Weg mit dem Winterspeck von irish_shamrock (Mein Beitrag zur Osteraktion 2o22 ~ Karsamstag) ================================================================================ Kapitel 1: Weg mit dem Winterspeck ---------------------------------- WEG mit dem WINTERSPECK Für Kate Wallaces Geschmack ließ das Wetter für Mitte April sehr zu wünschen übrig. New York City versank im Regen und die dicken Tropfen platschten in einem disharmonischen Reigen gegen die hiesige Fensterfront, die ein trübes Bild in grauen Farben zeichnete. »Wenn diese vermaledeite Neonröhre nicht bald ausgewechselt wird, stelle ich mich eigenhändig auf die Leiter!«, knurrte Corinne, den Missetäter über sich nicht aus den Augen lassend. »Wie könnt ihr unter diesem ständigen Geklacker und Flackern arbeiten?« Mellory sah auf und schenkte Kate, über ihren Bildschirm hinweg, ein amüsiertes Augenrollen, das mit einem Zucken der Mundwinkel einherging. Dass Corinne bei ihnen Halt machte, gehörte zu einem festen Ritual, ehe die drei zum Mittagessen aufbrachen. Die Kantine in ihrem Bürokomplex galt als eine der Besten in Manhattan, wo sich Hochhäuser dicht drängten und einander an Größe, Stil und Firmen übertrumpften. Wieder zuckte das Licht über ihnen, gefolgt von einem tiefen Grollen in der Ferne. »Wenigstens sitzen wir im Trockenen«, seufzte Mellory und erhob sich von ihrem Arbeitsplatz. »Kate? Es ist kurz nach zwölf, kommst du?« Kate wandte sich von den dicken, schweren Wolken ab, grub die Absätze ihrer Stiefel in den Teppich und brachte ein paar Zentimeter zwischen sich und ihren Schreibtisch. »Ich -«, hob sie an und vernahm das Grummeln ihres Magens. »Auf dich ist Verlass. Na ja, zumindest auf dein Bauchgefühl, denn dein Magen weiß genau, wann es Zeit ist, sich etwas zwischen die Kiemen zu schieben!« Corinnes Kommentar quittierte Kate mit glühenden Wagen und murmelnden Worten der Verlegenheit. Zu ihrer Schande musste sich Kate eingestehen, dass sich ihr Körper längst an die festen Zeiten gewöhnt hatte, die ihren Alltag beschrieben. Aufstehen, Kaffee, Fertigmachen für die Arbeit, Fußweg, Einchecken in der Lobby bei Alice Tremblay, Aufzug – auch wenn ihr die täglichen Fahrten sehr zusetzen – Arbeit, Frühstück am Platz, Arbeit, Mittag in der Kantine, Arbeit, Nachmittagskaffee, Auschecken, Heimweg. Vielleicht noch einen schnellen Abstecher in den Supermarkt, Deli oder zur Filiale der Chase Bank – erst dann schleppte sie sich in ihre vier Wände auf der Upper East Side. Abermals vermeldete ein unfeiner Laut die Bitte nach Essbarem und Kate trabte dem Gespann hinterher. Auf dem Weg in Richtung Eingangshalle versuchte sie diesem ekelhaften Gefühl, das sich beim Anfahren des Lifts in ihrem Innern breitmachte, keinen Raum zu schenken. Corinne und Mellory wussten um ihre Abneigung, was das Betreten eines Fahrstuhls betraf, doch wie sonst sollten all die kleinen Arbeitsbienen rechtzeitig an ihren Plätzen sein? Laufen käme für die beiden Frauen nicht infrage. Sich die vielen Stufen der U-Bahnstationen emporzuquälen war der kleinen, und elfenhaft wirkenden Mellory aller Anstrengung genug. Und Corinne beteuerte, dass ihre Mitbewohner sie stets und ständig durch die Gegend scheuchten. Noch immer fragte sich Kate, wie Corinne es mit fünf Katzen und drei Katern schaffte, dass nicht ein Tierhaar an ihrer Kleidung klebte. Wenn Kate in den Genuss einer tierischen Begegnung kam, fühlte sie sich meist mehr mit Fell besetzt, als der kuschelige Urheber. Früher sehnte sie sich nach einem Haustier und hatte Irmaline bekniet, sie möge ihr doch ein kleines Kätzchen genehmigen. Doch ihre Mutter blieb unerbittlich. Albert hätte sicherlich irgendwann nachgegeben, allerdings wurde auch sein kleines Mädchen älter und die Interessen verloren sich alsbald in schulischen Aktivitäten oder im Aufwallen der Hormone. Mit einem Pling hielt der Lift, entließ Kate mitsamt ihren Kolleginnen, denen noch weitere zugestiegene Fahrgäste folgten. Alice wartete geduldig an dem langen, marmornen Tresen, der ihr als Wirkungsstätte diente, und nahm das Trio in Empfang. »Pünktlich, wie immer«, verkündete Alice, deren schmaler Körper in einem Ensemble aus dunklem Bleistiftrock, weißer Bluse und einem Blazer im selben Farbton des Rocks steckte. Der brünette Pagenschnitt und die grau-blauen Augen erinnerten Kate nicht selten an die berüchtigte VOGUE-Chefin – doch Alice war in ihrem Wesen wohl weit mehr sympathischer. Corinne grinste verschlagen. »Bedank dich bei Kate.« Ein verstimmtes Brummen war Seiten Kates zu vernehmen, das Alice mit einem zaghaften Lächeln zu mildern versuchte. Corinne vertilgte mit Hochgenuss ihre Fettucine Alfredo Blue, die Mellory Nase rümpfend und mit angewidertem Ausdruck auf dem sommersprossigen Gesicht absegnete. Sie selbst begnügte sich mit einem kargen Mahl, das lediglich aus einem Apfel und einer Tasse grünen Tees bestand. Kate und Alice waren einem Caesar Salad und Chicken-Sandwich nicht abgeneigt. Gegen dreizehn Uhr rief der Job nach ihnen. Und während sich die Kantine allmählich leerte, hielt Corey Cooligan auf die Gruppe zu. Corey, der den Platz zwei Kabinen neben Corinne besetzte, und Kate vor drei Wochen zu dem Meeting gewichtiger Vorstandsmitglieder begleitet hatte, schlich nicht selten auf dem Gang herum oder wuselte wie zufällig immer dann in der Teeküche umher, wenn Kate im Begriff war, Kaffee zu kochen oder ihr Frühstück aus dem Kühlschrank zu holen. Dass er sie nicht beim Verlassen des Büros abpasste, hatte Kate wohl dem Drängen Corinnes zu verdanken. Corey jedoch schien sich nicht an dem Moment zu stören, als er sich zu den Damen gesellte, schwieg und wartete, dass man seine Anwesenheit bemerkte. »Ich habe dem Hausmeister Bescheid gegeben, dass er die Lampen auf unserer Etage reparieren soll«, platzte es aus ihm heraus, als keine der Frauen Anstalten machte, Notiz von ihm zu nehmen. Verdutzt blinzelte Corinne gegen Coreys Information an. Alice stahl sich heimlich davon, während Mellory einen knappen Blick mit Kate tauschte, so, wie sie es meistens tat, wenn ihr eine Situation zu befremdlich wurde. Eine gewisse Spannung lag in der Luft. Es schien, als erwarte Corey eine Reaktion, die einzig Kate ihm zu seiner inneren Zufriedenheit geben konnte. Corinne neigte bedeutend den Kopf und Kate sah sich alarmiert, dieser Situation des plötzlichen Unwohlseins entgegenwirken zu müssen. »Das … das ist toll, Corey. Vielen Dank. Dieses Geflacker geht uns allen allmählich auf die Nerven, aber Corinne wohl am meisten.« Kate versuchte den Ball an Corinne zurückzuspielen und erntete ein missbilligendes Schnalzen der Zunge. Schweigend nickte Corey, warf einen knappen Blick auf Corinne, bevor er dem Drang widerstand den Kopf einzuziehen. Stattdessen straffte er die Schultern und marschierte geradewegs zu den Fahrstühlen. Erleichtert und genervt zugleich entlud sich die angehaltene Luft Corinnes in einem tiefen und schweren Seufzer. »Dieser Kerl. Ich weiß nicht. Irgendwie werde ich nicht warm mit ihm.« »Das wird wohl niemand«, stimmte ihr Mellory zu, die Kate einer akribischen Musterung unterzog. »Bis auf Kate, vielleicht?« Diese blinzelte irritiert, betrat mit butterweichen Knien den Fahrstuhl und streckte die klammen Finger nach der Haltestelle aus. »Wie bitte?« »Na ja«, fuhr Mellory fort und folgte Corinne und Kate in die Kabine. Die Tür schloss sich und der Lift fuhr an. »Vielleicht ist ihm aufgefallen, dass du seit deinem letzten Kurzurlaub irgendwie anders bist?« »Kurzurlaub? Das war Ostern«, zischte Kate. »Mit Besuch von deinem verschollenen Bruder. Apropos, wie war's Zuhause? Du hast gar nichts erzählt. Und das ist wirklich untypisch für dich!« Corinnes Worten folgte ein bohrender Zeigefinger in Kates Rippen. »He!«, klagte Kate, seufzte jedoch resigniert. »Können wir das später klären?« »Hast du Sehnsucht nach Corey? Willst du deshalb so schnell an deinen Schreibtisch zurück?«, neckte Corinne und hob beschwichtigend die Hände gen Himmel als die gepiesackte Kate ihr einen bitterbösen Blick zuwarf. »Sorry, Kate. Ich meine ja nur, wenn Cooligan wenigstens mürrisch mysteriös und so cool wäre, wie sein Nachname. Aber er ist einfach nur … seltsam. Eigenbrötlerisch.« »Er wirkt irgendwie verklemmt«, sinnierte Mellory und entschlüpfte dem metallenen Gefährt im siebten Stock. »Ich bin kurz austreten. Bis gleich.« Mit einem knappen Wink war von dem rotlockigen, neugierigen Wirbelwind nichts mehr zu sehen. In der siebten Etage waren die Örtlichkeiten bekanntlich schöner und von scheinbar luxuriöser Ausstattung, noch angenehmer war es auf den Damentoiletten im 13. und 21. Stock. Da sich der Tätigkeitsbereich Kates und ihrer Kolleginnen auf die zehnte Etage erstreckte, und die Räumlichkeiten dort nur einen eher funktionalen Zweck erfüllten, war es ein offenes Geheimnis, dass sich die Damen auf den ansehnlicheren Toiletten erleichterten und nur in der allergrößten Not auf die sanitären Anlagen auf ihren Stockwerken zurückgriffen. Doch wenn der Frust des Tages zu viel wurde, schienen die Geistertoiletten wie gemacht, um zu schreien, zu weinen, zu meckern oder vor den Chefs oder anstrengenden Mitarbeitern Reißaus zu nehmen. »Das mit eben tut mir leid, Kate. Das weißt du doch, oder? Ich wollte dich nur ein bisschen aufziehen«, murmelte Corinne, die die abwesende Haltung Kates bemerkte. Kate verengte die Augen zu Schlitzen und blickte prüfend neben sich. »Klar. Allerdings solltet ihr mich so gut kennen, dass ich nichts von Beziehungen zwischen Kollegen und Kolleginnen halte. Wenn es schief geht, dann ist das Arbeitsklima im Eimer. Und ich bin nicht scharf darauf, mir wegen ein paar Scherzen einen neuen Job zu suchen. Corey ist ein netter Kerl, und nur weil ich vielleicht ständig solche Typen anziehe wie Honig die Fliegen bedeutet das nicht, dass ich auch mit ihnen ausgehe! Wir sind Kollegen.