Das Büro der bewaffneten Wichtel von rokugatsu-go ================================================================================ Kapitel 3: Feiertagsparanoia, dunkle Geheimnisse und ein kluger Kater --------------------------------------------------------------------- Kyoka   „Tut mir leid, ich kann nicht mit dir mitkommen. Ich habe noch etwas zu tun.“ Mit ernster Miene erteilte Kyoka Atsushi eine Absage – wieder einmal. „Ist alles in Ordnung?“, fragte der silberhaarige Junge besorgt. „Du hast in letzter Zeit immer nach Feierabend noch etwas zu tun.“ „Es ist alles in Ordnung. Ich muss nur etwas recherchieren.“ „Recherchieren?“ Atsushi blinzelte sie fragend an, bevor ihm ein Licht aufging. „Ah! Hat das etwa mit dem Wichteln zu tun?“ Er erschrak fast, als Kyokas Miene noch ernster wurde. „Ich weiß nicht, ob ich befugt bin, darüber Auskunft zu geben.“ „Oh, okay ….“ Er kratzte sich überfordert am Hinterkopf. „Kyoka?“ „Ja?“ „Nimm diese Sache bitte nicht zu ernst. Sie soll eigentlich Spaß machen.“ Nun war es das Mädchen, das ihn verblüfft anblinzelte. „Spaß?“ Atsushi nickte energisch. „Ich bin anfangs auch zu verbissen an diese Aufgabe herangegangen, aber im Grunde geht es nur darum, jemandem eine Freude zu machen. Verstehst du das?“ Sie sah ihn nachdenklich an, bevor sie verhalten nickte. „Hast du denn schon ein Geschenk?“ Die gerade noch zur Schau gestellte Selbstsicherheit des jungen Mannes löste sich in Sekundenschnelle in Luft auf. „Frag bitte nicht.“ Er seufzte, richtete jedoch umgehend seine hängenden Schultern wieder auf. „Aber wenn Akutagawa ein Geschenk besorgen kann, dann können wir das erst recht!“ „Akutagawa?“ Kyoka musterte ihren Kameraden kritisch. Was in aller Welt redete Atsushi da? „N-nicht so wichtig!“ Atsushi war noch dabei, verlegen zu lachen, als Kyoka ihre Ohren spitzte und sich plötzlich hastig von ihm verabschiedete. „Ich muss los!“ Verdattert blieb er allein im Flur der Detektei zurück. Kyoka hastete in der Zwischenzeit die Treppen hinab. Die Geräusche aus dem Fahrstuhl erkannte sie mittlerweile ohne Probleme. Die ganze Woche hatte sie sich Harunos Art zu gehen eingeprägt, sodass sie sie an ihren Schritten erkennen konnte. Außerdem hatte Kyoka aufgepasst, zu welchen Zeiten die Sekretärin im Durchschnitt morgens in das Büro kam und wann sie es abends wieder verließ. Zudem hatte sie sich gedanklich Notizen gemacht, was die Frau verzehrte, was sie anhatte, wonach sie roch, welche Materialien sie benutzte. Doch bisher hatte all dies zu keiner Erkenntnis geführt. So weit war Kyokas einzige Idee eine Fusselrolle gewesen, denn tagein tagaus klebten Katzenhaare an Harunos Kleidung. Aber … das schien ihr kein gutes Geschenk zu sein. Kyoka hielt auf der vorletzten Treppe an, ging eilig in die Hocke und machte sich ganz klein. Mit Argusaugen blickte sie um die Ecke und behielt die aus dem Aufzug steigende Sekretärin fest im Blick. Ein Außenstehender (nein, jeder Außenstehende) hätte bei diesem Anblick Haruno wahrscheinlich warnen wollen, dass ein Attentäter sie ins Visier genommen zu haben schien. Und tatsächlich sah die brünette Frau sich etwas ängstlich um, als sie das Foyer betrat. Seltsam, dachte Kyoka, kann sie meine Präsenz wahrnehmen? Haruno war schwer einzuschätzen. Kyoka hatte sie bisher hauptsächlich für freundlich, fürsorglich und sorgfältig gehalten, doch in den letzten paar Tagen schien irgendetwas sie zu bedrücken. Sie seufzte auffallend oft und ihr Lächeln wirkte sehr bemüht. Vielleicht, so war dem Mädchen der Gedanke gekommen, war es nicht ausreichend, Haruno