Konfettiregen von irish_shamrock (Eine Harry-Potter-NextGen-Fanfiction für den 25. Dezember) ================================================================================ Kapitel 1: Konfettiregen ------------------------ Konfettiregen Eine Harry Potter-Next-Gen-Fanfiction Mit schweißnassen Händen betrat Miranda McLane das Büro ihres Vorgesetzten. Ihr Traum, nach ihrem Abschluss auf Hogwarts beim The Daily Prophet eine Anstellung zu ergattern um irgendwann als Berichterstatterin für die hiesige Zeitung der magischen Welt zu schrieben, hatte sich vor zwölf Jahren erfüllt. Sie hatte etliche Klinken putzen müssen, den großen Schreibern über die Schulter schauen dürfen und sich in einigen prekären Situationen wiedergefunden, die ihr das schöne, lange schwarze Haar versengt, die Stiefel ruiniert oder gar körperliche Blessuren bescherten. Ihre Hartnäckigkeit zahlte sich aus, andere hätten wohl nach dem dritten Kurzhaarschnitt die Flinte ins Korn geworfen und sich einen sicheren Job gesucht. Doch Miranda suchte das Abenteuer. Zwar mangelte es ihr dann und wann an Rabiatheit, doch mit der Zeit entwickelte sie eine Methode, an Informationen zu gelangen, ohne den zu Interviewenden allzu nahe zu kommen. Sie war, im Gegensatz zu ihrer Kindheit und Jugend, ruhiger, besonnener doch nicht weniger zielstrebiger geworden. Und nun saß sie dem stellvertretenden Leiter ihrer Abteilung gegenüber, der sie, über die große Hornbrille hinweg, musterte, als hocke ein riesiger mackeliger Malaclaw auf dem Stuhl, statt der Reporterin. Mister Dalemuir Bancroft, der Craik Lockerbie unterstand, der wiederum den alten Barnabas Cuffe ersetzte, blickte mit banger Miene zu ihr. Miranda konnte sich noch keinen Reim auf diesen merkwürdigen Ausdruck machen. Doch Mister Bancrofts Anliegen ließ nicht lang auf sich warten: »Miss McLane, gemessen an den Jahren, die Sie nunmehr für unsere Zeitung tätig sind, haben wir, Mister Lockerbie, Misses Aviemore und ich, uns entschieden, ihre Rubrik ein wenig zu ...« Miranda schluckte sichtlich. Noch hatte der alte Mann nicht geendet und doch lagen ihr die gefallenen Worte bereits wie schwere Steine im Magen und drohten, sie vom Stuhl zu reißen. »Miranda? Miss McLane? Ist alles in Ordnung? Sie sehen schrecklich blass aus.« Die Sorge in den Worten ihres Chefs ließen sie ihren schwankenden Leib wieder in eine angemessene Position rücken. Eilig fügte Bancroft hinzu: »Miranda, hören Sie: Wir möchten expandieren.« Es kostete sie alle Mühe, die Silben in korrekter Reihenfolge aneinanderzureihen. Die dunklen Brauen schoben sich zusammen, ihre Lippen waren zur Skepsis verzogen. »Wie ... darf ich das verstehen?« »Nun«, sagte Mister Bancroft hoch erfreut, erhob sich aus dem großen Ledersessel und klatschte, wie zur Untermalung, in die Hände. »Auch wenn Ihre Artikel nur einen winzigen, verschwindend-geringen Teil unseres so hochgelobten Blattes ausmachen, sind Sie dem The New York Ghost aufgefallen. Offenbar hat Ihre Schreibe großen Eindruck auf unsere Kollegen in Übersee gemacht und man fragte an, ob Sie bereit wären, für die Feiertage nach New York zu reisen, um über die dortigen Geschehnisse zu bereichten?« Miranda öffnete den Mund, doch nicht ein Ton kam daraus hervor, also versiegelte sie ihre Lippen. »Mädchen, Sie so sprachlos zu sehen geschieht hier wahrlich nicht oft. Wenn Sie diese Neuigkeit so wortkarg auf meinem Stuhl sitzen lässt, dann -« Mister Bancroft hatte wohl allen Grund zur Sorge, denn noch immer versuchte Miranda, das zu erfassen, was ihre Ohren längst vernommen hatten. »Miranda, wir haben uns für Sie entschieden, weil ... sehen Sie es uns nach: Sie sind frei.« Miranda hob den Blick. Hastig winkte Bancroft ihren Argwohn beiseite. »Verstehen Sie mich nicht falsch. Sie sind ungebunden, haben keine kleinen Quälgeister, um die Sie sich kümmern müssten, oder Kinder.