An einem Tisch mit dem Inugami von Silberfrost (ein Einblick für den #Fantasymontag) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Gegen Mittag sitze ich auf dem Sofa. Verdiente Pause. Schneidersitz, Naschkram. Den Laptop im Anschlag starre ich auf den letzten Abschnitt des Kapitels und zermartere mir den Kopf über allerlei belanglose Dinge, die nur mir auffallen werden. Nicht ein einziger, neuer Satz hat mehr als drei Minuten im Programm überlebt, als eine Bewegung in den Augenwinkeln mich herumfahren lässt. Im ersten Moment rechne ich mit der Nachbarin, die durch den Wintergarten hereinkommt, aber das ist kaum mehr als ein frommer Wunsch angesichts der hochgewachsenen Gestalt, die die Schiebetür zur Seite drückt und wortlos ins Wohnzimmer tritt. Akaya widmet dem Hebe-Schiebe-Element aus Glas einen zweiten, prüfenden Blick, als wolle er abschätzen, ob diese moderne Spielerei mit den papierbezogenen Holzrahmen mithalten kann, die ihm so vertraut sind. Eine kleine Kalkulation am Rande, ehe er sich in seinem dunkelroten Kimono auf das Sofa sinken lässt. Ebenfalls im Schneidersitz, jedoch so formvollendet, dass mein tadelhaft krummer Rücken mir gleich doppelt so rund vorkommt. Der Kater rollt neben mir aus seiner verdrehten Tiefschlafposition auf die Beine und faucht. Nicht, weil er den ausgewachsenen Dämon bemerkt hätte; den Inugami, der ganze Zivilisationen in den Staub geworfen hat. Sondern weil sich da ein Hund in seinem Revier breit macht. Auf seinem Sofa. Seit der Kater bei einem Campingurlaub diesen riesenhaften Schäferhund angesprungen hat, wissen wir, dass er es mit dem Größenwahn manchmal etwas übertreibt. Das hier ist jedoch schierer Irrsinn. Ehe ich mich aus meiner Starre lösen und den Kater von ihm wegziehen kann, mischt sich in Akayas starre Miene eine Andeutung von Selbstgefälligkeit. Er schmunzelt sogar über den Kater, der sich trotzig auf die Hinterbeine setzt. Warum wundert mich das eigentlich? Größenwahn und Irrsinn - die beiden müssten sich blendend verstehen. Ich bemerke, wie ich ihn anstarre, nach etwas ringe, das ich sagen könnte. Er sieht Minoru so ähnlich. Bernsteinaugen, scharfe Züge. Das lange, weiße Haar halbherzig hochgesteckt; die dunkelroten Haarnadeln wie blutige Lanzen im Frost. Was nicht wie gebleicht erscheint, ist dunkelrot – und selbst diese Farbe wirkt kalt an ihm. Ähnlich, ja, doch danach würde jeder Vergleich die Augen Lüge strafen. Er hat etwas Lauerndes in seiner Haltung, das mich die Zähne zusammenbeißen lässt - wie eine Katze mit sich weitenden Pupillen, einem Zuschnappen ohne vorangehende Warnung. Das angedeutete Lächeln tut sein Übriges. Nicht aufgesetzt, nicht freundlich, sondern viel eher überlegen und ein klein wenig entrückt. Er lehnt sich vor, stibitzt Schokolade vom Tisch wie ein kleiner Junge und lutscht sie, während er sich mehr an meinem Unbehagen labt als an den Süßigkeiten. Ob ich ihm sagen sollte, dass das Theobromin im Kakao schon so manchen Hund um die Ecke gebracht hat? Dummerweise ist es Vollmilchschokolade und er ohnehin schon tot. „Sicher fragst du dich, weshalb ich hier bin.“ Da sind wir also? Per du? Sicherlich nur, weil er es nicht für notwendig erachtet, einem Menschen mehr Respekt angedeihen zu lassen als eben notwendig. „Es wurde entschieden, dass einer von uns herkommt.