Ein letztes Geheimnis von Sharry ================================================================================ Kapitel 14: Kapitel 14 - Stille ------------------------------- Kapitel 14 – Stille   -Sanji- Durch das Fenster mahnte der schmale Silberstreifen am Horizont, dass der Morgen nah war, während Sanji alles für das Frühstück vorbereitete. Immer wieder glitt sein Blick zum kleinen Fenster der Krankenzimmertüre, durch welches weiterhin Licht fiel. Er bemühte sich, es zu ignorieren, aber seine schlechte Laune konnte Sanji einfach nicht ignorieren. Kurz vor Sonnenuntergang am vergangenen Abend war der Marimo wieder aufgetaucht, das Sargboot Falkenauges an der Thousand Sunny befestigt, wie Sanji es schon einmal vor zwei Jahren gesehen hatte, eine leere Weinflasche in der Hand und ein riesiges Schwert auf dem Rücken, welches er mit ins Krankenzimmer genommen hatte. Erst zum Ende des Abendessens hatte Robin schließlich das Krankenzimmer verlassen, war nicht bereit gewesen, mit Zorro zu tauschen, ehe dieser nicht geduscht und saubere Klamotten angezogen hatte. Als Sanji am späten Abend die Kombüse verlassen hatte, war das Krankenzimmer noch hell erleuchtet gewesen, und als er vor einer knappen halben Stunde hereingekommen war, hatte er durch das kleine Fenster mit der Gardine gesehen, dass das Licht im Krankenzimmer immer noch gebrannt hatte, vermutlich über die ganze Nacht hinweg. Sanji war schlecht gelaunt. Am vergangenen Abend war Zorro nicht zum Essen gekommen und Sanji hatte nicht eingesehen, ihm nochmal das Essen nachzutragen nach dem letzten Fiasko. Gleichzeitig hatte er nun noch mehr Fragen, aber es schien, als wäre er der Einzige, der sich über die jüngsten Ereignisse Gedanken machte. Selbst Law und Chopper hatten sich nur für wenige Minuten über die Operation unterhalten und sich dann anderen Themen gewidmet, hauptsächlich dem bevorstehenden Abenteuer und dass sie sich dem Samurai de Flamingo stellen würden, als hätten sie alle vergessen, dass ein weiterer Samurai nur wenige Meter entfernt hinter einer Holzwand lag. Zwei Mal hatte Sanji versucht, das Thema anzusprechen. Das erste Mal hatte Ruffy sich begeistert gezeigt und sich nur unter Aufwendung aller Kräfte Choppers aufhalten lassen, seinen Freund Falki zu besuchen, was zu einem kleinen Tumult geführt hatte. Beim zweiten Mal hatte Law ihn eher grob unterbrochen und darauf hingewiesen, dass sie sich doch um dringendere Probleme kümmern sollten, als ob es kein Problem wäre, dass Zorro am Bett des Mannes saß, der dessen Oberkörper einmal aufgeschlitzt hatte. Als ob es kein Problem wäre, dass Zorro blutüberströmt mit einem Samurai auf dem Rücken auftauchte und beinahe panisch nach einem Arzt verlangte. Als ob es kein Problem wäre, dass Zorro einfach verschwand, ohne einem von ihnen auch nur zu sagen, wohin – während sie auf dem besten Weg waren, sich mit Samurais und Kaisern anzulegen – nur um dann wenige Stunden später mit einem abkratzenden Samurai auf dem Rücken aufzutauchen. War Sanji denn der Einzige, der merkte, dass irgendetwas in dieser Crew falsch lief, und dass dieses irgendetwas mit dem wortkargen Marimo zu tun hatte? Missmutig starrte er auf das Ei in der Pfanne. Wenn er nicht irrte, hatte der Marimo am vergangenen Morgen kaum etwas gefrühstückt und das Abendessen hatte er im Krankenzimmer verbracht. Seufzend fragte Sanji sich, ob der andere tagsüber etwas gegessen hatte. Es würde zum verdammten Schwertheini passen, so etwas Triviales aber Notwendiges wie Essen zu vergessen, auf der anderen Seite was wusste Sanji schon, was zum anderen passte, schließlich bedankte er sich ja mittlerweile auch bei anderen, nur nicht bei Sanji. Aber er hatte keinen Grund, dem anderen nun etwas zum Essen zu bringen, schließlich würde