Das Büro der bewaffneten Wichtel von rokugatsu-go ================================================================================ Kapitel 1: Wichteln mit den bewaffneten Detektiven -------------------------------------------------- „Wäre das nicht eine tolle Idee?“ Naomi blickte erwartungsvoll in die Runde, nachdem sie ihren Vorschlag gemacht hatte. Draußen vor den Fenstern der Detektei fielen ein paar zarte Schneeflocken vom Himmel herab, während die Detektive sich den Einfall der Schülerin durch den Kopf gingen ließen. Wichteln? In der Detektei? Atsushi sah umgehend eingeschüchtert aus. Der Gedanke, für jemanden ein Geschenk zu besorgen, erfüllte ihn sowohl mit Freude als auch mit Furcht. Er wollte gerne jemanden von seinen Kollegen beschenken, das war nicht das Problem. Das Problem war, dass er sich nicht zutraute, jemandem ein wirklich gutes Geschenk zu machen. Zudem war nicht jeder seiner Kameraden gleichermaßen einfach zu beschenken. Kyoka wäre vergleichsweise leicht, auch Ranpo wäre einfach zufrieden zustellen, aber was sollte er denn tun, wenn er Dazai zog? Atsushi schluckte. Jeden, nur nicht Dazai, dachte er mit zunehmend verängstigter Miene. Er bemerkte nicht, wie Kyoka ihn interessiert anblinzelte. Sie hatte zuvor noch nie von dem Konzept des Wichtelns gehört und hatte besonders aufmerksam Naomis Erklärung gelauscht. Der Zufall entschied, wem sie eine Freude machen sollte? Was für ein ineffektiver Vorgang; woher sollte sie denn wissen, was beispielsweise Kunikida eine Freude bereiten würde? Oder Tanizaki? Kyoka legte nachdenklich ihre Stirn in Falten. Oh!, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Natürlich! Um dies herauszufinden, müsste sie ihre detektivischen Fähigkeiten einsetzen. Dieses Wichteln schien ein gutes Training für die Informationsbeschaffung zu sein. Sie nickte zufrieden. Egal, wen sie zog, sie würde intensiv recherchieren und das beste Geschenk überhaupt besorgen! Ob die anderen sie dafür loben würden? Tanizaki bedachte derweil seine Schwester mit einem verunsicherten Blick. Naomis Idee klang gar nicht so schlecht; sie klang tatsächlich nach einer Menge Spaß, aber …. Er konnte sich nicht helfen, irgendetwas daran nagte an ihm. Es war nicht nur die Frage, ob diese Bande von Chaoten diese eigentlich recht einfache Unternehmung hinbekommen würde (Tanizaki hatte sie schon an ganz anderen eigentlich einfachen Dingen scheitern sehen), nein, da war noch etwas, was ihm ein komisches Gefühl in der Magengegend bereitete. Ob es die Angst davor war, jemanden wie Dazai zu ziehen? Dem Rothaarigen lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Was in aller Welt sollte er Dazai schenken? „Du schwitzt, Brüderchen. Ist dir warm?“ Naomi hielt ihm lächelnd ein Taschentuch hin, das Tanizaki dankend annahm. … Moment! Dieses Lächeln! Naomi plante etwas. Die Schultern des jungen Mannes sackten herab. Sie hatte doch nicht etwa …? Na ja, immerhin erlebe ich bei der Ziehung dann keine bösen Überraschungen, dachte er achselzuckend. Bei Naomis Bemerkung hatte Yosano einen kurzen prüfenden Blick auf Tanizaki geworfen. War er etwa krank? Nein. Sah nicht so aus. Er sah eher … beunruhigt aus. So wie auch Atsushi. Himmel, was machten die sich denn gleich ins Hemd wegen dieser Wichtel-Geschichte? Die Ärztin schüttelte den Kopf. Naomis Vorschlag klang doch nach einer ganz amüsanten Sache. Schließlich beinhaltete das Ganze nicht nur, dass man für jemanden ein Geschenk kaufen musste, man bekam ja selber auch etwas! Ein diebisches Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. Ooooh, wenn Atsushi sie zog, dann würde sie vielleicht endlich einen seiner Knochen bekommen (sie wuchsen ja immerhin nach). Und Kunikida wusste ganz genau, was sie am liebsten trank (es stand in seinem Notizbuch). Andererseits – das Lächeln auf ihrem Gesicht wich einer schlecht gelaunten Miene – bestand auch die Möglichkeit, dass Dazai sie zog. Würde der sich überhaupt Mühe geben? Und was, wenn sie ihn zog? Ging eine Tracht Prügel als Geschenk durch? Kenji bemerkte ihre grüblerisch gewordene Mimik nicht. Er strahlte über das ganze Gesicht, seit Naomi ihre Idee geäußert hatte. Ein Geschenk für einen seiner Kollegen besorgen! Der Gedanke ließ ihn vor Vorfreude ganz aufgeregt werden. Naomi hatte davon gesprochen „ein Geschenk zu kaufen“, aber auch das würde er irgendwie hinbekommen. Geld und Geschäfte kamen ihm nach wie vor ein wenig seltsam vor, doch die Leute in der Stadt hatten so viel dafür übrig. Und es gab so viele Geschäfte in der Stadt! Allein schon der Natto-Laden unten in der Einkaufsstraße hatte so viele Produkte in seinen Regalen. Die anderen würden sich bestimmt über etwas davon freuen. Ranpo hatte währenddessen kaum den Kopf von seinem Schreibtisch gehoben. Er hatte Naomis Erklärung zugehört und dann sofort wieder in den Ruhemodus gewechselt. Ein Geschenk für ihn? Bitte gerne. Aber dass er selbst auch aktiv werden musste …. Er murrte innerlich. Das klang ja fast nach Arbeit. Wieso sollte er zusätzlich zu seiner Arbeit als Meisterdetektiv und Dreh- und Angelpunkt der Detektei noch mehr Aufgaben übernehmen? Andererseits - Er blinzelte müde in die Runde. Ja, wie er es sich gedacht hatte. Sie waren auf ihn angewiesen. So wie immer. „Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee wäre“, sagte Kunikida ernst in die aufgekommene Stille hinein und verwunderte Naomi damit. „Es macht sicher Spaß. Und es soll auch das Zusammengehörigkeitsgefühl unter Kollegen stärken“, verteidigte Naomi ihren Vorschlag. „Außerdem wäre es eine schöne Ergänzung für unsere Jahresabschlussfeier. Ich will keine Wiederholung vom letzten Jahr, als Yosano versucht hat, jeden abzufüllen, Dazai aus dem Fenster gestürzt ist und du nach Yosanos Einwirken betrunken auf dem Tisch getan-“ „Jajajaja!“, unterbrach Kunikida sie mit hochrotem Kopf. „Schon verstanden. Du wünschst dir einen harmloseren Programmpunkt.“ Die Schülerin nickte energisch. „Das heißt aber nicht, dass wir einen von den anderen Programmpunkten streichen, oder?“, warf Dazai ein. „Wegen meines Sturzes habe ich nur die Hälfte deiner Performance mitgekriegt. Und Atsushi hat es nicht hinbekommen, sie aufzunehmen.“ „Weil ich versucht habe, dich festzuhalten!“, entgegnete der Junge empört. „Ausreden machen es auch nicht ungeschehen, dass ich diesen wunderschönen und wahrscheinlich wichtigsten Moment im Leben von Kunikida verpasst habe.“ „WIESO SOLL DAS DER WICHTIGSTE MOMENT IN MEINEM LEBEN GEWESEN SEIN?!“ Der Idealist schnaubte. Ja, sie brauchten dieses Wichteln damit die Dinge nicht erneut so aus dem Ruder liefen. Außerdem hatte Naomi vielleicht Recht. Vielleicht stärkte es das Gruppengefühl des Büros. Nur – Kunikida warf seinem schlitzohrig grinsenden Gegenüber einen weiteren missmutigen Blick zu – die arme Socke, die von Dazai gezogen würde, tat ihm jetzt schon leid. Bei seinem Glück traf es doch eh ihn. Er seufzte. „In Ordnung. Wenn alle dafür sind, dann spricht nichts dagegen, dieses Wichteln abzuhalten.“ Naomi lächelte erfreut und blickte fragend in die Runde. Kyoka und Yosano nickten bedächtig, Kenji nickte sogar regelrecht energisch, Tanizaki nickte schulterzuckend, Atsushi schluckte und zwang sich zu einem Lächeln, während Dazai schelmisch grinsend sein Einverständnis gab. „Meinetwegen“, kam es müde von Ranpo, „aber die präparierten Lose in deiner Schreibtischschublade schmeißt du weg.“ „Eh?“ Naomi zuckte ertappt zusammen. „Präparierte Lose? Ich weiß nicht, wovon du-“ „Als hätten wir dir geglaubt, dass du rein zufällig Tanizaki und er rein zufällig dich zieht“, fuhr Ranpo fort. „Auch wenn du uns natürlich eine scheinbar unmanipulierte Ziehung präsentiert hättest. Die Vorbereitung hat dich eine Menge Mühe gekostet und du hast dir selbstverständlich Hilfe vom Besten auf diesem Gebiet geholt.“ Seine Augen wanderten zu Dazai, der sich affektiert eine Hand auf die Brust hielt. „Der Beste? Oh, Ranpo, hör bitte auf, ich werde ganz verlegen.“ „Rein zufällig hättest du Atsushi und Atsushi dich gezogen“, schlussfolgerte der Meisterdetektiv weiter. „Maximaler Gewinn bei minimalem Einsatz.“ Der Erwähnte blinzelte seinen Mentor verdutzt an. „Ist das wahr, Dazai?“ „Sag nicht, du hättest dich nicht über einen Gutschein für eine Portion Chazuke gefreut.“ „Nur eine Portion?“ Kunikida schob seine Brille hoch. „Ich wette, du hattest sogar schon einen Plan in der Hinterhand, damit selbst diese eine Portion nicht von dir bezahlt werden sollte.“ In der Zwischenzeit hatte Yosano die manipulierten Lose aus Naomis Schublade zu Tage befördert, in einen Eimer geschmissen und ein brennendes Streichholz hinterher geworfen. „Na schön“, lenkte Naomi bei diesem Anblick ein. „Ich möchte das Wichteln aber trotzdem durchziehen. Ganz fair.“ „Dann müssen die Lose von jemandem gemacht werden, der nicht auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist ...“ Ranpo musterte den Haufen vor sich erneut und stöhnte - bis jemand das Büro betrat. „ … Haruno! Genau die Frau, auf die wir gewartet haben!“ Die Sekretärin erschrak, als sie bei Betreten des Raumes derart lautstark begrüßt wurde. „W-was?“ „Ja!“, rief Naomi jubilierend aus. „Ich wollte dich sowieso fragen, ob du bei unserem Wichteln mitmachen möchtest!“ „W-wichteln?“ Überfordert sah Haruno von einem Detektiv zum nächsten, als alle sie erwartungsvoll anblickten. „Oh, das klingt schön. Da würde ich sehr gerne mitmachen.“ Ein erfreutes Lächeln bildete sich auf ihrem Gesicht. „Aber sollten wir den Chef nicht auch dazu einladen?“ Kunikida stimmte ihr zu. „Es wäre unhöflich, ihn außen vor zu lassen.“ „Ich weiß nicht, wie es euch geht“, sagte Yosano, nachdem Haruno hinausgeeilt war, um dem Chef Bescheid zu sagen, „aber die Liste derer, die ich auf gar keinen Fall ziehen möchte, wird immer länger.“   „Jeder zieht reihum eines der Lose aus diesem Säckchen“, erklärte Kunikida, als sich die gesamte Stammbelegschaft des Büros der bewaffneten Detektive im Hauptraum versammelt hatte. Die kurze Zeit, in der Haruno unter Atsushis Aufsicht die Lose angefertigt hatte (während Dazai von Kyoka bewacht in der Besenkammer eingesperrt worden war und Kenji Naomi nicht aus den Augen gelassen hatte), hatte der Idealist genutzt, um ein komplexes Regelwerk aufzustellen. „Niemand darf einem weiteren Teilnehmer den Namen auf seinem Los verraten. Der Name auf dem Los ist derjenige, dem ihr in fünf Tagen auf der Jahresabschlussfeier der Detektei ein Geschenk überreichen werdet. Es können auch mehrere Geschenke sein, solange der absolute Warenwert nicht die Höhe von 2500 Yen überschreitet. Geldgeschenke sind untersagt. Des Weiteren-“ „Wow“, warf Dazai spöttisch ein, „du kannst selbst etwas eigentlich so Lustigem sämtlichen Spaß nehmen, Kunikida.“ „DES WEITEREN“, schrie er dem davon unbeeindruckten Brünetten direkt ins Gesicht, „dürft ihr die Lose nicht untereinander tauschen. Noch Fragen?“ „Wer auch immer mich zieht, soll mir bloß etwas Schönes schenken“, forderte Ranpo sogleich nörgelnd. „Also nichts, was in die Kategorien 'pädagogisch wertvoll', 'gesund' oder 'nützlich' fällt.“ Kunikida fasste sich seufzend an die Stirn. „Das war keine Frage, Ranpo. Und ich bitte euch, keine weiteren Forderungen zu stellen.