während der Arbeit zu beobachten. Vielleicht war die Frau eine ganz Andere, sobald sie das Büro verließ. Ein geheimes Doppelleben eventuell? Eine unglückliche Affäre? Diese Ideen waren schneller wieder verworfen gewesen, als eine Katze „Miau“ sagen konnte. Kyoka hatte bereits am Vorabend eine Observierung gestartet, aber dann abgebrochen, weil die Frau mit ihrem Feierabend nichts anderes anfing, als Katzenfutter zu kaufen und heim zu ihrem Kater zu tigern. Ihre Erfahrung als Assassine warnte Kyoka jedoch davor, zu voreilige Schlüsse zu ziehen. Und so preschte sie aus ihrem Versteck heraus, kurz nachdem Haruno das Gebäude verlassen hatte. Die Menschenmassen auf dem Nachhauseweg als Schild benutzend, schlich Kyoka hinter ihrem Zielobjekt her. Sie stieg in die gleiche Bahn wie Haruno, ohne dass diese dies bemerkte und stieg auch an ihrer Haltestelle aus, ohne von der Sekretärin gesehen zu werden. Heute ging Haruno auf direktem Weg nach Hause. Es war ein bisschen verwunderlich, dass sie sich dabei immer wieder nervös umschaute. So nervös war sie doch in der Detektei nie. Seltsam. Kyoka warf nur einen kurzen Blick auf das Apartmentgebäude, in dem die Frau lebte und rannte wie der Wind (und trotzdem lautlos) die Feuertreppe hinauf, bis zu dem Stockwerk, bei dem gerade in einer Wohnung das Licht eingeschaltet worden war. Das Mädchen schwang sich von der Treppe zu einem Fenstersims und schlich bis an das Fenster heran, sodass sie mithilfe eines kleinen Spiegels in die Wohnung hineinblicken konnte. Mit einem durch die Wände hörbaren Seufzer ließ die Sekretärin sich auf ihrer Couch nieder. „Was soll ich nur tun? Was soll ich nur tun?“, lamentierte sie herzzerreißend. „Übermorgen ist es schon so weit und ich habe noch nichts. Nichts!“ Oh, dämmerte es Kyoka. Nicht nur sie tat sich also schwer mit der Aufgabe, die vor ihr lag. Das war irgendwie … beruhigend. Vollkommen entmutigt schlug sich Haruno die Hände vors Gesicht. Weinte sie etwa? Kyoka biss sich auf ihre Unterlippe. Haruno brauchte etwas, das sie aufmunterte – und dann hatte ausgerechnet sie sie gezogen. Sie traute sich nicht zu, diese Aufgabe zu erfüllen. Das war eher etwas für sanftmütigere Menschen wie Atsushi oder Naomi. Resigniert wollte Kyoka den Spiegel wegziehen, als sie etwas darauf bemerkte und davon in den Bann gezogen wurde. Harunos Kater, Mii, tapste auf die Frau zu, sprang neben ihr aufs Sofa und stupste sie maunzend an. „Ooh, Mii, willst du Frauchen aufheitern?“ Mit einem Mal klang die Stimme der Sekretärin wieder fröhlicher. Sie kraulte ihren Kater und wie dieser zufrieden schnurrte, lachte auch sie. „Warte, ich habe gestern noch ein neues Spielzeug für dich gekauft. Willst du es sehen? Ich hole es gleich!“ Mit großen Augen beobachtete Kyoka, wie die eben noch niedergeschlagene Haruno aufgeregt und beschwingt ihrem Haustier ein Spielzeug hinhielt. Ein Lächeln bildete sich auf dem Gesicht des Mädchens, als sie die Feuertreppe nach unten trottete.   Kunikida   „18:30 bis 20 Uhr: ein Geschenk für Atsushi besorgen“ Kunikida schluckte, als er diesen Eintrag in seinem Notizbuch las. Das war ungewohnt. Normalerweise beunruhigte es ihn nie, in seinem Notizbuch zu lesen (außer es stand irgendetwas an, was mit Dazai zu tun hatte, aber das war eine ganz andere Geschichte). Wieso hatte er jetzt eine mittelschwere Panikattacke, wenn er diesen Eintrag las? Er hatte ihn selbst geschrieben, direkt nachdem er das Los gezogen hatte. Und zu diesem Zeitpunkt hatte ihn nichts daran beunruhigt – im Gegenteil. Eine klare Planung war der Schlüssel zum Erfolg. Die anderen machten sich offensichtlich die ganze Woche bereits einen Kopf über ihre Besorgungen, aber er hatte keine Zeit, sich tagelang deswegen verrückt zu machen. Der Slot heute musste ausreichen und bis eben hatte Kunikida keinen Zweifel daran gehabt, dass er dies auch tun würde. Nun allerdings war es 18:20 Uhr und er bekam so ein merkwürdig flaues Gefühl in der Magengegend. „Kunikida! Sag nicht, dir ist noch keine Idee gekommen?