Logbuch von -Kiara ================================================================================ Kapitel 1: Freizeitpark-Pirat ----------------------------- Ein sonniger Tag neigte sich dem Ende zu und mit angenehm mäßigem Wind im Rücken segelte der Dreimaster mit Drachenkopf als Gallionsfigur über die zur Abwechslung äußerst ruhige See. Die Segel, sowie die schwarzen Flaggen welche das Schiff zierten, verkündeten für alle umliegenden Seefahrer, dass sich Piraten an Bord befanden. Und nicht nur irgendwelche, es handelte sich um die Rothaarpiratenbande, angeführt von ihrem furchteinflößenden und mächtigen Kapitän, dem Roten Shanks. Dieser ließ gerade in einem Anflug von Entspannung die salzige Seeluft durch seine Lungen strömen, als ein Späher aus dem Krähennest verlauten ließ: „Schiffbruch an Steuerbord!“ Der Kapitän begab sich zur Reling, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Nicht unweit entfernt erkannte er die ersten Stücke Treibgut im Meer schwimmen, darunter einige Holzplanken, Kisten, die stofflichen Überreste eines Segels, eine Kabinentür… Die meisten Teile waren zersplittert oder wiesen Bissspuren auf. Hier hatte definitiv ein Seekönig gewütet. „Boss! Da hinten ist jemand!“, informierte der Späher eifrig und überprüfte durch das Fernrohr, ob ein klares Lebenszeichen festzustellen war. Tatsächlich erkannte er ein schwaches Winken von der Gestalt, welche sich tapfer an einem Holztisch geklammert über Wasser hielt. „Bereitmachen zum Bergen“, befahl der rothaarige Kapitän sachlich und die Crew setzte sich augenblicklich in Bewegung. Binnen weniger Minuten hatten sie die schiffbrüchige Person erfolgreich auf das Deck der Galeone geschafft und den unterkühlten, durchnässten Leib in Decken gehüllt. Langsam ging der Kapitän in die Hocke und musterte, wen er dort zusammengekauert vor sich fand. Zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass es sich um eine junge Frau handelte, vielleicht sogar noch jung genug um ein Mädchen zu sein? Große blaue Augen sahen ihn verloren an. „Du bist in Sicherheit“, sagte er sanft und berührte sie an der dick eingepackten Schulter. Erleichterung breitete sich in ihrem Gesicht aus, ehe ihr die Lider zu schwer wurden und sie erschöpft in seinen Arm fiel. Es dauerte einige Stunden, bis die Schiffbrüchige wieder erwachte und sie bei genügend Kräften war, damit der Schiffarzt ihr erlaubte das Krankenbett zu verlassen um sich auf das Deck zu setzen. Die Crew schien zwar interessiert an ihr, hielt jedoch ausreichend Abstand, nachdem ein Mann mit langem schwarzem Pferdeschwanz die Bande zurechtgewiesen hatte. Stattdessen nahm er ihr gegenüber an dem kleinen runden Holztisch Platz und zündete sich gemütlich eine Zigarette an. „Macht es dir was aus?“, fragte er aus dem Mundwinkel, ehe er die Streichholzschachtel wieder in seiner Hosentasche verschwinden ließ. Sie winkte ab. „Schon in Ordnung.“ Unsicher schweifte ihr Blick umher, über die Gesichter der Mannschaft, zur dunklen See und schließlich hinauf zum Himmelszelt. Ihre Stirn runzelte sich verwundert über den Anblick, der sich ihr bot. Ihr Gegenüber lehnte sich gemächlich zurück und sah sie interessiert an. „Dann erzähl mal, wie hast du es alleine mitten auf die Grand Line geschafft?“ Irritiert blinzelte sie ihn an. Anscheinend brauchte sie einen Moment, um die Frage zu verarbeiten. „Keine Ahnung. Ich bin vor etwa drei Tagen einfach drauf los gesegelt“, meinte sie schließlich. „Jegliches Land ist mindestens sieben Seetage von hier entfernt“, informierte der Mann sie zweifelnd. Dies veranlasste das Mädchen dazu nur noch mehr stutzen. „Klingt als seist du vom Himmel gefallen“, kommentierte der Kapitän belustigt, welcher sich nun ebenfalls zu ihnen an den runden Tisch gesellte. Er stellte seine Flasche Bier ab und stützte sich auf den Arm um die Schiffbrüchige eingehender zu betrachten. „Wie heißt du und woher kommst du?