Gestern, heute und für immer von Funkenherz (Midnight x Mt. Lady) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Du bist die mit dem festen Einkommen, also übernimmst du auch die Rechnung.“ „Du bist ganz schön dreist, was?“ Die Mundwinkel der jungen Lehrerin zuckten belustigt. „Wer hat denn hier wen um ein Date gebeten, heh?“, kam es etwas provokant von ihrem Gegenüber. Für einen kurzen Moment blickte die Blondine sie prüfend, beinahe tadelnd, an, dann verwandelte jedoch auch ihre Mimik sich in ein amüsiertes Grinsen. „Ist ja schon gut, für dich mache ich das gern.“, lachte die Größere der beiden. Auffällig blaue und rötliche Augen trafen sich, hielten einige Sekunden lang Blickkontakt, ehe beide Frauen sich gut gelaunt zublinzelten und die Dunkelhaarige den Kellner heranwinkte. Wenig später verließen sie das Café wieder. Nach wie vor stand die Hitze des Sommertags wie ein Film, den man schneiden konnte, in der Luft. Grillen zirpten, während der kaum spürbare Wind den warmen, schweren Geruch nach Gras und Flieder herantrug. Die Sonne, die inzwischen unterging, hatte an Intensität verloren und tauchte den Himmel in ein wunderschönes Orangerot. Gegen Abend waren die sommerlichen Temperaturen bereits viel besser erträglich als tagsüber. Der nahegelegene Fluss rauschte leise im Hintergrund, während Spaziergänger gemächlich vor und hinter ihnen über den Deich spazierten. Hier und da zog ein Jogger an ihnen vorbei. Nachdem die gröbste Hitze für heute überstanden war, zog es die Menschen noch einmal auf die Straße. Gefühlt jeder wollte das gute Wetter genießen, seinen Feierabend gemütlich in einem Café verbringen, oder aber den Tag einfach nur mit einem Spaziergang durch die Stadt, oder am Fluss entlang, ausklingen lassen. Zwischen all den anderen Menschen fielen die beiden Frauen kaum auf. In diesem Moment war die junge Lehrerin ehrlich gesagt auch ganz froh, einmal nicht die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich zu ziehen. Glücklicherweise war bisher noch niemand auf die Idee gekommen sie anzusprechen, um um ein Autogramm zu bitten, oder ähnliches. Vielleicht lag es auch an ihrer zivilen Kleidung, die sie nicht so sehr aus der Menge herausstechen ließ, wie ihr Heldenkostüm. Gut so, denn im Moment konnte sie auf Gespräche mit Fremden verzichten. Die Aufmerksamkeit der jungen Frau galt einzig und allein ihrer Begleiterin, der sie einen Arm um die Schultern gelegt hatte und mit der sie sich ganz ungezwungen über Gott und die Welt unterhielt. Wie perfekt die Jüngere durch den nicht zu übersehenden Größenunterschied in ihren Arm passte und sich dabei entspannt an ihre Seite schmiegte. An dem hübschen Gesicht und besonders den rötlichen Augen konnte sie sich kaum sattsehen. Ihre Begleiterin war temperamentvoll, sagte was sie dachte, war jedoch gleichzeitig auch wirklich gut gelaunt, humorvoll, locker und doch dann und wann auch ein wenig schüchtern, was sie unglaublich niedlich machte. Der Sommerabend war herrlich, ihre Begleitung so süß und lebhaft zugleich. Kurz gesagt: alles war ganz einfach perfekt. Es war wirklich verrückt. Die Lehrerin kannte viele Leute und viele würden alles stehen und liegen lassen, um ein Date mit ihr zu bekommen und doch hatte ausgerechnet sie das Internet gebraucht, um ganz unverhofft die Person zu finden, die wie für sie gemacht zu sein schien. Zugegeben, lange kannten die beiden sich noch nicht. Vor etwa zweieinhalb Wochen hatten sie begonnen miteinander zu schreiben, heute hatten sie sich zum ersten Mal getroffen und doch fühlte es sich so an, als würden sie sich schon viel länger kennen. Yu Takeyama, gerade 18 geworden, studierte im ersten Semester Modedesign und war nicht nur erfrischend jugendlich, sondern auch unglaublich selbstbewusst. Zu keinem Zeitpunkt des heutigen Abends, hatte sie das Gefühl gehabt, die Blondine heute erst zum ersten Mal persönlich zu sehen. Nemuri war sich dem Altersunterschied zwischen ihnen zwar bewusst, doch störte sie sich nicht groß daran. 18 und 23 Jahre, das war legal und die fünf Jahre fielen ihrer Meinung nach nun auch wieder nicht groß ins Gewicht. „...Morgen finden die diesjährigen praktischen Aufnahmeprüfungen an unserer Schule statt. Ich bin wirklich schon gespannt darauf, welche Schüler dieses Jahr angenommen werden.“, erzählte sie der Jüngeren gerade. „Du bist nicht nur gespannt auf die Schüler an sich, du bist ganz besonders gespannt, weil du die Klassenlehrerin von einer der Unterstufen wirst, gib es ruhig zu.“ Yu blickte schmunzelnd zu ihr hoch. Die beiden Frauen blieben stehen, als sie eine Bushaltestelle erreicht hatten. Von hier aus würde die Blondine am besten wieder nach Hause kommen. „Das kommt noch dazu, stimmt schon. An der UA zu unterrichten ist an sich schon etwas ganz besonderes, aber nach einem Jahr die erste eigene Klasse zu bekommen, ist nochmal etwas vollkommen anderes.“ Um ehrlich zu sein konnte sie es kaum noch abwarten, endlich ihre Klasse kennenzulernen. Die Lehrerin ließ den Arm von den Schultern ihrer Begleiterin sinken, stellte sich dicht vor sie und strich ihr sanft über die Wange. „Aber nicht nur für mich ist Morgen ein besonderer Tag, du hast erzählt, dass du Morgen auch eine wichtige Prüfung schreibst?“, wollte sie wissen. Yu schmiegte ihre Wange etwas mehr an die Hand der Älteren, was diese zum Schmunzeln brachte. „Genau so ist es. Ich bin auch schon ziemlich aufgeregt.“, bestätigte die junge Studentin, sah für einen kurzen Moment wirklich etwas nervös bei dem Gedanken an ihre bevorstehende Klausur aus, grinste dann jedoch schon wieder munter ihre Begleiterin an. „Hey, was hältst du davon, morgen Nachmittag zu telefonieren? Dann können wir uns sicherlich schon erzählen, wie der Tag gelaufen ist.“, schlug sie vor. Die Dunkelhaarige nickte. „Sicher, wieso nicht.“ Aus dem Augenwinkel bemerkte die Kleinere ein herannahendes Fahrzeug und nickte in dessen Richtung. „Schade, da kommt mein Bus. Ich würde ja gerne noch etwas bleiben, aber ich will mich noch einmal auf meine Prüfung vorbereiten.“ Auch Nemuri bedauerte es, dass der Bus immer mehr in Sichtweite rückte, jedoch hatte sie auch vollstes Verständnis dafür, dass es wichtig war, vor einer anstehenden Prüfung noch einmal zu lernen. „Mach dir keine Gedanken. Du willst die Prüfung immerhin gut bestehen.“ Ihre blauen Augen ruhten für einen Moment auf ihrem Gegenüber. „Lass uns uns bald wieder treffen.“, schlug sie vor. „Gerne.“, stimmte Yu dem Vorschlag zu. Ihre rötlichen Augen strahlten vor Freude, was die Kleinere unglaublich niedlich aussehen ließ. Der Bus, der zuvor von einer roten Ampel aufgehalten worden war, welche nun jedoch wieder auf Grün umgeschlagen war, hatte die Bushaltestelle inzwischen fast erreicht. Die Blicke der beiden Frauen trafen sich. Zumindest für heute war es an der Zeit sich zu verabschieden. Für die Lehrerin bestand kein Zweifel daran, wie genau sie das tun wollte. Da ihre Hand noch an der Wange ihrer Begleiterin lag, ließ sie ihre Finger zu deren Kinn wandern und schob dieses ein Stück weit hoch. Kurz stutzte die Blondine, wirkte nun fast schon wieder schüchtern und wurde leicht rot, doch dann schloss sie die Augen und reckte sich der Größeren etwas entgegen. Für den Moment blendete Nemuri den heranfahrenden Bus vollkommen aus, als ihre Lippen sich trafen. Sie küsste die Studentin ganz sanft, dennoch erwiderte diese den Kuss im ersten Augenblick fast schon unsicher, ehe sie sich entspannte und sich wirklich auf den Kuss einließ. Schließlich gingen sie wieder ein Stück weit auf Abstand. Die Blondine war noch ganz rot im Gesicht. Zu süß. „Also dann, ich muss jetzt los, damit der Bus mir nicht am Ende noch wegfährt. Wir telefonieren dann morgen.