“ Er nickte Haruno zu, die nach vorn trat und Fukuzawa als Erstem das Säckchen mit den Losen hinhielt. Alle sahen gespannt zu ihm, als er einen Zettel zog, auseinander faltete und … die gleiche Miene machte, die er immer machte. Stoisch ließ er das kleine Stück Papier in seinem Ärmel verschwinden. Nach und nach zog jeder der Detektive ein Los, las es und packte es weg (Kyoka vernichtete ihres sogar umgehend). Ein Blick auf die anderen genügte Ranpo abermals, um die gesamte Lage zu erfassen. Tanizaki sah plötzlich noch blasser aus als er es zuvor schon getan hatte, während Naomi die Schultern hängen ließ. In Kenjis Strahlen hatte sich ein wenig Nachdenklichkeit eingeschlichen und Yosano kratzte sich gedankenvoll am Kopf. Kunikida hatte für den Hauch einer Sekunde merkwürdig erleichtert gewirkt, ehe er wieder ernst geworden war. Kyoka war derweil noch viel ernster als sie es sonst war und war augenblicklich tief in Gedanken versunken. Selbst Dazai wirkte etwas verloren, seit er auf seinen Zettel geblickt hatte. Und Atsushi? Der schwitzte mit einem Mal Blut und Wasser. Als Letzte zog Haruno das übrig gebliebene Los aus dem Säckchen und erstarrte, nachdem sie den Namen darauf gelesen hatte. So so, sehr interessant, dachte Ranpo, während er die anderen beobachtete. Zum Glück hatte er im Vorfeld benannt, was er nicht haben wollte, sonst wäre die Sache in der Tat schiefgegangen. Doch selbst er konnte nicht genau sagen, welchen Lauf die Dinge ab nun nahmen. Er schaute noch einmal auf seinen Zettel. Hm. Da musste sogar er erst einmal drüber nachdenken. Kapitel 2: Holländische Häschen, vergorene Sojabohnen und eine unmoralische Anfrage ----------------------------------------------------------------------------------- Fukuzawa   Das pinke Neonlicht des Ladenschilds in der Einkaufspassage im Bahnhof strahlte grell dem davor stehenden Besucher entgegen, der schon eine ganze Weile vor dem Geschäft verharrte. Ein kleines Mädchen, das eben noch aufgeregt in den Laden stürmen wollte, hielt verschreckt inne, als sie den hochgewachsenen Mann im Kimono vor dem Spielzeuggeschäft stehen sah. Ihre Mutter – nicht minder verschreckt – nahm ihre Tochter an die Hand und machte einen großen Bogen um den ernst dreinblickenden Mann. Fukuzawa sah unschlüssig von dem kleinen Mädchen wieder hoch in das Innere des Ladens. Ob er hier richtig war? Als er den Namen auf seinem Los gesehen hatte, war ihm auf der Stelle dieses Geschäft eingefallen. Er war noch nie zuvor hier gewesen (warum auch?), aber sein aufmerksamer Blick hatte den Laden irgendwann einmal im Vorbeigehen bemerkt und abgespeichert. Vielleicht hätte er doch lieber nicht beim Wichteln mitmachen sollen. Doch Haruno hatte ihn so voller Begeisterung gefragt und im Grunde fand er Naomis Idee recht amüsant. Allerdings trieb ihn ein wenig die Sorge um, beim Finden eines geeigneten Geschenks zu versagen. Kunikida, Haruno, Yosano oder Ranpo (besonders Ranpo) wären einfach gewesen. Doch der Name, der auf seinem Zettel stand, war eine ganz andere Hausnummer. Ausgerechnet dieser Name? Da konnte er eine Menge falsch machen. Aber er wollte sich nicht beschweren; was wäre das Leben ohne jegliche Herausforderung? Hoffentlich, dachte Fukuzawa, als er das Geschäft betrat, hoffentlich würde er sie nicht enttäuschen. Das Pink der Neonreklame am Eingang setzte sich im gesamten Inneren des Ladens fort. Pinke Wände, pinke Lampen, ein pinker Verkaufstresen; Himmel, sogar der Fußboden war pink gemustert. Der Chef kniff bei diesem knalligen Anblick die Augen zusammen und machte unabsichtlich ein noch finstereres Gesicht als sonst. Niemand erahnte auch nur, welche Überwindung es ihn kostete, dieses Geschäft zu betreten. Es war ihm nicht peinlich, nein, es war einfach nur dermaßen ungewohnt, dass er sich ein wenig überfordert fühlte. Und alles war so pink. Seltsam verunsichert hob er eine der Waren aus einem der Regale an, um sie sich näher anzusehen. Das weiße Hasenplüschtier trug ein – wie konnte es auch anders sein - pinkes Kleid. Ein wenig ratlos musterte Fukuzawa das Spielzeug. Auf welche Aspekte achtete man bei so etwas? Es sah recht hübsch aus (für ein Häschen), es war weich … aber würde es Kyoka gefallen? Zudem waren nur die mittelgroßen Stofftiere im vereinbarten Budget und die machten weniger her als ihre größeren Verwandten. Hörbar ausatmend stellte der Chef das Kuscheltier in das Regal zurück und griff nach einem danebenstehenden Bentobox-Set. Darauf machte das Häschen ein Picknick unter Kirschblüten. Ästhetisch, praktisch und preislich schien es in Ordnung zu sein, aber … machte Kyoka sich überhaupt Bentos? Er konnte sich nicht daran erinnern, dies je gesehen zu haben und er konnte auch niemanden fragen; das würde schließlich gegen die Regeln verstoßen. Erneut seufzend stellte Fukuzawa auch die Bentoboxen zurück. An der Wand erblickte er mehrere Taschen mit diesem Häschen darauf. Eine Tasche konnte man immer brauchen, oder? Bedächtig ging er die Taschen durch und sah sich eine pinke (er rollte innerlich mit den Augen) Umhängetasche an, auf der das Häschen in einem Auto fuhr. Kyoka hatte eine Tasche, vielleicht brauchte sie gar keine weitere. Es half nichts. So sehr der Chef es auch versuchte, er hatte keine Ahnung, was seiner jungen Mitarbeiterin gefallen würde – und es war unwahrscheinlich, dass er es auf diese Weise herausfinden würde. Möglicherweise war bereits sein Häschenansatz ganz falsch. Aus dem Augenwinkel bekam er mit, wie die Verkäuferinnen hinter dem Tresen aufgeregt tuschelten und in seine Richtung schauten. „Entschuldigung“, wandte er sich an sie und ließ sie zusammenschrecken, „könnten Sie mir bitte helfen?“   Naomi   Naomi hatte versucht, kein allzu langes Gesicht zu ziehen, als sie den Namen auf ihrem Los gelesen hatte. Warum er? Warum ausgerechnet er? Wenn sie schon nicht ihren geliebten Bruder ziehen durfte, wieso konnte es dann niemand von denen sein, für die sie auf die Suche nach etwas Interessantem, Spaßigem oder Hübschem hätte gehen können? Oh, tausend schöne Geschäfte fielen ihr ein, die sie nach schönem Krimskrams hätte durchsuchen können. Aber in keinem einzigen von diesen Läden würde sie etwas für ihn finden – weil er der wahrscheinlich einzige Mensch auf Erden war, der nichts mit schönem Krimskrams anfangen konnte. Warum hatte sie ausgerechnet Kunikida ziehen müssen? Sie mochte ihren Kollegen, sehr sogar; wie konnte man Kunikida nicht mögen? Aber wenn der Mann eine Farbe wäre, wäre er Beige. Wenn er eine Pflanze wäre, wäre er eine Kartoffel (und sie meinte nicht die hübschen Blüten, sondern die lahme, langweilige Knolle). Wie sollte sie für so jemanden ein Geschenk finden? Hatte Kunikida Hobbys? Weder er noch einer der anderen hatte je auch nur ansatzweise etwas in dieser Richtung angedeutet. Wenn Naomi an Kunikida dachte, dann sah sie ihn stets nur am Schreibtisch sitzen und wie ein Wahnsinniger seine Arbeit erledigen. Sie seufzte tief und lang. Vielleicht stand in seinem Notizbuch ein Hinweis! Aber wie sollte sie daran kommen? Für Tanizaki wäre es kein Problem das Buch mal eben zu stehlen, aber sie durfte ihn ja nicht um Hilfe bitten. Außerdem … - Naomi verwarf den Gedanken schnell wieder – selbst wenn sie das Notizbuch in die Hände bekommen würde … sie müsste es dann auch lesen. All die vielen, vielen, vielen Wörter, die Kunikida Tag für Tag für Tag für Tag dort hinein kritzelte. Was sollte sie sonst machen? Dazai dazu bringen, sich für wenigstens einen Tag zu benehmen? DAS würde Kunikida mit Sicherheit freuen, aber das zu schaffen, war noch unmöglicher als ihre Idee mit dem Notizbuch. Und mit 2500 Yen ließ Dazai sich bestimmt nicht bestechen. Sie stöhnte laut und übellaunig, während sie entnervt mit ihren Fingern auf den kleinen Esstisch in ihrer Wohnung trommelte. „Ist alles in Ordnung?“, fragte Tanizaki vorsichtig nach. Er konnte sich nicht erinnern, seine Schwester schon einmal so miesepetrig gesehen zu haben. „Vielleicht war das Wichteln doch keine so gute Idee.“ Sie zog einen Schmollmund. „Findest du?“ Erstaunt blinzelte Tanizaki sie an. „Du willst doch nicht etwa aufgeben? Wenn jemandem ein gutes Geschenk einfällt, dann ohne Frage dir.“ Naomi gab als Antwort nur ein unzufriedenes Brummeln von sich, was den Rothaarigen verlegen lachen ließ. „Nur die Ruhe, dir fällt schon noch etwas ein.“ Nur die Ruhe, grummelte die Schülerin in Gedanken, nur die Ruhe! Der hat gut reden! Sie seufzte abermals. Vielleicht sollte sie zur Sicherheit doch einmal Dazai fragen, wie tief seine Bestechungsgrenze lag. Mehr als ein Tag Ruhe für den armen, gestressten Kunikida fiel ihr einfach nicht ein … Naomi richtete sich plötzlich auf und starrte mit großen Augen vor sich hin. Das war es!!   Tanizaki   Tanizaki ging von seiner hart nachdenkenden Schwester im Wohnbereich zurück in die Küche. Was machte sich Naomi solche Sorgen? Sie hatte schließlich nicht den Namen gezogen, den er gezogen hatte und der ihn seitdem bis in seine Albträume verfolgte. Wobei - Die Person, die zu diesem Namen gehörte, verfolgte ihn sowieso schon nicht allzu selten bis in seine Albträume. Wie grausam das Schicksal war, ihm ausgerechnet dieses Los zuzuteilen! Er sollte ihr eine Freude machen? Tanizaki griff nach einem großen Küchenmesser, um das Gemüse für das Abendessen klein zu schneiden. Wenn er ihren Geschmack nicht traf, was würde ihm dann blühen? Er hackte den Kohlkopf vor sich in zwei. Vermutlich genau das! Yosano würde ihn mindestens zweiteilen. Oh, ihr würden noch viel grausamere Dinge einfallen. Moment, war das eine Geschenkidee? Ein Gutschein für einmal an ihm austoben? Der Rothaarige schüttelte sich und verwarf den Gedanken schnell wieder. Verlor er jetzt schon den Verstand? Hatte er gerade ernsthaft überlegt, sich Yosano auszuliefern? Wobei - Wenn er ihr etwas kaufte, was nicht gut bei der anspruchsvollen Dame ankam, dann würde ihm wahrscheinlich eh ein blutiges Schicksal blühen und er war sich hundertprozentig sicher, dass es Yosano Freude bringen würde, ihn auseinanderzunehmen und wieder zusammenzufügen. Tanizakis Beine begannen bei diesem Gedanken zu wackeln und er schluckte. Er war doch kein Masochist! Nein, ihm musste etwas anderes einfallen. Er atmete tief durch. Vielleicht ging er die ganze Sache viel zu verbissen an. Auf jeden Fall viel zu verängstigt. Seine Kollegin war ja schließlich kein blutrünstiges Monster. Yosano hatte viele Facetten. Während er den Kohl zerhackte, ging er im Kopf alles durch, was ihm zu ihr einfiel. Sie war Ärztin, aber er hatte keine Ahnung von medizinischen Dingen. Für das Geld, was sie festgelegt hatten, würde er sicherlich auch keine medizinischen Geräte oder Werkzeuge bekommen. Und außerdem hatte das ja mit ihrem Beruf zu tun, sollte er ihr nicht lieber etwas schenken, was nicht mit ihrer Arbeit in Verbindung stand? Sie trank gerne Alkohol, doch auch davon verstand Tanizaki nicht viel. Woher sollte man da im Vorfeld wissen, ob etwas gut war oder nicht? Wie wählte man etwas aus? Danach, ob einem das Etikett gefiel? Bestimmt nicht. Er hatte das Gefühl, dass er einen offensichtlich Aspekt von Yosano übersah. „So wird das nichts“, murmelte er zu sich selbst, „ich gehe das viel zu verkopft a-au!“ Durch seine Gedankenversunkenheit hatte er sich in den Finger geschnitten. „Was ist passiert?“ Aufgeschreckt stürzte Naomi in die kleine Küche. „Oh, Brüderchen, was hast du gemacht? Dein schöner Finger!“ Sie riss ein sauberes Stück Küchenpapier ab und drückte es dem Älteren auf die Wunde. Zum Glück hatte er nicht tief geschnitten. Naomi holte das Verbandskästchen aus einer Schublade und klebte ihrem Bruder ein Pflaster mit Schmetterlingsmotiv um den verletzten Finger. Verdutzt blinzelte Tanizaki das Pflaster an. „Wo hast du die denn her?“ „Schön, nicht wahr? Ich dachte mir, etwas Praktisches kann auch hübsch sein.“ „Ja, da hast du Recht. Und sie sind wahrlich hübsch.“ Tanizaki sah die Schmetterlinge auf dem Pflaster intensiv an. „Sie sind wahrlich hübsch … ah!“ „Was? Was ist? Hast du dich noch irgendwo geschnitten?“ „Nein.“ Der Rothaarige lächelte mit einem Mal. „Du bist so klug, Naomi!“ Die junge Frau blinzelte ihn überrascht an.   Atsushi   Atsushi Nakajima spürte den kalten Schweiß seinen Rücken hinablaufen, nachdem er sein Los auseinander gefaltet hatte. Für einen kurzen Moment schien ihm sogar schwarz vor Augen zu werden. Das konnte doch nicht … hatte er sich vielleicht verlesen? Er las den Namen noch einmal. Und noch einmal. Und noch einmal. Kein Zweifel. Wieso bekam ausgerechnet er so eine schwierige Aufgabe?? Gab es irgendeine Möglichkeit, die Ziehung für ungültig erklären zu lassen und noch einmal zu ziehen? „Geht es dir nicht gut?“, fragte Kyoka neben ihm besorgt. „D-doch, a-alles in Ordnung“, stammelte er. „Du bist ein bisschen blass.“ „N-nein, d-das ist nur … das Licht! Ja, genau! Das Licht.“ Und der Umstand, dass ich den Chef gezogen habe. Atsushi brach über seinen eigenen Gedankengang erneut in Schweiß aus. Ganz ruhig, sagte er innerlich zu sich selbst, das kriegst du hin. Ja, es hätte schlimmer kommen können. Natürlich, der Chef ist einschüchternd und wenn ich ihm etwas Dummes schenken würde, könnte das total respektlos daherkommen und ich würde vor Scham im Boden versinken und ihm bis in alle Ewigkeit nie wieder in die Augen sehen können, aber ich bleibe ganz ruhig … aaaaaaahhhhhh!! „Wenn du meinst“, sagte Kyoka, ohne ihrem Kameraden zu glauben und ohne seine in Panik geweiteten Augen übersehen zu können. Den Rest vom Tag versuchte Atsushi, sich nichts anmerken zu lassen. Doch sein Kopf schwirrte ohne Unterlass. Er kannte den Chef doch kaum, wie sollte er da diese Aufgabe erfüllen? Es wäre zu auffällig, ausgerechnet jetzt die anderen Kollegen nach seinen Interessen zu fragen. Grübelnd verließ er am Abend das Büro und begab sich alleine auf den Heimweg, da Kyoka ernst verkündet hatte, noch etwas erledigen zu müssen. Ob sie schon eine Idee hatte? Wen sie wohl gezogen hatte? Es war zwar eigentlich gegen die Regeln, aber Atsushi überlegte, ihr seine Hilfe anzubieten, wenn sie nicht weiterwusste. Moment. Was mache ich denn da? Der Junge schüttelte den Kopf, als er weiter die Treppenstufen hinab trottete. ICH bin derjenige, der keine Idee hat! Ich sollte mich um mein eigenes Geschenk kümmer-aaahh! Er zuckte zusammen, als er fast in jemanden rannte, der am Fuß der Treppe stand. Jemand, der tief seufzte. „Mensch, Atsushi, das ist doch gar nicht so schwer.“ Ranpo zog einen Schmollmund. „Ich würde liebend gerne mit dir tauschen, aber da ich es war, der Naomi und Dazai vom Schummeln abgehalten hat, könnte das zu Beschwerden führen – und ich will auf gar keinen Fall vom Wichteln ausgeschlossen werden.