noch nie erlebt. Wenn er eine Rolle erst einmal angenommen hatte, füllte er sie vollends aus. Wenig später traf der letzte Gast des Wochenendes ein. Es handelte sich um Miss Pembroke, die einen eher distanzierten Eindruck erweckte. Ich selbst hatte mir noch kein vollständiges Bild unseres Gastgebers gemacht, doch wie ein hinterhältiger Mörder, der einem Angestellten ein Messer in die Brust rammte, wirkte er nun wirklich nicht. Daniel wies uns unsere Zimmer zu, wo wir zu allererste unsere Koffer verstauten. Viel hatten wir nicht eingepackt, lediglich dicke Kleidung und Feuerzeuge. „Wie lautet Ihre Meinung bisher, Watson?“, wand sich der Detektiv an mich. „Bezüglich Driscoll? Er wirkt nett, aber nach einem so kurzen Treffen kann man noch niemanden in den Kopf sehen.“, merkte ich an, wohl wissend, dass Holmes dies zu einem gewissen Grade durchaus vermochte. „Und die anderen Gäste?“ Ich stutzte. „Verdächtigen Sie etwa einen von Ihnen?“, wollte ich wissen. Doch mein Freund wollte sich nicht festlegen. „Sie sind alle mit Driscoll befreundet. Das bedeutet, dass sie auch den verstorbenen Victor Pembroke gekannt haben dürften.“, wand er ein. Diese Vermutung ergab für mich durchaus Sinn. Trotzdem müsste man einem von ihnen erst einmal ein Motiv nachweisen. Daniel klopfte an und bat uns zum Dinner. Wir verließen unsere Gemächer und folgten ihm. „Ach... Daniel, richtig? Arbeiten Sie bereits lange für Mr. Driscoll?“, wollte Holmes wissen. Der Butler schien erst überrascht von der Frage zu sein. „Aber nein, keineswegs. Ehrlich gesagt bin ich lediglich diese Woche für Mr. Driscoll tätig. Meine Arbeitsagentur hat mich an ihn vermittelt. Sie müssen wissen, eigentlich residiert Mr. Driscoll in London und spannt nur ab und zu in seinem Domizil auf dem Land aus. Ich kenne ihn also gar nicht wirklich.“, gestand er. Holmes nickte und ließ es dabei bleiben. Ihm war klar, dass es dann auch nichts brachte nach Driscolls ehemaligen Assistenten zu fragen. Dieser war immerhin schon vor einem Jahr verstorben. Im Speisesaal waren wir die letzten die erschienen, das Geschirr war bereits gedeckt worden. Mr. Driscoll entschuldigte sich, dass das Dinner etwas früher stattfinden musste, da seine Köchin einen familiären Notfall hatte und schnell abgereist war. Nachdem Daniel aber anrichtete, hätte dies sicher niemand verübeln können. Es gab einen köstlichen Schweinebraten mit einer Soße, welche sogar jener unserer guten Mrs. Hudson Konkurrenz verschaffte. Nachdem wir aufgegessen hatten, schlug sich Mr. Driscoll demonstrativ auf den Bauch. „Einfach köstlich, nicht wahr? Wir wäre es, wenn wir uns hiernach wieder in den Gemeinschaftssaal begeben, wo wir ungestört plaudern können?“, schlug er vor. Mr. Foster lachte hörbar. „Ach komm, Thomas. Du willst doch nur unser Fachwissen für ein nächstes Werk anzapfen.“, sagte er offen heraus. Dies war alles andere als ein Geheimnis, immerhin waren wir zu genau diesem Zweck hier erschienen. Ich räusperte mich. „Mr. Driscoll. Entschuldigen Sie, wenn ich so direkt frage, aber können Sie uns bereits etwas zu Ihrem neuen Roman verraten? Ich meine... es wäre vielleicht einfacher Ratschläge zu erteilen, wenn wir etwas zur Prämisse wüssten.“, lenkte ich ein. Der Autor zögerte etwas. Scheinbar haderte er mit sich. Es war Mr. Palmer, der antwortete. „Das ist doch offensichtlich, werter Doktor. Er hat mich und Frank eingeladen. Einen Meteorologen und einen Zoologen. Dazu noch einen logisch denkenden Detektiv wie Mr. Holmes. Thomas... will es demnach also wirklich durchziehen.“, sprach er. Ich sah abwechselnd von Mr. Driscoll zu Mr. Palmer, doch keiner erwiderte noch etwas. Es war schließlich Miss Cresswell, die mehr verriet. „Das Heulen des Wendigo. Das soll also die Spitze deines Erfolgs werden?“ Der Autor bedachte sie eines forschen Blickes. Offenbar war es ihm nicht recht, dass seine Lektorin so viel über sein nächstes Projekt verriet. „Entschuldigen Sie... Wendi... was?