Mein Weg zu Dir von Khaleesi26 ================================================================================ Kapitel 14: Mimi ---------------- Mehrere Tage sind vergangen, seit ich beschlossen habe, meine Zukunft ab jetzt selbst in die Hand zu nehmen. Allerdings ist es schwieriger als gedacht, sich für eine Sache zu entscheiden, die man vorher noch nie gemacht hat. Heute habe ich frei und sitze mal wieder frustriert vor meinem Laptop im Wohnzimmer. In den letzten drei Stunden habe ich gefühlt hundert Internetseiten durchforstet, mir Studiengänge angesehen, Anzeigen zum x-ten Mal gelesen und in diversen Foren nach Antworten gesucht. Woher, zum Kuck-kuck, soll man denn wissen, was einem liegt, wenn man es noch nie ausprobiert hat? Ich verstehe ehrlichgesagt nicht, wie die anderen das alle gemacht haben. Wenn ich an Tai denke, war es ganz klar, dass er Sportwissenschaften studieren wird. Fußball war schon immer sein größtes Talent und seine Leidenschaft, die er irgendwann zum Beruf machen wird. Sora hat ihren Mode Kram. Joe wollte immer schon Arzt werden. Izzys Talent, was Technik und Informatik angeht, steht außer Frage. Und Matt wusste von Anfang an, dass er nicht den »normalen« Weg über ein College gehen wird. Für ihn stand schon immer fest, dass er Musik machen möchte, auch wenn sie nicht viel Geld einspielen würde. Aber was ist mit mir? Welches Talent habe ich? Für was interessiere ich mich? Bin ich genauso begeisterungsfähig wie die anderen? Kann ich mich voll und ganz einer Sache verschreiben? Oh man. Frustriert stütze ich meinen Kopf auf meinen Handrücken ab. »Das ist doch zum Haare raufen.« Ich mache einen tiefen Seufzer und lasse dabei die Schultern sinken. Doch das Klingeln meines Handys lässt mich zusammenfahren. Ich richte mich kerzengerade auf und greife danach, nur, um kurz danach wieder zusammen zu zucken. Soras Name leuchtet mich in fetten, weißen Buchstaben an. Scheiße. Was jetzt? Soll ich rangehen? Ich habe sie seit Wochen nicht gesprochen. Um genau zu sein, das letzte Mal auf meiner Geburtstagsfeier, die sie für mich in ihrem Haus gegeben hat. Na ja, wenn man den kurzen Schlagabtausch neulich im Café nicht mit zählt, als sie ganz plötzlich mit Tai bei meiner Arbeit aufgetaucht ist. Ich seufze erneut. Ich muss rangehen. Sora ist immer noch meine Freundin und sie kann schließlich nichts dafür, dass ich in ihren Freund verliebt bin. Wenn ich ihr weiter aus dem Weg gehe, schöpft sie am Ende nur Verdacht und ich zerstöre damit unsere Freundschaft. Das wäre wirklich unreif von mir. Sie lässt es weiter klingeln und ich weiß, jeden Moment wird die Mailbox anspringen, also gehe ich schnell ran. »Hey, Sora. Lange nichts gehört von dir«, sage ich freundlich. »Hi, Mimi«, antwortet sie mir. Ihre Stimme zu hören tut gut. Man könnte meinen es wäre alles so wie immer. »Hast du heute Zeit?«, fragt sie mich gleich. Ich denke nach und starre auf meinen Laptop. Das Ding wird mir heute sicher nicht mehr die passenden Antworten ausspucken und mein Kopf qualmt schon gewaltig. »Was auch immer du vor hast«, sage ich seufzend und kratze mich am Hinterkopf. »Ich komme mit. Ich brauche dringend frische Luft, sonst drehe ich hier noch durch.« »Oh, spitze«, freut Sora sich ganz offensichtlich und ich höre, wie im Hintergrund ein Auto an ihr vorbei fährt. »Ich hatte gehofft, dass du das sagst. Bin nämlich schon auf dem Weg zu dir.« Ich richte mich kerzengerade auf. »Was? Warum?« »Wir müssen dringend shoppen gehen.« »Okay …«, sage ich gedehnt. »Shoppen? Klar, warum nicht? Hört sich gut an.« »Tai hat doch morgen Geburtstag und ich habe immer noch kein Geschenk für ihn. Ich hatte gehofft, dass du als enge Freundin von ihm, mir vielleicht helfen kannst.« Puff. Und schon platzt die Blase. Ich schlucke ein paar Mal, ehe ich so fröhlich wie möglich antworte. »Klar, kein Problem. Natürlich helfe ich dir.« »Super«, antwortet Sora. »Dann bis gleich.