“ Der Jüngere blinzelte den Meisterdetektiv fragend an. „Wie meinst du das, Ranpo?“ Ein erneutes Seufzen hallte durch das Foyer. „Wie glaubst du wohl, wie ich das meine?“ „Ah!“ Atsushi kam ein Geistesblitz. „Sag nicht, du weißt, wen ich gezoge-“ „NATÜRLICH WEISS ICH DAS!“ Ranpo schüttelte missmutig den Kopf, was Atsushi verdattert und entschuldigend mit den Händen wedeln ließ. „Natürlich weißt du das.“ „Junge, hat der Junge eine lange Leitung. Wie dem auch sei.“ Plötzlich sah der Schwarzhaarige ihm ungewohnt ernst in die Augen. „Vermassel das nicht. Er soll etwas Schönes bekommen, ja?“ Die Verwirrung des jungen Detektivs nahm sichtlich zu - und paarte sich mit einem Gefühl der Rührung. Ranpo konnte so nett sein … wenn er wollte. „Kannst du mir vielleicht einen Hinwei-“ „Neeeein!“ Der Ältere rollte mit den Augen. „Ich will NICHT ausgeschlossen werden. Und ich traue es dir nicht zu, dass du diesen Regelbruch geheim halten kannst. Dazai müsste dir nur einmal in die Augen sehen, um alles herauszufinden.“ Er machte kehrt und schritt Richtung Ausgang; wo er noch einmal stoppte. „Es ist eigentlich ganz einfach“, ergänzte Ranpo plötzlich. „Es hat zwar ein bisschen was von der Nadel im Heuhaufen, aber wenn du etwas Passendes für ihn siehst, wirst du sofort wissen, dass es das Richtige ist.“ Sichtlich berührt blickte Atsushi zu dem Kollegen. „Danke, Ranpo. Das ist sehr nett von di-“ „UND JETZT BRING MICH NACH HAUSE! ES IST SPÄT!“   Bei der nächsten Gelegenheit machte Atsushi sich in eine der Einkaufspassagen in der Umgebung der Detektei auf. Ranpos Worte hatten ihn ermutigt und inspiriert. Statt sich seinen Grübeleien hinzugeben, die eh zu nichts führten, hatte er nun beschlossen, raus in die Welt zu gehen und sich so viele Dinge wie möglich anzusehen. Irgendwo würde es sein, das Geschenk, bei dem er sofort an Fukuzawa denken würde. Es gab so viele schöne Dinge zu entdecken und es war ein herrlicher Tag, sicher würde ihm da etwas Gutes widerfahre- Rumms! Wieder in eintausend Gedanken versunken, war Atsushi in einen dunkel gekleideten Mann gedonnert, der um die Ecke gebogen kam. „Oh, Entschuldigung! Tut mir leid, ist Ihnen etwas … oh nein.“ „Kannst du nicht aufpassen, Menschentiger?! Was rennst du hier durch die Gegend, ohne zu gucken, wohin du läufst?!“ Akutagawas Zorn ließ den Schnee um ihn herum schmelzen. „Was heißt denn hier ich?? Du bist genauso in mich hineingelaufen!“ „Ich habe Besseres zu tun, als darauf zu achten, in was für Ungeziefer ich auf der Straße trete.“ „Das ist doch nur eine schlechte Ausrede dafür, dass du auch nicht darauf geachtet hast, wohin du ...“ Atsushi stockte in seinem verärgerten Konter. Nein, er würde sich nicht von Akutagawa den Tag verderben lassen. Er war auf einer Mission. Das durfte er nicht vergessen. „Ich habe tatsächlich etwas Besseres zu tun und daher heute keine Zeit für dich.“ Sich unglaublich erwachsen vorkommend, wollte der Detektiv gehobenen Hauptes an dem Mafioso vorbeischreiten. Was dieser damit beantwortete, dass er ihm mit Rashomon ein Bein stellte. „Autsch!“ Atsushi fiel in einen kleinen aufgehäuften Schneehügel und sprang sogleich wieder auf. „Musste das sein?!“ Akutagawa lachte finster und überheblich. „Da hast du es, Menschentiger. Wenn du nicht aufpassen kannst, wo du hintrittst, solltest du lieber am Boden kriechen.“ „GRRR. Na warte, dafür wirst du-“ „Entschuldigung, der Herr!“ Eine ältere Dame kam freundlich auf Akutagawa zu. „Sie haben Ihr Portmonee im Laden liegen lassen. Und mir ist noch eingefallen, dass Sie Ihrem Freund, dem Sie die Wollmütze schenken wollen, noch sagen sollten, dass er sie auf jeden Fall gründlich trocknen muss, wenn sie nass wird. Die empfindliche Wolle mag es gar nicht, klatschnass zu sein.“ „Vielen Dank.“ Deutlich verlegen nahm Akutagawa seine Brieftasche entgegen und begann, auffallend zügig an Atsushi vorbeizuschreiten. „So so“, neckte der hellhaarige Junge, „du besorgst auch gerade Geschenke? Das ist ja fast menschlich von dir, Akutagawa.“ „Kein Wort, Menschentiger. Hast du nicht gesagt, du hättest etwas zu tun? Sei einmal keine Enttäuschung und du, was du tun sollst.“ Mit dieser letzten Beleidigung machte der Mafioso sich aus dem Staub. Der kurze Zwischenfall war die Motivation, die Atsushi benötigt hatte. „Wenn sogar Akutagawa Geschenke für andere kaufen kann, dann kann ich das erst recht!“   Kenji   „Nichts Gesundes? Was für eine seltsame Forderung.“ Die Besitzerin des kleinen Ladens legte ihre Stirn in Falten. „Dann bist du hier leider ganz falsch. Natto ist schließlich sehr gesund. Aber ich hoffe, du kaufst deinem Freund nicht irgendeinen Zuckerkram, das ist gar nicht gut für euch Kinder.“ „Hmm ...“ Kenji blickte ebenso nachdenklich drein. „Das Problem mit ihm ist, dass er am allerliebsten Süßigkeiten isst. Was mache ich denn da?“ „Was mag dein Freund denn sonst noch so?“ „Oh! Diese kleinen, Musik machenden Bildschirme, bei denen man Tasten drücken muss … Videospiele! Aber ich glaube mal gehört zu haben, dass die sehr teuer sind.“ Die Frau winkte ab. „Nein, nein. Was habt ihr Kinder immer nur mit diesen Videospielen? Mag er keine Sportart?“ „Kann ich mir nicht vorstellen … meistens muss ich ihn tragen, wenn wir länger zu Fuß unterwegs sind.“ Bei dieser Äußerung schaute die Ladeninhaberin Kenji entgeistert an. „Das klingt nach einem … interessanten Jungen. Mag er vielleicht was Schönes für die Schule?“ Kenji schüttelte den Kopf. „Er geht nicht mehr zur Schule.“ „Wie? Ist er älter als du?“ Arglos nickte der blonde Junge. „Und wie viel älter?“ Die Frau machte sich spürbar Sorgen darum, mit was für Leuten sich dieser nette junge Mann vom Land wohl herumtrieb. „Ranpo ist 26.“ „26????!!!“ Ihr Schrei war noch ein paar Straßen weiter zu hören. Nicht verstehend, warum die Dame ihm dazu riet, sich Freunde in seinem Alter zu suchen, bedankte sich Kenji anständig bei ihr für die vielen Ratschläge und trottete zurück zur Detektei. Das war viel schwieriger als er zunächst gedacht hatte. Die meiste Ahnung hatte Kenji von Obst, Gemüse und Kühen – und nichts davon gehörte zu Ranpos Interessen. Die beiden Ersteren waren von ihm ja sogar verboten worden und für 2500 Yen bekam er keine Kuh … was vermutlich nicht schlimm war, denn irgendetwas sagte ihm, dass Ranpo wahrscheinlich auch keine wollte. Ranpo war nicht einmal ein sonderlich großer Enthusiast, was Rindfleisch anging. Es stimmte schon. Wenn er an den Meisterdetektiv dachte, dachte er an Süßigkeiten. Aber war das nicht zu einfallslos? Er wollte ihm etwas Besonderes schenken; etwas das zum Ausdruck brachte, wie gern Kenji ihn hatte. Und er hatte ihn furchtbar gern! Aber ihm fiel nichts ein, was besonders war, nichts, was Ranpo wirklich Freude machen würde. „Das ist aber selten, dass du die Schultern so hängen lässt.“ Kenji blickte auf und sah Lucy vor sich stehen, die gerade den Schnee vor dem Eingang des Cafés wegfegte. „Sag nicht, dir gefällt das Wetter auch nicht“, fuhr sie fort. „Das bisschen Schnee, was hier fällt, pah! Da lache ich ja drüber. Und wir haben Plusgrade! Plusgrade! Bei dir zuhause sind die Winter doch auch sicher kälter, oder?“ Kenji strahlte, als er auf sein Dorf angesprochen wurde und nickte energisch. „Sehr viel kälter! Und es gibt eine Menge Schnee! Ganz, ganz viel Schnee!“ Die Begeisterung des Jungen ließ sogar Lucy ein wenig schmunzeln. „Warum machst du dann so ein langes Gesicht?“ „Ich soll für jemanden ein Geschenk besorgen, aber mir will nichts Passendes für ihn einfallen.“ „Ach, eure Wichtelaktion, bei der ich niemals mitmachen wollen würde?“ Die eingeschnappte Art, wie Lucy dies sagte, verriet, dass sie hatte mitmachen wollen. „Ihr seid alle so schlau und begabt, aber deswegen schiebt ihr alle Panik?“ „Keine Panik, nur ...“ Kenji legte schwer grüblerisch den Kopf schief. „Unsere Interessen unterscheiden sich einfach so doll, dass ich mir nicht sicher bin, was ihm gefallen würde.“ „Hmm ...“ Lucy kratzte sich mit einer Hand am Kopf. „Komm erst einmal rein. Du könntest mir bei einer Sache helfen. Vielleicht heitert dich das auf.“ „Ja, ganz bestimmt!“ Seine Euphorie kehrte zurück. „Wie kann ich dir helfen? Soll ich irgendetwas Schweres tragen?“ „Nein. Ich habe ein Kuchenrezept mit einer Zutat aus meiner Heimat ausprobiert und brauche jemanden, der das Ergebnis testet.“ Kenji salutierte salopp vor ihr. „Ich melde mich zum Dienst!“   Yosano   „Tanizaki, kommst du mal kurz mit?“ Yosano kam ins Büro und winkte den Rothaarigen herbei. „Was gibt es denn?“ Der Angesprochene blickte sie von seinem Platz fragend an. „Komm mal kurz mit ins Arztzimmer.“ „Ins Arztzimmer?? W-warum??“ Die Ärztin stutzte bei seinem Anblick. Von jetzt auf gleich war Tanizaki kreidebleich geworden und hatte angefangen zu schwitzen. Seine Augen waren so weit aufgerissen, dass sie sie an ein Reh im Scheinwerferlicht eines Autos erinnerten. Du meine Güte, ging es ihr durch den Kopf, soo schlimm waren meine Behandlungen doch nicht … oder? „Ich brauche nur kurz deine Hilfe bei etwas.“ „M-meine H-hilfe? I-im A-Arztzimmer?“ Yosano stöhnte. Nächstes Mal wurde sie ihn verbluten lassen, wenn er sich danach so anstellte. … Nein, würde sie natürlich nicht. „Ich schwöre, dir wird nichts geschehen. Aber es ist sehr wichtig, dass du mir dabei hilfst. Anders ausgedrückt ...“ Sie grinste plötzlich ein wenig diabolisch, ehe ihre Mimik und ihr Ton merklich lasziv wurden. „ … ich brauche dich, Tanizaki. Ich brauche dich ganz dringend.“ Die Detektivin musste ein Lachen unterdrücken, als binnen einer Sekunde die Leichenblässe einem dunklen, dunklen Pink wich. Atmete der Rothaarige überhaupt noch? Es sah nicht danach aus. „Tanizaki“, schaltete sich Kunikida dezent genervt in das Gespräch ein, „jetzt geh endlich mit ihr mit. Yosano, ich verlasse mich darauf, dass Tanizaki unbeschadet wieder zurückkommt.“ „Ja ja“, lachte die Ärztin, als sie mit dem Objekt ihrer vorgespielten Begierde im Schlepptau das Büro verließ. „Dieser Glückspilz“, hörte sie Dazai noch amüsiert sagen. Ihr Glück war es, dass Naomi gerade außer Haus war, sonst hätte sie diesen Witz nicht bringen können. Der arme Tanizaki stand nun – mit halbwegs normalem Teint, aber nach wie vor sichtlich nervös – im Arztzimmer. „Siehst du? Es ist alles ganz harmlos.“ Yosano setzte sich auf ihren Stuhl und öffnete eine Schublade in ihrem Schreibtisch. „Und jetzt zieh dich aus.“ „ … WAS??“ Vollkommen verdattert riss Tanizaki die Augen noch weiter als vorhin auf. „Zieh dich aus.“ Sie kramte in der Schublade und förderte eine Fotokamera zu Tage. „Runter mit den Klamotten.“ „Ich … was? Ich verstehe nicht ...“ Oje, der sieht ja aus, als würde er gleich ohnmächtig. „Es geht um das Geschenk, das ich für jemanden besorgen muss“, erklärte Yosano. „Es ist ziemlich einfach dieser Person eine Freude zu machen. Ich brauche dafür nur deine Mitarbeit.“ Tanizaki blinzelte sie überfordert an, bis ihn die Klarheit überkam. „ … ah! Du hast also Naomi gezogen?“ „Dazu darf ich mich nicht äußern. Du erinnerst dich an Kunikidas Regelwerk?“ Sie richtete die Kameralinse auf ihn. „Ich verspreche dir, das werden geschmackvolle, höchst ästhetische Bilder.“ „Hast du nicht gerade noch gesagt, ich soll mich ausziehen?“ „Geschmackvolle, höchst ästhetische Aktbilder.“ Zu ihrem großen Unmut bewegte der Jüngere keinen einzigen Muskel – von einem schwachen, entschuldigenden Kopfschütteln abgesehen. „I-ich glaube, ich würde mich dabei nicht wohlfühlen.“ „Nacktheit ist nichts, für das man sich schämen muss.“ Ein tiefer, langer Seufzer entwich dem jungen Mann. Yosano konnte sehen, wie er mit sich selbst kämpfte. Eigentlich war es bei den meisten Dingen leicht, Tanizaki zum Mitmachen zu überreden. Wenn sie ihn nur noch ein bisschen bearbeitete, würde er sicher … oh. Ihr Gewissen meldete sich plötzlich lautstark. Die erste und bisher einzige Idee, die ihr gekommen war, seit sie Naomis Namen auf ihrem Los gesehen hatte, waren Aufnahmen von Tanizaki gewesen. Naomis Welt rotierte um den schüchternen Rothaarigen, so wie seine Welt Naomi als ihren Mittelpunkt auserkoren hatte. Wer auch immer Tanizaki hatte, würde bestimmt an ein Geschenk denken, das mit Naomi zu tun hatte. Ganz bestimmt. Oder? Oder war sie doch sehr viel einfallsloser als sie zugeben wollte? War es vielleicht falsch, ihn, den scheuen, schnell peinlich berührten jungen Mann, dazu zu überreden, sich vor einer Kamera auszuziehen? Yosano besah sich den ängstlich dreinblickenden Kollegen vor sich. Jetzt schlotterte er schon vor Angst. Nein, sie konnte ihn nicht dazu zwingen. Der arme Kerl würde sicherlich ohnmächtig werden. Und es war unter Umständen moralisch wohl nicht so ganz einwandfrei. Wenn der Chef dies erfuhr, wäre er gewiss enttäuscht von ihr. Innerlich seufzend, senkte sie die Kamera herab. Ein einfaches Bild von einem bekleideten Tanizaki wäre wirklich zu unkreativ. „Schon gut, Tanizaki“, sagte sie ihm schließlich und bekam von ihrem Gewissen den nächsten Schlag verpasst, als der Rothaarige erleichtert aufatmete. „Ich überlege mir etwas anderes.