Ein letztes Geheimnis von Sharry ================================================================================ Kapitel 51: Epilog ------------------ Epilog   Er faltete die Zeitung zusammen und sah zu den Baumwipfeln hinauf. „Du kannst aufhören; wir lassen es für heute gut sein.“ Den Staub von der Hose klopfend erhob er sich. „Was?“, kam zugleich die entsetzte, aber nicht unerwartete Antwort. „Es ist noch mitten am Tag und ich kann noch weitermachen.“ Mit den Augen rollend richtete er sich den Kragen und fuhr sich durchs Haar. „Ich scheine mich missverständlich ausgedrückt zu haben, also lass mich klarstellen, dass dies kein Vorschlag war.“ „Aber…“ „Kein Aber, Ray. Geh ins Schloss und sag Perona Bescheid, dass sie die Vorratskammern abschließen soll. Wir erwarten Besuch.“ Mit einem Male veränderte sich die ganze Körperhaltung seines Patenkindes und die trotzige Schnute wich einem breiten Strahlen, welches Dulacre eindeutig an Jiroushin erinnerte. „Sie kommen?“, fragte sein Mündel mit weit aufgerissenen Augen und Dulacre nickte. „Okay!“ Im nächsten Moment wirbelte Ray auf dem Absatz herum und jagte Richtung Schloss, ohne auch nur noch ein Wort des Widerspruches. „Und hilf ihr, die Gästezimmer herzurichten, hörst du?“ Schmunzelnd schüttelte Dulacre den Kopf und begab sich dann gemächlichen Schrittes Richtung Strand. Dort wartete er gegen einen Baum gelehnt, während das altvertraute Piratenschiff hinter den feinen Nebelschwaden allmählich näher kam. Obwohl er versuchte, es zu ignorieren, konnte er das flaue Gefühl im Magen nicht verhindern. Er war nervös, so richtig nervös wie ein kleiner Junge, so sehr freute er sich darauf, dass dieses Schiff endlich anlegen würde. Natürlich hatte er gewusst, dass sie schon vor längerem Kurs auf Kuraigana genommen hatten, aber er kannte diese verrückte Crew gut genug, um zu wissen, dass sie sich auf dem Weg noch in das ein oder andere Abenteuer hätte verstricken können. Also wartete er hier, in den warmen Sonnenstrahlen, die der sanfte Nebel gütiger Weise durchließ, und konnte seine Vorfreude kaum verbergen. Kuraigana würde so belebt sein wie selten und obwohl Dulacre wusste, dass er die Lautstärke bereits am Abend bereuen würde, so konnte er nicht leugnen, dass er die Gesellschaft auch ein bisschen genoss. Er hatte diese Crew schätzen gelernt, anderes war ihm auch nicht übrig geblieben. Außerdem würde Jiroushin in den kommenden Tagen ebenfalls hereinschneien und Dulacre hoffentlich die nervigeren Mitglieder der Crew abnehmen, so wie das letzte Mal, als die beiden dauergrinsenden Gutmenschen aufeinandergetroffen waren und sich natürlich hervorragend verstanden hatten. Dulacre wusste, dass es noch gar nicht so lange her war, seitdem er dieses Schiff das letzte Mal gesehen hatte, aber gefühlt lag es dennoch eine Ewigkeit zurück. Endlich war es nahe genug und wie zu erwarten, schoss ein roter Blitz über die Reling und landete nur wenige Meter neben Dulacre. „Hey, Falki! Wie geht’s? Ich geh schon mal vor!“, rief der viel zu gutgelaunte Strohhut ihm zu und rannte bereits weiter, immer noch so energetisch wie bei ihrem allerersten Aufeinandertreffen. „Dir auch einen schönen Tag, Strohhut, und nur zu. Die Speisekammer ist jedoch verschlossen.“ „Waaas?