« Mit einem Pling glitten die Türen auf und Kates vergleichbar gute Laune war für diesen Tag dahin. Als Corinne am Nachmittag mit einem Entschuldigungscappuccino vor ihrem Schreibtisch stand, nahm Kate die Geste mit einer abermaligen Klarstellung der Situation entgegen, sodass auch Mellory nun mehr deutlich ins Bild gesetzt wurde und die frostige Stimmung langsam schmolz. Um siebzehn Uhr dreißig verlangte es einem arbeitsreichen Mittwoch nach Feierabend. Rechner wurden heruntergefahren, Tische für die Putzkolonne abgeräumt und Ordner und Akten an ihre Plätze verwiesen. Mit zerknautschtem Gemüt und hängenden Schultern schlurfte Kate zu den Ausgängen. Am Empfang ließ sich die Halbtagskraft Mrs. Fredricks in ihren Drehstuhl sinken. Kate schenkte ihr ein freundliches, wenn auch knappes Lächeln, das die Dame, in ihren späten Fünfzigern, nur kläglich erwiderte. Mrs. Fredricks erzählte einst, dass sie diese Stelle nur angenommen habe, um Daheim nicht gänzlich zu verkommen. Auch nahm sie sich der Enkelkinder an, wenn Sohn und Schwiegertochter wieder einmal das Leben in die Quere kam. Ihr Sohn sei Arzt im Presbyterian Downtown Hospital und die Schwiegertochter kümmere sich dort als Krankenschwester um die Leiden und Nöte der Patienten. Als Mr. Fredricks vor etwa vier Jahren einem Herzleiden erlegen war, und ihr das Haus in Waterbury, Connecticut, zu groß wurde, nahm Dr. Robert Fredricks jenen Umstand zum Anlass, seine Mutter zu sich nach New York City zu holen. Er und seine Frau lebten am Stadtrand, in der Nähe zum Krankenhaus. Mrs. Fredricks hatte ein kleines Haus in Seaport, Downtown Manhattan, bezogen und versuchte mit dieser irren Stadt, wie sie New York City schimpfte, zurechtzukommen. Kate waren längst nicht alle Ecken und Plätze bekannt, doch Seaport, nahe der Brooklyn Bridge, war ihr ein Begriff. Dass Mrs. Fredricks beinahe täglich eine Odyssee auf sich nahm, um diesem Halbtagsjob nachzugehen, ließ ein mulmiges Gefühl in Kate zurück. Unweigerlich dachte sie an ihre Mutter, die im Big Apple wohl dem Wahnsinn verfiel, sollte Irmaline Wallace jemals dem Gedanken frönen, länger als eine Woche hier verweilen zu müssen. Kate trat hinaus ins Freie und erschrak, als ihr ein junges Mädchen einen Flyer in die Hand drückte. Sport, knirschte sie innerlich, war das Letzte, an das sie nach solch einem Tag dachte. Dennoch ließ sie einen Blick über das Papier gleiten. Dass auf der Upper West Werbung für eine Fitnesskette auf der Upper East Side gemacht wurde, erschien ihr fraglich, doch das Studio versprach Super-Sonderpreise, exklusive Kurse, warb mit einem Spa-Bereich und allerlei attraktiven Angeboten um ihr attraktives Klientel noch attraktiver zu formen. Kate schluckte, steckte das Flugblatt mehr schlecht als recht in die Tasche und begab sich auf den Heimweg. Zu ihrer Erleichterung ließ der Regen am späten Nachmittag nach, dennoch musste Kate den vielen Pfützen ausweichen, die ihr auf dem Weg durch den Central Park entgegenkamen. Vielleicht war es ein Wink des Schicksals, dass ihr Tag so mies verlaufen war und der Flyer den Abend nicht besser gestaltete. Nur allzu gern würde sie sich in eine warme Decke wickeln, auf dem alten, bordeauxfarbenen Sofa herumlümmeln und eine ganze Packung Ben & Jerry's – Fairway to Heaven inhalieren. Dass ihr in diesem Moment das Zusammentreffen mit diesem kleinen, britischen Kerlchen in den Sinn kam, der doch tatsächlich und wahrhaftig darauf verwies, sie solle besser trainieren, um Wadenkrämpfe zu vermeiden und ihre Kondition auf Vordermann bringen, behagte ihr nicht. Dass sie zudem all diese abstrusen Begegnung vergleichsweise unbeschadet über und hinter sich gebracht hatte, war doch aller Grund genug, in den Tiefen von Karamell auf Karamell versinken zu dürfen! Nickleby »Nick« Oscar Stratford – Ein Name, der ihr auch jetzt noch, gut vier Wochen nach einem verheerenden Zusammenprall zweier Welten, Bauchschmerzen und Herzflattern bescherte. »Reiß dich zusammen!«, knurrte sie und hüpfte gerade noch rechtzeitig über eine Lache hinweg, doch die nächste Pfütze entging ihr. Platschend landete sie mit beiden Beinen in dem Pfuhl aus Schlamm und Regenwasser. Noch hielten die teuren Wildlederstiefel der Begegnung stand, doch nach wenigen Augenblicken drang ihr die Nässe bereits bis auf die Socken. Hastig versuchte Kate dem Dilemma zu entkommen, wetterte wie eine Schneeziege und war sich sicher, dass jeder, der ihr in diesem Augenblick entgegenkam, eiligst die Flucht ergriff oder sie für verrückt erklärte. Erschöpft, erzürnt und halb durchnässt fiel Kate in ihr Appartement ein. Erst entledigte sie sich der Jacke, ehe sie sich unter schmatzenden Lauten den vollgesogenen Stiefeln entwand und sich beim Versuch, die durchtränken Socken abzustreifen, gefährlich verhedderte. Der Saum ihrer Jeans war nicht weniger klatschnass. Fluchend befreite sie sich von dem derben Stoff, raffte die klammen Klamotten zusammen und bugsierte alles in das angrenzende Badezimmer. Kate beweinte die schönen Stiefel. Die Wasserränder wären schwerer zu entfernen, als ihr lieb war und ihr graute schon jetzt davor, über der Badewanne zu hängen, um am bevorstehenden Reinigungsversuch kläglichst zu scheitern. Jeans und Socken waren allemal leichter zu säubern als diese verdammt teuren und überaus bequemen Treter. Für den morgigen Tag versprach der Wetterbericht schönstes Frühlingswetter, mit wohligen 59 °F. Für Kate war diese Vorhersage ein weiteres, ungehobeltes Heben des Mittelfingers. So schlecht der Mittwochabend gewesen sein mochte, überzeugte der Donnerstag tatsächlich mit einem angenehmen Morgen. Skeptisch beäugte Kate die Auswahl an Schuhen und entschied sich schließlich für ihr Lieblingspaar Dandys in beige. Eine dunkle Jeans, gepaart mit einer fliederfarbenen Bluse und eine olivgrüne Kapuzenjacke sollten ihr Outfit komplettieren. Das Haar hatte sie hastig zu einem hohen Zopf gebunden, ehe sie nach ihrer Umhängetasche langte und das Haus in Richtung Central Park verließ. Zu Fuß war sie schneller auf der Upper West. Obschon New York City fast an jeder Ecke einen Zugang zur U-Bahn ermöglichte, war es noch nicht gelungen, ohne Umwege, von Ost nach West zu gelangen, um diesen hiesigen Park zu durchqueren. Es würde die Ästhetik zerstören und sei nicht Sinn des Konzepts, hatte ihr Corinne damals erklärt. Kate kannte die Ecken und Enden und hatte sich eine Strecke zurechtgelegt, die ihr ein sicheres Vorankommen ermöglichte. Und wenn es nicht wie aus Eimern schüttete oder Sturm und Schnee den Weg erschwerten, verzichtete sie auf eine Fahrt mit Bus und Bahn. Um kurz nach halb neun loggte sie in der Lobby bei Alice ein, schloss sich dem Grüppchen tüchtiger Angestellten an, warf keine zehn Minuten später ihre Tasche auf den Schreibtisch und sank in ihren Bürostuhl. Von Mellory oder Corinne war noch nichts zu sehen. Doch Corey Cooligan war schon zur Stelle, um sie zu begrüßen. Kate hörte kaum zu, auch wenn es unhöflich erschien, doch die Arbeit von gestern hatte ihr ein paar graue Haare beschert. Umso mehr war sie auf das Kontrollieren und mögliche Ausmerzen etwaiger Fehler fokussiert, sobald ihr Rechner Betriebstemperatur erreichte. Corey war nett, wirklich und er musste nicht selten die kleinen Stolpersteine eliminieren, mit denen sich seine Kolleginnen herumschlugen, doch er war nicht Kates Typ. Gerade berichtete er von dem neuen Videospiel, mit dem er sich die halbe Nacht um die Ohren geschlagen hatte, als ihn Mellorys unverkennbares Lachen zur Flucht animierte. »War das Corey?«, fragte sie, als beide nur noch den Schatten des Mannes ausmachen konnten. Kates verdrießliche Miene sollte ihr Antwort genug sein. Mellory machte sich daran, ihren Computer zu starten, als ein Kribbeln ihre Nase kitzelte und sie Kate um ein Taschentuch bitten musste. Hilfsbereit schüttete Kate, auf der verzweifelten Suche nach einem Kleenex, den Inhalt ihrer Tasche auf das polierte, weißlackierte Holz, als Corinne den Kopf in die Kabine steckte um die Kolleginnen zu begrüßen. Unfreudiger Weise fiel ihr Blick auf den zerknüllten Flyer, der sich halbherzig und lieblos zwischen Hausschlüssel, Bonbons und Mobiltelefon auf der Tischplatte wand und den Kate völlig vergessen hatte. Schneller, als sie überblicken konnte, waren die Finger Corinnes nach dem Werbeblatt ausgestreckt. »Hey, was ist das? Ein neues Fitnessstudio auf der Upper East?« Kate schürzte die Lippen, sobald Corinne die kreischend-grellen Worte erfasste und von dem Blatt aufsah. »Willst du da hin? Ich komme mit.« Kate rang nach Luft und wollte sich erklären, als Mellory laut schnaubte. »Wieso? Gibt es in Hells Kitchen keine Fitnessstudios?« »Darum geht es nicht!«, ereiferte sich Corinne, doch statt beleidigt zu sein, glomm ein beängstigendes Funkeln in ihren Augen auf. Mellorys Lachen erfüllte das Büro. »Ah, ich verstehe. Du willst Kerle abschleppen. Heiße, verschwitzte Typen in engen Sportshorts.« Ein bedrohliches Knurren war zu vernehmen. »Kümmere dich um deine Angelegenheiten, Mellory Cummings!«, zischte Corinne und wandte sich dann wesentlich freundlicher ihrer anderen Kollegin zu. »Wie dem auch sei: Kate, ich gehe mit dir dahin!« Die roten Locken Mellorys wippten munter, als deren schmaler Körper vor Erheiterung bebte. »Und welche Kurse wollt ihr probieren? Zumba?