Bruder von Lady_Ocean ================================================================================ Kapitel 4: Gefahr ----------------- Der Wald war totenstill. Als hätte sich sämtliches Leben versteckt vor der Gefahr, die ihn heimsuchte. Das völlige Ausbleiben von Kampfgeräuschen ließ Wei Wuxian das Schlimmste befürchten. Hektisch tasteten seine Blicke den Waldboden ab, während er in schwindelerregender Höhe im Zickzack durch das Geäst sprang. Wo war nur Jin Ling?! Wei Wuxian konnte ihn unmöglich übersehen haben und er musste dem Ausgangspunkt des Signals sehr nah sein. Da! Einige hundert Meter entfernt entdeckte er rechter Hand auf einer felsigen Lichtung einen reglosen Körper. Wei Wuxians Herz setzte aus. Ein ersticktes “Jin Ling!”entkam seiner Kehle, und mit einem letzten halsbrecherischen Sprint war er an seinem Ziel. Er ergriff den regungslosen  Arm - und taumelte vor Erleichterung, als er den stabilen Puls und den ruhigen Fluss des Qi unter seinen Fingern spürte. Auch Jin Lings Atmung war ruhig und gleichmäßig. “Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein, Junge.” Wei Wuxian inspizierte Jin Lings Erscheinung. Sein Hanfu war an einigen Stellen schmutzig und zerrissen, auch die rechte Schulter und der linke Unterarm trugen Kratzer davon. Sie waren angefüllt mit negativer Energie, die sich langsam, aber stetig in Jin Lings Körper vortastete. Sein Torso war unversehrt geblieben, aber sein rechtes Bein wies ebenfalls verseuchte Kratzer auf. Suihua lag gezogen neben seinem rechten Arm. Irgendetwas hatte Jin Ling angegriffen, doch er hatte sein Leben verteidigt und den Angreifer in die Flucht geschlagen. Die Verletzungen, die er bei dem Aufeinandertreffen davongetragen hatte, waren vergleichsweise milde und konnten mit einer Reisbrei-Kompresse gut behandelt werden. Einzig um Jin Lings Kopf machte Wei Wuxian sich Sorgen. Möglicherweise hatte er sich bei seinem Sturz verletzt. Vorsichtig tastete er sich an Jin Lings Schläfe entlang, schob erst Finger, dann die Handfläche seiner rechten Hand unter den Hinterkopf, inspizierte mit seiner linken Hand den Nacken. Er erspürte eine kleine Platzwunde und ließ heilendes Qi durch seine Finger fließen. Die leichten Bewegungen schienen bereits genug Reiz zu sein, um den Jungen erwachen zu lassen. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, bildeten tiefe Furchen zwischen den Augen, die sich, begleitet von einem benommenen Stöhnen, flatternd öffneten. Kurz irrte sein Blick hin und her, doch dann sah er Wei Wuxian, erkannte ihn. Überraschung schlug in Verzweiflung um, Tränen brachen ungehemmt an die Oberfläche, Hände krallten sich in Wei Wuxians Hanfu. “ONKEL!” Wie Eiswasser ergoss sich das Wort über ihn. Was? “Hilf ihr! BITTE! Ich- OHMEINGOTT-” “Beruhige dich, Jin Ling!”, unterbrach Wei Wuxian ruhig, aber eindringlich das zusammenhanglose Gestotter. “Wer braucht Hilfe?” “Fairy!”, heulte Jin Ling auf. Seine in Wei Wuxians Kragen gekrallten Fäuste bebten, seine Atmung wurde stockend, flach, doch noch immer überschlug sich seine Stimme. “Verletzt! Ich habe- Ich- ICH WOLLTE NICHT-!” Wei Wuxian spürte, wie die negative Energie an Jin Lings Wunden erwachte, mit Eifer an seinem geschwächten Wirt zu zehren begann. Nicht gut. Jin Lings bisher recht stabiler Zustand schlug ins Bedrohliche um. Mit einem gezielten Schlag in den Nacken beförderte Wei Wuxian ihn zurück in die Bewusstlosigkeit. Eine andere Möglichkeit, seinen Geist augenblicklich in einen ruhigen Zustand zurückzuversetzen, sah er nicht. Doch statt sich wieder zu beruhigen, wurde die negative Energie nur noch unruhiger. Was zum-?! Sie fing an, nach Wei Wuxians Qi zu lecken! Wei Wuxian hatte noch nie solch eine aktive, ja, regelrecht lebendige Form von negativer Energie erlebt. Vielleicht konnte er sie aus Jin Lings Körper herauslocken? Er konzentrierte einen Teil seines Qi in seiner Handfläche und tatsächlich, die negative Energie in Jin Ling begann, sich nach dieser Quelle auszurichten. Jedoch weigerte sie sich, den Körper des Jungen zu verlassen und griff erneut die Energie des Jungen an, wenn er sich zu weit wegbewegte. Offenbar war sie sehr vorsichtig. Dann blieb ihm im Moment nur eines. Er legte sein eigenes negatives Qi über die Wunden, band es an diese peripheren Regionen und versah es mit genügend Intensität, dass es nicht von dieser fremden Macht überwältigt werden würde. So konnte er diese seltsame Energie in Jin Ling zumindest in Schach halten, bis sie zurück in Langya waren. Wei Wuxian richtete sich auf und ordnete die wenigen Informationen, die er hatte. Dem Hund war etwas zugestoßen. Ausgerechnet dem Hund. Wei Wuxian war zum Heulen zumute. Ausgerechnet Jin Lings Hund. An jede andere dieser Bestien hätte er keinen weiteren Gedanken verschwendet, aber ihm war klar, dass dieser spirituelle Hund Jin Lings einziger Rückhalt in Langling war, wenn Jiang Cheng ihn nicht gerade besuchte. Und das konnte wahrlich nicht oft der Fall sein. Als Clanführer besaß Jiang Cheng ebenso wenig wie Jin Ling die Freiheit, zu kommen und zu gehen, wie ihm beliebte. Und wie sollte er Jin Lings gebrochenen Anblick ertragen, sollte dem Hund etwas zugestoßen sein? Mit zittrigen Beinen und klopfendem Herzen wandte Wei Wuxian sich um. Aus dem Felsen, der in die kleine Lichtung hineinragte, gähnte ihm ein dunkler Höhlenschlund entgegen. Die Spur negativer Energie, die in ihn hineinführte, ließ keinen Zweifel daran zu, wo er die Gefahr und Jin Lings Hund finden würde. Er schluckte hart. Chenqing fest umklammernd, zwang er seine Beine, sich in Bewegung zu setzen. Wie sehr er es bereute, Lan Zhan in Langya zurückgelassen zu haben! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)