“, verabschiedete Yu sich. „Sicher. Aber heute bereitest du dich noch auf deine Prüfung vor, damit mir Morgen keine Klagen kommen.“, scherzte Nemuri. Die beiden verabschiedeten sich, ehe die Jüngere gerade noch so in den Bus sprang, dessen Türen sich nun schlossen. Das Fahrzeug setzte sich wieder in Bewegung und die junge Lehrerin blieb allein zurück. Der Weg bis zum Gelände der UA und dem sich darauf befindenden Lehrerwohnheim war nicht weit und war bei dem guten Wetter zudem auch noch sehr angenehm zurückzulegen. Die Dunkelhaarige lief wieder los. Auf ihren Lippen lag noch der leichte Geschmack nach heißer Schokolade und erinnerte sie an den heutigen Abend und den Kuss zum Abschied. Ihr Magen kribbelte angenehm. Sie schmunzelte. Takeyama war wirklich unglaublich süß. Sie freute sich schon darauf die Kleine wiederzusehen. Als das Gelände der UA langsam näher rückte, wanderten ihre Gedanken weiter zu den bevorstehenden Aufnahmeprüfungen am morgigen Tag. Sie war wirklich schon gespannt. Das war nun ihr zweites Jahr als Lehrerin an der UA. Im vorherigen Jahr hatte sie noch keine eigene Klasse bekommen, um sich erst einmal daran gewöhnen zu können in einer Heldenschule zu unterrichten, doch dieses Jahr würde sich das ändern. Sie konnte es kaum abwarten, als Klassenlehrerin endlich ihre ersten eigenen Schüler begrüßen zu dürfen. Auch wenn es bis zum Beginn des Schuljahrs noch ungefähr drei Wochen dauern würde, so würde sie Morgen zumindest schon einmal sehen, welche jungen Talente sich dieses Jahr an der Aufnahmeprüfung versuchen würden und sie könnte gemeinsam mit dem Direktor und den anderen Lehrern entscheiden, wer von den Jugendlichen voraussichtlich das Zeug zum Helden hatte. Der Raum, von welchem aus die Lehrer der UA die Bewerber während der Prüfung beobachten würden, lag hinter getöntem Fensterglas. Von dem höher gelegenen Gebäude hatten sie einen wunderbaren Ausblick auf das Trainingsgelände, welches an eine Mischung aus Sportplatz und Stadtviertel erinnerte. Die 'Straßen' des Trainingsgeländes, welche nicht so leicht einzusehen waren, waren mit Überwachungskameras ausgestattet. Generell schwirrten kleine Roboter mit Kameras daran über das gesamte Gelände, sodass zu jeder Zeit gewährleistet war, die Heldenanwärter ideal im Blick behalten zu können. Gemeinsam mit dem Direktor der Schule und ihren Kollegen Vlad King, Snipe und Zementos, stand Midnight vor den getönten Scheiben und betrachtete die Menschenmenge unten im Hof. Bereits an der schriftlichen Prüfung hatten sich Hunderte versucht. Viele hatten den Test nicht bestanden. Die Schüler in Spe, die die schriftlichen Prüfungen bestanden hatten, tummelten sich nun im Hof und warteten auf den Beginn der praktischen Aufnahmeprüfung. Immer noch handelte es sich dabei um so viele Jugendliche, das man ihre Anzahl vom Überwachungsraum aus auf den ersten Blick nur grob schätzen konnte. „Also dann, meine lieben Heldenanwärter! Es geht los! Die von euch, die die schriftliche Prüfung bestanden haben, erwartet heute noch ein weitaus härterer, praktischer Test! Ich hoffe ihr habt alle ausreichend Energie und Motivation mitgebracht, denn die diesjährige Prüfung hat es in sich! Na, seid ihr schon gespannt?! Yeeeaaah!“ Present Mic saß als einziger im Raum vor einer Art Schaltpult und gab den Moderator. Der blonde Lehrer konnte seine Begeisterung über das heutige Event kaum verbergen. Nemuri erging es nicht besser. Auch sie war wirklich gespannt auf den Start der diesjährigen Prüfung. Sie wollte die möglichen Schüler in Spe endlich in Aktion sehen. So unruhig, wie die Prüflinge waren, wussten wohl auch die Teenies kaum wohin mit ihrer jugendlichen Energie. „Und hier die Regeln der heutigen Prüfung: in der nächsten halben Stunde habt ihr die Aufgabe, möglichst viele der sich auf dem Gelände befindenden Roboter aufzuspüren und sie zu zerstören. Natürlich ist der Einsatz eurer Quirks dabei erlaubt! Die Robotor gibt es in drei verschiedenen Kategorien, drei Schwierigkeitsgrade sozusagen. Wie genau die aussehen, werdet ihr gleich am eigenen Leib herausfinden dürfen! Für jeden zerstörten Roboter gibt es Punkte. Einen Punkt pro zerstörtem Kategorie 1 Roboter, 2 Punkte für Kategorie 2 und ganze 5 Punkte für unsere Kategorie 3, von der es auf dem Gelände allerdings nur zwei Exemplare gibt. Ziel ist es möglichst viele Punkte zu sammeln, aber Vorsicht: die Roboter schlagen auch zurück! Verletzte finden sich zum Ende der Prüfung hin bitte bei Recovery Girl ein, aber versucht Verletzungen zu vermeiden. Ansonsten gibt es nur noch zu sagen, dass die Gebäude hier zwar unbewohnt sind, Schäden aber dennoch vermieden werden sollten. Also dann, are you ready?! Es geht looos!“, schallte Mics Stimme durch das Mikrofon. Der Startschuss fiel und die Prüflinge rannten los. Aktuell glich die Menge noch einem gesichtslosen Mob, doch das würde sich sicher gleich ändern, sobald die Jugendlichen auf die ersten Roboter getroffen wären und die Kämpfe beginnen konnten. Gespannt beobachtete die junge Frau die Prüflinge durch die Glasscheibe, wurde jedoch kurz abgelenkt, als sich die Tür zum Überwachungsraum öffnete und Aizawa das Zimmer betrat. „Du bist ganz schön spät dran. Der Startschuss ist gerade schon gefallen.“, tadelte Nemuri den anderen Lehrer. Mic und er waren eine Klasse unter ihr gewesen, als die drei selbst noch Schüler an der UA gewesen waren. Später dann hatten sie eine Weile lang als Sidekicks in der gleichen Agentur gearbeitet, ehe Nemuri sich selbst dafür entschieden hatte Lehrerin zu werden und die beiden geringfügig jüngeren Helden einige Monate später nachgeholt hatte. „Von euch hat immerhin niemand daran gedacht, die Karteikarten der Schüler zu holen.“, grummelte Aizawa vor sich hin, der mit einem riesigen Aktenstapel beladen war. „Warte, ich nehme dir ein paar ab.“, bot Nemuri an, mit dem Ziel, dass sie die Akten dann leichter auf den Tisch stapeln konnten... doch da war es auch schon zu spät. Der Stapel rutschte zur Seite und verteilte sich großflächig auf dem Boden. „Es musste ja so kommen.“, murrte Eraser Head genervt und blickte kurz zum Fenster, ehe er sich bückte und damit begann die Aktenblätter vom Boden aufzusammeln. Snipe und Midnight gesellten sich zu ihm, um ihm zu helfen. „Whoa, der Wahnsinn! Seht euch mal die Kleine an, Leute! Die macht unsere Roboter platt wie nichts und hat dazu auch noch ein paar Mitprüflinge gerettet!“, machte Mic die restlichen Lehrer auf eine der Heldenanwärterinnen aufmerksam. „Kleine trifft es nicht wirklich, meinst du nicht?“, kommentierte Vlad amüsiert und verfolgte aufmerksam die Prüfung. „Mit ihrer Quirk dürfte es ihr kaum schwerfallen die Roboter zu besiegen.