“ „Naomi hat mir letztens einen guten Ratschlag gegeben“, äußerte er beim Anblick der resignierten Ärztin. „Etwas Praktisches kann auch hübsch sein. Vielleicht hilft dir das weiter. Oh, es schneit schon wieder.“ Er zeigte auf das Fenster. Nun war es Yosano, die mit großen Augen zu ihm blickte. Sie lächelte, als er den Raum verließ. Wer auch immer Tanizaki gezogen hatte, sollte ihm besser etwas Gutes schenken. Er hatte es nämlich mehr als verdient.   Ranpo   Lustlos legte Ranpo seinen Kopf auf seinem Schreibtisch ab und beobachtete mit halb geöffneten Augen die anderen. Aha. Diese Kollegen hatten schon ein Geschenk und diese noch nicht. Die Jahresabschlussfeier war übermorgen und zu seinem eigenen Missmut gehörte er zur letzteren Gruppe. Es machte viel mehr Spaß, sich Geschenke für sich selbst auszudenken als für andere. Wenn man ihn fragen würde, was er haben wollte, hah! Da könnte er ausgiebig Auskunft geben. Er erinnerte sich noch sehr lebhaft daran, wie er vor vielen, vielen Jahren Fukuzawa davon erzählt hatte, dass in anderen Ländern Kinder vor Weihnachten einen Wunschzettel an märchenhafte Gestalten wie den Weihnachtsmann oder das Christkind verfassten und sie dann diese Geschenke zu Weihnachten von diesen Fantasiegestalten bekamen (natürlich hatte Ranpo in einem Atemzug die Augen über die Kinder gerollt, die das glaubten. Es musste ihnen doch klar sein, dass die Eltern hinter den Geschenken steckten). Das klang aber doch nach einem ganz interessanten Konzept, hatte er dem Chef damals gesagt. „Abgelehnt“, hatte der Chef damals dazu gesagt. Dann wiederum sah Ranpo allerdings die traurige Gestalt, die er beim Loseziehen erwischt hatte und fragte sich, ob es nicht immens wichtig wäre, diesem Kollegen mit seinem überwältigenden, unglaublich kreativen Geschenk nicht nur eine kleine Freude zu machen, sondern ihm auch zu helfen. Das Problem mit dem überwältigenden, unglaublich kreativen Geschenk war jedoch, dass es noch keinerlei Kontur angenommen hatte. Bisher wusste Ranpo nur, dass es, was auch immer es werden würde, überwältigend und unglaublich kreativ sein würde. Schließlich kam es von ihm. Dem klügsten Menschen auf Erden. Dem gerade nicht so wirklich etwas einfallen wollte. Unauffällig besah Ranpo sich den Kameraden, den er gezogen hatte und der gerade mit Yosano sprach. Was sollte ihm denn zu ihm einfallen? Seine Augen wanderten zu dem leeren Platz gegenüber des besagten Kollegen. Zu offensichtlich. Zu langweilig. Yosanos Ansatz kam ein wenig verzweifelt daher. „Hmm“, machte Ranpo, als er der Ärztin und dem armen Tropf beim Verlassen des Zimmers hinterher sah. „Ist etwas, Ranpo?“ Kunikida wandte sich verwundert an den Schwarzhaarigen, als dieser plötzlich aufstand und sich seine Brille aufsetzte. „Stör mich jetzt nicht, Kunikida. Ich muss meine Gedanken ordnen.“ „Eh? O-okay?“ Verdutzt beobachtete der Idealist, wie er das Büro verließ. Im Flur traf der Meisterdetektiv auf einen sichtlich mit sich hadernden Tanizaki. „Unentschlossen, ob du wieder zu ihr rein gehen sollst?“, fragte Ranpo umgehend und ließ damit den Rothaarigen perplex stutzen. „Äh … woher weißt du …?“ Ranpo rollte murrend mit den Augen. „Seid ihr alle so vergesslich geworden, dass ihr nicht mehr wisst, dass ich der größte Meisterdetektiv aller Zeiten bin?“ „Oh, ja, natürlich.“ Tanizaki lächelte entschuldigend. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich Yosano gerade im Stich gelassen habe. Aber andererseits kann ich auch unmöglich machen, was sie von mir verlangt hat.“ Er warf einen unschlüssigen Blick zurück auf die Tür des Arztzimmers. „Ohooo. Das ist interessant. Und sehr aufschlussreich, Tanizaki.“ „Huh, wie meinst du das?“ Ein breites Grinsen bildete sich auf dem Gesicht des Meisterdetektivs. „Ich meine, dass ich wie immer die Situation durchschaut habe. Und dass es überwältigend und unglaublich kreativ wird.“ Kapitel 3: Feiertagsparanoia, dunkle Geheimnisse und ein kluger Kater --------------------------------------------------------------------- Kyoka   „Tut mir leid, ich kann nicht mit dir mitkommen. Ich habe noch etwas zu tun.“ Mit ernster Miene erteilte Kyoka Atsushi eine Absage – wieder einmal. „Ist alles in Ordnung?“, fragte der silberhaarige Junge besorgt. „Du hast in letzter Zeit immer nach Feierabend noch etwas zu tun.“ „Es ist alles in Ordnung. Ich muss nur etwas recherchieren.“ „Recherchieren?“ Atsushi blinzelte sie fragend an, bevor ihm ein Licht aufging. „Ah! Hat das etwa mit dem Wichteln zu tun?“ Er erschrak fast, als Kyokas Miene noch ernster wurde. „Ich weiß nicht, ob ich befugt bin, darüber Auskunft zu geben.“ „Oh, okay ….“ Er kratzte sich überfordert am Hinterkopf. „Kyoka?“ „Ja?“ „Nimm diese Sache bitte nicht zu ernst. Sie soll eigentlich Spaß machen.“ Nun war es das Mädchen, das ihn verblüfft anblinzelte. „Spaß?“ Atsushi nickte energisch. „Ich bin anfangs auch zu verbissen an diese Aufgabe herangegangen, aber im Grunde geht es nur darum, jemandem eine Freude zu machen. Verstehst du das?“ Sie sah ihn nachdenklich an, bevor sie verhalten nickte. „Hast du denn schon ein Geschenk?“ Die gerade noch zur Schau gestellte Selbstsicherheit des jungen Mannes löste sich in Sekundenschnelle in Luft auf. „Frag bitte nicht.“ Er seufzte, richtete jedoch umgehend seine hängenden Schultern wieder auf. „Aber wenn Akutagawa ein Geschenk besorgen kann, dann können wir das erst recht!“ „Akutagawa?“ Kyoka musterte ihren Kameraden kritisch. Was in aller Welt redete Atsushi da? „N-nicht so wichtig!“ Atsushi war noch dabei, verlegen zu lachen, als Kyoka ihre Ohren spitzte und sich plötzlich hastig von ihm verabschiedete. „Ich muss los!“ Verdattert blieb er allein im Flur der Detektei zurück. Kyoka hastete in der Zwischenzeit die Treppen hinab. Die Geräusche aus dem Fahrstuhl erkannte sie mittlerweile ohne Probleme. Die ganze Woche hatte sie sich Harunos Art zu gehen eingeprägt, sodass sie sie an ihren Schritten erkennen konnte. Außerdem hatte Kyoka aufgepasst, zu welchen Zeiten die Sekretärin im Durchschnitt morgens in das Büro kam und wann sie es abends wieder verließ. Zudem hatte sie sich gedanklich Notizen gemacht, was die Frau verzehrte, was sie anhatte, wonach sie roch, welche Materialien sie benutzte. Doch bisher hatte all dies zu keiner Erkenntnis geführt. So weit war Kyokas einzige Idee eine Fusselrolle gewesen, denn tagein tagaus klebten Katzenhaare an Harunos Kleidung. Aber … das schien ihr kein gutes Geschenk zu sein. Kyoka hielt auf der vorletzten Treppe an, ging eilig in die Hocke und machte sich ganz klein. Mit Argusaugen blickte sie um die Ecke und behielt die aus dem Aufzug steigende Sekretärin fest im Blick. Ein Außenstehender (nein, jeder Außenstehende) hätte bei diesem Anblick Haruno wahrscheinlich warnen wollen, dass ein Attentäter sie ins Visier genommen zu haben schien. Und tatsächlich sah die brünette Frau sich etwas ängstlich um, als sie das Foyer betrat. Seltsam, dachte Kyoka, kann sie meine Präsenz wahrnehmen? Haruno war schwer einzuschätzen. Kyoka hatte sie bisher hauptsächlich für freundlich, fürsorglich und sorgfältig gehalten, doch in den letzten paar Tagen schien irgendetwas sie zu bedrücken. Sie seufzte auffallend oft und ihr Lächeln wirkte sehr bemüht. Vielleicht, so war dem Mädchen der Gedanke gekommen, war es nicht ausreichend, Haruno während der Arbeit zu beobachten. Vielleicht war die Frau eine ganz Andere, sobald sie das Büro verließ. Ein geheimes Doppelleben eventuell? Eine unglückliche Affäre? Diese Ideen waren schneller wieder verworfen gewesen, als eine Katze „Miau“ sagen konnte. Kyoka hatte bereits am Vorabend eine Observierung gestartet, aber dann abgebrochen, weil die Frau mit ihrem Feierabend nichts anderes anfing, als Katzenfutter zu kaufen und heim zu ihrem Kater zu tigern. Ihre Erfahrung als Assassine warnte Kyoka jedoch davor, zu voreilige Schlüsse zu ziehen. Und so preschte sie aus ihrem Versteck heraus, kurz nachdem Haruno das Gebäude verlassen hatte. Die Menschenmassen auf dem Nachhauseweg als Schild benutzend, schlich Kyoka hinter ihrem Zielobjekt her. Sie stieg in die gleiche Bahn wie Haruno, ohne dass diese dies bemerkte und stieg auch an ihrer Haltestelle aus, ohne von der Sekretärin gesehen zu werden. Heute ging Haruno auf direktem Weg nach Hause. Es war ein bisschen verwunderlich, dass sie sich dabei immer wieder nervös umschaute. So nervös war sie doch in der Detektei nie. Seltsam. Kyoka warf nur einen kurzen Blick auf das Apartmentgebäude, in dem die Frau lebte und rannte wie der Wind (und trotzdem lautlos) die Feuertreppe hinauf, bis zu dem Stockwerk, bei dem gerade in einer Wohnung das Licht eingeschaltet worden war. Das Mädchen schwang sich von der Treppe zu einem Fenstersims und schlich bis an das Fenster heran, sodass sie mithilfe eines kleinen Spiegels in die Wohnung hineinblicken konnte. Mit einem durch die Wände hörbaren Seufzer ließ die Sekretärin sich auf ihrer Couch nieder. „Was soll ich nur tun? Was soll ich nur tun?“, lamentierte sie herzzerreißend. „Übermorgen ist es schon so weit und ich habe noch nichts. Nichts!“ Oh, dämmerte es Kyoka. Nicht nur sie tat sich also schwer mit der Aufgabe, die vor ihr lag. Das war irgendwie … beruhigend. Vollkommen entmutigt schlug sich Haruno die Hände vors Gesicht. Weinte sie etwa? Kyoka biss sich auf ihre Unterlippe. Haruno brauchte etwas, das sie aufmunterte – und dann hatte ausgerechnet sie sie gezogen. Sie traute sich nicht zu, diese Aufgabe zu erfüllen. Das war eher etwas für sanftmütigere Menschen wie Atsushi oder Naomi. Resigniert wollte Kyoka den Spiegel wegziehen, als sie etwas darauf bemerkte und davon in den Bann gezogen wurde. Harunos Kater, Mii, tapste auf die Frau zu, sprang neben ihr aufs Sofa und stupste sie maunzend an. „Ooh, Mii, willst du Frauchen aufheitern?“ Mit einem Mal klang die Stimme der Sekretärin wieder fröhlicher. Sie kraulte ihren Kater und wie dieser zufrieden schnurrte, lachte auch sie. „Warte, ich habe gestern noch ein neues Spielzeug für dich gekauft. Willst du es sehen? Ich hole es gleich!“ Mit großen Augen beobachtete Kyoka, wie die eben noch niedergeschlagene Haruno aufgeregt und beschwingt ihrem Haustier ein Spielzeug hinhielt. Ein Lächeln bildete sich auf dem Gesicht des Mädchens, als sie die Feuertreppe nach unten trottete.   Kunikida   „18:30 bis 20 Uhr: ein Geschenk für Atsushi besorgen“ Kunikida schluckte, als er diesen Eintrag in seinem Notizbuch las. Das war ungewohnt. Normalerweise beunruhigte es ihn nie, in seinem Notizbuch zu lesen (außer es stand irgendetwas an, was mit Dazai zu tun hatte, aber das war eine ganz andere Geschichte). Wieso hatte er jetzt eine mittelschwere Panikattacke, wenn er diesen Eintrag las? Er hatte ihn selbst geschrieben, direkt nachdem er das Los gezogen hatte. Und zu diesem Zeitpunkt hatte ihn nichts daran beunruhigt – im Gegenteil. Eine klare Planung war der Schlüssel zum Erfolg. Die anderen machten sich offensichtlich die ganze Woche bereits einen Kopf über ihre Besorgungen, aber er hatte keine Zeit, sich tagelang deswegen verrückt zu machen. Der Slot heute musste ausreichen und bis eben hatte Kunikida keinen Zweifel daran gehabt, dass er dies auch tun würde. Nun allerdings war es 18:20 Uhr und er bekam so ein merkwürdig flaues Gefühl in der Magengegend. „Kunikida! Sag nicht, dir ist noch keine Idee gekommen?“ Dazais aus dem Nichts kommende, lautstarke Frage ließ den Idealisten zusammenschrecken. „Was? Wovon in aller Welt redest du denn da?“ „Ich rede davon, dass dein Gesicht so aussieht, als würdest du gleich implodieren und das ist kein besonders hübscher Anblick.“ „Hier implodiert niemand. Ich habe gar keine Zeit zum Implodieren.“ „Wir können immer noch tauschen.“ „Vergiss es.“ Kunikida warf seinem Gegenüber einen missmutigen Blick zu. Ob Dazai wusste, wen er gezogen hatte und deswegen immer wieder damit ankam? Nichts da! Er würde es ihm nicht so einfach machen. Atsushi hatte ein vernünftiges Geschenk verdient und keinen billigen Trostpreis von diesem trägen Tunichtgut. Kunikidas Magen meldete sich bei diesem Gedanken wieder. „Wie seltsam ...“, murmelte der Blondschopf und rieb sich leicht mit einer Hand über die unruhige Bauchmitte. Er hatte nichts Ungewohntes oder Falsches gegessen und krank fühlte er sich auch nicht. „Das ist interessant“, kommentierte Dazai mit mysteriösem Unterton. „Was?!“, keifte Kunikida zurück. Das süffisante Lächeln des Anderen gefiel ihm ganz und gar nicht. Machte der Kerl sich etwa lustig über ihn? „Was für einen Druck du dir wegen dieses Geschenks machst.“ „Ich mache mir überhaupt keinen Druck! So ein Unsinn, wieso sollte ich so etwas tun?“ „Weil du du bist“, antwortete Dazai erneut kryptisch. „Ich verstehe überhaupt nicht, was die ganze Aufregung soll.“ „Das wiederum wundert mich kein Stück.“ Kunikida schaltete seinen Computer aus und stand auf. „Warum lümmelst du eigentlich hier noch herum? Du arbeitest doch eh nicht.