« Sämtliche Farbe wich aus Corinnes Wangen, hastig schüttelte sie den Kopf. »Bloß nicht! Da bekomme ich schon vom Zusehen einen Herzinfarkt. Fünf Minuten Zumba, untrainiert, und du brauchst ein Sauerstoffzelt!« Da Corinne, ungebremst in ihrem Eifer, auf einen Besuch im Studio drängte, fand sich Kate am frühen Freitagnachmittag vor den Toren des CITYROW Upper East Side auf der 3rd Avenue wieder. Dass beide den Weg durch den Park nahmen, ließ Corinne, die eine schwere Sporttasche schulterte, bereits erste Laute des Schmerzes verkünden. Kate hatte sich dem Vorschlag Corinnes ergeben, brav eine Tasche mit Sportbekleidung gepackt und zur Arbeit geschleppt. Die Glasfront war mit dem großzügigen CITYROW-Schriftzug versehen. Kate versuchte etwas im Innern des Studios zu erkennen, doch das Spiegelglas verhinderte ihr Vorhaben. Stattdessen starrte ihr ein belämmertes Gesicht entgegen. Rasch wandte sie sich von ihrem Spiegelbild ab. Ohne, dass es ihnen aufgefallen wäre, wurden sie von einer Stimme zu ihrer Rechten begrüßt. Ein Mann Mitte zwanzig, hochgewachsen, mit muskulösen Oberarmen, dass Corinne beinahe das Wasser im Mund zusammenlief, fixierte das Duo mit stahlblauen Augen, die – nach Corinnes späterer Aussage – hervorragend mit dem hellblonden, kinnlangen Haar harmonierten. »Wenn ihr einen Blick ins Studio werfen wollt, müsst ihr schon reinkommen«, feixte der Kerl grinsend, hielt ihnen jedoch, ganz gentlemanlike, die Tür auf. Corinnes Ellenbogen fuhr aus und landete unwirsch in Kates Rippen, die noch immer das Gebäude begaffte. Peinlich berührt folgte Kate ihrer Kollegin und verspürte einen Schwall kalter Luft, der ihnen beim Eintreten entgegenwehte. Das Rauschen der Klimaanlage über ihnen erklärte den Erkältungsfaktor. »Ich bin Bryan«, stellte sich der Blondschopf vor. »Ihr seid neu, oder? Wenn ihr wollt, führe ich euch herum.« Corinne und Kate sahen einander an und nickten, wenn auch unschlüssig. Bryan klatsche zufrieden in die Hände. »Gut, hervorragend. Wie ihr sehen könnt, befinden sich hier unten der Empfang und die ersten Geräte.« Beide Frauen staunten über die Geräumigkeit und Größe des Studios. Links und rechts vom Eingang waren Fitnessbikes aufgereiht, etwa zwölf auf jeder Seite, die sich einer Art langen Flur entlangzogen. Fast schon majestätisch ragte eine riesige Theke mit Getränkeautomat in östlicher Richtung vor ihnen auf, um die Kunden zu empfangen. Hinter dieser wuselten fünf Angestellte gleichzeitig umher. Treppen und Stufen zweigten sich wie Äste eines Baumes vom Hauptraum ab. Bryan erzählte tatkräftig von der Entstehung der Studiokette und der Neueröffnung dieser Filiale, deren Renovierung mehr als anderthalb Jahre in Anspruch genommen hatte. Neben den fünf großen Sälen, die für die Kurse vergrößert worden waren, gab es im Keller einen Swimmingpool und Saunazugang. Vor dem Tresen am Eingang hielten sie inne. Bryan zupfte einen Flyer aus dem Aufsteller zu seiner Linken und überreichte ihn Corinne, die offenkundig interessiert schien. Ob ihr Interesse am Fitnessprogramm oder dem Begrüßungskomitee lag, wagte Kate nicht zu beurteilen. »Wollt ihr euch umsehen?«, fragte Bryan. Nun horchte Kate auf, blickte zu Corinne. Beide bejahten zustimmend. Bryan ließ eine junge Frau an seine Seite treten, die er ihnen als Em vorstellte. Em sollte den Damen die Umkleideräume zeigen und er würde an Ort und Stelle auf sie warten, sobald sie sich umgezogen hätten. Em, eine Studentin, die eigentlich Emberly hieß und Englische Literatur studierte, hatte ihr Studium für diesen Laden auf Eis gelegt. Em plapperte wie ein Wasserfall, während der flachsblonde Zopf bei jeder Bewegung wippte wie der Schweif eines Ponys. All das erzählte sie den vermeidlichen Neukundinnen und lotste sie durch zwei kurze Flure, ehe sie vor einer Tür, deren Aufschrift women changing room zierte, hielt. »Hier könnt ihr euch umziehen und duschen«, sagte Em mit freundlichem Lächeln. »Viele kommen nur wegen der Duschen zu uns ins Studio.« Dankend nahmen Kate und Corinne die vielen Informationen auf. Seufzend ließ sich Corinne auf die erste Holzbank in greifbarer Nähe sinken und warf die schwere Tasche polternd auf die Latten. Wie im Eingangsbereich zuvor, wirkte auch hier alles sauber, ordentlich und beinahe schon steril. Die Fronten der vielen Spinde, die ihnen entgegenblickten, waren in den Farben des Firmenlogos gehalten. Kate nahm sich eines der oberen Fächer an und begann damit, sich auszuziehen. »Findest du nicht auch, dass Bryan aussieht wie Smith?«, platzte es aus Corinne hervor, während sie versuchte, sich aus ihrem Tweedrock zu schälen. »Einer deiner speziellen Freunde?«, riet Kate und entledigte sich des dünnen, grauen Pullovers. »Kate!«, entrüstet warf Corinne die Hände in die Luft. »Ich rede von Smith-Smith!« Kate warf einen Blick über die Schulter, neigte jedoch unwissend den Kopf. »Smith, der junge Typ der mit Samantha aus -«, echauffierte sich ihre Begleitung sichtlich. »Ach – den Smith meinst du!« Endlich fiel ihr der Groschen. Doch die Assoziation mit dem Liebhaber der Männerfressenden Samantha Jones aus Sex and the City war Kate entgangen. Nun, bis auf die blonde Mähne konnte Kate keinerlei Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Männern ausmachen. Zumal sie den Schauspieler Jason Lewis als wesentlich attraktiver empfand. »Es war also doch eine gute Idee, hierherzukommen!« Klatschend hüpfte Corinne, die völlig außer sich schien, auf und ab. Doch Kate wollte ihre Euphorie nicht teilen. Ihre sportlichsten Zeiten hatte Kate wahrlich in der Highschool erlebt. Zu ihrem Unglück war ihr Vater, beim Besuch von Bertrams Familie, nicht umhin gekommen, die alten Fotoalben hervorzuzaubern und so ließ er seine drei Enkel an der Bildergalerie teilhaben, die Berts und Kates Kinder- und Jugendtage beschrieben. Besonderes Interesse regte sich bei den ältesten Brüdern, als die Fotoqualität zunehmend jünger und Tante Kate zusehends älter wurde. Kate in einer Tanzgruppe, Kate in einem Pferdestall, Kate beim Rollerskaten, Kate beim – Auch jetzt noch spürte sie den brennenden Blick Nicks auf sich und sah das schelmische Grinsen auf seinem Gesicht, als sie bei ihrer Zeitreise auf die Bilder gestoßen waren, die Kate beim Training der Cheerleader zeigten. Die PomPons, die Uniform mit dem knappen Rock und ein mehr oder weniger begeistert kreischendes Mädchen mit zwei blonden Zöpfen. Noch immer bekam sie rote Wangen, wenn sie an diese desaströse Szene zurückdachte. »Kate hat Bring It On geliebt.« Alberts Lachen hatte das Wohnzimmer erfüllt, während Kate in den Tiefen des Sofas hatte verschwinden wollen und »Ich war 13« und »Nur die Musik« genuschelt hatte. Jetzt stand sie in einer weiten, schwarzen Jogginghose, weißen Sportschuhen und einem pinken Yoga-Tanktop mit Ringerrückenausschnitt gekleidet, an dem Empfangstresen und wartete darauf, dass Bryan, der sie ausdrücklichst darauf hingewiesen hatte, in diesen heiligen Hallen der Gesundheit nur in entsprechendem Schuhwerk umherzuwandern – es sei denn, sie betraten den Eingangsbereich und die Umkleidekabinen - ihnen das restliche Etablissement näherbrachte. So marschierten sie die Ertüchtigungsmöglichkeiten ab. Neben den Fitnessbikes beim Eingang, gab es noch andere Geräte, die den Sportfanatikern Freude machten. Rudergeräte, Kraftstationen, Laufbänder, Crosstrainer, Beinpressen, Hantelbänke und Stepper fanden sich den oberen Etagen des Fitnessclubs. Zu jeder Gerätschaft hatte Bryan eine Erklärung zur Handhabung parat. Begierig sog Corinne nicht nur jedes seiner Worte auf sondern auch den Zipper ihrer Trainingsjacke. Als Bryan ihnen den ersten der fünf großen Kursräume zeigte, war Kates Neugierde geweckt. Das Angebot an Kursen hielt, was die CITYROW-Kette versprach: Yoga, Tai-Chi-Chuan, Qigong, Kickboxen, Aerobic, Zumba, Tae Bo, Tae-Kwon-Do Kate qualmte allein schon vom bloßen Zuhören der Kopf, doch beim Kickboxen und Aerobic wurde auch sie hellhörig. »Und das alles bietet ihr an?«, fragte sie und wurde jäh enttäuscht, als Bryans Miene verrutschte. »Leider noch nicht alles. Wir würden gern, doch uns fehlen die Kursleiter und eine gewisse Anzahl an Teilnehmern ist Voraussetzung, dass ein Kurs stattfinden kann«, erklärte Bryan. Corinne nickte verstehend und warf Kate einen mahnenden Blick zu der zu sagen schien: Das liegt doch auf der Hand! Ein kleines, entschuldigendes Lächeln zupfte an Kates Lippen. »Wenn ihr Aerobic anbietet, dann wäre ich schon fast an Bord.« »Mit Stepper?«, hakte Bryan nach und erntete bejahendes Nicken Kates. »Gut, ist notiert. Erinnere mich später noch mal daran. Vielleicht lässt sich da in den nächsten Tagen etwas machen.« Dann glitt sein Blick zu Corinne, die wie vom Donner gerührt nur eine mehr als versteifte Zustimmung gab. Kate beschlich der Verdacht, dass Mellory recht behielt, was Corinnes Absichten betraf. Und vielleicht war Corinne wirklich nur aus einem einzigen Grund mitgekommen. Ein weiterer Raum, der dem von eben in nichts nachstand, schob sich in das Blickfeld der Neulinge. Gut und gern zwölf Frauen verschiedener Altersklassen standen mehr schlecht als recht in einer Reihe und wurden von einer weiteren Dame instruiert. Die Trainerin, daran zu erkennen, dass das Logo des Studios auf dem Shirt prangte, gestikulierte mit Händen und Füßen, schickte Tritte in die Luft und wies die Frauen an, einen festen Stand einzunehmen. Gerade, als sich Kate von dem Spektakel abwenden wollte, wackelte eine weitere Person in den Trainingsraum. Wie das Männchen im Michelin-Werbeclip aus den frühen 90ern, trat der arme Tropf in die Mitte und wurde von der Übungsleiterin in den Bauch geboxt. »Das ist Carla, unsere Verteidigungsministerin«, gab Bryan amüsiert zur Antwort, als ihn wundernde Blicke trafen. »Keine Angst, meine Damen. Er spürt nichts. Unser kleiner Bib ist ausreichend und gut gepolstert«, verkündete Carla, schlug ein weiteres Mal zu. Das Männchen taumelte und fing sich wieder. Bryan stieß ein mitleidiges Lachen aus. »Der arme Kerl.