« Miranda schnaufte, empört, entrüstet und doch wurde ihr die Wahrheit deutlich auf den Tisch gelegt. »Sehen Sie es als Chance, Mädchen!« Mister Bancroft bemühte sich um Schadensbegrenzung. »In Ihnen steckt doch mehr, als diese kleinen Artikel auf der vierten Seite, gleich neben dem Kreuzworträtsel und der Werbung für magische Kosmetika.« »Dass meine Artikel auf Seite 4 landen, obliegt Ihrer Entscheidungsgewalt, Mister Bancroft!« Endlich hatte sie ihre Stimme erhoben, doch die Worte klangen böser und gemeiner als sie beabsichtigte. »Da haben Sie einen wunden Nerv getroffen, Kindchen. Nichtsdestotrotz möchten wir Ihnen die Möglichkeit unterbreiten, Ihr Potenzial voll auszuschöpfen«, fuhr Bancroft fort. Tief sog Miranda die stickige Luft in ihre Lunge, nickte ergeben. Die Sorge auf Bancrofts rundem Gesicht schwand. »Selbstverständlich nur, wenn unser kleines Projekt nicht mit ihrem Privatleben kollidiert.« Miranda verdrehte, unhöflicherweise, die Augen. Es war hinreichend bekannt, dass sie und Albus Potter dann und wann liiert waren, und je nach Tageszeit, Sonnenstand oder Wetterlage hatten sich ihre Wege getrennt. Miranda dachte nicht daran, Außenstehenden den Gefallen zu tun, sie über ihr Privatleben aufzuklären, das sich im Minutentakt änderte. Da sie sich seit Jahren mit dem Schwindelgefühl, das diese Achterbahn ins Chaos beschrieb, abgefunden hatte, wunderte es sie nun umso mehr, dass sich der Abteilungsleiter schier brennend dafür zu interessieren schien. Unnötig zu erwähnen, dass Ginevra Potter – Albus‘ Mutter – nach ihrer Quidditch-Karriere für die Sport-Rubrik schrieb und beinahe täglich einen Plausch mit der fast-beinahe-aber-vielleicht-auch-nicht-Schwiegertochter hielt. Doch Ginny hielt sich mit Äußerung, was das Liebesleben ihres Sohnes betraf, vornehmlich zurück. Eine Eigenschaft, die Miranda ihr hoch anrechnete. Miranda biss sich auf die Lippen und schüttelte den Kopf. »Nein, Sir, Mister Bancroft. Unserem Vorhaben steht nichts im Wege.« Erleichtert lockerte Bancroft die gestrafften Schultern. »Hervorragend!« Über den Tisch hinweg schob er ihr einen großen Umschlag zu. Miranda langte nach dem Kuvert. »Und wann startet meine Mission?« Mit nicht-Magiern als Eltern war ihr das Gefühl, in einem Flieger zu sitzen, nicht fremd, vor allem dann nicht, wenn es in die Ferien ging. Die Weihnachtsfeiertage hatte Miranda bei Tobey und Tereesa in Bristol verbracht. Ihr altes Kinderzimmer hatten sie nach ihrem Auszug vor fast fünfzehn Jahren, in ein Büro umgebaut. Da gab es kaum noch Platz für ein Bett und obschon das Haus der McLanes über genug Räumlichkeiten verfügte, bestand Miranda darauf, in ihrem alten Zimmer zu bleiben und auf der harten, unbequemen Ledercouch zu nächtigen. Nach der zweiten Nacht jedoch zog sie freiwillig in eines der beiden Gästezimmer. Die Einladung der Potters, Silvester bei den Weasleys zu verbringen, musste Miranda schweren Herzens absagen. Rose Weasley zählte noch immer zu ihren engsten Vertrauten und auch wenn sich die Hexe mit ihrem Cousin Albus im Clinch befand, hielt dieser Umstand Ginny Weasley nicht davon ab, den alten Fuchsbau mit Leben zu füllen. Miranda ließ sich von ihrem Vater nach London Heathrow bringen und betrat am 28. Dezember den Flieger in Richtung Westen. Nicht einmal, wenn sie mit einem Portschlüssel reiste, waren ihr die Knie so weich. Noch immer waren ihr die Beine wie Pudding, als sie aus dem Flugzeug stieg, ihre Tasche schulterte und sich zu orientieren versuchte. Den Angaben Mister Bancrofts Aufzeichnungen folgend, sollte sie jemand vom JFK International Airport abholen. Miranda reckte den Hals, doch waren nur gelbe Taxen zu sehen, die sich in Reih und Glied vor dem Ausgang bereithielten. Es war ganz und gar nicht so, wie sie aus den vielen Filmen her kannte, dass Chauffeure mit Schildern bewaffnet auf die Ankömmlinge