Lincolns Geheimprojekt von Bourbone ================================================================================ Kapitel 2: Geschwister unter sich --------------------------------- Die Fahrt zum Minigolfplatz dauert etwa fünfzehn Minuten. Während dieser Zeit sprachen Lincoln und Lori vorwiegen über ihren Alltag auf dem College. Zum Beispiel darüber, wie es ihr beim Lernen ging. Was sie in ihrer Freizeit unternahm, und wie ihre Mitstudenten und Professoren so waren. „Der Stoff ist schon schwierig. Mit einer Auszeichnung werde ich das College wohl nicht verlassen können, doch ich versuche mein Bestes, um bei meinen durchschnittlichen Noten zu bleiben“ antwortete Lori auf eine von Lincolns zahlreichen Fragen. „Aber was ist mit dir. Wie läuft denn dein Geheimprojekt, von dem du mir neulich so stolz erzählt hast?“, wollte sie schließlich von ihren Bruder wissen. „Ich bin fast fertig damit. Noch ein paar Seiten und ich kann es einreichen. Es wird auch höchste Zeit. Ende des nächsten Monats ist der letzte Abgabetermin. Ich hoffe auf den erst Preis, darum habe ich mir unheimlich viel Mühe gegeben. Mit dem Preisgeld, könnte ich mir das Ding kaufen, das ich schon so lange möchte und die Siegertrophäe würde sich gut in meinem Teil des Trophäenschrankes machen. Dann hätte ich endlich auch etwas, worauf ich stolz sein kann und ich würde mich nicht mehr länger wie das schwarze Schaf unserer Familie fühlen.“ „Ach, Lincoln. Du weißt aber schon, dass es Mom und Dad sowie mir und den Anderen egal ist, ob du nun ein Preis gewinnst oder nicht. Du bleibst trotzdem immer der Beste Bruder der Welt.“ Lori lächelte im aufmunternd entgegen. Interessant, dass er auch weiterhin damit haderte, noch keine echten Priese gewonnen zu haben. „Das mag schon sein. Aber ich möchte nicht länger in eurem Schatten stehen. Immer wenn ich an diesem Schrank vorbeigehe und die gähnende Leere meines Faches sehe, nagt es an mir. Die beste Bruder der Welt Trophäe, die ihr einst für mich gemacht habt, ist zwar ganz nett, aber eben nichts Offizielles… Du verstehst?“ Schuldbewusst senkte Lincoln seinen Blick. Ob es unfair war, so über die Aufmerksamkeit seiner Schwestern zu denken. „Dafür musst du dich wirklich nicht schämen, Dummkopf“, antwortete Lori ihm verständnisvoll. „Aber warum verheimlichst du es dann vor den anderen. Was du mir bisher gezeigt hast, wirkt doch schon sehr professionell. Dein Talent fürs zeichnen hat definitiv erhebliche Vorschritte gemacht.“ „Danke für die Blumen, Lori. Aber ich habe meine Gründe dafür.“ „Deine Gründe? Das wird aber am Ende kein Comic für Erwachsen oder?“ Lincoln hatte ihr bisher nur die Charakterskizzen gezeigt. Eine Menge seiner Charaktere waren offensichtlich an seine Freunde und Familie angelehnt, doch von der Story dahinter hatte sie eigentlich keine Ahnung. „Wie man es nimmt“, antwortete Lincoln und augenblicklich wurde Lori stutzig. „Es ist natürlich kein Porno. Aber die Story ist schon etwas düsterere und auf ihre Art und Weise durchaus komplex. Ich denke zwar nicht, dass man Schwierigkeiten haben könnte, ihr zu folgen, aber ich bin noch nicht bereit dazu, mein Projekt den anderen vorzustellen.“ „Warum? Clyde und Ronnie Anne wissen doch auch Bescheid, und ich bin mir sicher, ihnen hast du auch von der Story hinter den Charakterskizzen erzählt. „Das ist etwas anderes. Ronnie Anne und Clyde sind meine besten Freunde. Selbst wenn ihnen die Geschichte nicht gefallen hätte, wären sie ehrlich genug gewesen, mir das zu sagen. Bei euch… Ich weiß auch nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, die eine Hälfte würde mich anlügen und sagen es hätte ihn gefallen, selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre, und die andere Hälfte könnte sich über mich lustig machen.