“, jammerte der andere und lief auf der Stelle bleibend weiter. „Warum?“ „Du weißt sehr wohl warum. Aber Perona hat gestern einen Kuchen gebacken. Du kannst ja nachgucken, ob sie dir etwas verwahrt hat.“ Bevor er den Satz auch nur beendet hatte, war der andere schon weitergerannt, ähnlich enthusiastisch wie Dulacres Patenkind. „Mensch, Ruffy! Jetzt warte doch!“ Nun hatte das Schiff der Strohhüte angelegt und der Smutje sprang ebenfalls von Bord. Er nickte Dulacre kurz zu und hob eine eingepackte Weinflasche hoch. „Château Margaux.“ Dulacre erwiderte sein knappes Nicken. „Seelamm ist in der Kühlkammer. Pass auf, dass dein Kapitän es nicht roh ist.“ „Seelamm?“, wiederholte der Smutje mit hochgezogener Augenbraue, während hinter ihm eine Strickleiter heruntergelassen wurde. „Von der Grand Line?“ „Bin ich ein Barbar? South Blue.“ „Oh, gute Wahl.“ „Gleichfalls.“ Einen Moment sahen sie einander abschätzig an, dann rief der Lockenkopf dem Smutje etwas zu, damit dieser mit ihm und den anderen zum Schloss ging. Schlusslicht bildeten Jinbei und Doktor Chopper, die ihn höflich grüßten. Und dann endlich schwang er sich über die Reling und landete mit einem dumpfen Aufprall auf dem Steg, ehe er sich aufrichtete und Dulacre sein schelmisches Grinsen schenkte. „Hey“, grüßte Lorenor ihn in seiner üblichen mürrischen Art, die zeigte, wie gutgelaunt er war, „du weißt aber schon, dass du nicht jedes Mal auf mich warten musst, oder? Den Weg zum Schloss finde ich schon noch allein.“ „Daran hege ich so meine Zweifel.“ Dulacre stieß sich von seinem Baum ab und ging seinem Wildfang ein paar Schritte entgegen. „Außerdem ist Perona in ihrem Putzwahn unerträglich, da genieße ich doch lieber die Ruhe des Meeres, ehe deine Crew von Chaoten anlegt.“ „Tze, stell dich doch nicht so an.“ Doch dann blieb Lorenor stehen und sah zum Schiff zurück. Dulacre beobachtete aufmerksam, wie das Lächeln des anderen schwand, und er folgte dem strengen Blick zur Reling, wo Nico Robin und die Navigatorin noch warteten, beide wachsam dreinblickend. „Jetzt komm schon“, bellte Lorenor grob zu ihnen hinauf und verschränkte die Arme. „Du lässt mich schlecht vor meinem ehemaligen Lehrmeister aussehen.“ „Zorro!“, keifte die Navigatorin direkt zurück, aber im nächsten Moment ergriffen zwei winzige Händchen die Strickleiter. Den winzigen Händchen folgten zwei dürre Ärmchen und ein feuerroter Strubbelkopf, dessen Haare mehr schlecht als recht in einem Zopf gebändigt waren, wobei einzelne Strähnen sich bereits befreit hatten und der Schwerkraft trotzten. Das gnomenhafte Etwas begann die Leiter hinabzusteigen, während die Navigatorin ihm ermutigende Worte zusprach und dann zusammen mit Nico Robin folgte. Selbst auf die Entfernung konnte Dulacre mit seinen scharfen Augen das Wesen begutachten. Auch die hochwertige und offensichtlich neue Kleidung konnte nicht über den abgemagerten und verhärmten Körper hinwegtäuschen, allerdings hatte es eine gesunde Hautfarbe und die vor Angst riesigen Augen schienen weder matt noch lethargisch. Dieses Kind schien bis vor kurzem großes Leid und noch größere Entbehrungen erlebt zu haben, die selbst einige Tage an guter körperlicher und seelischer Versorgung noch nicht hatten ausgleichen können. Dulacre warf Lorenor einen Seitenblick zu, während das bedauernswerte