es in kaum einer Stunde Frühstück geben. Außerdem hatten er und der Marimo sich bei ihrem letzten Aufeinandertreffen so arg gestritten, dass Sanji sich zu seiner Schande mehrere Stunden im Badezimmer verkrochen hatte. Dennoch packte er nun das frisch gerollte Ei und ein paar Reisbällchen auf einen Teller. Die neueste Entwicklung passte Sanji ganz und gar nicht. Sie hatten bereits genug Probleme. Es reichte schon, dass Ruffy in der ganzen Welt Kämpfe und Feinde am laufenden Band heraufbeschwor, während der verdammte Marimo nichts Besseres zu tun hatte, als Kämpfe innerhalb der Crew zu schüren und sich seine eigenen Freunde zu Feinden zu machen. Es reichte schon, dass sie mit Law – einem ehemaligen Samurai – eine Allianz gegründet hatten und über Caeser versuchen wollten, dass de Flamingo ebenfalls seinen derzeitigen Samuraititel aufgeben würde. Nein, Sanji gefiel das alles ganz und gar nicht. Allein schon die Anwesenheit Falkenauges ließ ihn unruhig werden. Obwohl der andere schwer verletzt war und derzeit wohl kaum eine Gefahr darstellte, hatte Sanji die Nacht kaum ein Auge zugemacht. Hatte nicht ruhig schlafen können mit dem Wissen, was für eine Bestie sie beherbergten. Ihm missfiel es, wie selbstverständlich Law, Robin und Chopper entschieden hatten, einem Feind von ihnen das Leben zu retten, obwohl dieser Samurai sich jederzeit gegen sie stellen konnte, sobald es ihm wieder besser ging. Es wäre für sie alle besser gewesen, wenn sie ihn hätten verbluten lassen. Hol verdammt noch mal Chopper, Koch! Und das missfiel ihm am allermeisten! Es stimmte, dass Zorro sich seltsam benahm, seitdem er wieder zurückgekehrt war, seitdem die Crew wieder zusammengefunden hatte, und er und Sanji hatten ihre Auseinandersetzungen gehabt und das störte ihn zutiefst. Aber das hier war anders. Die Art, wie der andere am vergangenen Tag gehandelt hatte, war anders, und was auch immer es war, es schien mit diesem verdammten Samurai zu tun zu haben. Mit genau dem Samurai, der vor zwei Jahren ihnen zur Hilfe gekommen war und ihnen wohl mitgeteilt hatte, dass Zorro überlebt hatte, ohne auch nur einen Beweis vorzubringen. Genau der Samurai, der vor über zwei Jahren Zorro beinahe getötet und für den Rest seines Lebens gebrandmarkt hatte. Kopfschüttelnd entschied, Sanji solche Gedanken zu verdrängen und nicht zu irgendwelchen Schlussfolgerungen zu springen, als er den hübsch angerichteten Teller voller nahrhafter Leckereien nahm und zum Krankenzimmer ging. An der Tür stoppte er jedoch, schob eine der Gardinen zur Seite und lugte hinein. Zorro saß am Schreibtisch auf dem Drehstuhl, den Chopper so sehr mochte, mit dem Rücken zu Sanji. Der Schwertkämpfer las die Zeitung, schien völlig unbekümmert, als wäre es das Normalste der Welt. Sanji hatte ihn so gut wie nie Zeitung lesen gesehen und wunderte sich wieder einmal, ob er den anderen überhaupt kannte, ob er überhaupt eine Ahnung hatte, wer der andere wirklich war. Das Krankenbett konnte er vom Fenster aus nicht sehen, aber dafür fiel sein Blick auf die riesige Waffe, die wie beiläufig auf dem Schreibtisch lag, noch nicht mal eine Armlänge von Zorro entfernt. Es war genau diese Klinge, die Zorro vor über zwei Jahren aufgeschlitzt hatte, und nun saß er daneben, am Bett des Mannes, der Zorro damals beinahe getötet hatte, der sich in Schlacht auf Marine Ford gegen Ruffy gestellt hatte, und hoffte wohl darauf, dass dieser verdammte Dreckskerl überleben würde. Irgendwie war das alles wie ein schlechter Scherz und Sanji hatte das Gefühl, dass ihm ein Teil der Geschichte fehlte, als hätte er einfach nicht alle Informationen. Beim zweiten Mal drüber nachdenken, kam er zu dem Schluss, dass es wohl genau das auch war. Schließlich sprach Zorro nicht, antwortete nicht, ließ sie