“ „Man... Du hast aber echt wenig Vertrauen in uns“, kommentierte Lori seine Antwort trocken. „Und zu welcher Sorte hättest du mich gezählt?“ „Zur letzteren. Darum habe ich dir auch nur die Charakterskizzen gezeigt und dir nichts über die Geschichte erzählt. Die Skizzen alleine konnten dir entweder gefallen oder nicht. Die Story dahinter ist dann schon etwas anderes.“ „Hm… Das mag schon sein. Ich freue mich auf jeden Fall darüber, dass deine Kriminalpolizistin an mich angelehnt ist. Auch den Umstand dass Bobby die Ehre bekommen hat, für das Raubdezernat zu arbeiten finde ich klasse. Noch besser ist natürlich, dass es ihm mein alter Ego angetan hat.“ Lori wusste zwar nichts von der Story, aber seine Charakterskizzen hatten ihr zumindest das schon verraten. Ihrer Beiden alter Ego waren auf derselben Seite gewesen, mit ihrer jeweiligen Uniform bekleidet und hatten sich gegenseitig verträumte Blicke zugeworfen. Offensichtlicher ging es kaum. „Bist du sicher, dass du mir nichts über die Story erzählen möchtest?“ Vielleicht schaffte sie es mit ernstgemeinten Schmeicheleien, dass Lincoln seine Unsicherheiten vergas. „Ich denke darüber nach“, antwortete er. Seine Wangen hatten einen zarten Rotschimmer angenommen. Für Komplimente war er also durchaus empfänglich. „Das ist schon einmal ein Anfang, aber könntest du mit bitte trotzdem verraten, warum du aus Ronnie Anne ausgerechnet eine Diebin gemacht hast. Bobbys und ihr Alter Ego sind doch sicher auch in deinem Comic Geschwister. Ist das eine Art Plot Twist?“ Auch Ronnie Annes Charakterskizze hat viel ausgesagt. Im Hintergrund war ein altes Herrenhaus gewesen. Sie hielt eine Art Visitenkarte zwischen Zeige und Mittelfinger ihrer Rechten und lehnte sich mit einem selbstsichern Lächeln an den Rücken ihrer besten Freundin Sid, während eine schöne Perlenkette über ihren Köpfen schwebte. Bestimmt waren die beiden Komplizen gewesen. „Ich hatte meine Gründe... Okay“, antwortete Lincoln. Die zarte Röte seiner Wangen war dunklere geworden. Sie schien auf einen guten Weg zu sein. Welche Charakterskizze, die er ihr gezeigt hatte, könnte sie wohl noch gegen ihn verwenden? Doch bevor sie Lanas alter Ego erwähnen konnte, war der Minigolfplatz in Sichtweite gekommen. „Puh... Endlich angekommen“, hörte sie Lincoln murmeln. Ihr war klar, dass er jetzt auf stur schalten würde. Darum vergaß sie ihr derzeitiges Unterfangen fürs Erste. Lori wollte eigentlich nicht über sein Comic reden, sondern über etwas ganz anderes. Bestimmt konnte sie es auf den Rückweg nochmal versuchen. Und wer weiß, vielleicht knackte sie dann seine harte Schale. „Okay. Bereit für eine Partie Minigolf“, sagte sie und stieg sodann aus dem Wagen. „So bereit, wie nur irgendwie möglich“, antwortete ihr Lincoln. Wenig später war auch er aus dem Wagen gestiegen. Es war spät am Nachmittag und die Sonne Lächelte ihnen entgegen. Der Himmel war wolkenlos, doch das änderte wenig an den herbstlichen Temperaturen. „Also dann. Worauf warten wir noch?