Antinoos von tobiiieee (Tod Auf Dem Nil) ================================================================================ Kapitel 2: Schatten der Nacht ----------------------------- Die Nacht war über die Kyrenaika hereingebrochen, nachdem wir aus der Wüste in Richtung der Küste in unsere Unterkunft zurückgekehrt waren. Das Wispern hatte mich seitdem nicht verlassen, doch ein zunehmendes Rauschen lag darüber. „Du bist überhaupt nicht bei der Sache“, raunte der Kaiser folglich an meinem Ohr, während eine seiner Hände über meinen Schenkel fuhr, die andere über meine Brust. Anschließend küsste er an meinem Hals entlang. „Hat dich der Löwe so erschreckt?“             „Warum hast du ihn aufgehalten?“, fragte ich zurück. Ich setzte mich ihm im Dunkeln auf dem Bett gegenüber zurecht.             „Was, hätte ich zusehen sollen, wie er dir den Kopf abreißt?“, fragte der Kaiser. Es war jetzt kein Raunen mehr, sondern seine normale, tiefe, strenge, ans Befehlen gewöhnte Stimme. Seine Hände lagen nicht mehr auf meinem Körper.             „Die Götter wollten es so“, beharrte ich.             Der Kaiser lächelte und näherte sich mir wieder. Mit einem Blick nach unten konnte ich mich überzeugen, wie bereit er war. „Da hast du ja Glück, dass du deinen ganz eigenen Gott auf deiner Seite hast.“ Seine Stimme war wieder ein Raunen geworden. So als ob nichts zwischen uns stehen würde, begutachtete er meinen ganzen Körper mit Händen und Mund. Ich legte mich aufs Bett und ließ ihn machen. Natürlich war der Kaiser nicht wirklich ein Gott. Aber zugegeben, er lebte wie einer. Fünf Jahre zuvor hatte ich erstmals einen Fuß in seine palastartige Villa bei Tibur gesetzt. Am Rand des Hofs um mich herum erhoben sich goldene Säulen in Richtung der Götter, gigantisch, bestimmt zehnmal so groß wie ich selbst. Ich musste den Kopf in den Nacken legen, um die Figuren im Giebel zu erkennen: links ein Adler, der einen troischen Jüngling in die Lüfte hob und mit sich nahm; rechts derselbe Jüngling, der Zeus Wein einschenkte. Ich wandte den Blick ab. Es war nicht der Zeitpunkt, um über Ganymeds Schicksal nachzudenken. Ich hatte den Auftrag, in der Bibliothek des Kaisers für Ordnung zu sorgen.             Vom Platz der goldenen Säulen aus musste ich den Palast durchqueren, um zur Bibliothek auf der anderen Seite zu gelangen. Stets den Kopf ein wenig in den Nacken gelegt, die Augen umherwandernd, um ja nichts zu verpassen, keine Statue zu übersehen, keine Wandmalerei, kein kostbares Gold, nicht etwa den Marmor unbeachtet zu lassen, trat ich langsam, mich immer weiter umsehend, in den Palast ein, um jäh in der Tür stehen zu bleiben. Ich bemerkte, es war ein Fehler gewesen, nur nach oben zu schauen: Sogar den Boden zierten Mosaike, in sich verschlungene Muster, Knoten, Blumen, Ranken, Blätter, unendlich ineinandergreifend, und als ich versuchte, ihnen mit den Augen zu folgen, begann ich mich im Kreis zu drehen in dieser enormen Halle, in der noch immer das Gelächter Tausender Gäste verweilte, der Geist all dieser Menschen, die hier durchgegangen sein mussten: Sie waren förmlich zu spüren in dieser Luft, die auch sie geatmet hatten.             Doch meine Augen sagten mir unmissverständlich, dass ich in diesem weitläufigen Palast allein war. Mein Kopf ging von links nach rechts. Der zurechtgeschnittene Marmor im Boden, der die verwirrenden Formen bildete, war warm; auch hier standen goldene Säulen, allerdings vor roten Wänden, so rot wie das Blut der imaginären Gäste, durch die ich mich hindurch schlängelte, die aber nicht existierten. Da sie nicht hier waren, klebte das Blut, das sie besessen hätten, an den Wänden. Und es war bereits so lange da, dass es einen dunklen, bräunlichen Ton bekommen hatte.             