Geschöpf näherkam. Mit etwas Abstand folgten die beiden Damen. Bei ihnen angekommen glotzte es Dulacre mit weit aufgerissenen Augen an, ehe es hilfesuchend Lorenor anstarrte, woraufhin dieser nur sachte nickte. Im nächsten Moment warf das kleine Etwas sich beinahe zu Boden, so tief war seine Verbeugung, und quiekte hektisch: „Ich lege mein Leben in Eure Hände! Ich bitte Euch…“ „Falsch“, unterbrach Lorenor die piepsige Stimme mit seinem tiefen Brummen, woraufhin die großen Augen ihn noch panischer anstarrten, „versuch es nochmal. Denk daran, was ich dir gesagt habe.“ Dulacre entging nicht, wie Lorenor mit diesem dürren Wesen sprach, so wie er sich früher immer an Doktor Chopper gewandt hatte, als dieser noch unsicher und so verletzlich gewesen war. Es war eine Sanftheit, die Lorenor nicht jedem zu Teil werden ließ. Das Geschöpf mit dem haargewordenen Feuer nickte sachte und Dulacre konnte sehen, wie es mehrmals schluckte und sich dann auf die Unterlippe biss. Im Hintergrund standen Nico Robin und die Navigatorin und beobachteten sie mit Argusaugen, als wollten sie sichergehen, dass Dulacre es nicht mit Haut und Haaren verschlang oder einfach ins Meer warf. Erneut verbeugte sich das Etwas, dieses Mal jedoch nicht ansatzweise so tief wie zuvor, die Arme angelegt, eine Spannung im Körper, die wohl angemessen war. „Mihawk Dulacre, ich bitte Sie, bitte unterweisen Sie mich im Schwertkampf!“ Dieses Mal klang die Stimme nach dem ersten Zittern deutlich kräftiger und obwohl Dulacre natürlich vorhergesehen hatte, was passieren würde, überraschte diese Bitte ihn dennoch. Das Kind ignorierend begutachtete er Lorenor, welcher ihn nun so breit angrinste, dass er seinem Kapitän Konkurrenz machen konnte. „Gut gemacht“, lobte Lorenor dann das kleine Etwas, „du kannst dich wieder aufrichten.“ Es folgte seiner Aufforderung, die Augen immer noch weit aufgerissen. „Dulacre, darf ich dir vorstellen, Roshan.“ Dulacre ließ seinen Blick von Lorenor auf das kleine Etwas vor ihm gleiten, welches seinem Blick wie ein erstarrtes Rehkitz begegnete. „Roshan, dies ist Dulacre, mein ehemaliger Lehrmeister und nun mein Sozius. Also erweise ihm Respekt.“ Das Etwas wollte etwas erwidern, doch die Navigatorin war schneller. „Jetzt hör doch mit diesen geschwollenen Worten auf. Du machst ihr am Ende noch Angst, Zorro!“, keifte sie, kam nach vorne und legte dem kleinen Ding eine Hand auf die Schulter. „Komm, Roshan, lass uns schonmal vorgehen und die beiden Sturköpfe ein bisschen unter sich sein.“ „Hör auf sie zu bemuttern, Nami. Sie ist eine Kämpferin und…“ „Ab Morgen ist sie meinetwegen eine Schwertkämpferin, aber heute – zumindest für heute! – ist sie nur ein Kind. Also sei nicht so streng zu ihr.“ Dann warf sie ihm einen Blick zu, den Dulacre nur zu leicht als ein Du weißt doch, was sie durchgemacht hat deuten konnte. Nun gesellte sich auch Nico Robin dazu und zwinkerte Dulacre kurz zu, ehe sie sich Roshan zuwandte. „Ich weiß, du willst einen guten ersten Eindruck hinterlassen und am liebsten heute noch mit dem Training beginnen, aber wenn du es wirklich ernst meinst, dann musst du der Schwertkunst den nötigen Respekt erweisen und dich gut vorbereiten. Also wie wäre es mit etwas Leckerem zu essen und einer ordentlichen Mütze Schlaf? Während des Seegangs kamst du ja nicht gut zur Ruhe.