« Sie legt auf und ich rutsche im Stuhl hinab. Das darf doch nicht wahr sein. Aus dieser Nummer komme ich definitiv nicht mehr raus. Da muss ich jetzt durch, ganz klar. Aber vielleicht wird es ja auch gar nicht so schlimm, wie ich es mir denke. Vielleicht liegt ja mein Gefühl ausnahmsweise mal falsch. Mein Gefühl lag goldrichtig. Das weiß ich spätestens jetzt, eine Stunde später, weil ich den Ausflug schon jetzt bereue. Sora ist wirklich süß und würde es um einen anderen Jungen gehen, würde ich mich wahnsinnig für sie freuen, dass sie so glücklich ist. Aber es geht um Tai. Und nach fünf Läden und zig verschiedenen Satz-Varianten von: »Tai ist unglaublich toll«, kann ich einfach nicht mehr. »Neulich hat er für uns beide gekocht«, schwärmt Sora, als sie das dritte Polo Shirt ausbreitet und vor sich in die Luft hält, um es ganz genau zu begutachten. Wenn sie Tai kennen würde, würde sie wissen, dass er Polo Shirts nicht mag. Aber ich habe es aufgegeben, ihr das zu verklickern. »Es war irgendwie gewöhnungsbedürftig«, erzählt Sora weiter, während ich neben ihr stehe und so tue, als wäre ich in ein Kleid vertieft, das ich eben entdeckt habe. »Ehrlich gesagt kann er überhaupt nicht kochen. Es hat total eklig geschmeckt.« Ja, auch das weiß ich. Tai hat ein mal probiert uns etwas zu kochen, als wir uns auf einen DVD Abend getroffen haben. Es endete darin, dass uns beiden schlecht wurde und wir uns letztendlich eine Pizza bestellt haben. »Vielleicht wollte er dich vertreiben«, rutscht es mir gelangweilt heraus, also zucke ich schnell noch mit den Schultern und grinse unsicher, um den Anschein zu erwecken, ich hätte einen Witz gemacht. Zum Glück kommt es genau so bei Sora an, denn sie lacht herzhaft auf. »Das schafft er nicht. Ich habe ihm nicht gesagt, dass es eklig war. Er hat mich zwar beim Essen die ganze Zeit mit Argusaugen beobachtet und darauf gewartet, dass ich irgendwas sage. Aber ich habe brav aufgegessen. So wie sich das für eine Freundin gehört.« Falsch. »Sollte man nicht in einer Beziehung immer ehrlich zueinander sein?« Sora grinst und verdreht wissend die Augen, ehe sie das Polo Shirt Gott sei Dank zurück legt und die Hände in die Hüften stemmt. »Kleine Notlügen sind durchaus erlaubt. Und sie erhalten eine Beziehung am Leben.« Ich runzle die Stirn. Ich hatte keine Ahnung, dass sie so darüber denkt. »Wie oft hast du bisher einen Orgasmus vorgetäuscht?« Wie vor den Kopf gestoßen, klappt mir der Mund auf. »Was?« Sora lacht wieder, aber diesmal ist es kein Witz. »Hast du das etwa noch nie gemacht? Also, einen Orgasmus vorgetäuscht, um die andere Person nicht zu kränken.« Mit dieser Frage lässt sie mich stehen und schlendert weiter durch die Regale. Kurz bleibe ich wie angewurzelt stehen, dann folge ich ihr schnellen Schrittes. »Warum fragst du mich so was?«, flüstere ich ihr zu, als hätten wir ein Geheimnis, das niemand hören darf. Dabei war ihre Frage laut und deutlich. »Kannst du nicht einfach antworten, Mimi?«, fragt sie und klingt belustigt. Ich bleibe dicht hinter ihr stehen und beiße mir auf die Lippe. Sora und ich haben schon oft über Sex geredet, aber nie hat sie mich so direkt mit so einer Frage konfrontiert. So sehr ins Detail sind wir nie gegangen. Aber wenn ich ihr jetzt nicht antworte, denkt sie, ich wäre prüde und das will ich nicht. »Nein, habe ich nicht«, sage ich schließlich und das ist die Wahrheit. Sora dreht sich zu mir um und wirft mir einen wissenden Blick zu. Dann hebt sie den Zeigefinger, als wären wir in der Schule und sie müsste mir, als Lehrerin, ganz dringend was erklären. »Also, wenn ich es mir aussuchen kann, ob ich meinem Freund ein gutes oder ein schlechtes Gefühl vermittle, dann entscheide ich mich für das Gute. Ist doch ganz klar, oder? Hätte ich Tai sagen können, dass sein Essen schrecklich war? Auf jeden Fall. Aber was hätte es mir gebracht? Es hätte ihn vermutlich gekränkt und die Stimmung wäre im Eimer gewesen. Also sind kleine Notlügen durchaus vertretbar.« Ich schlucke und versteife mich und schüttle innerlich den Kopf über das, was sie gesagt hat. So denkt sie also wirklich? Das ist die Grundlage ihrer Beziehung? Dem anderen etwas vorgaukeln, damit es den Anschein erweckt, alles sei in Ordnung? »Also …«, beginne ich zaghaft und bringe die Frage beinahe nicht über die Lippen. »Hast du ihm auch schon mal einen Orgasmus vorgetäuscht?