Jägerpfade von Charly89 (Ein Horizon Zero Dawn MSP) ================================================================================ Kapitel 13: Es war einmal ... ----------------------------- Völlig schwerelos schwebe ich in der Dunkelheit dahin. Ich bin mir unsicher, wo ich bin und was nun schon wieder los ist. In mir keimt ein wenig die Hoffnung auf, dass es endlich nach Hause geht. Vor mir beginnt die Finsternis dünner zu werden und langsam zeichnen sich Umrisse ab. Dächer kommen zum Vorschein, Häuser, ein massiver Holzwall. Lagerfeuer brennen und erhellen das Innere des Dorfes. Das ist definitiv nicht mein zu Hause und ich spüre Enttäuschung in mir hochkommen. Den Ort habe ich vor kurzem erst gesehen … das ist … Mutterherz. Ich kann nicht erklären warum, aber ich fühle mich nicht gut, von der Enttäuschung abgesehen. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass etwas Schlimmes passiert ist, oder wird. Ein Maschinenangriff? Ein Überfall? Ich versuche mich zu erinnern, wann die Roten Raubzüge stattgefunden haben, bekomme es aber nicht zusammen. Je näher ich zu dem Dorf fliege, oder eher zu ihm gezogen werde, zeichnet es sich deutlicher gegen die Dunkelheit ab. Ich beginne Stimmen zu hören. Wütende, aufgebrachte Stimmen. Ich höre Wortfetzen, die wie Gift dahin gespuckt werden. „… Verschwendung!“ „Wie konntet ihr nur?!“ „Richtet sie!“ „Überlasst sie der Urmutter selbst!“ „Ja, verbannt sie!“ „Verbannung!“ Mein Magen krampft und das ungute Gefühl verstärkt sich. Was ist hier los? Ich komme vor dem großen Tor an, hinter dem sich die Stimmen der Nora zunehmend überschlagen. Mir dämmert, was hier los ist und ich fühle mich nicht wohl damit hier zu sein. Auch, wenn ich offenbar nur stiller Zuschauer der Szene bin. Eigentlich will ich weg, ich will das hier nicht miterleben. Ehe ich versuchen kann mich dem zu entziehen, gehen die Tore auf und zwei Personen kommen auf mich zu gerannt. Natürlich. Graik und Sanya eilen aus dem Dorf, verfolgt von einem Steinhagel. Sie laufen an mir vorbei, fast durch mich hindurch. Ich drehe mich um und sehen ihnen nach. Sehe, wie ein Stein Sanya am Kopf trifft und sie zu Boden geht. Sehe, wie Graik zu seiner Schwester eilt, sich schützend über sie beugt um sie vor weiteren Steinen abzuschirmen. Sehe, wie er wütend zurück sieht. Mir ist schlecht und mir kommen die Tränen. Ich sehe Blut an Sanyas Schläfe hinunterlaufen und Graik einen weiteren Stein abwehren, der beinahe seine Schwester getroffen hätte. Ich drehe mich um, sehe eine gesichtslose Menge im Tor stehen, die weiter Steine wirft. Es rauscht in meinen Ohren und ich brülle, dass sie aufhören sollen, wieder und wieder, während mir mehr und mehr die Tränen über die Wangen laufen. Es wird dunkel um mich herum und kurz bevor die Szene komplett verschwindet, höre ich eine weibliche Stimme, deren Traurigkeit mir das Herz bricht: „Möge die Urmutter euch schützen, meine lieben Kinder.“ Im nächsten Moment bin ich in einer Hütte. Es ist definitiv nicht die Hütte von Rost, so viel kann ich sagen. Und, dass ich immer noch dieses flaue Gefühl von vorhin habe. Ich blinzle verwirrt, sehe mich um und habe keine Ahnung wie ich hier gelandet bin. Eine Hand legt sich unvermittelt auf meine Schulter und ich zucke kurz zusammen. Ich drehe mich um und sehe … einen jungen Graik? „Wir müssen los, die Zeremonie beginnt gleich“, freut er sich mit funkelnden Augen. Zeremonie? Was für eine Zeremonie? Er nimmt mich an die Hand und wir verlassen die