Chis Wunsch von Lupus-in-Fabula (Glockentanz) ================================================================================ Kapitel 1: Glockentanz ---------------------- Fröhlich rannte die Katze in der Wohnstube herum. Jeden Winkel des Hauses kannte sie in- und auswendig. In die Küche durfte sie zwar nicht, jedoch schlich sie sich ab und zu hinein. Besonders mochte sie die Ablage nahe dem Fenster. Dort in der Mittagssonne zu liegen war himmlisch. Doch Mama schimpfte stets. Auch zu Papa durfte sie nicht mehr so oft wie früher. Gedankenverloren setzte die Katze sich auf den Kratzbaum. Sah sich in der Wohnstube um. Es hat sich einiges verändert.   Mama und Papa waren strenger zu ihr geworden. Früher durfte sie überall im Haus herumtoben, jedes Zimmer erkunden. Die Katze mit dem gestreiften Fell fing an sich zu putzen. Dachte an all ihre Erlebnisse, als Mama, Papa, Yohei und sie in Japan lebten. Was genau Japan war, wusste die Katze nicht. Genauso wenig, was Frankreich genau war. Ihre Familie lebte in einem neuen Haus. Neue Zimmer gab es, die sie zuerst markieren musste. Mürrisch streckte sich die Katze nach dem ausgiebigen Putzen. Neu bedeutete für sie fremde Gerüche, fremde Umgebung. Mit absoluter Sicherheit wusste die Katze, was sie ab jetzt mehr verabscheute als den Korb und den Tierarzt. Das laute Ding mit dem ihre Familie und sie nach Frankreich kamen. Bevor die Katze weiterhin in ihren Gedanken nachhängen konnte, vernahm sie ein vertrautes Geräusch. Freudig sprang sie vom Kratzbaum und tänzelte zur Türe. „Habt ihr Essen mitgebracht?“, fragte sie und sah ihre Familie gespannt an. Mama, Papa und Yohei knieten sich hin und begrüssten ihre geliebte Chi.       Yohei plapperte fröhlich vor sich hin. Er hatte sich schon gut eingelebt. Statt Reis würde er jeden Tag zum Frühstück Croissants essen und zum Nachtisch Tarte Tatin. Geduldig hörte Papa ihm zu, während er sich einige Notizen machte. Sein nächster Arbeitgeber schwärmte so sehr von Japan und wollte deswegen genau ihm den Auftrag geben. Über die gängigen Klischees lächelte Papa bloss. Wie er Geishas, Samurai und Wurfsterne vernünftig verbinden könnte, wusste er noch nicht. Dennoch freute Papa sich, ein wenig über seine Kultur informieren zu können. Mama schnitt für das Abendessen Gemüse. Die französische Küche schmeckte ihr. Etwas zu gut, was sie erschreckend zur Kenntnis nehmen musste. Die fünf Kilo schlichen sich heimtückisch in Form von Käse, Hefegebäck und Sahnesauce an. Während ihr kleiner Schatz im Kindergarten Freundschaften vertiefte, ging Mama morgens in die Aerobic. Papa würde Sport auch guttun, doch er drückte sich. „Wer soll auf Chi aufpassen?“, sagte Papa stets. Mama schüttelte danach stets den Kopf und blickte verärgert. Jedoch konnte Mama nie lange auf Papa böse sein. Chi sass neben Yohei und blickte neugierig auf den Laptop von Papa. Sie mochte den blickenden Pfeil so sehr. Genauso wie die anderen sich bewegenden Objekte. Wenn Papa mit den Fingern die Tasten berührte, gab es ein klackerndes Geräusch und noch mehr sich bewegende Objekte. Chi wusste, dass sie nicht nach ihnen greifen durfte. Papa wurde dauernd wütend, wenn die Katze das tat. Einmal wurde Papa so wütend, dass Chi in das Badezimmer gesperrt wurde. Das mochte sie natürlich nicht und schrie nach ihm. „Papa, mach auf! Ich habe kalt und es ist mir langweilig.“ Erst als Mama und Yohei nach Hause kamen, wurde sie herausgelassen. Chi tat danach das, was Papas Herz sonst immer zum Schmelzen brachte. Sie ignorierte ihn. Zu ihrer Verwunderung funktionierte es nicht. Sie war so überrascht, dass sie zuerst wieder zu Papa ging. Langsam erhob sich Papa und lief zu Mama. Während er wegging, setzte sich Chi auf seinen Platz. „Was machst du?