Bruder von Lady_Ocean ================================================================================ Kapitel 1: Versprechen ---------------------- Jiang Cheng durchbrach die letzte Barriere wilder Zombies, seine Arme längst bleiern und taub vom stundenlangen Niedermähen dämonischer Kreaturen, Sandus grelles violettes Leuchten unter den zahllosen Schichten an Schmutz, Schleim und Hautfetzen kaum noch zu erahnen. Erschöpft lehnte er sich für einen Augenblick an den Eingang der Höhle, die die letzte Bastion des Yiling-Patriarchen darstellte, zwang seine Atmung in einen ruhigeren Rhythmus. Irgendwo inmitten dieses Chaos hinter ihm kämpften noch immer die Mitglieder seines Clans zusammen mit ihren Verbündeten, den Lin und Nie. Er hatte längst alle aus dem Auge verloren. Was für ein mieser Clanführer ich bin. Aber jetzt war nicht die Zeit, um zu reflektieren oder Schwäche zu zeigen. Er musste diesem Terror ein Ende bereiten! Sobald die Wurzel allen Übels aus der Welt geschafft war, würde das Toben auf den Grabhügeln enden. Das war der einzige Weg, und er führte direkt hinunter in den schwarzen Schlund, aus dem beständig feine Schwaden diabolischer Yin-Energie strömten. Jiang Cheng erneuerte den Griff um sein Schwert, stützte sich von der Höhlenwand ab und hiefte sich weiter. Es war nicht nur die Verantwortung für seinen Clan, die ihm ungeahnte Kräfte verlieh. Seine Lippen pressten sich mit grimmiger Genugtuung zu einem blutleeren Schlitz zusammen. Er war der Erste hier. Er würde diesem Bastard den Todesstoß versetzen. Er würde ihm heimzahlen, ihm Yanli, seine geliebte Schwester geraubt zu haben! Wei Wuxian!! Dort saß er, der Dämonenfürst, umhüllt von tiefschwarzen Schwaden, die Augen leuchtend in diesem irren Rot, welches der Welt der Kultivatoren das Fürchten gelehrt hatte, gebeugt über ein kaum handtellergroßes, pulsierend leuchtendes Objekt, dem er beständig schwarze Energie einflößte. Als ob Jiang Cheng ihn mit dem verfluchten Yin-Tiger-Amulett noch mehr Schaden anrichten lassen würde! Jiang Cheng stürmte voran, riss Sandu hoch und durchbrach das letzte Siegel, das ihn von seiner Nemesis trennte. Mit einem Knall, der die Höhlenwände erzittern ließ, zerbarst die Barriere, und erst jetzt bemerkte der Dämonenfürst in ihrem Zentrum den Eindringling. Wei Wuxians rechter Arm schnellte hoch, mit einem donnernden “NEIN!!” jagte er dunkle Energie in Jiang Chengs Richtung. Doch die Tentakel kamen nicht weit. Wellen schwärzester Energie pulsierten aus dem Tiger-Amulett, erfüllten die Höhle, durchdrangen Jiang Chengs Körper und raubten ihm den Atem. Wei Wuxians Tentakel schlugen einen Haken, attackierten nun das immer greller aufleuchtende Siegel, doch offenbar ohne Wirkung. Der Yiling Patriarch warf sich darüber,  riss erneut den Kopf hoch und brüllte, schrill, die Augen panisch aus den Sockeln tretend: “VERSCHWINDE!!” Die negative Energie wurde zurück in das Amulett gesogen, zusammen mit Wei Wuxians eigenem Qi, komprimierte sich zu einem gleißenden Strahlen, so durchdringend, dass es selbst den Körper seines Schöpfers durchleuchtete - um sich im nächsten Augenblick in einer ohrenbetäubenden Detonation zu entladen.   “WUXIAN!!!” Jiang Chengs donnernde Stimme riss den Traum in Fetzen, doch seine schattenhaften Krallen hielten ihn eisig umklammert. Sein Herz hämmerte gegen seinen Brustkorb, sein gesamter Körper zitterte und war von kaltem Schweiß überzogen. Und noch immer sah er nichts anderes als diesen panischen Blick, hallte dieser letzte verzweifelte Schrei in seinen Trommelfellen wider und wider. Der Moment, als das Siegel außer Kontrolle geriet und seinen Meister in so kleine Teilchen zersetzte, dass nicht einmal ein Haar übrig geblieben war, war unbarmherzig in seinen Geist gebrannt. Jiang Cheng schloss die Augen, bedeckte Mund und Nase mit einer Hand und konzentrierte sich darauf, die Übelkeit niederzukämpfen. Es war nur ein Traum. Doch die Eindrücke waren so real wie in jener Nacht, und statt zu verblassen, wurden sie mit jedem Mal intensiver. Er schwang die Beine aus dem Bett, warf sich einen einfachen Umhang über und wie von selbst führten ihn seine Schritte zu den Gemächern seiner Geschwister. Egal, wie lange sie schon fort waren - Jiang Cheng hatte es nie über sich gebracht, die Zimmer für neue Zwecke umbauen zu lassen. Dabei war gerade das von Wei Wuxian nichts als eine Farce. Die alten Bilder, seine Basteleien, die Kritzeleien an seinem Bett waren ohnehin längst fort, den Flammen zum Opfer gefallen, als sein Clan den Wens in die Hände gefallen war. Alles, was danach kam, war eher steril geblieben. Wei Wuxian war nicht mehr derselbe gewesen. Keine Kritzeleien mehr, keine Spiele, keine schmutzigen Heftchen. Er hatte sich einzig in seinen skurrilen Experimenten vergraben und alles mitgenommen, als er ihm und dem Clan den Rücken gekehrt hatte. Den kläglichen Rest, der zurückgeblieben war, hatte Jiang Cheng persönlich zu Kleinholz verarbeitet, nachdem Yanli seinem Leichtsinn und seiner Überheblichkeit zum Opfer gefallen war. Und erst vor fünf Monaten wieder aufbauen lassen, nachdem sich der Staub vom Vorfall im Guanyin-Tempel etwas gesetzt hatte. Wuxians Zimmer? Was für ein heuchlerischer Witz! Lange Zeit war Chenqing das einzige Überbleibsel seines früheren Bruders gewesen. Nun war die Geisterflöte zurück bei ihrem Besitzer und das Schwert Suibian hatte ihren Platz eingenommen. Jenes durchbohrte er nun mit hasserfüllten Blicken, die Hände auf seinen Oberschenkeln zu Fäusten geballt, vor Zorn bebend. “Bastard!”, zischte er durch zusammengebissene Zähne. “Warum verfolgt mich dein verdammter Schatten immer noch?” Warum ausgerechnet dein goldener Kern? Und dann verschwindest du mit so 'ner Ansage, dass das alles nicht mehr von Bedeutung ist?! Am liebsten würde er ihm seine Faust ins Gesicht rammen, doch in Ermangelung des eigentlichen Zieles seiner Wut diese an Suibian auszulassen, machte selbst in seiner jetzigen Rage wenig Sinn. “Wie mickrig soll ich mich neben dir eigentlich noch fühlen? Du mit deinem arroganten Heldensyndrom! Ich hab nie darum gebeten, deinen verfickten Kern zu bekommen!” Wie jede Nacht lieferte er sich einen erbitterten Kampf mit den Tränen. Er hasste sie. Hasste die Sentimentalität, die Schwäche, die sie verrieten. Hasste Wei Wuxian dafür, ihn in solch einen miserablen Zustand zu versetzen. Die Explosion am Grabhügel hatte ihn zerbrochen. Die Panik, als er von Nie Mingjue, Jin Guangshan und den Anhängern ihrer Clans umringt war, stand jener verhängnisvollen Nacht, in der er seine Mutter, seinen Vater, seinen Clan, seine Heimat - sein gesamtes Leben verloren hatte, in nichts nach. Der Schock war erstickend. “Zerfetzt. Von seinen eigenen Dämonen”, bekam er schließlich herausgewürgt, als er das Bewusstsein wiedererlangte und die Fragen nach den Geschehnissen in der Höhle auf ihn niederprasselten. Zahllose Hände versorgten mit heilendem Qi seine Wunden, beruhigten seine Atmung und stabilisierten seinen goldenen Kern. Er wäre beinah einer Qi-Entartung erlegen. Er hatte es nicht ertragen. Es konnte nicht wahr sein. Es DURFTE nicht! Und so tat er das Einzige, wozu er in diesem Zustand totaler Verlorenheit