Jägerpfade von Charly89 (Ein Horizon Zero Dawn MSP) ================================================================================ Kapitel 16: If you read this ---------------------------- Keine Ahnung wie lange ich da sitze, heule und in Selbstmitleid versinke, aber es ist eine Weile. Mein Körper bebt, meine Stimme ist heiser und meine Augen brennen. Als meine Atmung sich langsam beruhigt, kehrt auch mein Verstand allmählich wieder zurück. Reiß dich zusammen! Vom hier sitzen und weinen wird auch nichts besser. Auch, wenn ich mich gern einfach noch etwas in die Situation hineinsteigern möchte, wird mir das nicht weiterhelfen. Ich fahre mir durch die Haare, atme durch und versuche mich zu sortieren und mein Gehirn zur Arbeit zu zwingen. Den Fokus bekomme nicht zum Laufen, zumindest nicht hier. US Robotic Command … Fuck, welche Ruine ist das? Ich klicke noch etwas auf dem Computer. Ich finde eine Karte und versuche die mit den aktuellen Gegebenheiten irgendwie in Verbindung zu bringen. Da ist mein Standort, da ist Denver, Teufelsleid wenn ich nicht irre. Weiter Richtung Nord-Osten ist Colorado Springs, das müsste dann Teufelsdurst sein, und ganz da hinten … Moment. Ist das der Grabhort? Uff. Mir schläft das Gesicht ein. Das ist am Ende des Heiligen Landes, das sind mehrere Tage bis dahin! Scheiße! Wie soll ich dahin kommen?! In mir beginnt es direkt wieder zu brodeln. Den Fokus zu reparieren kann ich mir erstmal abschminken. Wenn ich wirklich dorthin will, muss ich das vorbereiten. Akribisch vorbereiten. Aber wie klug wäre eine so weite Reise? Ich bin keine Nora, ich habe keine Ahnung vom Überleben in der Wildnis und außerhalb des Beckens wimmelt es nur so von Maschinen. Und womöglich auch Carja. Seufzend vergrabe ich mein Gesicht in den Händen. Das ist doch alles Mist! Eine Weile sitze ich noch da, ärgere mich und rege mich auf. Keine Ahnung wie lange ich schon hier bin, ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Ich sollte mich aber langsam auf den Weg zurück machen. Hier finde ich eh keine Hilfe. Ich packe meinen Sack und mache mich auf den Weg. Eher zufällig sehe ich beim Verlassen des Gemeinschaftsraums etwas, dass halb hinter der Tür liegt. Vorhin ist es mir nicht aufgefallen, weil ich mit mir und meinen nassen Sachen beschäftigt war. Ich stelle mein Gepäck wieder ab und gehe neben der Tür in die Hocke. Ich ziehe an der vermeintlichen Schnur. Sie hakt kurz und ich ziehe etwas kräftiger. Zum Vorschein kommt neben einer Kette auch eine Metallplatte. Ich runzle die Stirn und inspiziere die Kette. Sie ist simpel, im Nora-Stil. Metall- und geschnitzte Holzteile. Der Anhänger sieht aus wie die Eckzähne eines Raubtiers. Aus mir unerklärlichen Gründen habe ich den Eindruck, dieses kleine Schmuckstück zu kennen. Von der Machart und der Größe her, wäre es eher etwas für ein Kind. Ist es meins? Oder von Graik? Oder dem komischen Freund, der bei Segnungszeremonie neben uns stand? Ich schüttle den Kopf; mir fällt nichts Näheres ein. Ich werde aber das Gefühl nicht los, dass sie irgendwie wichtig ist, auf emotionaler Ebene. Ich werde sie mitnehmen. Ich wickle sie mir um mein Handgelenk und betrachte den Anhänger, der nun an meiner rechten Hand baumelt, nochmals. Ich will aufstehen, da fällt mein Blick auf die Metallplatte. Ich hatte ihr keine Beachtung geschenkt, weil ich davon ausgegangen bin, dass es einfach eine wie so viele in dieser Welt ist. Aber ich sehe plötzlich, dass etwas in ihre Oberfläche eingeritzt ist. Verwirrt nehme ich sie in die Hand. Im ersten Moment glaube ich an eine der hiesigen Sprachen, denn ich kann nicht wirklich entziffern, was dasteht. Aber es sind Buchstaben der Alten, also