“ „Ich bin entrüstet über diesen Vorwurf.“ Dazai rollte mit theatralischer Mimik und Gestik von seinem Schreibtisch weg. „Vielleicht bleibe ich heute länger, um einem Kollegen in Not zu helfen? Hast du schon einmal daran gedacht?“ „Nein“, entgegnete Kunikida knapp und unbeeindruckt. „Und gib dir keine Mühe. Ich tausche nicht.“ „Oh, komm schon, komm schon. Niemand wird es je erfahren. Es wird unser kleines Geheimnis bleiben.“ Er zeigte in den leeren Büroraum. Die anderen waren bereits nach Hause gegangen. „Ich bin der perfekte Komplize für Verschwörungen, denn wenn ich irgendwann Erfolg habe, bist du der Einzige, der unser dunkles Geheimnis noch kennt.“ „BEIM WICHTELN SOLLTE ES KEINE DUNKLEN GEHEIMNISSE GEBEN!!“ Der Idealist schnaufte und stapfte aus dem Büro heraus. Dieser Dazai! Auf gar keinen Fall würde er dieses Mal auf dessen einlullende Worte hereinfallen! Dafür war die Angelegenheit zu wichtig! Kunikidas Magen meldete sich erneut. Was war das bloß? Immer wenn er daran dachte, für Atsushi ein Geschenk zu besorgen – urgh! Schon wieder. Mit schnellen Schritten eilte er aus der Detektei hinaus und in die nächste Einkaufsstraße hinein. In der kalten Abendluft schüttelte er seinen Kopf. Druck! Von wegen! Was für einen Druck sollte er sich denn bitte machen? Die Sache war ganz einfach: Nach einem Geschenk für Atsushi suchen, ein Geschenk kaufen, das Geschenk übergeben. Fertig. Kunikida musste zu seinem eigenen Verdruss zugeben, dass er darauf gehofft hatte, im Laufe der Woche ein oder zwei Ideen zu haben, sodass er nur noch in das entsprechende Geschäft hätte gehen müssen. Aber keine einzige war ihm gekommen – beziehungsweise, keine einzige Gute. Selbst jetzt, als er im Gehen sein Notizbuch nach allen Einträgen zu Atsushi durchging, hatte er keine Erleuchtung. Atsushi mochte Chazuke, aber gerade damit wollte er ihn ja nicht abspeisen. Der Junge las gerne, doch woher sollte Kunikida wissen, was ihn tatsächlich interessierte? Nach seinem eigenem Geschmack zu gehen, schien ihm nicht richtig. Er wollte ihm ja schließlich nichts aufdrängen. Ob der Bengel wusste, was für ein Glück er hatte, dass er und nicht Dazai ihn gezogen hatte? Dieser Wirrkopf würde sich gewiss nicht so viele Gedanken um ein passendes Geschenk machen. Kunikida vermutete sogar, dass Dazai ihn gezogen hatte, was sein Drängen auf einen Tausch erklären würde. Er konnte es sich lebhaft vorstellen, wie der Witzbold aus dem Lachen gar nicht mehr herauskäme, wenn Kunikida auf den Tausch eingegangen wäre und somit letztlich sich selbst gezogen hätte. Nein, so jemandem konnte er die wichtige Suche nach einem Geschenk für Atsushi nicht überlassen. Kunikida hielt mitten auf dem Gehweg plötzlich an. Wichtig. Immer wenn er an ein Geschenk für den Bengel dachte, kam ihm dieses Wort in den Sinn. Wieso war es ihm so wichtig, dass der Junge ein schönes Geschenk bekam? Dachte er weiter über Atsushi nach, fielen ihm allerlei wenig erbauliche Dinge ein: misshandeltes Waisenkind, unkontrollierte Fähigkeit, versehentlicher Mord, Zielobjekt diverser Organisationen, verzweifelter Kampf um Anerkennung und ein riesiger Berg von Einsamkeit und Unsicherheit. In diesen düsteren Gedanken versunken, rieb Kunikida sich wieder über den Bauch. Es war unmöglich, ein Geschenk zu finden, dass auch nur einen Bruchteil von dem ausglich, was der Bengel in seinen jungen Jahren bereits alles hatte durchmachen müssen. Das war der Druck, von dem Dazai gesprochen hatte. Kunikida selbst stellte an dieses Geschenk den Anspruch, ein positiver Meilenstein in Atsushis Leben zu werden. Es musste etwas sein, das Atsushi wenigstens einen Hauch von einem Glücksgefühl gab. Etwas, das ihm sagen sollte, dass nicht alles im Leben schlecht war. Der Slot würde nicht ausreichen, um so etwas zu finden. Eintausend Slots würden nicht ausreichen, um so etwas zu finden! Und das alles kam daher, weil der Bengel ihm … - Kunikida hielt erneut inne. Das alles kam daher, weil der Bengel ihm wichtig war. Hastig blätterte er ein weiteres Mal durch sein Notizbuch, nickte schließlich und setzte sich zielgerichtet in Bewegung.   Dazai   Das typische Lächeln in Dazais Gesicht war in dem Augenblick verschwunden gewesen, in dem er das von ihm gezogene Los geöffnet hatte. Er hatte auf Atsushi gehofft gehabt (oder Kunikida; das wäre ein Spaß geworden!), aber stattdessen hatte er denjenigen gezogen, mit dem er so überhaupt gar nichts anfangen konnte. Selbst Tage nach der Auslosung kramte Dazai immer mal wieder das Los hervor, um den dort geschrieben stehenden Namen zu lesen. Doch Kenjis Name verschwand nicht von dem Zettel, egal, wie oft er ihn fragend anschaute. Ausgerechnet ich ziehe das fröhliche, lebenslustige Kind? Ist das Schicksal grausam oder hat es einfach nur einen grausamen Humor? Seufzend steckte Dazai das Los wieder in seine Manteltasche und blickte unauffällig zu dem blonden Jungen, der gerade munter mit Tanizaki plapperte. Eigentlich … war es ganz einfach. Ein spitzbübisches Grinsen stahl sich zurück auf das Gesicht des Brünetten, als er sich langsam zu dem neben ihm sitzenden Atsushi hinüberbeugte. „Atsushi“, flüsterte er verschwörerisch und so, dass keiner der anderen ihn hören konnte, „ich bin sehr beeindruckt von dir.“ „Huh??“ Der Angesprochene wurde umgehend rot im Gesicht. „Du bist beeindruckt von mir? Weswegen?“ „Ich hatte ursprünglich angenommen, du würdest dich wegen des Geschenks verrückt machen, aber du bist so ruhig und ausgeglichen -“ Und das war ... gelogen. Jeder konnte sehen, wie verrückt Atsushi sich wegen des Geschenks machte. „- und ich muss wohl zugeben, ich habe dich da schrecklich unterschätzt“, säuselte Dazai weiter. „Anscheinend hast du ein Talent für das Besorgen von Geschenken.“ „Ein-ein Talent?“ Der Junge war von den einlullenden Worten seines Mentors sichtlich berührt. „Nein, das würde ich nicht sagen. Eigentlich habe ich nämlich noch gar-“ „Oh, nicht doch, nicht doch! Immer so bescheiden. Pass auf, ich will dir beweisen, dass du ein Talent dafür besitzt.“ „Ja? Und wie?“ „Es ist ganz einfach. Ich gebe dir einfach einen weiteren Namen und du kaufst für denjenigen ein Geschenk. Dann wirst du sehen, wie talentiert du auf diesem Gebiet bi-ah!“ Dazai duckte sich rechtzeitig weg, als eine Mandarine geflogen kam. Die Frucht donnerte gegen die hinter ihnen stehende Wand und sorgte bei Atsushi beinahe für einen Herzstillstand. „Hm. Verfehlt.“ Ranpo zuckte mit den Schultern. „Ranpo“, fragte der nicht minder erschrockene Kunikida, „warum wirfst du mit Obst?“ „Ich kann jawohl schlecht mit den Keksen werfen. Die würden davon kaputt gehen.“ „Das … war nicht meine Frage.“ Kunikida seufzte. „Warum wirfst du überhaupt mit irgendetwas?“ Der Schwarzhaarige blinzelte – so als wäre der Grund doch offensichtlich. „Weil ich Dazais Aufmerksamkeit wollte.“ „Und du konntest ihn nicht einfach ansprechen?“ „Natürlich nicht.“ „Was kann ich für dich tun, Ranpo?“, richtete Dazai unschuldig mit den Wimpern klappernd an ihn. Er konnte sich längst denken, was die Aktion sollte. „Lass es“, erwiderte der Meisterdetektiv knapp und ließ ihn gezwungen lächeln. „Alles klar.“ „Ich meine es ernst.“ „Schon verstanden.“ Während die anderen dieses enigmatische Gespräch nicht verstanden, verstand Dazai vor allem eins: Täuschungsmanöver konnte er nur in Ranpos Abwesenheit versuchen. Doch selbst Kunikida ließ sich nicht von ihm um den Finger wickeln! Immer wieder setzte er dazu an, den Idealisten davon zu überzeugen, mit ihm zu tauschen, aber Kunikida war erstaunlich stur. Dabei war Dazai sich sicher, dass er das ersehnte Los mit Atsushis Namen darauf gezogen hatte. Kunikida machte sich stattdessen unterbewusst die ganze Zeit bereits einen Kopf um ein Geschenk für den Jungen. Warum eigentlich? Die ganze Detektei war in Aufruhr wegen dieser Wichtel-Aktion und Dazai konnte sich darüber nur wundern. Was war schon dabei, wenn man den Geschmack der anderen nicht einhundertprozentig traf? Es war doch klar, dass man dies gar nicht schaffen konnte. Es war unmöglich und Enttäuschung gehörte zum Leben eben dazu. Was sollte das Ganze also? Kenji würde irgendeine Pflanze bekommen. Wenn er schon die Aufgabe nicht auf Atsushi oder Kunikida abwälzen konnte, dann musste es halt so über die Bühne gehen. Nachdem Kunikida zum wiederholten Mal den Tausch abgelehnt hatte und aus dem Büro gestapft war, lehnte Dazai sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und blickte zur Decke hinauf. Das war gar nicht gut. Ihm war, als würde er irgendetwas übersehen; als würde irgendetwas an ihm nagen. „Oh? Huch, du bist noch hier, Dazai?“ Atsushis verwunderte Stimme ließ seine Augen zum Eingang wandern. Das gesamte Büro war inzwischen menschenleer, stockfinster und beinahe etwas gespenstisch. Wie lange hatte er die Decke angestarrt? „Warum bist du so spät noch hier? Es ist gleich neun.“ Der silberhaarige Junge ging zu seinem Schreibtisch und holte seine Brieftasche aus der obersten Schublade. „Puh, hatte ich sie doch hier vergessen. Ich hatte schon einen Schreck bekommen.“ Er nahm sein Portmonee kurz in den Arm, bevor er es sicher in seiner Hosentasche verstaute. „Weshalb ist deine Laune so gut?“ Dazai ignorierte die Frage des Jüngeren und musterte ihn interessiert. Atsushi strahlte. „Ich habe endlich ein Geschenk für … ich habe endlich ein Geschenk gefunden“, korrigierte er verlegen lachend. „Und dann passiert mir das Gleiche wie ihm.“ Von jetzt auf gleich hatte sich seine Miene wieder verfinstert, was Dazai amüsierte. „Ihm“ zusammen mit diesem Blick konnte nur einen meinen. Es war wirklich lustig, wie Atsushi und Akutagawa aneinander klebten. „Atsushi“, sagte Dazai in den leeren Raum hinein, „verrate mir, warum es so wichtig ist, ein gutes Geschenk zu finden.“ Der Junge stutzte und wurde nachdenklich. „Für mich ist das alles noch ganz neu, deswegen weiß ich nicht, ob meine Antwort darauf gut ist.“ „Verrate sie mir bitte.“ Es war fast süß, wie ernst Atsushi jetzt wurde. „Weil … weil es darum geht, dem Anderen zu zeigen, wie wichtig er für mich ist und wie froh ich bin, dass er in meinem Leben ist. Und ich will, dass er sich freut. Ich selbst werde ganz aufgeregt, wenn ich daran denke, dass sich jemand Gedanken um ein Geschenk für mich macht. Dass ich jemandem so wichtig bin, dass er diese Mühe auf sich nimmt.“ Ein warmes Lächeln schlich sich auf das Gesicht des jungen Detektivs, als er dies sagte – und Dazai laut stöhnte. „Huh? Was ist jetzt?“ Der Ältere ließ den Kopf hängen. „Na toll. Wie stehe ich denn jetzt da, Atsushi?“   Ziellos schlenderte Dazai am nächsten Tag durch die Einkaufsstraßen rund um das Büro. Natürlich sollte er eigentlich IN der Detektei sitzen und arbeiten, aber nach Atsushis Ansprache am Vorabend hatte er beschlossen, auf die Suche nach einem besseren Geschenk für Kenji zu gehen. Kenji würde sich auch über irgendeine schnell und nebenbei gekaufte Pflanze freuen, da war Dazai sich sicher, allerdings …- plötzlich und immer lauter werdend nagte der Gedanke an ihm, dass der Junge etwas Besseres verdient hatte. Dazai war dieses Wichteln weitestgehend egal, aber es war wohl doch ein bisschen zu unverantwortlich, davon auszugehen, dass die anderen dies ebenso sahen. Irgendwo tief in seinem Innern lag der Gedanke vergraben, dass man ein Kind nicht enttäuschen sollte. „So weit so gut“, sagte er seufzend zu sich selbst, „aber wie finde ich jetzt heraus, was ein Kind haben wi-“ Rumms! Er war im Gehen mit einem schwarzgekleideten Mann zusammengestoßen. Einem kleinen, schwarzgekleideten Mann mit Hut. „CHUUYA! Du kommst wie gerufen!!“ „Was? Du … DU! WAS RENNST DU SPINNER IN MICH REIN?! KANNST DU NICHT AUFPASSEN, WO DU HINLÄUFST??“ „Das ist nicht meine Schuld. DU bist nur so leicht zu übersehen.“ „ICH WERDE DICH GLEICH BEREUEN LASSEN, HEUTE MORGEN AUFGESTANDEN ZU SEIN!!“ „Ja ja, später. Erst einmal musst du mir helfen.“ „Helfen? Hast du sie noch alle?“ Chuuya kreuzte übellaunig die Arme vor der Brust. „Warte mal.“ Dazai schnappte sich etwas von der Auslage eines angrenzenden Ladens und hielt es dem Mafioso an. „Ah, nein, du musst es anprobieren, sonst weiß ich nicht, ob es passt.“ „Häh? Häh?“ Chuuya blickte an sich hinab und erspähte ein sehr schmales, kurzes T-Shirt mit einem Charakter aus einer Kindersendung darauf; woraufhin er zu dem Geschäft sah – einem Geschäft für Kinderbekleidung. „WHAAAA!!!“ „Du willst nicht?“ Dazai zog eine beleidigte Schnute. „Das ist aber sehr unkollegial von dir.“ „UNKOLLEGIAL??“ „Besonders zu den Feiertagen“, legte der Brünette unbeeindruckt nach. „Wie soll ich denn sonst ein Geschenk für ein Kind besorgen?“ Der Rotschopf hatte eigentlich zu schnauben angefangen und war kurz davor zu explodieren, als er diese Frage hörte und ins Stutzen geriet. „Du sollst ein Geschenk für ein Kind besorgen?“ „Ein lebenslustiges, fröhliches Kind.