“, sprach Lori und holte ihre Golftasche aus dem Kofferraum. Als das erledigt war, schritt sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf den Eingang zu, dicht gefolgt von ihren Bruder. Sie begrüßte ein paar Leute und steuerte Zielsicher auf das erste Loch zu. Eine Windmühle stand auf dem Rasen, indem sich drei schmale Löcher für den Ball befanden. Das war also die erste Hürde ihres gemeinsamen Tages. „Nach dir, Lincoln“, gab Lori ihm den Vortritt. Er nahm den Ball entgegen, den sie ihm überreicht hatte, schnappte sich einen Schläger aus ihre Tasche und setzte den Ball an seinem vorgesehen Platz ab. Als er sich anschickte, den ersten Schlag zu machen, holte Lori einen Block aus ihrer Tasche. Sie suchte sich eine freie Seite, teilte diese mit einer Linie in zwei Hälften und schrieb ihren sowie den Namen ihres Bruders darauf. Lincoln holte aus und schaffte es tatsächlich beim ersten Mal den Ball durch die Windmühle zu befördern. Leider hatte er aber zu wenig Kraft aufgewendet, sodass dieser kurz vor dem Loch zum Halten kam. „Guter Versuch.“ Lori schrieb eine eins auf Lincolns Seite des Blockes und setzte den ersten Strich. „Danke“ sagte ihr Bruder, der sogleich zum zweiten Versuch ansetzte. Diesmal konnte er den Ball versenken und Lori setzte sogleich dem nächsten Strich. „Ein Loch zwei Versuche. Nicht übel.“ Lori überreichte Lincoln den Block und machte sich ebenfalls bereit, dazu ihr Spiel zu beginnen. „Jetzt bin ich an der Reihe“, sagte sie noch und legte sich sodann ihren Ball zu Recht. Konzertierte studierte sie eine Weile die Beschaffenheit des Loches und holte zum Schlag aus. Im Gegensatz zu ihren Bruder benötigte sie nur einen einzigen Schlag um den Ball zu versenken. „Große Klasse, Lori. Ich kann jetzt schon sagen, wer von uns beiden gewinnen wird“, sprach Lincoln sie an und setzte auch auf Loris Seite des Blockes den ersten Strich. „Es geht nicht darum, wer von uns beiden gewinnt. Also nimm dir das nicht so zu Herzen.“ Gut gelaunt ging sie auf das Loch zu und angelte ihren Ball aus diesem. Gemütlich schritten die beiden Geschwister dann zur nächsten Hörde ihres gemeinsamen Nachmittages. „Wie geht es den anderen?“, erkundigte sich Lori schließlich bei Lincoln, als sie das nächste Loch erreicht hatten. Diesmal handelte es sich um eine schmale Brück, unter der ein winziger Fluss floss. Das Loch lag auf einen kleinen Hügel, der sich auf einer grünen Insel befand, zu der die Brücke führte. Die Herausforderung hier, war wohl den Ball nicht versehentlich ins Wasser zu schießen. „Ganz gut. Lilly geht sehr gerne in den Kindergarten. Lisa ist mit ihren Experimenten beschäftigt und hat schon seit Wochen keine ungewollte Explosion mehr verursacht. Lucy ist immer noch gerne für sich selbst, arbeiten an ihren Gedichten und lebt mit stummer Leidenschaft, das Leben eines Gothes. Sie hält regelmäßig ihre Geisterbeschwörungen ab, trifft sich mit ihren Freunden und wird nicht müde, uns ständig zu erschrecken. „Sie neigt also immer noch dazu, aus heiteren Himmel aus dem dunkelsten Ecken aufzutauchen?“ Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Vielleicht machte sie sich zu viele Sorgen um ihre Geschwister, doch als die Älteste von ihnen neigte sie nun mal dazu. Und jetzt wo sich höchstens alle paar Monate einmal zu Hause war umso mehr. „Ganz genau“, antwortete Lincoln, bevor sie zum nächsten Schlag ausholte. Auch diesmal versenkte sie den Ball auf Anhieb. Lincoln setze einen Strich neben die zwei auf Loris Seite des Blockes. „Nur zu, du bist an der Reihe“, forderte sie ihren Bruder auf, nachdem sie ihren Ball zurückgeholt hatte. Ohne zu zögern kam er ihrer Bitte nach. Diesmal wollte er es seiner Schwester