“ Dazais aus dem Nichts kommende, lautstarke Frage ließ den Idealisten zusammenschrecken. „Was? Wovon in aller Welt redest du denn da?“ „Ich rede davon, dass dein Gesicht so aussieht, als würdest du gleich implodieren und das ist kein besonders hübscher Anblick.“ „Hier implodiert niemand. Ich habe gar keine Zeit zum Implodieren.“ „Wir können immer noch tauschen.“ „Vergiss es.“ Kunikida warf seinem Gegenüber einen missmutigen Blick zu. Ob Dazai wusste, wen er gezogen hatte und deswegen immer wieder damit ankam? Nichts da! Er würde es ihm nicht so einfach machen. Atsushi hatte ein vernünftiges Geschenk verdient und keinen billigen Trostpreis von diesem trägen Tunichtgut. Kunikidas Magen meldete sich bei diesem Gedanken wieder. „Wie seltsam ...“, murmelte der Blondschopf und rieb sich leicht mit einer Hand über die unruhige Bauchmitte. Er hatte nichts Ungewohntes oder Falsches gegessen und krank fühlte er sich auch nicht. „Das ist interessant“, kommentierte Dazai mit mysteriösem Unterton. „Was?!“, keifte Kunikida zurück. Das süffisante Lächeln des Anderen gefiel ihm ganz und gar nicht. Machte der Kerl sich etwa lustig über ihn? „Was für einen Druck du dir wegen dieses Geschenks machst.“ „Ich mache mir überhaupt keinen Druck! So ein Unsinn, wieso sollte ich so etwas tun?“ „Weil du du bist“, antwortete Dazai erneut kryptisch. „Ich verstehe überhaupt nicht, was die ganze Aufregung soll.“ „Das wiederum wundert mich kein Stück.“ Kunikida schaltete seinen Computer aus und stand auf. „Warum lümmelst du eigentlich hier noch herum? Du arbeitest doch eh nicht.“ „Ich bin entrüstet über diesen Vorwurf.“ Dazai rollte mit theatralischer Mimik und Gestik von seinem Schreibtisch weg. „Vielleicht bleibe ich heute länger, um einem Kollegen in Not zu helfen? Hast du schon einmal daran gedacht?“ „Nein“, entgegnete Kunikida knapp und unbeeindruckt. „Und gib dir keine Mühe. Ich tausche nicht.“ „Oh, komm schon, komm schon. Niemand wird es je erfahren. Es wird unser kleines Geheimnis bleiben.“ Er zeigte in den leeren Büroraum. Die anderen waren bereits nach Hause gegangen. „Ich bin der perfekte Komplize für Verschwörungen, denn wenn ich irgendwann Erfolg habe, bist du der Einzige, der unser dunkles Geheimnis noch kennt.“ „BEIM WICHTELN SOLLTE ES KEINE DUNKLEN GEHEIMNISSE GEBEN!!“ Der Idealist schnaufte und stapfte aus dem Büro heraus. Dieser Dazai! Auf gar keinen Fall würde er dieses Mal auf dessen einlullende Worte hereinfallen! Dafür war die Angelegenheit zu wichtig! Kunikidas Magen meldete sich erneut. Was war das bloß? Immer wenn er daran dachte, für Atsushi ein Geschenk zu besorgen – urgh! Schon wieder. Mit schnellen Schritten eilte er aus der Detektei hinaus und in die nächste Einkaufsstraße hinein. In der kalten Abendluft schüttelte er seinen Kopf. Druck! Von wegen! Was für einen Druck sollte er sich denn bitte machen? Die Sache war ganz einfach: Nach einem Geschenk für Atsushi suchen, ein Geschenk kaufen, das Geschenk übergeben. Fertig. Kunikida musste zu seinem eigenen Verdruss zugeben, dass er darauf gehofft hatte, im Laufe der Woche ein oder zwei Ideen zu haben, sodass