“ Das kleine Ding sah zu Lorenor hinauf und auf dessen Nicken hin, ging sie mit den beiden Damen, wechselte leise Worte mit ihnen, während Dulacre ihnen nachsah. Er wartete, bis selbst Nico Robins Ohren außer Reichweite waren, dann wandte er sich Lorenor zu. „Was hast du mir denn da mitgebracht, Lorenor?“ Auch der andere sah noch einen Moment in den Wald hinein, ehe er sich Dulacre zuwandte und mit den Schultern zuckte. „Wonach sieht es denn aus? Eine Schülerin.“ Dulacre hob nur eine Augenbraue an. „Dieses unscheinbare Etwas? Bist du dir wirklich sicher, dass sie meinen Ansprüchen genügen kann?“ Nun zeigte der andere sein typisches Grinsen. „Habe ich dich je enttäuscht?“ Einen Moment sah Dulacre an dem anderen vorbei aufs weite Meer, welches im warmen Sonnenlicht glitzerte. „Du weckst hohe Erwartungen in mir. Ich hoffe, sie kann diese erfüllen.“ „Naja, es wäre nicht das erste Mal, dass du einen deiner Schüler unterschätzt hättest.“ Der andere nickte ihm zu und gemächlichen Schrittes folgte sie dann den anderen Richtung Schloss. Doch sie beide hatten es nicht eilig, genossen die angenehme Ruhe, ehe es lebhaft wild zugehen würde. „Wie lange habt ihr vor, zu bleiben?“, fragte Dulacre. „Ray ist zu Besuch und Jiroushin hat gestern Abend angerufen, dass er in den nächsten Tagen vorbeikommen wird, sobald seine Arbeit es erlaubt.“ Lorenor neben ihm rieb sich den Nacken. „Ray ist hier? Seit wann? Was hat dieses Gör denn jetzt wieder angestellt, um zu dir ins Straflager geschickt zu werden?“ Dulacre schnalzte mit der Zunge. „Dieses Gör, von dem du da sprichst, ist mein Patenkind. Seit gestern, ist von Zuhause abgehauen“, setzte er etwas ruhiger hinterher. Leise lachte Lorenor auf. „Du setzt diesem… deinem Patenkind eindeutig zu viele Flausen in den Kopf. Du wirst Jiroushin noch einen Herzinfarkt bescheren.“ „Ach, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Aber lass uns nicht die Zeit mit Jiroushins Erziehungsversuchen vergeuden. Wie lange werdet ihr bleiben?“, wiederholte er seine Frage. Lorenor sah zu ihm auf. „So zehn Tage wirst du sie schon aushalten müssen. Danach wollte Ruffy glaube ich zur Fischmenscheninsel aufbrechen, wegen irgendeiner Hochzeit oder so, habe nicht genau zugehört.“ Schweigend nickte Dulacre. Zehn Tage waren sicherlich eine lange Zeit, um seine Geduld vom Strohhut und dessen Crewmitgliedern testen zu lassen, aber andererseits auch äußerst wenig. Er wusste, dass er dankbar sein sollte. Sie alle blieben nur Lorenor zuliebe so lange, aber dennoch fiel es ihm schwer. Er hätte nie gedacht, dass eine Fernbeziehung so schwierig sein konnte, und Lorenor war nun mal sehr schlecht darin, auch wenn er sich mit den Jahren deutlich verbessert hatte. „Robin und Chopper hatten mich übrigens gefragt, ob sie hier bleiben dürften. Wie du weißt, hat Robin keine Heimat mehr und Chopper hat entschieden, nicht auf Drumm zu bleiben“, sprach Lorenor weiter und sicherte sich Dulacres Aufmerksamkeit. „Sie werden dich natürlich noch fragen, aber ich habe ihnen gesagt, dass ich nicht davon ausgehe, dass du etwas dagegen haben wirst. Oder habe ich mich da geirrt?