gleich tun. Dieses Loch wirkte weniger schwierig, als das Erste. Man sah genau wo das Loch sich befand und musste eigentlich nur geradeaus schlagen. Das Problem war seiner Meinung nach nicht die Brücke, sondern der kleine Hügel dahinter. Schwang er den Schläger zu schwach, würde der Ball kaum das Loch erreichen. Frohen mutest schlug er den Ball, doch war sein Schlag etwas zu fest. Der Ball schoss über das Loch hinweg, prallte an einen schmalen Holzzaun dahinter ab und kam rechts neben dem Loch zum Erliegen. Glück im Unglück. Hätte der Ball nicht den Zaun getroffen, oder wäre der Schlag noch stärker gewesen hätte Lincoln ihn wohl im Fluss versenkt. Doch so recht konnte er sich nicht darüber freuen. Auch hier würde er also einen zweiten Versuch benötigen. „Scheidenkleister!“, rief er aus und trat hinüber zu seinem Ball. Lori verfolgte die Szene mit einen warmen Lächeln. Lincoln brauchte nur etwas Übung und schon würde er auch das eine oder andere «Hole-In-One» Zustandebringen. Zumindest hier auf dem Minigolfplatz. „Und wie geht es Lynn?“, nahm sie das Gespräch von vorhin wieder auf. „Ausgezeichnet. Noch immer ist sie der Star jedes Sportteams ihrer Schule. Auch weiterhin will sie nicht auf ihre Bizarren Glücksrituale verzichten und noch immer gewinnt sie fast jedes Spiel. Auch in der Schule läuft es nicht schlecht für sie. Sie ist natürlich keine Einser Schülerin, aber es ist schon ewig her, dass sie zuletzt eine schlechte Note mitnachhause gebracht hat. Ihr ist wohl klar geworden, dass es nicht ausreicht, nur ein Ass im Sport zu sein, um Chancen auf ein renommiertes College zu haben, dessen Schwerpunkt auf Sport liegt. Luan hingegen scheint ein kleines Problem mit Bennie zu haben. Ich weiß aber nichts Genaues. Nun ja… Sie erzählt mir aber auch Nichts. Am Ende ist es wohl nur ein kleiner Streit unter Liebenden, doch sie wirkt in letzte Zeit etwas niedergeschlagen. „Ernsthaft?“, fragte Lori besorgt. Ihr Plan ging besser auf, als sie sich erhofft hatte. Kaum zu glauben wie mitteilsam ihr Bruder war. Vielleicht sollte sie nachher mit Luan sprechen. „Ja. Aber das muss nicht an Bennie liegen. In letzter Zeit erlebt ihr Funny Business eine Flaute. Ich habe sie gestern auf einen neuen Comedy Club aufmerksam gemacht, der vor kurzem hier in Royal Woods eröffnet hat. Heute wollte sie dort Vorstellig werden. Wer weiß, vielleicht hat sie Glück und sie kann den einen oder anderen Liveauftritt abstauben. Wenn sie dann immer noch niedergeschlagen ist, dann ist wohl doch etwas Ernstes zwischen den beiden vorgefallen. Aber wie gesagt. Ich weiß nichts Genaues. Es könnte sein das Luna besser informiert ist. Immerhin ist sie ihre Zimmergenossin. Ich habe es bisher aber versäumt, sie auf Luan anzusprechen. Ihr habt ja oft deutlich gemacht, dass ich mich aus euren Angelegenheiten raushalten soll. Darf ich dich an das Schwesternstreitprotokoll erinnern.“ Als Lincoln seine Erzählung schließlich beendet hatte, holte er zum zweiten Schlag aus. Und diesmal versenkte er den Ball. Lori setze zwei Striche neben die Zwei auf Lincolns Seite des Blockes und sagte: „Das kannst du uns doch unmöglich noch immer übel nehmen. Das ist Jahre her… Aber da du gerade von Luna sprichst. Wie läuft es bei ihr?“ „Ob nun Jahre oder nicht, es war trotzdem nicht nett von euch, mich einfach aus meinem Zimmer zu werfen. Und es ist ja nicht so, als ob das der einzige Vorfall war. Du magst nur noch selten zu Hause sein, aber Streit gibt es trotzdem noch, das eine oder andere Mal. Und immer wenn ich euch helfen möchte, eure unsinnigen Differenzen beizulegen, bekomme ich dieselbe Antwort: Halt dich da raus.