“, merkte Direktor Nezu an, ehe er nachdenklich eine Tasse Tee schlürfte. Nemuri sah von den Akten, welche sie gerade vom Boden pflückte, auf und rüber zum Fenster. Einige Rauchschwaden stiegen in der künstlichen Stadt auf. Ein einzelner Roboterarm flog gerade am Fenster vorbei. Nemuri zog fragend eine Augenbraue hoch, dann fiel ihr Blick auf auf die Prüfungsteilnehmerin, welche Mic soeben noch erwähnt hatte und welche wahrlich schwer zu übersehen war. Der Prüfling, eine schöne Blondine, welche aktuell einen schwarzen, sportlichen Jumpsuit aus scheinbar sehr elastischem Material trug, zerquetschte gerade einen Kategorie 2 Roboter in einer Hand, als wäre die Maschine nicht sehr viel mehr als eine alte Blechdose. Sie war riesig, überragte die meisten normalen Gebäude, welche Wohnhäusern nachempfunden waren, um einiges. Gigantification war zwar keine besonders seltene Quirk, aus der Nähe hatte die Lehrerin einen Nutzer dieser Quirk jedoch schon lange nicht mehr gesehen. Midnight erstarrte in der Bewegung. Die Akten, die sie gerade noch aufgesammelt hatte, rutschten ihr aus der Hand und landeten wieder auf dem Boden. Ungläubig blickte sie nach draußen auf den Prüfplatz. Es war nicht die Quirk der Teilnehmerin, die sie so ungläubig reagieren ließ, es war die Tatsache, dass sie die junge Frau kannte. „D-dieses Mädchen...welche Akte gehört zu ihr?“, wollte sie leicht stockend wissen. Nachdem Snipe den Blick kurz über das Chaos auf dem Boden hatte schweifen lassen, griff der Lehrer zielsicher nach einer der Akten und reichte sie ihr. „Yu Takeyama, Quirk Gigantification. Beeindruckend, nicht?“ Draußen vor dem Fenster lief die Prüfung unbeirrt weiter, die Schüler in Spe gaben ihr bestes, um sich durch genügend Punkte einen Platz an der UA zu sichern. Nemuri hingegen hatte gerade keine Augen für die Prüfung an sich. Mit einem mehr als seltsamen Gefühl in der Brust, nahm sie ihrem Kollegen die Akte ab und schlug diese auf. Der Lebenslauf, mehr brauchte es für den Moment nicht. Mit dem Blick überflog sie Vor- und Nachname und blieb schließlich am Geburtsdatum der Blondine hängen. Heiße und kalte Schauer jagten ihr im Wechsel über den Rücken und durch Mark und Bein. 15 Jahre! Das Mädchen war 15! Gerade so, wohlgemerkt. Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. In dem Glauben mit einer 18jährigen Studentin auszugehen, hatte sie den Tag gestern mit einer 15jährigen Schülerin verbracht, die sie auch noch zum Abschied geküsst hatte. Um Himmels Willen! So sehr die Lehrerin Jugend auch schätzte, sie wusste, dass sie das Kopf und Kragen kosten konnte. Gott sei Dank waren es nur eine einzige harmlose Verabredung und ein einziger Kuss gewesen, doch selbst das könnte sie bereits in Teufels Küche bringen. Mechanisch hob Nemuri einige der Akten vom Boden auf, legte sie auf dem Tisch ab und gesellte sich dann wieder zum Fenster. „Und seht mal da, der Junge mit seiner Psycho-Quirk. Ebenfalls gar nicht schlecht!“, machte Mic seine Kollegen gerade auf einen anderen Prüfling aufmerksam, der ihm zuvor aufgefallen war. „Der Schüler mit der Magnetkontrolle hat ebenfalls großes Talent.“, mischte Zementos sich ein und deutete auf einen anderen Jugendlichen. Das alles mochte ja sein, doch diese Schüler interessierten Nemuri gerade herzlich wenig, so gespannt sie zuvor sie auch noch auf die Prüfung gewesen war. Diese Schülerin...wenn das rauskam. Ihre Gedanken kreisten um ihre Verabredung und ihre neuste Erkenntnis. Sie war der festen Überzeugung gewesen, dass die Kleine erwachsen wäre, immerhin hatte sie das auch behauptet. Aber einer Lehrerin sollte so etwas trotzdem nicht passieren. Dann wieder: wer kontrollierte bitte den Ausweis seiner Verabredung? Niemand. Aber hätte sie nicht trotzdem zwischen einer gerade erst 15-Jährigen und einer jungen Erwachsenen unterscheiden können müssen? Gott, wenn das jemals rauskam... Sie war zwar für Skandale bekannt, aber eine Minderjährige zu daten, auch wenn das Date noch so harmlos verlaufen war, war noch einmal eine ganz andere Hausnummer, als mit so wenig Kleidung am Leib durch die Stadt zu laufen, das deshalb eine extra Kleiderordnung für Helden herausgebracht wurde. Gerade in ihrem Beruf konnte ihr so etwas das Genick brechen. Als Lehrerin arbeitete sie immerhin mit Schülern und wenn man ihr am Ende nachsagte... verdammt, verdammt, verdammt! Die letzte Minute der Prüfung war angebrochen. Zwar verfolgte Nemuri durchaus auch die Leistungen der anderen Schüler, doch hauptsächlich drehten ihre Gedanken sich immer und immer wieder im Kreis. Einerseits suchte sie ganz automatisch nach Rechtfertigungen, die die Verabredung und den Kuss vertretbar und nachvollziehbar machten, andererseits war da auch immer wieder diese Stimme, die ihr flüsterte, dass es nicht entschuldbar war, sich mit einer Minderjährigen getroffen zu haben und das sie dies den Job kosten könnte, sollte es jemals herauskommen. „Aaaaaaand STOP!“, krakelte Mic gerade durch das Mikrofon. „Die Zeit ist um! Die Prüfung ist vorbei!“ Die letzten noch intakten Roboter sanken auf dem Prüffeld zu Boden und die Prüflinge hielten ebenfalls inne. Einige Jugendliche halfen anderen zu dem provisorischen Zelt, welches Recovery Girl eingerichtet hatte, die meisten begaben sich jedoch auf direktem Weg zurück auf den Haupthof. „Zuerst einmal: auch dieses Jahr haben viele, sehr talentierte Heldenanwärter an unserer Prüfung teilgenommen. Vielen Dank dafür! Das Personal wird sich nun zurückziehen, um eure erreichten Punkte zusammenzuzählen und sich darüber zu beratschlagen, wer die diesjährige Aufnahmeprüfung bestanden hat. Das Ergebnis bekommt ihr dann in spätestens einer Woche per Brief mitgeteilt.“, leitete Mic das Ende der Veranstaltung ein. Nemuri warf nachdenklich einen Blick durch das Fenster. Manche der Prüflinge machten sich allein auf den Heimweg, andere bildeten kleine Grüppchen und unterhielten sich, auch wenn sie sich noch gar nicht kannten. Der Lehrerin fiel auf, dass Yu gleich von einer ganzen Schar anderer Prüflinge umringt war. Die Jugendlichen unterhielten sich aufgeregt und machten sich als Gruppe langsam auf den Weg, das Gelände der UA zu verlassen. Immer noch fühlte ihr Mund sich seltsam trocken an, nach der Erkenntnis, dass sie sich gehörig mit dem Alter ihrer Verabredung getäuscht hatte. Aber wie hätte sie ihren Irrtum bemerken sollen? Die 18 hatte sie der Kleinen durchaus abgekauft. Sie hatte ihre Aussage schlicht und ergreifend nicht hinterfragt. Die Blondine war so selbstbewusst gewesen und auch vom Körperbau her, hätte sie durchaus erwachsen sein können. War sie nur nicht. Nemuri beobachtete die Heldenanwärterin, welche aktuell gut gelaunt mit einigen anderen Prüflingen plauderte und gerade dabei war das Gelände zu verlassen. Sie ertappte sich dabei, dass sie sie erneut gemustert hatte, wie sie sie nicht mustern sollte. Die Kleine war keine Studentin, sondern eine Schülerin, verdammt! Eine Schülerin, die sich für einen Platz an der UA beworben hatte. Dann fiel ihr plötzlich noch etwas ein. Was, wenn Yu am Ende noch in ihrer Klasse landete? Sie schüttelte den Kopf, wandte sich vom Fenster ab und folgte den anderen Lehrern zu der anstehenden Besprechung. Aber ganz gleich, ob die Jugendliche nun in ihrer eigenen Klasse, oder aber in der Parallelklasse landen würde, unterrichten würde sie sie so oder so. Und genau hier lag das Problem. Was, wenn Yu in der Schule etwas von der Verabredung mit der Heldin erzählte? Was, wenn es der Lehrerin schwerfallen würde, ihr Date vom Vortag zukünftig zu behandeln wie eine ganz normale Schülerin? Sie hatte sie immerhin unter den falschen Vorgaben kennengelernt und mochte sie... als 18-Jährige Studentin, die sie nicht war. Was, wenn sie am Ende noch etwas ganz Dummes anstellen sollte, wenn die Kleine hier Schülerin wurde? Das die Blondine ihr zugetan war, war gestern immerhin deutlich geworden. Nemuri hätte schreien, oder sich die Haare raufen können. In die Situation, in der sie unverhofft gelandet war, hatte sie nie geraten wollen! „Diese 50 Prüflinge haben mit Abstand die meisten Punkte gesammelt. Lasst uns also über die besten 50 sprechen.