fähig gewesen war: die ganze Sache neu zu interpretieren. Wei Wuxian hatte die Macht des Amuletts auf ihn losgelassen. Sie war ihm außer Kontrolle geraten und im letzten Moment hatte er sich über das dämonische Artefakt geworfen, um ihn mit sich in die Hölle zu reißen. Der panische Blick? Der verzweifelte Schrei? Alles Einbildung. Ein Trick seines schwachen Herzens, das offenbar immer noch nicht akzeptieren wollte, dass Wei Wuxian der dämonischen Macht doch verfallen war, diese ihn über seinen Hochmut in solch ein Monster verwandelt hatte. Dreitausend Kultivatoren hatte er hingerichtet in der Nachtlosen Stadt, kaum mehr von einem wilden Zombie zu unterscheiden, blutüberströmt, schreiend, jaulend, mit blanken Händen Berge von Flüchtenden und Toten in Stücke reißend. Das war es, was aus Wei Wuxian geworden war. Mit dieser Überzeugung war endlich Ruhe eingekehrt in sein Gemüt und er hatte Wei Wuxian dreizehn Jahre lang aus ganzem Herzen hassen können für all das, was dieser Bastard ihm genommen hatte. Bis er wieder aufgetaucht war und sein penibel zurechtgelegtes Weltbild aus den Fugen brachte. Mit seiner immerwährenden dämlichen Angst vor Hunden, seiner Sorge um Jin Ling. Der erneuten Eskalation am Grabhügel und seiner dummen Aktion mit dem Geister-anziehenden Talisman als der ewige Märtyrer, der er war. Und als wäre dem nicht schon genug, tauchte diese Pest von einem Wen mit Suibian auf und schleuderte ihm die Wahrheit über den goldenen Kern seines einstigen Bruders ins Gesicht. Es hatte die ganze verfickte Welt auf den Kopf gestellt! Jiang Cheng wusste nicht mehr, was er tun oder auch nur denken sollte. Er wollte sich diesen Frust von der Seele schreien. Seine Hände um eine Kehle schließen, bis all der Zorn aus ihm geblutet wäre. Nur um wessen? Wen Nings? Hanguang Juns? Wei Wuxians? Für die Albträume, die dieser Bastard ihm bescherte? Seit einem halben Jahr hatte Jiang Cheng keine ruhige Nacht mehr verbracht, Übelkeit und Herzrasen waren seine ständigen Begleiter. “Und dann besitzt du auch noch die Dreistigkeit, einfach deines Weges zu gehen. Und ich? Was soll ich bitteschön tun? Egoistischer Bastard!” Doch Suibian blieb so stumm wie eh und je. Langsam verebbte Jiang Chengs Zorn und ihm wurde wieder klar, wie lächerlich er sich benahm. Zum Glück schlief der Lotus-Pier um diese Zeit, und die gesamte Jiang-Residenz sowieso. “Wasser-Ghouls greifen an!”, schallte es plötzlich durch die Nacht. “Wo ist Clanführer Jiang?” Sofort entwickelte sich ein ganzes Chaos aufgeregter Stimmen. “In seinen Gemächern habe ich ihn nicht gefunden!” “Sucht weiter!” … Jiang Chengs rechte Augenbraue zuckte. Wasser-Ghouls? Solch ein Aufstand wegen ein paar Wasser-Ghouls? Wofür trainierten sie eigentlich, wenn wegen jeder Lappalie nach ihm geschrien wurde?! Unfähiges Pack! Ab morgen wird das Trainingsprogramm verdoppelt! Ruckartig stand er auf, drauf und dran, in sein Zimmer zurückzustürmen, um sich Sandu zu schnappen. Doch nach dem ersten Schritt hielt er inne. Zögerlich warf er einen Blick über die Schulter zurück, wo Suibian  auf seinem Ständer ruhte und Wei Wuxians Stimme ihm einladend zuflüsterte: ‘In Zukunft wirst du der Clanführer sein und ich bin dein Untergebener. So wie Gusu Lan seine zwei Jadeprinzen hat, hat der Yunmeng Jiang-Clan seine zwei stolzen Helden!’ Jiang Cheng schnalzte brüsk mit der Zunge. Wird Zeit, dass du dein Versprechen einlöst, Bastard. In einer fließenden Bewegung ergriff er das Schwert und stürmte nach draußen, um der nächtlichen Störung ein Ende zu bereiten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)