Ein Windhauch ging durch die Halle und die Statuen in den Zwischenräumen der Säulen fröstelten: Hermes, auf einem Sockel stehend, den Heroldsstab in der Hand, zog seine spärliche Bedeckung enger um sich, wobei der geflügelte Helm auf seinem Kopf verrutschte. Ich bewegte mich wie magisch angezogen auf ihn zu, fuhr mit der Hand über die steinerne Brust. „Welche Botschaft hast du für mich, o Träger des goldenen Stabes?“, fragte ich unwillkürlich. Ein plötzliches Prickeln in meinem Nacken ließ mich herumfahren: Sicherlich war dieses Geräusch gerade eben nicht nur der Wind gewesen? Dieses Geräusch, das von den Wänden widerhallte und geklungen hatte wie ... ein Keuchen?             Ich wich einen Schritt zurück gegen Hermes, suchte die Halle atemlos mit den Augen ab. Wer war da? Wer schlich durch den Kaiserpalast und wollte nicht gesehen, nicht erkannt werden? Wer würde sich gleich mit seinen Schritten verraten? Würde er womöglich auf mich zustürmen? Welche Gestalt würde er annehmen? Würde er mich mit sich reißen, wie Zeus Ganymed der Stadt Troia entrissen hatte? Mein Herz schlug wie eine Trommel, während meine Hand nach hinten griff, um sich an Hermes‘ Beinen festzuklammern: Wer immer mir nachstellte, konnte unmöglich göttliches Asyl überwinden. Zitternd, mit zum Zerreißen gespannten Nerven verharrte ich zu Hermes‘ Füßen; Minuten vergingen; nichts geschah. Hatte ich mir das Keuchen eingebildet? Jedenfalls hörte ich es nicht noch einmal.             Indem ich mich aufrichtete, sah ich nach oben zu Hermes‘ Gesicht. „Sag, o Psychagoge“, sprach ich ihn an, „wo finde ich wohl die Bibliothek?“ Der Stab des Gottes wies zu meiner Rechten. Ich folgte dem Wink mit den Augen: Hinter der Türöffnung am anderen Ende der Halle ließ sich in Ansätzen ein Hof erahnen. Mir war gesagt worden, dass sich dahinter die Bibliothek befand. Ich wandte mich ein letztes Mal an Hermes: „Zum Dank werde ich dir ein Opfer darbringen.“             So schnell wie möglich durchquerte ich die einsame, riesige, leere Halle. In der Tür wandte ich mich ein letztes Mal um: Das Sonnenlicht schwand und mit ihm die Pracht des Saals, schwand vor meinen Augen so wie Eurydike vor Orpheus. Würde auch dieser Ort in den Hades sinken?             Ich schüttelte den Kopf, schüttelte den Gedanken ab, und betrat den Hof der Bibliothek. Auch er war von einem Säulengang umschlossen, glich allerdings mehr einem Garten mit Faunen, Satyrn und Nymphen. Ich atmete durch in der Ruhe, die sich hier bot, schloss die Augen, begann, das Vogelgezwitscher und Zikadenzirpen zu hören, das nur Momente zuvor noch nicht da gewesen sein konnte. Bilder stiegen in mir auf, Bilder aus der Heimat, Pinien am Dorfrand, warme Sonne auf den Straßen, der Pontos in wenigen Stunden erreichbar, und den ganzen Weg war nichts anderes zu hören als das Knirschen der Schritte, die Vögel und die Zikaden ... Ein nicht außergewöhnliches, aber dafür zufriedenes Leben, bis eines Tages dieser Mann im roten Imperatorengewand ... –                 „Antinoe!“ Die Stimme des Kaisers schreckte mich aus meinen Gedanken, während ich spürte, wie sich etwas Warmes auf meinem Bauch ausbreitete. Er küsste mich auf eine Art, die er für liebevoll hielt, und sackte langsam über mir zusammen, als die letzten Wellen der Lust aus ihm herausschwappten. Er keuchte in mein Ohr und ich spürte seinen heißen Atem an der Seite meines Halses. Mit sanftem Druck meiner Hand an seiner Seite bedeutete ich ihm, nicht auf mir liegen zu bleiben; er zog sich von mir herunter, wobei er auf den Rücken rollte, einen Arm an den Kopf gehoben, so liegen blieb und immer noch schwer atmete. Ich war die ganze Zeit nicht einmal ins Schwitzen gekommen.             