“, entschied Nezu, nachdem er es sich auf seinem Platz gemütlich gemacht hatte. Der Direktor deutete auf die Akten, welche in der Mitte des runden Tischs aufgeschichtet waren, um den die Lehrer nun saßen. Und so begann die Besprechung, welche mehrere Stunden in Anspruch nehmen sollte. Der Schüler mit der Magnetkontrolle würde aufgenommen werden, da waren sich schnell alle einig. Eine Schülerin, deren Heilungsquirk Ähnlichkeiten mit der von Recovery Girl aufwies, würde ebenfalls einen Platz angeboten bekommen. Es folgten ein Fuchs-Mensch, ein Schüler mit Flammenquirk, ein Prüfling, der seine Arme in Bohrer verwandeln konnte und eine Schülerin, welche dazu in der Lage war ihre Gegner kurzzeitig zu paralysieren. „Also gut, reden wir als nächstes über die junge Takeyama.“, befand Nezu, nachdem nun die Akte der Blondine, die nächste auf dem Stapel war. „Sie hat eine der höchsten Punktzahlen überhaupt heute erreicht.“, wusste Vlad King zu berichten. „Und sie hat einige der anderen Prüflinge beschützt.“, ergänzte Snipe. „Eine wirklich beeindruckende Leistung. Das Trainingsgelände der UA ist groß, sodass wir auch in der Lage sein sollten, ihrer Quirk im Training gerecht zu werden.“, sprach der Scharfschütze weiter. In Midnights Kopf rauschte alles. Es stimmte. Takeyama hatte in der praktischen Prüfung ein beeindruckendes Ergebnis erzielt, trotzdem... die Kleine würde ihr das Genick brechen. Verdammt, sie würde nicht in der Lage sein, sie zu unterrichten, auch wenn eine Lehrkraft eigentlich über so etwas stehen sollte. Sie konnte sie nicht guten Gewissens unterrichten und hier an der UA wissen, wenn sie gleichzeitig nicht wusste, ob nicht am Ende doch noch etwas passierte, was nie passieren sollte. Und solche Gedanken als Pädagogin. Wie sehr sie sich schämte. Es war nicht so, dass sie Jugendlichen grundsätzlich dieses ungesunde Interesse entgegenbrachte, das Problem lag viel mehr darin, dass sie Takeyama als angebliche Studentin kennengelernt hatte. Es fiel ihr schwer die Jüngere nun als Schülerin zu sehen und das die Blondine sie ganz offensichtlich mochte, machte es weder besser noch leichter. Wenn sie wirklich Schülerin der UA werden sollte, dann würde die Kleine ihr ganz sicher das Genick brechen. Das Ende ihrer Karriere. „Es stimmt schon, das ihre Ergebnisse überdurchschnittlich gut waren, dennoch halte ich es für keine besonders gute Idee, sie an der UA aufzunehmen.“, hörte Nemuri ihre eigene Stimme sagen. Fragend blickten die anderen Lehrer sie an. „Sie hatte zwar leichtes Spiel mit den Robotern, aber habt ihr euch die Gebäude in der Prüfungsumgebung mal angesehen? Wäre das die echte Stadt, wäre da eben ein enormer Sachschaden entstanden.“ „Dafür unterrichten wir unsere Schüler doch. Sie müssen es erst noch lernen, ihre Quirks perfekt zu meistern und auf dem Übungsgelände ist der nötige Platz dafür.“, gab Vlad King zu bedenken. „Trotzdem, nein!“, hielt Midnight an ihrer Meinung fest. „Vielleicht haben wir hier genug Platz, aber die Schüler trainieren nicht allein. Hat jemand mal daran gedacht, was passiert, wenn sie im Training versehentlich auf einen Mitschüler tritt? Ich möchte nicht diejenige sein, die den Eltern einer unserer Schüler erklären muss, dass wir die sterblichen Überreste des Schülers leider nur noch mit viel Mühe vom Asphalt kratzen konnten!“ „Kayama...“, kam es überrascht über diese mehr als deutlichen Worte von Mic. „Meinst du nicht, jetzt übertreibst du ein wenig?“, wollte Zementos verblüfft wissen. „Das ist keine Übertreibung, sondern ein reales Risiko. Bereits die Übung heute war brandgefährlich.“ Ruckartig erhob die Lehrerin sich von ihrem Platz und stemmte die Hände auf den Tisch. „Ich weigere mich diese Schülerin zu unterrichten!“, brauste sie auf. „Es... es tut mir wirklich leid für die Kleine, aber das Risiko für die Mitschüler ist einfach zu groß. Wenn ein Unfall passiert, dann ist es zu spät und das zuzulassen, wäre unentschuldbar. Außerdem denke ich, dass eine Heldenschule in der Stadt der falsche Platz für eine Schülerin mit einer solchen Quirk ist.“ Die Runde wirkte ehrlich überrascht von der heftigen Reaktion der Lehrerin. Für einen Moment herrschte allgemeines Schweigen. „Nun... ich denke ich stimme Kayama zu. Das Risiko, das ein anderer Schüler zu Schaden kommen könnte, ist in diesem Fall wirklich sehr hoch. Das kann unsere Schule nicht verantworten.“, tat Aizawa schließlich seine Meinung kund. Wie dankbar Nemuri ihm in diesem Augenblick war, das er Partei für sie ergriff. „Direktor Nezu...?“, hakte sie nach. Die Maus schlürfte eine weitere Tasse Tee und blickte nachdenklich drein. „Nun, ganz ohne Risiko wäre es wirklich nicht die junge Dame zu trainieren. Und wenn du so strikt dagegen bist, dann denke ich, das wir auf deine Meinung hören sollten, Kayama.“, lenkte der Direktor schließlich ein. Nemuri nickte ihm zu. Ihr fiel ein Stein vom Herzen und gleichzeitig fühlte sie sich schlecht. So unglaublich unprofessionell. Um das Thema abzuschließen, blätterte Nemuri noch einmal kurz die Akte durch, die vor ihr auf dem Tisch lag. Die schriftliche Prüfung hatte Takeyama mit Ach und Krach bestanden, die praktische Prüfung war dafür wirklich gut gelaufen. Und die letzte Seite der Akte... dort sollten die Schüler in einem Fragebogen ausfüllen, was für ein Held sie in Zukunft werden wollten. »Ich möchte eine genau so starke und schöne Heldin werden wie Midnight. Sie ist mein Vorbild, schon seit der Unterstufe.«, stand dort in einer mädchenhaften Handschrift und zwei Rechtschreibfehlern gratis, geschrieben. Der Lehrerin zog sich der Magen zusammen. Hatte sie eben schon gedacht, dass sie sich schlecht fühlte? Jetzt fühlte sie sich erst richtig mies. Die Prüfung hatte Takeyama ganz eindeutig als eine der Besten bestanden. Die Gefahr beim Training war nur ein vorgeschobener Grund gewesen, sie nicht anzunehmen. Der eigentliche Grund dafür war, dass sie sich nicht in der Lage sah diese Schülerin zu unterrichten, wie jeden anderen Schüler auch. Sie wäre nicht in der Lage sie als ganz normale Schülerin zu sehen und befürchtete, über kurz oder lang eine furchtbare Dummheit zu begehen, die kein Lehrer je begehen sollte. Innerlich seufzte sie. Eine schöne Lehrerin war sie, wirklich. So unglaublich unprofessionell und egoistisch, dass sie ihre Karriere über die einer Schülerin stellte, da sie befürchtete, dass ihr ein Ausrutscher passieren könnte, obwohl sie nun wusste, wie alt die Kleine wirklich war. Sie schämte sich in Grund und Boden. Was es noch schlimmer machte war, dass Takeyama sie auch noch als Vorbild sah. Ein schönes Vorbild war sie...wirklich. Als die Besprechung vorüber war, verließ Midnight als Letzte das Lehrerzimmer. Gerade wollte sie den Flur entlanglaufen, als Eraser Head ihr in den Weg trat, der vor der Tür auf sie gewartet hatte. „Das eben in der Besprechung, der kleine Gefühlsausbruch hatte doch nichts mit ihrer Quirk zu tun, oder liege ich falsch? Das war etwas persönliches, oder?