er nur noch in das entsprechende Geschäft hätte gehen müssen. Aber keine einzige war ihm gekommen – beziehungsweise, keine einzige Gute. Selbst jetzt, als er im Gehen sein Notizbuch nach allen Einträgen zu Atsushi durchging, hatte er keine Erleuchtung. Atsushi mochte Chazuke, aber gerade damit wollte er ihn ja nicht abspeisen. Der Junge las gerne, doch woher sollte Kunikida wissen, was ihn tatsächlich interessierte? Nach seinem eigenem Geschmack zu gehen, schien ihm nicht richtig. Er wollte ihm ja schließlich nichts aufdrängen. Ob der Bengel wusste, was für ein Glück er hatte, dass er und nicht Dazai ihn gezogen hatte? Dieser Wirrkopf würde sich gewiss nicht so viele Gedanken um ein passendes Geschenk machen. Kunikida vermutete sogar, dass Dazai ihn gezogen hatte, was sein Drängen auf einen Tausch erklären würde. Er konnte es sich lebhaft vorstellen, wie der Witzbold aus dem Lachen gar nicht mehr herauskäme, wenn Kunikida auf den Tausch eingegangen wäre und somit letztlich sich selbst gezogen hätte. Nein, so jemandem konnte er die wichtige Suche nach einem Geschenk für Atsushi nicht überlassen. Kunikida hielt mitten auf dem Gehweg plötzlich an. Wichtig. Immer wenn er an ein Geschenk für den Bengel dachte, kam ihm dieses Wort in den Sinn. Wieso war es ihm so wichtig, dass der Junge ein schönes Geschenk bekam? Dachte er weiter über Atsushi nach, fielen ihm allerlei wenig erbauliche Dinge ein: misshandeltes Waisenkind, unkontrollierte Fähigkeit, versehentlicher Mord, Zielobjekt diverser Organisationen, verzweifelter Kampf um Anerkennung und ein riesiger Berg von Einsamkeit und Unsicherheit. In diesen düsteren Gedanken versunken, rieb Kunikida sich wieder über den Bauch. Es war unmöglich, ein Geschenk zu finden, dass auch nur einen Bruchteil von dem ausglich, was der Bengel in seinen jungen Jahren bereits alles hatte durchmachen müssen. Das war der Druck, von dem Dazai gesprochen hatte. Kunikida selbst stellte an dieses Geschenk den Anspruch, ein positiver Meilenstein in Atsushis Leben zu werden. Es musste etwas sein, das Atsushi wenigstens einen Hauch von einem Glücksgefühl gab. Etwas, das ihm sagen sollte, dass nicht alles im Leben schlecht war. Der Slot würde nicht ausreichen, um so etwas zu finden. Eintausend Slots würden nicht ausreichen, um so etwas zu finden! Und das alles kam daher, weil der Bengel ihm … - Kunikida hielt erneut inne. Das alles kam daher, weil der Bengel ihm wichtig war. Hastig blätterte er ein weiteres Mal durch sein Notizbuch, nickte schließlich und setzte sich zielgerichtet in Bewegung.   Dazai   Das typische Lächeln in Dazais Gesicht war in dem Augenblick verschwunden gewesen, in dem er das von ihm gezogene Los geöffnet hatte. Er hatte auf Atsushi gehofft gehabt (oder Kunikida; das wäre ein Spaß geworden!), aber stattdessen hatte er denjenigen gezogen, mit dem er so überhaupt gar nichts anfangen konnte. Selbst Tage nach der Auslosung kramte Dazai immer mal wieder das Los hervor, um den dort geschrieben stehenden Namen zu lesen. Doch Kenjis Name verschwand nicht von dem Zettel, egal, wie oft er ihn fragend anschaute. Ausgerechnet ich ziehe das fröhliche, lebenslustige Kind? Ist das Schicksal grausam oder hat es einfach nur einen grausamen Humor? Seufzend steckte Dazai das Los wieder in seine Manteltasche und blickte unauffällig zu dem blonden Jungen, der gerade munter mit Tanizaki plapperte. Eigentlich … war es ganz einfach. Ein spitzbübisches Grinsen stahl sich zurück auf das Gesicht des Brünetten, als er sich langsam zu dem neben ihm sitzenden Atsushi hinüberbeugte. „Atsushi“, flüsterte er verschwörerisch und so, dass keiner der anderen ihn hören konnte, „ich bin sehr beeindruckt von dir.