Bruder von Lady_Ocean ================================================================================ Prolog: Vergangenheit --------------------- “Wei Ying.” Lan Wangjis Stimme sickerte mit Verzögerung in Wei Wuxians in Watte gepackten Kopf. Er hatte gewusst, dass seine erste Rückkehr an diesen Ort ihn empfindlich treffen würde. Deshalb hatte er sie so lange hinausgezögert. Aber wenigstens zum Totenfest musste er einfach hier sein. “Wei Ying”, erklang Lan Wangjis sanfte Stimme erneut. Ich weiß. Es war Zeit zu gehen. Sie hatten die Gräber gesäubert, Räucherstäbchen angezündet und Totengeld verbrannt. Wei Wuxian hatte in die Stille hineingebetet, wissend, dass seine Gedanken niemanden mehr erreichten, und es ließ ihn verloren zurück, riss kaum geschlossene Wunden wieder auf. Die Seelen der verstorbenen Wen, seines kleinen Dorfes, das ihm kostbare Momente der Normalität geschenkt hatte in der schwersten Zeit seines Lebens, waren in den Kreislauf der Wiedergeburt zurückgekehrt. Er wusste, dass sie ihm nichts nachtrugen, dass sie ihm dankbar dafür waren, dass er sie aus der Unterdrückung der Jin gerettet und ihnen eine neue Chance auf Leben gegeben hatte. Dennoch hatte er sie im Stich gelassen. Sein Hochmut war ihr aller Untergang geworden. Er hatte ihnen nie sagen können, wie leid es ihm tat, und er würde es auch niemals können. Eine Hand legte sich schwer auf seine Schulter, erdete sein aufgewühltes Gemüt. Wei Wuxian ließ sich an Lan Wangjis Brust ziehen, schöpfte Kraft aus dem stillen Trost. Er schluckte schwer. Die Brust, auf der das Mal der Sonne prangte, das Lan Wangji sich im Schmerz des Verlusts selbst eingebrannt haben musste. Dreiunddreißig Peitschenhiebe. Drei Jahre lang war er bewegungsunfähig gewesen. Welch unsäglichen Schmerz musste er dreizehn endlose Jahre lang erlitten haben. Wei Wuxian griff nach dem Arm, der sich um seinen Bauch geschlungen hatte. “Ich bin so blind gewesen.” Seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern. “Dein Herz ist nie vom Weg abgekommen. Du hast dein Bestes gegeben.” “Es hätte besser sein müssen.” “Jetzt ist es besser.” Lan Wangjis linker Arm glitt von Wei Wuxians Schulter, strich zärtlich den Oberarm hinab, schlängelte sich unter der Hand hindurch und umfasste Wei Wuxians Brust, zog ihn enger an sich. Wei Wuxian wusste nicht, ob Lan Wangji von den Wen oder von ihm oder von sich selbst sprach. Vielleicht alles irgendwie. Wären ihre Rollen vertauscht, würde er genauso denken. So, wie er auch den Verlust seines goldenen Kerns hinter sich gelassen hatte und Jiang Cheng nur bitten konnte, ebenfalls loszulassen. Doch solange die Schuldgefühle ihn begleiteten wie ein Schatten, ging diese Rechnung nicht auf und keine noch so gut gemeinten Worte konnten etwas daran ändern. Wohin mit dieser Last, wenn niemand sie sehen wollte? Ob er es Jiang Cheng am Ende nur schwerer gemacht hatte mit seiner Bitte, die Vergangenheit hinter sich zu lassen? Jiang Cheng hatte sich oft genug darüber aufgeregt, er hätte einen Heldenkomplex. Allmählich hatte Wei Wuxian das Gefühl, er verstand, was dieser gemeint hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)