“, fragte sie Yohei. Yohei reagierte nicht. Er nahm die Tube mit Leim und klebte die ausgeschnittenen Papierschnipsel auf ein grünes Blatt. „Yohei, sag schon!“ Jetzt reagierte der Junge. Er hob das Blatt und zeigte es der Katze. „Schön!“, sagte Chi und beschnupperte die Collage. Yohei erzählte der Katze, was auf dem Blatt war. Von Osterglocken und den bunten Eiern. Gespannt lauschte Chi. Sie verstand vieles nicht, aber wollte es vor Yohei nicht anmerken lassen. Sie würde bei ihren neuen Freunden nachfragen.   „Wann kommt Chi?“, fragte der Jungkater und trippelte auf der Stelle. Der getigerte Mischling freute sich immer, mit Chi zu spielen. Er war gerne in ihrer Nähe und tobte mit ihr herum. „Nicht so ungeduldig Filou“, sprach mit erhabener Stimme Tiff. Sie war eine Tiffanie, eine relativ neuere Rasse. Tiff mochte es im Mittelpunkt zu stehen und die volle Kontrolle über die Situation zu haben. Sie hatte Chi sofort ins Herz geschlossen, was Tiff niemals zugeben würde. Auch hatte sie Filou unter ihre Fittiche genommen. Auf ihn hatte sie besonders ein Auge. Sein Verhalten hatte sich seit einiger Zeit verändert. Doch mit ihrer erhabenen Art beobachtete und dirigierte sie. Endlich tauchte Chi auf. Sofort stürmte Filou auf sie zu und begrüsste sie. Tiff rief ihn zurück, da er etwas aufdringlich wurde. „Sei gegrüsst, meine liebe Chi“, begrüsste auch Tiff Chi. Sie rieben die Köpfe einander und plauderten. Bis Chi ihre Fragen einfiel. „Deine Fragen sind einfach zu beantworten. Setz dich hin und lausche.“ Chi hörte auf die elegante Katze. In letzter Zeit ist sie geduldiger geworden. Gespannt hörte sie Tiff zu und lernte einen Brauch kennen, wie es Tiff nannte. Menschen liebten es zu feiern. Das bedeutete, sie kochten und backten köstliche Leckereien. Luden ihre Familie und Freunde ein. Schmückten ihre Häuser und sich selbst. Filou ergänzte besserwisserisch, dass auch die Strassen und Geschäfte in bunten Farben leuchteten. „Die Menschen“, sprach Tiff und fing an sich zu putzen, „lieben schöne Dinge. Sie lieben es wahrscheinlich mehr, als ihre Würde. Wahrlich sind Menschen unglaublich faszinierend.“ Chi legte nachdenklich ihren Kopf schief. Bevor sie Tiff ehrlich sagen konnte, das sie kein Wort verstand, sprang der Kater sie an. Tiff beobachtete die Spielerei mit Argusaugen, während sie sich gründlich putzte.       Mama blickte mit grossen Augen Papa an. „Wann ist der Anlass? Übermorgen?“ „Ja. Ich kann jedoch nicht ablehnen. Mein Chef besteht darauf und möchte auch dich kennenlernen.“ Chi spitzte die Ohren. Yohei war gerade im Badezimmer und wusch sich die Hände. Gut gelaunt war der Junge, da seine Collage dem Erzieher sehr gut gefiel. Chi hörte zu, wie Mama und Papa sich über Babysitter unterhielten. Chi mochte das Wort Babysitter nicht. Schnell flitzte sie ins Badezimmer und wollte Yohei warnen. „Pass auf Yohei! Mama und Papa planen was!“ Yohei hob sie auf und streichelte sie. Chi war sich sicher, das Yohei sie verstanden hatte. Mürrisch blickte die Katze aus dem Fenster. Sie konnte Yohei wirklich verstehen. Er wollte keinen Babysitter und auch nicht, dass Mama oder Papa wegging. „Ich rufe morgen bei seinem besten Freund an. Vielleicht möchte er dort übernachten.“ Mama stand auf und ging zur Küche. Chi hob den Kopf. Gab es für sie einen extra Bissen? „Chi? Kommst du zu uns?“, fragte Papa und streckte seine Arme aus. „Nein. Wenn Yohei böse ist, bin ich es auch!“, sprach Chi wütend und drehte sich wieder um. Lange diskutierten Papa und Mama noch über den Anlass. Chi wusste genug, was Anlass bedeutete. „Chi darf ja nicht auf Yohei aufpassen“, murmelte die Katze. Immer noch mürrisch streckte sie sich. Lief zum Zimmer des Jungen. „Yohei, nicht traurig sein“, schnurrte Chi. Er schlief tief und fest. „Keine Sorge, Chi passt auf dich auf!