Jägerpfade von Charly89 (Ein Horizon Zero Dawn MSP) ================================================================================ Kapitel 12: Feindkontakt ------------------------ Gerade, als ich überlege, ob ich den Läufer suchen gehe oder einfach auf eine neuerliche Begegnung warte, gibt meine Tasche eigentümliche Geräusche von sich. Ich starre sie an, als erwarte ich, dass sie wie eine Bombe hochgeht. Was sie theoretisch könnte, wie mir einfällt. Die Sprengfalle ist immerhin noch da drin. Mir wird mulmig und ich will gerade Distanz zwischen mich und die Tasche bringen, da erinnert mich der Ton dann doch eher an ein Smartphone. Ich habe aber kei… Moment! Der Fokus! Hektisch krame ich in der Tasche und hole das kleine Ding raus. Es leuchtet, oder blinkt, um es genauer zu sagen. Ähm, habe ich eine Nachricht erhalten? Aber wie soll das funktionieren, wo das Ding doch scheinbar defekt ist? Ich klemme es mir verwirrt ans Ohr, tippe darauf und vor mir erscheint ein Hologramm. Oder eher das, was davon übrig ist. Es ist völlig verzerrt und löchrig und unscharf. Die Figur ist ein Mensch, denke ich. Oder ein Ork, oder Shrek, oder was auch immer. Kratzig und stockend ertönt eine Stimme: „… Sanya … wichtig … höre mir zu …“ Die Übertragung ist mies und der Ton rauscht, aber … aber … diese Stimme … ich kenne sie. „Deinen Fokus … deinen Schlüssel … mir übergeben …“, fordert die Stimme. What?! Meinen Schlüssel? „Melde … mich … Treffpunkt … teile ich mit …“ Ende. Das Hologramm ist weg und die Stimme auch. Ich bleibe zurück, völlig überfordert und ratlos. Die Stimme gehört zu Sylens, dessen bin ich mir sicher – schlechte Tonqualität hin oder her. Im Hintergrund war kurz eine zweite zu hören. Durch das Rauschen bin ich mir nicht sicher, aber könnte sie Graik gehören? Keine Ahnung, ist mir spontan auch egal. Ich greife in die Tasche und holen meinen Schlüsselbund raus. Es ist meiner, meiner aus meiner Welt. Der, den ich in der Hand hatte, als ich die Tür abschließen wollte und plötzlich hier gelandet bin. Er ist alles, was ich habe. Einen Teufel werde ich tun, ihn Sylens zu geben! Ich weiß, dass er ein zwielichtiger Geselle ist, der zwar hilft, aber nur, wenn es ihm auch hilft. Als Spieler habe ich ihn geliebt, generell mag ich solche Charaktere ausgesprochen gern. Aber ich habe auch oft darüber nachgedacht, wie frustrierend und nervig er für Aloy die ganze Zeit sein muss. Außerdem verstehe ich nicht, wie er überhaupt von meinem Schlüssel wissen kann. Ich habe ihn mitgebracht … oder? Unschlüssig betrachte ich den Schlüsselbund, nichts Auffälliges. Alle Teile sind frisch und das Metall sauber. Er ist ganz anders als die, die man hier in den Ruinen findet. Der Fokus selbst ist gibt keinen Ton mehr von sich. Der erneute Versuch das Ding zu starten, schlägt auch fehl. Data corrupted, prangt wieder vor meinen Augen. Wie hat Sylens es eigentlich geschafft mich zu kontaktieren? Ob man das Ding reparieren kann? Fraglich wie. Rein technisch kann man an dem Mini-Ding wohl kaum etwas machen, und um ein Software-Problem zu beheben, bräuchte ich einen Computer, oder etwas in der Art. Und selbst dann müsste ich erstmal wissen und verstehen, wie das Programm funktioniert … Mir fällt der Klartraum mit