Libertalia von -Kiara ================================================================================ Kapitel 5: Des Rätsels Lösung ----------------------------- Der rothaarige Kapitän erwachte zu den ersten Sonnenstrahlen am nächsten Morgen nach einer durchzechten Nacht und stellte mit leichtem Erstaunen fest, dass ihm der Kopf klarer war als nach der konsumierten Menge üblich. Von dem Alkohol sollten sie besonders viel für die Weiterreise mitnehmen, dachte er und blinzelte langsam die Augen auf. Beinahe komplett unter der Bettdecke verkrochen lag Kiara halb auf seiner Brust, die Arme eng um ihn geschlungen. Ironischerweise hatten die kalten Temperaturen sie dazu inspiriert immer mehr aufzutauen. Allerdings lernten sie sich auch, wie von ihr gewünscht, deutlich besser kennen. Innerlich seufzte er. Sie lag so friedlich an ihn gekuschelt, da wollte er sie nur ungern wecken und von ihrem Platz verscheuchen. Es war bestimmt nichts dagegen einzuwenden, es den Morgen gelassen anzugehen und noch eine Runde zu dösen. Wenn jemand fragte, könnte er es auf den Alkohol schieben. Er war schließlich ein Gentleman. Meistens. Manchmal. Behutsam strich er durch ihre Haare, ehe er den Arm um sie legte. Er genoss ihre Nähe, die Wärme die sie ausstrahlte, ihr Gewicht, dass er auf sich spürte. Shanks nahm einen tiefen Atemzug, bedacht darauf ihren Schlaf nicht allzu sehr zu stören. Dabei entging ihm nicht der frische Duft von Shampoo, der ihm dabei in die Nase stieg. Sie musste gestern, während er die örtlichen Kneipen besucht hatte, ein Badehaus aufgesucht haben. Eigentlich gar keine so schlechte Idee. Zwar war er auch so stets um ein akzeptables, gepflegtes Äußeres bemüht und nahm daher regelmäßig ein Bad, aber sollte es hier auf der Insel heiße Quellen geben, wäre dies eine gute Gelegenheit sich dort ausgiebig zu entspannen. Und vielleicht könnte er die junge Piratin ja dazu überreden mit ihm in ein gemischtes Bad zu gehen. Ein schelmisches Lächeln zeichnete sich auf seinen Mundwinkeln ab. „An was denkst du wieder, hm?“, murmelte eine verschlafene Stimme an seiner Brust. „Ach, nur daran, wie gern ich dich bei mir habe“, lächelte Shanks und wanderte mit der Hand in ihren Nacken, um sie dort zu kraulen. Instinktiv schmiegte sie das Gesicht noch etwas mehr an seinen Oberkörper. Himmel, sie machte es ihm auch wirklich nicht mehr leicht. „Natürlich ganz ohne Hintergedanken, nicht wahr?“, nuschelte Kiara und war von sich selbst beeindruckt, in diesem Zustand deutlich sarkastisch zu klingen. „Völlig“, kam die gedehnte Antwort, von der sie beide wussten, dass sie gelogen war. Für einen Moment verschwand das leichte Gewicht von seiner Brust, als Kiara weiter zu ihm hinauf robbte und mit den Armen seinen Kopf einrahmte. Mit einer Hand stützte sie ihren Kopf ab, mit der anderen kämmte sie durch seine vom Schlaf etwas wüsten Haare. Während er sich genüsslich den darauf folgenden zärtlichen Liebkosungen ihrer Lippen auf seinen Wangen und seiner Halsbeuge hingab, kam Shanks nicht drum herum die Entwicklung ihres kleinen Verhältnisses wertzuschätzen. Es war offensichtlich, dass sie ebenso seit ihrem Kennenlernen Interesse an ihm bekundete und allmählich bewegte sie sich Schritt für Schritt auf ihn zu. Shanks ließ ihr die Zeit und freute sich währenddessen über jede weitere neue Art der Zuwendung, die sie ihm entgegen brachte. Shanks hauchte beiläufig einen Kuss auf ihre Schläfe. „Gehe ich recht in der Annahme, dass du noch nicht aufstehen möchtest?