alle völlig im Dunkeln. Missmutig entschied er sich um, ging zurück an den Herd und fuhr mit seiner Tätigkeit fort. Er war nicht so gutmütig wie Nami und würde Zorro unbeachtlich seines Fehlverhaltens so behandeln wie immer. Er war auch nicht so liebevoll wie Robin, die sein Verhalten tolerierte, weil sie glaubte, dass er gute Gründe dafür hatte. Erst recht war er nicht so ignorant wie der Rest der Crew, die sich entschieden hatten, schlafende Hunde nicht zu wecken. Nein, sein vergangener Streit mit dem Marimo hatte Sanji erschüttert, das stimmte schon, hatte seine Selbstzweifel und die Enttäuschung über eigene Taten und Entscheidungen wieder aufgewirbelt, aber sie hatten ihn in seinem Misstrauen auch bestärkt, dass etwas nicht richtig war, und egal, was es auch war, Sanji würde es herausfinden, zum Wohle der Crew und auch zum Wohle des verdammten Marimos. Irgendwann öffnete sich die Türe zum Bug und Robin kam herein, um ihn bei seinen Vorbereitungen zu helfen. Wie sonst auch unterhielten sie sich, doch Sanji entging nicht, dass sie äußerst elegant das Gespräch beständig in andere Bahnen lenkte, wann immer Sanji auf die beiden Schwertkämpfer im Nebenraum zu sprechen kommen wollte. Nach einigen Versuchen gab er sich geschlagen. Er hatte keine Lust, mit Robin zu streiten, diese Energie sollte er sich für Zorro aufbewahren oder für den Samurai, dem er bald gegenüberstehen würde. Nach und nach kamen die verschiedenen Crewmitglieder und Gäste zum Frühstück, nur Zorro kam nicht, wie erwartet. Selbst nicht, nachdem Chopper kurz ins Krankenzimmer verschwand, um seinen Patienten zu überprüfen. So verlief ein weiteres Frühstück absolut ereignislos und Sanji steckte sich die nächste Zigarette an.   -Zorro- Als Chopper ging und die Türe hinter sich schloss, hob Zorro die Zeitung wieder hoch und las weiter, irgendeinen langweiligen Artikel über die bevorstehende Reverie, welche Königreiche dort vertreten sein würden, was mögliche Themen der Versammlung sein würden und natürlich auch eine Spalte über Lady Loreen. Am meisten kotzte Zorro daran an, dass wohl das Wichtigste diesbezüglich war, was Lady Loreen tragen würde. Zorro mochte sein Alter Ego wirklich nicht, wünschte sich immer noch, er hätte Lady Loreen in den Tiefen des Meeresgrundes vergraben, aber dennoch störte es ihn, dass das Wichtigste, was die Zeitungen über Lady Loreen berichteten, ihre neuesten Klamotten und ihre angebliche Beziehung zum Samurai Falkenauge waren. Alles andere schien zweitrangig, und es war Zorro eigentlich wirklich egal, weil er eh mit diesen ganzen Dingen nichts am Hut haben wollte, aber wenn er schon eine verdammte Rede vor irgendwelchen machthungrigen Halunken halten sollte, dann wollte er doch, dass darüber berichtet wurde und nicht über unwichtigen Kram. Er fragte sich, ob sich das ändern würde, wenn die Welt herausfinden würde, wer Lady Loreen wirklich war, und er fragte sich welche anderen Folgen dies mit sich bringen würde. Seufzend faltete er die Zeitung zusammen und legte sie weg. Sollte sein Plan nicht aufgehen, waren all diese Gedanken wertlos. Sollte sein Plan nicht aufgehen, würde Zorro bald vor weit größeren Problemen stehen als vor einer geheimen Identität. Sollte sein Plan nicht aufgehen, würde er eine Katastrophe heraufbeschwören. „Verdammt“, murrte er und rieb sich durchs Gesicht. Er war sich so sicher in seinem Plan gewesen, so stolz, dass er darauf gekommen war – ganz alleine draufgekommen war - dass er nicht überlegt hatte, was er tun würde, wenn sein Plan schiefgehen würde. Wie ein blutiger Anfänger hatte Zorro sich keinen Plan B überlegt, keinen Notfallplan für den Fall, dass das Kartenhaus zusammenfallen würde. Er hatte genau das nicht getan, was Dulacre ihm immer und immer wieder eingebläut