warteten. Einheimische und Touristen drängten sich an ihr vorbei und ein Cab nach dem anderen fuhr davon. Ihr Blick glitt erst zur einen, dann zur anderen Seite. Ein frustrierter Seufzer bahnte sich seinen Weg und Miranda ließ die Schultern hängen. Sie marschierte auf das Taxi zu, das soeben am Bordstein hielt, als jemand nach ihrem Arm langte und sie tausend Tode sterben ließ. Schock und Schrecken fuhren ihr in die Glieder und sie betete, dass der Fahrer ihr zu Hilfe eilen würde, doch dieser starrte stur und starr geradeaus. Sie sah schon die Schlagzeile vor sich: Junge Frau bei Ankunft in NYC vor Taxistand ausgeraubt und bestialisch - Der Selbsterhaltungstrieb setzte ein, früh genug, um dem Angreifer eins mit ihrer Reisetasche zu verpassen, die Beine in die Hand zu nehmen und zurück ins Flughafengebäude zu rennen, um nach Hilfe zu schreien. »Miranda McLane?« Ihr schlug das Herz bis zum Hals. Sie wandte sich nach dem Fremden um und erschrak, als dieser von ihr abließ und ein kleines Pappschild mit ihrem Namen emporhob. »’Tschuldige, die Verkehrslage ist die Hölle.« Der Mann, der ihr gegenüberstand, hochgewachsen, dunkle Haut, die Crochet Braids im Nacken zusammengebunden, ein New Wayfarer-Gestell auf der geraden Nase, ließ blendweiße Zähne erkennen, als er die Lippen zu einem entschuldigenden Lächeln bog. Höflich reckte er ihr die Hand entgegen. »Rasken Huxleigh, aber nenn mich Ken, das macht es für alle leichter.« Miranda blinzelte verdutzt, erwiderte die Begrüßung mit zitternden Fingern. »Uh, Girly, war es so kalt im Flieger?« Die Lockerheit in Raskens tiefer Stimme ließ ihr die Mundwinkel zucken. Nervosität und Angst wichen der Erleichterung. »Ja und nein. Fliegen macht mir nichts aus, nur war es etwas einsam hier«, entgegnete Miranda. Rasken kratzte sich am Kopf. »Ja, das tut mir leid, aber man hatte mich erst gestern informiert, dass wir Besuch von der britischen Insel bekommen. Du weißt ja, Weihnachten und so. Da wird selten gearbeitet, auch wenn wir immer auf dem Sprung sind, damit uns keine gute Story entgeht.« Verstehend nickte Miranda seine Worte ab. »Wie dem auch sei: Willkommen in New York City, Girly. Ein Mal hier – und du willst nie wieder weg! Ich versprech’s dir!«, tönte ihr Kollege, langte nach ihrer Tasche und bedeutete mit einem knappen Fingerzeig zur rechten Seite. »Apparieren macht dir doch nichts aus, oder? Wir hätten euch gern einen Portschlüssel zur Verfügung gestellt, aber der Große Teich macht das Reisen schwer. Es sind schon verdammt häufig Touristen einfach so im Atlantik gelandet.« »Habt ihr sie herausfischen können?« Ihr wurde ganz schwummerig bei dem Gedanken, im eisigkalten Wasser auf Hilfe hoffen und warten zu müssen. Rasken zuckte die Schultern. »Je nachdem, wer wo hineinfällt, ist das jeweilige Land zuständig.« Am Ende des langen Gebäudes, lotste er Miranda abermals zur rechten Seite, vergewisserte sich, dass niemand Notiz von ihnen nahm und disapparierte mit ihr auf direktem Wege in das Herzstück des NY-Ghost. Von Außen betrachtet, glich das Gebäude des the New York Ghost einem ramponierten, in die Jahre gekommenen Lagerhaus am Rande Brooklyns. Dicht an dicht drängten sich zu beiden Seiten ähnliche Abbilder dieses Bollwerks. Löcherige Wellblechdächer, eingeworfene Fensterscheiben, Unrat, der durch die Straßen fegte, als sei dieser Ort völlig vom Rest des Bezirks abgeschnitten. Ohne Zögern betrat Rasken das marode Bauwerk und deutete auf eine Metalltreppe, die zu einem Büro in der oberen Etage führte. Nur langsam stieg Miranda die Stufen empor, während das Metall unter der Last der Gäste ächzte. Sie konnte problemlos auf einem Besen reiten und einen Quaffel durch einen der hiesigen Ringe werfen, doch Leitern und Treppen erklimmen, deren Sprossen und Trittflächen uneingeschränkte Sicht auf den Erdboden freigaben, jagten ihr Schauer über den Rücken. Ihr Magen rumorte protestierend, ihre Finger klammerten sich an den eiskalten Handlauf. »Ist mit dir alles in Ordnung, Girly?