“, schmunzelte er zufrieden an ihr Ohr und malte mit den Fingerkuppen Muster auf ihren Rücken. Kiara sah mit geschürzten Lippen auf. „Da draußen ist es kalt. Sag bloß, du ziehst das meiner Gesellschaft vor?“ Shanks schnaubte in einem Versuch ein lautes Auflachen zu unterdrücken. „Natürlich würde ich auch den ganzen Tag mit dir im Bett verbringen. Und mir fiele da auch ein schöner Zeitvertreib ein.“ Die darauffolgende Pause ließ er sich auf der Zunge zergehen. Er kostete sie voll aus, um die erwartete Röte auf Kiaras Wangen aufglühen zu sehen. Ihr Blick hingegen schien recht herausfordernd. Das war interessant. „Aber als Käpt’n muss ich mich auch um meine Pflichten kümmern“, endete er gewissenhaft und seufzte theatralisch. Skeptisch zog sie eine Augenbraue hoch. „Aber wir haben Landgang.“ Ein verheißungsvolles Grinsen zuckte in seinen Mundwinkeln. „Tja, dann…“ Geschickt rollte er sich mit ihr auf dem Bett herum, der offenen Einladung gerne entgegenkommend. Triumphal lehnte er über Kiara und musterte ihre schmale Form, welche kaum in der Matraze versank. Sie war lächerlich leicht und er hatte sie bereits einige Male ohne großartigen Kraftaufwand mit einem Arm hochgehoben. Schüchtern hielt Kiara die Arme an ihre Brust veschrenkt, und wirkte unsicher, was sie mit ihnen machen sollte. Shanks beschloss ihr bei dieser Entscheidung zu helfen und nahm eine ihrer Hände um sie sich in seinen Nacken zu legen. Eigenständig folgte die zweite Hand und kämmte durch seinen roten Schopf. Von dieser Position aus hatte er nun mühelos Zugang zu all seinen Lieblingsstellen – die sie hoffentlich genauso begeisterten wie ihn. Er neigte gerade den Kopf zu ihr hinab, um sich an ihrem Hals zu schaffen zu machen, als es an der Kabinentür klopfte. „Boss?“, kam es dumpf von draußen. Shanks sah auf, stöhnte genervt und warf der Tür einen missbilligenden Blick zu. „Was?“ Kiara hingegen hielt sich die Hand vor den Mund gepresst, um ein Auflachen zu ersticken. „Hier möchte jemand mit dir sprechen.“ Shanks rollte mit den Augen. „Kann das nicht warten?“ „Es ist die Bürgermeisterin, Boss.“ Der Rothaarige seufzte erneut. „Gib mir fünf Minuten“, entgegnete er dem Crewmitglied vor der Tür. Widerwillig löste er sich aus Kiaras Umarmung und stand aus dem Bett auf. Dabei murmelte er so etwas wie „Typisch“, während er nach seiner Kleidung griff. Immer noch ihr Lachen unterdrückend, wickelte sich Kiara in die immerhin noch warme Bettdecke ein und beobachtete ihn beim Anziehen. „Würdest du-?“ Shanks hielt Kiara die kaminrote Schärpe entgegen. Zwar vermochte er es auch alleine zu schaffen, sich den Stoff umzubinden, jedoch dauerte dieser Vorgang noch deutlich zu lange. Kiara nahm die lange Stoffbahn hilfsbereit an und wickelte sie geschickt um seine Hüfte. „Ich sollte dich noch an etwas erinnern“, warf sie nebenbei ein und grinste weiterhin unverhohlen über beide Wangen. „Was? Ach ja, die Karte“, gab Shanks zerstreut von sich, während er sich das Hemd in die Schärpe stopfte. „Sie ist in der rechten Schublade. Vielleicht kannst du ja was damit anfangen.