Sanya ein, die alten Ruinen, in denen sie und Graik waren. Ob ich da irgendwo etwas finde, womit ich den Fokus wieder zum Laufen bringe? Irgendwo hinter mir raschelt es und ich sehe über meine Schulter. Die Schatten der Bäume sind dunkel und lang, es ist später Nachmittag inzwischen. Ich mache irgendwo eine Bewegung aus, kann sie aber nicht so recht … Hilfe! Ich springe auf und hetze kopflos los. Als wäre der Teufel hinter mir her, sprinte ich zu einer der Leitern des Übungsgeländes. In Windeseile bin ich oben auf dem Brett und traue meinen Augen kaum. Der Teufel, der in Form eines Wildschweins auf mich losgegangen ist, rammt das Holz und tut seinen Unmut über meine Anwesenheit kund. Die ganze Konstruktion unter mir beginnt zu wackeln. Ich bin überfordert und panisch, doch Sanya scheint die Gunst der Stunde reflexartig zu erkennen. Ich habe plötzlich den Bogen gezückt und zack, ist der erste Pfeil ist bereits von der Sehne geschnellt. Er trifft das wilde Biest irgendwo im Nacken. Das hier ist aber nicht Hasi und auch kein Fisch, dementsprechend ist die Sau jetzt nicht tot, sondern noch wütender als vorher. Sie tobt, schreit und rammt wieder die Leiter. Der nächste Pfeil surrt durch die Luft bevor ich verstehe, was los ist, und der dritte direkt hinterher. Nach einem kurzen Moment auch noch der vierte. Das Wildschwein taumelt, schreit und bricht schließlich zusammen. Ich starre hinunter zum schmerzhaften und lauten Todeskampf des Tieres. Mein Herz rast wie ein verdammtes Rennpferd und meine Atmung ist abgehackt. Mir ist schlecht und zittere wie verrückt. Das ist alles so überhaupt nichts für mich. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass ich mich auch nie daran gewöhnen werde. Ich versuche mich zu beruhigen, atme durch und Schlucke den viel zu vielen Speichel in meinem Mund angestrengt hinunter. Als das Nervenflattern endlich nachlässt, klettere langsam die Leiter hinunter. Unten angekommen betrachte ich das Wildschwein. Meine Güte, ist das ein Riesenvieh! Ein Berg aus Fleisch und Muskeln der mir fast bis zur Hüfte hoch reicht. Ich mache mir die ganze Zeit Sorgen, dass mich eine Maschine platt macht, aber das hier ist wahrscheinlich realer: Eine wilde Sau, die mich auf die Hauer nimmt. „Sanya!“ Ich zucke erschrocken zusammen und sehe auf. Rost? Was macht der denn hier? Und wo kommt der her? „Du hast es erlegt“, stellt er fest, als er bei mir ankommt. Ich … was? Ich verstehe nur Bahnhof, während der Ausgestoßene sich hinkniet und die Pfeile aus dem Wildschwein zieht. „Vier Stück? Zwei hätten reichen müssen“, murmelt er vor sich hin. Ich seufze. So ein bisschen verstehe ich Aloy gerade … Trotzdem habe ich immer noch keine Ahnung, was hier gerade los ist. Und ich habe das Gefühl, mich verteidigen zu müssen. „Ja, ich war einfach zu überrascht“, erkläre ich mürrisch und gehe meine Sachen holen. Rost brummt und macht sich daran, dass Wildschwein zu zerlegen. Als ich mit meiner Tasche wieder zurück bin, dämmert es mir dann endlich. Offenbar hat er das Tier gejagt und deswegen war es so sauer. Ich stand einfach nur in seinem Fluchtweg. „Wo ist Aloy?