Doch eines war mir klar geworden: Das Keuchen aus meiner Erinnerung ... war jenes des Kaisers gewesen. Ich richtete mich im Bett auf, wobei das Resultat seiner Lust an mir herablief, und konnte ihn nur ungläubig anstarren. „Du hast mich beobachtet“, hauchte ich.             „Ich seh dich dabei eben gerne an“, sagte der Kaiser, ohne die Augen zu öffnen.             „Nein, ich meine – damals. In deiner Villa.“             Er blinzelte im Dunkel ein paarmal, ehe er sich schließlich auch aufrichtete. Er lächelte. „Statt die Bibliothek aufzuräumen, hast du dir die Bücher angesehen“, sagte er fröhlich. „Das hat mir gefallen.“ Er fuhr mit seinen Fingerspitzen meinen Hals hoch zu meinen Locken, die er mir hinter Ohr strich, bevor er seine Lippen auf meinen Kiefer setzte.             „Aber ...“ Ich erzitterte vor meiner Erkenntnis in diesem Moment. Er musste es wohl mit Erregung verwechseln. Seine Zunge fand ihren Weg zu meinem Ohr.             „Und außerdem ...“, fügte er wispernd hinzu, „nun ja ... schau dich doch nur an, deliciolae. Obwohl. So klein bist du gar nicht mehr.“ Seine Hand wanderte zu meinem Schoß. „Nicht wahr?“             „Sebaste ...“, flüsterte ich.             „Oh, ich bin es leid, immer nur Sebastos, Dominus, Kyrios, Despotes von dir zu hören“, sagte der Kaiser, wobei er den Druck auf meine nur langsam anschwellende Erektion verstärkte. „Ich denke, so langsam kennen wir uns gut genug, dass du einfach Hadrian sagen kannst. Meinst du nicht?“             Ich schlug die Augen nieder. Seine Hand, von uns beiden unbeachtet, arbeitete weiter an mir. „Aber Sebaste ...“             Der Kaiser seufzte. „Na gut. Dann gehorche aber wenigstens deinem Sebastos und kletter brav auf seinen Schoß ...“ Seine Hand ließ unerwartet von mir ab; mir stieg die Röte ins Gesicht, als ich merkte, dass ich weitermachen wollte. Vielleicht nicht unbedingt mit ihm, schoss es mir mit einem Blick auf den Kaiser durch den Kopf. Aber sonst war hier niemand. Widerwillig erklomm ich also seinen Schoß und begann, meine Arme um seine Schultern geschlungen, ihn zu küssen und mich an ihm zu reiben. Ich war ihm nun seit etwa vier Jahren im Bett zu Diensten. Nach dem Auftrag in der Bibliothek wurde ich eines Tages mit Wein, Käse und Feigen zum Kaiser geschickt, der sich in der Nachmittagssonne vor dem Tempel, der zu seiner Villa gehörte, um seine Korrespondenz mit dem gesamten Reich kümmerte. Da also ein Ende der Arbeit nicht in Sicht war und es noch eine lange Zeit bis zum Abendessen war, sollte sich der Kaiser etwas stärken.             Ich fand meinen Weg nicht sofort. Das Gelände war so weitläufig und die Gebäudestrukturen so zahlreich, dass beinahe das Viertel einer Stunde vergangen war, bis ich überhaupt am Kanopos, dem Garten vor dem Tempel, ankam. Den Henkelkrug und die Weinschale in der einen Hand und die Platte auf der anderen balancierend, nahm ich den Ort in Augenschein. Ich war in meiner Zeit in der Villa noch nicht hier gewesen, fand aber auf den ersten Blick, dass das Wort Kanopos, also die Bezeichnung eines Sterns, unpassend war. Vor mir befand sich ein langgestrecktes Wasserbecken umgeben von Säulengängen, ein Sternenhimmel war aber weit und breit nicht zu sehen. Doch am Ende, vor dem Tempeleingang, konnte ich immerhin Menschen ausmachen.             