hatte. Früher hätte Zorro nicht groß anders gehandelt, hätte vielleicht noch nicht mal einen Plan gehabt, und hätte das noch nicht mal schlimm gefunden. Aber das war genau der Grund, warum er damals auf der G6 versagt hatte, weil er nicht nach links und rechts geschaut hatte, sondern einfach nur sein Ding durchgezogen hatte. Erneut seufzte er und ließ seinen Blick durchs Zimmer gleiten. Yoru summte leise vor sich hin; eine beruhigende Melodie, zeigte sich keineswegs besorgt um seinen Meister, als wüsste es genau, dass es ihm bald wieder gut gehen würde, und das wiederum beruhigte Zorro. Für eine Sekunde ließ er seine Hand über das mächtige Schwert gleiten, nahm dessen Ruhe, Weisheit und Geduld in sich auf, dankbar, dass diese Waffe ihn immer noch mit der Sanftmut eines erfahrenen alten Pferdes empfing. Gerade in diesem Moment war er dankbar, dass Yoru ihn immer noch wie einen Welpen und nicht wie einen Gegner behandelte. Dann fiel sein Blick auf Dulacre, der ruhig im Bett lag, immer noch so aschfahl, dass es selbst für seine Verhältnisse besorgniserregend war, aber ganz bedächtig atmete. Er war noch nicht aufgewacht, doch laut Chopper war das nicht ungewöhnlich, da die Operation wohl sehr anstrengend für ihn gewesen war und sie ihn darüber hinaus mit Schmerzmitteln vollgepumpt hatten. Chopper hatte betont, dass die Werte gut waren und der andere wohl bald aufwachen würde. „Er hat Recht“, murmelte Zorro Yoru zu, welches nur zustimmend summte. Seine eigenen Schwerter – die Zorro geholt hatte, nachdem Robin ihn dazu bewegt hatte zu duschen und sich umzuziehen – waren verhältnismäßig still, wie so oft, wenn Yoru anwesend und nicht in der Hand seines Meisters lag. Nun jedoch zeterte Kitetsu leise los, als Zorro sich die Blöße gab und das weise Schwert berührte. Zorro auf der anderen Seite ignorierte seine erboste Waffe und betrachtete Dulacre. Diese ganze Situation war absurd. Er wusste noch, dass sie gestritten hatten, ziemlich heftig sogar, denn er erinnerte sich daran, dass er hatte gehen wollen mit dem Bedürfnis, den anderen nicht mehr wiedersehen zu wollen, zumindest für eine ganze Weile nicht mehr wiedersehen zu wollen. Er erinnerte sich auch noch ganz grob daran, was sie einander vorgeworfen hatten, aber wenn Zorro ehrlich war, so war das vergangene Gespräch nicht mehr als in weiter Ferne, als wäre es vor Jahren und nicht erst vor wenigen Stunden passiert, überlagert von den Augenblicken danach. Immer noch kam Zorro sich vor wie in einem schlechten Traum und er wusste noch nicht mal genau wieso. Dulacre war nicht der erste Mensch, der vor ihm zusammengebrochen war und Blut gespuckt hatte, nicht der erste Schwerverletzte, den er in Sicherheit getragen hatte, nicht der erste Freund, dessen Leben in Gefahr war. Dennoch war es ganz anders und Zorro wusste nicht warum. Als der andere ihm nachgerufen hatte, hätte Zorro vor Wut explodieren können, aber etwas in ihm war auch erleichtert gewesen, dass Dulacre ihn hatte aufhalten wollen, nicht gewillt gewesen war, Zorro so gehen zu lassen. Etwas in ihm war dankbar gewesen, dass Dulacre ihn davon hatte abhalten wollen, mit dieser Wut den anderen zurückzulassen. Doch dann hatte er sich umgedreht, hatte den fast schon überraschten Ausdruck in diesen Falkenaugen bemerkt. Hatte gesehen, wie verwundert und verwirrt Dulacre ihn angesehen hatte, als hätte Zorro ihn vor ein Rätsel gestellt, welches selbst der Samurai nicht lösen konnte, endlich ein Rätsel, welches selbst der Samurai nicht lösen konnte. Dann war Zorros Blick auf die Flecken auf Dulacres Hemd gefallen, aber er hatte nicht verstanden, was geschehen war. Erst hatte er es für verschütteten Wein gehalten, bis er dieses tiefrote Rinnsal gesehen hatte, wie es aus Dulacres Mundwinkel geglitten