“ „’Einer von uns’“, wiederhole ich skeptisch und begreife: Die Widersacher der Geschichte, die Antagonisten. Doch warum ausgerechnet er? Hayato, Shisuna, meinetwegen auch die Zwillinge - die Liste war lang. Es hätte nicht ausgerechnet dieses spezielle Übel sein müssen, das nun fast beiläufig seine Hand dreht, damit die messerscharfen Klauen besser zur Geltung kommen. Ich schlucke. Wenn ich recht bedenke, wundert es mich gar nicht. Sollte überhaupt eine Art von Diskussion darüber stattgefunden haben, wer geht, hätte Akaya sie bereits mit seiner bloßen Anwesenheit erstickt. Ich versuche, den Gedanken an Hayato zu verdrängen, der die Gewissheit über Akayas durchaus greifbare Existenz vermutlich nicht allzu gut aufgenommen hat und nun irgendein Kämmerlein in Schutt und Asche legt, um seiner Wut Raum zu geben. Ich will nicht in Kōheis Haut stecken, wenn er hierfür Rede und Antwort stehen muss, als habe er Akaya persönlich heraufbeschworen. Armer Kōhei. „Warum ausgerechnet-?“ „Ich?“ Er tut meine Frage mit einem Achselzucken ab, das an ihm ebenso deplatziert wirkt wie er auf meinem Sofa. „Weil ich ohnehin nichts zu tun habe. Es ist Zeitvertreib.“ „Zeitvertreib“, wiederhole ich und mir fällt auf, dass ich mich anhören muss wie eine verstaubte Aufziehpuppe. Eine Regung huscht über seine Miene; zweifelnd, als befürchte er einen Schaden. Irgendein Loch in meinem Verstand, in das er fallen könnte. Ist er es nicht gewohnt, dass man in seiner Gegenwart mindestens befangen reagiert oder kamen seine Gesprächspartner in der Regel nicht bis zu diesem Punkt? „Alles ist ein Zerschlagen von Augenblicken, wenn man die Jahrtausende verstreichen lässt, Menschlein. Für jemanden wie dich ist Langeweile nur ein Wort. Für mich sind es Jahrtausende einer langen Weile. Einer ewig langen Weile in diesen Katakomben. Und genau darüber sollten wir reden.“ „Also ist es nicht nur Zeitvertreib.“ Dieses Mal schenkt er mir ein ehrliches Lächeln. Eines, das seine Fangzähne entblößt. „Nein, ist es nicht.“ Ich erschaudere. Ihn aus seinem Gefängnis zu entlassen, ihm Handlungsmöglichkeiten zu geben, Einfluss – mich graut es allein bei dem Gedanken. „Ich entscheide für niemanden“, sage ich schnell. Ob jemand in der Lage ist, seine Fesseln zu lösen, liegt natürlich bei mir, aber die Entscheidung, es zu tun? Ich zwinge keinem meinen Willen auf, ebenso wenig ihm und das respektiert er. So wie er einen größenwahnsinnigen Kater atmen lässt. „Nicht? Dann muss ich das Konzept falsch verstanden haben.“ Seine Miene verzerrt sich zu einem überheblichen Grinsen, das kurz darauf ebenso schnell wieder verblasst. Er wird ernster. „Eine Chance. Mehr verlange ich nicht.“ Er sieht mich an. Der Kragen seines Kimonos ist ungewöhnlich hoch geschnitten, aber wenn man weiß, worauf man achten muss, ist die raue, weiße Linie unter seinem Kehlkopf klaffendes Zeugnis einer Zeit, die er sicher mehr als nur vertreiben will. Ich beiße mir auf die Wange. Elender, manipulativer Mistkerl. Drohungen abzuschmettern ist leichter – emotional zumindest; nicht für die allgemeine Gesundheit. „Was geschrieben ist, ist geschehen“, sage ich vage. „Das Grobe liegt sicherlich bei mir. Aber alles andere?“ Nun ist es an mir, mit den Achseln zu zucken. Es ist die Wahrheit, auch wenn sie mir nur zu gewissen Teilen gefällt. Mit ihm zu hantieren, ist gefährlich. In jedweder Hinsicht. Ich kann es noch so sehr versuchen, es will mir kein Szenario einfallen, bei dem die Erfüllung seines Wunsches etwas Gutes bewirken würde. Doch was weiß ich schon? Und was weiß er? Wenn er ahnt, dass die Steine bereits ins Rollen geraten sind, warum ist er dann gekommen? Doch nur Zeitvertreib? Er nimmt meine Reaktion in all ihrer Unverbindlichkeit hin. Mit einer Genugtuung, die mir den Magen umzudrehen droht, nimmt er ein weiteres Stück Schokolade. Schmunzelt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)