Hütte. Es geht eilig durchs nächtliche Mutterherz. Graik Griffs ist stark, als hätte er Angst mich bei dem Tempo zu verlieren. Nicht unbegründet. Ich stolpere nämlich ziemlich überfordert durch die Gegend gerade. Ich sehe an mir hinunter und versuche zu verstehen, was nun schon wieder los ist. Ich trage Nora-Kleidung … Ich bin Sanya im Moment? Was für ein durcheinander. Es geht über die lange Holzbrücke, auf der anderen Seite stehen bereits alle versammelt. Eilig zieht mich Graik zu den beiden noch freien Laternen. „Da seid ihr ja endlich“, spricht uns der junge Mann neben uns an. Grübelnd mustere ich ihn. Das Gesicht, die Augen, dieser leichte Bartschatten … Ich kenne den irgendwoher. Aber mir fällt es einfach nicht ein … In dem Moment, wo alle ihr eigenes Gebet sprechen und dementsprechend jeder mit sich beschäftigt ist, versuche ich das alles hier irgendwie zu begreifen. Ich sehe zu Graik, der tief in seine Gedanken versunken neben mir kniet und denke nach. Wir machen die Erprobung, denn das hier ist die Zeremonie vom Vorabend, zusammen? Das bedeutet, er und Sanya sind Zwillinge? Oder? Als alle fertig sind mit beten, nehmen wir unsere Laternen und lassen sie in den Nachthimmel steigen. Ich muss breit und albern Grinsen, weil mir das Kommentar von dem Youtuber Gameomat in seinem Satire-Video „Alles falsch in Horizon Zero Dawn“ einfällt: „Jetzt habe ich Rapunzel-Flashbacks.“ Während ich grinsend das Schauspiel verfolge, sprechen die Erzmütter ihr Gebet: „Urmutter, höre unser Gebet. Was ist ein Kind, wenn nicht Ausdruck mütterlicher Hoffnung? Eine leuchtende Flamme, die weit hinaufsteigt, frei schwebend im Wind. Ein Licht am Himmel, bis es endlich verglüht? So wird das Band unserer Liebe weiter von Hand zu Hand gereicht …“ Mir wird schwer ums Herz. Mütter, Kinder … Ich muss an meine Familie denken, und dann an eine andere. Ich sehe zu Graik und dann zu den „Gästen“ der Zeremonie. Mir fällt die traurige Frauenstimme von dem vorangegangenen Traum, Erinnerung, was auch immer wieder ein. Wo ist die Mutter von Graik und Sanya? Wo ihr Vater? Was ist passiert, zwischen dem Moment hier und dem zuvor? Es wird dunkel und still, und ich falle in einen traumlosen Schlaf für die restliche Nacht. Als ich aufwache, fühle ich mich merkwürdig. Ein bisschen, als hätte ich im Privatleben von jemandem geschnüffelt. Auch, wenn ich nichts dafür kann und keinen Einfluss darauf habe, habe ich ein leichtes Schamgefühl deswegen. „Guten Morgen“, werde ich von einer Stimme begrüßt. Von einer männlichen Stimme. Ungläubig sehe ich auf. Rost richtet gerade seine Schlafecke. Rost. Der Mann, der jeden Morgen verschwunden ist, wie ein heimlicher Liebhaber und erst abends, wie ein solcher wieder auftaucht. Dieser Umstand freut mich irgendwie nicht, so ganz und gar nicht. Er sorgt eher für ein flaues Gefühl und Unruhe in mir. „Ist etwas passiert?“, frage ich geradeheraus. Der Hausherr hält mitten in der Bewegung inne und dreht den Kopf zu mir. Er mustert mich. Ja, ich komme mir jetzt dumm vor die Frage gestellt zu haben, aber … „Du bist sonst immer schon weg, deswegen …“ Den Rest vom Satz verschlucke ich undeutlichem Gemurmel und senke den Blick. „Ich breche gleich auf“, bekomme ich kurzangebunden noch gesagt, dann ist Rost bereits dabei seine Tasche zu packen. Ich bin verwirrt. „Okay“, flüstere ich vor mich hin. Durch das späte Abendessen gestern habe ich Moment keinen Hunger. Ich stocke, nach Nachfragen bei Rost, mein Brot auf, nehme mir ein