Ein letztes Geheimnis von Sharry ================================================================================ Kapitel 31: Kapitel 31 - Nachbeben ---------------------------------- Kapitel 31 – Nachbeben   -Sanji- Missmutig nahm er einen erneuten Zug seiner Zigarette; er hatte schon lange aufgehört, zu zählen, wie viele er am vergangenen Tag bereits geraucht hatte. Schließlich war der Abend doch noch angebrochen, die Sonne stand schon tief über dem Horizont, ein langer Tag ging endlich zu Ende. Sein Kopf schwirrte noch immer. Er hatte ja gewollt, dass der verdammte Marimo endlich mit der Wahrheit rausrücken würde, aber irgendwie hatte er nicht das erwartet. Wer hätte das schon erwarten können?! Sanji hatte damit gerechnet, dass irgendeine mysteriöse Schönheit Zorros geschundenen Körper zwischen den brennenden Ruinen gefunden und ihm das Leben gerettet hatte. Er hatte damit gerechnet, dass diese mysteriöse Schönheit niemand anderes als Lady Loreen gewesen wäre, die vielleicht von irgendeiner besonderen Teufelsfrucht gegessen hatte, und zufällig Falkenauge über den Weg gelaufen war, der ihrer Lieblichkeit verfallen war und deshalb entschieden hatte, Zorro zu helfen. Wenn er ganz ehrlich war, schien er damit auch gar nicht so weit weg gelegen zu haben. Zorros Überleben und Lady Loreens Existenz schienen wie durch eine Teufelskraft miteinander verknüpft. Vielleicht eine ähnliche Kraft, wie die, die Brooks Leben gerettet hatte, ohne aber das Zorro derjenige mit der Teufelskraft war, denn ganz offensichtlich konnte er noch schwimmen. Aber einen klitzekleinen Teil hatte Sanji nicht erwartet, und zwar, dass der Marimo Teil eines riesigen Komplotts sein würde, welcher innerhalb weniger Wochen die bisherige Weltordnung auf den Kopf stellen könnte, dass er der Nachfahre eines uralten Volkes sein sollte, welches die Macht hatte, eine antike Waffe zu aktivieren, dass er als Lady Loreen die Symbolfigur eines neuen Zeitalters werden sollte. Aufstöhnend rieb Sanji sich durchs Haar und fuhr dann mit dem Abwasch fort, ignorierte die leise am Tisch gewechselten Worte. Verdammt! Er hatte Kopfschmerzen. Zorro war Lady Loreen! Zorro war verdammt nochmal Lady Loreen! Zorro - übelgelaunter, schlecht erzogener, wortkarger Lorenor Zorro - war niemand anderes als die freundliche, höfliche, gutmütige und schlechthin bezaubernde Lady Loreen. Er konnte es nicht glauben. Er wollte es nicht glauben! Im Königreich Kamabakka, Sanjis persönliche Hölle der letzten zwei Jahre, war Lady Loreen verehrt worden wie ein neuer Heilsbringer und das war wohl eine der wenigen Dinge gewesen, in denen die Einwohner und Sanji übereingestimmt hatten. Ähnlich wie sie hatte Sanji die meist trivialen, aber liebevollen Artikel über die schüchterne Schönheit vom Lande verschlungen. Nicht selten waren die Nachrichten über Lady Loreen der einzige Lichtblick an manchem Tage gewesen, ihre Bilder in der Zeitung das einzig Schöne, was Sanji an jenen Tagen zu Gesicht bekommen hatte. Er erinnerte sich gut an die emotionalen Diskussionen über Lady Loreens zweifelhaften Männergeschmack und warum sie wohl Falkenauge zugeneigt war. Von einem Akt der Rebellion, über die wahre Liebe, Erpressung, bis hin zu einer Zwangsheirat war wohl jede vorstellbare Idee gefallen, aber ganz offensichtlich hatten sie sich alle geirrt. Verdammt! Warum hatte Sanji ihn nicht erkannt? Warum