“ „Huh??“ Der Angesprochene wurde umgehend rot im Gesicht. „Du bist beeindruckt von mir? Weswegen?“ „Ich hatte ursprünglich angenommen, du würdest dich wegen des Geschenks verrückt machen, aber du bist so ruhig und ausgeglichen -“ Und das war ... gelogen. Jeder konnte sehen, wie verrückt Atsushi sich wegen des Geschenks machte. „- und ich muss wohl zugeben, ich habe dich da schrecklich unterschätzt“, säuselte Dazai weiter. „Anscheinend hast du ein Talent für das Besorgen von Geschenken.“ „Ein-ein Talent?“ Der Junge war von den einlullenden Worten seines Mentors sichtlich berührt. „Nein, das würde ich nicht sagen. Eigentlich habe ich nämlich noch gar-“ „Oh, nicht doch, nicht doch! Immer so bescheiden. Pass auf, ich will dir beweisen, dass du ein Talent dafür besitzt.“ „Ja? Und wie?“ „Es ist ganz einfach. Ich gebe dir einfach einen weiteren Namen und du kaufst für denjenigen ein Geschenk. Dann wirst du sehen, wie talentiert du auf diesem Gebiet bi-ah!“ Dazai duckte sich rechtzeitig weg, als eine Mandarine geflogen kam. Die Frucht donnerte gegen die hinter ihnen stehende Wand und sorgte bei Atsushi beinahe für einen Herzstillstand. „Hm. Verfehlt.“ Ranpo zuckte mit den Schultern. „Ranpo“, fragte der nicht minder erschrockene Kunikida, „warum wirfst du mit Obst?“ „Ich kann jawohl schlecht mit den Keksen werfen. Die würden davon kaputt gehen.“ „Das … war nicht meine Frage.“ Kunikida seufzte. „Warum wirfst du überhaupt mit irgendetwas?“ Der Schwarzhaarige blinzelte – so als wäre der Grund doch offensichtlich. „Weil ich Dazais Aufmerksamkeit wollte.“ „Und du konntest ihn nicht einfach ansprechen?“ „Natürlich nicht.“ „Was kann ich für dich tun, Ranpo?“, richtete Dazai unschuldig mit den Wimpern klappernd an ihn. Er konnte sich längst denken, was die Aktion sollte. „Lass es“, erwiderte der Meisterdetektiv knapp und ließ ihn gezwungen lächeln. „Alles klar.“ „Ich meine es ernst.“ „Schon verstanden.“ Während die anderen dieses enigmatische Gespräch nicht verstanden, verstand Dazai vor allem eins: Täuschungsmanöver konnte er nur in Ranpos Abwesenheit versuchen. Doch selbst Kunikida ließ sich nicht von ihm um den Finger wickeln! Immer wieder setzte er dazu an, den Idealisten davon zu überzeugen, mit ihm zu tauschen, aber Kunikida war erstaunlich stur. Dabei war Dazai sich sicher, dass er das ersehnte Los mit Atsushis Namen darauf gezogen hatte. Kunikida machte sich stattdessen unterbewusst die ganze Zeit bereits einen Kopf um ein Geschenk für den Jungen. Warum eigentlich? Die ganze Detektei war in Aufruhr wegen dieser Wichtel-Aktion und Dazai konnte sich darüber nur wundern. Was war schon dabei, wenn man den Geschmack der anderen nicht einhundertprozentig traf? Es war doch klar, dass man dies gar nicht schaffen konnte. Es war unmöglich und Enttäuschung gehörte zum Leben eben dazu. Was sollte das Ganze also? Kenji würde irgendeine Pflanze bekommen. Wenn er schon die Aufgabe nicht auf Atsushi oder Kunikida abwälzen konnte, dann musste es halt so über die Bühne gehen. Nachdem Kunikida zum wiederholten Mal den Tausch abgelehnt hatte und aus dem Büro gestapft war, lehnte Dazai sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und blickte zur Decke hinauf. Das war gar nicht gut. Ihm war, als würde er irgendetwas übersehen; als würde irgendetwas an ihm nagen. „Oh? Huch, du bist noch hier, Dazai?