Fremde in der Nacht von Charly89 (Where the streets have no name ...) ================================================================================ Kapitel 2: Naschkatzen und schlechte Frisuren --------------------------------------------- Der Geruch von Bratapfel und Alkohol liegt in der Luft. Zucker- und Schokoladenduft mischen sich darunter, genau wie Holzkohle und Gegrilltes. Die Sonne ist bereits untergegangen und die klassische, hübsche und sogleich übertriebene Beleuchtung und Beschallung unterstreicht das Ambiente perfekt. „Sie haben Glück, John“, erklärt Mia und lässt ihren Blick über den Markt schweifen. Und die Masse an Menschen die sich gegenseitig hin und her und von Stand zu Stand schiebt. Ein typischer Eröffnungstag auf einem Weihnachtsmarkt eben. „Das heute kein Vollmond ist und Sie sich nicht wieder vorstellen wie ich mich in eine Bestie verwandle?“, hakt der Leibwächter trocken nach und muss schmunzeln. „Soll ich darauf wirklich antworten?“, fragt die junge Frau herausfordernd zurück. Sie zieht die Augenbraue hoch und mustert ihren Begleiter. „Vielleicht bringe ich Sie ja auch ohne Vollmond dazu, wie eine wilde Bestie über jemanden herzufallen“, stichelt sie und grinst verschmitzt. Okay, damit hat John nicht gerechnet. Allerdings haben sie das Antasten bereits gestern hinter sich gebracht, daher hätte er davon ausgehen können, dass es heute gleich in die Offensive geht. Seine Begleiterin hat offenbar den Schalk im Nacken und eine Vorliebe für zweideutigen Schabernack. Und zumindest verbal keine Berührungsängste. Eine spontane, schlagfertige Frohnatur, wie er es sich gedacht hat. „Viel Glück bei dem Versuch. Da haben sich schon ganz andere die Zähne ausgebissen“, kontert er verdrossen. „Lange und spitze zufällig? Ich dachte Werwolfblut ist giftig für Vampire …“, philosophiert die junge Frau amüsiert vor sich hin. „Will ich wissen, warum Sie sich damit offensichtlich so gut auskennen?“, hakt der Leibwächter nach. Er kann es immer noch nicht so recht fassen. Tatsächlich ist Mia vor etwa einer Stunde mit dem Geschäftspartner von Mister Brown aufgetaucht. Der ließ es sich nicht nehmen noch ein belustigtes Grinsen und ein „Viel Spaß“ von sich zu geben bevor im Gebäude verschwand. Ein drückendes Schweigen legte sich über sie beide. Mia sah ihn auffordernd an und er war sich nicht sicher, ob das wirklich in Ordnung gehen würden. Er war immerhin im Dienst, egal ob er nun wartete oder nicht. Einige Minuten später bekam er eine Nachricht von seinem Chef. Das Gespräch würde mehrere Stunden dauern, er hätte so lange frei. John wurde den Verdacht nicht los, dass der Geschäftspartner da seine Finger zusätzlich im Spiel hatte. Und sein Chef sowieso. Der Firmeneigentümer hatte eine eigenartige Vorliebe dafür seinen Leibwächter hin und wieder in Situationen zu bringen von denen er wusste, dass sie diesem unangenehm waren. Er hasste es, würde es aber nie wagen sich zu beschweren. „Sie sind der Agent“, flötete die junge Frau amüsiert, „Finden Sie es doch heraus.“ Sie zwinkert ihm zu und setzt sich in Bewegung, hinein in das Getümmel aus Menschen und Weihnachten. Der Mann folgt ihr und lächelt in sich hinein. „Ich finde nicht, dass ich einem der Bond-Darsteller ähnlich sehe“, stellt er fest. Er holt auf und drängt sich neben sie, so gut es bei den Menschenmassen geht. Als er merkt, dass sich seine Begleitung bei ihm einhakt, meldet sich ein seichtes Kribbeln in seinem Magen. Mia kräuselt nachdenklich die Lippen. „Stimmt. Eher ein bisschen wie Ethan Hunt; nur größer, stattlicher und besser frisiert.