hatte er Zorro damals nicht erkannt? Damals auf dieser Insel, Sarue, als er Ruffy gerettet hatte? Er hatte es doch gespürt. Er erinnerte sich noch ganz genau an dieses Gefühl, als die Klinge den Marineoffizier durchbohrt hatte. Er hatte gewusst, dass Zorro da sein musste; seine Aura hatte den ganzen Hafen durchdrungen, wie immer, wenn er ernst machte. Nein, es war noch nicht mal eine Aura gewesen, Sanji hatte einfach gewusst, dass es Zorro gewesen war. Aber dann… aber dann… Kopfschüttelnd betrachtete Sanji den Teller in seinen schaumigen Händen. Wirf dein Leben nicht leichtfertig weg. Das war Zorro gewesen. Seine ersten Worte an Sanji, nachdem er ihn damals aufgefordert hatte zu überleben, Sekunden bevor er selbst sein Leben verlieren würde, sein Leben opfern würde. Und was hatte Sanji getan? Er hatte diesen Worten kaum Bedeutung geschenkt, so fasziniert hatten ihn Lady Loreens Aussehen, so verfallen war er dieser Schönheit. Sanji verstand nicht, warum Zorro ihnen damals nicht die Wahrheit gesagt hatte. Er war wütend darüber, sauer und verletzt, dass Zorro ihnen nicht genug vertraute, aber eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf fragte sich, ob die Dinge vielleicht anders gekommen wären, wenn er in jenem Moment zugehört hätte, wenn er in diesem Moment verstanden hätte. Erst wirfst du den Stein und jetzt regst du dich darüber auf, dass das Glas zerbrochen ist? Das hatte Falkenauge doch gesagt, oder? Du vertraust ihm nicht, er vertraut dir nicht, beide unfähig zu erkennen, dass euer beiderseitiges Misstrauen durch ein offenes Gespräch geklärt werden könnte. Seine Hände zitterten. Warum zitterten seine Hände so? „Aber ich würde mir wirklich wünschen, wir würden aufhören, in solche Situationen zu geraten“, seufzte Nami am Küchentisch. „Ich meine, reicht es nicht schon, dass wir uns mit de Flamingo und Kaido anlegen? Jetzt könnte es damit enden, dass wir Mary Joa angreifen? Ah, verdammt, warum immer wir?“ „Aber wir müssen doch gar nicht Mary Joa angreifen“, widersprach Robin und Sanji konnte ihrer Stimme ein Schmunzeln anhören, „der Plan sieht doch vor, dass Mihawk im Falle des Falles eingreifen wird. Ich gebe es zwar nur ungerne zu, aber er hat Recht, dass diese Vorgehensweise wohl die Sinnvollste ist.“ „Aber das ist es ja, Robin. Es ist sinnvoll, klug und mit Sicherheit nicht das, was Ruffy tun wird, wenn er spitzkriegen sollte, dass Zorro in Gefahr ist. Dann wird ihm egal sein, wer sein Feind – oder meinetwegen auch Freund, ich habe immer noch keine Ahnung auf welcher Seite Falkenauge denn jetzt wirklich steht – ist, er wird Zorro retten wollen.“ „Ist dir auch aufgefallen, wie ungewöhnlich ruhig unser Kapitän während des vergangenen Gesprächs war?“ „Er hat doch die meiste Zeit gepennt oder gefressen. Ruffy interessiert sich für solche Gespräche nicht; sie langweilen ihn, und am Ende müssen wir das immer ausbaden.“ Die Archäologin machte einen nachdenklichen Laut. „Ich weiß ja nicht“, murmelte sie dann, „was hältst du von der Situation, Küchenchef? Du bist ungewöhnlich still.“ Überrascht, angesprochen zu werden, wandte Sanji sich um. Mittlerweile saßen nur noch Robin und Nami am Küchentisch, zwischen ihnen die halbleere Kaffeekanne und zwei Tassen, während der Rest der Crew sich übers ganze Schiff verteilt hatte. „Entschuldigung?“, fragte er nach, hatte dem Gespräch kaum zugehört. „Was halte ich wovon?