“ Entschlossen, auf ihren Bruder achtzugeben, sprang die Katze auf das Bett und rollte sich ein.     Chi war am nächsten Morgen immer noch wütend. Beim Frühstück ignorierte sie Mama und Papa und blieb die ganze Zeit in der Nähe von Yohei. Nur widerwillig trennte sich Chi von ihm. „Chi?“, rief Papa und sah zu der Katze. Sie reagierte nicht. Seufzend stand er auf und lief zum Badezimmer. Irgendwann kam er wieder zurück. Chi drehte sich zu ihm um, darauf bedacht, dass Papa es nicht merkte. „Willst du vielleicht hinaus?“, sprach Papa sie wieder an.   Tiff streckte sich. Genoss die Streicheleinheiten ihres Menschen. „Würdest du die Güte besitzen, mir die Türe zu öffnen?“, schnurrte Tiff und umgarnte ihren Menschen. Kaum war sie im Garten, setzte sie sich hin. Genüsslich legte Tiff sich in ihren persönlichen Liegestuhl. Die warmen Sonnenstrahlen taten der Katze gut. Ihr Mensch brachte ihr eine Schale mit Sahnewasser. Genüsslich trank Tiff das ihr dargebrachte. Da trug der Wind ihr einen bekannten Geruch entgegen. Gespannt wartete Tiif, ob der Gast ohne Erlaubnis in ihren Garten eintreten würde. Sie liess ihn eine Weile warten, bis Tiff ihn aufforderte einen Schluck zu trinken. „Tiff, warum sind Papa und Mama so gemein? Ich könnte auf Yohei achtgeben. Aber sie hören nicht auf mich.“ „Meine Liebe, Menschen halten sich für begabt und unersetzbar. Verachte sie weiterhin. Sicherlich gibt es eine Lösung für dein Problem. Umsorge weiterhin Yohei, er ist ein kleiner Mensch und braucht pflege.“ Chi nickte. Sie verstand zwar nicht, was Verachten hiess. Aber auf Yohei würde sie natürlich achtgeben.   „Verschwinde, Mistvieh!“ Flink, mit seiner Beute im Maul, verschwand der Kater aus dem Fischgeschäft. Stolz stolzierte er durch die Strassen. Reagierte nicht auf Rufe der Leute. Einigte freuten sich für den kleinen Filou, andere sagten unfreundliche Dinge. Der Kater war stolz auf sich. Den Mann auszutricksen machte jedes Mal Spass. Seine Fallen und Täuschungen durchschaute er stets. Mit erhobenem Schwanz und dem Fisch im Maul lief er zum Treffpunkt. Geduldig wartete Filou und endlich erschienen Tiff und Chi. „Hier für dich!“, sprach der Kater und überreichte Chi seine Beute. Überrascht sah Chi ihren Freund an. „Habe schon gefrühstückt“, antworte sie. Doch der Fisch sah schon ganz lecker aus. Elegant beobachtet Tiff die Unterhaltung. Chi liess sich den Fisch schmecken und klagte auch Filou ihr Leid. Er hörte zu und gab ihr einen Tipp. Dankbar schnurrte Chi und Filou schien sehr selbstsicher zu sein. Er nährte sich hier und wollte sie freundschaftlich putzen. Chi sprang jedoch weg. Einen Moment blickte sie ihn böse an. Ihr Schwanz zuckte hin und her, ihre Nackenhaare sträubten sich. Filou blieb sitzen. Blickte weg. Die Situation schien feindlich, jedoch änderte sie sich wieder. Filou bog Chi an, zu einer Kirche zu gehen. Chi nahm das Angebot dankbar an.     Schnurrend sass Chi neben Yohei. Er malte stumm Glocken und Lämmchen. „Keine Sorge. Chi hat eine Idee“, sprach sie und schmiegte sich an den Jungen. Sie musste bloss abwarten. Mama und Papa sahen besorgt zu Yohei. Er war schon den ganzen Tag über still und auch im Kindergarten war er abwesend. Spielte nicht mit und wollte nicht nach Hause. Mama sagte zu Papa, sie müsse einen Anruf abwarten. Papa nickte und sah kurz zu Yohei, bevor er ins Schlafzimmer ging. Mama band sich ihre liebste Kochschürze um, fragte Yohei ob er ihr helfen möchte. Widerwillig erhob das Kind sich. Schlürfte zur seiner Mama. Ein wenig blühte Yohei auf. Auch Papa freute sich, als er seinen Sohn mit Mama kochen sah. Nur Chi missfiel das Verhalten von Mama und Papa. Die Worte von Tiff hallten in ihrem Kopf. Misstrauisch beobachte Chi, wie Mama und Papa sich mit Yohei unterhielten. Zusammen kochten und Abendessen assen. Sie wunderten sich, weshalb Chi abseits sass und nicht einmal zum Abendessen zu ihrem Napf ging. Papa schielte ab und zu zur Chi. Versuchte sie zum Napf zu locken. Yohei erklärte, das Chi wohl wie er keinen Babysitter brauchte. Mama schwieg, aber lächelte. Sie sagte, dass er und Chi sich keine Gedanken machen müssen.     