« »Was ist das für ein Kurs?« Corinne konnte der Szenerie kaum entziehen. »Das ist unser Motivations- und Selbstverteidigungskurs«, erklärte Bryan. Fragend schoben sich Kate die Augenbrauen zusammen. »Ich dachte, dass Judo, Karate, Krav Maga oder so was zur Verteidigung dienen?« Bryan schnaubte und Kate verwarf ihren Wunsch, es mit Kickboxen zu versuchen. Vermutlich würde ihre Hüfte regelmäßig aufjaulen. »Wir haben dieses Projekt ins Leben gerufen, um Frauen zu helfen, Attacken so abzuwehren, dass niemand, bis auf den Angreifer, zu Schaden kommt.« Corinnes Augenbraue hüpfte hinauf. »Ist das nicht Sinn und Zweck der Selbstverteidigung? Dass der andere Schaden nimmt?« Kate fuhr zusammen, da Carla den armen Kerl gerade in Grund und Boden brüllte. »Eine weitere Technik, die wir hier mit den Frauen trainieren, ist das In-die-Flucht-Brüllen«, sagte Bryan, dem Kates fragender Gesichtsausdruck nicht entging. »Und wenn man nicht brüllen kann? Was dann?«, verlangte sie zu wissen und sah, wie das Männchen umständlich versuchte, von dannen zu wackeln. »Du meinst aus Schock?«, hakte Bryan nach, doch Kate schüttelte den Kopf. »Nein«, murmelte sie, »ich kann nicht brüllen. Ich kann auch nicht singen. Ich kann nur grölen.« »Dann grölst du den Angreifer in die Flucht«, lenkte Corinne ein und schnaufte erstaunt, als die Trainerin dem dick eingepackten Männchen auf den Rücken sprang. »Uff, das sieht aber böse aus.« Abermals schnaubte Bryan. »Ihm passiert nichts. Doch wir haben Glück, dass wir mit dieser Aktionen den verängstigten Frauen etwas mehr Mut verschaffen können. Und wir suchen immer neue Versuchsobjekte. Wenn eine von euch Interesse hat?« Kate und Corinne schüttelten die Köpfe. Bryan lotste sie weiter, doch Kate blieb wie angewurzelt stehen. Das Trainigsobjekt hatte Mühe, sich nach einem Stoß in den Rücken, aufzurichten. Einige der Frauen drucksten herum. »Die Hemmschwelle«, brüllte Carla, »ihr müsst die Hemmschwelle überwinden. Euren Männern fiel es doch auch leicht, euch zu schlagen, zu treten, herunterzuputzen!« Eine der Frauen, Kate schätzte sie auf Mitte vierzig, mit ausgemergeltem Gesicht, spindeldürren Armen und grauen kurzen Haaren, versuchte sich daran, dem Leidgeplagten eins auszuwischen. Kate schluckte und konnte sich kaum ausmalen, was diesen Frauen passiert sein musste, was ihnen Furchtbares widerfahren war. Vielleicht half ihnen diese Art der Bewältigung, mit dem Erlebten zurechtzukommen. Das Männchen ächzte und gab grunzende, um Pause bettelnde Laute von sich. Gerade, als sie sich abwenden wollte, horchte Kate auf und zuckte zusammen, als habe ihr jemand einen Eimer eisig kaltes Wasser über den Kopf geschüttet. »Gut, gut. Gebt unserem Nicky ein bisschen Luft zum Atmen«, gebot Carla den Teilnehmerinnen. Diese trollten sich zu den Turnbänken, um auszuruhen oder den ausgedörrten Kehlen nach all dem Geschrei etwas Wasser zukommen zu lassen. Der Gepeinigte ließ sich von Carla aufhelfen, was bei der Fülle an Polstermaterial mehr als beschwerlich schien. Wie auch immer die Kursleiterin auf sie aufmerksam wurde, Kate wurde plötzlich ganz übel, als Carla auf sie zuhielt, das Männchen im Anhang. Carla erschien viel zu freundlich, als dass sie einen zwei Meter Hünen zu Fall bringen könnte. Sie trat auf Kate zu, deren Instinkt zur Flucht von der Neugierde und dem Irrsinn dieser Situation überschattet wurde. »Möchtest du mitmachen? Wir machen kurz Pause aber dann geht es gleich weiter«, sagte die Trainerin und deutete auf die Gruppe hinter sich. Kates Lippen öffneten sich, sie wollte verneinen, stattdessen huschte ihr Blick zu dem Prügelknaben, der sie nicht weniger offenkundig musterte, als überlege er, woher ihm diese Frau bekannt war. Beinahe beleidigt gewann Kate ihre Stimme zurück und erklärte, dass sie keine Kundin sei, sondern lediglich mit ihrer Kollegin vorbeischauen wollte und sich nun von Bryan das Studio zeigen ließ. Dass sie ihren Worten mit wilder Gestik Ausdruck verlieh, überzeugte den jungen Mann erst recht, dass es sich bei dieser Person um jene Frau handelte, mit der er im letzten Monat unverhofft, und vom Schicksal geküsst, im Bett gelandet war. Wenn Blicke Bände sprachen und töten konnten, dann glich diese Szene einem Shakespeare-Stück oder einem Tennismatch. Wie auch immer es Carla gelang, sie überzeugte die mit wackeligen Knien den Raum betretende Kate, sich diesem Schnupperkurs anzuschließen. Ob Corinne bereits nach ihr suchte? Oder hatte sie sich mit Bryan an den Tresen zurückgezogen, um einen dieser Gesundheitssmoothies zu schlürfen? Kate spürte dieses nervige Knäuel in der Magengegend, das ihr nicht nur beim Gedanken an flüssiges Gemüse mit Kohl würgend die Kehle hinaufschoss. Nach und nach machten sich die Damen daran, dem armen Tropf die letzten Minuten zur Hölle zu machen. Als sie an der Reihe war, schien es um die Fassung des jungen Mannes bereits ziemlich schlecht bestellt. »Schrei ihn an!«, forderte Carla und Kate blickte hilfesuchend hinter sich. Auch das noch! Wo ihr das Schreien aus voller Kehle doch so gar nicht lag. »Wenn du nicht schreist, dann schubs ihn, tritt ihn, wehr dich!«, setzte Carla ihr zu und die Frauen im Raum schienen sie mit Blicken anzufeuern. Kate starrte zu Nick herüber. Der erste Tritt war vollzogen, noch ehe sie sich dessen gewahr wurde. Ein zweiter Schlenker mit dem Fuß folgte, doch Nick war, trotz des Handicaps, recht flink. Mehr schlecht als recht scheuchte Kate ihn durch die Halle und erst, als ihr der Schweiß ausbrach, vom Rennen, Kicken, Schlagen, ließ Carla von ihnen ab und verabschiedete die Gruppe. Ihr schlug das Herz im Hals und das Blut rauschte ihr in den Ohren. Nick wackelte an ihre Seite, als Carla sich zu Kate gesellte. Diese gebot dem Jungen endlich aus dem Kostüm zu steigen und war ihm beim Ausziehen behilflich, indem sie den Reißverschluss am Rücken aufzog. »Du hast dich tapfer geschlagen, Nick«, sagte Carla breit grinsend und scheinbar sehr zufrieden mit ihrer Arbeit. »Leg den Anzug einfach auf die Matten. Ich räume dann später auf.« Nick zwang sich, das Lächeln zu erwidern. Quälend langsam hoben sich ihm die Mundwinkel. »Ich hoffe doch, dass wir dir nicht allzu grob zugesetzt haben und du nächste Woche wiederkommst«, fuhr Carla fort, doch statt Nick war Kate gemeint, die irritiert blinzelte. »Ich, ähm ...«, mehr brachte sie nicht hervor, sondern zuckte nur unschlüssig die Schultern. »Eigentlich wollte ich in einen Aerobic-Kurs.« »Kein Problem, den leite ich auch«, gebot die Trainerin ihr. »Was die Terminabsprache betrifft, müssen wir uns irgendwie einpendeln. Nicht jeder hat den Nachmittag frei geschweige denn Lust, sich abends ins Fitnessstudio zu bequemen.« Mit diesen Worten zockelte Carla davon. Tief rang Kate nach Luft und blickte neben sich. Nick war soeben dabei, das Michelin-Kostüm abzustreifen. Boxershorts und Feinripp-Unterhemd prangten ihm am verschwitzten Leib. Noch immer glühten ihm die Wangen. »Ich glaube, ich weiß jetzt, wie sich Walrösser fühlen«, japste er und rieb sich die Stirn. »Was auch immer dich da eben so in Rage gebracht hat, ich hoffe, ich war nicht der Grund.« »Nein«, beteuerte Kate, knickte dann aber ein. »Vielleicht ein bisschen.« »Muss ich also davon ausgehen, dass du latent zur Gewalt neigst?« Er entstieg dem Gummianzug. Dummerweise hatte er vergessen, sich vorher der Schuhe zu entledigen. Umso amüsierter blickte Kate drein, als sie sein kümmerliches Unterfangen verfolgte. »Das bisschen Gerenne und Geschrei«, tat Kate seine Mutmaßung ab. »Gegen einen kleinen Klaps habe ich nichts, wenn ich derjenige sein darf ...«, keuchte Nick und kickte sich die Schuhe von den Füßen, die einmal quer durch den Raum flogen. Kate setzte sich in Bewegung, um ihm beim Aufsammeln der Kleidung behilflich zu sein. »Der austeilt oder einsteckt?«, rief sie über ihre Schulter hinweg. Nick schnaubte. »Das könnte ich dir überlassen. Also, Kate – richtig?« Diese stoppte abrupt, wandte sich zu ihm um und zeigte ihm den Mittelfinger, ehe ein Schuh gefährlich nah an seinem Kopf vorbeisauste. »Du bist gut. Gefährlich, aber gut.« Nick duckte sich gerade noch rechtzeitig zur Seite weg. »Was machst du eigentlich hier?« Kate schnaubte lachend. »Ein gewisser Jemand hat mir nahegelegt, es mal mit Sport zu versuchen. Für die Kondition und so ...« »Im Ernst? Muss ja ein kompletter Vollidiot gewesen sein«, gab Nick, die Schultern zuckend, zur Antwort. Kate neigte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ja, das ist er.« Ein schelmisches Grinsen zierte sein Gesicht. »Also, Kate, warum stolperst du ausgerechnet in mein Fitnessstudio?« Ein undamenhaftes Grunzen entfuhr ihr. »Das ist nicht dein Studio – es sei denn, du hast die ganze Kette gekauft?« »Gut«, abwehrend hob Nick die Hände, »dann anders: Was hat dich dazu bewogen, ausgerechnet in dieses Studios zu stolpern?« Abwägend musterte Kate den Jungen vor sich. »Ein Mädchen hat mir einen Flyer in die Hand gedrückt. Und nah ist es auch. Also, näher an meiner Wohnung.« Verstehend nickte er, doch so ganz traute auch er der Situation nicht. »Und du willst eigentlich Aerobic machen?