“ Sie drückt sich leicht gegen die Seite des Mannes um den entgegenkommenden Strom ein wenig aus dem Weg zu gehen. Ein wenig geniert räuspert er sich, wegen der körperlichen Nähe und dem was sie gesagt hat. So richtig sicher ist er sich nicht, ob das nun tatsächlich ein Kompliment war. Seine Frisur, wenn man es denn so nennen wollte, war schon immer eher der Grund für Spot statt Lob. Seine dunklen Haare sind 10, 15 Zentimeter lang und leicht gewellt; und kaum zu bändigen. Selbst frisch gekämmt sieht er eher aus wie frisch aus dem Bett gefallen, oder frisch aus dem Dschungel gekrochen. Zu seiner Jugendzeit waren sie erheblich kürzer, aber deswegen nicht wirklich ansehnlicher. „Finden Sie wirklich, dass Ethan Hunts Frisur schlecht ist?“ Eine Marotte, die er sich angewöhnt hat. Er beantwortet Fragen fast immer mit Gegenfragen. „Nein, nicht wirklich“, antwortet Mia schlicht und bleibt stehen. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und reckt den Kopf in die Höhe wodurch sie ihrem Begleiter geradeso bis an die Schulter reicht. „Aber ich mag gutfrisierte Männer nicht so wirklich“, schiebt sie noch trocken hinterher, während sie etwas in der Ferne zu suchen scheint. „Wo wir wieder bei den eigenartigen Vorlieben wären“, stellt John nonchalant fest und muss aber in sich hinein lächeln. Er versucht dem Blick der jungen Frau zu folgen und legt den Kopf zur Seite. Ein offenbar sehr gut besuchter Stand liegt in der Richtung. Leider kann er die Auslage und die Waren nicht sehen, weil zu viele Menschen davorstehen. Gerade als er fragen will, was es denn Interessantes dahinten gibt, spürt er ihren warmen Atem direkt an seinem Ohr und ein Schauer jagt seinen Rücken hinunter. „Das klingt, als würden Sie das Thema mit den Vorlieben gern weiter vertiefen“, flüstert die junge Frau. Flüchtig berühren ihre Lippen seine stoppelige Wange durch die Bewegung beim Sprechen. Im nächsten Augenblick steht sie wieder normal neben ihm, als wäre nichts gewesen. Nur das leichte Schmunzeln verrät sie. „Nun? Wohin soll es gehen?“, fragt sie spielerisch nach ohne ihn anzusehen. Der Leibwächter ist sich der erneuten Zweideutigkeit durchaus bewusst. Und die Frage ist mehr als berechtigt. Wohin soll es gehen? Er weiß es nicht; und er möchte auch nicht darüber nachdenken. Es ist lange her das er so etwas wie das hier hatte. Er würde nicht so weit gehen und es ein Date zu nennen, aber es kommt dem schon recht nahe. „Essen oder Trinken?“, fragt er in üblicher Manier zurück. „Ich würde lieber naschen“, witzelt sie, strahlt verführerisch und zieht ihren Begleiter nach rechts. Es geht zwischen den Massen hindurch in einen weniger überfüllten Seitengang des Weihnachtsmarktes hinein. Zielsicher läuft sie zwischen den Menschen hindurch. Er fühlt sich gut mit der Situation, leicht und angenehm. Es ist nett, frei von den üblichen Sondierungsgesprächen und dem obligatorischen „Zu dir oder zu mir?“ Denn das wird es hier nicht geben, dass wissen sie beide. Es wird also ein Tanz, an dessen Ende sie getrennte Wege gehen werden und das macht es irgendwie natürlicher. Kein anbiedern, kein ins rechte Licht rücken um das Finale nicht zu gefährden. „Scheinbar weiß Miss Nachkatze genau wohin es gehen soll“, gibt er trocken von sich; und sieht die junge Frau neckisch an. „Miss Naschkatze“, Mia zieht angesäuert die Augenbraue hoch, „Wird dem Geheimagenten-Werwolf gleich etwas erzählen.“ „Etwas über Vampire, eigenartige Vorlieben und schlechte Frisuren?