“ Atsushis verwunderte Stimme ließ seine Augen zum Eingang wandern. Das gesamte Büro war inzwischen menschenleer, stockfinster und beinahe etwas gespenstisch. Wie lange hatte er die Decke angestarrt? „Warum bist du so spät noch hier? Es ist gleich neun.“ Der silberhaarige Junge ging zu seinem Schreibtisch und holte seine Brieftasche aus der obersten Schublade. „Puh, hatte ich sie doch hier vergessen. Ich hatte schon einen Schreck bekommen.“ Er nahm sein Portmonee kurz in den Arm, bevor er es sicher in seiner Hosentasche verstaute. „Weshalb ist deine Laune so gut?“ Dazai ignorierte die Frage des Jüngeren und musterte ihn interessiert. Atsushi strahlte. „Ich habe endlich ein Geschenk für … ich habe endlich ein Geschenk gefunden“, korrigierte er verlegen lachend. „Und dann passiert mir das Gleiche wie ihm.“ Von jetzt auf gleich hatte sich seine Miene wieder verfinstert, was Dazai amüsierte. „Ihm“ zusammen mit diesem Blick konnte nur einen meinen. Es war wirklich lustig, wie Atsushi und Akutagawa aneinander klebten. „Atsushi“, sagte Dazai in den leeren Raum hinein, „verrate mir, warum es so wichtig ist, ein gutes Geschenk zu finden.“ Der Junge stutzte und wurde nachdenklich. „Für mich ist das alles noch ganz neu, deswegen weiß ich nicht, ob meine Antwort darauf gut ist.“ „Verrate sie mir bitte.“ Es war fast süß, wie ernst Atsushi jetzt wurde. „Weil … weil es darum geht, dem Anderen zu zeigen, wie wichtig er für mich ist und wie froh ich bin, dass er in meinem Leben ist. Und ich will, dass er sich freut. Ich selbst werde ganz aufgeregt, wenn ich daran denke, dass sich jemand Gedanken um ein Geschenk für mich macht. Dass ich jemandem so wichtig bin, dass er diese Mühe auf sich nimmt.“ Ein warmes Lächeln schlich sich auf das Gesicht des jungen Detektivs, als er dies sagte – und Dazai laut stöhnte. „Huh? Was ist jetzt?“ Der Ältere ließ den Kopf hängen. „Na toll. Wie stehe ich denn jetzt da, Atsushi?“   Ziellos schlenderte Dazai am nächsten Tag durch die Einkaufsstraßen rund um das Büro. Natürlich sollte er eigentlich IN der Detektei sitzen und arbeiten, aber nach Atsushis Ansprache am Vorabend hatte er beschlossen, auf die Suche nach einem besseren Geschenk für Kenji zu gehen. Kenji würde sich auch über irgendeine schnell und nebenbei gekaufte Pflanze freuen, da war Dazai sich sicher, allerdings …- plötzlich und immer lauter werdend nagte der Gedanke an ihm, dass der Junge etwas Besseres verdient hatte. Dazai war dieses Wichteln weitestgehend egal, aber es war wohl doch ein bisschen zu unverantwortlich, davon auszugehen, dass die anderen dies ebenso sahen. Irgendwo tief in seinem Innern lag der Gedanke vergraben, dass man ein Kind nicht enttäuschen sollte. „So weit so gut“, sagte er seufzend zu sich selbst, „aber wie finde ich jetzt heraus, was ein Kind haben wi-“ Rumms! Er war im Gehen mit einem schwarzgekleideten Mann zusammengestoßen. Einem kleinen, schwarzgekleideten Mann mit Hut. „CHUUYA! Du kommst wie gerufen!!“ „Was? Du … DU! WAS RENNST DU SPINNER IN MICH REIN?! KANNST DU NICHT AUFPASSEN, WO DU HINLÄUFST??“ „Das ist nicht meine Schuld. DU bist nur so leicht zu übersehen.“ „ICH WERDE DICH GLEICH BEREUEN LASSEN, HEUTE MORGEN AUFGESTANDEN ZU SEIN!!“ „Ja ja, später. Erst einmal musst du mir helfen.“ „Helfen? Hast du sie noch alle?“ Chuuya kreuzte übellaunig die Arme vor der Brust. „Warte mal.“ Dazai schnappte sich etwas von der Auslage eines angrenzenden Ladens und hielt es dem Mafioso an. „Ah, nein, du musst es anprobieren, sonst weiß ich nicht, ob es passt.“ „Häh? Häh?“ Chuuya blickte an sich hinab und erspähte ein sehr schmales, kurzes T-Shirt mit einem Charakter aus einer Kindersendung darauf; woraufhin er zu dem Geschäft sah – einem Geschäft für Kinderbekleidung. „WHAAAA!!!