“, wollte ihr Kollege und guter Freund von ihr wissen. „Was hast du angestellt, Kayama? Ich gehe doch recht in der Annahme-“ „NICHTS! Herrgott nochmal! Ich habe gar nichts angestellt!“, blaffte die junge Heldin ihn an, schob sich an Eraser vorbei und lief eilig ins Treppenhaus. Eine Woche war seit der praktischen Prüfung vergangen. Die Ergebnisse sollten die Bewerber der UA inzwischen erreicht haben. Auch die beiden Klassen der zukünftigen Unterstufe waren bereits gebildet worden, sodass zumindest die Lehrer schon einmal wussten, was sie in Zukunft erwartete. Nemuri hatte die Akten ihrer zukünftigen Schüler bereits genau studiert und freute sich auf den Beginn des Schuljahrs. Zum ersten Mal würde sie Klassenlehrerin sein und eine neue Generation von Helden, von Tag 1 an der UA an anleiten. Ein wirklich schöner Gedanke. Dennoch, ein bitterer Beigeschmack blieb. Die junge Lehrerin stieg aus dem Bus, blieb kurz stehen, um sich zu orientieren und lief schließlich über einen Zebrastreifen. Das Haus, welches etwas zurückgesetzt hinter einer Grünfläche lag, war wirklich riesig. Wenn sie die Balkons betrachtete, schätzte sie, dass hier gut und gerne 50 Familien lebten. Sie hatte die Haustür erreicht, blieb erneut stehen und betrachtete die Beschilderung der Briefkästen und Klingeln. Einige Augenblicke lang musste sie suchen, dann hatte sie den richtigen Nachnamen entdeckt. Wenn die Anordnung der Klingeln mit der Anordnung der Wohnungen im Hochhaus übereinstimmte, wäre ihr Ziel die 7. Etage. Und nun? Sie zögerte. Sollte sie einfach anklingeln? Nur damit sie durch die Gegensprechanlage nach ihrem Namen gefragt wurde. Ihr Magen verkrampfte sich. Nein, das fühlte sich irgendwie falsch an. Generell war sie sich nicht sicher, ob das, was sie hier tat, wirklich richtig war. Letztlich legte die junge Frau ganz einfach die Hand aufs Klingelbrett und wartete, bis sich irgendjemand meldete. „Ja bitte?“, hörte sie die Stimme einer alten Frau durch die Gegensprechanlage krächzen. „Paketpost!“, antwortete sie. Eine glatte Lüge, doch diese erzielte den gewünschten Effekt. Mit einem Surren wurde die Haustür geöffnet. Nemuri betrat den Hausflur, welcher trotz der Größe der Wohnanlage gepflegt wirkte. In einer Nische neben dem Aufzug war ein Kinderwagen abgestellt worden, eine Treppe führte hinunter in den Keller. Schenkte man der Beschilderung Glauben, so lägen auf der linken Seite Waschküche und Fahrradkeller, auf der rechten Seite die Privatkeller. Doch die Aufteilung des Hauses war nicht wirklich von Interesse. Da sie darauf verzichten konnte zu Fuß sieben Etagen zu laufen, rief sie den Aufzug, musste kurz darauf warten und betrat die sich öffnende Kabine schließlich mit gemischten Gefühlen. Als sie die siebte Etage auswählte, betätigte sie den Knopf dafür nur zögerlich. Die Türen schlossen sich wieder. Die Fahrt in dem kleinen Aufzug kam ihr endlos vor, dennoch bedauerte sie es ein wenig, als der Aufzug sich schließlich wieder öffnete. Mit jedem Meter, den sie zurücklegte, fühlten ihre Schritte sich schwerer an, fast so, als würde jemand mehr und mehr Bleiplatten an ihre Schuhe binden. Ihr Griff schloss sich etwas fester um die Unterlagen, welche sie bei sich trug. Schließlich hatte sie die gewünschte Wohnungstür erreicht. Ein Blick auf das Klingelschild bestätigte ihr noch einmal, dass sie hier richtig war. //Hier lebst du also.//, stellte sie in Gedanken fest. Nemuri zögerte. Sie war sich durchaus bewusst, dass ein so unschlüssiges Verhalten absolut untypisch für sie war, aber diese Situation war auch alles andere als alltäglich. Schließlich gab sie sich einen Ruck, klingelte und wartete. Die Sekunden, die verstrichen, fühlten sich an wie kleine Ewigkeiten. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt und immer wieder fragte sie sich, was sie hier eigentlich tat und ob es wirklich die richtige Entscheidung gewesen war. Aber für einen Rückzieher war es nun auch zu spät. Nemuri konnte bereits hören, wie jemand durch die Wohnung lief und sich der Tür näherte. Schließlich wurde die Wohnungstür geöffnet. Yu trug ein weinrotes T-Shirt und eine bequem wirkende schwarze Jogginghose. Die Blondine trug nur dezentes Make-Up und wirkte heute doch etwas jünger, als an dem Abend vor ungefähr einer Woche. Wie sehr Kleidung und Make-Up doch in die Irre führen konnten. Die Schülerin blinzelte, erst fragend, dann ehrlich überrascht. „Nemuri, du?“, hakte sie ungläubig nach, hatte sie doch nicht mit dem Besuch der Lehrerin gerechnet. Die Ältere nickte ihr zu. „Sieht ganz so aus.“, antwortete sie etwas stockend und zwang sich zu einem schiefen Lächeln. Weiterhin war sie sich nicht sicher, ob dieser Besuch eine gute Idee gewesen war. „Warum bist du nicht ans Handy gegangen und hast jede einzelne Nachricht ignoriert?“, wollte die Blondine wissen. Ihre Stimme klang halb verletzt, halb anklagend. „Kannst du dir das nicht denken?“, antwortete die Lehrerin mit einer Gegenfrage. „Die Prüfung... ja, ich weiß, damit habe ich dich wohl ganz schön überrascht.“ Yu zog ein ertapptes Gesicht. Dann trat sie aus der Wohnung heraus, zog ihr Gegenüber in eine Umarmung und schmiegte das Gesicht an das Schlüsselbein der Lehrerin. „Ich habe dich vermisst.“, gab sie ganz unverblümt zu. „Bist du böse auf mich?“ Hitze und Entsetzen stiegen in der Heldin auf. Hitze, weil die Kleine so unglaublich niedlich war, dass sie ihr am liebsten sofort versichert hätte, dass sie ihr nicht böse war und auch, weil die Nähe der Jüngeren ihr Herz schneller schlagen ließ. Gern hätte sie die Umarmung erwidert und das Kinn auf den blonden Schopf ihres Gegenübers gelehnt... aber hier kam nun wieder das Entsetzen ins Spiel. Entsetzen über sich selbst. Wieso reagierte sie immer noch so stark auf die Kleine, obwohl sie doch inzwischen wusste, dass sie nicht mehr als eine Schülerin war? Das war eindeutig nicht gut. Gar nicht gut. Die Entscheidung, sie nicht zu unterrichten und die Aufnahme an die UA zu verhindern, war eindeutig richtig gewesen. Aus persönlicher Sicht. Doch wenn sie nur das Talent der jungen Blondine betrachtete und dann an ihre eigene Unfähigkeit dachte, ihre Gefühle ganz einfach bei Seite zu schieben, kam ihr die Entscheidung gleichzeitig auch wieder so falsch vor. Ein Grund, warum sie heute hier war. Nachdem sie einige Sekunden lang wie erstarrt war, legte Nemuri der Jüngeren nun sanft die Hände auf die Schultern und schob sie von sich. Auf Abstand, so wie es sich gehörte. So wie es sein sollte. „Hör auf damit, Yu.