Als es Nacht war, schlich sich Chi zu Yohei. Sie beschnupperte den schlafenden Jungen. Sie leckte ihm über das Gesicht. „Chi bringt es in Ordnung“, schnurrte sie und hüpfte vom Bett. Kurz sah sie bei Mama und Papa vorbei. Tiff sagte zwar, sie solle die Beiden verachten. Doch irgendwie hatte Chi Mitleid. „Chi wird es wieder gut machen“, sprach sie zum Abschied. Draussen war es ruhig. Chi fand es faszinierend, wie wenig Menschen in der Nacht unterwegs waren. Ob Filou auch unterwegs war? Er sprach davon, stets sein Revier zu verteidigen zu müssen. Der Kater hatte einige Menschen, die sich um ihn kümmerten. Doch lieber streunte er durch die Stadt. Sie traf ihn nicht, aber andere Artgenossen. Man grüsste sich oder ging sich höflich aus dem Weg. „Die Menschen mögen es wirklich sehr, ihre Häuser zu schmücken“, sprach Chi zu sich. Ein älteres Katzengeschwisterpaar blickte zu ihr. Eng umschlungen lagen sie auf einer antiken Mauer und legten synchron den Kopf schief. „Wohin geht sie?“, fragte die Schwester ihren Bruder. „Sie war heute mit dem Katerchen unterwegs“, antwortete er. Sie sahen Chi nach, bis sie aus dem Blickfeld verschwand. „Die Kleine war doch nie alleine Nachts unterwegs“, sprach die Schwester besorgt. Beruhigend leckte der Bruder ihr übers Fell. Er wusste, an welche Gefahren seine Schwester dachte. „Sie wird sich schon nicht in Gefahr bringen. Sie ist noch jung, aber kein Kätzchen mehr.“ „Stets musst du so sorglos sein.“ „Und du machst dir stets über alles Sorgen.“   Unsicherheit stieg in Chi hoch. Am Tag sah die Kirche anders aus. Nicht so bedrohlich. „Ich schaff das schon“, murmelte Chi, während sie durch eine Lücke in die Kirche hineinschlüpfte. Fremde Gerüche lenkten sie auch dieses Mal ab. Neugierig beschnupperte Chi die Bänke. Ein schwerer Geruch hing in der Luft. Was das wohl war? Chi setzte sich hin und liess ihre Gedanken schweifen. Geräusche unbekannter Art liess sie zusammen zucken. Schnell verkroch sie sich unter eine Holzbank. Eine Weile wartete Chi. Sammelte all ihren Mut. Flitzte zu der Treppe, die zum Glockenturm führte. Leichtfüssig erklomm die Katze die Treppe. Sie wollte die grosse Glocke erreichen, bevor sie nach Rom flog. „Du bist noch da!“ Glücklich blickte auf die Glocke. Chi fühlte sich auf einmal so klein. Kleiner als ein Käfer, die Yohei manchmal fing. Kleiner als ein Reiskorn, die Mama für Papa und Yohei kochte. Sie tänzelte auf der Stelle. Mit Filou war sie heute schon im Glockenturm, bevor sie von einer Katechetin hinausgeleitet wurden. „Hör bitte zu“, schnurrte Chi und sah die Glocke mit grossen Augen an. Genauso, wie sie es mit Papa und Mama machte, wenn sie was wollte. „Yohei und ich brauchen keinen Aufpasser. Chi möchte schnell gross werden. So gross wie Tiff, damit Chi alleine auf Yohei achten kann. Bitte erfülle mir diesen Wunsch, Glocke. Und viel Spass auf deiner Reise.“     Von Gründonnerstag bis Karsamstag bleiben die Glocken in Frankreich stumm. Den Kindern wird erklärt, dass die Glocken am Gründonnerstag nach Rom reisen. Am Sonntag kehren sie mit Süßigkeiten und bemalten Eiern beladen zurück. Dies konnte Chi und ihre Freunde jedoch nicht wissen. Wie sollten sie es auch? Tiff und Filou erzählten Chi davon, dass die Menschen sich erzählten, dass die Glocken Geschenke brachten. Und weshalb sollte eine Glocke nicht auch einer Katze ein Geschenk bringen? Chi träumte in dieser Nacht von fliegenden Glocken, die wie Blätter im Wind tanzten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)