“, witzelt John und muss lachen, als er ihr genervtes Brummen hört. Tatsächlich kommen sie vor einem Süßigkeitenstand zum Halten. Er ist etwas abseits und das, so merkt John recht schnell, nicht ganz grundlos. Neben den üblichen Zuckerstangen, Rumkugeln und Co., gibt es sixpackbepackte, halbnackte oder auch ganznackte Schokoweihnachtsmänner und erotisch posierenden Weihnachtsfrauen, ebenfalls leicht oder gar nicht bekleidet. Er fühlt sich leicht geniert bei dem Anblick der sich unter der Glasscheibe auftut und spürt deutlich eine gewisse Wärme die sich auf seinen Wangen ausbreitet. Ein wenig verunsichert sieht er zu der jungen Frau, die breit und amüsiert grinst. „Keine Sorge, dass sollen keine amourösen Anspielungen sein, werter Herr Cooper“, neckt sie ihn und zwinkert. „Hier gibt es lediglich die beste heiße Schokolade auf dem ganzen Markt.“ Die Steilvorlage nutzt der Verkäufer natürlich sofort und gibt überschwänglich alles an Informationen zu der nachhaltigen und fairtradegehandelten Schokolade preis, die die Basis für alle Produkte der kleinen Manufaktur ist zu der der Stand gehört. Einige Minuten später halten die beiden endlich eine Tasse der hochgelobten heißen Getränks in der Hand. John zahlt kommentarlos, immerhin hat er sie eingeladen. Als er sich wieder zu der jungen Frau umdreht, leckt sich diese gerade nach dem ersten Schluck genüsslich den Schokofilm von den Lippen. Ihn beutelt ein kurzes, heftiges Ziehen im Unterbauch bei der Szene. Als würde sich ein tiefsitzender Urinstinkt in ihm melden. „Bereit für eine Tour durch den Massenauflauf?“, fragt sie und sieht ihn an. Ihre Augen funkeln mit der Beleuchtung um die Wette. Zu dem Ziehen bauchnabelabwärts gesellt sich ein Klopfen hinter seinem Brustbein. Plötzlich wird dem Leibwächter richtig bewusst, dass das hier ein vorbestimmtes Ende hat. Natürlich wusste er das schon vorher, aber jetzt rammt ihn dieser Umstand die Faust in die Magengrube. Er hat sich bereits gestern zu Hause einem kleinem Was-Wäre-Wenn-Szenario hingegeben. Unter der warmen Dusche, mit geschlossenen Augen und seiner Hand an seiner intimsten Stelle ist das ganze völlig ausgeartet. Aber alles in ihm sträubt sich gegen den Gedanken eines One-Night-Stands mit Mia. Natürlich reizt sie ihn körperlich. Er findet sie attraktiv, anziehend und zu gern würde er herausfinden wie sich ihre Haut anfühlt und schmeckt. Seine gestrigen Fantasien kamen schließlich nicht von ungefähr. Doch sie spricht ihn auch emotional an. Man sollte nie eine heiße Nacht mit jemanden verbringen, der in einem auf zwischenmenschlicher Ebene so sehr anspricht, dass führt nur zu Problemen. Dahingehend ist er irgendwie dankbar dafür, dass sie spätestens in einer Stunde zurück am Firmensitz sein müssen. Es ist also kein heißes Techtelmechtel möglich und das beruhigt ihn auf merkwürdige Art und Weise wieder; und nervt ihn gleichermaßen. Wenn die Sondierungsgespräche heute beendet werden, werden sie sich so schnell nicht wiedersehen. Nummern tauschen wäre auch vergebene Liebesmüh, da er meistens nie weiter wie ein oder zwei Tage im Voraus planen kann. Herr Gott noch eins, er hat in den meisten Fällen nicht mal ein freies Wochenende! „Alles okay?“, reißt die junge Frau ihn aus seinen Gedanken. Ihre blauen Augen sehen ihn besorgt an. „Ja, das sind nur die Nachwehen des Vollmonds gestern“, witzelt er. Er schenkt Mia ein warmes Lächeln und schiebt alle Überlegungen beiseite. So schnell wird er eine solche Gelegenheit nicht wiederhaben, er sollte das hier also einfach genießen. Und zwar genauso wie es ist. Generell sollte man einfach die kleinen Geschenke des Lebens mehr schätzen und nicht zu viel darüber nachdenken. Er bietet ihr seinen Arm an und mustert sie wohlwollend. „Können wir jetzt, wo Madame den nötigen Zucker hat, unseren Weg fortsetzen?“ „Natürlich, James“, kokettiert sie mit überheblicher Miene und Stimme. Sie macht ein leichten Knicks, bevor sie sich bei ihm unterhakt und lachend losprustet. Entspannt schlendern die beiden los, zurück in das Getümmel aus Menschen und Weihnachten. Hosted by Animexx e.V. 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