“ Mit Freuden imitierte er den Tonfall seiner Schwestern, was Lori ein Lächeln ist Gesicht zauberte. Lincoln mag dem Schwesternstreitprotokoll wenig abgewinnen können, doch er schien auf keine seiner Schwestern ernsthaft wütend zu sein. „Verstehe… Aber zurück zu Luna“, ergriff Lori wieder das Wort, nachdem Lincoln seinen Ball an sich genommen hatte. Gemeinsamen machten sie sich sodann auf den Weg zum nächsten Loch. „Nun ja. Was soll ich sagen? Ihre Begeisterung für Musik ist ungebrochen, und zusammen mit ihrer Band ist sie inzwischen eine kleine Berühmtheit. Schon das eine oder andere Mal wurde sie darum gebeten, auch außerhalb von Royal Woods für eine ausgewählte Kundschaft zu spielen. Ihr letzter Auftritt war in Great Lake City, in einem Seriösen Nachtclub nahe der Stadtmitte. Und auch mit Sam scheint es gut zu laufen. Ich habe zumindest nicht den Eindruck, als hätten die beiden irgendwelche Probleme. Sie hat allerdings auch keine Lust, nach ihrem Schulabschluss ein College zu besuchen. Mom und Dad reden ihr zwar gerne ins Gewissen, es sich doch bitte anders zu überlegen. Für den Fall der Fälle, dass aus ihrer Musikerkariere nichts werden könnte, aber stoßen damit bei ihr auf Granit. Insbesondere seitdem Luna sich für eine Fernsehshow qualifiziert hat, dessen Gewinner ein Lukrativer Plattenvertrag in Aussicht gestellt wird. Sie ist fest davon überzeugt, sie und Sam könnten die Show spielend einfach für sich entscheiden.“ „Das kann man ihr eigentlich nicht übel nehmen“, antwortete Lori. Wieder etwas Neues von dem sie bisher nichts wusste. Wie viel sich in ein paar Monaten doch ändern konnte. „Das denke ich auch, aber Mom und Dad tun mir Leid. Sie meinen es am Ende nur gut. Ich sehe auch nicht, wo das Problem liegt, ein paar Jahre Später mit ihrer Musikerkariere durchzustarten. Aber das muss Luna am Ende für sich selbst entscheiden. Ich zumindest, habe mir fest vorgenommen, mich da raus zu halten. Egal welche Seite ich auch wähle. Am Ende ist bestimmt irgendwer sauer auf mich. Und darauf habe ich ehrlich gesagt keinen Bock. „Durchaus verständlich“, antwortete Lori. Inzwischen waren die beiden Geschwister beim dritten Loch angekommen. Diesmal handelte es sich um eine kleine Burg, indessen Burghof sich das Loch Befand. Das Fallgitter war geschlossen, doch die Brücke war heruntergelassen. Ähnlich wie beim ersten Loch bestand die Schwierigkeit darin, den Ball durch eine schmale Öffnung zu spielen. Im diesem Fall irgendwie durch das geschlossene Fallgitter. Erneut würde Lori ihren Schläger als Erstes schwingen. Nach wie vor lag sie in Führung, darum galt dieses Privileg ihr alleine. Diesmal war es durchaus knifflig. In gerader Linie würde sie den Ball niemals durch das Gitter befördern können. Sie musste ihn irgendwo abprallen lassen, um seine Richtung in eine Schräge zu ändern, um ihn durch das Fallgitter befördern zu können. Tatsächlich war sie der Meinung, diesmal mehr als einen Schlag zu benötigen, doch das störte sie wenig. Umso mehr Zeit, sich mit Lincoln zu unterhalten. Lori setzte den Ball auf seinen angestammten Platz und machte sich zum Schwung bereit, doch bevor sie durchzog fragte sie: „Und wie geht es Leni in ihrem Job?