« Rasken wandte sich nach ihr um. Die Blässe auf ihrem Gesicht ließ sich, zu Mirandas Leid, nicht länger leugnen. »Mir ist ein wenig schwummerig«, gestand sie. Rasken winkte ab. »Wir sind gleich oben, dann hast du’s geschafft!« Seinen Worten ließ ihr Kollege Taten folgen und stieß die einzige Tür auf, die sich ihnen, am Treppenabsatz angelangt, in den Weg stellte. Die verkratzen Lettern auf der milchigen Glasscheibe verwiesen auf das einstige Büro irgendeines Direktors. Bis auf einen alten Schreibtisch, der sich wacker auf drei Beinen hielt und bei jedem Schritt, den die Neuankömmlinge taten, gefährlich schwankte, waren vier Spinde am hinteren Ende des Raumes auszumachen. Verbeulte beschmierte Fronten starrten ihnen entgegen. Staub und ein unangenehmer Geruch stiegen ihr in die Nase. Den Nieser konnte sie nicht länger zurückhalten. »So«, sagte Rasken und trat auf den dritten der vier Schränke zu, drückte knapp gegen das Metall der schmalen Tür. Miranda erhaschte einen kurzen Blick ins Innere des Spinds. Bis auf einen Mopp und einen löcherigen Putzeimer war nichts Magisches zu sehen. »Das ist Tarnung«, erklärte Rasken, der ihren fragenden Blick bemerkte. Miranda nickte verstehend. »Habt Ihr so etwas nicht?« »Wir, ähm«, hob sie an, »haben eine Backsteinmauer hinter einem Pub.« »Ach ja?« Ehrliche Neugierde schwang in seiner Frage mit. Wieder schenkte Miranda ihm nur ein knappes Kopfnicken. »Okay, Girly, ich sehe schon: Dir ist kalt und Hunger hast du sicherlich auch. Also ich schon. Dann machen wir uns mal auf den Weg.« Der Journalist griff in seinen Mantel, zog einen Zauberstab daraus hervor und klopfte in einem seltsam klingenden Rhythmus gegen die Metallwand im Schrankinnern. »Dieser Song ist nicht notwendig, aber ich mag ihn«, erklärte ihr Kollege und ließ abermals die blendend weiße Zähne aufblitzen. Rasken schob den Gast ein wenig beiseite. Verdutzt blinzelte Miranda gegen sein Vorhaben an. Doch der starke Luftzug, der plötzlich aus dem Schrank auf sie zuhielt, und ihnen kräftig um die Ohren wehte, ließ sie einen spitzen Schrei ausstoßen. »Keine Panik, das passiert immer. Eine Art Abwehr, falls No-Majs auf die Idee kommen, die Schränke mit Stöckern zu malträtieren und vielleicht noch den richtigen Ton treffen.« Rasken verdrehte die Augen. Die Augenbrauen zogen sich ihr fragend zusammen. »No-Majs? Nennt ihr so eure Muggel?« Rasken neigte den Kopf. »Was sind Muggel?« »Sicherlich das, was für euch die No-Majs sind. Nichtmagier.« Miranda zuckte mit den Schultern. »Aber ist dieser Wind nicht ein wenig ... gefährlich? Macht er die No-Majs nicht erst recht neugierig?« »Unser laues Lüftchen erkennt Zauberer und Hexen, aber ein sicheres Indiz ist und bleibt wohl immer noch dieses gute, alte Hilfsmittel«, erklärte Rasken und hob seinen Zauberstab in die Höhe. »Aha, wie ein Metalldetektor, nur ... andersherum?« Auch wenn die Verschleierungsmechanismen anders waren als Daheim, begriff Miranda, dass die Hexen und Zauberer hierzulande ihre Methoden hatten, sich unerwünschte Gäste vom Leibe zu halten. »So in etwa, ja. Du liebe Güte, da leben wir alle in der selben Welt und wissen doch so wenig von einander.« Sein Lachen klang hallend von den Wänden wider. »Sei unbesorgt, Girly, wir haben unsere Möglichkeiten, dass niemand unbefugt in die Zentrale des NY-Ghost eindringen kann. Wir umnebeln ihnen gewissermaßen das Hirn und später können sie sich nicht mehr daran innern, in diesem Lagerhaus gewesen zu sein. Für solche Fälle hat das Ministerium extra eine eigene Abteilung.