« Nun zuckte Kate mit den Schultern. »Wenn sie den Kurs geben können und es auch zeitlich passt. Kickboxen habe ich abgewählt.« Nicks kehliges Lachen erfüllte den Raum. »Dann muss ich es wirklich mit der Angst kriegen. Aber vielleicht kommt dir beim Aerobic deine Cheerleader-Karriere zugute, hm Kitty?« So sehr sie sich gewünscht hätte, er habe es vergessen, belehrte Nick sie eines Besseren. »Lieber das, als irgendetwas mit Pferden. Ich hasse reiten«, knurrte sie. Eine Augenbraue huschte zur Hallendecke und seine Mundwinkel taten es ihr gleich. »Tatsächlich? Kam mir gar nicht so vor.« Ein zischender Laut entfloh ihm, als er Kates Ellenbogen zu spüren bekam. »Aha, hier steckst du!« Corinne lehnte am Türrahmen. »Du findest auch überall jemanden zum Quatschen, was Kate?« Plötzlich galt Kates Aufmerksamkeit nicht länger ihm, sondern der Eingangstür zum Trainingsraum, während Nick beim Klang der fremden Stimme zusammenfuhr und sah, wie sich die Frau auf sie zubewegte. Schamhaft hielt er sich das schlaffe Kostüm vor den Leib, als er Corinnes prüfenden Blick bemerkte. »Hi! Ich bin Nick«, grüßte er höflich. »Corinne«, sagte sie knapp und lenkte dann ihren Fokus auf Kate. »Kommst du? Bryan hat uns Smoothies gemixt.« Kate verzog das Gesicht, doch statt ihrer gab der junge Kerl ein würgendes Geräusch von sich. Skeptisch beäugte Corinne das Duo, dann streckte sie die Finger nach Kates Top aus und zupfte auffordernd daran. »Schon gut, schon gut«, seufzte Kate und folgte der hibbeligen Nervensäge. Kurz warf sie einen letzten Blick über die Schulter. Noch immer stand Nick dort, wo sie ihn zurückgelassen hatte. Ein kurzer Wink in seine Richtung, doch dann zupfte und zerrte Corinne sie in Richtung Smoothiebar. Zu Kates Überraschung stand Carla an der Theke, nippte an einem Glas und schien offenkundig erfreut über das Wiedersehen. Mit lobenden, überschwänglichen Worten versuchte Carla ihr das reichhaltige Angebot an Säften schmackhaft zu machen. Kate rang sich ein Lächeln ab, entschied sich für den ersten Saft auf der Karte und beäugte misstrauisch das Gebräu, das von einem Angestellten zubereitet und ihr nunmehr vor die Nase gehalten wurde. Die Gerüche, die ihr entgegenschlugen, konnte sie nicht benennen. Eine mahnende Falte bildete sich zwischen den dunklen, akkurat gezupften Brauen Corinnes, sobald sich Kate eines knappen Blickes versicherte. Mehr schlecht als recht zwang sie sich den ersten Happen in den Mund. Ihr Magen rebellierte bei dem abenteuerlichen Potpourri, das sich an ihre Geschmacksnerven klammerte, noch ehe etwas von dem Gemisch ihre Kehle hinabgeklettert war. Was an püriertem Gemüse so unsagbar köstlich sein sollte, erschloss sich ihr nicht. So schob Kate diese eigenartige Konsistenz von einer Wange in die andere. »Vorzüglich«, würgte sie mit vollem Mund und zwang sich den Brocken Grünkohl den Hals herunter. »Ich spüre die Vitalität ganz deutlich.« Bryan unterstrich ihre Worte mit einem bekräftigenden Nicken, verschränkte die Arme vor der breiten Brust und lenkte so Corinnes Interesse wieder auf das Muskelspiel seines trainierten Körpers. »Die Smoothies sind bei einer Mitgliedschaft gratis.« Doch Kate wollte das aufmunternde Grinsen auf den Lippen des überaus attraktiven und aktiven Bryan nicht teilen. Carla erklärte beiläufig, welche Termine für einen Aerobic-Kurs infrage kämen und versuchte den Frauen eine Mitgliedschaft zu verkaufen. Offensichtlich war es Teil dieser Maschinerie und gehörte zum Einstellungstest, neue Mitglieder zu rekrutieren, sie mit Gratis-Smoothies und anderen Angeboten zu ködern. Für etwas mehr wären auch die Kurse, deren Besuch einen gesonderten Obolus zum Mitgliedsbeitrag erforderlich machten, mit inbegriffen. Carla verwies auf die Prospekte, erklärte, wie Bryan keine Stunde zuvor, die verschiedenen Möglichkeiten, die ihnen dieser Fitnessclub anbot. »Es liegt ganz bei euch, ob ihr nur die Kurse buchen möchtet oder auch nur die Geräte nutzen wollt. Vergesst nicht die Sauna und das Schwimmbad. Wenn ihr vollwertige CITYROW-Anhängerinnen sein wollt, stehen euch hier die Türen offen.« Kate hielt sich stets an ihr eigens auferlegtes Credo, sich nicht leichtfertig auf Aktionen jeglicher Art einzulassen, so verlockend sie auch sein mochten. Dass ihr bei ebenjenem Gedanken bereits der Holzhammer in Form dieses kleinen, unverschämten Briten um die Ohren flog, versuchte sie zu ignorieren. Die ersten vierzehn Tage seien, mit Aussicht auf eine Mitgliedschaft, ohnehin kostenfrei, warf die blond-bezopfte Em, die sich ungefragt in das Verkaufsgespräch drängte, ein, polierte munter die gespülten Gläser und verfrachtete sie in die große Vitrine hinter sich. »Die Mitgliedschaft verlängert sich um ein halbes Jahr und die Kündigungsfrist beträgt vier Wochen«, verkündete Bryan. Zu Kates eigener Verwunderung, ließ sie sich für einen der Aerobic-Kurse einschreiben und zerrte Corinne, mit der Aussicht, Bryan oder einen der anderen Trainer wiederzusehen, mit ins Boot. »Vielleicht lassen sich Mellory und Alice überreden«, sagte sie schulterzuckend und hoffte, dass ihr zumindest Alice diese kleine Bitte nicht abschlug. Carla begab sich hinter den Empfangstresen und hackte mit flinken Fingern auf die Tastatur des Firmencomputers ein. Rasch überflog sie ihre Termine. »Mittwochs und freitags hätte ich ab zwei Uhr Zeit für die Kurse.« »Freitag«, drang es Corinne und Kate wie aus einem Mund. Carla vermerkte ihre Namen und sicherte ihnen zu, dass der Kurs für die nächste Woche fest sei, da bereits vier andere Teilnehmer mit von der Partie wären. Dass sie dieser Schnupperkurs gut und gern fünfundzwanzig Dollar kostete, gestaltete eine Mitgliedschaft beinahe schon erfolgversprechend. Wie auch immer sie es gedreht hatten, der Besuch eines Kurses bliebe auch ohne Mitgliedschaft gestattet, erforderte allerdings eine rechtzeitige Anmeldung sowie die Bezahlung der Trainingseinheit in bar. Corinne zog es vor, sich noch ein wenig in Bryans Gunst zu sonnen. Kate hingegen gönnte sich eine schnelle Dusche, entschlüpfte der Kabine und wickelte sich ein große Handtuch um den Leib, als Corinne mit breitem Grinsen den Umkleideraum betrat. »Du bist schon fertig? Na gut, dann teste ich jetzt diese hochgelobten Duschen«, flötete Corinne und wühlte in ihrem Spind nach Handtuch und Duschgel. »Du kannst ruhig schon vorgehen, Kate. Wir sehen uns dann am Montag.« So schnell, wie Corinne sie plötzlich abkanzelte, konnte das nur bedeuten, dass es ihr tatsächlich gelungen war, sich den attraktiven und aktiven Bryan unter die manikürten Nägel zu reißen. Doch vermutlich war auch Bryan einem kleinen Zwischenhüpfer nicht abgeneigt. Kate entschied, dass es reine Zeitverschwendung wäre, auf die aufgekratzte Corinne zu warten. Sowie die Alltagskleidung wieder an ihrem Körper prangte, suchte sie ihre Habseligkeiten zusammen, schulterte abermals die kleine Sporttasche und ließ die Tür zum Ankleideraum ins Schloss fallen. Auf dem Weg zum Eingangsbereich kamen ihr weder Carla noch Bryan entgegen. Auch am Tresen hatte das Personal gewechselt, denn von den Gesichtern, die sie noch eine Viertelstunde zuvor gesehen hatte, fehlte jede Spur. Verdutzt hielt Kate kurz inne und der Angestellte mit südländischem Touch stoppte mitten im Wischgang der Theke. Das Namensschild wies ihn als Pepe aus. »Bis zum nächsten Mal«, verabschiedete er sie mit einem Zahnpastalächeln. »Bye«, sagte Kate knapp und bemühte sich, mit schnellen Schritten das Studio zu verlassen. Eben noch versuchte sie einem jungen Kerl auszuweichen, der ihr unhöflicherweise nicht die Tür aufhielt, da lief sie geradewegs in den nächsten hinein. »'Tschuldigung«, murmelte Kate und bemerkte zu spät, dass dieser Mann kein Unbekannter war. »Hat dich Pepe so aus der Fassung gebracht?« Auch wenn er sich bemühte, so haftete ihm noch immer ein Hauch der britischen Insel an. Kate versuchte, sich und diese aberwitzige Situation zu sortieren. »Nein, nicht wirklich.« »Gut. Und ich dachte schon, ich müsste mir Sorgen um deinen Geschmack machen«, gab Nick zurück. Ihre Augenbraue hob sich gefährlich zum Himmel. »Als wenn du etwas über meinen Männergeschmack wüsstest.« Als Antwort kassierte Kate ein schnaubendes Lachen, doch er fing sich überraschend schnell. »Stimmt, dazu kann ich nicht viel sagen. Ich kenne dich ja kaum.« Kate nickte seine Aussagen mit bekräftigender Geste ab und bemerkte nur am Rande, dass sich die Tür zum Fitnessclub erneut öffnete. »Ciao Nick.« Emberly drängte sich zwischen ihnen hindurch und winkte ihm zum Abschied. »Bis nächste Woche, Em«, rief er ihr nach. Kate biss sich auf die Lippen und schalt sich für diesen dummen Gedanken und das erstickende Gefühl, das ihr die Kehle hinaufkroch. »Sag mal, wie lange machst du das hier schon?«, fragte sie, um ihn vielleicht von dem jungen, hübschen Mädchen abzulenken, dessen Pferdeschwanz bei jedem Schritt hin und herpendelte. »Du meinst den Boxkloß spielen?« Nick neigte den Kopf, nahm den Blick von der wippenden Emberly und richtete seinen Fokus auf die Frau neben sich. »Boxkloß«, echote Kate halb lachend, halb von Mitleid erfüllt. »Hm, seit etwas mehr als fünf Wochen«, erklärte er und Kate stutzte. »Eigentlich arbeite ich im CITYROW Union Square, aber seit sie hier aufgemacht haben, werde ich quasi ausgeliehen.« Argwohn zierte Kates Gesicht. »Und wie viel verdienst du bei dieser Aktion? Was springt für dich dabei raus?« »Du meinst, bis auf die Gratis-Nutzung der Geräte, das Gratis-WLAN, das ich nicht brauche, die Gratis-Getränke, die – im Übrigen – besser aussehen, als sie schmecken und dem Gefühl, misshandelten Frauen eine Art Therapeut zu sein? Etwa 250.00 Dollar«, erklärte Nick unumwunden. »Rechnest du gerade meine Kosten hoch?