“, frage ich nach einem kurzen Rundumblick. „Schon im Haus“, antwortet Rost kurzangebunden und konzentriert sich auf seine Arbeit. Ist okay, du musst nicht mit mir reden … Ich bin froh, als wir ankommen. Die Fleischteile, die ich geschleppt habe, sind echt schwer. Und es ist auf eine unerklärlicherweise unangenehm. Es stinkt nicht, es blutet nicht, aber es ist … bäh, einfach bäh. Wir packen alles auf die Terrasse, neben einen Tisch. Hygienisch ist auf jeden Fall anders … „Aloy“, ruft Rost bestimmt und geht bereits die kleine Treppe wieder hinunter. Die Teenagerin kommt heraus und freut sich mich zu sehen, eher weniger als sie die Masse an Fleisch sieht. Und ja, ich habe keine Ahnung warum. „Alles?“, fragt sie genervt ihren Ziehvater. „Alles“, gibt Rost schnaufend zurück und geht zu einem Eimer Wasser der sich neben dem Haus befindet und wäscht sich. Ich schenke Aloy ein schiefes Grinsen. Ich weiß immer noch nicht, wo das Problem gerade ist. Viel Essen ist doch gut, oder? „Hilfst du mir?“, fragt sie mich geradeheraus. „Ich muss noch etwas machen, dann helfe ich.“ Wobei auch immer … Während die Teenagerin anfängt das Fleisch in handlichere Teile zu schneiden, schaue ich zu meinem Köcher. Pfeil eins habe ich beim Baumschießen eingebüßt, Pfeil zwei beim ersten Fisch, Pfeil drei und vier bei den anderen Fischen, Hasi hat mich Nummer fünf gekostet und die wilde Sau sechs, sieben, acht und neun. Ich sollte ganz dringend Pfeile machen. Ich hocke mich also auf die andere Seite der Terrasse und versuche mich mental freizumachen. Ich beginne mit der Arbeit, als ich meinen Kopf weitestgehend leer habe und das funktioniert eins a. In Nullkommanichts habe ich die neun Pfeile wieder in meinem Köcher und bin sehr zufrieden. Langsam habe ich den Dreh raus, wie ich mit Sanya am besten zusammenarbeite. Ich nehme mir einen Moment und beobachte Aloy, um die Handgriffe zu sehen und was sie macht, dann helfe ich ihr. Wir pökeln Fleisch, jede Menge Fleisch. Jetzt verstehe ich, warum die Teenagerin vorhin so genervt war. Das nimmt einfach kein Ende. Aloy erzählt mir, dass Rost mit ihr heute für die Erprobung trainiert hat, seit einer ganzen Weile das erste Mal wieder. Und sie ist hörbar glücklich darüber. Bei einer ungeschickten Bewegung schmeiße ich aus Versehen meine Tasche runter und meine Puschel-Bommel-Stein-Konstruktion fällt heraus. Natürlich ist das Interesse der Teenagerin sofort geweckt. „Was ist das?“, fragt sie und hebt mein Werk vom Boden auf. Mist. Was mach ich jetzt? „Ähm … nun ja …“, versuche ich sehr geschickt und subtil Zeit zu schinden. Ich nehme ihr das Konstrukt weg und stecke es wieder in meine Tasche. „Komm schon, Sanya, erzähl“, fordert sie mich verschwörerisch grinsend an. Eigentlich will ich es ihr nicht sagen, weil ich sie nicht zu Dummheiten animieren will, aber ich sehe ein wenig Heimtücke in ihrem Blick. Sie wird doch nicht den Vorfall von gestern nutzen wollen und mich erpressen? Ich kann es jetzt darauf ankommen lassen oder ihr zuvorkommen, um nicht als Trottel dazu stehen … Ich knicke ein und lasse kurz den Kopf hängen. Ich sehe mich um und finde Rost beim Holzhaken am anderen Ende des Geländes. Er ist weit genug weg, also beuge mich zu ihr. „Erinnerst du dich an gestern? Die Sache mit dem Läufer, der sich so eigenartig benommen hat?“, flüstere ich Die Teenagerin nickt. „Ich glaube, ich habe ihn heute wieder gesehen.