Libertalia von -Kiara ================================================================================ Kapitel 4: Wetterumschwung -------------------------- Eine dichte, graue Wolkendecke hing über dem Horizont auf den die Red Force zusteuerte. Zwar war es Mittagszeit, doch ließ sich die Sonne an diesem Tag kein Stück blicken. Mit halben Segeln fuhr sie gemütlich ihrem Ziel entgegen. In wenigen Tagen sollte die Rothaarbande die nächste Insel ihrer Route erreichen. Allmählich sanken die Temperaturen zum Minuspunkt und statt Regentropfen rieselten still weiße Flocken auf See und Schiff herab. Die Mannschaft bespaßte sich damit, anderen Crewmitgliedern kleine Eishäufchen in den Kragen zu stecken oder die Flocken mit der Zunge aufzufangen. Vorsichtig und in ihren etwas zu großen Mantel gewickelt, steckte Kiara die Nase aus dem Quartier. Skeptisch beäugte sie das Treiben der Crew und traute sich kaum auch nur einen Schritt nach draußen zu treten. Die Luft war beißend kalt und roch merkwürdig frisch und klar. Sie war sich nicht sicher, ob sie überhaupt tiefer einatmen sollte. Die Flocken, welche vom Himmel rieselten, erinnerte sie an Ascheregen, wenn der Vulkan auf Blood Island stärker ausbrach als sonst. „Hey, Kleine!“, rief der glatzköpfige Pirat, mit dem sie gelegentlich Schwertkämpfen übte. Die Angesprochene wandte den Blick nichts ahnend in seine Richtung und bekam dafür einen kalten Klumpen ins Gesicht geworfen. Kiara zuckte zusammen und fasste sich reflexartig an die getroffene Stirn. „Los, mach mit!“, spornte der Trainingspartner sie an und sammelte mehr des weißen Pulvers vom Deck auf. Irritiert betrachtete sie die weißen Kristalle auf ihrer Handfläche, welche sich schnell verflüssigten und als bloße Wassertropfen ihren Arm hinunter tropften. „Was-?“, stammelte sie. „Was ist das?“ Die Crew um sie herum, beäugte sie belustigt und lachte unverhohlen. „Das ist Schnee!“ Erstaunt sah sich Kiara die Flocken, welche aus dem Himmel rieselten genauer an. Sie landeten auf ihren Wimpern, Wangen und Lippen und tropften ebenfalls sogleich hinab. Jede Berührung fühlte sich nicht ganz unähnlich eines feinen Nadelstichs an, doch es störte sie kaum. „Das ist Schnee?“, wiederholte sie ehrfürchtig. So etwas kannte sie ganz und gar nicht. Sie war auf tropischen Inseln aufgewachsen, selbst Frieren war ihr fremd. Lediglich von Erzählungen ihrer Mutter oder den Seefahrern hatte sie gehört, dass es eine Jahreszeit gab, zu der alles ganz kalt und ruhig wurde und sich plötzlich Hügel und Berge auftürmten, wo sonst keine waren. Die Neugierde packte sie und mit Begeisterung sprang sie raus an Deck um das Phänomen ordentlich zu untersuchen. Von seinem Platz auf dem Poopdeck aus beobachtete der Kapitän die junge Piratin mit einem Schmunzeln auf den Lippen. „Du kannst sie mit der Zunge einfangen, etwa so!“, erklärte ein Crewmitglied fachmännisch, streckte die Zunge heraus und legte den Kopf in den Nacken für maximale Landefläche. Interessiert tat Kiara es ihm gleich. „Das schmeckt nach gar nichts!