“ Robin schenkte ihm ein liebliches Lächeln. „Du hast endlich die Antworten auf deine Fragen erhalten. Ist dein Gewissen nun nicht letztlich erleichtert?“ Nein. „Wa... was?“ Leise lachte er auf, konnte aber nicht verhindern, dass es eindeutig gespielt klang. „Also bitte, wenn, dann hat der Marimo uns nur noch mehr Probleme bereitet, oder? Und dabei rede ich noch nicht mal von der ganzen Aktion mit Lady Loreen oder Falkenauge, sondern… aber mal ehrlich Falkenauge?! Wer soll den ganzen Scheiß denn glauben? Ich wäre noch nicht mal überrascht, wenn das alles nicht mehr als ein riesiger, beschissener Scherz wäre.“ Aufbrausend verließ er die Kochnische und ließ sich zwischen den beiden Damen am Kopfende auf den freien Stuhl fallen, vergrub das Gesicht in den Händen. „Ganz ehrlich, hätte ich gewusst, was er uns verschweigt, dann hätte ich doch nie…“ Er faltete seine Hände über Mund und Nase und schüttelte leise den Kopf. „Wer hätte das denn alles erahnen können? Wer hätte auch nur irgendetwas davon erahnen können?“ Er war erschöpft und fertig mit der Welt. Er wollte wütend auf Zorro sein, auf den Mistkerl, der sie alle hatte im Dunkeln tappen lassen, nur um jetzt eine solche Bombe loszulassen. Auf den Kerl, der ihnen nicht genug vertraut hatte, um ihnen von Anfang an die Wahrheit zu sagen, der er ihnen gegenüber gestanden und - aus welchen Gründen auch immer - sich entschieden hatte, nicht den Mund aufzumachen. Sanji wollte wütend sein, über die ganze Sache mit Lady Loreen, über den verdammten Samurai, den Zorro jetzt mithineingezogen hatte, und natürlich über diese beschissene verfahrene Situation, in der sie nur hilflos abwarten konnten, während Zorro wieder einmal das ganze Risiko auf sich nahm, ihm noch nicht mal zur Hilfe kommen sollten, sein Leben lieber einem verdammten Samurai anvertrauen sollten. Aber, wenn er ganz ehrlich war, so war er nur erschöpft. Erschöpft von all den Dingen, die er heute gehört hatte und verarbeiten musste. Erschöpft von all den Emotionen, die er über den Tag gefühlt hatte, die ganze Bandbreite an Gefühlen, die er glaubte zu haben. Erschöpft von den Worten, die gesprochen worden waren, den Vorwürfen, den Schuldzuweisungen, den Anschuldigungen. Er war erschöpft von der simplen Wahrheit, die doch so viel unwahrscheinlicher schien als tausend Lügen und Theorien, die ihm in den Sinn gekommen waren, und er war erschöpft von seinen eigenen Gedanken. Dieser Tag hatte ihn zermürbt, so wie damals die Tage nach Senichi, nach der G6, so wie damals die Tage nach dem Sabaody Archipel, so wie damals die Tage vor langer, langer Zeit in einem dunklen Kerker, und Sanji kam nicht umhin, sich zu fragen, ob Zorro sich so die letzten Tage gefühlt hatte, vielleicht schon viel länger so gefühlt hatte, mit all der Last auf seinen Schultern, mit all den Lügen, all den Geheimnissen, all der Verantwortung und all den Entscheidungen, die er hatte alleine treffen müssen. Er kam nicht umhin sich zu fragen, ob Zorro die zwei letzten Jahre nicht auch gelitten hatte, getrauert hatte, so wie Sanji getrauert hatte. Sanji hätte nie gedacht, dass Zorro ein guter Lügner wäre, er war immer eher direkt und schonungslos, eher mit dem Kopf durch die Wand als einen komplizierten Umweg wählen – bei dem er sich eh wieder nur verlaufen würde – aber damals auf Sasaki hatte er gelogen, hatte sich einen