wenig von dem gepökelten Fleisch und fülle meinen Trink-Beutel auf. Mir wird bewusst, dass ich gestern kaum etwas getrunken habe – ich sollte mehr darauf achten. Eine schlechte Angewohnheit, die ich offenbar aus meiner Welt mitgebracht habe. Auf dem Tisch liegen saubere Stoffstreifen und ein Tiegel mit einer Salbe, daneben ist eine Schüssel mit Wasser. Ich sehe die Sachen mit gerunzelter Stirn an, habe aber keine Ahnung, warum die hier stehen. „Wasche dich, danach helfe ich dir deine Hände zu versorgen“, bekomme ich von Rost gesagt. Oder eher kommandiert. Weil ich gerade erst aufgewacht und noch gar nicht richtig aufnahmefähig, geschweige denn reaktionsfähig, bin, nicke ich schlicht. Da ist mir Aloy mit ihrem Geplapper am Morgen fast lieber. Die quasselt einfach und erwartet keine Reaktion von mir. Ich wasche mir Gesicht, Hals und Nacken; unter wiederkehrendem, leisen Schmerz-Zischen, weil das Wasser in den offenen Stellen brennt. Der Hausherr reicht mir ein Tuch, dass aus dickem Stoff besteht, zum Abtrocknen. Anschließend sitzen wir am Tisch und Rost trägt die Salbe auf die offenen Stellen, die vornehmlich an den Knöcheln sind, auf. Aus Gründen, die ich nicht verstehe, fällt mir der Film „Der 13. Krieger“ ein. Als die Frau dem „Arab“ erklärt, dass die Wundsalbe, die sie ihm aufs Gesicht aufträgt, aus eingekochter Kuhpisse besteht. Mein Kopf ist manchmal echt merkwürdig. Danke für diese Erinnerung, Gehirn, danke. Anschließend verbindet Rost geübt meine Hände. Ich sehe auf, als er fertig ist. „Danke“, sage ich aufrichtig und lächle. Er gönnt mir ein wohlwollendes Nicken und steht auf und sieht mich irgendwie bedeutungsschwanger an. „Du kannst erstmal bleiben, vorausgesetzt du machst weiterhin deinen Anteil.“ Schlagartig strahle ich übers ganze Gesicht. „Danke“, freue ich mich. „Sagtest du schon“, murmelt der Hausherr. Klang das amüsiert? Ich bin mir nicht sicher. Gemeinsam verlassen wir die Hütte und draußen erwartet uns ein ziemlich grantige Aloy. Ich nehme alles zurück, dann doch lieber einen kommandierenden Rost. „Muss das …?“ „Ja“, schneidet der Mann der Teenagerin direkt das Wort ab. Hier herrscht offenbar dicke Luft. Die Frage ist nur warum. Da ich es nicht weiß, halte ich mich vornehm zurück. „Sanya hat ihr gestern erst einen Hasen gebracht“, regt sich Aloy auf. Ich mag es nicht, dass mein Name fällt, ohne, dass ich weiß, worum es überhaupt geht. Aber … Hase? Geht es um Grata? „Sie ist alt, ja, aber mit einem Hasen kommt Grata auch nicht länger als einen Tag aus“, erklärt Rost ungerührt von der Wutattacke seiner Ziehtochter. „Und wir brauchen jetzt auch mehr Essen.“ War das ein Seitenhieb? Ich bin ehrlich überfordert mit der Szene. Keine Ahnung warum Aloy sauer ist oder worum es generell gerade geht. Und irgendetwas sagt mir, dass ich besser nicht nachfragen sollte, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. „Ich könnte doch aber auf Maschinenjagd gehen und danach zu Grata“, bietet die Teenagerin an. Rost verschränkt die Arme. „Nein. Du kannst nicht immer nur für die Erprobung üben. Sich selbst versorgen können ist außerdem auch eine Übung. Nicht nur für die Erprobung, sondern für dein ganzes Leben; begreif das doch endlich.“ „Aber ich könnte Sanya helfen den Läufer zu finden“, plaudert sie, ohne eine Sekunde zu überlegen aus. Mir rutscht das Herz in die Hose und ich halte die Luft an. Mit großen, ungläubigen Augen starre ich Aloy an und sehe, wie ihr schlagartig auch bewusstwird, dass sie das wohl besser nicht gesagt hätte. „Was für ein Läufer?