Bruder von Lady_Ocean ================================================================================ Kapitel 6: Konfrontation ------------------------ “JIN LING!!” Jiang Cheng heulte auf wie ein verletztes Raubtier, als er seinen Neffen bewusstlos am Boden liegen sah. Er sprang von Suibian, vergaß die Taubheit seines rechten Beines, stürzte neben dem Jungen ins Laub, rappelte sich wieder auf und überprüfte Atmung und Puls. Nur bewusstlos. Tränen der Erleichterung wollten sich einen Weg nach außen bahnen, doch Jiang Cheng verbot sich solch eine Sentimentalität und untersuchte Jin Ling weiter.  Sein Atem stockte. Er wollte nicht glauben, was er hier spürte, doch die Tatsachen waren eindeutig. Das ist Wei Wuxians Werk?! Aus mehreren Wunden waberte tiefschwarze Energie. Ihre Signatur würde er überall wiedererkennen. Der Schmerz, der ob dieser Gewissheit sein Herz durchbohrte, ließ Jiang Cheng vollends begreifen, wie tief er Wei Wuxian wieder in sein Herz gelassen hatte, trotz aller Versuche, ihn und ihre schwierige Vergangenheit hinter sich zu lassen. Er hatte es nicht gekonnt. In seinem tiefsten Innern hatte er an Wei Wuxians Aufrichtigkeit glauben und die Zerrüttungen zwischen ihnen überwinden wollen. Doch nun lag diese Hoffnung endgültig in Trümmern. Zittrig umklammerte er die bleiche, mit kaltem Schweiß überzogene Hand seines Neffen, presste sie gegen seine Stirn, verzweifelt um Fassung ringend, während die Welt um ihn herum zerbrach. Er hatte Wuxian vertraut. Nach über einem Jahrzehnt, das er ihn als die Verkörperung des Bösen gehasst und für all das Unheil in der Nachtlosen Stadt, für Yanlis und ZiYuans Tod verantwortlich gemacht und als Verräter an seinem Clan, seiner Familie und an ihm selbst verabscheut hatte, hatte sich seine Sicht auf die damaligen Geschehnisse zu ändern begonnen. Und mit dem Eingeständnis, dass er ihm Unrecht getan hatte, waren die Gewissensbisse gekommen, welche ihn nun Nacht für Nacht heimsuchen. Und jetzt?! Jetzt kam er sich vor wie der dümmste, blindeste Narr, den die Kultivatorenwelt je gesehen hatte, und kauerte vor dem bewusstlosen Körper seines Neffen, seines letzten Familienmitglieds. Sein Herz und sein Verstand zerrissen einander in einem erbarmungslosen Kampf, so rasend, dass es ihm die Sinne raubte. WARUM?! Sollte tatsächlich alles, was Wuxian seit seiner Wiedergeburt getan hatte, reine Heuchelei gewesen sein? Ein Spiel zum Zeitvertreib? Ein perfider Plan, um sich dem wachsamen Auge der Gesellschaft zu entziehen und seine wahren Absichten verwirklichen zu können? Jin Guangyao hätte wahrlich nicht vor solchen Mitteln zurückgeschreckt, hätte Jiang Cheng sich ihm gegenüber eine Schuld aufgeladen, wie er sie gegenüber Wuxian trug. Doch sollte Wei Wuxian am Ende aus demselben Holz geschnitzt sein? Doch je länger Jiang Chengs Blick auf der blassen, gegen die verfluchte Energie kämpfenden Gestalt seines Neffen ruhte, desto stärker sah er sich gezwungen, seinen Blickwinkel zu ändern. Der Beweis, dass er sich geirrt hatte, lag vor ihm – und wäre wahrscheinlich nicht nur verwundet und bewusstlos, sondern tot, wenn ihm nicht ein großer Zufall zu Hilfe gekommen wäre. Wahrscheinlich hatte Fairy seinen Meister in letzter Sekunde beschützt und Wuxian in die Flucht geschlagen. Wäre Jin Ling tatsächlich gestorben – Jiang Cheng hätte diesen Verlust nicht überstanden. Das war auch Wei Wuxian klar. Und gäbe es eine bessere Chance, Jin Ling zu ermorden und ungeschoren davonzukommen als während einer Nachtjagd gegen solch ein Biest? Wahrscheinlich hatte dieser Leichenschänder bei diesem dubiosen Monster ebenfalls seine Finger im Spiel gehabt und das Ungetüm auf Langya losgelassen. Denn nach allem, was Wuxian selbst widerfahren war - wie könnte er nicht nach Rache dürsten? “Wei Wuxian!!!” Seine Zähne knirschten, die Knöchel seiner zitternden Fäuste knackten vor unterdrückter Wut. Wie gerechtfertigt Wei Wuxians Hass auf ihn auch sein mochte, er würde sich nicht fügen und auf seinen Tod warten. Und ganz sicher würde er Jin Ling nicht in diese Sache hineinziehen. Das betraf allein ihn und Wuxian. Und es würde heute enden. Jiang Cheng streifte Zidian, den er inzwischen offiziell seinem Neffen vermacht hatte, von Jin Lings Finger und steckte ihn sich selbst an. Aus seinem Speicher-Beutel nahm er zwei reinigende Talismane, legte einen über Jin