“, protestierte sie daraufhin, was erneut amüsiertes Gelächter aus der Mannschaft hervorkitzelte. Daraufhin zeigte man ihr, wie man Schneebälle formte um andere damit abzuwerfen. Shanks war zur Abwechslung auf heißen Rum umgestiegen. Es kam ihm seltsam vor, nur eine Hand an dem Becher wärmen zu können. Vor seinem inneren Auge, konnte er immer noch sehen und spüren, wie auch seine linke Hand die Keramik umfasste. Er fragte sich, ob dieses Gefühl jemals verschwinden würde. Mit einem Mal kam Kiara die Treppe hinauf gestürmt und rutschte beinahe aus, da die Stufen vom Schnee und Wind leicht vereist waren. Nichtsdestotrotz strahlte sie ihn überschwänglich an. „Sieh mal, ich kann Wasser einfach so in einer Hand halten!“, grinste sie stolz und zeigte ihm den kleinen Schneeball in ihrer Handfläche. Ihre Naivität trug sehr zur Erheiterung aller bei. „Wie ein kleines Kind“, kam es heiter grölend vom Hauptdeck. „Ist doch süß“, entgegnete ein anderer, der mindestens genauso breit grinste. Ihre Begeisterung war zu ansteckend. Shanks kam eine Idee. „Stell dich mal unter die Palmenblätter.“ Kiara legte den Kopf schief, doch tat wie ihr geheißen. Ihr war nicht entgangen, dass die Blätter ebenfalls deutlich heller und von einer dünnen Schicht des weißen Pulvers bedeckt war. Der Rothaarige trat zu ihr und gab dem Stamm einen kräftigen Schlag gegen die Rinde. Die Palme zitterte, das brachte die Blätter ins Wanken und der Schnee rutschte herunter und berieselte Kapitän und Piratin gleichermaßen. Sie lachte halb gequält auf und versuchte sich das kalte Zeug aus dem Nacken zu streichen. „Wo wir hinfahren, gibt es davon noch viel mehr“, grinste Shanks sie an und strich ihr noch einige Flocken von den Schultern des blauen Mantels. „Ist dann die ganze Insel mit Schnee bedeckt?“, fragte sie und die Vorstellung allein ließ ihre Augen funkeln. Der Schnee in ihrem Nacken tropfte kalt ihren Rücken hinab und sie schauderte. Der Kapitän nickte bestimmt. „Dort wird der Schnee einige Meter hoch liegen. Wir sollten dir dafür etwas Warmes zum Anziehen finden.“ Er hob seinen linken Arm und wollte sie dazu einladen, Schutz unter seinem Umhang zu finden. Leider vollzog er nicht ganz die Geste, die er wollte. Kiara schien die Regung des schwarzen Stoffes allerdings richtig zu deuten und nahm den Saum selber in die Hand, um darunter schlüpfen zu können. „Dabei trage ich doch schon Stiefel und Mantel. Du hingegen hast immer noch deine Sandalen an. Und überhaupt, bei dir liegt so viel Haut frei!“, bemerkte sie spöttisch, besah sich seine nackten Füße, Beine und das halb offene Hemd. „Aber ich bin größer und habe Muskeln die mich warmhalten. Deine Haut ist dafür so dünn, dass jeder Kratzer gleich rot leuchtet“, konterte Shanks und tippte zum Beweis auf die errötete Stirn, wo sie der Schneeball getroffen hatte. „Glaub mir, wenn du deinen Körper nicht warm genug hältst, frieren dir die Gliedmaßen ab.“ Kiara starrte entsetzt zu ihm hoch. „Das geht?!“ „Deine Finger sind jetzt schon rot. Danach werden sie weiß, dann blau und dann…“ Voller Schreck stellte sie fest, dass er recht hatte und ihre Hände wirklich bereits ungewöhnlich rötlich und blass waren. Instinktiv schlang sie ihre Arme um den Oberkörper des Rothaarigen und krallte sich in den körperwarmen Stoff seines Hemdes. Shanks lachte herzlich auf. „Gut, noch ist es nicht kalt genug und so schnell passiert das auch nicht. Aber schön, dass du so einsichtig bist.“ „Erzähl mir keine Märchen, ich hab‘ doch keine Ahnung von Schnee!