“ Sie seufzte. „Ob ich dir böse bin? Sagen wir lieber, ich bin entsetzt. Ich bin fast vom Glauben abgefallen, als ich dich an dem Tag bei der Auswahlprüfung gesehen habe. Du hast dich mir gegenüber vorher als erwachsen ausgegeben... wie hast du dir das vorgestellt?“ Die roten Augen der Blondine blickten leicht verletzt drein, jedoch schien die Jugendliche die Situation und das damit verbundene Problem noch nicht ganz erfasst zu haben. „Hätte ich mich im Internet nicht drei Jährchen älter gemacht, hättest du sicher niemals mit mir geschrieben und mich ganz sicher nicht treffen wollen. Aber so konnten wir Zeit miteinander verbringen und uns kennenlernen, ohne das du dir Gedanken darüber machen musstest.“ „Aber das schafft das Problem doch nicht aus der Welt. Ich hätte mich um ein Haar strafbar gemacht! Du weißt, das Lehrer-Schüler Geschichten weder funktionieren, noch sein sollten, oder?“ „Was das betrifft, musst du dir doch jetzt keine Gedanken mehr machen. Die Aufnehme an die UA ist immerhin nicht so gelaufen, wie gehofft, also besteht das Problem in der Form nicht mehr.“ „Ob du nun Schülerin der UA, oder Schülerin einer anderen Schule bist, an deinem Alter ändert das trotz allem nichts.“, erinnerte Midnight. Sie konnte es nicht fassen. Einerseits schockierte es sie, wie leichtfertig die Blondine mit diesem Thema umging, andererseits sollte sie sich vielleicht auch nicht zu sehr wundern. Das war nun einmal die Denkweise einer Jugendlichen. In Situationen wie dieser wurde es deutlich. „Aber mal ganz davon abgesehen, ist der Beruf des Superhelden denn wirklich dein Traum, oder hast du dich nur aus einer Laune heraus an der UA beworben?“ Glücklicherweise ließ Yu sich durch diese Frage vorerst von dem Problemthema ablenken. „Ich habe zwar viele Interessen, aber ja, ich möchte unbedingt Heldin werden. Aus diesem Grund habe ich mich auch an der UA beworben. Die Schule hat immerhin den besten Ruf.“ „Tut mir leid, das es nicht geklappt hat.“ Die Lehrerin seufzte. „Aber es gibt noch weitere Heldenschulen mit wirklich gutem Ruf und die Bewerbungsfrist für dieses Jahr ist noch nicht abgelaufen.“ Fragend blickte Yu zu ihr hoch. „Eigentlich hat mir eher die schriftliche Prüfung Sorgen bereitet, aber die scheine ich bestanden zu haben. Was war es denn, was mir bei der praktischen Prüfung das Genick gebrochen hat?“, wollte sie wissen. Nemuri zögerte, ehe sie zu einer Antwort ansetzte. „Deine Quirk ist wirklich zerstörerisch, weißt du? Wenn es im Training zu Unfällen kommt, könnte das für deine Mitschüler schlimme Folgen haben. Und Heldenanwärter der UA arbeiten nach ihrem Abschluss zumeist auch in der Stadt. Meinst du wirklich, dass die Stadt der richtige Arbeitsort für dich ist? Auch auf dem Land werden Helden gesucht, aber dort würdest du mit deiner Quirk weitaus weniger Zerstörung anrichten...“ begann sie zu erklären. Die Blondine hatte ihr bis zu diesem Punkt zugehört, dann wurde ihr Blick plötzlich skeptisch, fast so, als wäre ihr soeben ein Licht aufgegangen. „Halt, stopp. Warte mal.“, forderte sie. Nun war Nemuri es, die die Kleinere fragend anblickte, sich jedoch auch unterbrechen ließ. „Einerseits erzählst du mir gerade, dass meine Quirk eine echte Gefahr für meine Mitschüler darstellen könnte und im gleichen Atemzug machst du mich darauf aufmerksam, dass es neben der UA auch noch andere Heldenschulen gibt, deren Bewerbungsfrist noch läuft?“, hakte sie nach. Yu verschränkte die Arme vor der Brust. Die Ältere fühlte sich ein wenig ertappt. Warum musste die Kleine ausgerechnet jetzt so scharfsinnig sein?! Für einen Moment schien die Blondine ihre eigenen Worte zu überdenken, dann legte sich ein fast schon anklagendes Funkeln in ihre Augen, ehe sie fortfuhr: "Die Ablehnung an der UA, das hatte nicht wirklich etwas mit meinen Leistungen zu tun, oder? Hast...hast du die Entscheidung am Ende etwa getroffen, Nemuri?“, wollte sie wissen. „Weil dir nicht wohl dabei war eine Beziehung mit einem Mädchen zu beginnen, das am Ende noch in deinem Unterricht sitzen könnte?“ Autsch. Damit hatte sie den Hauptgrund einigermaßen auf den Punkt gebracht. Zwar kam nach der Erkenntnis, das ihr Gegenüber noch minderjährig war, weder ein weiteres Treffen und schon gleich gar keine Beziehung mehr in Frage, doch die Befürchtung, dass Yu an der Schule etwas davon erzählen, oder sie am Ende doch noch auf dumme Gedanken bringen könnte, saß tief. „Yu, jetzt hör mal, ich glaube du verstehst das Problem nicht.“, begann die Lehrerin. „Du hättest von Anfang an nicht mit deinem Alter flunkern dürfen. Dieses Date hätte niemals stattfinden dürfen. Ob du nun Schülerin an der UA oder einer anderen Schule bist, das Problem bleibt das selbe. Du bist minderjährig, wenn ich mich weiter mit dir treffe, bricht mir das das Genick. Ich habe ganz bestimmt nicht vor mich strafbar zu machen!“, verdeutlichte die Ältere noch einmal, was sie ihr eben bereits zu erklären versucht hatte. Die Blondine zuckte leicht zusammen, wirkte jetzt ehrlich betroffen und verletzt, wo die Erkenntnis endlich zu ihr durchdrang. „Nemuri, aber das-“, begann sie, doch diesmal fiel die Lehrerin ihr ins Wort und redete weiter. „Nein, nicht aber. Das ist eine Sache, die einfach unmöglich ist.“, stellte Midnight noch einmal klar. „Es ist für uns beide deutlich angenehmer, wenn wir gar nicht erst in die Situation geraten, uns plötzlich als Schülerin und Lehrerin in ein und der selben Klasse wiederzufinden. Wie sollte ich dich denn von einem neutralen Blickpunkt aus benoten? Ich will meinen Job nicht gefährden und auch für dich wird es angenehmer sein, wenn du in einer anderen Heldenschule deine Lizenz erwirbst.“ Einerseits gab sie damit zwar in gewisser Weise zu, dass die Ablehnung der Schülerin an private Gründe und ihre eigene Karriere geknüpft war, andererseits sollte das doch auch logisch und nachvollziehbar sein. Die Jugendliche machte jedoch einen betroffenen und verletzten Eindruck. Das sie nun überhaupt erst in dieser Situation waren, tat Nemuri leid. Das sie sich aus pädagogischer Sicht nicht in der Lage gesehen hatte, die Blondine zu unterrichten und daher dafür gesorgt hatte, dass sie trotz eigentlich bestandener Prüfung abgelehnt worden war, ebenso. Aber genau aus diesem Grund war sie ja hier. Schadensbegrenzung. Zugegeben, Yu selbst war nicht unschuldig an der aktuellen Gesamtsituation, immerhin hatte sie sich gleich zu Beginn fälschlicherweise als 18jährige Studentin ausgegeben, doch zumindest was den Traum von der Heldenschule betraf, kannte Nemuri eine Lösung. „Wie ich vorhin bereits sagte, laufen die Bewerbungsfristen einiger anderer Heldenschulen noch. Ich will dir keine Steine in den Weg legen und denke, dass ich dir zumindest was die Schule betrifft, trotz allem ein wenig unter die Arme greifen kann.“ Die Dunkelhaarige hielt ihrem Gegenüber die Mappe mit den Unterlagen entgegen, welche sie mitgebracht hatte. „Die Shiketsu Oberschule ist die beste Heldenschule im Westen. Vom Ruf her kann sie mit der UA mithalten. Um sich dort zu bewerben, ist es noch nicht zu spät und ich kenne dort einige Lehrer von gemeinsamen Schulungen.“, setzte Nemuri an. Anstatt Interesse, spiegelte Yus Blick plötzlich jedoch nur noch Kälte und Ärger. „Spar dir das!