Lings Arm und einen über seine Schulter, wo die Verunreinigungen durch die negative Energie am intensivsten waren. Er aktivierte sie, erhob sich, zog eine schützende Barriere und ließ seinen Blick für einige weitere Augenblicke auf seinem Neffen verweilen. Dann riss er sich von dem Anblick los, folgte der dichten Spur negativer Energie bis zu einer nahen Höhle. Bitterkeit verfinsterte seinen Blick, so wie sie ihn schon einmal umklammert hatte, als er, an einen Höhleneingang lehnend, zum letzten Gefecht gegen den Yiling-Patriarchen aufgebrochen war. Zidian leuchtete gleißend hell auf, als er hineinstürmte. Der Bastard stand nur wenige Meter entfernt  und schien unvorbereitet. “Jiang Cheng? Gott sei Dank bist du hier! Hier ist-” Jiang Cheng gab nichts auf diesen lächerlichen Ablenkungsversuch und ließ die Peitsche niederschmettern. Doch statt seines Ziels sprengte Zidian lediglich eine tiefe Furche in den Fels. Wei Wuxian war im letzten Moment zur Seite gesprungen. Aber das würde ihm nicht immer gelingen. “Was soll das?!” Jiang Cheng ignorierte sein Schauspiel des Unschuldslamms. Ohne zu zögern zuckte Zidian erneut durch die Luft, ging krachend nieder, ließ die Höhle erzittern. Jedoch zerschlug er wiederum nur die Felswand. Wei Wuxian hatte sich erneut mit einem Hechtsprung in Sicherheit gebracht. “JIANG CHENG!!! Bist du wahnsinnig?!” “ICH bin wahnsinnig?!”, entfuhr es ihm, Zidian erneut nach seinem Ziel jagen lassend. “Wenn DU meinen Neffen ermorden willst?” “Was…?” Wei Wuxian entgleisten die Gesichtszüge. “Jiang Cheng, bist du dumm?” Wieder schlug die Peitsche in die Felswand ein, doch diesmal änderte Wei Wuxian seine Taktik. Kurz neben dem Einschlag kam er zum Stehen und packte Zidian mit der bloßen Hand. Ihre Qis explodierten, sandten mächtige Druckwellen durch den engen Raum. “Wie kommst du auf so einen Irrsinn?!”, rief der Dämonenmeister entrüstet, doch von solch einem billigen Schauspiel würde Jiang Cheng sich nicht täuschen lassen. “Dein Qi spricht für sich, Bastard!”, ließ er sich dennoch zu einer Erwiderung hinreißen. “Ich musste es einsetzen, sonst-” Jiang Cheng war diese Ausreden so leid! Ein weiterer mächtiger Schub seines Qi ließ Zidian gleißend aufleuchten, die Höhle erneut erbeben, und endlich begann sich das Blatt zu wenden! Wei Wuxian ging in die Knie, das Gesicht vor Schmerz verzerrt. Doch plötzlich wurde aus dem Donnern ihrer aufeinanderprallenden Energien ein knirschendes Dröhnen und Bersten, das dem tiefsten Innern des Gesteins zu entspringen schien. Beide zuckten zusammen. Risse sprengten Wände und Decke, Erde und Steine rieselten herab als Vorboten dessen, was in wenigen Augenblicken auf sie niederstürzen würde. Vergessen war der Kampf, als sie gleichzeitig zum Sprint ansetzten, um der einstürzenden Höhle zu entkommen. Doch Jiang Cheng kam nicht weit. Ein gleißender Schmerz explodierte in seinem verletzten Knöchel und brachte ihn zu Fall. Sein frustrierter Fluch wurde von der donnernden Katastrophe verschluckt, die in diesem Moment über ihn hereinbrach. Decke und Wände gaben nach, doch hörte und spürte er mehr, als dass er sah, wie die Felsbrocken um ihn herum niedergingen; Erde und Staub nahmen ihm die Sicht. Verzweifelt bäumte er sich auf, doch ein Fels schlug in seinen Rücken ein und beförderte ihn zurück in den Staub. Ich darf hier nicht sterben! Wieder versuchte Jiang Cheng auf die Beine zu kommen, raus aus dieser Hölle, irgendwie, doch er konnte die aufkommende Panik nicht länger unterdrücken. Die Schmerzen und Atemnot übermannten ihn und führten ihm die Ausweglosigkeit seiner Situation unbarmherzig vor Augen. Mit einem Ruck wurde ihm die Kehle zugeschnürt, etwas riss ihn von den Füßen und  wirbelte ihn durch die staubige, steinige Luft, während unzählige kanonenharte Hiebe und messerscharfe Schnitte auf ihn niedergingen. Sein rationaler Verstand verabschiedete sich vollends, sein Überlebensinstinkt übernahm die Kontrolle, trieb jede seiner Zellen zum Äußersten. Sein Körper war wie durch einen Immobilisierungszauber zusammengekrümmt, die Arme über seinem Kopf fixiert, sein Brustkorb presste erbarmungslos erstickende Staubluft in seine brennenden Lungen, verzweifelt gegen die übermächtige Naturgewalt kämpfend. Doch der Berg zahlte erbarmungslos heim, was man ihm angetan hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)