war, fast schon elegant seinen Weg durch dessen Bart gesucht hatte und dann auf seine Brust getropft war. Blut und Speichel weisen auf interne Blutungen hin. Wohl eine Vergiftung. Was für eine Schande, hätte man sie früher gefunden, hätte man sie vermutlich retten können. Zorro wusste nicht, warum diese Worte immer wieder durch seinen Kopf hallten, aber für eine Sekunde hatte er wirklich gedacht, dass Dulacre vergiftet worden wäre, hatte es Eizen ohne Zweifel zugetraut, wegen ihm vergiftet worden wäre. Aber es war kein Gift, laut Law und Chopper zumindest und Zorro vertraute auf Choppers Fachwissen; eine Entzündung von Speiseröhre und Magenschleimhaut hatten sie gesagt und Zorro fragte sich, was dies für die Zukunft des anderen bedeutete. So alt war der andere doch noch nicht, oder? Nicht alt genug, um an solchen Dingen draufzugehen, oder? Nicht alt genug, um an Krebsgeschwüren oder was auch immer es war abzukratzen, oder? Sag mir, Lorenor, wann hattest du so große Angst, dass du nicht mehr klar denken konntest, dass dir die Luft zum Atmen fehlte? Wann hattest du wirklich Angst? Er hatte sich nie viele Gedanken um so unwichtige Dinge wie das Alter gemacht, hatte sich einen Spaß daraus gemacht, den anderen damit aufzuziehen, weil es ganz offensichtlich etwas war, auf das Dulacre empfindlich reagierte, aber Zorro hatte es nie ernst genommen. Warum also dachte er jetzt darüber nach, obwohl er genau wusste, dass solche Dinge doch nichts mit dem Alter zu tun hatten, oder? Aber ich frage mich, was passiert, wenn du wirklich hilflos bist? Wenn du nichts tun kannst, um dieser Angst zu entrinnen, was tust du dann? Nein, Zorro wusste genau, warum er sich über so einen Schwachsinn und all den anderen Schwachsinn, der in seinem Kopf herumwütete, Gedanken machte. Was ist, wenn Dulacre stirbt? Er hatte versucht, diese Frage zu ignorieren, während er in der Kombüse gewartet hatte, hilflos auf wer weiß was gewartet hatte, verdammt dazu, nichts tun zu können, außer zu warten. All diese Dinge waren ihm durch den Kopf gegangen. Was wäre, wenn Dulacre sterben würde? Wäre Zorro dann derjenige, der Jiroushin, Kanan, Perona… müsste dann Zorro ihnen Bescheid geben? Was war mit den fünf Inseln? Würde er dem Bürgermeister von Sasaki, Herrn Koumyou, Bescheid geben müssen? Wer würde die fünf Inseln beschützen? Was war mit Kuraigana, wenn es seinen Herrscher verlieren würde? Was würde mit Yoru geschehen? Was würde Zorro tun müssen? Was würde Dulacre in einer solchen Situation von ihm erwarten? Was wäre, wenn Dulacre sterben würde? An oberster Stelle stehen meine Crew und mein Traum, daneben ist einfach kein Raum für irgendetwas anderes. Schlimmer jedoch war, dass Zorro noch ganz andere Gedanken nicht hatte verdrängen können. Sollte dies nun ihr letztes Gespräch gewesen sein? Sollten Zorros von Wut getragene Worte – Worte, an die er sich schon nicht mehr erinnern konnte - das Letzte sein, was er dem anderen sagen würde? Sollte dies der Moment sein, in dem der andere sterben würde? Sollte dieses Mal er derjenige sein, der zurückbleiben musste? In meinem Leben ist für so etwas kein Platz. Zorros Blick fiel auf Yoru, doch dieses Mal schwieg es, gab ihm keinen Rat, ließ ihn völlig auf sich alleingestellt, als würde es ihm eine letzte Lektion erteilen. Er war völlig verwirrt. Seitdem Zorro Kuraigana verlassen hatte, hatte er das Gefühl von allem verwirrt zu sein, überfordert zu sein. Eizen verwirrte ihn, mit seinen Eroberungsplänen, mit seinen Bildern von Zorros toter Mutter, mit seinem Wissen, das er nicht haben durfte. Rayleigh verwirrte ihn, mit seinen mahnenden Worten, mit seinen vagen Hinweisen, mit den ungefragten Bemerkungen, die Zorro nicht hatte hören wollen. Seine Crew verwirrte ihn, mit ihren fragenden Augen, mit