“ „Du willst nicht?“ Dazai zog eine beleidigte Schnute. „Das ist aber sehr unkollegial von dir.“ „UNKOLLEGIAL??“ „Besonders zu den Feiertagen“, legte der Brünette unbeeindruckt nach. „Wie soll ich denn sonst ein Geschenk für ein Kind besorgen?“ Der Rotschopf hatte eigentlich zu schnauben angefangen und war kurz davor zu explodieren, als er diese Frage hörte und ins Stutzen geriet. „Du sollst ein Geschenk für ein Kind besorgen?“ „Ein lebenslustiges, fröhliches Kind.“ Chuuya blinzelte einmal, bevor er losprustete. „Whahahaha! Das arme Kind! Erwartet etwas Schönes, mit dem es Spaß haben kann und wenn es das Päckchen öffnet, liegt wahrscheinlich ein Strick drin.“ „Mögen Kinder keine Stricke?“, fragte Dazai mit Unschuldsmiene nach und ließ sein Gegenüber mit den Augen rollen. „Ein Strick wäre wahrscheinlich gar nicht mal die schlechteste Idee. Im Gegensatz zu einem gewissen, durchgeknallten Schwachkopf würde ein Kind damit etwas Vernünftiges anfangen.“ „Aha, aha, und was?“ Dazai sog Chuuyas Ausführungen förmlich auf. „Was weiß ich. Über die Wiesen toben. Was Kinder eben so machen.“ „Verstehe ...“ Nachdenklich fasste der Detektiv sich ans Kinn. „Ein Strick also ...“ „Um Himmels Willen, schenk dem Kind bloß keinen Strick!!“ Sämtliche Passanten in der Straße drehten sich mit entsetzter Miene zu dem ungleichen Duo um, sodass Chuuya sich entnervt an die Stirn fasste. „Ich bringe dich zu einem passenden Geschäft hier in der Nähe und irgendwann bringe ich dich um!“ Ergriffen legte Dazai sich eine Hand auf die Brust. „Ooh, Chuuya! Du bist der Beste!“   Haruno   Lang und entgeistert starrte Haruno auf den Namen, den sie gezogen hatte. Sie sollte nicht so entsetzt sein, denn es war doch jedem klar gewesen, dass irgendwer dieses Los zugeteilt bekam. Aber nun, wo sie den Namen in ihrer Hand hielt und nur schockiert darauf starren konnte, wurde ihr das volle Ausmaß dieser Aktion bewusst: Sie war diejenige, die ein Geschenk für Dazai besorgen musste. Ein Geschenk für Dazai. Für Dazai. Für Dazai! Was wusste sie schon über Dazai? Selbst Atsushi und Kyoka, die beide lange, lange nach ihm zur Detektei gestoßen waren, kannte sie bereits besser. Mit Dazai hatte sie noch nie über irgendetwas, was nicht das Büro betraf, gesprochen. Was machte er in seiner Freizeit? Hatte er Hobbys? Natürlich wusste Haruno von der Selbstmordfanatik, aber sie weigerte sich, das als Freizeitaktivität zu betrachten und überhaupt: Selbst wenn sie äußerst widerwillig dies als Hobby einstufen würde, was könnte sie ihm dafür schon schenken? Er redete zwar immer von einem Doppelsuizid mit einer schönen Frau, aber … nein. Haruno schüttelte sich. In was für düstere Abgründe stiegen ihre Gedanken plötzlich hinab? Was sollte das für ein Geschenk werden? Ein Gutschein für einen Doppelsuizid?? Die Sekretärin atmete tief durch. Nein, ihr würde sicher noch etwas anderes zu Dazai einfallen. Er war auch nur ein Mensch; irgendetwas musste es geben, das ihm gefiel und bei dem niemand zu Schaden kam. Sie musste nur einmal gründlich darüber nachdenken. Dazai mochte … Dazai mochte … Er mochte Alkohol, nicht wahr? Ihre Schultern sackten herab. Nein. Ihrer nicht laut vorgetragenen Meinung nach trank der Mann viel zu viel und sie würde den Teufel tun und das noch unterstützen. Vielleicht war es notwendig, noch sehr viel mehr darüber nachzudenken.   