« »Sehr beruhigend«, sagte Miranda, sichtlich erleichtert. Ohne weitere Vorrede, trat Rasken in den Schrank und Miranda folgte ihm nach. Wie Rasken ihr erklärte, arbeitete nur die halbe Belegschaft. Er führte sie durch die Räumlichkeiten der Redaktion, grüßte hier und dort ein paar vereinzelte Kollegen und begleitete sie bis vor das Büro seiner Chefin. Er gebot ihr, auf sie zu warten, bis alles Weitere mit Misses Harper-Perkins abgeklärt sei. Deena Harper-Perkins bekleidete dieselbe Position, wie Craik Lockerbie. Sie war Herrin und Meisterin über jedes gedruckte Wort, das der NYG herausgab. Das Klackern der Schreibmaschinen drang bis in das Zimmer hinauf, dessen Einrichtung mit schlichter Eleganz bestach. Gänzlich anders, als das Büro von Dalemuir Bancroft, das sie nur mit mulmigem Gefühl betrat. »Wir freuen uns sehr, dich bei uns zu haben«, gebot ihr Misses Harper-Perkins, erhob sich aus dem Ledersessel, umrundete den großen Schreibtisch und langte nach den klammen Fingern des Gastes. Diese großherzige Offenheit war ihr bereits bei Rasken Huxleigh begegnet. Britische Etikette schien ihr fehl am Platze zu sein. Miranda scheuchte überwältigtes Inneres zurück und hob die Lippen zu einem ehrlichen Lächeln. »Dale war alles andere als erfreut, als ich darum bat, diese junge Frau kennenzulernen«, erläuterte Misses Harper-Perkins. »Misses -«, begann Miranda und wurde jäh unterbrochen. »Nenn mich Deena, oder noch beeser: D. Wir sind hier nicht so verklemmt, wie es vielleicht den Anschein hat«, fuhr die Redaktionsleiterin fort und ließ ein helles Lachen erklingen. Die Dame, die vor ihr stand, schlank, groß, strohblonde, toupierte Mähne, glich nicht nur einem Supermodel, sondern auch, beängstigenderweise, der Country-Sängerin Dolly Parton, deren Musik durch das kleine Haus in Bristol schallte, wann immer ihr Dad die alten Platten auflegte. Miranda schätze die Frau auf etwa zweiundfünfzig, doch waren Benehmen und das Äußere als fast jugendlich zu beschreiben. »Mister Bancroft möchte, dass ich das Spektakel am Times Square einfange und meine Eindrücke in einem Artikel festhalte«, sagte Miranda und ließ sich in den Sessel vor dem Schreibtisch nieder. Deena Harper-Perkins setzte sich ihrerseits wieder an ihren rechtmäßigen Platz und faltete die langen, dünnen Finger unters Kinn. »Das ist mir bekannt. Wir haben für dich ein Zimmer in der Nähe zum Times Square reserviert. Das Hotel wird von ein paar sehr netten No-Majs geführt.« Dankend nahm Miranda das Angebot an. »Darüber hinaus«, fuhr Misses Harper-Perkins fort, »möchten wir, dass dein Artikel auch in unserer Zeitung erscheint.« »Puh«, seufzte Miranda und spürte den brennenden Blick der Hexe auf sich. »Bitte, verzeihen Sie.« Deena winkte ab. »Nur kein Druck, hm?« Kurz verengte Miranda die Augen. »Können Sie Gedanken lesen?« Wieder wehte das helle Lachen durch das Büro. »Schätzchen, du bist nicht die erste Reporterin, die hier vor mir sitzt und der der Angstschweiß ausbricht. Einst habe ich auf diesem Platz gesessen, der bei Weitem nicht so angenehm am Popo war, wie es dieses geschmeidige Leder jetzt ist. Wir wollen eine internationale Verbindung schaffen. Etwas spät, ich weiß. Nichtsdestoweniger interessiert es mich, was jemand davon hält, dem all das hier neu ist, femd. Wie er empfindet, welche Gedanken ihn beim Zusammenprall unserer Kulturen durch den Kopf gehen!« Deenas übersprudelnde Energie übertrug sich auf die vom Jetlag geplagte Reporterin. Dem Wunsch seiner Vorgesetzten entsprechend, fungierte Rasken als Stadtführer. Zu Mirandas Verblüffung reisten sie nicht mit Portschlüssel oder apparierten, sondern nahmen die U-Bahn und tingelten in Windeseile die wichtigsten Sehenswürdigkeiten, die die Insel Manhattan bot, ab. Sie bemerkte, dass sich Zauberer und Hexen mit zunehmendem Kontakt zu Nichtmagiern den Gewohnheiten anpassten, um nicht aufzufallen. Alles erschien ihr schrill, laut und überdimensional. Die Hektik der Einheimischen, gemischt mit staunenden Touristen oder Neuankömmlingen, die hier nach ihrem Glück suchten. Vor dem 30 Rockefeller Plaza, mit dem hiesigen, leuchtenden Weihnachtsbaum, gönnte Rasken ihr eine Verschnaufpause. »Zu viele Eindrücke, hm?