« Kate öffnete den Mund, dann zog sie eine beleidigte Schnute. »Ist das so offensichtlich?« Nick zuckte die Schultern. »Gelegenheitsjobs. Erinnerst du dich?« »Ich meine ja nur ...«, brummte Kate einsichtig. »Ich mach dir 'ne Liste, okay Lady? Aber nur, damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe schon eine Mum, die mich an vier von sieben Tagen terrorisiert«, knurrte Nick. Es war offensichtlich, dass ihm die Stimmung abrupt in den Keller sank. »Es tut mir leid, ich wollte dich nicht beleidigen oder dir zu nahe treten«, murmelte Kate. Ungern ließ sie seinen prüfenden, abwägenden Blick über sich ergehen. Warum ergab sie sich überhaupt diesem Gespräch mit ihm? Warum maß sie seinen Worten so viel Bedeutung bei? Und warum und wieso scherte es sie, womit er seinen Lebensunterhalt bestritt? Vor gut und gern einem Monat hatte es sie noch brennend interessiert. »Ich komme klar, okay Kate? Dasselbe sage ich meiner Mutter gefühlt jede Woche einhundert Mal. Es ist cool, dass du dir Sorgen machst, aber du hättest ja nicht einmal gewusst, dass ich hier lebe, wärst du nicht so versessen darauf gewesen, diese verdammten Highheels aus der Hölle anzubehalten als dieser verdammte Lastwagen auf dich zugerast kam.« Seine Worte saßen und trafen sie tief. Kate versuchte, kaum merklich, Luft in ihre Lungen zu pressen. Nicks Ansage hatte den gewünschten Effekt. Kate presste die Zähne aufeinander. Der Kloß in ihrer Kehle brannte nicht weniger als es die Tränen taten, die ihr plötzlich in den Augen stiegen. Doch sie würde sich hüten, sich ihm auf diese deprimierende Art preiszugeben. »Fühlst du dich jetzt für mich verantwortlich, nur weil wir vielleicht zufällig mit einander verwandt sind? Kate? Hey, es … « Nick langte nach ihrem Arm und spürte, dass sie sich augenblicklich versteifte. »Es … es lief heute alles ein bisschen … scheiße.« Kate schnaubte abfällig. Als ob sein Ausbruch dem ganzen, beschissenen Tag geschuldet wäre. Nick nahm die Hand von ihr und da er offensichtlich nicht wusste, wohin mit den untätigen Fingern, kratzte er sich am Hinterkopf. »Nein, ganz ehrlich. Ich hab verschlafen und dann war da diese Vollsperrung und ich kam schon zu spät zum -« »Schon gut.« Kates Verletzlichkeit wandelte sich in aufsteigende Wut. »Es ist okay, okay Nick? Du musst dich nicht entschuldigen.« »Hab ich nicht«, gab er zurück und brachte sie ganz aus dem Konzept. »Was?«, blinzelte Kate. »Ich habe dich mit keiner Silbe um Entschuldigung gebeten. Ich wollte dir lediglich erklären, dass mir Tag in den Arsch trat und der Mist ist ja noch nicht mal vorbei. Wir haben es erst fünfzehn Uhr.« Wieder zuckte Nick mit den Schultern. Kate rang leise zischend nach Luft. Die Sekunden verstrichen und Nick wirkte mit jedem Ticken der Zeiger der Armbanduhr an seinem Handgelenk unsicherer. »Ich wollte dir nicht auf die Füße treten.« Schweigend nahm sie seine Worte hin. »Okay, pass auf!«, fuhr er fort. »Wir machen hier einen Cut und fangen noch mal von vorn an, in Ordnung? Wir müssen uns auch nicht wiedersehen. Denn wie du neulich schon sagtest, ist diese Insel wie jede andere und dass wir uns zufällig über den Weg gelaufen sind ...« Kate legte den Kopf schief und wartete, doch als Nick bemerkte, in welches Fahrwasser er sich gerade hineinmanövrierte, konnte er nicht mehr zurückrudern. »Was für ein Scheißtag! Ich hätte im Bett bleiben sollen«, knurrte er und rieb sich die Augen. »Ich auch«, seufzte Kate gedehnt und stutzte, als sich ein spitzbübisches Grinsen seine Lippen umspielte. »Dein Bett oder meins? He, aua!« Zur Strafe für seine unangemessene Frage, boxte Kate ihn gegen den Oberarm. »Das war mein voller Ernst, Kate. Wieso schlägst du mich?« Nicks Miene zierte Unverständnis. »Das war doch kein Schlag«, empörte sich die Angeklagte. »Das war eher ein freundschaftlicher Knuff.« Sie schmälerte den Blick, als sein Grinsen anzüglicher wurde. »Du hast etwas von kein Wiedersehen gesagt.« »Ja, und dass wir beide uns heute und für den Rest der Woche in deinem Bett verkriechen«, verteidigte Nick die gefallenen Worte. »Das muss ich überhört haben«, spie Kate entrüstet aus. Wieder betrachtete er sie prüfend. »Ich habe einen blauen Fleck als Beweis.« »Da ist garantiert überhaupt nichts zu sehen«, wiegelte sie händewedelnd ab. »Wir können gern nachsehen«, forderte er provozierend grinsend. »Bei dir. Nackt.« »Nick!« Ihr drohendes Knurren sollte ihm Warnung genug sein. So ungern es Kate auch zugab, hatte ihr das erneute Zusammentreffen mit Nick diese stressige Woche ein wenig erträglicher gemacht. Ein wenig, sie schnaubte leise lachend und wollte zugleich vor Scham im Erdboden versinken. Als One-Night-Stand würde sie die letzten zweieinhalb Tage nicht länger abtun können. Und bekäme Corinne irgendwann Wind von ihrem Treiben, würde sie Kates verfahrene Situation höchstwahrscheinlich und über alle Maße amüsiert auf ein Gelegenheitsfick mit Wiederholungsgarantie reduzieren. Wie Kate am darauffolgenden Montag erfuhr, war Corinnes Wochenende bei weitem nicht so ausgefüllt und entspannt verlaufen. Zwar zeichneten sich dunkle Ringe unter Corinnes Augen ab, und sie wirkte auch ein wenig fahrig, doch in ihr wütete Unzufriedenheit, die sie beim allmorgendlichen Klatsch in der Teeküche ungehindert freisetzte. »Und ich habe mir so viel davon versprochen!«, klagte sie jammernd. »Du meinst vom aktiven Bryan?«, hakte Kate nach und erntete einen vernichtenden Blick. »Von wegen aktiv?«, echote Corinne und schüttelte den Kopf. »An diesem Kerl ist im Bett nichts aktiv. Ich wollte nur mal gesagt haben, dass Personaltrainer nicht immer vor Durchhaltevermögen strotzen!« Mellory musste sich einen Lachanfall verkneifen. Alice starrte beschämt zur Seite. Corinne seufzte gedehnt. »Er hat den Seestern gemacht und ich durfte mich abschuften!« Doch die mitfühlenden Schulterklopfer waren ihr keine Unterstützung. »Vielleicht wird es beim nächsten Mal besser?«, riet Alice. »Genau«, pflichtete Mellory bei. »Vielleicht war es ein anstrengender Tag und er hat beim nächsten Mal mehr …« »Was? Standhaftigkeit?« Ein unfeines Grunzen entwich der gebeutelten Corinne. »Oh, er stand wie eine eins.« »Aber du kommst am Freitag mit zu dem Kurs, oder?« Lenkte Kate ab und empfand die Frage als durchaus berechtigt. Überdies war es ihr tatsächlich gelungen, Alice und Mellory zu einer Schnupperstunde überreden zu können. Corinne verzog das Gesicht, ließ sich allerdings von ihren Kolleginnen einlullen und ermutigen, dass es dem aktiven Bryan vielleicht ein wenig zu schnell ging. »Vielleicht habe ich ihn wirklich etwas überrumpelt«, sinnierte Corinne und warf Kate einen auffordernden Blick zu. »Und was lief da noch mit dem Kerl, Kate?« Natürlich ließ es sich Corinne nicht nehmen, erst ihr Leid ausgiebig auszuschlachten, ehe sie umschwenkte und den Spot auf jemand anderen richtete. Mellorys Augenbraue zuckte neugierig. Kate seufzte erschöpft. »Kann ich nicht einmal mit einem Mann reden, ohne dass ihr mir gleich etwas andichtet?« »Ihr habt ziemlich vertraut gewirkt«, warf Corinne ein. »Ich habe euch zwei noch draußen stehen sehen.« Kates Miene nahm verkniffene Züge an, doch sie riss sich zusammen und ließ nur ein Zucken der Schultern erkennen. »Wenn es dir nur darum geht, dann hat mir auch Pepe schöne Augen gemacht.« »Pepe?« Mellory wurde hellhörig. »Wer ist das?« »Er arbeitet am Empfangstresen, zumindest hat er gerade richtig ordentlich den Marmor poliert, als ich mich auf den Heimweg machen wollte«, zischte Kate und aus der anfänglichen Ruhe wurde allmählich Wut. Corinne verdrehte theatralisch die Augen. »Es tut mir leid, Kate. Es ist nur … es ist toll, wenn auch du zur Abwechslung mal jemand Nettes kennenlernst.« »Corinne«, knurrte Kate warnend, »treib es nicht zu weit!« »Wenn da so ein Männerüberschuss herrscht, dann bekomme ich vielleicht auch endlich mal wieder was zum Gucken«, warf Mellory ein und Kate war ihr diesem Moment so dankbar wie nie. Sie würde sich hüten, ihren Kolleginnen, so vertraut sie auch mit ihnen sein mochte, von ihrem Liebesleben zu berichten. Wenn überhaupt die Rede davon war! Liebesleben – noch immer zischten und qualmten Corinnes Worte und trieben Kate mit schnellen Schritten den Weg durch den Central Park voran. Auch wenn Nick noch immer dafür sorgte, dass ihr das Blut heiß in die Wangen kroch, und sie im Traum nicht damit gerechnet hatte, ihn wiederzusehen, geschweige denn von dieser überschäumenden Welle an Gefühlen mitgerissen zu werden, blieb die Vorsicht ihre ständige Begleiterin. Sie würde sich ohnehin und irgendwann den Stimmen und dem Gerede ergeben müssen. War es denn als Singlefrau nicht schon schwer genug, sich ständig und eigentlich immer vor der Gesellschaft rechtfertigen zu müssen, warum niemand die andere Hälfte des Bettes wärmte? Als Dauer- oder Langzeit-Singlefrau erschien es nicht weniger demütigend, wenn neugierige und indiskrete Fragen gestellt oder Andeutungen gemacht wurden. Doch nicht jetzt, nicht heute und auch nicht Morgen würde Kate der Welt erklären, was für eine unsagbar boshafte Frau sie war. Sie überließ es gern dem späteren Zeitpunkt und den lechzenden Mäulern, über ihre Taten zu urteilen. Nie würde sie es ihren Mitmenschen recht machen können. Wäre sie in einer Beziehung, wäre sie langweilig, doch stünde die Verbindung vor dem Aus, würde jede noch kleine Situation beleuchtet, verachtet und ins Negative verkehrt. Von den diebisch-freudigen Blicken und Worten der anderen ganz zu schweigen. Für Kate war es