“ Nun erwiderte der Jüngere seinen Blick. Dulacre nahm sich den Moment, um ihn zu mustern. Ihr letztes Treffen lag noch gar nicht so lange zurück, aber er bildete sich ein, dass Lorenor sich seitdem schon wieder sehr verändert hatte; er hatte ihn wirklich vermisst. Dann seufzte er und nickte: „Dies ist auch dein Heim und wenn du die beiden zum Bleiben eingeladen hast, wäre es höchst unhöflich, wenn ich sie wieder ausladen würde.“ „Nicht, dass du ein Problem damit hättest, unhöflich zu sein“, grinste der andere ihn an. Dulacre strich sich durchs Haar. „Ich habe nichts dagegen einzuwenden, dass sie bleiben“, gestand er dann zu. „Sowohl Nico Robin als auch Doktor Chopper sind angenehme Zeitgenossen und das Schloss wird nach Rays Abreise wieder deutlich ruhiger werden.“ Leise seufzte er. „Aber was mutest du mir hier zu, Lorenor? Erst dieses unscheinbare Ding und nun auch noch deine Crewmitglieder? Ich bin kein Hotelier, das weißt du?“ Doch er musste selbst mit dem Kopf schütteln. „Aber vielleicht ist es so sogar besser, als wenn ich allein mit Perona und diesem Kind wäre. Es wirkt auf mich doch noch recht eingeschüchtert und Nico Robin scheint einen guten Zugang zu ihm zu haben.“ „Gib ihr etwas Zeit“, murmelte Lorenor neben ihm in Gedanken versunken. „Sie hat einiges durchgemacht, aber glaube mir, wenn ich dir sage, dass sie die eine sein könnte.“ Dulacre blieb stehen und sah den anderen an, der zwei Schritte später ebenfalls stehen blieb und sich zu ihm umwandte. „Bist du dir sicher?“ Lorenor zuckte mit den Schultern und zeigte ihm ein ehrliches Lächeln. „Nein, bin ich nicht, woher auch? Du weißt, dass sowas mich nicht wirklich interessiert und ich hatte auch nie vor, mir einen Schüler zu nehmen und es herauszufinden. Aber… aber ich konnte sie nicht zurücklassen.“ Für einen Moment wandte Lorenor den Blick ab, ehe er Dulacre ansah. „Du weißt, worum Menschen bitten, wenn sie dem Tod gegenüberstehen. Aber sie nicht, sie war stärker als all das, was sie brechen wollte; hat mich angefleht, ihr beizubringen so zu kämpfen, wie ich es tue.“ Dulacre schritt auf den anderen zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Beeindruckend, das gebe ich zu, aber ein eiserner Wille ist nicht genug, Lorenor.“ „Ich weiß“, nickte der andere und sah zu ihm auf, „und ich sage dir, ich hätte sie nicht hergebracht, nicht aus Mitleid, nicht aus Güte. Ich kann es dir nicht genau beschreiben, aber da war etwas; ich musste sie mitnehmen, verstehst du? Aber ich habe noch nie jemanden unterrichtet, nicht auf dem Niveau, nicht im Schwertkampf, und ich bin nicht gut im Erklären. Du bist der beste Lehrer, den ich kenne und daher brauche ich deine Hilfe, dass sie die Ausbildung bekommt, die sie verdient.“ Klar und entschlossen lag Lorenors Blick auf ihm und Dulacre verstand. Anders als Lorenor zweifelte Dulacre nicht an dessen Fähigkeiten, insbesondere wenn er bedachte, wie gut dieser die Schwächeren seiner Crew unterwiesen hatte und in welch simple Worte er komplexe Vorgänge kleiden konnte. Aber es stimmte, dass Lorenor noch nie einen anderen Schwertkämpfer ausgebildet hatte und wenn dieses Kind wirklich von erlesener Qualität sein sollte – woran Dulacre noch berechtigte Zweifel hegte – dann hatte Lorenor wohl Recht, dass sie die beste Ausbildung verdiente, um dies herauszufinden. Außerdem schien sie in einem ähnlichen Alter wie Ray und könnte mit der Zeit vielleicht eine gute Trainingspartnerin darstellen. „In Ordnung. Ich werde meine Zweifel für den Moment zu ihren Gunsten auslegen. Ich vertraue auf dein Urteil, Lorenor.