perfiden Plan ausgedacht, hatte beinahe hinterlistig gehandelt, hatte betrogen und verraten, nur um sie alle zu retten. Bis vor wenigen Stunden hatte Sanji noch gedacht, dass er Zorro einfach nicht gekannt hatte, einfach nicht erkannt hatte, dass Zorro der Verschlagenste von ihnen allen war. Er hatte geglaubt, dass er übersehen hatte, dass Zorro derjenige war, der sie selbst mit wahren Worten und Ehrlichkeit belügen und manipulieren konnte, aber nun glaubte Sanji, zu verstehen. Zorro war weder ein tumber Holzkopf noch ein gewieftes Superhirn. Zorro war ganz schlicht und einfach ein Schwertkämpfer, mit der Disziplin und den Prinzipien eines ehrenvollen Kriegers, mit dem strategischen Denken eines gewissenhaften Anführers und den Entscheidungen eines loyalen Soldaten. Er hatte sie nicht alle an der Nase herumgeführt und plötzlich sein wahres Wesen offenbart. Nein, es war genau andersherum gewesen. Zorro hatte sich entschieden, etwas zu tun, was er eigentlich nie hatte tun wollen. Er hatte sich damals entschieden, all seine Prinzipien zu verraten, all das, was für ihn wohl Teil seiner Ehre als Schwertkämpfer war, nur um sie zu retten, nur um sie zu beschützen. Wahrscheinlich hasste Zorro von ihnen allen die Lüge am meisten – vielleicht mit Ausnahme von Ruffy – aber er hatte gelogen, Geheimnisse verschwiegen und Verschwörungen geschmiedet, nur weil er sie damals gerettet hatte. Sanji hatte für zwei lange Jahre getrauert, weil er gedacht hatte, dass sie Zorro verloren hatten, aber nun fragte er sich, ob Zorro nicht auch getrauert hatte, um den Mann, der er gewesen war, bevor er seine Prinzipien verraten hatte. Ich vermisse wirklich die Zeiten, als alles so viel einfacher war. Nein, Sanji war sich sicher, dass Zorro die Zeit vermisste, als er sich noch nicht hatte verstellen müssen, Dinge noch nicht hatte geheim halten müssen, noch nicht hatte lügen oder über seine Wortwahl nachdenken müssen, als er einfach zielgerichtet seinen Traum hatte verfolgen können, zweifelsfrei seine Freunde hatte beschützen können. Deswegen hatte Sanji ihn nicht verstanden, weil er nie, noch nie in seinem ganzen Leben, so aufrichtig hatte leben können wie Zorro. Er hatte keine Ahnung, wie es sich wohl anfühlen musste, ein Leben lang aufrichtig sein zu können und dann das erste Mal die Last eines Geheimnisses tragen zu müssen, die Last eines Geheimnisses, was niemand erfahren durfte, die Last von Lügen, Verrat und Heuchelei. Aber auch wenn Sanji nicht wusste, wie es sich anfühlte nach einem Leben der Freiheit, plötzlich gefangen zu sein, so kannte er die Last dieser Ketten doch nur zu gut. Zorro hatte heute entschieden, einen Teil dieser Ketten zu sprengen, um wieder etwas dieser alten Freiheit zurückzuerlangen, etwas mehr von diesem Mann, der er vor zwei Jahren gewesen war, und Sanji saß nun hier und fragte sich, wie es sich wohl anfühlen musste, diese Last ablegen zu können. Aber auch wenn diese ungekannte Freiheit ihn neugierig machte, so machte sie ihm doch auch Angst. So hart und kalt die Ketten seiner Vergangenheit auch waren, so gaben sie doch auch Halt und Sicherheit. Er fragte sich, wie Zorro die seinen so einfach hatte sprengen können. Sie waren wirklich sehr verschieden, kein Wunder, dass sie einander kaum verstanden. Aufseufzend lehnte er sich zurück, er hatte sich wirklich wie ein verdammtes Arschloch verhalten. Zorro