“ „Oh, ähm!“ Sie korrigierte ihre Haltung und richtete den Rücken. „Ich bin Kiara. Freut mich sehr!“, kam es wie aus der Pistole geschossen, während sie hölzern eine Hand aus der um die Schultern gelegte Decke hervorstreckte. „Und danke. Vielen, vielen Dank für die Rettung.“ „Kiara also. Freut mich ebenfalls deine Bekanntschaft zu machen. Du kannst mich Shanks nennen“, stellte der Piratenkapitän sich ebenfalls vor und drückte ihre Hand ein wenig ungeübt. „Und das ist mein erster Offizier, Ben Beckman.“ Der Vize nickte ihr höflich zu. „Geboren wurde ich auf Mêlée Island“, verkündete Kiara wahrheitsgetreu. „Meine Eltern und ich haben immer mal wieder die Insel gewechselt, aber im Grunde könnte man das wohl als meine Heimat bezeichnen.“ Der Kapitän rieb sich den angedeuteten Kinnbart. „Mêlee? Noch nie davon gehört.“ Sie sah ihn verständnislos an. „Aber das ist eine der Hauptinseln der Tri-Islands. Es sollte gar nicht so weit weg von hier liegen.“ Der Vize und sein rothaariger Kapitän warfen sich argwöhnische Blicke zu. „Könntest du uns auf einer Karte zeigen, wo deine Insel liegen soll?“, fragte der Vize langsam. „Ich denke schon, klar.“ Als die Karte vor ihr ausgebreitet da lag, schien selbst der letzte Rest vom Selbstbewusstsein der jungen Schiffbrüchigen zu verschwinden. Verzweifelt huschte ihr Blick über die Karte, auf der Suche nach vertrauten Formen und Orientierungspunkten. Ebenfalls befangen studierte sie die Münze, welche der Vize als Markierung ihrer derzeitigen Position auf der Seekarte platziert hatte. „Also, ich bin Richtung Süden gesegelt“, versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen. „Das bedeutet, wenn wir von diesem Ort ausgehen…“ Sie fuhr mit dem Finger von der Münze gen Norden. Nichts. Weit und breit keine Insel in der Nähe. „Sagen wir drei oder vier Tage…“ „Dann landest du im Calm Belt“, unterbrach der Vize. „Im was?“, fragte Kiara irritiert. „Die Grand Line wird von zwei Meereszonen umgeben, die sich Calm Belt nennen. Da weht kein Wind. Selbst wenn deine Insel dort liegt, mit Segeln kommst du nicht weit und wegen der Seekönige wärst du schon viel früher drauf gegangen.“ Kiara starrte die Karte angestrengt an, als müsse sie nur lange genug hinsehen, damit ihre Heimat auftauchte. Auch die anderen Ecken der Karte suchte sie ab. „Aber… hier muss irgendwo eine ganze Inselgruppe sein. Mêlée, Booty, Plunder…Es fehlen über zehn Inseln.“ Der Kapitän schüttelte langsam und beinahe mitleidig den Kopf. „Noch nie davon gehört“, wiederholte er. Das Mädchen sank ungläubig in sich zusammen. „Ich würde euch ja eine Karte zeigen, aber…“ Sie seufzte. Die lag inzwischen vermutlich irgendwo auf dem Meeresgrund, denn bis auf die Kleider, die sie am Leib trug, war ihr nichts an Besitztümern geblieben. „Na, halb so wild. Du lebst und das ist die Hauptsache“, verkündete der Kapitän aufmunternd. „Hattest du ein bestimmtes Ziel?“, erkundigte sich der Vize. „Nur wohin der Wind mich treibt.“ „Das wäre ja fast ein Fall für berühmte letzte Worte gewesen“, lachte der Kapitän. „Aber bist du nicht ein bisschen zu jung um alleine auf Reisen zu gehen?“ „Hey, ich bin Zwanzig und immerhin schon seit ein paar Jahren auf See.“, empörte sich Kiara. „Echt? Zwanzig? Ich hätte dich auf Vierzehn geschätzt, aber dieser Mantel macht dich auch lächerlich klein und … flach.“ Der Käpt’n prustete hinter seiner hervorgehaltenen Hand. Mürrisch zupfte Kiara ihren blauen Armeemantel zurecht. Er war nicht mehr der neuste und etwa zwei oder drei Nummern zu groß für sie. Vielleicht hatte sie gehofft noch ein bisschen reinzuwachsen. „Aber er ist nicht schlecht, wenn man Pirat spielen möchte.