“ Leni war ein Jahr jünger als sie, besuchte allerdings kein College. Bei ihr lag es allerdings nicht an mangelndem Interesse, wie es etwa bei Luna der Fall war, sondern Schlich an ihren schlechten Schulnoten. Kein College hätte Leni mir ihren Noten aufgenommen, doch ihre Ausbildung zur Kleiderverkäuferin nahm sie durchaus ernst. Und soweit Lori wusste, gefiel Leni ihre Arbeit sehr gut. Mal sehen ob Lincoln ihren Verdacht bestätigen konnte. „Leni verlässt das Haus jeden Tag mit einem Lächeln auf den Lippen und kommt am späten Nachmittag mit eben einem Solchen zurück. Sie wird außerdem nicht müde, über ihre Arbeit zu sprechen und scheint sich super mit ihren Kollegen und ihren Boss zu verstehen. Soweit ich das beurteilen kann, ist sie vollends Begeistert von ihrer Arbeit… Beantwortet das deine Frage?“ Mit jedem Wort ihres Bruders wurde Loris Lächeln breiter. Auch Leni schien es ausgezeichnet zu gehen. Mit Elan schwang sie ihren Schläger. Der Ball prallte an der linken Seite der Zugbrücke ab und rollte geradewegs durch eine der Öffnungen des Fallgitters, doch am Loch vorbei. Der Winkel des Balles war am Ende zu flach gewesen, aber damit hatte sie fast gerechnet. „Und wie das meine Frage beantwortet“, erwiderte Lori, schritt hinter die Fassette der Burg und lochte den Ball mit ihren zweiten Schlag ein. Mit einen Grinsen, setzte Lincoln zwei Striche hinter die drei. Das Lori diesmal mehr als einen Schlag benötigt hatte steigerte seine Laune. „Du bist an der Reihe, Lincoln“, forderte Lori ihren Bruder auf, dass Spiel fortzusetzen. Sie nahm ihren Ball aus dem Loch und gesellte sich sodann zu ihm. Gut gelaunt schaute sie ihm über die Schulter, doch bevor er seine Golfschläger schwang fragte sie: „Gibt es einen bestimmten Grund, warum du nicht über Lana und Lola sprichst?“ Gerade wollte Lincoln abschlagen, da hielt er Mitten in der Bewegung inne. Mit dieser Frage hätte er nicht gerechnet. Sein Verhalten machte Lori durchaus stutzig, doch sie wollte ihm die Zeit lassen, von sich aus zu antworten. Hatten die drei etwa Streit? „Ich mache mir ehrlich gesagt etwas Sorgen um die beiden.“ Zum ersten Mal am diesen Tag war so etwas wie Schrecken in ihrem Gesicht zu lesen gewesen. Als sie heute auf die Zwillinge getroffen war, hatte sie eigentlich nicht den Eindruck gehabt, sie könnten irgendwelche Probleme haben. „In letzter Zeit streiten sich die beiden überraschend häufig und durchaus heftig, ohne jedoch einen ersthaften Grund dafür zu haben. Es ist zwar nicht weiter ungewöhnlich, dass die beiden sich in den Haaren liegen, doch manchmal frage ich mich, wieso? Ich meine: Ihr anderen Mädchen habt für eure Streitereien durchaus so etwas wie einen Grund, auch wenn ich eure verdrehte Mädchenlogik nicht verstehe. Warum hatten du und Leni nochmal Zoff, als ihr beide dasselbe Kleid am selben Tag getragen habt? Doch die beiden streiten sich genaugenommen über Nichts. Es ist fast so, als ob sie es genießen miteinander zu streiten. Am Ende des Tages sind sie zwar meistens wieder die besten Freunde, aber ich habe das dumme Gefühl, irgendwann könnte das genaue Gegenteil passieren. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, oder in einem Jahr. Aber ich habe Angst, dass sich die beiden eines Tages richtig verfeinden könnten, und das möchte ich ehrlich gesagt nicht…“ Lincoln unterbrach sich selbst, um zu sehen ob Lori etwas dazu sagen möchte, doch diese deutete ihm mit einem stummen Kopfnicken an, dass er ruhig weitersprechen konnte. „Vor einigen Wochen ist Lola mal wieder in mein Zimmer geschlichen, als ich bei Clyde war. Keine Ahnung, was sie dort gesucht hat, aber irgendwann ist ihr Blick auf eines meiner Modele gefallen, an dem ich schon eine Weile lang gearbeitete habe, das aber noch nicht fertig war. Lana hat sie dabei erwischt, wie sie es in die Hand nahm, um es genauer zu begutachten, und versucht, sie davon abzuhalten. Zuerst mit Worten und als das nichts gebracht hat wollte Lana es ihr offensichtlich aus der Hand nehmen, um es zurückzustelle. Natürlich konnte Lola nicht locker lassen und eine Art Tauziehen war die Folge gewesen. Irgendwann wurde es meinem Modelflugzeug natürlich zu viel und es brach auseinander. Ich war tagelang sauer auf die beiden, als ich davon erfahren habe, doch Lola und Lana hatten sich fast eine Woche lang in den Haaren. Jeder gab den anderen die Schuld dafür, dass ich lange mit keinem der beiden etwas unternehmen wollte. Das ist aber nicht alles: Lola ist sauer, wenn ich etwas mit Lana unternehme möchte und Lana ist sauer wenn ich Lola bei ihren Schönheitswettbewerben aushelfe. Aber nicht etwa auf mich, sondern auf ihre Zwillingsschwester. Verschütteter Tomatensaft auf dem Tisch, keine Milch mehr im Kühlschrank. Die Gründe für ihre Zankereien sind ebenso zahlreich wie nichtsbedeutend. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich beinahe glauben, Lana und Lola buhlen um meine Aufmerksamkeit.“ „Vielleicht ist genau das der Fall“, ergriff Lori schließlich das Wort. Ihr geschockter Gesichtsausdruck war inzwischen zu Gänze verschwunden. Sie maß Lolas und Lanas Streitereien offensichtlich mit einem anderen Maß. Anfangs hatte sie Lincolns Erzählung mit Sorge gelauscht, doch inzwischen sah sie das Ganze mit anderen Augen. „Das kannst du unmöglich ernst meinen. Warum sollten sie so etwas Dämliches tun?“ „Lolas und Lanas Interessen sind grundverschieden, selbst dann, wenn sie Zwillinge sind. Lilly ist noch etwas zu jung. Lucy meidet nach Möglichkeit die Gesellschaft anderer. Ich bin nur noch selten zuhause, und unsere anderen Schwestern haben genug mit ihren eigenen Interessen zu kämpfen. Du bist der Einzige von uns, der sich regelmäßig Zeit für die beiden nimmt und das auch noch gerne. Durchaus möglich das Lola und Lana um deine Aufmerksamkeit buhlen. Sich zu streiten ist eine gute Möglichkeit dazu. Vielleicht hoffen sie, dass du dich irgendwann auf eine ihrer Seiten schlägst und nicht versuchst den Streit auf andere Art zu schlichten.“ „Das ist doch albern“, kommentierte Lincoln Loris Anmerkungen und schlug sodann nach dem Ball. „Und wie“, antwortete Lori gut gelaunt und verfolgte gespannt den Ball. Wahrscheinlich war es pures Glück gewesen, doch Lincoln versenkte diesen mit einem einzigen Schlag im Loch. „Hast du das gesehen“, fragte Lincoln seine Schwester enthusiastisch. Kaum zu glauben, sein erstes «Hole-In-One.» Mit Freuden setze Lori einen Stich hinter die drei ihres Bruders. „Gut gemacht. Aber sag, nachdem Ronnie Anne abgesagt hat. Was möchtest du jetzt eigentlich mit deiner zweiten Karte für diese Zaubershow in Great Lake City machen?“ „Woher weißt du davon?“, erkundigte sich Lincoln skeptisch. Lori hatte ihn doch nicht etwa belauscht? „Um ehrlich zu sein. Ich habe den Großteil deines Chats mit Ronnie Anne verfolgt. Ich war gerade auf den Weg zu meinem Zimmer, als ich sie lachen hörte. Mich hat die Neugierde gepackt und habe euch darum weiter zugehört. Wie gesagt: Die Wände in unserem Haus sind dünn. Tut mir wirklich leid. Ich konnte einfach nicht anders.