Ich lief an dem Wasserbecken vorbei, was einige Momente dauerte; es war so lang, die Ansammlung vor dem Tempel wollte und wollte einfach nicht näherkommen. Schließlich kam ich an, und ich wusste überhaupt nicht, was ich sagen sollte. Dort, auf einem steinernen Halbrund, ausgestattet mit Polstern, saß der Kaiser, zusammen mit seinem für Briefe verantwortlichen Sekretär, in tiefster Konzentration über Wachstafeln gebeugt, die ihm aus Britannien, Spanien, Dakien, Pannonien, Ägypten, Gallien und auch aus Rom zugesandt worden waren, die Geschicke der Welt buchstäblich in seinen Händen.             Der Kaiser wurde auf mich aufmerksam. „Domine“, stotterte ich, „ich wurde geschickt ...“ Der Kaiser hob eine Hand, womit er allerdings nicht mich, sondern seinen Sekretär entließ. Er und ein paar Bedienstete sammelten die Tafeln ein und verschwanden damit aus Sichtweite, doch ich bemerkte gar nicht, wohin. Ob sie uns also noch hören konnten, vermag ich nicht zu sagen. Ich war fasziniert vom Kaiser, dem mächtigsten Mann der ganzen Welt, ein wandelnder Gott, direkt vor mir. Er trug nicht das kaiserliche Prunkgewand, in dem ich ihn das erste Mal gesehen hatte, auch keinen Brustpanzer, sondern nur eine gegürtete, goldverzierte Tunika; nicht die roten Schuhe des Pontifex Maximus, der er war, sondern gewöhnliche Sandalen. Das alles sollte mir den Eindruck vermitteln, dass ich, ebenfalls in eine Tunika gekleidet, ihm ebenbürtig war, und trotzdem ... Er war der Kaiser.               „Domine ...“, begann ich erneut, ohne zu wissen, was ich sagen sollte.             „Bist du Römer?“, unterbrach mich der Kaiser. Ich schüttelte den Kopf, während ich mich endlich daran machte, ihm die Früchte und den Käse hinzustellen. Er nahm meine Antwort zum Anlass, ins Griechische zu wechseln.             „Der Wein ist bereits gemischt“, informierte ich ihn, als ich auch die Schale abstellte und Wein aus dem Krug hineingoss. Schüchtern aufblickend konnte ich mich davon überzeugen, dass der Kaiser seine Augen nicht einen Moment von mir genommen hatte.             „Setz dich“, forderte er mich auf. Ich zögerte. Er wies auf einen Platz neben sich. Sicherlich war es nicht richtig, sich zum Kaiser zu setzen wie ein Gast, nicht wie ein Bediensteter; sicherlich gab es dringlichere Dinge zu tun? Doch wie dem Kaiser etwas ausschlagen? „So ist gut“, sagte er, als ich mich setzte. Er nahm von dem Käse. „Sag, mein Junge, wo stammst du her?“             Er jedenfalls klang nicht wie ein Römer. Sein Griechisch war das Athens. „Aus Bithynien, o Sebaste“, erwiderte ich. Ich schlug die Augen nieder. Angesichts seines sauberen Attisch schämte ich mich beinahe meines provinziellen Akzents.             „Ah“, machte der Kaiser. „Ich erinnere mich.“ Mein Blick schoss sofort zurück in seine Richtung. Als Kaiser musste er Tausende Menschen täglich sehen, musste Hunderte persönlich in seine Dienste berufen haben – und an mich erinnerte er sich? „Das ist jetzt zwei Jahre her – ich hab dich fast nicht erkannt.“             Auch daran erinnerte er sich also. Wie lange es her war. Wusste er auch noch, dass ich damals einen Kopf kleiner gewesen war? Dass meine Locken, einst eng am Kopf anliegend, seitdem gewachsen waren, sodass sie mir nun in den Nacken fielen?              „Wie gefällt es dir hier bisher?“, fragte der Kaiser rundheraus, wobei er nach einem weiteren Stück Käse griff.             „Sebaste?