Back to December von Khaleesi26 (Eine Michi Kurzgeschichte) ================================================================================ Kapitel 7: 1 Tag vor Weihnachten - Heute ---------------------------------------- Ich flüchte nach oben und platze in das erstbeste Zimmer, das ich finden kann. Abrupt bleibe ich mitten im Raum stehen. Babyblau. Hübsche Gardinen. Kuscheltiere. Eine Babywiege. Super! Ich bin im Babyzimmer gelandet. Aber völlig egal. Ich brauche einfach nur etwas Raum, um allein zu sein und wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Ich gehe hinüber zu dem Sessel, der vor dem Fenster steht und setze mich. Er ist so bequem, dass ich mich gleich seufzend zurückfallen lasse und müde die Augen schließe. Warum bin ich eben davongelaufen? Das passt überhaupt nicht zu mir. Oder doch? Es wäre schließlich nicht das erste Mal. Auch damals schon bin ich vor Tai und seinen tiefen Gefühlen für mich davongelaufen. Man möchte meinen, ich wäre inzwischen reifer geworden. Aber offenbar überfordert mich seine Sichtweise auf unsere Beziehung immer noch. Denkt er wirklich nach wie vor, wir wären füreinander bestimmt gewesen? Das ist ein Trugschluss. Und trotzdem tut es weh, daran zu denken. In den letzten Jahren habe ich mir oft genug die Frage gestellt, ob ich damals richtig entschieden habe. Ein Klopfen an der Tür reißt mich aus meinen Gedanken. Erschrocken öffne ich die Augen und erblicke Tai direkt vor mir, der im Türrahmen steht und eine Hand in seiner Anzughose vergraben hat. Innerlich stöhne ich auf, muss jedoch auch ein bisschen grinsen. Natürlich ist er es. Hätte nicht zu ihm gepasst, mir nicht nachzulaufen. Ein zaghaftes Lächeln umspielt seine Lippen. „Denkst du, du kannst schon wieder einfach davonlaufen?“ Ich zucke mit den Schultern. „Hab’s zumindest versucht, oder?“ Tai schnaubt lachend. „Ja, das hast du. Diesmal nicht sonderlich erfolgreich.“ Dann betritt er den Raum, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Das Licht des Flures scheint in den Raum und taucht das Zimmer in eine Art Dämmerlicht. Trotzdem kann ich Tai’s Gesicht mehr als gut erkennen, als er rüber zur Babywiege geht, hineingreift und einen kleinen Plüschhund hochhebt. Gedankenverloren dreht er ihn in seinen Händen, während er ihn eingehend betrachtet. „Hast du Kinder, Tai?“, platzt es aus mir heraus, woraufhin Tai überrascht den Kopf hebt. „Kinder? Ich?“ Ich nicke zaghaft. Keine Ahnung, warum ich ihn das frage, aber irgendwie interessiert es mich. Ich habe immer noch das Bild von ihm vor Augen, wie er vor 7 Jahren war. Ich würde gerne wissen, welcher Mensch er heute ist und ob sich sein Traum erfüllt hat. „Nein, ich habe keine Kinder“, antwortet Tai schließlich kopfschüttelnd. Also keine blonden Model Kinder. Ich grinse und zucke mit den Schultern. „Schade, du wärst ein guter Vater.“ Tai lacht leise. „Vermutlich.“ „Also, haben du und deine Freundin noch keine Familie gegründet“, schlussfolgere ich und beiße mir sogleich auf die Lippe. „Äh, ich meine, du und deine … Frau? Seid ihr verheiratet?“ Sicher ist Tai längst verheiratet. Er ist definitiv der Typ dafür und hat sich sicher schnell gebunden. Tai legt den Plüschhund zurück in die Wiege und schiebt beide Hände in die Hosentaschen. „Wir sind nicht verheiratet. Oder glaubst du ernsthaft, ich habe je wieder den Mut dafür aufgebracht, nachdem du mir so eine Abfuhr erteilt hast?“, entgegnet Tai schief grinsend, als wäre es ein Witz. Ich kann nicht darüber lachen und sehe ihn einfach nur an. „Entschuldige“, räuspert er sich, als er mein starres Gesicht sieht und schaut betreten zur Seite. „Und sie ist auch nicht meine Freundin. Wir sind nur Kollegen.“ Jetzt reiße ich doch vor Überraschung die Augen auf. Nur Kollegen? Das sah aber ganz und gar nicht so aus. „Ich weiß genau, was du denkst“, meint Tai und wirkt plötzlich wieder genauso verlegen, wie der Junge der damals im Einkaufscenter vor mir stand und mich um ein Date gebeten hat. „Sora hat mich davor gewarnt es nicht zu tun. Aber ich habe sie eigentlich nur mit hierher gebracht, um dich eifersüchtig zu machen. Super kindisch, oder? Wahrscheinlich bist du immer noch erwachsener als ich. Du bist schließlich auch ohne Begleitung hierher gekommen, ohne, dass es dir peinlich war.