Die Tage vergingen, ohne dass Haruno auch nur eine einzige Idee in den Sinn kam. Stattdessen hatte sie zunehmend das Gefühl, langsam den Verstand zu verlieren. Wurde sie nun paranoid? Sie fühlte sich plötzlich in der Detektei ständig beobachtet. Als würde sie jemand ausspionieren. Das war doch lächerlich. Wer würde so etwas tun? Im Büro waren im Moment nur Naomi, die Detektive und natürlich der Chef. Herrje, was machte ihr Nervenkostüm nur so dünn? Doch nicht etwa ihre Einfallslosigkeit, was das Geschenk für Dazai betraf? Dann aber hatte sie selbst nach Feierabend, als sie noch ein paar Sachen für ihren Kater Mii besorgen wollte, das Gefühl, verfolgt zu werden. Geradezu panisch blickte Haruno sich immer und immer wieder um, während sie draußen auf der Straße und im Geschäft war. Aber außer den verwunderten Blicken der Passanten und anderen Kunden war niemand zu sehen. Es war sehr merkwürdig. Je näher der Tag der Jahresabschlussfeier rückte, desto paranoider wurde sie anscheinend. Bisher war ihr noch keine einzige Idee für ein Geschenk gekommen und so langsam beschlich sie die Angst, dass dies auch so bleiben könnte. Dazai war ein Buch mit mehr als sieben Siegeln. Mit hängendem Kopf (den sie nur zwischendurch anhob, um sich erschrocken umzublicken) schlappte sie nach Hause zu ihrem Kater. „Was soll ich nur tun? Was soll ich nur tun?“, lamentierte sie herzzerreißend, nachdem sie sich auf ihr Sofa hatte fallen lassen. „Übermorgen ist es schon so weit und ich habe noch nichts. Nichts!“ Haruno schlug sich die Hände vors Gesicht. Ihr war nach Weinen zumute. Auch wenn sie nicht viel mit Dazai zu tun hatte, auch wenn sie ihn nicht gut kannte, sie wollte ihm etwas Schönes schenken, etwas, das ihm Freude bereitete. Der Mann wirkte, als könnte er ein bisschen Freude vertragen. Sie wollte nicht an dieser Aufgabe scheitern und damit Dazai enttäuschen. Was sollte sie nur tun? Mii tappste heran, um sie aufzuheitern und der Sekretärin fiel ein, dass sie ihrem Liebling am Vorabend ein Spielzeug gekauft hatte. „Hast du das gehört, Mii?“, fragte sie, nachdem der Kater sie ein wenig aufgeheitert hatte. „Da war doch gerade ein leises Geräusch gewesen … oder?“ Spürbar verunsichert ging Haruno zu ihrem Fenster und schaute nach draußen in die dunkle Nacht. Dort war niemand. Sie öffnete das Fenster und streckte den Kopf hinaus, um auf die Feuertreppe zu blicken. Doch auch dort war weit und breit keine Menschenseele zu sehen. „Das muss mein schlechtes Gewissen sein, das mich verfolgt“, sagte sie mit einem traurigen Lächeln und für einen Augenblick war ihr, als hätte ihr Kater erwägend seine Stirn gerunzelt. „Vielleicht hat Dazai tatsächlich keine Hobbys“, erzählte sie niedergeschlagen, während Mii auf ihren Schreibtisch sprang. „Aber wenn ich ihm irgendetwas für seine Wohnung kaufe, treffe ich vermutlich nicht seinen Geschmack. Etwas Praktisches also? Nein, das geht doch nicht.“ Sie seufzte und wandte ihren Blick zu dem Fußboden, auf den sie sich gesetzt hatte. „Huh?“ Haruno sah erstaunt auf. Mii war wieder auf dem Boden und stupste etwas in ihr Blickfeld. „Was hast du denn da?“ Der Kater gab dem langen, dünnen Gegenstand einen weiteren Schubs mit seiner Nase, sodass er genau vor sein Frauchen rollte. „Ein Bleistift? Willst du damit spielen?“ Mii schloss zu ihr auf und klopfte mit einer Pfote auf den Bleistift. „Ist etwas damit?“ Mii klopfte erneut auf das Schreibutensil. Stirnrunzelnd hob Haruno den Stift auf und besah sich ihn aus nächster Nähe. Sie drehte und wendete ihn in alle Richtungen und plötzlich – riss sie ihre Augen weit auf. „Mii, du bist so klug! Das ist es!!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)