“ Das amüsierte Grinsen des Kapitäns zog sich weiter in die Breite. „Ich bin ein Pirat“, erwiderte Kiara trocken. „Mit Zertifikat.“ Der Kapitän versuchte sie ernst anzuschauen, brach dann aber binnen weniger Sekunden in schallendes Gelächter aus. „Warst du etwa an einer Piratenakademie, oder was?“, johlte er vergnügt. Die Möchtegern-Piratin sah ihn entrüstet an. „Was für ein Quatsch! Man absolviert die drei Prüfungen der drei wichtigen Piraten, die in der Scumm Bar sitzen!“ „Was sollen das für Prüfungen sein?“, hakte der Vize skeptisch nach. „Naja, man muss sich in der Diebeskunst üben, den Schwertkampf meistern und sich auf eine Schatzsuche begeben“, zählte sie sachlich auf, während sie den weiterhin grölenden Kapitän mürrisch beobachtete. „Und dann erhältst du ein Zertifikat? Das klingt mir doch sehr nach Freizeitpark-Piraterie“, grinste der Rothaarige und wischte sich eine angedeutete Lachträne aus dem Auge. Kiara schlug mit ihrer Faust auf den kleinen Holztisch. „Das hat bei uns lange Tradition! Seit der Geisterpirat LeChuck sein Unwesen in den Gewässern von Mêlée Island getrieben hat, war es schließlich wichtig für frischen Wind zu sorgen! Denn ohne Piraten gab es keine Beute und ohne Beute keinen Grog und der Grog drohte zur Neige zu gehen!“ Der theatralische Auftakt veranlasste einige Crewmitglieder dazu die üblichen Späße untereinander zu pausieren und interessiert die Köpfe zur Erzählerin zu wenden. „Und was passierte dann?“, rief einer, die Hand trichterförmig um den Mund gelegt. Auch die Augenbrauen des Kapitäns wanderten demonstrativ nach oben und ein amüsiertes Schmunzeln legte sich auf seine Lippen. „Ja. Was passierte dann?“ Es war, als könnte er ein Leuchten in ihren Augen aufflackern sehen, ehe sie die Decke von sich warf und energetisch aufsprang um sich der Meute zuzuwenden. Jegliche Sorgen waren vergessen und die Erschöpfung wie weggeblasen, als sie vollends darin aufging ihre Geschichte zu erzählen. Die Bande fühlte sich wunderbar unterhalten und auch der Kapitän musste sich zugestehen, dass er Gefallen an der Darbietung fand. Während sich die Crew einige Zwischenrufe nicht verkneifen konnte, lauschte er der Erzählung aufmerksam. Er ließ sich zu gerne von der Darstellerin verzaubern und in ihren Bann ziehen. „Also stürmt er in die Kirche und ruft: Jetzt bist du dran, du klitschiger Klumpen Karpfen-Köder!“, tönte sie auch nach gut einer Stunde ausführlicher Erzählung noch lautstark über die Runde hinweg. „Und LeChuck weint: Guybrush! Hab Gnade! Ich kann nicht mehr!“ „Das hat er doch niemals wirklich gesagt“, warf ein Pirat grölend ein. „Bei einer guten Geschichte muss man halt ein wenig übertreiben!“, entgegnete Kiara belustigt. „Das Einzige, was übertrieben ist, ist das Ego von dem Typen!“, rief ein anderer. „Wer jeht denn ‘rum und sacht watt von ‚Ick bin een mächtijer Pirat?‘“, stimmte ein weiterer zu. „Na, wer wohl? Guybrush Threepwood – mächtiger Pirat!”, lachte Kiara und stieß ihren Krug feierlich in die Höhe. Der Rest der versammelten Crew brach in lautes Gejohle aus und toasteten sich ebenfalls mit ihren Getränken zu. Ein weiterer Offizier meldete sich kritisch zu Wort. Er grinste unverhohlen über beide Wangen, blickte der junge Möchtegern-Piratin jedoch eher spöttisch entgegen. „Die Geschichte ist ja ganz unterhaltsam, aber welcher Mann lässt sich nach einem bloßen Wortgefecht einfach seine Schätze nehmen und akzeptiert das?“ Die Angesprochene zuckte unbekümmert mit den Schultern. „Jeder blöde Pirat kann ein scharfes Stück Metall durch die Luft schwingen. Aber beim Beleidigungsfechten geht es darum, den Gegner zu erledigen, indem man ihn völlig aus der Fassung bringt, um ihn anschließend zu entwaffnen. Das sind die Spielregeln. Es gibt doch einen Piraten-Kodex, oder?