“ „Danke.“ „Aber es ist schon etwas dreist von dir, dich als ihr Lehrmeister aufzuspielen und sie dann bei mir abzuladen?“ Nun sah der andere ihn aus zusammengekniffenem Auge an. „Ich… ich habe nicht vor sie bei dir abzuladen. Warte? Hast du mir wieder nicht richtig zugehört?“ Dulacre hob nur eine Augenbraue an, konnte aber nicht verhindern, dass sie zuckte. Er mochte nicht, wenn Lorenor so etwas behauptete. Doch im nächsten Moment schüttelte der andere den Kopf und zeigte ihm ein schiefes Schmunzeln. „Du Vollidiot, du willst mich manchmal auch einfach missverstehen, oder?“ Unverhohlen sah Lorenor ihn an. „Ich habe nicht vor, irgendjemanden hier abzuladen, weder Roshan noch Robin oder Chopper. Ich habe sie mitgebracht. Auch ich werde bleiben.“ „Für zehn Tage, das habe ich gehört, und dann reist ihr zur Fischmenscheninsel weiter. Wie gesagt, Lorenor, ich höre dir stets zu.“ Der andere stöhnte leise auf und packte grob Dulacres Handgelenk an dessen Schulter. „Nein, du Mistkerl. Ruffy und der Rest der Crew reisen weiter. Aber Robin, Chopper und ich, wir drei bleiben.“ Einen Moment sahen sie einander nur an. Diese Worte ergaben keinen Sinn. Natürlich würde Lorenor immer seinem Kapitän folgen. „Wie lange?“ Dulacre schüttelte leicht den Kopf, als er versuchte, zu verstehen, was der andere sagte. „Bis Ruffy uns wieder ruft“, entgegnete Lorenor mit einem Schulterzucken. „Aber nach der Hochzeit werden auch die anderen heimkehren und Ruffy will zurück in den East Blue. Sie alle wollen nochmal was Zeit zuhause verbringen, wir waren lange unterwegs. Also könnte das schon ein Weilchen dauern.“ Nun grinste Lorenor ihn an, schien offensichtlich seinen Spaß daran zu haben zu beobachten, wie Dulacre diese Aussage verarbeitete. „Aber… aber möchtest du nicht auch in den East Blue?“ „Doch, natürlich.“ Der andere nickte. „Aber ich will, dass du mitkommst. Ich will, dass du Meister Koshiro kennenlernst.“ Dulacre zögerte für einen Moment, als er verstand, was dies alles bedeutete. „Das würde ich sehr gerne“, stimmte er zu. „Aber was ist mit den anderen? Was ist mit deinem Kapitän? Ist es für dich wirklich in Ordnung, nicht an seiner Seite zu sein? Ist es für ihn in Ordnung, wenn du nicht bei ihm bist?“ Eine Sekunde sah Lorenor ihn mit großer Überraschung an, dann zeigte er ein selten warmes Lächeln. „Du wirst schon wieder zu rücksichtsvoll, Dulacre“, meinte er, aber nichts an seiner Stimme klang tadelnd. „Du weißt doch, dass Ruffy… ich muss nicht neben ihm stehen, um bei ihm zu sein.“ Ja, Dulacre wusste das. Am Anfang war es nicht leicht für ihn gewesen, zu wissen, dass Lorenor nie nur ihm gehören würde – woraufhin Lorenor sehr deutlich gemacht hatte, dass er generell niemandem gehören würde, obwohl er hatte wissen müssen, wie Dulacre diese Worte gemeint hatte – und dass diese besondere Verbindung zu seinem Kapitän etwas war, was immer bestehen würde, ganz gleich, wie Dulacre zu Lorenor stand. Über die Jahre hatte er es akzeptiert und auch, dass Lorenor diesem Mann für immer folgen würde, daher schien ihm die neueste Entwicklung mehr als unwirklich. „Tja, und was die anderen angeht, ich denke, wir werden sie halt ab und an besuchen und sie werden umgekehrt auch mal hier vorbeischauen“, murmelte Lorenor und rieb sich nachdenklich den Nacken. „Wenn wir durch den Calm Belt reisen, wären die anderen zum Großteil gar nicht so weit entfernt, sodass wir vermutlich nicht oft unsere Ruhe haben werden.