« Rasken reichte ihr einen Becher. Dankbar nahm Miranda ihm die heiße Schokolade ab, deren süßlicher Duft ihr eine wahre Wohltat war. Um dem nachweihnachtlichen Trubel zu entgehen, suchte er ihnen ein ruhigeres Plätzchen. Miranda wärmte ihre klammen, behandschuhten Finger am Becher und gönnte sich einen Schub schokoladiger Endorphine. »Wenn wir Glück haben, dann schneit es«, sagte Rasken mit Blick in den Himmel. »Wann? Heute?«, fragte sie und hob den Kopf, um es ihm gleichzutun. »Nee, Girly, passend zum Jahreswechsel«, erklärte er und ließ wieder die Zähne blitzen. Mit einem verträumten Lächeln starrte Miranda in die Reste der heißen Schokolade. »Schnee, so was hatten wir lange nicht mehr.« Rasken kratzte sich am Hinterkopf. »Ah, richtig, seltsame Klimazone, hm? Na ja, dafür werden wir hier, wenn es richtig schlimm wird, wirklich unter Tonnen von Schnee begraben. Ich kann dir Geschichten erzählen!« Miranda entkam ein schnaubender Laut und sie schüttelte den Kopf. Sie ließ sich noch ein paar Straßen weiter lotsen, bis ihr die Beine schwer wurden und die Müdigkeit ihren Tribut forderte. Rasken brachte sie bis vor ihre Unterkunft, die nur wenige Querstraßen vom berühmten Times Square entfernt lag und verabschiedete sich für den morgigen Tag. Deena behielt recht, denn das Hotel war klein, aber gemütlich und erinnerte sie an zuhause. Es ergab sich, dass die Besitzer, Mister und Misses van der Laan, vor gut dreißig Jahren aus den Niederlanden nach New York City kamen und die Tochter der beiden ein ebenso kleines Hotel in West Somerton betrieb. Nach einem netten Plausch zeigte man ihr das Zimmer und Miranda sank zufrieden aber erschöpft in die Kissen. Der neue Morgen zeigte sich diesig und merklich kühler, als der Tag zuvor. Vielleicht, so spekulierte sie, wäre etwas Wahres an Raskens Worten. Nach dem Frühstück machte sich Miranda daran, mit Block und Stift die Straßen zu erkunden, immerhin wollte ein Artikel geschrieben sein, der neugierige Seelen über den Großen Teich lockte. Mit ihrem Kollegen würde sie sich zu Mittag in einem der vielen Restaurants treffen, so blieb ihr genug Zeit, sich auf eigene Faust mit der Stadt, dieser Insel, vertrautzumachen. Gern hätte sie auch die anderen Bezirke kennengelernt, doch die Dauer ihres Aufenthalts war nur kurz, sodass der Rückflug noch am ersten Tag des neuen Jahres auf ihrer Agenda stand. Sie zog von Süd nach Nord, in Richtung Central Park, notierte ihre Eindrücke, und war sich dennoch bewusst, dass ein weiterer Reiseführer nicht Ziel ihres Vorhabens sein sollte. Sie pickte sich ein paar Passanten heraus, Muggel, wie ihr auffiel, erläuterte ihnen den Grund ihres Interesses und bedankte sich, nach wenigen Minuten, für das Gespräch. Nach weiteren drei Interviews gönnte sie sich einen Becher Kaffee und machte sich dann auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt. Mit amüsiertem Lächeln auf den Lippen begrüßte er die Kollegin aus Übersee. Nase und Wangen waren vor Kälte gerötet und Miranda klagte über das frostige Wetter. Wortlos überreichte sie Rasken ihre Notizen, sobald ein Tisch frei geworden war und sie einen guten Platz am Fenster ergatterten. Raskens Augenbraue hob sich skeptisch, sobald er ihre geschriebenen Worte erfasste. »Ich weiß, ich soll meine Empfindungen schildern, aber ich dachte, es schadet nicht, auch andere Meinungen einzufangen«, erklärte sie. »Nein, das ist es nicht«, gab er zurück. »Es sind diese Notizen, selbst die lesen sich wie ein Lied. Hast du mal überlegt, Nachrichtensprecherin zu werden? Die Sender würden sich um jemanden wie dich reißen.« »Findest du?« Misstrauen zierte ihr Gesicht. »Allerdings lesen Nachrichtensprecher nur von einem Teleprompter ab. Was sollte ich da anders machen?