auch – ganz klar – aber das machte es nun mal nicht besser. Falkenauge hatte zum Teufel noch eins Recht. Sie sprachen aneinander vorbei, weil Sanji Zorro nicht verstand und Zorro Sanji nicht verstand, weil sie aus komplett unterschiedlichen Welten kamen. Aber Sanji hätte erkennen können, er hätte erkennen müssen in was für einem Kampf Zorro sich befunden hatte, weil dieser innere Konflikt ihm selbst doch so vertraut war, und dann hätte er auf ihn eingehen müssen, nachgeben müssen, aber das hatte er nicht, hatte er nicht gekonnt, weil er… weil er… Warum war Sanji nicht in der Lage gewesen das Richtige zu tun? Warum war er so wütend auf Zorro gewesen? Es ist, als hätte er mich verraten. Ja, genau das war sein Gefühl gewesen, als Zorro sich so ungewöhnlich ihnen gegenüber… nein, nicht ungewöhnlich, er hatte sich genau so verhalten, wie Sanji es immer tat, und deswegen war er so wütend auf ihn gewesen, weil Zorro – schonungslos direkter und erbarmungslos ehrlicher Zorro – plötzlich begonnen hatte, um den heißen Brei herumzureden, Dinge auszulassen, Gedanken zu verheimlichen. Sanji war wütend gewesen, weil er Zorros Verhalten erkannt hatte, aber sich nicht eingestehen wollte, dass jemand wie Zorro sich je so verhalten würde. Zorro hatte nicht nur sich verraten, sondern auch Sanji, ohne es zu wissen. Hatte nicht nur sich selbst im Stich gelassen, sondern auch Sanji, der selber vielleicht nie seine Ketten ablegen konnte, aber es genossen hatte jemanden zuzusehen, der sich nie verstellte, der sich nie an Ketten nehmen ließ, von niemanden. Vielleicht hatte Sanji es von Anfang an geahnt, vielleicht hatte er von Anfang an geahnt, dass Zorro etwas Ähnliches durchmachte wie er, und er hatte es ihm übel genommen. Sanji hatte es Zorro übel genommen, dass er – obwohl er Sanji doch immer einen Schritt vorausgewesen war, immer so direkt und ehrlich war, Ruffy besser verstand als jeder andere von ihnen – dass ausgerechnet Zorro sich von jemand anderem ein Geheimnis hatte aufdrängen lassen. Plötzlich bemerkte er, dass beide Damen fragende Blicke auf ihn gerichtet hatten. Ihm war gar nicht aufgefallen, wie er mit seinen Gedanken abgeschweift war. Beide betrachteten sie ihn erwartungsvoll, als ob sie eine Antwort von ihm erwarteten. „Bitte… bitte was?“, murmelte er überrascht und setzt sich wieder auf, hatte gar nicht bemerkt, wie er in seinem Stuhl runtergerutscht war. „Geht es dir gut?“, fragte Nami offensichtlich besorgt. „Du bist ganz abwesend und du machst ein richtig ernstes Gesicht.“ „Es geht mir gut, Namilein“, log er mit einem glaubhaften Lächeln und winkte schnell ab. „Es war nur ein langer Tag. Aber was wolltest du wissen?“ Noch eine Sekunde beobachtete sie ihn mit hochgezogener Augenbraue und er hoffte, dass sie ihn nicht durchschaute. Er war nun mal nicht Zorro, er konnte seine Fesseln nicht einfach sprengen. Anders als Zorro würde Sanji seine Geheimnisse mit ins Grab nehmen müssen. „Ist es dir denn nicht aufgefallen?“, fragte Nami nun und entschied offensichtlich, nicht nachzuhaken. „Hast du es wirklich nicht bemerkt?“ „Was sollte mir aufgefallen sein?“, entgegnete Sanji, doch dann erinnerte er sich an das Gespräch, das er vor wenigen Sekunden mental verlassen hatte. „Warte mal, ihr wusstet es?“ Verwirrt sah er die beiden Damen zu seiner Rechten und Linken an. „Ihr wusstest es! Das mit Zorro, Loreen und Falkenauge? Ernsthaft? Woher?