“ „Ja schon in gewisser Hinsicht, aber…“ „Spielregeln passt doch“, unterbrach der Kapitän und funkelte sie belustigt an. „Klar wäre es schön, wenn alles immer komplett gewaltfrei ablaufen würde, aber das ist Wunschdenken.“ „Bei uns klappt es halt so“, beschwichtigte Kiara und verschränkte missmutig die Arme. „Was ist mit Kopfgeldern? Als Pirat bist du doch bestimmt etwas wert“, feixte der Rothaarige. Ihm war bewusst, dass er sie wie auf dem Präsentierteller zur Schau stellte, doch schien sie das kein Stück zu verunsichern. Beflissen schüttelte sie nur den Kopf. „Ich hab‘ kein Kopfgeld. Dafür habe ich nichts sonderlich kriminelles angestellt. Aber bei uns wird generell nur selten jemand geahndet.“ „Kein ‚Dead Or Alive‘? Gesucht für Zehnmillionen Berry?“, hakte er unablässig nach. „Huh? Nein, eher so… Gesucht wegen vorsätzlicher Beschädigung eines Holzbeines und Überziehung der Leihfrist eines Buches.“ Kiara geriet nun doch ins Stocken. Ihr musste ebenfalls auffallen, dass dies nicht sonderlich gefährlich klang, geschweige denn nach etwas, wofür man tot ausgeliefert werden sollte. „Anfertigung und Benutzung einer Voodoopuppe?“, setzte sie noch versuchsweise hinterher. „Du bist wirklich ein Freizeitpark-Pirat“, grölte der Kapitän dieses Mal laut auf und auch der Rest der Crew stimmte amüsiert in das Gelächert mit ein. Kiara verschränkte augenrollend die Arme und ließ es stillschweigend über sich ergehen. Nachdem er sich von seinem nächsten Lachanfall beruhigt und er tief durchgeatmet hatte, unterbreitete der Rothaarige ihr einen Vorschlag. „Wir setzen dich auf der nächsten Insel ab und dann versuchst du dich am besten von Ärger fern zu halten.“ Alarmiert schoss ihr Blick zum Kapitän. „Wie komme ich nach Hause, wenn anscheinend niemand weiß, wo es liegt?“ Dieser zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Tja, das ist dann wohl Pech, würde ich sagen. Aber immer noch besser als tot zu sein.“ Ihre Lippen pressten sich zu einer schmalen Linie, den Blickkontakt für keine Sekunde unterbrechend. „Dann lass mich deiner Mannschaft beitreten!“, bat sie, ohne länger darüber nachzudenken. Der Rothaarige beugte sich verhängnisvoll zu ihr. „Es ist hier draußen gefährlicher als du dir vorstellen kannst“, warnte er. Kiara waren die drei Narben über dem Auge des Kapitäns nicht zum ersten Mal aufgefallen. Jetzt kamen sie ihr noch ehrfürchtiger vor. Auch bemerkte sie, dass der Rothaarige stets nur seinen rechten Arm nutzte zum Gestikulieren und Greifen. Der linke Arm wurde von seinem schwarzen Umhang verhüllt und ihr schwante übles. „Dann stell mich auf die Probe“, verlangte sie mit fester Stimme und versuchte sich wieder auf seine beiden Augen zu konzentrieren. „Kannst du dich auch ohne Beleidigungen verteidigen?“, fragte er und musterte sie eingehend. Kiara atmete tief ein, straffte Schulter und Rücken und baute sich so gut sie konnte auf. „Natürlich.“ „Alles klar, dann lass uns dein Können auf die Probe stellen. Aber wenn du verlierst, wanderst du über die Planke.“ Seine Entscheidung ließ sie erstarren und einen eiskalten Schauer über den Rücken jagen. Der Schiffsarzt versuchte dem Kapitän Vernunft einzureden, dass sie noch zu erschöpft sei und überhaupt gerade erst mehrere Stunden in den kalten Fluten verbracht hatte. Doch der Rothaarige brachte ihn mit einer gelassenen Handbewegung zum Schweigen. „Wenn sie darauf besteht, kriegt sie ihre Chance.“ Ein ungläubiges Schnaufen entwich Kiaras Lippen. „Sagtest du vorhin nicht etwas von ‚Du bist in Sicherheit?‘“, wiederholte sie die Worte, an die sie sich gerade noch erinnerte. „Mit Piraten verfährt man anders“, stellte er sachlich fest. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)