“ Eilig schulterte er noch den Umhang, strich sich die Haare aus dem Gesicht und trat aus dem Quartier heraus. Dieses Dörfchen war schon ziemlich eigen. Nicht nur, dass jeder Bewohner ständig flüsterte aus Angst jederzeit eine Lawine auslösen zu können, die Bürgermeisterin war nebenberuflich auch noch Bibliothekarin. Na, das passte ja irgendwie zusammen, wenn man es gewöhnt war den ganzen Tag um Ruhe zu bitten. Belustigt über diese merkwürdigen Charaktere, schüttelte der Kapitän den Kopf während er der alten Frau zum Abschluss noch kurz winkte. Das Gespräch selbst war tatsächlich nicht großartig von Belang gewesen, darum konzentrierte er sich lieber auf die komischen Eigenarten, statt daran zu denken, was dieses Gespräch unterbrochen hatte. „Mal sehen, entweder sitzt sie noch in der Decke eingewickelt auf dem Bett, oder sie brütet über das Kartenrätsel“, wog der Kapitän ab und kehrte mit seinem Vize zurück in die Kapitänskajüte. Drinnen stand die Piratin mit Decke über den Schultern und Papier und Feder bewaffnet über die angebliche Schatzkarte auf dem Schreibtisch gebeugt. „Oder beides“, stellte der Vize fest. Kiara sah von ihrem Rätselraten auf. „Oh. Guten Morgen.“ „Morgen. Soll ich nochmal raus?“, fragte Beckman und deutete auf das etwas zu große Nachthemd, welches sie vor einigen Wochen aus einer Kleidertruhe gefischt hatte und nun leicht verrutscht am Leibe trug. „Wieso? Ich hab‘ doch was an. Mir ist das egal. Musst du wissen, ob es dich stört“, meinte sie halbherzig, während sie fleißig auf das Notizblatt kritzelte. Beckman musterte die Piratin für eine kurze Weile, eher er unter leichtem Kopfschütteln die Luft ausblies und anschließend die Kabinentür hinter sich schloss. „Und, sag bloß du hast bereits etwas herausgefunden?“, erkundigte sich Shanks und versuchte etwas aus ihrem Geschriebenen zu erkennen. Als sie meinte, dass ihre Schrift zwar immerhin leserlich sei, hatte sie eindeutig gelogen. „Offensichtlich haben wir hier eine Seekarte, also ist das Ziel die richtigen Koordinaten zu finden. Norden, Süden, Osten, Westen und je eine Zahl zwischen Null und Dreißig“, begann Kiara ihre Erklärung. „Gut, soweit sind wir auch gekommen“, nickte der Rothaarige, noch nicht sonderlich beeindruckt. „Und wir wissen, dass die Karte viel zu grob gezeichnet ist und die Maßstäbe und Entfernungen dadurch nicht stimmen.“ „Je nachdem, was wir hier genau suchen, ist das vielleicht gar nicht so wichtig. Mit diesen Tic-Tac-Toe Alphabeten auf der Rückseite können wir jedenfalls die Symbole über der Karte entschlüsseln.“ Sie schrieb die zehn Zeichen neben den abgemalten Hinweisen auf ihr Notizblatt. „Das erste ist ein L. Seht ihr? Das L steht an der unteren Stelle von diesem Kreuz und das Zeichen ist ein Dreieck ohne Hypotenuse.“ Nun zeigte sich der Kapitän doch deutlich begeisterter. „Wir saßen da Stunden drüber und dir fällt das sofort auf?“, schoss es ungläubig aus ihm hervor. Kiara zuckte bescheiden mit der Schulter. „Mein Vater hat früher öfter solche Rätsel zusammengestellt und mich damit auf eine Schnipseljagd quer über die ganze Insel geschickt.