“ Robin zeigte ein leises Lächeln, sagte jedoch nichts. Nami hingegen winkte ab. „Ach, ich hatte doch keine Ahnung, dass Zorro Loreen ist.“ Sie lachte leise auf. „Ganz ehrlich, ich bin immer noch baff und kann den ganzen Kram mit Eizen, Uranos und so weiter kaum glauben – ich wünschte das wäre nicht mehr als ein dummer Scherz, ich kann mir wirklich Schöneres vorstellen, als mich auch noch damit herumzuschlagen – aber das da irgendetwas zwischen Falkenauge und Zorro läuft, war doch ziemlich offensichtlich.“ „Was?“ „Ja, ich meine, du weißt doch selbst noch, wie komisch Zorro drauf war, nachdem er Falkenauge hierhin gebracht hatte, und ich habe zwar keine Ahnung, wie dieser Samurai sonst so ist, aber sein Blick, sobald jemand Zorro auch nur schräg anguckt, sagt doch schon alles.“ „Findest du?“, murmelte Sanji zweifelnd. „Also je länger ich darüber nachdenke, desto weniger Sinn macht das. Nein, ganz ehrlich, von all den beschissenen Sachen, die Zorro heute erzählt hat, von all dem Mist, den wir heute erfahren haben, ist dieser Teil wohl der unlogischste. Ich dachte sie sind Rivalen, wollte Zorro ihn nicht irgendwann besiegen? Und jetzt wollt ihr mir sagen, dass der Marimo – unser Vollidiot einer Alge – sich Hals über Kopf in einen verdammten Samurai verguckt hat? Ich bitte euch, der Typ hat die emotionale Kapazität eines Teebeutels und Falkenauge ist ja auch nicht viel besser. Als ob so ein hinterlistiger Mistkerl – ein verdammter Samurai, ernsthaft?! - überhaupt zu so etwas fähig wäre.“ „Du bist ihm wirklich etwas feindlich gesinnt, nicht wahr, Sanji?“ Robin schmunzelte und neigte leicht den Kopf. „Von all den Dingen, die wir heute erfahren haben, sollte dies doch die unproblematischste Sache sein.“ „Sagst du“, murrte er und erhob sich, um sich und den Damen einen Kaffee zu machen, „aber es macht einfach keinen Sinn.“ „Ergibt, Smutje, es ergibt einfach keinen Sinn.“ Die Tür zum Krankenzimmer ging auf und natürlich musste ebengenannter Samurai hereinkommen, sein Hemd am Zuknöpfen. Am Ende des vergangenen Gespräches hatte Chopper ihn beinahe ohne jeglichen Widerstand ins Nebenzimmer für seine üblichen Untersuchungen abkommandiert. „Solltest du dich nicht noch etwas ausruhen?“, fragte Robin mit einer Freundlichkeit in ihrer Stimme, als ob sie den Samurai leiden könnte. „Du siehst noch etwas entkräftet aus.“ „Meine Untersuchung war unauffällig“, entgegnete Falkenauge und begegnete ihrem Blick mit einem Schmunzeln, aber es erreichte seine kalten Augen nicht, „und ich kann mich später ausruhen. Nun muss ich Lorenors Transport nach Mary Joa organisieren. Bei einem solch schwächlichen Plan können wir uns keine Mängel in der Durchführung leisten.“ Sanji konnte nicht anders, als innerlich Robin zuzustimmen. Wenn man mal davon absah, dass der Samurai sich mittlerweile anhörte, als hätte er sich mit Lysop ein Schreiduell geliefert – und verloren – so waren doch die dunklen Augenringe und die bleiche Gesichtsfarbe deutlich zu sehen. Der Typ hatte so oder so keine gesunde Hautfarbe, wenn es nach Sanji ging – wobei er vielleicht nicht derjenige war, der über andere urteilen sollte - aber nun sah er eher aus wie einer der Zombies von Thriller Bark als ein mächtiger Samurai. Seine Bewegungen jedoch straften ihn Lügen. Obwohl seine Stimme und sein Gesicht bezeugten, wie schlecht es ihm erst vor