“ „Darum warst du also genau im richtigen Moment zu stelle. Das ist echt unter aller Sau, Lori. Ich lausche auch nicht, wenn du mal wieder stundenlang mit Bobby telefonierst.“ „Ich weiß… Ich fühl mich auch wirklich mies, aber immerhin hat mir das dabei geholfen, mit dir ins Gespräch zu kommen. Also willst du mir nun verraten, was du mit der zweiten Karte vorhast. Oder nicht?“ Mit vorwurfsvollen Blick sah Lincoln sie an, antwortete aber dennoch auf ihre Frage: „Ich denke, ich frage Stella, ob sie mich begleiten möchte.“ „Stella?“ Von jetzt auf gleich wich sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht. Das war nicht gut. Sie konnte unmöglich zulassen, dass sich Lincoln in ein anders Mädchen verknallt. Ihre Doppelhochzeit stand auf dem Spiel. Davon mal abgesehen, war Lori eigentlich der Meinung, auch Ronnie Anne würde etwas für ihren Bruder übrighaben, aber es nicht wahrhaben wollen. „Ja… Stella. Du weißt schon: Das Mädchen aus dem Bus. Die Neue. Das coole Mädchen von den Philippinen.“ Lincoln wusste nicht recht, was er von Loris Frage halten sollte, oder warum sie sich auf einmal so seltsam verhielt, doch dann fiel ihm plötzlich etwas ein: „Oh Mist… Das habe ich doch glatt vergessen. Stella ist gerade nicht in der Stadt.“ „Wirklich nicht?“, fragte Lori erleichtert. Ein Hoffnungsschimmer am Horizont. „Ja… Sie besucht zusammen mit ihren Eltern ihre jüngere Cousine. Verdammt was mache ich jetzt. Ich habe es aufgegeben Clyde danach zu fragen, ob er mich begleiten möchte, seitdem ich weiß, dass er Zaubershows nichts abgewinnen kann. Auch meine anderen Freunde haben bestimmt keine Lust darauf. Stella war meine letzte Chance.“ „Wieso fragst du nicht Lilly?“, erkundigte sich Lori beiläufig bei ihrem Bruder. Sie wusste ihre anderen Geschwister hatten ebenso wenig etwas für Zauberei übrig, wie sie selbst. Höchstens Luan könnte noch Lust darauf haben. Doch sie kannte ihren Terminplan nicht, und ob sie Zeit haben würde. Lilly als die Jüngste von ihnen, gerade fünf Jahre alt geworden, bot sich perfekt dazu an. „Lilly? Ich weiß ja nicht… Die Show ist in Great Lake City. Glaubst du wirklich, Mom um Dad erlauben mir, sie mitzunehmen?“ Lori wusste, dass Lincoln für sein Alter sehr verantwortungsbewusst war, aber sein Einwand ergab durchaus Sinn. Doch bald formte sich eine Idee in ihrem Kopf. „Ich wollte morgen sowieso Bobby besuchen. Wenn ich euch begleite haben unsere Eltern sicher nichts dagegen. Selbst wenn ich keine Karte für die Show habe, bin ich doch in eurer Nähe. Ich denke so können wir sie überzeugen. Und Lilly würde sich sicher darüber freuen.“ „Hm… Kein schlechter Plan. Okay. So machen wir das“, stimmte Lincoln ihr zu. Sein Samstagabend war gerettete. „Danke. Ich hab immerhin vom Besten gelernt“, antwortete Lori ihren Bruder, dessen Wangen eine Nuance dunklerer wurden. Das versteckte Kompliment seiner Schwester war ihm nicht entgangen. „Gut… Da das nun geklärt ist. Wollen wir mit unseren Spiel weitermachen?“ „Jederzeit“, antwortete Lincoln. Alles was Lori von ihren kleinen Bruder in Erfahrung bringen wollte, hatte sie nun erfahren, aber das war kein Grund, den restlichen Nachmitttag sausen zu lassen. Noch über Stunden unterhielten sich die beiden lebhaft miteinander, während sie nebenbei ihr Spiel beendeten. Am frühen Abend war schließlich das letzte Loch gespielt. Am Ende hatte Lori gewonnen, doch das kümmerte keinen von beiden besonders. In erster Linie freuten sich die Geschwister über den gelungenen Nachmittag. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)