“, hatte ich nicht richtig verstanden. Es war mein Freund Holmes, der mich wieder einst belehrte. „Ein Wendigo, mein guter Watson. Sagt Ihnen dieser Begriff nichts? Ein Wesen aus den tiefsten Bergen, ein Ungeheuer mit Tierschädel, das nur ein Ziel verfolgt. Dem Verschlingen von Menschenfleisch.“ Ich starrte meinen Freund ungläubig an. Ich wusste im ersten Moment nicht, ob er mich lediglich auf den Arm nehmen wollte. Es war der Zoologe Mr. Palmer, welcher der Erzählung mehr Kontext verlieh. „Laut der Legende der Ureinwohner Amerikas handelt es sich um ein Wesen, das einem Hirsch ähnelt. Ein gewaltiges Geweih, jedoch mit bereits verrottetem Schädel. Ein dickes Fell, welches den Wendigo aber nicht daran hindert, sich schnell zu bewegen.“ Ich konnte mich jedoch nicht entsinnen, jemals von so einem Tier gehört zu haben. „Aber... so ein Wesen existiert doch nicht wirklich, oder?“ Ein Lachen seitens der Gäste. „Nein, guter Doktor. Es handelt sich lediglich um eine mythische Gestalt, welche in den Überlieferungen der Ureinwohner existiert. Selbstverständlich nicht um ein echtes Tier.“, sagte Driscoll zu meiner Erleichterung. „Es ist so, dass Thomas dieses Wesen als Bösewicht in seinem ersten Buch einbauen wollte. Jedoch kam das nicht wirklich an und der Inhalt änderte sich. Er scheint es jetzt wissen zu wollen.“, entgegnete Miss Cresswell. Der Autor räusperte sich. „Inzwischen habe ich auch eine genaue Vorstellung wo ich damit hinwill. Sie werden diesen Roman lieben, das versicherte ich Ihnen. Dennoch bitte ich Sie alle, noch Stillschweigen über diese Tatsache zu wahren.“ Wir alle versprachen es ihm, sichtlich zu Driscolls Erleichterung. Diese sollte sich aber kurz darauf wieder ändern. „Ist schon lustig. War es nicht damals Vater, der dich auf die Idee mit dem Wendigo stieß?“, fragte Miss Pembroke nun. Bevor Driscoll reagieren konnte, schaltete sich Holmes ein. „Ach, Ihr Vater, werte Dame? Hatte dieser denn auch etwas mit Schreiben am Hut?“, mimte er den Unschuldigen. Unsere Klientin, von der niemand wusste, antwortete unverzüglich. „Oh ja, Victor Pembroke. Er war Onkel Thomas' persönlicher Assistent. Unglücklicherweise starb er vor einem Jahr. Aber Sie alle erinnern sich doch noch bestimmt an meinen Vater, nicht wahr?“, fragte sie an die Runde gewandt. Holmes' Spiel hatte sich ausgezahlt. Driscoll reagierte völlig perplex. Doch nicht nur er, ich konnte eine gewisse Bleiche in den Gesichtern von Miss Cresswell und Mr. Foster erkennen. Nur Mr. Palmer wies eine gewisse Stoik auf, wie ich sie sonst nur von Holmes kannte. „Ja... das tut... mir wirklich leid wegen Victor.“, kam es von der Lektorin. Auch Mr. Driscoll sprach sein Beileid aus, während die anderen beiden schwiegen. Der Butler Daniel kam um das Geschirr abzuräumen. Danach begaben wir uns wieder in den Gemeinschaftsaal. Die Stimmung war inzwischen aber spürbar getrübt. Der Hausherr schenkte uns allen ein Glas ein und versuchte die Stimmung etwas anzuheben. Freudig erzählte er uns von seinen Ideen und animierte uns dadurch, welche auszutauschen. Mr. Palmer erzählte von Tieren, an welchen der Wendigo angelehnt sein konnte und deren Eigenarten. Mr. Foster gab sein Fachwissen zum Besten, immerhin lebte dieses Wesen in verschneiten Bergen. Jenen welche sich auch um dieses Herrenhaus reihten, wie mir auffiel. Holmes ließ sich dann schließlich dazu herab, von den etwas übernatürlichen Fällen seiner Karriere zu berichten, wie etwa unsere Bemühungen in Baskerville-Hall, oder unserem Abenteuer rund um den Mann mit dem Flammenkopf. Natürlich lauschten alle gebannt den Ausführungen meines Freundes, obgleich einige von ihnen bestimmt bereits meine Berichte im Strand-Magazine gelesen hatten. Als es schließlich spät wurde, löste sich die Gruppe auf und wir begaben uns zu unseren Zimmern. Gerade noch so konnte ich mitansehen, wie Miss Pembroke meinem Freund einen kleinen Zettel zuschob. Ich beschloss, Holmes später darauf anzusprechen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)