wenigen Tagen ergangen war, so zeigte sich davon nichts in seiner Körperhaltung und Sanji war sich ziemlich sicher, dass dieser Mistkerl sie wohl immer noch alle besiegen könnte, wenn er es denn nur wollte. Während er durch den Raum schritt und höfliche Worte mit Nami und Robin austauschte, bemerkte Sanji fast schon widerwillig, mit welch Eleganz und Kraft er sich bewegte. Selbst jetzt schien sein Körper die Gewandtheit eines Tänzers zu haben, die Spannung eines Kriegers; es erinnerte ihn an Zorro, der ebenfalls ungeachtet seiner Verletzungen immer bereit zum Kampf war. „Sag mal“, murrte Sanji, als Falkenauge bereits die Tür erreicht hatte, „kann ich dich was fragen?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen wandte der Samurai sich zu ihm um. „Meinetwegen, Smutje, allerdings habe ich kein Interesse an einer langwierigen Diskussion, also halte dich bitte kurz; mich erwarten einige langweilige Formalitäten.“ Sanji begutachtete ihn. „Ist es wahr?“, fragte er dann. „Das, was der Marimo eben gesagt hat?“ Falkenauge gluckste leise auf. „Immer noch so misstrauisch? Ja, auch wenn es dir nicht gefallen mag, Lorenor ist Lady Loreen und er…“ „Das meinte ich nicht“, murrte Sanji und winkte ab. „Darüber will ich gerade noch überhaupt nicht nachdenken. Nein, ich meinte diese Diskussion, ob da etwas zwischen euch läuft. Stimmt das? Bist du etwa wirklich in ihn verknallt?“ Zum ersten Mal wich das überhebliche Grinsen ehrlicher Überraschung, als der Samurai ihn betrachtete und dann schließlich den Kopf neigte. „Verknallt? Oh nein, solch armselige Gefühle kenne ich nicht“, antwortete er und zeigte ein beängstigend sanftes Lächeln, das Sanji an die Schrecken seiner letzten zwei Jahre erinnerte, „aber ja, ich liebe ihn.“ „Warum?!“ Sein Mund war schneller gewesen als sein Hirn. „Er ist ein Vollidiot!“ „Sanji“, murmelte Nami neben ihm. „Ich meine, du hast natürlich Recht, aber so etwas kannst du doch nicht einfach sagen. Du meine Güte, du bist auch nicht besser als Zorro.“ „Also ich finde, dass unser Schwertkämpfer auch seine guten Seiten hat“, bemerkte Robin und zwinkerte dem Samurai zu. „Ja, für eine Alge vielleicht, aber er ist unromantischer als eine Klopapierrolle und hat den Charme einer schimmelnden Brotdose. Ich meine, ich kann dich absolut nicht ausstehen, Falkenauge, aber du scheinst gebildet zu sein, eloquent und… als hättest du genug Geld, um Menschen dafür bezahlen zu können, dass sie so tun, als würden sie dich mögen. Du könntest attraktivere, gebildetere und deutlich besser sozialisierte Menschen um dich haben und dann er?“ Er verwarf eine Handbewegung Richtung Ausguck. „Er verläuft sich auf dem Weg zum Badezimmer.“ Falkenauge neigte seinen Kopf noch mehr zur Seite. „Ohne dir in irgendeiner Form widersprechen zu wollen, so wüsste ich doch nicht, warum ich mit dir meine Gefühlslage bezüglich Lorenor besprechen sollte.“ „Warum hast du es dann gesagt?“, fragte Sanji. „Wenn eure Beziehung ein Geheimnis bleiben soll, warum hast du dann gestanden?“ „Du missverstehst“, widersprach der andere mit einem leisen Lachen. „Erstens, Lorenor und ich führen keine Beziehung, zumindest nicht nach meinem Kenntnisstand. Zweitens, ich habe nichts gestanden; meine Gefühle für Lorenor sind kein Geheimnis, das gestanden werden müsste. Drittens, du hast mir eine Frage gestellt. Warum stellst du mir eine Frage, wenn du keine Antwort erwarten würdest? Das ist unlogisch und ergibt keinen Sinn. Ich hoffe dir ist aufgefallen, wie ich diese Phrase benutzt habe, und du merkst es dir für die Zukunft.