“ Chuuya blinzelte einmal, bevor er losprustete. „Whahahaha! Das arme Kind! Erwartet etwas Schönes, mit dem es Spaß haben kann und wenn es das Päckchen öffnet, liegt wahrscheinlich ein Strick drin.“ „Mögen Kinder keine Stricke?“, fragte Dazai mit Unschuldsmiene nach und ließ sein Gegenüber mit den Augen rollen. „Ein Strick wäre wahrscheinlich gar nicht mal die schlechteste Idee. Im Gegensatz zu einem gewissen, durchgeknallten Schwachkopf würde ein Kind damit etwas Vernünftiges anfangen.“ „Aha, aha, und was?“ Dazai sog Chuuyas Ausführungen förmlich auf. „Was weiß ich. Über die Wiesen toben. Was Kinder eben so machen.“ „Verstehe ...“ Nachdenklich fasste der Detektiv sich ans Kinn. „Ein Strick also ...“ „Um Himmels Willen, schenk dem Kind bloß keinen Strick!!“ Sämtliche Passanten in der Straße drehten sich mit entsetzter Miene zu dem ungleichen Duo um, sodass Chuuya sich entnervt an die Stirn fasste. „Ich bringe dich zu einem passenden Geschäft hier in der Nähe und irgendwann bringe ich dich um!“ Ergriffen legte Dazai sich eine Hand auf die Brust. „Ooh, Chuuya! Du bist der Beste!“   Haruno   Lang und entgeistert starrte Haruno auf den Namen, den sie gezogen hatte. Sie sollte nicht so entsetzt sein, denn es war doch jedem klar gewesen, dass irgendwer dieses Los zugeteilt bekam. Aber nun, wo sie den Namen in ihrer Hand hielt und nur schockiert darauf starren konnte, wurde ihr das volle Ausmaß dieser Aktion bewusst: Sie war diejenige, die ein Geschenk für Dazai besorgen musste. Ein Geschenk für Dazai. Für Dazai. Für Dazai! Was wusste sie schon über Dazai? Selbst Atsushi und Kyoka, die beide lange, lange nach ihm zur Detektei gestoßen waren, kannte sie bereits besser. Mit Dazai hatte sie noch nie über irgendetwas, was nicht das Büro betraf, gesprochen. Was machte er in seiner Freizeit? Hatte er Hobbys? Natürlich wusste Haruno von der Selbstmordfanatik, aber sie weigerte sich, das als Freizeitaktivität zu betrachten und überhaupt: Selbst wenn sie äußerst widerwillig dies als Hobby einstufen würde, was könnte sie ihm dafür schon schenken? Er redete zwar immer von einem Doppelsuizid mit einer schönen Frau, aber … nein. Haruno schüttelte sich. In was für düstere Abgründe stiegen ihre Gedanken plötzlich hinab? Was sollte das für ein Geschenk werden? Ein Gutschein für einen Doppelsuizid?? Die Sekretärin atmete tief durch. Nein, ihr würde sicher noch etwas anderes zu Dazai einfallen. Er war auch nur ein Mensch; irgendetwas musste es geben, das ihm gefiel und bei dem niemand zu Schaden kam. Sie musste nur einmal gründlich darüber nachdenken. Dazai mochte … Dazai mochte … Er mochte Alkohol, nicht wahr? Ihre Schultern sackten herab. Nein. Ihrer nicht laut vorgetragenen Meinung nach trank der Mann viel zu viel und sie würde den Teufel tun und das noch unterstützen. Vielleicht war es notwendig, noch sehr viel mehr darüber nachzudenken.   Die Tage vergingen, ohne dass Haruno auch nur eine einzige Idee in den Sinn kam. Stattdessen hatte sie zunehmend das Gefühl, langsam den Verstand zu verlieren. Wurde sie nun paranoid? Sie fühlte sich plötzlich in der Detektei ständig beobachtet. Als würde sie jemand ausspionieren. Das war doch lächerlich. Wer würde so etwas tun? Im Büro waren im Moment nur Naomi, die Detektive und natürlich der Chef. Herrje, was machte ihr Nervenkostüm nur so dünn? Doch nicht etwa ihre Einfallslosigkeit, was das Geschenk für Dazai betraf? Dann aber hatte sie selbst nach Feierabend, als sie noch ein paar Sachen für ihren Kater Mii besorgen wollte, das Gefühl, verfolgt zu werden. Geradezu panisch blickte Haruno sich immer und immer wieder um, während sie draußen auf der Straße und im Geschäft war. Aber außer den verwunderten Blicken der Passanten und anderen Kunden war niemand zu sehen. Es war sehr merkwürdig. Je näher der Tag der Jahresabschlussfeier rückte, desto paranoider wurde sie anscheinend. Bisher war ihr noch keine einzige Idee für ein Geschenk gekommen und so langsam beschlich sie die Angst, dass dies auch so bleiben könnte. Dazai war ein Buch mit mehr als sieben Siegeln. Mit hängendem Kopf (den sie nur zwischendurch anhob, um sich erschrocken umzublicken) schlappte sie nach Hause zu ihrem Kater. „Was soll ich nur tun? Was soll ich nur tun?“, lamentierte sie herzzerreißend, nachdem sie sich auf ihr Sofa hatte fallen lassen. „Übermorgen ist es schon so weit und ich habe noch nichts. Nichts!“ Haruno schlug sich die Hände vors Gesicht. Ihr war nach Weinen zumute. Auch wenn sie nicht viel mit Dazai zu tun hatte, auch wenn sie ihn nicht gut kannte, sie wollte ihm etwas Schönes schenken, etwas, das ihm Freude bereitete. Der Mann wirkte, als könnte er ein bisschen Freude vertragen. Sie wollte nicht an dieser Aufgabe scheitern und damit Dazai enttäuschen. Was sollte sie nur tun? Mii tappste heran, um sie aufzuheitern und der Sekretärin fiel ein, dass sie ihrem Liebling am Vorabend ein Spielzeug gekauft hatte. „Hast du das gehört, Mii?“, fragte sie, nachdem der Kater sie ein wenig aufgeheitert hatte. „Da war doch gerade ein leises Geräusch gewesen … oder?“ Spürbar verunsichert ging Haruno zu ihrem Fenster und schaute nach draußen in die dunkle Nacht. Dort war niemand. Sie öffnete das Fenster und streckte den Kopf hinaus, um auf die Feuertreppe zu blicken. Doch auch dort war weit und breit keine Menschenseele zu sehen. „Das muss mein schlechtes Gewissen sein, das mich verfolgt“, sagte sie mit einem traurigen Lächeln und für einen Augenblick war ihr, als hätte ihr Kater erwägend seine Stirn gerunzelt. „Vielleicht hat Dazai tatsächlich keine Hobbys“, erzählte sie niedergeschlagen, während Mii auf ihren Schreibtisch sprang. „Aber wenn ich ihm irgendetwas für seine Wohnung kaufe, treffe ich vermutlich nicht seinen Geschmack. Etwas Praktisches also? Nein, das geht doch nicht.“ Sie seufzte und wandte ihren Blick zu dem Fußboden, auf den sie sich gesetzt hatte. „Huh?“ Haruno sah erstaunt auf. Mii war wieder auf dem Boden und stupste etwas in ihr Blickfeld. „Was hast du denn da?“ Der Kater gab dem langen, dünnen Gegenstand einen weiteren Schubs mit seiner Nase, sodass er genau vor sein Frauchen rollte. „Ein Bleistift? Willst du damit spielen?“ Mii schloss zu ihr auf und klopfte mit einer Pfote auf den Bleistift. „Ist etwas damit?“ Mii klopfte erneut auf das Schreibutensil. Stirnrunzelnd hob Haruno den Stift auf und besah sich ihn aus nächster Nähe. Sie drehte und wendete ihn in alle Richtungen und plötzlich – riss sie ihre Augen weit auf. „Mii, du bist so klug! Das ist es!!“ Kapitel 4: Mit den besten Wünschen für das neue Jahr ---------------------------------------------------- Die Stille, die im Büro der bewaffneten Detektive herrschte, konnte kaum als besinnlich oder feierlich bezeichnet werden. Die, die schon dort waren und auf den Beginn der Jahresabschlussfeier warteten, standen nervös umherblickend inmitten der von den Geschwistern Tanizaki, Haruno und Kenji geschmückten Detektei. „Whaa!“ Atsushi hatte im Vorbeigehen eine Luftschlange gestreift und war vor Schreck zusammengezuckt, sodass er beinahe die Luftschlange und die Papiergirlande, von der sie herabhing, heruntergerissen hätte. „Ist alles in Ordnung, Atsushi?“, fragte Tanizaki angesichts der offenkundigen Nervosität des Gleichaltrigen besorgt nach. „J-ja, alles in Ordnung.“ Der silberhaarige Junge versuchte, seine Aufregung wegzulächeln. „Bei dir auch, Tanizaki? Du bist heute ziemlich blass.“ Nun zuckte der Rothaarige zusammen. „J-ja, natürlich.“ „Tsk.“ Kunikida schüttelte missbilligend den Kopf. „Die Jugend von heute. Was zieht ihr auf einer feierlichen Veranstaltung solche Gesichter? Ist es etwa aus der Mode gekommen, sich anständig zu freuen?“ „Habe ich mein Stichwort gehört?“ Dazai erschien breit grinsend in der Tür. Er war, abgesehen vom Chef, der Letzte, der noch in der Runde gefehlt hatte. „Welches Stichwort soll das gewesen sein?“, hakte Kunikida skeptisch nach, was Dazais Grinsen noch breiter werden ließ. „Na, 'anständig' natürlich.“ „Ich hoffe, wer auch immer dich gezogen hat, hat dir ein Wörterbuch besorgt“, konterte Kunikida, ehe er stutzte. „Was trägst du da überhaupt?“ Die Blicke der anderen musterten den Kollegen im Trenchcoat. Seinen braunen Wuschelkopf zierte heute eine … schwarze Wollmütze. „Meinst du die hier?“ Dazai zeigte mit einer ausladenden Geste auf seinen neuen Kopfschmuck. „Ist sie euch aufgefallen? Die ist auf meinem Weg zur Detektei heute Morgen vom Himmel in meine Arme gefallen. Mit einer Karte, auf der 'Mit den besten Wünsche für das neue Jahr' stand. Praktisch, oder? Atsushi, warum zucken deine Augen denn plötzlich?“ „Ähhh ...“ Es war dem Jungen in dem Moment klar geworden, woher diese Mütze kam, als sein Mentor erzählt hatte, sie wäre „vom Himmel gefallen.“ Sie ist eher von einem höllischen Dämon geworfen worden … aber das behalte ich vielleicht lieber für mich. „Ich muss aber sagen, sie kratzt ziemlich. Wahrscheinlich hat der alte Besitzer sie deswegen weggeworfen“, legte Dazai nach und Atsushi wunderte sich, ob er nicht längst wusste, von wem die Mütze kam. „Können wir dann jetzt anfangen? Wir sind mit dem Zeitplan für die Feierlichkeiten schon in Verzug“, warf Kunikida ein und absolut niemand wunderte sich, dass es einen Zeitplan für ihre Feier gab. „Weckt mal bitte jemand Ranpo?“ Von allem Vorangegangenem nichts mitbekommend und fern jeglicher Aufregung schlummerte Ranpo wie an jedem anderen Tag mit dem Kopf auf seinem Schreibtisch. Zu Kunikidas wachsender Ungeduld kam niemand seiner Bitte nach. „Ich bin doch nicht lebensmüde“, entgegnete Yosano abwehrend, als der flehende Blick des Idealisten auf ihr landete. „Gut, dann … Atsushi, mach du es.“ „Was?? M-muss ich?“ Noch während Kunikida grummelte, trat Kyoka entschlossen an den Tisch des Meisterdetektivs heran und schob ein Stück Lebkuchen genau vor dessen Nase. Sein feines Näschen runzelte sich ein paar Male, ehe - „GIBT'S WAS ZU ESSEN?“ Ranpo saß so schnell aufrecht an seinem Schreibtisch, dass alle anderen erschrocken zusammenfuhren.   Nachdem Fukuzawa hinzugeholt worden war, räusperte sich Kunikida laut. „Um bis zum Schluss Manipulationsversuche zu unterbinden, wird jeder nacheinander sein Geschenk übergeben. Bei allen anderen Übergabemöglichkeiten bestehen zu große Risiken, dass manche“ - sein missmutiger Blick landete ganz eindeutig auf Dazai - „irgendeinen Trick anwenden könnten, um Geschenke zu vertauschen. Wir werden per Losverfahren die Reihenfolge festlegen, nach der die Geschenke überreicht werden.“ „Du weißt, wie man die Stimmung auf einer Party anheizt, Kunikida“, feixte der Verdächtigte amüsiert, was dem Blonden lediglich ein weiteres Knurren entlockte. „Der Erste, der ein Geschenk erhält“, fuhr der Idealist nüchtern fort (Atsushi fragte sich an dieser Stelle, ob dies in anderen Firmen wohl auch in dieser streng durchstrukturierten Art ablief … vermutlich eher nicht) und zog eines der Lose, die er auf seinem Schreibtisch vorbereitet hatte. „... ist Kyoka. Könnte derjenige, der sie gezogen hat, bitte hervortreten und sein Geschenk überreichen?“ Kyoka machte große Augen, als ihr Name fiel. Plötzlich – sie konnte sich selbst nicht erklären, warum – klopfte ihr Herz viel schneller. Und noch schneller, als sie sah, wer hervortrat. Ungläubig blickte sie zu Fukuzawa hoch, als dieser mit einem Mal vor ihr stand und ihr ein in buntes (auffallend pinkes) Papier gewickeltes Päckchen hinhielt. Die anderen Detektive raunten unüberhörbar. Der Chef hatte Kyoka gezogen? Das Schicksal hatte Humor. „Ich hoffe, es gefällt dir“, sagte Fukuzawa in der gleichen ruhigen Tonlage, in der er immer sprach. Mit überraschend zittrigen Fingern zog Kyoka das Papier sorgsam ab, legte es ordentlich beiseite und öffnete das Paket. Ein Japsen entwich ihr, als sie dessen Inhalt erblickte. „Trifft es nicht deinen Geschmack?“, hakte Fukuzawa angesichts dieser Reaktion nach. „Doch!“, rief Kyoka plötzlich aus und umarmte den überrumpelten Chef. „Es ist wunderschön! Vielen, vielen Dank!“ Als würde sie nun bemerken, was sie da tat, ließ sie ihn genauso plötzlich wieder los und verbeugte sich vor ihm. Keinem entging das erleichterte Ausatmen seitens Fukuzawa. Selbst er schien wohl wegen des Wichtelns aufgeregt gewesen zu sein. „Was hast du gekriegt?“, fragte Kenji ganz euphorisch und staunte, als Kyoka ihnen eine weiße Thermoskanne in der Form eines niedlichen Häschens präsentierte. „Der Nächte ist“, Kunikida zog ein weiteres Los, „Kunikida – oh, das bin ja ich.“ Er schluckte unbewusst und ließ seine Augen schnell durch die gesamte Runde wandern. Wer würde nun hervortreten? Nervös schnellte sein Blick immer wieder zu Dazai, der aber nur ominös lächelte. Auf einmal blinzelte der Blondschopf verdutzt, als Naomi ihm ein Paket hinhielt. „Ich möchte behaupten, das war keine leichte Aufgabe“, sagte die Schülerin dazu. Noch immer erstaunt (und merkwürdig erleichtert) nahm Kunikida das Geschenk entgegen. „Ich danke dir für deine Mühe.“ „Mach es auf“, drängte Naomi. „Ich will wissen, ob ich wenigstens nicht völlig daneben liege.