sollte ich es lesen können. Ist es nur wirrer Buchstabensalat? Mir springen aber zwei Wörter ins Auge. Oder besser, zwei Namen. Ich lese Sanya, und unter dem Gekritzel Graik. Dank einigen Jahren Berufserfahrung im Handwerk, kann ich fast jede noch so krakelige Hand(werker)schrift lesen, aber trotzdem wirken die anderen Wörter wie zusammengewürfelte Buchstaben. Ich denke angestrengt nach. „Ich bin so doof“, tadle ich mich. Das F schwingt im Bunker nach und scheint mich zusätzlich zu verspotten. Ich habe doch gerade am Computer festgestellt, dass die Sprache der Alten Englisch ist. Okay, es ist also Englisch, aber sinnig finde ich das Kauderwelsch trotzdem nicht. Plötzlich kommt mir etwas anderes in den Sinn. Mein Sohn hat LRS, dementsprechend ist seine Rechtschreibung sehr fantasievoll. Dank entsprechender Beschulung ist es inzwischen viel besser, aber ich sitze dennoch oft da und habe keine Ahnung, was er da geschrieben hat. Die Lehrerin hatte uns damals gesagt, dass es hilft, die Buchstaben und nicht das Wort zu lesen, um die Lautmalung herauszufinden und daraus erschließt sich das Wort meist recht problemlos. Sollte hier auch klappen, oder? Ich lese also die Buchstaben leise vor mich hin und allmählich formt sich ein krüppeliger Scrabbel-Text zusammen, der ungefähr folgendes aussagt: Sanya, in case you read this, I’m long gone. I should never have dragged you into this mess. I’m so sorry. May the All-Mother be more gracious to you than to me. Graik Ich bin verwirrt und weiß auch im ersten Augenblick gar nicht was mich am meisten irritiert. Graik kann die Sprache der Alten? Sanya auch? Er war nochmal hier, bevor er ins Banuk-Gebiet aufgebrochen ist? Er ist davon ausgegangen das Sanya hierher kommt?! Was um Himmelswillen ist mit diesen Geschwistern? Ich lasse meine Finger über die Kerben im Metall wandern und Melancholie überkommt mich. Diese Nachricht ist nicht für mich, sie für Sanya. Die echte Sanya. Sie sollte das lesen, nicht ich. Ich packe die Metallplatte in mein Bündel. Wenn das hier vorbei ist, soll Sanya sehen, dass es ihrem Bruder leidtut. Und dass sie ihm wichtig ist. Ich schnaufe durch. Was für Gefühlschaos. Wut, Verzweiflung, Freude, wieder Wut und Verzweiflung und jetzt Traurigkeit. Ich fühle mich ausgelaugt, und dass nicht wegen dem Eisbad heute. Ich nehme mein Bündel und mache mich auf den Weg, ich will endlich raus aus dieser Gruft. Scheiße! Ich würde gern gewählter denken, aber wozu? Es ist mein Kopf, meine Gedanken also: verfluchte Scheiße! Ich stehe vor dem Bunker und sehe in den Tunnel hinein, durch den ich gekommen bin. Den überfluteten Tunnel. Ich hasse mein Leben. Muss ich jetzt wirklich wieder in dieses eiskalte Wasser? Wirklich? Wirklich wirklich? Ich murre vor mich hin, während mein Blick den Rand entlangwandert und versucht eine Strecke zu finden, bei der ich halbwegs trocken bis zum „Aufgang“ komme. Ich habe echt keine Lust mir wieder meine Extremitäten abzufrieren. Nun gut, diesmal kann ich mich wenigstens vorbereiten und meine Sachen schützen, soweit es geht. Ich löse das Seil um meine Hüfte und ziehe meinen Poncho aus. Das Ding behalte ich definitiv nicht an. So dick wie der Stoff ist, wird es wahrscheinlich hundert Kilo wiegen, wenn es sich vollgesaugt hat. Also weg damit! Ich kremple die Hose, soweit es geht, hoch. Tatsächlich überlege ich kurz, sie auszuziehen aber meine Hemmungen sind zu groß. Hier ist niemand und oben wird wahrscheinlich auch niemand sein, und selbst wenn, Sanya wird wahrscheinlich tolle, durchtrainierte Beine haben, die man vorzeigen kann, bzw wird es mit ziemlicher Sicherheit niemanden interessieren; trotzdem kann ich mich nicht überwinden blank zu