« »Girly, hier bei uns, mit diesen melodischen Worten, könntest auch ein Telefonbuch vorlesen.« Sein Lachen drang ihm kräftig aus der Kehle. »Glaub mir, die Leute würden es sich gegenseitig aus den Händen reißen!« »Ich habe Lampenfieber«, murmelte Miranda und bedankte sich bei der Bedienung, als diese ihr Wasser nachschenkte. »Im Schultheater hatte ich nur kleine Rollen. Ich war auch Zweitbesetzung, doch Kimberly Metcalf wurde einfach nicht krank.« Schnaubend schüttelte Rasken den Kopf und gab ihr die Notizen zurück. »Überleg es dir, Girly. Aber wenn du vorerst bei deinem Artikel bleiben möchtest, geht das auch in Ordnung.« Ihre Geschmacksnerven litten ein wenig unter den neuen Eindrücken, wenn selbst Kaffee und Tee so anders waren. Nach einem erfolgreichen, stärkenden Mittagessen, führte sie Rasken zu dem Schauplatz, der in wenigen Stunden voller Menschen wäre und alle gebannt und gespannt den Stars und Sternchen aus den Medien lauschten. »Die No-Majs machen jedes Jahr ein riesen Spektakel daraus«, klärte er sie auf und verwies auf die lange Meile, auf der bereits Absperrungen errichtet wurden. »Jeder will mit dabei sein, vorn stehen, seine Idole bewundern. Doch die meisten kommen wegen des Ball Drop.« Miranda neigte den Kopf. »Deswegen bist du doch hier, Girly. Wegen dieser Show. Es ist das Highlight des alten und des neuen Jahres.« Miranda schluckte. Es juckte sie in den Fingern, und doch mischten sich Zweifel unter die Aufregung. Wäre ihr Talent ausgefeilt genug, um den Geschmäckern gerecht zu werden? Was würden die Leserstimmen sagen, sowohl in der Heimat, als auch hier, wenn ihre Empfindungen nicht aussagekräftig wären? Artikel sollten sachlich und rational, ohne Emotionen und Wertung geschrieben werden. Und doch verlangte Deena, dass sie ihre Wahrnehmungen in den Artikel einfließen ließ. Wieder kehrte dieses nervige, flaue Gefühl in der Magengegend zurück. »Ist dir schlecht? Willst du dich setzen?« Ihr aufmerksamer Begleiter langte nach ihrem Arm und führte sie zu einer nahegelegenen Bank. »Ich ... ich schaffe das nicht!«, keuchte Miranda und spürte, wie ihr das Herz raste. Verwirrung zierte sein Gesicht. »Girly, nach meinen Informationen hast du schon über Schlimmeres berichtet.« »Nein, ich ... wie soll ich diesen Artikel schreiben, ohne jemandem auf die Füße zu treten?« Japsend rang sie nach Luft. Raskens Augenbraue hüpfte empor. »Girly, höre ich da etwa Selbstzweifel heraus? Bleib locker und schreib, wie du immer schreibst.« Die Schultern sackten ihr ein. Tief sog sie die kalte in ihre Lunge. Sie musste die Ruhe bewahren, einen klaren, kühlen Kopf behalten. »Du ... hast recht«, gestand Miranda ihm zu, doch dann verfiel sie in hysterisches Kichern. »Und wenn es nichts wird, dann bin ich meinen Job los.« »Dir bliebt dann immer noch eine Fernsehkarriere«, sagte Rasken und zuckte die Schultern. Die Tage verstrichen. Am Abend vor dem 31. Dezember, lud Rasken sie, im Beisein anderer Kollegen, zu einer Bartour ein. Sie hatte ihn gewarnt, dass sich mit brummendem Schädel schlecht schreiben ließe und sie womöglich an Gedächtnislücken leide, wenn der Alkohol floss. Doch Rasken versprach, Sorge zutragen, dass keiner von ihnen aus dem Rahmen fiele. Mit der Sperrstunde trennten sich auch die Wege der Journalisten. Abermals begleitete er sie bis vor ihr Hotel und war Gentleman genug, dass der junge Morgen nicht in einem Desaster mündete. Sie solle Schlaf nachholen und sich ausruhen, um am Abend guter Dinge zu sein. Miranda folgte seinem Rat und ließ sich von Islesona Chadwell, einer alteingesessenen Schreiberin für Kochrezepte und Lifestyle, dazu überreden, einen Wellnessnachmittag einzulegen, um nicht nur entspannt, sondern auch aufgebrezelt auf der Party vor dem One Time Square aufzutauchen. Islesonas zeigte sich