« Ich bereue es sofort in dem Moment, als die Worte meinen Mund verlassen und Sora vielsagend grinst. »Nein. Das war zum Glück bis jetzt noch nicht nötig. Tai ist suuuper gut im Bett. Echt der Hammer, wenn du wüsstest …« Mich schüttelt es so sehr, dass ich glaube, kreidebleich zu werden. Sofort schießt mir das Kopfkino ins Gehirn und zerrt an meinen Nervenenden, dass mir ganz schlecht davon wird. Oh, man. Ich weiß doch, dass die beiden zusammen sind und ganz sicher auch Sex miteinander haben … aber jetzt habe ich es auch noch direkt vor Augen. Das will ich auf gar keinen Fall. Sora beginnt bei meinem Anblick zu lachen und legt mir eine Hand auf die Schulter. »Entschuldige. Das wolltest du ganz sicher nicht wissen. Schließlich bist du wie eine Schwester für ihn.« Wusch! Noch ein Schlag in die Magengegend. »Hat er …« Ich schlucke schwer. Meine Kehle ist mit einem mal staubtrocken. »Hat er das gesagt?« Sora nickt lächelnd und mehr muss ich nicht wissen. Mehr will ich gar nicht wissen. »Tut mir Leid. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Lassen wir das Thema«, sagt sie schließlich und widmet sich ungerührt wieder ihrer Suche nach dem perfekten Geschenk. Ich hingegen stehe da wie eine Vollidiotin und fühle mich hundeelend. Ich weiß, dass wir beste Freunde und quasi wie Geschwister aufgewachsen sind, weil wir immer in dieselben Kindergärten, in dieselben Schulen, in dieselben Vereine gingen. Aber, dass ich wie eine Schwester für ihn bin, höre ich zum ersten Mal. Kein Wunder, dass er mich kein einziges Mal angerührt hat, wenn ich bei ihm übernachtet habe. Ich bin so blöd! »Wie findest du das?«, rüttelt mich Sora aus meiner Trance und hält mir ein hellblaues Hemd vor die Nase. Ich lege den Kopf schief. Tai hasst hellblau. Ich atme tief ein, weil ich versuche so viel wie möglich Luft in meine Lungen zu pumpen. Ich fühle mich wie benebelt und mir schwirrt der Kopf. »Nein, hellblau mag er nicht«, antworte ich ehrlich. Geknickt lässt Sora das Hemd sinken. Dann stöhnt sie laut auf. »Es ist hoffnungslos.« Ich versuche mich zu berappeln. Ich muss so schnell wie möglich hier weg und das schaffe ich nur, wenn diese furchtbare Tai-Shopping-Tour ein Ende hat. »Komm mal mit«, sage ich und gehe in Richtung Kasse. Neugierig heftet Sora sich an meine Fersen. Zielsicher greife ich in ein Regal und drücke ihr ein schwarzes Leder Portemonnaie in die Hand. Sora runzelt die Stirn. »Also, darauf wäre ich jetzt nicht gekommen.« Ungerührt zucke ich mit den Schultern. »Tai hat seines letzten Monat verloren. Und weil er zu faul ist, sich ein neues zu besorgen, schleppt er seitdem sein Geld und all seine Personalien mit sich in der Hosentasche rum. Das Geschenk wäre also perfekt.« Soras Mund verzieht sich zu einem breiten Lächeln. »Oh, wirklich? Das wusste ich gar nicht.« Du weißt so vieles nicht von ihm - schießt es mir durch den Kopf und Tränen der Verbitterung steigen mir in die Augen. »Danke, Mimi«, strahlt Sora glücklich. »Du bist echt die Beste!« Dann marschiert sie mit dem Portemonnaie zur Kasse. Ich tippe sie an der Schulter an und sehe ihr lächelnd in die Augen, als sie sich zu mir umdreht. »Ehrlichgesagt habe ich noch etwas zu tun. Wäre es okay, wenn ich schon mal nach Hause gehe? Du hast ja jetzt das, wonach du gesucht hast.« Sora zuckt mit den Schultern. »Klar, kein Thema. Ich hatte zwar gehofft, dass wir noch was essen gehen, aber das können wir auch verschieben.« Ich nicke. Der Appetit war mir gehörig vergangen. Wir verabschieden uns und ich verlasse das Geschäft. Kaum bin ich auf die Straße getreten, schießen mir schon die Tränen in die Augen, die ich die ganze Zeit zurückgehalten habe und die ich eigentlich gar nicht zulassen wollte. All diese Gefühle wollte ich nicht mehr zulassen. Die Eifersucht. Die Bitterkeit. Das Gefühl von Zurückweisung. Ich hasse es. Ich hasse all diese Gefühle so sehr. Aber am meisten hasse ich mich selbst dafür, dass ich so empfinde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)