“             Der Kaiser machte eine die Umgebung umfassende Geste. „Hier? Du musst wissen, das Gelände wird nach meinen Entwürfen gestaltet.“             „Dann ist es wunderbar“, sagte ich augenblicklich. Der Kaiser schmunzelte unter seinem Bart. Er griff nach dem Wein. „Vergleichbar sicherlich nur mit den Hallen des Zeus, Herr.“             „Eine sehr kluge Antwort. Es gibt durchaus unweise Männer, doch ich sehe, du gehörst nicht dazu.“ Er stellte die Schale zurück und nahm sich diesmal eine Feige, aß sie aber nicht sofort. „Ich denke, ich möchte, dass du jetzt immer derjenige bist, der mir etwas zu essen bringt. Und wer weiß, wenn du den Kaiser weiterhin erheiterst, befördert er dich vielleicht.“ Die Augen starr auf mich gerichtet, biss er nur sehr langsam von der Feige ab, deren Fleisch sich blutrot zeigte. Ich konnte damals nicht sagen, was es war, das mich an diesem Anblick störte, doch ich schlug schnell die Augen nieder.             „Es gibt viel zu tun ...“, sagte ich sinnloserweise.             „Und ich will dich auch gar nicht weiter aufhalten.“ Der Kaiser entließ mich und ich erhob mich von der Bank. Ein letztes Wort richtete er allerdings noch an mich: „Du scheinst schnell zu wachsen, denn wie ich sehe, ist deine Tunika etwas knapp. Ich werde mich persönlich um das Problem kümmern ...“             Entgegen seinem Wort verschwanden auf magische Weise alle größeren Tuniken aus dem Hause und ich war gezwungen, weiterhin meine langsam tatsächlich knapp werdenden Kleider zu tragen, was deutlich mehr Haut an meinen Schultern und Schenkeln freiließ. Es dauerte nicht lange, bis er diese Stellen „aus Versehen“ zu berühren begann. Nur ein kurzes Streifen mit den Fingerkuppen. Ich schreckte zurück, doch er schien gar nichts gemerkt zu haben, redete ich mir ein, denn er tat so, als wäre nichts passiert, blieb ruhig. Also versuchte auch ich, Ruhe zu bewahren. Auch, als es ein zweites Mal geschah. Ein drittes. Ein viertes. Auch, als er mich in scheinbarer Freude des Wiedersehens um die Taille an sich zog und seine Hand „abrutschte“.             Diesmal konnte er nicht so tun, als wäre nichts passiert. „Verzeihung, ein Versehen“, sagte er und nahm seine Hand von meinem Gesäß. Wäre es wirklich ein Versehen gewesen, hätte er sie sicherlich schneller weggenommen, doch in meinem Schreck dachte ich daran gar nicht. Ich stellte Krug und Tablett ab und machte mich schnellstmöglich auf den Rückweg.             Als ich am nächsten Tag die Küche betrat, standen Wein, Käse und Früchte wie immer bereit. „Heute ist der Kaiser nicht am Kanopos“, informierte mich der Koch. „Er erwartet dich in seinen Gemächern.“             „Wieso das?“             Der Koch grinste fies. „Er wird wohl ... im Bett liegen.“             „Geht es ihm nicht gut?“, fragte ich besorgt.             Der Koch konnte nun kaum sein Lachen unterdrücken. „Ich bin sicher, wenn du bei ihm gewesen bist, wird es ihm besser gehen, also beeil dich.“ Seinem Rat folgend, flog ich förmlich ans andere Ende der Villa, wo sich Kaiser für gewöhnlich bettete. Ich erwartete, den Kaiser wie immer im Beisein seines Sekretärs anzutreffen.             „Hier ist gar niemand“, stellte ich allerdings fest, als ich die Wachen passiert und das Gemach betreten hatte. Die geschlossenen Türen hinter mir, sah ich mich im Raum um.             „Ganz recht“, bestätigte mir der Kaiser. Er sah nicht krank aus. Vielleicht etwas fiebrig, wie er da auf dem Ende seines Bettes saß und mich beobachtete. Ich wollte ihm den Wein bringen, doch er bedeutete mir, ihn auf einem Tisch abzustellen. „Komm her, Antinoe“, wies er mich dann an. Ich ging auf ihn zu, blieb allerdings respektvoll nicht direkt vor dem Bett stehen.             