freundlich aber auch nervenzehrend sensationssüchtig. Vielleicht gehörte eine übergesunde Portion Neugierde dazu, um über den Lifestyle berühmter Hexen zu schreiben. Islesona ließ sich die Verspannungen wegrubbeln, als sie sich ungeniert nach dem Leben Mirandas erkundigte. »Ich warne dich vor, Schätzchen, unser Ken lässt nichts so schnell vom Haken, wenn erst einmal etwas angebissen hat«, plapperte sie und keuchte schmerzlich, als der Masseur mit Namen Cliff einen kniffeligen Punkt erwischte, der sie Sternchen sehen ließ. Miranda, auf der Liege neben ihr, seufzte seelig, als die Dame endlich die Finger von ihr nahm. »Ich bin vergeben. Nun ja, so gut wie ...« Islesona horchte auf. »Frisch getrennt und neu verliebt?« »Nein, eher ... langwierig und ... irritierend«, murmelte sie und setzte sich auf, nicht ohne sich das Badetuch um den halbentblößten Leib zu schlingen. Islesonas Interesse für Klatsch und Tratsch schien ungebrochen, doch Mirandas Lippen blieben versiegelt. Die Begeisterung für dieses Event zog nicht nur die Nichtmagier an. Hier und da deutete die kleine Gruppe auf bekannte Gesichter der Zaubererwelt, die Miranda jedoch wenig sagten. Angestellte des MACUSA, lokale Berühmtheiten, Sänger und Schauspielerinnen mischen sich unter die Leute, sodass die Magie des Abends ihren eigenen Zauber tat. Die Stunden verstrichen, doch das Warten ermüdete sie, all dem Wellness zum Trotz. Ungeduldig hüpfte Miranda von einem Bein aufs andere. Noch nie hatte sie Silvester allein unter Fremden verbracht. Sie war den Fuchsbau gewohnt, Partys in Bristol und Umgebung. Und selten trug sie so viel am Leib, wie an diesem Abend. Die britischen Mädchen, junge Frauen oder auch jene in ihrem Alter, zogen es vor, trotz eisiger Temperaturen in kurzen Röcken durch die Bars zu streifen, junge Männer zu küssen oder sich in den Armen ihrer Liebsten wiederzufinden. Kurz fragte sie sich, ob Ginny ihm die Information weitergetragen hatte, dass sie Außerlandes sei, und wenn nicht sie, ob Rose ihn zurechtwies und darauf pochte, dass endlich einmal ein Schlussstrich unter dieses Hickhack namens Beziehung gezogen wurde. Er war viel unterwegs, suchte nach Zutaten, die seinen Lebensunterhalt sicherten. Dann und wann fragte das St. Mungo, ob er den dortigen Tränkemeistern unter die Arme greifen könne. Er tat es, natürlich. Doch auch sie hatte ihr Päckchen zu tragen. War für ihre Arbeit quer durch das Land gereist, hatte Fragen gestellt und Worte geschrieben. Selten sahen sie einander und wenn, dann jagte ein Streit den nächsten, als seien sie die Treiber bei einem wichtigen Quidditchspiel. Miranda seufzte, doch die Gedanken schwelten nicht lang, die Zeiger krochen unermüdlich auf den Höhepunkt des Jahres zu. Unruhe wog durch die Menge. Finger deuteten auf den großen Ball, der binnen weniger Minuten seinen Weg gen Boden antreten solle. Miranda versuchte, sich die Atmosphäre einzuprägen, verspürte das Kribbeln der Vorfreude in ihrem Bauch. Die Spannung wuchs, als der Ball Drop zischend herabgelassen wurde und die Sekunden des alten Jahres verscheuchte. Die Meute zählte den Countdown herunter und sobald der neue Tag begann, sangen die Besucher, fielen einander in die Arme oder tauschen überraschte Küsse mit Fremden aus. Miranda blieb von allzu vieler Herzlichkeit verschont. Als Rasken an sie herantrat, schüttelte sie ihm, des Anstands wegen, die Hand. Dennoch war es Islesona, die sie innig an sich drückte und ihr überschwänglich einen Kuss auf die Wange platzierte. Raskens lachen hallte ihr, trotz des Gesangs, in den Ohren nach. Er deutete zum Himmel hinauf. Sie reckte die Nase empor, als kleine Flocken ihren Weg in Richtung Erdboden suchten und sich mit den bunten Konfettischnitzeln mischten. Sie würde wiederkommen, irgendwann. Ob mit Albus oder ohne ihn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)