“, werde ich scharf und argwöhnisch gefragt. „Nichts weiter“, versuche ich es herunterzuspielen. „Mir ist die Tage ein Läufer aufgefallen, der sich auffällig benimmt. Ich wollte nur ein Auge darauf haben. Nicht, dass er irgendwie krank oder gefährlich ist und Probleme macht.“ Ich bemühe mich ruhig und beiläufig zu klingen, bei meiner Halbwahrheit. Rost macht einen kleinen Schritt in meine Richtung und mustert mich mit seinen hellen Augen streng und forschend. Wenn ich nicht wüsste, dass er eigentlich ein sehr netter und emphatischer Kerl ist, würde ich jetzt wahrscheinlich zurückweichen, weil er mir Angst machen würde. Aber so, versuche ich so gelassen zu wirken, wie mein wild klopfendes Herz es zu lässt. Das Einzige, was mir durch den Kopf schwirrt, ist, dass er bitte sein Angebot, dass ich hierbleiben darf, nicht zurückzieht. Der Mann beugt sich noch etwas zu mir. „Was du machst, ist deine Sache; aber setzte ihr nicht solche Flöhe ins Ohr“, stellt er unmissverständlich klar. Ich nicke, mehr nicht. Ich verstehe Rost, deswegen kommt es mir gar nicht in den Sinn zu widersprechen oder ähnliches. Er will, das Aloy sicher ist und ihr nichts passiert. Das sie, soweit es in dieser Welt und unter den Umständen möglich ist, behütet aufwächst. Er hat schon einmal eine Tochter verloren. Den Schmerz, den so eine Tragödie verursacht, will ich mir nicht mal vorstellen. „Tu‘, was ich dir aufgetragen habe“, teilt der Mann unmissverständlich der Teenagerin mit und dreht sich um. Er geht Richtung Haupteingang des Geländes. Ich sehe Aloy an und schüttle einfach nur den Kopf. Ich weiß, dass es kein böser Wille von ihr war, trotzdem hätte das ganze Konsequenzen für mich haben können. Er hätte mich rauswerfen können oder sonst was. Ich sehe der Teenagerin an das sie genervt ist, auch von mir gerade, aber ich merke auch, dass sie sich des Fehlers bewusst ist und deswegen auch von sich selbst genervt ist. Ich lasse sie wortlos stehen und laufe zügig Rost hinterher. Eine Kleinigkeit wäre da noch, die ich loswerden möchte. „Rost“, rufe ich, um ihn zum Anhalten zu bewegen. Was er natürlich nicht macht. Aber er wird etwas langsamer, wodurch ihn einholen kann, ohne dass ich hetzen muss. Als ich endlich neben ihm bin, atme ich kurz durch bevor ich anfange zu reden. „Es tut mir leid, es war nicht meine Absicht.“ Ich wollte nur das sie aufpasst, weil ich mir Sorgen gemacht habe wegen dem merkwürdigen Verhalten des Läufers, liegt mir noch auf der Zunge, aber das wäre gelogen. Ich bringe es aber nicht übers Herz Rost anzulügen, da ertrage ich lieber seinen nahvollziehbaren Groll. Der Mann bleibt er stehen und seufzt. Er dreht sich zu mir und … Ich lasse ihn sehr unhöflich nicht zu Wort kommen. „Ich verstehe dich. Es tut mir wirklich leid, ich habe nicht nachgedacht.“ „Das habt ihr gemeinsam“, murmelt Rost. Keine Ahnung, ob er seine Ziehtochter und mich oder Graik und mich meint, ich traue mich aber auch nicht nachzufragen. „Hab` ein Auge auf Aloy und überlege dir das nächste Mal vorher, was du ihr erzählst“, ermahnt er mich und setzt seinen Weg fort. Ich sehe ihm nach und erst jetzt wird mir bewusst, dass er ziemlich beladen ist. Da ich sonst nie gesehen habe, wie Rost morgens geht, bin ich mir unsicher, ob er immer so vollgepackt ist. Aber irgendetwas sagt mir, dass ich mit meiner morgendlichen Eingebung vielleicht gar nicht so falsch lag. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)