Zeit der Kolibris von Encheduanna ================================================================================ Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Sie las ihm vor über diese Pippi, deren Geschichten er so sehr mochte. So sehr, dass er sich wiederum wie eine Katze an sie schmiegte und seinen Kopf an ihr zu reiben begann und dabei ein leises, zugleich entspanntes Brummen von sich gab. Sie wusste, dass er sich wohlzufühlen begann. Zwar konnte sie ganz und gar nicht verstehen, weswegen er solch einen Narren an diesen komischen Geschichten um dieses chaotische und in jeder Hinsicht liederliche Mädchen gefressen hatte, doch ließ sie ihn und las weiter. Hauptsache, er war zufrieden, Hauptsache, sie konnte ihn von diesen selbstzerstörerischen Gedanken ablenken und letztlich auch abbringen. Nie wieder wollte sie von ihm hören, dass er bald sterbe. Und so als könne sie’s verhindern, könne tatsächlich Einfluss auf seine Gedanken und Gefühle nehmen, drückte sie ihn an sich, und das so sehr, dass er schließlich einen unartikulierten Laut, ähnlich einem Krächzen, von sich gab, den Kopf hob und sie ansah. Verwundert? „Was?“, wollte sie fragen, las jedoch weiter, bis er schließlich laut gähnte, mit der Hand aufs Buch patschte und ein genuscheltes: „Morgen weita“, hervorbrachte, ehe er sich aus ihrer Umarmung löste, sich auf seiner Seite des Bettes niederließ und sich die Decke bis zur Nasenspitze hochzog. „Mama, Kuss und Nacht“, krähte er. Unwillkürlich musste sie schmunzeln, legte rasch das Buch auf dem Nachtisch ab, wandte sich an ihn, fuhr ihm mit den Fingern durchs Haar und küsste ihn dann – zuerst auf die Stirn, alsbald auch recht laut schmatzend auf beide Wangen. Er zog die Nase kraus und kicherte, mochte er doch dieses allabendliche Ritual. Und noch einmal küsste sie ihn, wiederum laut schmatzend. Und wieder kicherte er, sie sah es, spürte es auch am leichten Zucken, das seinen Körper durchdrang. „Matthias“, murmelte sie, strich ihm die Haare aus der Stirn und presste ihre Lippen nochmals auf seine Stirn, denn gerade in dem Moment, da sie ihn so fröhlich sah, wollte sie ihm zuflüstern, dass er nie wieder sagen dürfe, er würde bald sterben, bezwang sich jedoch, indem sie ihn nochmals küsste. Und er reagierte prompt, gluckste so, wie er es in Kindertagen auch getan hatte. Ebenso. „Mein Kleiner. Mama hat sich lieb“, flüsterte sie und stupste ihn auf die Nasenspitze. „Auch“, kam’s von ihm, dann gähnte er wiederum, den Mund weit aufgerissen. „Nun schlafen.“ „Nun schlafen“, wiederholte sie und ließ sich ebenfalls in die Kissen sinken, jedoch nicht ohne noch einmal den Arm nach ihm auszustrecken. Er reagierte sofort, kam ihr näher. Doch statt sich an sie zu kuscheln, wie sie es gedacht hatte, blies er sie an, gab dann, als er ihres gespielt erstaunten Gesichtsausdrucks gewahr wurde, ein hohes Kichern von sich und warf sich herum, auf seine Einschlafseite. Sie indes verharrte noch einen Moment in ihrer Position, betrachtete ihren Sohn, strich ihm auch übers Haar, vernahm dazu sein leises, wohlgefälliges Brummen, ehe auch sie sich zurückzog und das Licht löschte. Am nächsten Morgen wurde sie von einem lauten Schrei wach. Sie zuckte hoch, sah Matthias neben dem Bett stehen. Er starrte an sich hinab. Sie folgte seinem Blick und wurde eines großen feuchten Flecks auf seiner Hose gewahr. Sofort war sie auf und stieß hervor: „Mama macht das!