“ Gespannt starrten alle auf ihren Kollegen, der nun das Paket auspackte. Kunikida stutzte abermals, als er ein Buch und eine offensichtlich dazugehörige CD hervorholte. „Eine … Anleitung zum Meditieren und Entspannen?“ „Na ja, irgendwie dachte ich, du könntest hin und wieder eine Auszeit gebrauchen und deine Nerven sind ja auch nicht die Besten, also ...“, erklärte Naomi, als sie bemerkte, wie Kunikida mehrmals schluckte und sich wiederholt räusperte. „Das … das ist wirklich … sehr … sehr aufmerksam von dir ...“ „Du darfst ruhig weinen, wenn du willst“, warf Yosano bei diesem Anblick nicht ganz ernst ein. „So ein … Unsinn. Ich … weine doch nicht gleich … deswegen ...“ Dass er bei diesen Worten schniefend sein Gesicht von den anderen wegdrehte, half seiner Argumentation nicht wirklich. Hastig zog er das nächste Los und verkündete dessen Inhalt nach einem weiteren, lauten Räuspern. „Yosano.“ Die Ärztin klatschte erfreut in die Hände. „Na endlich nimmt diese Party mal Fahrt auf! Gebt mir etwas Gutes!“ Sie leckte sich über ihre Lippen. Merkwürdigerweise rührte sich niemand – bis Naomi eine Kleinigkeit auffiel. „Bruderherz? Atmest du noch?“ „J-ja, ich glaube schon ...“ Tanizaki war sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen und er hatte vor Anspannung die Luft angehalten. Atsushi hatte umgehend Mitleid mit ihm. Er hatte Yosano gezogen? Das Schicksal war grausam. „Ahahaha“, freute sich Yosano derweil. „Du hast mich gezogen, Tanizaki? Dann lass mal sehen!“ „O-okay.“ Dicke Schweißperlen standen auf seiner Stirn, als er eine kleine Schachtel hervorholte und sie der Kollegin mit zitternden Händen übergab. „Es ist sehr klein, aber ich musste an dich denken, als ich es sah.“ Skeptisch hob die Ärztin eine Augenbraue. „Aha?“ Sie nahm den Deckel von der Schachtel und erstarrte. Tanizaki fürchtete bereits um seine Unversehrtheit, als Yosano einfach nur auf den Inhalt starrte, ohne etwas zu sagen. „Du hast an mich gedacht, als du das hier gesehen hast?“, hakte sie ungläubig nach und der Rothaarige machte gedanklich schon sein Testament, als er nickte. „Du meine Güte.“ Die Stimme der Detektivin war zu einem gerührten Hauchen geworden. „Tanizaki … das ist wunderschön.“ Sie nahm den kleinen, runden Gegenstand heraus und klappte ihn auf. Es war ein Taschenspiegel, der mit lila-goldenen Schmetterlingen verziert war. „Er gefällt dir?“, fragte Tanizaki erleichtert nach und atmete aus, als Yosano dies bejahte. „Da bin ich froh.“ Die Erleichterung des Rothaarigen dauerte weniger als eine Sekunde an, denn plötzlich spürte er die eifersüchtigen Blicke Naomis auf sich. „N-natürlich ist niemand so schön wie du, Naomi.“ „Bevor das eskaliert“, wandte Kunikida ein, „machen wir weiter. Oh!“ Er richtete sich auf, bevor er den Namen verkündete. „Der Nächste ist der Chef.“ Wieder rührte sich niemand, bis Kenji etwas bemerkte. „Guckt mal! Jetzt atmet Atsushi nicht mehr!“ „Ach, so ist das?“, sagte Dazai erheitert, bevor er seinen Schützling nach vorne schubste. Stolpernd und kurz vor dem Fall kam Atsushi vor dem Chef zum Stehen. „Ich … Sie … Gute … alles … bitte!“ Nach diesem Gestammel hielt er Fukuzawa eine Schachtel hin, die noch kleiner war, als die, die Yosano erhalten hatte. Dabei verbeugte Atsushi sich so tief, dass er einen perfekten 90-Grad-Winkel erreichte – und seine ganze Konzentration dem Boden schenkte. „Ich danke dir.“ Von dem hypernervösen Verhalten des Jungen scheinbar unbeirrt griff Fukuzawa nach dem Geschenk und öffnete es. Niemand erwartete, dass die Miene des Ältesten irgendetwas verriet, es war schließlich Fukuzawa, von dem sie hier sprachen, aber dann … geschah ein Wunder. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sich die Miene des Chefs aufgehellt. „Was ist es? Was? Ich will es sehen!“ Erstaunlich wach rückte Ranpo ihm auf die Pelle und versuchte einen Blick zu erhaschen. Fukuzawa hatte die Schachtel schnell wieder geschlossen – und sich verräterisch geräuspert. „Es ist Atsushi vielleicht nicht recht, wenn ich sein Geschenk herumzeige“, ermahnte er den neugierigen Meisterdetektiv – der nun wiederum grinste. „Ihnen gefällt also, was er besorgt hat?“ „Ja. Es ist sehr gut ausgewählt.“ Atsushis Kopf schnellte so zügig nach oben, dass man beinahe fürchten musste, er würde ihm vom Körper fliegen. „Es gefällt Ihnen? Haaaa~“, der Junge strahlte plötzlich über das ganze Gesicht. „Ich habe so lange gesucht, bis ich dieses antike Katzennetsuke gefunden habe. Es ist wohl schon ziemlich alt und zudem aus einem besonders hochwertigem Quarz gearbeitet, sodass es eigentlich außerhalb meines Budgets lag, aber der Händler hat es mir günstiger gelassen, weil ich einen so verzweifelten Eindruck gemacht habe und ihm leid getan habe.“ Er war sich selbst vollkommen unbewusst, wie viel an Informationen er da herausposaunt hatte; so glücklich war er, dass sein Geschenk ins Schwarze getroffen hatte. Und so betreten war nun die Stille der anderen, nachdem sie dies gehört hatten. „Atsushi, du bist ein noch größerer Stimmungskiller als Kunikida“, kommentierte Dazai und ließ den unbedarften Jungen stutzen. „Huh? Wieso? … Oh.“ Kunikida ging dazu über, sich mit einer Hand die Schläfen zu massieren, während er das nächste Los zog. „Machen wir bloß schnell weiter. Ranpo.“ „Hahaha!“, schallte es durch die Detektei. „Wurde auch Zeit! Wisst ihr, wie lange ich hier schon warten muss? Also, los, los, was hast du für mich?“ Ranpo drehte sich zu Kenji und hielt ihm seine ausgestreckten Arme entgegen. „Ich hoffe, du hast gut aufgepasst, als ich erklärt habe, was ich unter keinen Umständen haben möchte.“ „Moment, Moment“, wandte Naomi empört ein. „Wieso weißt du, wer dich gezogen hat?“ Der Blick des Meisterdetektivs wurde schlagartig übellauniger. „Hat keiner von euch die grundlegendste Regel der Detektei verstanden? Atsushi, erklär es ihr.“ Von seiner Geschenkübergabe noch schweißgebadet, brach Atsushi erneut in Schweiß aus. „Hah? I-ich s-soll …? Ähm … ah! Ranpo … weiß alles.“ „So ist es.“ Der Schwarzhaarige grinste bei dieser Antwort wieder über das gesamte Gesicht. „Oh, ich hoffe, du weißt nicht schon, was du kriegst.“ Kenji holte mit erwartungsfroher Miene das Präsent hervor. „Sonst wäre es ja gar keine Überraschung mehr.“ „Ich hoffe, ich erlebe keine böse Überraschung“, erwiderte Ranpo, als er es entgegen nahm. „Ich bin mir sicher, du wirst dankbar sein für das Geschenk, das Kenji extra für dich ausgesucht hat“, warf Fukuzawa, um Contenance bemüht, ein. Er kannte seinen langjährigsten Schützling zu gut. Ranpo war kein gemeiner Mensch, aber ihm war es oft nicht bewusst, wenn er Gefühle verletzte. „Jaaa, natürlich.“ Der Beschenkte zog eine Schnute, bevor er sich auf das Geschenkpapier stürzte und es hastig von dem Paket riss. „Es riecht nicht nach Gemüse, das ist schon mal gut.“ Als wäre er derjenige, der etwas bekommen würde, zappelte Kenji aufgeregt neben Ranpo auf und ab. „Das ist so spannend!“ „Das werden wir noch sehe-oh?“ Der Meisterdetektiv hatte eigentlich erneut Einspruch erheben wollen, als er den Deckel abnahm und eine Flasche in dem Paket entdeckte. Verwundert nahm er sie heraus und las das Etikett. „Das ist der süßeste Ahornsirup der Welt?“ Ranpo blinzelte den blonden Jungen erstaunt an, der daraufhin energisch nickte. „Lucy hat ihn mir empfohlen! Ich habe ihn probiert und er ist sooo süß! Da habe ich gleich gedacht, dass er dir bestimmt schmecken würde!“ „Awww, Kenji“, machte Haruno gerührt, „das ist süß von dir.“ „Gefällt er dir?“ Staunend beobachteten er und alle anderen, wie Ranpo die Flasche öffnete und ein paar Tropfen des Sirups auf seine Zunge fallen ließ. Als würde er einen edlen Wein probieren, schwenkte er die zuckersüße Flüssigkeit ein paar Mal im Mund hin und her. Plötzlich leuchteten seine Augen auf und Kenji geriet noch mehr ins Zappeln. „Er ist … göttlich.“ Kenjis Lächeln strahlte nun heller als die Sonne, die draußen den Schnee zum Glitzern brachte. „Ich glaube, ich nehm noch einen Schluck!“ Ranpo wollte die Flasche gerade zu seinem Mund führen, als Fukuzawa blitzschnell dazwischenging. „Willst du dir Kenjis Geschenk nicht vielleicht für besondere Anlässe aufheben?“ „Huh? Hmm … vielleicht.“ Er schraubte die Flasche wieder zu. „Gut reagiert, Chef“, raunte Yosano ihm zu. „Ich möchte kein Zahn in Ranpos Mund sein.“ „Gut, das hätten wir geschafft“, sagte Kunikida erleichtert, so als hätten sie gerade eine besonders schwierige Aufgabe gemeistert. „Als Nächstes ist dran … die Verantwortliche für das alles hier. Naomi.“ Die Genannte schlug begeistert ihre Hände zusammen. „Ich bin an der Reihe? Ja! Das ist aufregend!“ Sie wunderte sich für einen kurzen Moment lang, warum ihr Bruder einen nervösen Blick mit Yosano austauschte. „Anscheinend will das Schicksal mich unter allen Umständen mit den Tanizakis verbinden.“ Yosano überreichte der überraschten Naomi eine kleine Box. „Dabei ist keine Verbindung stärker als die der Tanizakis untereinander.“ Von diesen Worten verwirrt, öffnete Naomi ungewohnt zaghaft das Geschenk. Man konnte genau dabei zusehen, wie sich das Lächeln über ihr ganzes Gesicht ausbreitete. Sie nahm zwei große Haarspangen aus der Schachtel und hielt sie Tanizaki hin. „Hilf mir, sie festzumachen!“ Verdutzt nahm der Rothaarige den Haarschmuck entgegen und klemmte ihn in den Haaren seiner Schwester fest. „Tadaaa!“ Die sichtlich glückliche Schülerin präsentierte stolz, was sie bekommen hatte: Die Spangen waren zart weiß gepudert, so als hätte es hauchdünn darauf geschneit und an einem Ende befand sich eine große, stilisierte Schneeflocke, die mit Glitzersteinen besetzt war. „Stehen sie mir?“ Yosano hielt ihr ihren neuen Taschenspiegel hin. „Sie sind wie für mich gemacht!“, rief Naomi entzückt aus. „Vielen Dank, Yosano!“ „Ich bin froh, dass sie dir gefallen. Meine erste Idee war in eine andere Richtung gegangen – und hätte vermutlich ein Todesopfer gefordert.“ Die anderen Detektive wussten nicht, ob sie das beunruhigen sollte, dass Tanizakis so dreinblickte, als hätte er gerade ein Gespenst gesehen. „Bevor du umkippst“, warf Kunikida ein und wedelte mit einem Los, „du bist als Nächster dran, Tanizaki.“ Die Gesichtszüge des Rothaarigen entspannten sich wieder ein wenig. Vollkommen entspannt war auch Ranpo, der selbstbewusst wie eh und je dem Jüngeren ein rechteckiges Päckchen reichte. „Von dir, Ranpo?“ „Ich bin fast ein bisschen neidisch“, entgegnete der Meisterdetektiv. „Ich werde nie erfahren, was für ein überwältigendes Gefühl das sein muss, ein Geschenk von mir zu bekommen.“ „Ich fühle mich geehrt.“ Tanizaki verbeugte sich leicht vor ihm, ehe er das Papier abmachte und ein Buch darunter zum Vorschein kam. „Was ist das?“ Naomi schmiegte sich an seine Seite, um den Titel lesen zu können. „'Aus dem Schatten der anderen treten – Wie Sie Ihre eigenen Stärken erkennen und fördern können.'“ „Ist das ein Selbsthilfebuch?“, fragte Atsushi verblüfft. „Ranpo sucht ein pädagogisch wertvolles Präsent aus?“ Die Verwunderung in Kunikidas Stimme war kaum zu überhören. Er hatte wohl aufgepasst, nicht auch noch „ausgerechnet Ranpo“ zu sagen. „Seid ihr etwa erstaunt? Es ist die grundlegendste Regel der Detektei“, äußerte Dazai gespielt oberlehrerhaft. „Ranpo weiß eben alles.“ „Du darfst mir später dafür danken“, sagte der Meisterdetektiv derweil an Tanizaki gewandt. „Nein, Ranpo“, antwortete der Rothaarige mit einem Lächeln im Gesicht. „Ich danke dir jetzt schon.“ „Das ist ein sehr wohlüberlegtes Geschenk“, bemerkte Fukuzawa und plötzlich wich Ranpos hochmütiges Grinsen einer verdatterten Miene. Ein Lob vom Chef blieb für ihn das größte Geschenk. „Das läuft besser als ich erwartet hatte.“ Kunikida zog den nächsten Namen. „Haruno.“ Aufmerksam richtete die Sekretärin sich auf und schaute nervös zu den noch übrigen Kandidaten. Zögerlich trat Kyoka hervor und Haruno schmolz beinahe. Nein! Kyoka hatte sie gezogen? Die süße Kyoka? Die bis vor nicht allzu langer Zeit noch als Assassine gearbeitet hatte und im Umgang mit anderen Menschen ein paar massive Probleme hatte? Haruno schüttelte innerlich den Kopf. Das sollte sie wohl lieber nicht denken. Nein, egal, was da nun kommen würde, sie würde sich darüber freuen. Das Mädchen hatte so viel durchmachen müssen und sie gab sich so viel Mühe, in der Detektei alles richtig zu machen – es war herzzerreißend. „Das tut mir leid.“ Haruno schreckte aus ihren Gedanken hoch, als Kyoka sich bei ihr entschuldigte. Was in aller Welt meinte sie? „Bist du enttäuscht, dass ich dich gezogen habe?“ Was?! Wie kam sie denn …. Die Sekretärin stutzte, als Naomi ihr ein Taschentuch reichte. Oh. Ihr waren über ihre Gedankengänge die Tränen gekommen. „Nein, nein!“, rief Haruno schnell aus. „Ich weine … vor Vorfreude! Ja, genau! Vor Vorfreude!“ „Ah, wirklich?