“ Nun konnte auch Dulacre ein Schmunzeln nicht verhindern, als er verstand, dass Lorenor es wohl wirklich ernst meinte. „Ich glaube, diesen Preis bin ich nur zu gerne bereit, zu zahlen.“ Erneut sahen sie einander für einige Sekunden einfach nur an. „Du wirst bleiben?“ „Ja, ich werde bleiben“, nickte Lorenor mit einem breiten Grinsen, ehe er drei Mal mit dem Zeigefinger gegen Dulacres Handgelenk tippte, ehe er seine Hand abstreifte und Richtung Schloss nickte. „Na komm, lass uns zu den anderen gehen.“ Noch eine Sekunde betrachtete Dulacre den anderen, streifte über sein Handgelenk mit dem goldenen Armband und dann folgte er ihm. Nebeneinander gingen sie den vertrauten Weg entlang und er konnte nicht anders, als den Mann an seiner Seite zu mustern, welcher wiederum die Umgebung begutachtete, die sich natürlich stetig weiterentwickelte, seitdem die Human Drills die Insel pflegten und bewirtschafteten. Ein Lächeln stahl sich auf Dulacres Lippen, als ihm bewusst wurde, wie glücklich er war. Er sah zum strahlendblauen Himmel auf, als sich der letzte Nebel verzogen hatte. „Ich weiß, dass du trotz allem, was geschehen ist, davon ausgehst, dass alles nur aufgrund unserer Entscheidungen so gekommen sein mag“, sprach er klar. „Es ist alles so gekommen aufgrund unserer Entscheidungen“, bemerkte Lorenor direkt. „Mhm“, stimmte Dulacre nachdenklich zu und sah wieder auf den Weg vor ihnen, „und dennoch. Nach allem, was passiert ist, all diese fast zu perfekten Zufälle, die kleinen und großen Wunder und Katastrophen, und alles hat dazu geführt, dass wir beide jetzt hier sind, zuhause, mit deiner Crew, meinem Patenkind und jetzt sogar noch einer Schülerin. Nenn mich einen sentimentalen alten Mann, aber manchmal frage ich mich doch, ob es nicht Schicksal war, dass wir einander begegnet sind.“ Er merkte Lorenors Blick auf sich, doch entschied, weiter geradeaus zu sehen und dem hämischen Schalk in diesem grünen Auge zu entgehen. „Ja, du bist sentimental und alt und echt nervig“, murmelte Lorenor neben ihm, aber aus dem Augenwinkel konnte Dulacre sehen, wie der andere nach seinen Ohrringen griff, überraschenderweise ganz ohne den erwarteten Schalk, „und ja, es ist unglaublich viel passiert. Also, wer weiß.“ Der Jüngere machte ein paar schnelle Schritte nach vorne und wandte sich ihm zu, so dass er rückwärts vor Dulacre vorweg ging. „Tja, vielleicht hast du Recht, vielleicht war es wirklich Schicksal.“ Er zuckte mit den Schultern und grinste breit. „Vielleicht hatten wir aber auch einfach nur Pech.“ Im Rücken des anderen erwuchs das Schloss Kuraiganas, ihr gemeinsames Heim und Dulacre konnte sehen, wie Lorenor es über seine Schulter hinweg begutachtete, weiterhin rückwärts vor Dulacre herlaufend. „Willkommen zuhause, Lorenor.“ Überrascht blieb er stehen und sah Dulacre mit großem Auge an, ehe er lächelnd den Blick senkte. „Ich bin wieder da.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)