“, blaffte die Jüngere sie an. „Du verbaust mir die Aufnahme in die UA, nur weil du glaubst mich nicht unterrichten zu können und deine Karriere nicht von Privatem trennen kannst und jetzt willst du mich mit Vitamin B in einer anderen Schule unterbringen?! Das... das ist einfach armselig!“ Überrascht suchten auffällig blaue Augen Blickkontakt zu den vor Ärger funkelnden roten Gegenstücken. „Was redest du da bitte? Denk doch mal nach, Yu! Ich gebe dir hier gerade die Möglichkeit, deine Ausbildung an einer ebenso guten Schule wie der UA zu absolvieren! Andere Jugendliche wären froh über diese Möglichkeit. Wenn du Superheldin werden willst, dann solltest du diese Chance ergreifen!“ „Chance?!“, schnappte die Jüngere. „Du meinst wohl eher den Schulplatz, den du mir aus Mitleid verschaffen willst und natürlich auch, um dein eigenes Gewissen zu erleichtern!“ „Aber-“, setzte die Lehrerin an, wobei ihre Stimme nun auch etwas lauter und verärgerter klang, dennoch unterbrach Yu sie. „Bist du schon mal auf die Idee gekommen, dass ich nicht aus Mitleid irgendeinen Schulplatz bekommen möchte, nur damit du dich damit besser fühlst?! Wenn ich einen Platz an einer Heldenschule annehme, dann einen, den ich mir aus eigener Kraft verdient habe. Glaubst du, dass ich mich jetzt noch an der Shiketsu bewerben könnte, so wie ich es als Plan B eigentlich vor hatte?! Jetzt kann ich mir doch nicht mehr sicher sein, ob ich den Platz durch eigenes Können bekomme, oder nur, weil einer der Lehrer dir einen Gefallen tun wollte. Vielen Dank dafür!“ Nemuri starrte die Blondine ungläubig an. Mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht damit, dass die Kleine die Chance, die sie ihr bot, in erster Linie aus Stolz ablehnen würde. Statt Dankbarkeit reagierte das Mädchen mit Wut. „Sei nicht so engstirnig, verdammt! Was bringt dir der falsche Stolz am Ende?!“ „Das muss ich mir von dir nicht anhören!“, blaffte Yu. „Es stimmt schon, ich hätte mit meinem Alter vielleicht nicht flunkern dürfen, aber was bist du bitte für eine unfähige Lehrerin, dass du mit so etwas nicht umzugehen weißt und im Unterricht nicht über dieser Sache stehen kannst?! Einen Schulplatz, den du mir verschaffst, will ich nicht! Und jetzt verschwinde bloß von hier!“ Zum Ende hin war die wütende Stimme der Schülerin immer lauter geworden. Yu war wieder zurück in die Wohnung getreten und schlug verärgert die Tür zu. Bei dem Knall der zuschlagenden Tür, zuckte Nemuri unwillkürlich, dann starrte sie die nun verschlossene Wohnungstür an. „Wie kann man nur so dumm sein?! Glaubst du, dass du besonders erwachsen wirkst, wenn du ein gut gemeintes Gespräch so beendest?!“, rief sie verärgert, doch die Tür öffnete sich nicht erneut. „Yu? Was ist los? Wer ist da an der Tür?“, konnte die Lehrerin eine Frauenstimme im Inneren der Wohnung fragen hören. „Ach, niemand, Mom! Nur so eine komische Frau, die Tiefkühlgemüse verkaufen wollte. Ich hab sie weggeschickt.“ Tiefkühlgemüse? Nemuri glaubte nicht recht zu hören. //Dummes Gör, ich hab nur versucht nett zu sein und dir eine Alternative zur UA zu bieten.//, kommentierte sie in Gedanken. Das das Gespräch so verlaufen könnte, hatte sie wirklich nicht gedacht. Zwar hatte sie durchaus bereits mitbekommen, dass Yu sehr temperamentvoll war, doch das ihr Ärger sich so schnell gegen sie richten könnte, damit hatte sie nicht gerechnet. Nemuri zögerte. Das war nicht so gelaufen wie geplant. Und jetzt? Ihr Blick fiel auf die Unterlagen, die sie noch in der Hand hielt. Sollte sie die Mappe wieder mitnehmen? Nein, am besten sie ließ die Unterlagen auf der Fußmatte liegen. Es konnte immerhin gut sein, dass Yu noch einmal über ihr Angebot nachdenken und die Chance ergreifen würde, wenn sie sich wieder beruhigt hatte. Solche Temperamentsausbrüche waren bei Teenies immerhin nicht weiter ungewöhnlich. Und auch, wenn sie die Blondine anders kennengelernt hatte, sie durfte nicht vergessen, dass Yu trotz allem nur ein 15jähriges Mädchen war. Eine Jugendliche, die nach diesem Gespräch und den verletzten Gefühlen eventuell eine Weile brauchen würde, bis sie sich in so weit wieder beruhigt hatte, als das sie noch einmal ganz logisch über den Platz an der Shiketsu Oberschule nachdenken würde. Kopfschüttelnd drehte die Lehrerin bei und machte sich auf den Weg zurück zum Aufzug. Noch länger vor der geschlossenen Tür zu stehen, würde keinen Sinn machen, zumal sie nun wirklich nicht die Person war, die wie ein verlassener Hund an Ort und Stelle sitzen bleiben und abwarten würde. Auch Nemuri hatte ihren Stolz. Während sie mit dem Aufzug wieder zurück ins Erdgeschoss fuhr, um das Gebäude zu verlassen, dachte sie über das Gespräch nach. Yu war so wütend gewesen. War es wirklich ihre beste Idee gewesen, vor einer so impulsiven Person indirekt zuzugeben, warum die UA sie abgelehnt hatte? Würde die Kleine nun am Ende noch aus Wut und verletzten Gefühlen über die notwendige Zurückweisung, dem Date und dieser Geschichte an die Öffentlichkeit gehen? Hoffentlich nicht. Doch ob all das noch unschön werden würde oder nicht, darauf hatte sie aktuell kaum noch Einfluss. Ob es ihr gefiel oder nicht, sie würde abwarten müssen. ~ So zogen die Jahre ins Land. Glücklicherweise wuchs Gras über das Date, welches so nie hätte stattfinden sollen. Obwohl sie bei ihrem letzten Gespräch an der Haustür so verärgert reagiert hatte, hatte Yu nie einen Versuch unternommen, der Lehrerin zu schaden. Um ehrlich zu sein, hatte Nemuri nach diesem Tag nie wieder etwas von der kleinen Blondine gehört. Ganze acht Jahre war der Vorfall inzwischen her und die Dunkelhaarige zerbrach sich nicht mehr wirklich den Kopf darüber. Sie lebte ihr Leben. Bekannte kamen und gingen, die Beliebtheit der UA stieg von Jahr zu Jahr und ihre Erfahrung als Lehrerin wuchs. Inzwischen hatte sie Routine in ihrem Beruf und hatte mehr als nur eine Klasse bis zum Abschluss unterrichtet. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand, lief die junge Frau von der Teeküche im Lehrerwohnheim geradewegs in den Aufenthaltsraum, wo sie Kurs aufs Sofa nahm. „Mach dich noch etwas breiter, dann findet niemand mehr einen Sitzplatz.“, tadelte sie Mic amüsiert, welcher aktuell auf dem Sofa lag und gelangweilt von einem Fernsehsender zum nächsten zappte. Ihr Kollege streckte sich träge, ehe er sich wieder aufsetzte und ein Stück rückte, sodass auch Midnight einen Platz auf dem Sofa fand. „Heute ist einfach nichts los. Vlad und Eraser sind mit ihren Klassen auf Klassenfahrt, auf mich wartet noch ein gutes Dutzend Englischklausuren, die korrigiert werden müssen und im Fernsehen kommt auch nichts Gescheites.“, murrte Mic vor sich hin. Ihn einmal nicht aufgekratzt und munter zu erleben, war schon fast eine Seltenheit. „Mal ein paar Stunden frei zu haben, ist doch auch nichts schlechtes. Moderierst du nicht heute Abend schon wieder im Radio?“ Angesprochener nickte. „That's right! Aber bis dahin ist es noch ein Weilchen.“ Nemuri zuckte mit den Schultern. „Wenn dir langweilig ist, dann fang doch schon mal damit an die Klausuren zu kontrollieren. Dadurch, dass du sie aufschiebst, erledigt sich die Aufgabe immerhin auch nicht.