“ Doch er, den Blick hebend, schüttelte mit dem Kopf. „Nein, nein, nein“, erwiderte er, griff sich ins Haar mit beiden Händen, sah wieder an sich hinab, blieb aber stehen. „Fleck“, nuschelte er, „Fleck.“ „Mama macht das“, versuchte sie ihn zu beruhigen und ergriff ihn am Arm. Doch er entzog sich ihr. Ziemlich abrupt, wie sie fand. „Matthias allein. Allein …“, beharrte er, raufte sich die Haare, sah sie dann mit leicht geöffnetem Mund an, fragend, so als wüsste er nicht. Dann jedoch wandte er sich dem Bad zu. „Mama helfen“, entfuhr es ihr. „So, wie immer.“ „Keine Hilfe“, versetzte er und war im Bad verschwunden, während sie ihm nachrief: „Hose aus und in die Dusche legen. Mama wäscht sie aus.“ Erst dann wandte sie sich seiner Betthälfte zu, legte die Decke zurück und wurde des großen Urinflecks ansichtig. Wie gut, dass sie von vornherein an die wasserdichte Unterlage gedacht hatte. Doch das Lacken war verschmutzt, musste gewechselt werden. Und derweil sie sich an die Arbeit machte, vernahm sie aus dem Bad wiederum ein lautes Gerumpel. Sie zuckte neuerlich hoch. In wenigen Schritten war sie bei der Tür, riss sie auf und sah ihren Sohn in der Dusche hockend, nackt unter laufendem Wasser. Aber als er sie sah, sprang er auf, die verschmutzte und nun vollkommen durchnässte Hose in der Hans, und rief: „Mama weg! Allein.“ „Nicht allein!“, erwiderte sie ebenso laut und trat auf ihn zu. „Doch allein“, beharrte er. „Allein.“ „Dann mach wenigstens die Dusche zu.“ „Nein!“, brüllte er. „Doch, sonst spritzt das Wasser heraus.“ „Nein, nein, nein – allein, allein, allein.“ „Ja, aber dann mach zu.“ „Nein, nein, nein!“ „Matthias“, schnappte sie, griff sich an die Brust. Solche Szenen waren ihr ungeheuer, kaum fassbar, gleichwohl sie sich in letzter Zeit häuften. „Mach zu. Das Wasser …“, beharrte sie, denn es hatte sich schon eine Lache vor der Dusche gebildet. „Nein“, brüllte er und wedelte mit seiner nassen Hose vor ihrer Nase herum. Sie versuchte sie zu erhaschen. Es gelang ihr nicht. „Matthias“, rief sie und tastete an ihm vorbei nach der Armatur, um den Wasserstrahl zu unterbinden. „Jetzt gut!“ „Allein, allein“, wehrte er sie ab und schleuderte ihr seine Hose entgegen. Sie zuckte zurück. Dabei spritzte Wasser aus der Duschkabine und durchnässte auch sie. „Wasser aus!“, kreischte sie und riss beide Hände hoch, um sich zu schützen. „Wasser aus. Sofort!“ „Mama weg! Allein, allein“, hielt Matthias dagegen. „Mama weg. Matthias allein.“ „Sofort das Wasser aus.“ „Allein!“ Wieder traf sie ein Schwall Wasser und sie begriff, dass er den Duschkopf auf sie gerichtet hielt. Nach Luft schnappend trat sie dem Wasser entgegen, riss die Augen auf, packte Matthias am Arm – so fest sie konnte – brüllte: „Nein, jetzt Ruhe“ und stellte die Dusche ab. Schon entwand er sich ihrem Griff, wollte das Wasser erneut anstellen. Da hob sie die Hand und schlug ihm mitten ins Gesicht. Er zuckte zurück, sah sie einen Moment lang an, ehe er ein leises Wimmern von sich gab und sie brüllte: „Jetzt raus. Sofort.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)