Selbstschutz, nicht jedem und allen ihr Privatleben auf die Nase zu binden. Als die Beziehung zu Douglas in die Brüche ging und die Vorhaltungen, Kate habe es versiebt, sie sei zu jung, zu unerfahren und habe jemanden wie Doug sowieso nie halten können, immer lauter wurden, schwor sie sich, neu anzufangen. Der Tapetenwechsel, Zeit, sich zu erholen und die Vorwürfe verstummen zu lassen, es hatte sie ungeahnte Mühen und Kraft gekostet. Nicht grundlos hatte sie fünfeinhalb Flugstunden und fünfhundert Meilen zwischen sich und Ohio gebracht. Und natürlich gab es in den letzten Jahren Momente, in denen sie sich nach Gesellschaft gesehnt und eine Beziehung gewünscht hatte. Doch bliebe es nicht jedem selbst überlassen, sein kümmerliches Leben zu gestalten? Kate tat es. Sie stürzte sich auf den Wohnungsmarkt, in ihre Arbeit und blieb mit einem gewissen Alltagstrott zurück. Ob sie Neid und Missgunst verspürte, wenn sie Pärchen betrachtete, die ins Kino oder schick Essen gingen? Wenn Eltern mit ihren Kindern durch den Park schlenderten und Kate ihnen ausweichen musste? Wenn Mütter nach ihren Sprösslingen riefen, Männer junge Studentinnen begafften, obwohl die Gattin nur wenige Meter entfernt mit anderen Frauen tratschte? Kate erschauderte bei dem Gedanken und verneinte. Mutig genug, um an einem Singlekochkurs teilzunehmen, war sie – allerdings hätte sie sich diese Aktion ohne Mellorys Unterstützung wohl nicht gewagt. Auch allein in einem Kinosessel zu versinken war eine Kunst, die sie noch nicht erlernt hatte. Und natürlich gab es Männer, die sich für sie interessierten. Unabhängig ihrer Tätigkeit und dem Kollegenkreis. Doch für ihren Topf gab es noch keinen passenden Deckel. Ob sie zu wählerisch war? Kate nannte es Selbstachtung. Nur, um einen Partner zu haben, musste sie sich noch lang nicht unter Wert verkaufen. Und überhaupt: Gefühle investieren, wenn nach drei Monaten der rosarote Schleier brachial heruntergerissen wurde? Sie könne es auch so halten, wie Corinne. Doch Kate war nicht daran gelegen, sich durch fremde Betten zu wühlen. Der Richtige, ihr Mister Right – der nicht Doulas Dexter hieß – würde sie schon finden. Die Woche verging beinahe schwindelerregend schnell. Nicks Anfrage am Donnerstagmorgen, ob ihr vielleicht nach einem sportlastigen Freitagnachmittag nach weiterer körperlicher Ertüchtigung sei, ließ ihr die Wangen glühen. Rasch war das Handy wieder in der Schreibtischschublade verschwunden. Mellory entging jedoch nicht, dass Kate ungewohnt nervös wirkte. Im Laufe des Vormittags nieste und hustete Corinne so offensichtlich, dass ihre Beteiligung am Kurs ins Wanken geriet. Missmutig ließ sie sich am nächsten Tag dennoch von dem Trio in das Fitnessstudio zerren. Doch zu Corinnes Verblüffung war von Bryan nichts zu sehen und Husten und Schnupfen waren plötzlich passé. Neidvoll blickte Corinne auf ihre zierliche Kolleginnen. In ihrem grün-weißen Sportdress stand Mellory, die ihre Locken soeben zu einem lockeren Knoten im Nacken band, einer Bodenturnerin in rhythmischer Sportgymnastik in nichts nach. Und Alice schien einer Alex Owens, alias Jennifer Beals, aus Flashdance ebenbürtig. Kate hingegen trug dasselbe Outfit wie am letzten Freitag, nichts Besonderes. Gemeinsam verließen die vier den Umkleideraum und Corinne stieß unglücklicherweise auf Bryan, der soeben eine kleine Gruppe älterer Damen durch das Studio führte. Da dieser keinen Hehl daraus machte, Corinne zu ignorieren, tat sie es ihm gleich. Zwar trafen sich ihre Blicke, doch Corinne stolzierte mit erhobenem Haupt und gerecktem Kinn an ihm vorbei in Richtung Aerobic-Kurs. »Du bist so tapfer, Corinne«, erlaubte sich Kate den kleinen Seitenhieb. Corinne wandte sich zu ihr um und steckte ihr, mit einem Grinsen auf den Lippen, die Zunge heraus. Gewusel im Raum lenkte die Aufmerksamkeit der Frauen auf das Treiben in der Raummitte. Carla begrüßte das Quartett und wies sie sogleich an, sich je einen Stepper zu schnappen. Und noch eh sie sich dessen gewahr wurden, waren sie Soldaten in Carlas Armee. Sie schlugen sich tapfer, doch Carla drohte bereits damit, dass die bis eben schon schweißtreibenden Übungen nur der Vorbereitung und des Aufwärmens dienten. Kate, deren Kondition bereits unterkellert war, spürte ihr schlagendes Herz bereits nach den ersten zehn Minuten in der Kehle pochen. »In Ordnung, meine Damen. Schluss mit dem Kuschelkurs!«, rief Carla in das Mikro des Headset, das ihre Stimme über die Lautsprecher an der Decke übertrug. »Ungeübte werden auch von Muskelkater nicht verschont!« Kate und Mellory wurde angst und bange, während Corinne ächzte wie eine Kettenraucherin. Doch scheinbar gingen Alice die Einheiten spielend von der Hand. Nach weiteren fünfzehn Minuten gönnte Carla ihnen eine Verschnaufpause und die Teilnehmerinnen bedachten einander mit mitfühlenden Blicken. Sie mussten allesamt verrückt gewesen sein, dass sie sich für diesen Drill angemeldet hatten. Carlas Ruf eilte ihr wahrlich voraus. Als sie sich der Musikanlage zuwandte und einen Mix aus Pop- und Hip-Hop-Songs wählte, schwante der Gruppe Übles. »Dann wollen wir mal Gutes für eure Gesundheit tun.« Am liebsten hätte Kate ihr in diesem Augenblick die Worte aus dem Mund ge-Over The Toped. Ihr brach der Schweiß aus Poren, deren Dasein sie sich erst jetzt bewusst wurde. Rauf auf den Stepper, runter vom Brett. Knie hoch, angewinkelte Arme und dazu ein Beat, der schneller zwischen Kaugummi-Pop und Drill Instructor-Bass wechselte, als Herz und Lunge vertrugen. Carley Ray Japsen plärrte von einem möglichen Anruf, während Pixie Lott in fließendem Übergang von Jungen und Mädchen sang, die nicht zu stoppen waren und Kate sich unweigerlich für ihren Musikgeschmack schämte. Doch Carla beruhigte die Gruppe furchtloser Frauen und ließ den ersten Cooldowner erklingen. Madonna bat im Beisein von M.I.A. und Nicki Minaj um die Liebe irgendeines Kerls und die Formation erschöpfter Damen nahm sich des gemäßigten Tempos dankbar an. Nach der ersten Phase folgte das Nachdehnen und entspannen. Carla bedankte sich für die Teilnahme und bat zuletzt darum, die Geräte wieder im Nebenraum zu verstauen. Im Laufe der vergangenen Stunde hatte sich Kate wieder der Begeisterung für diesen Sport erinnert und vielleicht wäre an einem erneuten Besuch nichts verkehrt. Corinne, die alle Viere von sich gestreckt auf dem Hallenboden vegetierte, winkte dankend ab. Mellory schien noch zu grübeln, ob sie an Muskeln zulegen solle, schließlich wollte sie nicht aussehen wie eine aufgepumpte Tinkerbell. Alice hingegen war mit Eifer dabei und Kate froh, nicht allein den nächsten Termin buchen zu müssen. Mellory und Corinne hatten es kaum erwarten können, aus dem Trainingsraum zu stürmen, sobald es ihre gepeinigten Muskeln erlaubten. »Als Rache dusche ich extralang und verbrauche das ganze heiße Wasser«, zischte Corinne und ließ sich nur ungern von Alice daran erinnern, dass sie, sollte ihr Akt der Rebellion nicht auf einem irrsinnigen Vorhaben fußen, eher einer Dörrpflaume glich und man sie von den Fließen abkratzen könne. Lachend schüttelte Kate den Kopf und stoppte, als jemand, im Türrahmen lehnend, ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. »Ich bin schon ertüchtigt«, sagte sie und wich knapp zurück, als Nick den Versuch unternahm, an ihr zu schnuppern. »Ja, man riecht dich schon drei Meilen gegen den Wind«, krächzte er. »Werd ja nicht frech!«, schimpfte sie. »Was machst du hier?« »Du hast mir dein okay gegeben und da dachte ich mir, ich hole dich ab«, sagte Nick, die Schultern zuckend. Kate schluckte unübersehbar und zu ihrem Ärgernis labte er sich auch noch an ihrem erhitzten Gemüt. »Ich habe doch nicht damit gerechnet, dass du mich ausgerechnet hier abholst«, zischte sie halblaut in der Hoffnung, dass niemand ungebeten vorbeikäme. Nicks Lippen zierte ein Grinsen. »Keine Panik, Kitty. Deine Freundinnen haben sich bereits in die Umkleide verzogen.« Kate gab lediglich ein Murren von sich und Nick bedeutete ihr, an der Saftbar auf sie warten. Mit hochrotem Kopf schlich sie in den Umkleideraum und musste feststellen, dass sämtliche Duschkabinen belegt waren. Geduldig wartete sie auf den nächsten freien Platz. »Die Kabine ist frei, Schätzchen«, sagte die Dame, die Kate vom Aerobic her wiederzuerkennen glaubte. Dankbar nickte sie die Information ab und tapste auf die Nasszelle zu. Das Geschnatter, das von den Wänden hallte, entsprang unweigerlich Corinne und Mellory. Auch Alice meldete sich kurz zu Wort. Nach und nach verebbte das Rauschen und die Kabinentüren wurden auf und wieder zugeschlagen. Kate sollte sich sputen, doch das heiße Wasser war ihr viel zu angenehm auf der Haut. Erst, als Alice nach ihr rief und Kate feststellte, dass sie mehr einem Hummer ähnelte, so krebsrot, wie sie war, entstieg sie der Dusche. »Corinne hatte es sehr eilig, von hier wegzukommen«, erklärte Alice und bürstete sich den Pagenbob zurecht. »Und Mellory? Na ja, du kennst sie ja. Wahrscheinlich hockt sie am Empfang und macht einem der Jungs dort schöne Augen.« Alarmiert durchfuhr es Kate wie ein elektrischer Schlag und sie hoffte, dass Alice sich irrte. Doch sie durfte sich nichts anmerken lassen. »Alles in Ordnung?« Sorge zierte Alices junges Gesicht. Kate winkte ab. »Mir geht's gut. Ich habe nur nicht damit gerechnet, dass ich halb tot und doch noch auf zwei Beinen stehe.« Verstehend nickte Alice. »Es hat mir gefallen. Und wenn wir das jetzt regelmäßig wiederholen, habe ich etwas, auf das ich mich freuen kann. Auch wenn die Kurse nicht billig sind.