“, klagte sie und spürte wie ihr Gesicht vor Schamesröte immerhin wieder wärmer wurde. Den Griff lockerte sie trotzdem nicht. Die klammen Hände dankten es ihr. Gerne hätte der Kapitän seinen Arm um ihre Schultern gelegt, leider stand sie dafür auf der falschen Seite. Da sie im Vergleich zu ihm so klein war, strich das Überbleibsel seines Armes gerade mal über ihre Schulter. Der verknotete Ärmel seines Hemdes baumelte beinahe tätschelnd über ihr Schulterblatt. Nun, der Gedanke zählte. „Ich habe eine Aufgabe für dich“, sagte der Kapitän schließlich. „Wenn wir auf Avalugg Island ankommen, möchte ich, dass du mit Beckman zum Pfandhaus gehst. Dann kannst du zeigen, wie gut du im Verhandeln bist.“ „Damit du mehr Geld für Fusel hast, was?“, grinste die Piratin schelmisch zu ihm auf. Der Rothaarige strich sich intuitiv über den feinsäuberlich getrimmten Kinnbart. „Es sind die kleinen Freuden im Leben“, zwinkerte er ihr zu. Die nächsten Tage verstrichen in Windeseile. Vielleicht weil die Crew sich zunehmend damit bespaßte kugelrunde Männer zu bauen und Schneeballschlachten zu veranstalten. Die weißen Massen sorgten für viel Heiterkeit. Sehr zum Wohlgefallen des rothaarigen Kapitäns brachten die sinkenden Temperaturen die junge Piratin immer öfter dazu seine wärmende Nähe aufzusuchen. Jeden Morgen machte sie es ihm schwerer das behagliche Bett zu verlassen. Und jeden Morgen ertappte er sich dabei, dieser Bitte und seiner eigenen Neigung mehr und mehr nachgeben zu wollen. Sie nahm es ihm deutlich übel, dass er sie nach der Landung in einen ungefähr zwei oder drei Meter tiefen Haufen Neuschnee schubste, als sie gerade begeistert dabei war die Landschaft zu inspizieren. Shanks konnte es einfach nicht lassen, diejenigen die er mochte, hin und wieder ein wenig zu triezen. „Soll ich die Kleine mitnehmen, Boss?“, vergewisserte sich der Vize, der mit einigen Truhen und Säcken voller Gold und Silber beladen war. Fünf weitere Männer teilten den restlichen Großteil ihrer Beute der vergangenen Wochen untereinander auf, um so viel wie möglich zu tragen. „Ja, lass sie mal machen“, bestätigte der Kapitän und warf einen amüsierten Blick darauf, wie sich die Piratin einige Meter entfernt den Schnee aus der Kleidung und den Haaren klopfte. „Sie erzählte, dass sie auf einem Handelsschiff war. Und ihre Heimatinseln sind mit Piratenschätzen reich geworden. Da wird sie wohl einiges an Expertise haben, die wir nutzen können.“ Gleichgültig zuckte er mit den Schultern. „Und wenn nicht, dann lernt sie was von dir.“ „Hätte nicht gedacht, dass du mir mal einen Lehrling an die Backe drückst“, entgegnete Beckman dezent amüsiert und schulterte den unförmigen Sack erneut, da dieser ihm zu verrutschen drohte. Anschließend ging er die Piratin für den gemeinsamen Landgang einsammeln. Der Pfandleiher stellte sich als genauso knauserig heraus, wie Beckman es von jeder anderen Insel gewohnt war. Mit leiser Stimme unterbreitete er ihnen ein Angebot, welches vermutlich nicht einmal ihre Kosten an Proviant decken würden. „Das ist doch wohl ein Scherz. Ihr kriegt nachher über Auktionshäuser doch das fünffache dafür raus!