“ Sie dechiffrierte auch das letzte Symbol. „Libertalia“, verkündete sie den Titel der Karte. „Klingt nach dem Namen eines Schiffes“, überlegte Beckman laut. Sie nickte. „Stimmt. Aber ein Schiff oder ein Schiffswrack wird es nicht sein, wenn die Karte so grob ist, wie ihr meint. Es macht keinen Sinn einen Bereich über Zehn mal Zehn Seemeilen abzugrasen um nach einem eventuell noch vorhandenen Schatz zu tauchen. Außerdem, warum sollte man sich so ein elaboriertes Rätsel ausdenken, für eine Schatzkarte? Wenn hier alle Hinweise drauf sind, die wir für die Lösung brauchen, dann hätte man die Karte zerteilen sollen. Das hier wird wohl kaum so etwas wie der Schatz von Mêlée Island sein“, meinte Kiara spöttisch. Der Rothaarige runzelte die Stirn. „Was ist der Schatz von Mêlée Island?“ „Ach, ein von der Mêlée Island Handelskammer gestifteter Schatz, irgendwo im Wald. Wenn du die Stelle findest, an der er vergraben ist, stehst du vor einem Schild mit der Aufschrift ‚Bitte lass noch etwas für den nächsten übrig.‘ So ein Zeitvertreib halt.“ Kiara rollte mit den Augen und verdrehte sie noch mehr, als sie das Grinsen des Kapitäns in ihrem Nacken spüren konnte. „Und, was hast du gefunden?“, fragte dieser unverhohlen. „Ein T-Shirt.“ Shanks prustete hinter vorgehaltener Hand. „Freizeitparkpirat.“ Kontrolliert zog Kiara die Luft ein. „Jedenfalls“, fuhr sie fort, „sollte es sich um eine Insel handeln. Die kann man aus der Entfernung noch gut erkennen.“ Es dauerte noch eine kleine Weile, bis Kiara sich aus den Kombinationen aus Symbolen und Zahlen auf der Rückseite einen Reim machen konnte und auch was die Liste an Namen damit zu tun hatte. R1, G20, T2, N9 – Moment. Aus den Symbolen erkannte sie die vier Himmelsrichtungen mit je einem Zahlenpartner. „Okay, hier haben wir definitiv unsere Kandidaten für das Koordinatensystem. N9, O12, S13 und W26. Die Frage ist nur, welche beiden sind die Antwort?“ „Wie sieht es aus mit W26 und S13?“, meldete der Vize sich zu Wort. „Wenn das die Initialen der Namen darstellen sollen, stehen sie doch für William Zach und Steven MacLeod, oder? Und das sind von dieser Liste die einzigen beiden, deren Anfangsbuchstaben nicht in Libertalia vorkommen.“ „Dann könnte es aber auch genau anders herum sein. Was wenn es Otis Lawson und Nora Irwin sind? Also O12 und N9, eben weil sie im Namen der Insel vorkommen?“, überlegte auch der Kapitän mit. Kiara drehte das Blatt wieder auf die Seekartenseite, um sich die Punkte genauer anzusehen. Der eine verwies auf eine Insel westlich vom Sabaody Archipel. Der andere Punkt sollte sich direkt südlich von Archipel befinden und verzeichnete keine weitere Insel an dieser Stelle. „Eine Insel, die niemand kennt?“, warf die Piratin in den Raum. Der Kapitän grinste siegessicher. „Wir sind gerade eh auf dem Weg in die Neue Welt. Dann können wir uns in der Gegend ja mal umsehen.“ „Da ist nur eine Sache“, unterbrach der Vize und tippte auf eine Symbol-Zahlenkombination, welche auf Kiaras Notizen ganz für sich stand. „Was ist mit diesem Kürzel, hier? G20, dafür gibt es keinen passenden Namen auf der Liste.“ Kiara zog die Decke enger um sich herum, da es ihr nach getaner Arbeit doch langsam zu frösteln begann. „Vielleicht hat sich der Rätselsteller damit verewigt. Oder es sollte einfach nur in die Irre führen.“ Sie tat es als unwichtig ab, aber im Kopf ging sie das Alphabet durch, um sicher zu gehen, welcher Buchstabe an zwanzigster Stelle stand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)