Der Kaiser hingegen hob die Hände, packte mich an der Hüfte und zog mich zu sich; er begann, mit seinen Händen grob an meinen Seiten entlangzufahren. Augenblicklich versuchte ich, mich seinem Griff zu entziehen. Was sollte das?             „Antinoe ...“, sagte der Kaiser, und ich wunderte mich über diesen Ton, den ich noch nie vorher gehört hatte. Damals dachte ich, dass er ernsthaft krank sein musste, erkältet vielleicht, und geschwächt. „Ich halte es nicht mehr aus ... Du bist so schön ... ich muss dich haben.“             „Wa–“, machte ich, denn ich verstand nicht, da machte der Kaiser seinen Wunsch deutlich, indem er den Gurt um meine Tunika löste. Ich erstarrte auf der Stelle. „Nein ...“, murmelte ich, auch wenn irgendetwas in mir wusste, dass es zwecklos war.             „Du wirst deinem Kaiser zu Diensten sein“, sagte er da nämlich. Er lächelte. „Zuerst mit einem Kuss.“ Ich wusste natürlich, was er meinte. Doch ich konnte nicht. Dieser Mann vor mir war älter als mein Vater. Der Gedanke war nichts minderes als ... abstoßend.             Ich fiel auf die Knie und versuchte es mit einem Kuss auf den Saum, doch der Kaiser schüttelte bereits den Kopf.             „Nicht so ein Kuss, deliciolae ...“, sagte er zufrieden grinsend. „Wobei ... bleib noch kurz so.“ Und er beugte sich zu mir, um mir die Tunika über den Kopf zu ziehen, ehe er sie zu Boden gleiten ließ. Mit aufgerissenen Augen starrte ich ihn an. Ich kniete in nichts als einem Lendenschurz vor ihm. „Erhebe dich, Antinoe ...“ Als meine Muskeln nicht gehorchen wollten, zog er mich auf die Beine; anschließend fuhren seine Hände über meinen nun entblößten Bauch, die Hüften, Schenkel, meine Rückseite, während ich mich irgendwie zu verstecken versuchte ... Und er wartete immer noch auf seinen Kuss.             Gezwungenermaßen beugte ich mich vor: Ich spitzte die Lippen, schloss die Augen und versuchte, mir ein süßes Mädchen anstelle eines alten Mannes vorzustellen, dessen schwarze Locken von den erstem weißen Haaren durchzogen wurden. Ein süßes Mädchen. Es grauste mir zwar davor, dass es einen dichten Bart haben würde, doch in meinen Gedanken war es dennoch ein süßes Mädchen. In meinem Alter. Langes, dunkles Haar, wunderschöne große Augen, schmale Schultern, eine weiche Brust, ausladende Hüften ... ein süßes Mädchen, süßes Mädchen, süßes Mädchen ...             Sein Bart kratzte an meinem Gesicht, als ich meine geschlossenen Lippen auf seinen Mund presste. Er küsste mich leidenschaftlich zurück, ganz anders, als ich mir einen Kuss vorgestellt hatte, und zog mich, die übermächtigen Arme erstickend fest um meinen Körper geschlungen, an sich, auf sich, drückte mich aufs Bett, entgürtete schließlich seine eigene Tunika, die er dann achtlos zu Boden warf und unter der er nichts trug. In einem letzten Versuch schüttelte ich den Kopf. „Sebaste ... bitte nicht ...“ Aber den zweiten Teil schien er nicht gehört zu haben. Vielleicht, wenn ich ihn lauter geäußert hätte ... Oder er wollte ihn gar nicht hören ...             Vier Jahre später und hier waren wir, Bauch an Bauch zusammengeklebt, der Kaiser aufs Bett zurückgesunken, mich auf ihm, wir beide schwer atmend, seine Hände an meiner Rückseite langsam erschlaffend. Ich hob den Kopf und sah in dieses Gesicht, das mich nun schon so lange verfolgte. Und ich konnte zu keinem anderen Schluss kommen: Das alles war schon immer sein Plan gewesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)