ihren unverschämten Forderungen, mit ihrem nicht enden wollendem Misstrauen, das er nicht verdient hatte. Dulacre verwirrte ihn, mit seinem unverhohlenen Blick, mit seinen direkten Fragen, mit seinen schonungslosen Antworten, die Zorro nicht wahrhaben wollte. Und er selbst verwirrte sich auch, mit seinen eigenen verworrenen Gedanken, mit seinen flüsternden Zweifeln, mit seinen Entscheidungen, von denen er schon lange nicht mehr überzeugt war, dass sie die richtigen waren. Er sehnte sich nach der Stille Kuraiganas, nach ein paar Tagen, in denen nichts passierte, keine Abenteuer, keine Gefahren, keine unerwarteten Kehrtwenden. Ein paar Tage, in denen er Zeit hatte, seine verwirrenden Gedanken in Ruhe zu ordnen. Er sehnte sich nach etwas Stille, um herauszufinden, was er wirklich wollte, was ihn wirklich beschäftigte und warum er nicht zur Ruhe kommen konnte. Doch nun, da es endlich still war, da der Koch endlich mal den Mund hielt, niemand ihn Dinge fragte, auf die er nicht antworten wollte, keiner überhaupt irgendetwas von ihm wollte, da war es unglaublich laut in seinem Kopf und seine Gedanken wollten einfach nicht zur Ruhe kommen, wollten ihm keinen Moment des Friedens geben. Also saß er hier nun, tat so, als wäre diese Situation das Normalste auf der Welt und versuchte, die verdammte Zeitung zu lesen, während seine Gedanken sich in einem immerwährenden Teufelskreis drehten, aus dem er nicht ausbrechen konnte, hilflos auf etwas wartend, das er nicht beeinflussen konnte. Erneut sah er zu Dulacre hinüber, fragte sich, ob es genau so für den anderen immer gewesen war, die vielen Nächte und Tage, die er an Zorros Bett verbracht hatte. Er fragte sich, ob es für die anderen auch immer so gewesen war, die vielen Male, die er schwer verletzt gewesen war. Hatte er sie genau das, was er gerade fühlte, immer wieder durchmachen lassen? Hatten sie alle sich auch immer so hilflos gefühlt wie er gerade? Zorro hasste dieses Gefühl. Dulacre hatte ihn vor langer Zeit gefragt, was Zorro tun würde in einem Moment, in dem er absolut hilflos sein würde, mit nichts außer sich selbst und der Angst, und Zorro war zu der Entscheidung gekommen weiterzugehen, immer diesen einen Schritt mehr zu gehen. Alles in seiner Macht zu tun, um nie wieder in einer hilflosen Situation zu landen, um nie wieder machtlos zu sein. Nun fragte er sich, ob er die Frage damals falsch beantwortet hatte. Er fragte sich, ob sein Versuch, solche Situationen zu verhindern, ihn nicht zu genau einem solchen Kontrollfreak machte, wie er dem Samurai immer vorwarf einer zu sein, und er fragte sich, ob die Antwort nicht eine ganz andere war. Vielleicht war die Antwort nicht der verbissene Kampf nach vorne, das Ausmerzen jeder Schwäche und das Vergraben aller Ängste. Vielleicht war die Antwort ja doch ganz einfach… Aber er wusste nicht, was die Antwort war, er wusste nicht, was er sonst tun sollte. Nur eines wurde ihm mit jeder Sekunde klarer: Er musste tun, was auch immer er irgendwie tun konnte, um so etwas zu verhindern, und das würde er auch tun. Er wusste noch nicht wie, aber er würde es tun. Lange sah er das ungewohnt blasse Gesicht seines Lehrmeisters an, einer der mächtigsten Menschen, die er kannte. Hier und jetzt musste er die Antwort darauf auch noch nicht wissen. Alles, was er wissen musste, war, dass er Dulacre auf keinen Fall unterschätzen sollte. Er war nicht umsonst der beste Schwertkämpfer der Welt und wenn Zorro sich weigerte, an Verletzungen draufzugehen, dann würde Dulacre ihm da mit Sicherheit in nichts nachstehen wollen. Wenn jemand so etwas überstehen konnte, dann doch wohl er, also konnte Zorro ihm diesbezüglich doch auch vertrauen, oder? „Also wach jetzt endlich auf!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)