“ „Du bist ein arrogantes Arschloch“, murmelte Sanji angepisst. „Ich glaube ich habe dem Falschen die Frage gestellt. Die Frage ist nicht, was du am Marimo findest, die wahre Frage ist doch, wie er dich zwei Jahre aushalten konnte, ohne dich nachts mit einem Kissen zu ersticken.“ Der Samurai lachte erneut und wandte sich wieder der Tür zu. „Mit dieser Frage stehst du nicht allein“, meinte er mit einem Schulterzucken, „allerdings ist Lorenor nicht der Einzige, der so manches aushalten musste.“ Damit ging Falkenauge. „Sie passen schon irgendwie zusammen“, murmelte Nami, „ich kann es nicht genau erklären, aber sie passen zusammen.“ „Findest du?“, zweifelte Sanji und hatte das starke Bedürfnis gegen eine Wand laufen zu wollen. „Sie ergänzen einander“, bemerkte Robin und schenkte Sanji ein Lächeln. „Mihawk zwingt Zorro dazu die eigenen Emotionen und Gedanken zu erfassen und laut auszusprechen, während Zorro Mihawk dazu zwingt über die eigenen Bedürfnisse und Absichten hinauszusehen und andere zu berücksichtigen. Und weil sie beide so einen starken Willen haben, geraten sie immer wieder aneinander, zeigen die Schwächen des anderen wie in einem Kampf ganz offensichtlich auf, aber geben dem anderen die Zeit an dieser Schwäche zu arbeiten.“ „Du scheinst ja viel darüber nachgedacht zu haben“, meinte Nami mit hochgezogener Augenbraue und nahm den Kaffee, den Sanji ihr anbot. „Oh ja, es ist ganz faszinierend“, lachte Robin nun und nahm nickend ihre Tasse entgegen, ehe sie sich erhob und sich ebenfalls zum Gehen wandte. „Ich könnte diese zwei den ganzen Tag beobachten, ein solch simples und dennoch ungewöhnliches Balzverhalten sieht man wirklich nicht alle Tage.“ Zurück blieben nur Sanji und Nami. „Manchmal macht sie mir Angst“, murmelte Nami in ihre Tasse. „Sie ist wirklich einer dieser Menschen, die man nicht zum Feind haben will.“ „Ach, ich weiß nicht, ich finde Robinlein eine liebreizende Person“, entgegnete Sanji und nippte ebenfalls an seinem heißen Getränk. „Mich stört eher dieser Falkenauge, er war drauf und dran uns anzugreifen, nur damit Zorro mit der Wahrheit rausrückt. Ich glaube dieser Kerl schreckt vor nichts zurück. So etwas würde noch nicht mal Robin tun.“ Nami sah ihn unbeeindruckt an. „Gewagt von dir anzunehmen, dass Robin das hier nicht alles inszeniert hat, damit sie einen spannenden Nachmittag hat.“ „Du glaubst, sie hat Falkenauge, Zorro und uns alle manipuliert, damit wir uns streiten und sie unterhalten wird? Das glaubst du doch wohl selbst nicht.“ „Natürlich. Robin weiß genau, wie sie an Informationen kommt, und ich glaube, sie findet es ganz interessant jemanden an Bord zu haben, der mit ihren Gedankenspielen mithalten kann.“ Nami schüttelte sich leicht. „Alleine bei der Vorstellung, dass sie und Falkenauge sich zusammentun würden, läuft es mir kalt den Rücken hinunter. Ich glaube die beiden wären als Team gefährlicher als Kaido und Big Mom zusammen.“ „Übertreibst du jetzt nicht etwas?“, lachte Sanji auf und merkte, wie sich langsam die Anspannung des langen Tages löste, aber Nami sah ihn todernst an. „Du bist wirklich naiv, Sanji. Ein bisschen beneide ich dich darum.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)