« Kurz hielt Kate beim Anziehen inne, dann jedoch zwang sie ihre Mundwinkel aufmunternd gen Norden. »Ich würde mich trotzdem freuen, wenn du mitmachst.« »Klar«, sagte Alice und verabschiedete sich ins Wochenende. Sowie die Tür ins Schloss fiel, raffte Kate sämtliche Röcke und entschlüpfte dem Umkleidebereich. Erleichterung stellte sich ein, als Kate bemerkte, dass von Mellory nichts zusehen war. Nicht, dass sie ihrer Kollegin einen Flirt nicht gönnte, doch musste der zu Beflirtende nicht unbedingt der Junge sein, der ihr weiche Knie bescherte. Nick war in ein Gespräch mit einem Mann vertieft, den Kate um die vierzig schätzte. Weder konnte sie die quirlige Emberly, noch das Zahnpastalächeln von Pepe oder den blonden Schopf von Bryan ausmachen. »Okay, Jimmy, meine Mitfahrgelegenheit ist da«, hörte sie Nick sagen und stoppte etwa einen Schritt von ihm entfernt. Jimmy stieß ein kehliges Lachen hervor, ehe er die beiden mit einer scheuchenden Bewegung in Richtung Ausgang trieb. »Mitfahrgelegenheit, hm?« Skeptisch betrachtete Kate den jungen Mann neben sich, als Nick nach dem Türdrücker langte und Anstalten machte, zuerst durch die Tür gehen zu wollen, dann jedoch besann er sich und ließ Kate als erste passieren. »Willst du mich ärgern?« »Ich?«, fragte Nick mit Unschuldsmiene. »Wie käme ich denn dazu?« Kate schmälerte den Blick und zuckte mit den Schultern. »Ich dachte schon, du hättest deine Kinderstube vergessen oder die Etikette ...« »Wo denkst du hin, Lady?« Nick tat den gespielt Empörten und griff sich bühnenreif ans Herz. »Ich bin immer noch ein Gentleman … ein Englishman in New York, gewissermaßen.« Abrupt hielt Kate im Gehen inne und wandte sich zu ihm um. »Hast du gerade Sting zitierst?« Nun war es Nick, der die Schultern zuckte. »Scheint so. Offensichtlich. Ja, habe ich«, murrte er halb seufzend, halb belustigt. Wieder setzte sich Kate in Bewegung und durchwühlte ihr kümmerliches Gehirn, wie sie am besten austestete, ob Nick Bekanntschaft mit Mellory gemacht hatte. »Habe ich dich lange warten lassen? Die Kabinen waren alle belegt.« Wieder zuckte Nick die Achseln. »Ich hatte nette Gesellschaft.« Langsam nickte Kate seine Worte ab. »Langweilig wurde mir nicht. Ich hab ein bisschen mit Jimmy geplaudert und dann setzte sich so eine kleine, scharfe, rothaarige Elfe neben mich.« Kate fuhr zusammen. Ihr drehte sich der Magen um. Nicks Blick war in die Ferne gerichtet, doch das diabolische Grinsen und diese entzückenden Grübchen machten es ihr schwer, die richtige Richtung auszuloten. »Kate? Alles okay?« »Was? Ja, es ist alles in Ordnung.« Kate unterstrich ihre Aussage mit wild wedelnder Gestik. Noch immer schien Nick einer Art Tagtraum nachzuhängen. »Ich steh auf klein und rothaarig«, sinnierte er und richtete dann seinen Fokus auf die verunsicherte Kate. »Zu blöd, dass ich keine roten Haare habe«, knurrte Kate halblaut. »Das lässt sich ändern, Kitty.« Nur zu gern hätte sie ihm dieses feiste Grinsen aus dem Gesicht gewischt. Ohne, dass sie es hätte kommen sehen, langte Nick nach einer dunkelblonden Strähne. »Färb dir die Haare. Oder – nein. Ich glaube nicht, dass das etwas für dich wäre.« Kate schnaufte entrüstet. »Ob du es glaubst, oder nicht, aber ich hatte schon einmal gefärbte Haare.« Erstaunen zierte sein Gesicht. »Ernsthaft? Diese Bilder hält Albert aber gut unter Verschluss.« »Ja«, knirschte Kate ungewohnt triumphal, »Lollipop red. Ich sah aus wie die kleine Cousine von Ronald McDonald.« »Und dabei magst du nicht mal Clowns.« Wieder dieses Grinsen, das ihr an den Nerven zerrte. »Allerdings«, hob Kate an, »waren meine Haare nur getönt und nachdem ich das Badezimmer putzen musste, weil deine Großmutter meinte, ich hätte ein Schlachtfest veranstaltet, habe ich versucht, die Tönung wieder auszuwaschen, was zur Folge hatte, dass ich drei Stunden lang die Wanne geschrubbt habe und trotzdem aussah, wie ein bekifftes Einhorn.« Nicks Lachen schallte die gesamte Avenue hinauf. Selbst ihr Hieb in seine Rippen brachte ihn nicht zum Schweigen. Kates Bitte, er möge sich beruhigen, hielt lediglich drei Sekunden an. Peinlich berührt standen ihr die Wangen in Flammen. Kate hechtete auf ihn zu und versuchte ihm den Mund zu verbieten, doch Nick war flink und schnell und entglitt ihren Fingern wie ein Fisch im Wasser. Noch ehe sich mehr Menschen nach ihnen umsahen, zerrte Kate ihn in eine kleine Nebenstraße. Doch auch hier hetzen Pendler, Touristen und arbeitswütige New Yorker an ihnen vorbei und Kate hatte Mühe, sie unbeschadet unterzubringen. Zwischen den Schaufenstern einer noblen Boutique drängte Nick sie an die Hauswand. »Was?« Belustigung glomm in seinen braunen Augen auf. »Please, don't stand so close to me! Drehen wir einfach mal den Spieß um, hm, Kitty?« Nun war es Kate, die darum rang, ihm zu entkommen. »Und jetzt veralberst du auch noch The Police und wirst für deine Missetat nicht einmal gelyncht?« Nick blickte erst links und dann rechts über seine Schulter. »Siehst du hier irgendwo einen Lynchmob?« »Ich könnte einen basteln«, schlug sie vor und war insgeheim dankbar für die Ablenkung und vor allem, dass Nick endlich Ruhe gab. Ein überlegenes Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln. »Hm, vermutlich waren deine Haare genauso rot, wie du es jetzt bist.« Kate schloss die Augen und zählte leise bis zehn. Als sie bei vier angelangt war, brach es abermals aus ihm heraus. Kate rutschte die kühle Wand in ihrem Rücken hinab und vergrub ihr schamgebeuteltes Gesicht in den Händen. »He – hey, Kate. Komm schon! Das war doch nicht ernst gemeint. Jetzt … jetzt komm wieder hoch. Die Leute gucken schon!« Die Panik in seiner Stimme ließ sie aufhorchen. Kate linste zwischen ihren Fingern hindurch, doch keiner nahm von ihnen Notiz. »Ha ha«, knurrte sie und spürte, dass sich der erste Step Aerobic-Kurs bereits rächte. »Au, au, au ...« Nick legte den Kopf schief und betrachtete das Häufchen unter sich mit Sorge. »Kate?« »Hilf mir hoch, bitte«, bat sie und langte nach der ihr dargebotenen Hand. Sich ebenso an der Hauswand abstützend, kam Kate wieder auf die Beine. Leichter Schwindel erfasste sie. Sein aufmunterndes Lächeln verrutschte ihm auf halber Strecke. »Das mit dem Minigolf fällt wohl aus, hm?« »Minigolf?«, blinzelte Kate und versuchte die sich drehenden Gebäude wieder geradezurücken. Statt einer Antwort, bohrten sich ihm Grübchen in die Wangen. »Im Ernst, Nick – Minigolf?« Kate langte nach ihrer pochenden Stirn. »Körperliche Ertüchtigung, erinnerst du dich?«, hob er an, doch dann - »Kate – du hast doch wohl nicht etwa gedacht, dass ich – Oh. Wenn dir nicht nach Minigolf ist, dann gibt dort auch noch Trampoline.« »Nick«, flehte Kate, »ich bin in der letzten Stunde so viel gehopst, wie die letzten zehn Jahre nicht mehr!« »Kondition, Lady!« Sanft stieß er ihren Arm mit dem Ellenbogen an. »Ich hätte wahrscheinlich lieber erst einmal etwas zu Trinken«, japste Kate und hoffte, er würde ihrer Bitte nachkommen. Als Nick ihr verriet, dass ihm Minigolf und Trampolin lediglich als Metapher dienten, die einzige Minigolfanlage in der Nähe, Randall's Island Park Miniature Golf Course auf Randall’s Island, ohnehin geschlossen habe und die Preise sein monatliches Budget für Annehmlichkeiten erheblich schröpften, konnte Kate über so viel Dreistigkeit nur den Kopf schütteln. »Ich wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen«, war seine klägliche Antwort. Kates Augenbraue zuckte gefährlich. »Ach nein?« »Nein!«, protestierte Nick und stellte die Einkäufe vor sich auf den Boden. Da er Kate angeschwindelt hatte, bestand diese darauf, dass Nick ihr bei ihrem wöchentlichen Einkauf half. In MORTON WILLIAMS SUPERMARKETS auf der 81th East Ecke 1st Avenue schob er den Wagen hinter ihr her, während Kate stur scheinbar belanglose Dinge in den Korb warf, nur um ihn zu ärgern. Wie lang sie in der Damenhygieneabteilung verharrt hatten, konnte er nicht benennen, doch zu Kates Frustration schien ihm dieser Augenblick weit weniger unangenehm, als ihr. Er erkundigte sich sogar nach der Saugfähigkeit von Tampons und Damenbinden. Bei den Haushaltswaren hielt sie vor einer Heckenschere inne und Nick wollte sich nicht ausmalen, welche Gedanken ihr dabei durch den Kopf gingen. So zockelten sie ohne Schneidwerkzeug durch die Gänge und verließen schließlich mit drei großen Tüten den Markt. Gerade versuchte er sich an Streckübungen, die seinen schmerzenden Rücken entlasten sollten, als Kate ihn die letzten Meter zur Eile antrieb. Bevor sie ihren Einkaufsmarathon, wie Nick die vergangene, verlorene Stunde schimpfe, absolvierten, hatte er ihr in einer Bodega eine Dose Cola spendiert. Die dehydrierte Kate wusste kaum, wie ihr geschah, als ihr Koffein und Zucker in flüssiger Form die Kehle hinabrannen. Ihr Magen begehrte auf, doch nach wenigen Augenblicken schien Kate wieder voll und ganz bei sich, und das so sehr, dass sie Nick die halbe Upper East Side hinaufscheuchte. Er verlangsamte seine Schritte. »Kate?« Diese warf einen Blick über die Schulter und funkelte ihm mit verkniffener Miene entgegen. »Nick, wo bleibst du denn?« Anspannung nagte an ihr. So hibbelig hatte er Kate noch nie erlebt und er deutete ihr nervöses Kauen auf der Unterlippe mit entflammter Begierde. »Ich muss pinkeln«, zischte sie, sobald Nick zu ihr aufschloss. »Diese verdammte Coke schlägt mir auf die Blase!« Nick verbiss sich jeglichen Laut. Ganz der Ritter und Retter spurtete er an ihr vorbei, hätte sie beinahe an der Hand mit sich gezogen, wären seine Arme nicht bereits vollgepackt mit Einkaufstüten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)