“ Kyoka blinzelte sie an. Sie nickte auffallend hastig und nahm Kyokas Geschenk entgegen. „Vielen lieben Dank, Kyoka“, sagte sie noch während sie auspackte. „Weißt du, ich habe die ganzen letzten Nächte schlecht geschlafen, weil ich doch tatsächlich dachte, mich würde jemand verfolgen. Aber seit gestern ist dieses komische Gefühl plötzlich weg. Vielleicht bin ich dadurch noch ein bisschen durch den Wind.“ Die Detektive stutzten heftig, als sie Haruno dies erzählen hörten. „Du hast dich verfolgt gefolgt?“, hakte Kunikida hellhörig nach. „Wo genau?“ „Überall.“ Die Sekretärin hielt inne. „Das heißt, zuerst in der Detektei und dann auch auf dem Nachhauseweg und schließlich sogar in meiner Wohnung.“ „In der Detektei?“ Tanizaki blickte sich besorgt in ihren Räumlichkeiten um. „Hat es irgendjemand auf uns abgeseh-“, wollte Atsushi fragen, als ihm der entgeisterte Ausdruck in Kyokas Gesicht auffiel. Unverzüglich winkte Ranpo unbekümmert ab. „Darüber müssen wir uns keine Gedanken machen. Diese 'Gefahr' ist vorüber.“ Der Meisterdetektiv grinste Kyoka an, deren Anspannung daraufhin etwas nachließ. Oh nein … Atsushi dämmerte, was los war. Kyoka, du warst das?, sagte sein Blick und das Mädchen senkte ihren Kopf. „Entschuldigung.“ „Das ist nicht deine Schuld“, warf Dazai ein. „Kunikida hätte explizit in seinem Regelwerk erwähnen müssen, dass man denjenigen, den man gezogen hat, nicht heimlich observieren und verfolgen soll.“ „DANN BIN ICH SCHULD??“ „Aber ja.“ Dazai nickte und ließ den blonden Kollegen stutzen. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, griff der Idealist sich sein Notizbuch und schrieb (ohne Dazais Grinsen zu sehen) etwas dort hinein. Der grinsende Brünette störte sich auch nicht daran, dass Atsushi ihm ein missbilligendes Kopfschütteln schenkte. „Oh!“ Über den ganzen Tumult war Haruno mit dem Auspacken fertig geworden. „Kyoka!“ Wieder voller Anspannung sah das Mädchen zu der Älteren. „Das … das ist … sooooo süüüüüß!!“ Haruno hielt ein Spielset für Katzen in die Höhe. Der mit mehreren Miezen gespickten Verpackung zufolge war es ein Mix aus Kratzbaum, Tunnelröhre und einer Aufziehmaus. „Mii wird es lieben!“ „Aber ist das dann nicht eher ein Geschenk für deinen Kater und nicht für dich?“, wandte Yosano ein. „Ich glaube“, entgegnete Kyoka, „dass Haruno nichts glücklicher zu machen scheint als eine glückliche Katze.“ „So ist es!“ Die sonst so zurückhaltende Sekretärin fiel dem überrumpelten Mädchen um den Hals – was Kyoka nach dem ersten Schock sanft und zufrieden lächeln ließ. Während Fukuzawa versuchte, verstohlen auf die Packung von Harunos Geschenk zu schauen, zog Kunikida seufzend das nächste Los. Sollte die ganze Sache so nervenaufreibend sein oder machten sie etwas falsch? „Atsushi, du bist – ah!“ Die Blicke der beiden trafen sich. Ohne zu verstehen, warum Kunikida plötzlich so aufgekratzt wirkte, richtete Atsushi sich erwartungsfroh auf. Er staunte nicht schlecht, als ausgerechnet dieser Kollege ihm ein rechteckiges, sehr offensichtlich Buch-förmiges Präsent hinhielt. „Du Kunikida? Du schenkst mir etwas?“ „Ich hoffe, du wirst Gefallen daran finden.“ „Huh?“ Dazai beäugte das Geschenk. „Atsushi“, raunte er ihm für alle hörbar zu, „wenn es ein Notizbuch ist, tu trotzdem überrascht.“ „Es ist sicher kein Notizbuch- äh, ich meine, vielen Dank, Kunikida! Egal, was es ist.“ Zum zweiten Mal an diesem Tag legte der Junge eine perfekte 90-Grad-Verbeugung hin; um kurz darauf in Windeseile das Papier von dem Paket zu reißen. „Es ist … … ein Notizbuch?“ Atsushi blinzelte das Buch in seiner Hand ungläubig an. „Äh, ich meine, vielen Dank!“ Unbeirrt von dieser Reaktion tippte Kunikida mit einem Finger auf die Schrift auf dem Einband. „Es ist etwas, das sich 'Glückstagebuch' nennt. Es ist ein Kalender, bei dem du an jedem Tag eintragen kannst, für was du dankbar bist oder was dich an diesem Tag glücklich gemacht hat.“ „Klingt wie Hausaufgaben“, bemerkte Dazai, als Atsushi mit angehaltenem Atem auf das Buch blickte. Als er seinen Kopf wieder hob, war es an Kunikida, ihn fragend anzublinzeln. Atsushis Lippen bebten und seine Augen füllten sich mit Tränen. „Findest du es so schlimm?“, fragte der Blonde nun doch irritiert. „Whaa!“ Sturzbäche rannten mit einem Mal aus den Augen des silberhaarigen Jungen. „EsistsoschönichweißgarnichtwieichdirdafürdankensolldassdudirmeinetwegensovielMühegemachthastdasisteinperfektesGeschenkichbinsoglücklichvielenvielenDankKunikida!“ Er schnäuzte lautstark in ein Taschentuch, das Naomi ihm gereicht hatte. Dann - als wäre ihm plötzlich eine Idee gekommen - schnappte er sich einen Stift und kritzelte umgehend hochkonzentriert etwas in sein neues Buch. „Gut. Das freut mich.“ Kunikida atmete hörbar aus und lächelte für einen kurzen Moment sogar, bevor er sich dem nächsten Los widmete. Es waren nur noch zwei übrig und so langsam machte es ihn nervös, dass Dazai noch niemandem etwas geschenkt hatte. Hatte der Vogel sich am Ende selbst gezogen? Wenn dem nicht so war, hoffte er inständig, dass er ein Geschenk besorgt hatte, denn Kunikida graute es davor, den Kameraden leer ausgehen zu lassen, der noch übrig war. Ein enttäuschtes Kind würde ihnen allen auf jeden Fall die Feier verderben. „Kenji.“ Blitzschnell ging Kunikidas Blick zu Haruno, die sich jedoch nicht rührte. Oh nein, hieß das …? Seine Augen rasten zu Dazai und verengten sich sogleich zornig. Dazai rührte sich ebenso nicht. Kenji sprang erneut aufgeregt auf und ab. „Das ist so spannend! Fast wie im Dorf, wenn man darauf wartet, dass ein Kälbchen geboren wird!“ Die restlichen Detektive ließen fragend ihre Blicke von einem zum anderen wandern, als niemand hervortrat. Das beginnende Knurren Kunikidas wurde von einem Zungenschnalzen unterbrochen. „Du denkst wirklich so schlecht von mir?“, fragte Dazai ominös lächelnd und dann melodramatisch werdend nach. „Ich meine, ich bin schlecht, aber doch nicht so schlecht.“ Er zeigte mit einem Finger nach oben. „Ein Präsent überreichen kann jeder; aber ein Präsent zu präsentieren, das ist die wahre Kunst!“ Dazai machte eine Handbewegung, die ihnen andeutete, ihm zu folgen. Verdutzt tapsten die Detektive (Kenji voran) dem Mann im Trenchcoat bis auf das Dach hinterher. Zum Glück schneite es nicht mehr und zu kalt war es auch nicht – dies hätte auch Dazais „Präsentation“ geschadet. Als die anderen das Dach erreichten, stand dieser, in den Händen einen gigantischen Stab haltend, der im oberen Teil kreisrund war, vor ihnen. „Tadaa~!“ „Was heißt hier 'Tada'?“, meckerte Kunikida. „Was soll das da sein?“ „Ich habe mich von ...“ Dazai überlegte kurz, ehe er schelmisch grinste, „von einem führenden Kind beraten lassen und dieses Topspielzeug ergattert.“ „Häh? Was soll jetzt wieder ein führendes Kind sein? Das ergibt keinen Sinn“, erwiderte Kunikida verständnislos, als Dazai den Stab mit der kreisrunden Stelle in einen Eimer tauchte und wieder emporreckte. An der runden Öffnung glitzerte und glänzte es nun und als eine Windböe den Stab erfasste, stieg eine riesengroße Seifenblase aus der Öffnung empor. Ein vergnügtes Lachen seitens Kenji hallte über das gesamte Dach, bevor der Junge sich voller Begeisterung auf den Stab stürzte und mit diesem herumfuchtelte, sodass noch weitere Seifenblasen in die Luft flogen. „Das ist toll!“ Kenji lachte noch lauter, als er mit dem Stab über das Dach sauste und eine ganze Schlange von Seifenblasen hinter sich herzog. „Vielen, vielen Dank, Dazai!“ „Wow, Dazai“, entfuhr es Atsushi, der ebenso wie Kyoka gebannt auf die hübschen Blasen blickte, „das ist ein wirklich schönes Geschenk. Aber was ist denn nun ein führendes Kind?“ Der Brünette legte sich immer noch spitzbübisch grinsend einen Zeigefinger auf die Lippen. „Das ist ein Berufsgeheimnis.“ Atsushi wollte gerade beeindruckt nicken, als Ranpo anmerkte: „Hat Chuuya sich sehr aufgeregt?“ Dazais Lachen war allen Antwort genug. „Nun denn, es ist nur noch ein Geschenk übrig.“ Kunikida schob seine Brille nach oben. „Gehen wir dafür wieder rein. Mich macht es nervös, wenn Dazai auf dem Dach herumturnt.“ „Whuuuhuuu!“ Als wäre es keine Warnung, sondern ein Stichwort gewesen, rutschte Dazai mit viel Schwung auf einer noch gefrorenen Stelle aus und schlitterte gen Brüstung. „HÖR EINMAL ZU, WENN ICH ETWAS SAGE!!“ Kunikida schnappte sich den davongleitenden Kollegen am Kragen und stoppte so dessen Rutschpartie. Wieder im Büro angekommen, holte Haruno sichtlich nervös ihr Geschenk hervor. „Niemand hier wird leugnen, dass du die schwierigste Aufgabe von uns allen hattest, Haruno.“ Kunikida nickte der rot werdenden Sekretärin ermutigend zu. „Oooh, das stimmt nicht“, widersprach Dazai, „es gibt viele Dinge, die ich mag.“ „Ja, aber nichts davon eignet sich als Geschenk“, erwiderte Atsushi, der wie die anderen sich die ganze Zeit über gefragt hatte, welcher arme Tropf Dazai gezogen hatte. „Es war tatsächlich nicht ganz einfach.“ Haruno überreichte dem Brünetten das Päckchen. „Aber ich hoffe, du kannst etwas damit anfangen.“ Dazai schüttelte das Paket und ein leises Rumpeln war zu hören. „Es ist schon mal keine Frau drin. Außer vielleicht einer, die man noch zusammensetzen muss.“ „WARUM SOLLTE DA EINE FRAU DRIN SEIN??“, fauchte Kunikida und Tanizaki hielt dem gestressten Kameraden geistesgegenwärtig eine Seite aus dem Entspannungsbuch vors Gesicht. Während Kunikida, wie auf der Seite beschrieben, langsame, tiefe Atemzüge nahm, fing Dazai an, das Papier herunterzureißen. „Es scheint auch keine Katze drin zu sein. Ich höre zumindest kein Miauen.“ „Wer würde denn eine Katze verpacken??“, empörte sich nun Atsushi an der Stelle des Idealisten. „Es iiiist ...“, Dazai schaute in das geöffnete Geschenk, „... was ist das?“ Mit erfrischend planloser Miene zog er ein Set Bleistifte, einen Zeichenblock und ein Anleitungsbuch heraus. „Das ist ein Zeichenlernset“, erklärte Haruno bemüht ruhig. „Ich dachte, vielleicht würde es dir Spaß machen, einmal ein anderes Hobby auszuprobieren.“ „Aha …?“ Ungewohnt sprachlos blickte Dazai auf die Sachen in seinen Händen. Zeichnen? Er? Wie kam die Frau auf so eine Idee? „Auch ein sehr durchdachtes Geschenk“, lobte Fukuzawa und ließ seine Sekretärin damit dezent strahlen. Sie hatte eh nicht mit überschwänglichem Jubel von Dazai gerechnet. „Ich nehme an“, warf Ranpo nörgelnd ein, „Dazai kriegt keine Belehrung über Undankbarkeit, weil alle wissen, dass er gerade auf dem Schlauch steht und noch eine Minute braucht, um zu begreifen, dass Haruno ihm mit diesem Geschenk sagen möchte, dass keiner von uns sein anderes 'Hobby' gut findet. Ist doch so, oder?“ Ein weitaus sanfteres Lächeln huschte für einen flüchtigen Moment über Dazais Gesicht. „Gut erkannt, Ranpo. Und ... danke, Haruno.“ Die angesprochene Frau zog vor Überraschung scharf die Luft ein, bevor sie gerührt lächelte. „Gern geschehen.“ „Dazai bedankt sich?“ Kunikida war merklich baff. „Es ist ein Jahresabschlussfeierwunder!“, rief Yosano aus, lachte und ließ die Korken knallen. Inmitten der aus dem Vorjahr bekannten Programmpunkte (dieses Mal stimmte der abgefüllte Kunikida mit der ebenso angeheiterten Yosano ein Lied ums andere an), deckte Atsushi die auf dem Sofa eingeschlafene und ihre Thermoskanne wie ein Kuscheltier im Arm haltende Kyoka zu. Sein seliger Blick wanderte von seiner Kameradin über sein Glückstagebuch zu Dazai, der höchst fokussiert besoffene Strichmännchen mit Pferdeschwanz und Brille zeichnete (sollte es ihn beunruhigen, dass Dazai ständig merkwürdige schwarze Schatten hinter jedes Strichmännchen malte? Vermutlich nicht). Der Chef, der das Katzennetsuke an seinem Gürtel befestigt hatte, ließ sich inzwischen mit unüblich interessierter Miene von Haruno den Aufbau des Katzentunnels erklären (Fukuzawas Blicke klebten nun unverhohlen auf der niedlichen Verpackung). Ranpo nutzte die Gelegenheit, um sich einen großen Schluck seines Sirups zu gönnen, nachdem er und Kenji das Buffet leer gefuttert hatten und Kenji auf dem Tisch, auf dem es aufgebaut gewesen war, eingeschlafen war. „Sag nicht, du bist auch schön müde.“ Atsushi zuckte ein wenig zusammen, als Naomi ihn so plötzlich ansprach. „Ich bin kurz davor, Kunikida dazu zu bringen, K-Pop-Lieder zu singen. Ist es nicht erstaunlich, dass er die überhaupt kennt? Ich habe ihn so was von unterschätzt!“ Die Schülerin kicherte. „Wo ist denn Tanizaki?“ „Spucken. Yosano hat ihm Alkohol gegeben.“ „Oh ...“ „Ich sehe es als zusätzliches Geschenk für mich an. Mein Bruder ist so süß, wenn es ihm schlecht geht.“ Atsushi lachte überfordert. Was sollte er sonst auf so eine Aussage antworten? „Ah, Naomi ...“ Plötzlich fiel dem Jungen etwas ein, das er unbedingt loswerden wollte. „Was denn?“ Interessiert sah sie ihren Kollegen an. „Das Wichteln war wirklich eine großartige Idee. Hab vielen, vielen Dank dafür!“ Erstaunt schaute Naomi in Atsushis glückliche Miene, bevor sie selbst lächeln musste. „Überlasst einfach alles Naomi.“ Beide lachten und richteten ihren Blick auf Kunikida, der gerade mit einer perfekten K-Pop-Choreografie an ihnen vorbeitanzte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)