ziehen. Ich binde meinen improvisierten Sack mit dem Seil ordentlich zusammen und packe ihn mir auf den Kopf. So sollte ich wenigstens verhindern, dass dieser Kram wieder komplett durchweicht. Ich laufe langsam ins Wasser und wimmere. Das ist so schrecklich kalt. Leider gibt es keinen anderen Weg hinaus, also heißt es Zähne zusammenbeißen. Mit der linken Hand halte ich den Sack auf meinem Kopf, mit der rechten taste ich die Felswand entlang. So geht es vorsichtig den Tunnel entlang. Ich schaffe es zurück in den Schacht, in dem ich abgestürzt bin, ohne weiter als bis zur Hüfte im Wasser zu stehen. Doch jetzt muss ich schwimmen, um zu der Formation zu kommen, die mich wieder an die Oberfläche bringt. Ich werfe den Sack hinüber, hoffe das ich den blöden Fokus nicht noch mehr beschädige dadurch. Mit einem metallischen Geräusch landet das Bündel. Nun zu mir. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und tauche in die eisige Kälte ein. Ich konzentriere mich auf den Punkt, zu dem ich muss und versuche alles andere auszublenden. Angekommen wuchte ich mich aus dem Wasser und schnappe meine Sachen. Ich muss mich beeilen und trotzdem vorsichtig sein. Zitternd klettere ich nach oben und kann es kaum fassen, als ich endlich wieder Gras unter den Füßen und Sonne im Gesicht habe. Ich gehe den Berg hinunter, auf keinen Fall möchte ich in der Nähe der Ruinen gesehen werden. In Sichtweite des Wegs nach Mutters Wacht setze ich mich ins Gras. Ich ziehe meine Schuhe aus und nehme dann mein Bündel auseinander. Ich lege alles in der Sonne aus, bis auf den Fokus. Den lasse ich in dem kleinen Säcken. Mein Oberteil fühlt sich extrem eklig auf der Haut an. Ich ziehe oben am Ausschnitt und schaue darunter. Ah, okay. Offenbar trage ich etwas „oben rum“, eine Stoffbandage, die alles persönliche verdeckt. Ich zerre mir also das nasse Kleidungsstück über den Kopf. Ja, ich störe mich an oben ohne nicht, dafür „untenrum“ umso extremer. Auch wenn mein Körper Sanya ist, ist mein Geist Anja. Und deren Hemmungen sind tief verwurzelt, da ändert auch ein trainierter Leihkörper nichts. So sitze ich also in der Sonne und warte das meine Sachen und ich trocknen, während ich das Fleisch esse. Neugierig betrachte ich mich, sehe kleinere und größere Narben an meinem Körper die deutlich bezeugen, wie hart das Leben hier ist. Einige sind alt, kaum noch sichtbar. Andere sind ebenfalls alt, aber zeichnen sich sehr ab, was deutlich macht, dass es keine kleinen Kratzer waren. Am Oberarm links, kurz vor dem Schultergelenk ist eine Verletzung, bei der ich mich sehr wundere. Sie ist noch nicht sehr alt, wie ich der Rosa-Färbung entnehme. Sie sieht aus, als wäre es eine wirklich schlimme Verletzung gewesen. Der Riss ist bestimmt fünf Zentimeter lang und relativ gerade, ich vermute er war auch tief. Mir kommt der Gedanke, dass ein Pfeil oder ein Messer gut dafür verantwortlich gewesen sein können. Hatte Sanya vor einigen Wochen, denn so alt schätze ich die Wunde, einen Kampf mit jemandem? In dieser Welt, in der selbst die fitte und erfahrene Sanya sich solche Verletzungen zugezogen hat, soll ich eine so weite Reise machen? Quer durch das Heilige Land bis zum Grabhort? Ich höre Stimmen die näher kommen und mich aus meinen Gedanken reißen. Eigentlich habe ich keine Lust auf eine erneute Konfrontation, aber jetzt schnell zusammen packen steht auch nicht zur Debatte. Ich bleibe sitzen und hoffe einfach das Beste. Zwei ältere Nora kommen in Sichtweite, ein Mann und eine Frau. Sie unterhalten sich, ich höre Carja, Raubzüge und Mutterkrone. Nichts neues also, von daher widme ich mich dem Wenden meiner Kleidung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)