“ Ha, wenn du wüsstest. „Ich weiß auch nicht, was ich damit bezwecken wollte“, redet Tai weiter. „Vermutlich wollte ich dir beweisen, wie gut mein Leben ohne dich verläuft. Aber das ist nicht die Wahrheit, ganz und gar nicht.“ Betreten falte ich die Hände in meinem Schoß. „Und was ist die Wahrheit?“ Ich sollte ihm diese Frage nicht stellen. Ich weiß, ich reiße gerade alte Wunden auf. Aber vermutlich waren sie schon vorher offen, bevor wir uns heute Abend wieder gegenüberstanden. Vermutlich waren sie niemals ganz verheilt. Tai hebt den Kopf und sieht mich mehrere Sekunden lang schweigend an. Ich frage mich kurz, ob er mir überhaupt eine Antwort geben wird oder ob es ihm zu viel ist. Doch dann kommt er um die Babywiege herum und direkt auf mich zu, um sich vor mir niederzuknien. Er sieht zu mir auf und trotz des gedämmten Lichts erkenne ich die Traurigkeit in seinen Augen. „Was denkst du denn, Mimi“, sagt er mit sanfter Stimme. „Du warst die Liebe meines Lebens.“ Tränen steigen mir in die Augen. Ich habe es geahnt. Vermutlich war das auch der Grund, weshalb ich ihn die letzten 7 Jahre gemieden habe. Ich wollte ihm und mir nicht noch mehr weh tun. Dabei habe ich damit alles nur noch schlimmer gemacht. „Tut mir leid“, sage ich leise, während mir eine stumme Träne über die Wange rollt, die ich schnell wegwische. „Nein“, entgegnet Tai sofort und legt eine Hand auf mein Knie. „Entschuldige dich nicht dafür. Du kannst nichts dafür, dass ich dich immer noch liebe.“ Mein Herz zerbricht. Dieser eine Satz bringt gerade alles ins Wanken, wovon ich die letzten Jahre so felsenfest überzeugt war. „Tai, denkst … denkst du wirklich, wir haben gut zusammen gepasst?“, frage ich mit zittriger Stimme, weil ich meine Gefühle kaum noch verbergen kann. „Wir waren perfekt füreinander. Das wusste ich, seit ich dich das erste Mal gesehen habe. Ich wusste schon damals, du würdest irgendwann zu mir gehören.“ Und dann habe ich ihm das Herz gebrochen. Genauso wie mir. Plötzlich seufzt Tai auf und lässt den Kopf hängen. „Ich habe danach wirklich versucht, neue Beziehungen zu führen. Für eine gewisse Zeit lief es sogar ganz gut“, vertraut er mir nun an, wirkt jedoch ziemlich geknickt dabei. Gar nicht wie der lebensfrohe Tai, den ich in Erinnerung habe. „Das Problem daran ist nur … wenn du schon ein mal so was Perfektes hattest, wird nichts, was danach kommt auch nur im Entferntesten an das heranreichen. Es wird immer nur halb so gut sein wie das, was du verloren hast.“ Er spricht mir direkt aus der Seele. Wenn er wüsste wie recht er damit hat. „Geht mir auch so“, flüstere ich mehr zu mir selbst als zu ihm, aber Tai versteht es dennoch. Ein zaghaftes Lächeln legt sich auf seine Lippen, als würde es ihn erleichtern, dass ich ebenso empfinde wie er. „Das wusste ich nicht“, sagt er und ich beiße mir auf die Unterlippe. Nein, wie könnte er auch? „Das bedeutet nicht, dass wir dasselbe fühlen, Tai“, werfe ich ein, wische seine Hand von meinem Knie und klinge dabei viel kühler als ich es beabsichtigt habe. „Du musst damit abschließen.“ Tai’s Blick verfinstert sich. Er wirkt plötzlich wie vor den Kopf gestoßen. „So wie du meinst du?“ Endlich richtet er sich auf und bringt den dringend benötigten Abstand zwischen uns, indem er einen Schritt zurück tritt. Ich stehe ebenfalls auf und nun stehen wir uns im Halbdunkel gegenüber, zwischen uns ein See an alten Emotionen und stillen Worten. Ich weiß genau wonach mein Herz sich sehnt, ich kann es deutlich spüren. Aber ich lasse es nicht zu. Ich werde diesem Gefühl nicht nachgeben. Wie könnte ich auch? Tai’s Blick bohrt sich in mich und droht, mich zu durchschauen. Als wäre er kurz davor die Wahrheit hinter der Lüge zu erkennen. Doch bevor er mich aufbrechen und mein Innerstes zum Vorschein bringen kann, gehe ich an ihm vorbei. „Mimi!“, hallt es nun ziemlich laut durch den Raum. Erschrocken bleibe ich stehen, drehe mich jedoch nicht um. Er klingt wütend. Verzweifelt. „Du kannst nicht für immer davonlaufen.“ Ich schlucke schwer. Meine Hände ballen sich zu Fäusten, weil ich es immer noch nicht zugeben kann. Ich kämpfe mit mir. Er wird mich nicht dazu bringen, jetzt einzuknicken und alles in Frage zu stellen, was vor 7 Jahren passiert ist. Wahrscheinlich hat er recht. Wahrscheinlich kann ich nicht für immer davonlaufen. Aber ich kann es zumindest versuchen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)