“, empörte sich Kiara, welche neben dem Vize Platz nehmen sollte, um dem Verhandlungsgespräch besser folgen zu können. „Es ist kein schlechtes Angebot, wenn man bedenkt, dass ihr das ganze Zeug eh nur geklaut habt“, kam die schroffe, geflüsterte Antwort des Pfandleihers. Kiara verschränkte die Arme vor ihrer Brust. „Wir kaufen hier für das Geld Proviant, Kleidung, Materialien – und überhaupt die ganze Kost und Logie während wir hier ankern. Ihr könnt nicht erwarten, dass wir mit Plus-Minus-Null rausgehen. Sehen wir aus wie die Wohlfahrt oder was.“ „Wenn du uns mehr Geld gibst, können wir auch mehr ausgeben, nicht wahr? Wäre doch schade, wenn wir jeden Berry zweimal umdrehen müssen“, setzte Beckman nach. „Gewinn machst du so oder so.“ Erfolgreich leierten die Piraten mit ihrer Unablässigkeit dem Pfandleiher gut das dreifache seines ursprünglichen Angebots aus dem Ärmel. Damit sollten sie die Mannschaft für einen beachtlichen Zeitraum bei Laune halten können. „Verkaufsgespräche kenne ich sonst nur anders herum“, lachte Kiara, nachdem sie das Pfandhaus mit Truhen und Säcken voller ordentlich gepresster Scheine und einer Menge abgezählter Münzen verließen. „Wobei ich Preise auch gerne mal erhöht hab, wenn die Kunden meinten, mich untereinander auf anderen Sprachen zu beleidigen.“ Beckman blies einen Schwall Rauch aus dem Mundwinkel. Er konnte seine Angewohnheit Zigaretten zu frönen nicht ablegen, selbst wenn seine beiden Hände belegt waren. „Haben sie dir deine Waren dann trotzdem noch abgekauft?“ „Nachdem ich ihnen erzählt hab, dass die anderen Händler ihr Zeugs so billig verscherbelten, weil sie Sklaven die Arbeit machen lassen, haben sie sogar sehr gerne noch etwas draufgezahlt“, entgegnete Kiara stolz. „Man macht sich schnell Freunde, wenn man ihre Landessprache spricht. Oder wenn man weiß, welcher Seite sie angehören.“ Sie schürzte die Lippen. „Aber ich wurde auch oft genug beschissen. Einmal haben sie mir Katzengold angedreht.“ „Deshalb benutzt man inzwischen weltweit eigentlich nur noch den Berry um zu bezahlen“, erklärte der Vize sachlich. Kiara prustete spöttisch, als sie an die ulkigen Abbildungen auf den Münzen und Scheinen der Währung dachte. „Shanks sagt, ich lebte in einem Piratenfreizeitpark, dabei habt ihr eindeutig das Spielgeld.“ Geld blieb das Thema, als sie sich später um ein aufgebautes Lager herum zusammensetzten und die Beute genauer begutachteten. „Der Mistkerl hat uns Zweitausender Scheine gegeben“, knurrte Beckman, der sich ärgerte, dies nicht vorher bemerkt zu haben. „Sind die gefälscht?“, fragte Kiara nach. „Nein, das ist echtes Geld. Aber diese Scheine werden nur von der Marine oder Weltregierung für Kopfgelder ausgezahlt. Das heißt, nur Kopfgeldjäger oder Piraten die einander ans Messer liefern, bezahlen mit denen.“ Die Piratin nickte andächtig. „Das Geld geht quasi dem Ruf voraus.“ Der Kapitän nahm sich einen ordentlichen Batzen aus der Truhe. „Naja, als Piraten haben wir den schlechten Ruf sowieso erstmal weg. Geld ist Geld. Also, wer macht mit mir eine Sauftour?“ „Ah, Boss, was ist eigentlich mit der Karte?“, erinnerte ihn Yasopp an ihr Fundstück vor einigen Tagen. „Wenn du die noch verkaufen willst-…“ „Da sagst du was!“ Er wandte sich zu Kiara um. „Ich hab‘ da etwas, was du dir ansehen solltest. Erinnere mich heute Abend… oder lieber morgen nochmal daran.“ Und mit diesen Worten trat der Kapitän den Weg ins nächste Gasthaus an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)