“ Der Blonde zog ein Gesicht. „Das aufzuschieben hat System. Ich habe noch nie eine Klasse erlebt, die so schlecht in Englisch ist, wie die aktuelle 2-A.“ „Hey! Mach meine Klasse nicht schlecht!“, protestierte die junge Frau sogleich. Über ihre Schüler hörte sie nur ungern Negatives. Mic, der nicht darüber nachgedacht hatte, womöglich in ein Fettnäpfchen zu treten, hob entwaffnend die Hände ein Stück weit und grinste schief. Gerade wollte Nemuri noch etwas sagen, da zog der Fernseher ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie stellte ihre Kaffeetasse auf dem Wohnzimmertisch ab und deutete in Richtung Fernseher. „Stell das mal lauter.“, verlangte sie. „Eh?“, fragend sah Mic sie an, griff dann jedoch nach der Fernbedienung, stellte die Lautstärke nach der Aufforderung vielleicht etwas zu laut und blickte nun selbst zum Fernseher. Gerade liefen die Nachrichten. »Eine junge Heldin feierte heute ihr Debüt und katapultierte sich praktisch von 0 auf 100 in die Herzen der Fans «, trug die Nachrichtensprecherin vor. Das Bild wechselte vom Nachrichtenstudio zum aktuellen Beitrag. Zu sehen war Kamui Woods, welcher dabei war einen Schurken zu bekämpfen. Die Arme des Profihelden hatten die Form von verschlungenen Ästen angenommen. Gleich würde er den zu groß geratenen Schurken, welcher eine Bank ausgeraubt hatte, mit Sicherheit angreifen und fixieren, bis die Polizei eintraf. In dem Augenblick, als der Profiheld zuschlagen wollte, um den Kampf für sich zu entscheiden, rauschte jedoch eine weitere Person ins Bild. Noch ehe Kamui seinen Angriff ausführen konnte, hatte die junge Frau dem Schurken im Sprung einen Tritt versetzt, welcher ihn praktisch sofort auf die Bretter schickte. Kein Wunder, immerhin war die Blondine, die Kamui da gerade den Auftritt ruiniert hatte, wahrlich riesig. Selbst so hoch wie ein Haus, beugte die junge Frau sich für einen Moment zu dem Schurken runter und überprüfte, ob von diesem noch eine Gefahr ausging, doch den Gegner hatte sie ins Reich der Träume geschickt. Sie stellte sich wieder aufrecht hin und posierte für die Kameras und Schaulustigen, wobei die Heldin so schamlos war, sich ein Stück weit vorzubeugen, sodass ihr Hintern es heute zweifelsohne auf die Titelseite der Zeitungen und auch in die Nachrichten schaffen würde. Das hautenge, halb lilafarbene, halb hautfarbene Heldenkostüm machte es nicht gerade leichter, den Blick abzuwenden. Die Blondine schien die Aufmerksamkeit der Medien und der Zivilisten mehr als zu genießen. Gut gelaunt lächelte sie in die Kameras. Auf die Frage nach ihrem Namen, antwortete sie ohne zu zögern: „Mein Name ist Mt. Lady und heute feiere ich mein Debüt.“ Das Video wechselte und zeigte noch einmal die junge Heldin in ihrer nun wieder normalen Gestalt, welche glücklich in die Kameras winkte, als sie den Schurken schließlich der Polizei übergab. Die Zivilisten jubelten ihr zu, während Kamui Woods ein wenig bedröppelt neben seiner Heldenkollegin stand, welche ihm ganz dreist den Auftritt gestohlen hatte. „Sieh mal einer an, ein neues Gesicht in der Stadt.“, kommentierte Mic den Beitrag. „Ich habe so das Gefühl, dass sie schnell große Beliebtheit erlangen dürfte. Woran das liegen könnte, war wohl kaum zu übersehen.“, grinste er schief. Nemuri, die den Beitrag ebenfalls aufmerksam verfolgt hatte, war als erste Reaktion der Kiefer heruntergeklappt. Nicht, weil ausgerechnet sie mit dem gewagten Heldenkostüm der jungen Frau nicht klar käme, sondern weil sie die Heldin sofort erkannt hatte. Die ganzen letzten Jahre hatte sie nicht mehr wirklich über Takeyama nachgedacht, nun war die Blondine plötzlich wie aus dem Nichts in den Medien aufgetaucht und das ganz offensichtlich als Profiheldin. „Hey, Kayama? Alles gut bei dir?“, sprach ihr Kollege sie an und knuffte ihr gegen den Arm, um sie aus den Gedanken zu reißen. Nemuri blinzelte und blickte schließlich zu Mic. „Diese Mt. Lady, erinnerst du dich noch an sie?“, wollte sie von dem anderen Lehrer wissen. Mic dachte einen Moment lang über die Frage nach, dann hellte sich seine Mimik auf. „Of course! Das ist doch die Kleine, die du damals abgelehnt hast, oder nicht?“ „Arg! Kein Grund mir ins Ohr zu schreien...!“, beschwerte Midnight sich und rückte sicherheitshalber ein Stück weit von dem Lehrer mit der lauten Stimme ab. Sie griff nach ihrer Tasse und trank einen Schluck Kaffee. „Aber ja, das ist sie. Die Heldenmaske verfremdet ihr Gesicht etwas, aber ich meine, sie hat sich kaum verändert.“ „Na komm, jeder sieht im Heldenkostüm ein wenig anders aus, als zivil.“, steuerte Mic bei. „Ich frage mich, an welcher Schule sie wohl ihre Lizenz erworben hat.“ Nemuri zuckte mit den Schultern. „Schwer zu sagen. Wenn ich mich nicht ganz irre, sind inzwischen fast 8 Jahre vergangen. Es wundert mich, dass sie heute erst ihr Debüt feiert.“ Takeyama nach all den Jahren so plötzlich im Fernsehen wiederzusehen, hatte die Lehrerin wirklich überrascht. Die Blondine wirkte insgesamt etwas älter als damals, aber alles in allem immer noch sehr jugendlich. Ihr Kostüm war gewagt und der Auftritt, den sie da hingelegt hatte, einem Helden in den Top 10 einfach so die Show zu stehlen,... ja, das passte irgendwie zu Yu. Nemuri schmunzelte. So überraschend, wie der Auftritt der Jüngeren gerade auch gewesen war, sie konnte nicht leugnen sich dennoch für sie zu freuen, dass es mit ihrem Berufswunsch doch noch geklappt hatte. Auch nach dem eher unschönen letzten Treffen an der Haustür, gönnte sie es der jungen Frau doch, dass sie ihren Traum hatte wahrmachen können. Mt. Lady also, das war ihr Heldenname. Ziemlich passend, wenn man bedachte, wie groß die sonst eher kleine Frau von einer Sekunde zur anderen dank dem Einsatz ihrer Quirk werden konnte. Was sie die letzten Jahre wohl so alles angestellt hatte? Vielleicht irgendwo in einer anderen Stadt als Sidekick gearbeitet? Zumindest vermutete Midnight das. Niemand machte sich immerhin so urplötzlich und vor allen Dingen direkt als Profiheld selbständig und startete seine Karriere wie aus dem Nichts. Zumindest ging Nemuri davon aus, dass auch Yu das nicht getan hatte. Dann war mit ihrem Debüt vermutlich gemeint, dass sie nun den Schritt in die Selbständigkeit gewagt hatte und nicht länger als Sidekick arbeitete? Auch wenn sie 8 Jahre lang keinen Kontakt mehr gehabt hatten und die Gefühle, welche sich damals zu entwickeln begonnen hatten, nach all der Zeit verklungen waren, die Kleine hatte mit diesem doch sehr gewagten Auftritt eindeutig ihr Interesse geweckt. Sie würde die Heldin vielleicht später einmal Googlen und die Nachrichten zu ihr in nächster Zeit verfolgen. Draußen im Hof klirrte irgendetwas. Kurze Zeit später konnte man Schüler hören, welche sich lauthals stritten. Midnight und Mic wechselten einen genervten Blick. „Ernsthaft?“, murrte die Lehrerin. „Sag mir jetzt nicht, dass das wieder die Oberstufe ist, die nichts besseres zu tun hat, als sich auf dem Schulhof die Zähne einzuschlagen.“ „Da hilft nur nachsehen, würde ich sagen.“, beschloss Mic. „Beeilen wir uns besser!“ Die Dunkelhaarige ließ ihren Kaffee stehen und stand eilig vom Sofa auf. „Yeah!“, stimmte Mic lautstark zu und folgte seiner Kollegin in Richtung Tür. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)