“ „Wirklich?“, fragt sie mich ungläubig. „Ja. Aber ich bin mir nicht sicher, deswegen wollte ich ihn markieren.“ Ich sehe, wie sie versteht was ich meine „Seid ihr fertig?“, tönt es plötzlich streng aus einiger Entfernung. Wir sitzen beide sofort stramm, als hätte man uns bei einer Dummheit erwischt. „So gut wie“, antwortet Aloy sofort. Ich sehe zu Rost, zu der Teenagerin dann zu dem Berg aus Fleisch. Wir haben etwa die Hälfte geschafft, das als „so gut wie“ zu bezeichnen ist schon übertrieben. Wir pökeln also weiter. Und pökeln und pökeln. Meine Finger sind völlig mit Salz verkrustet inzwischen. Ich könnte als lebender Leckstein durchgehen. Aloy genauso. Die obere Hautschicht ist so ausgetrocknet, dass sie immer mal wieder aufreißt und in Verbindung mit dem Salz … ja, autsch. Als wir endlich fertig sind bringt Rost uns unaufgefordert zwei Schüsseln mit Eintopf. Das Essen vergeht in stiller Eintracht. Wir sind alle erschöpft, jeder auf seine Art. Aloy nickt irgendwann ein, was mir erst auffällt, als Rost sie hochnimmt und dadurch das Gewicht an meiner Seite plötzlich verschwindet. Er bringt sie nach drinnen, während ich bleibe und in den glitzernden Nachthimmel starre. Unvorbereitet werde ich an der Schulter angetippt und zucke kurz. Eine große Hand reicht mir etwas kleines Dunkles. Ich nehme es und sehe Rost fragend an, der mir deutet, dass es für mich ist. Wortlos setzt er sich neben mich und sieht zu dem hell lodernden Feuer in einiger Entfernung. Ich betrachte das dunkle, eckige etwas. Es ist an den dünneren Stellen leicht durchsichtig. Es wirkt kristallin, wie Bernstein. Was ist das? „Du darfst es ruhig essen“, erklärt der Mann neben mir ruhig, ohne mich anzusehen. Es ist essbar? Okay … Ohne weitere Bedenken stecke ich es in den Mund. Es schmeckt süß und erinnert mich an Kandiszucker, oder ein Bonbon. Aus unerfindlichen Gründen löst ein emotional warmes Gefühl in mir aus, etwas wie „zu Hause“. „Verrate es Aloy nicht. Ich habe ihr gesagt, ich habe nichts mehr“, bitte er mich mit einem leichten Schmunzeln. Ich muss lächeln. „Danke. Das wäre aber nicht nötig gewesen.“ Kurz folgt Stille, dann seufzt er schwer. „Ich dachte, du brauchst es dringender.“ Verdutzt sehe ich ihn an. Keine Ahnung, was er damit meint. Rost sieht zurück, unaufgeregt und fast sanft. „Ich habe dich weinen gehört“, sagt er leise. „Letzte Nacht im Schlaf“, fügt flüsternd noch an. Uff, da erwischt mich gerade auf dem falschen Fuß. Ich senke abrupt den Blick und fummle an meinen Sachen. Der Albtraum kommt wieder hoch. All das Chaos, all der Tod. Der süße Geschmack in meinem Mund ist schlagartig etwas weniger süß. „Ich …“, beginne ich, breche aber wieder ab. Ich nehme mir einem Moment mich zu sammeln. „Ich habe geträumt, dass Maschinen alles vernichten, was mir wichtig ist“, erkläre ich stockend. Ich spüre, wie er nickt. Danach sitzen wir einfach noch still eine Weile beisammen und gehen schließlich nach drinnen, als die Kälte beginnt in die Haut zu beißen. „Gute Nacht“, flüstere ich ins Halbdunkel der Hütte, als ich auf der Pritsche liege. „Gute Nacht, Sanya“, brummt Rost. Mir fallen die Augen und ich schlafe ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)