In another life the sea is in the sky (Teil 1) von YoungMasterWei (Searching for the smile of the moon) ================================================================================ Kapitel 22: ------------ Als Wangji am Morgen erwachte, saß Yi Ling noch immer bei dimmen Kerzenschein über seiner Kleidung und nähte die Talismane ein. Trotz, dass er vor ihrer Rückkehr in ihr Zimmer, gemeint hatte sich müde zu fühlen, bestand er darauf, wenigstens noch etwas Näherei hinter sich bringen zu wollen. Es war deutlich, dass dieser seitdem nicht geschlafen hatte. Auch schien er nicht zu bemerken, dass Wangji munter geworden war und so machte er auch nicht auf sich aufmerksam. Stattdessen schaute er ihm zu. Oder, so verwies ihn eine mahnende Stimme in seinem Kopf, er schaute ihn an. Etwas, das sich nicht ziemte und doch setzte er sich über diese Regelung hinweg. Dieser saß nur mit seiner Unterkleidung bekleidet vor dem Tisch und schien über seine Arbeit in einem tranceartigen Zustand vertieft. Warmes Licht ließ Schatten über ihn tanzen, gab seinen müden Augen einen Hauch von Lebendigkeit, die nicht vorhanden war. Er dachte an dessen Worte zurück. An die Melancholie, die diese umfangen gehalten hatte. „Ich sollte dankbar sein, nicht wahr? Das ich am Leben bin, auch wenn es nur solch eines ist.“ Yi Ling, wie er ihn kennengelernt hatte, schien fern von Traurigkeit und Ernst. Ein ungebändigter Freigeist mit schamlosen Allüren. Eine Verkörperung des menschlichen Lebens, wie es sich die meisten ersehnten. Wieviel davon, war am Ende nur ein gut eingeübtes Schauspiel? Wieviel Schmerz und Zweifel mochten hinter dieser Fassade der Leichtlebigkeit tatsächlich verborgen liegen? Wangji wusste nur zu gut, um das eiserne Zähmen von Emotionen. Die Kraft die es kostete, sie unbemerkbar zu machen. Die Nächte voller Hilflosigkeit, wenn sie sich doch wieder hervorstahlen und man es nur mit sich selbst ausmachen konnte. Die Leere, wenn man sich ihnen gegenüber in verbissene Ignoranz zwang. Womöglich, war Yi Ling´s Leichtsinn ebenso damit verbunden. Das dieser sein Leben viel zu oft und zu schnell bereit war zu riskieren. Vielleicht sah er es als dankbarer an, es für eine noble Sache zu geben, als es einfach nur zu verschwenden? Es waren alles Fragen, die er nicht fragen würde. Auch nicht glaubte, dass man sie ihm beantworten wolle. Ein Zischen drang an seine Ohren und er konnte sehen, wie Yi Ling auf das Blut schaute, das aus einem seiner Finger tropfte, in welchen er sich mit der Nadel gestochen haben musste. „Mist.“ Er ließ den Stoff sinken und rieb sich mit der unverletzten Hand über sein Gesicht, eine deutliche Geste, dass er übermüdet war. „Lass es mich zu Ende führen.“ Wangji war aus seinem Bett aufgestanden, noch bevor er seine Worte zu Ende gesprochen hatte und er auf Yi Ling zuging. Dieser schaute ihn mit schlafschweren Augen an und wirkte, als habe er gar nicht mitbekommen, was er ihm gerade vorgeschlagen hatte. Doch dann nickte er kurz und mit einem gemurmelten „Danke.“, kroch er schlicht auf allen Vieren zu seinem Nachtlager, hievte sich darauf und war nach einem erschöpften Seufzen auch schon eingeschlafen. Wangji nahm dessen Platz am Tisch ein und setzte die Arbeit fort. Sie hatten vor, sich über den Tag im Ort etwas umzuhören. Womöglich war jemandem etwas zu Ohren gekommen oder irgendwer hatte gar etwas gesehen, dass ihnen bei ihrer Suche behilflich sein konnte. * Wangji ließ Yi Ling weiter schlafen, als der Tag soweit angebrochen war, das sich der Ort rege zu zeigen begann und er beschlossen hatte, schon einmal ein paar Informationen zu sammeln. Wenn es denn welche geben sollte. Sie wussten bis jetzt nicht mehr, als das der Ursprung der Yin-Verseuchung des Sees, über den unterirdischen Fluss begann. Ein Fluss, der noch über mehrere 100 lǐ (abhängig von der Dynastie, ist 1 lǐ 300-500m) hinweg, unterirdisch würde bleiben können und sie so womöglich gar keine Chance finden würden, dem Übel tatsächlich ein Ende zu bereiten. Auf seinem Weg durch die Straßen, kaufte er hier und da noch ein paar Dinge, die für ein gutes Frühstück reichen sollten, doch konnte ihm keiner der Händler etwas berichten, das nützlich erschien für ihre Mission. Er fand sich schließlich in einer der Straßen wieder, wo sie auch gestern schon gewesen waren und erkannte den Stand, bei welchem Yi Ling den Kamm für Wen Qing kaufte. Das guān (Haarornament), das ihm Yi Ling wieder ausgeredet hatte, stand noch immer zum Verkauf. Die Dame des Standes schien ihn ebenso wiederzuerkennen und lächelte über seine Rückkehr erfreut. „Es ist wirklich eine hübsche Arbeit, nicht wahr? Ich denke auch, dass es ihrem Freund recht gut stehen würde.“, meinte sie über seinen Blick darauf, auch wenn es nur dazu dienen sollte, etwas von ihrer Ware an den Mann zu bekommen. Und, so sagte er sich, warum sollte er ihr nicht etwas bei ihrem Geschäften helfen, indem er ihr etwas abkaufte? Er hatte das guān gerade dankend von der Händlerin entgegengenommen und in seinem Ärmel verstaut, als sich eine weitere Person an den Stand gesellte. Ihre Blicke trafen sich kurz und Xiāo Míngqín lächelte ihn über seinen Fächer erkennend an, bevor er sich etwas verbeugte. Xiāo Míngqín hatte darauf beschlossen, ihm zurück in die Herberge zu folgen, war er nur auf einem kleinen Spaziergang gewesen und bestand abermals darauf, sie zum Frühstück einzuladen, als Wangji meinte, dass er damit noch auf Yi Ling gewartet habe. Es war schwer eine Lücke in dessen Schwatzen zu finden um abzulehnen, doch dann dachte er, dass Yi Ling vielleicht das Beisein einer gesprächigeren Person am Tisch begrüßen würde. Yi Ling schlief noch immer als er zurückkam, doch wachte er langsam auf, als er das Essen, das er gekauft hatte, nun als Reiseproviant verstaute. „Xiāo Míngqín wartet unten, dass wir ihm beim Frühstück Gesellschaft leisten. Er bestand darauf. Ich nahm an, es ist in deinem Sinne?“, informierte er Yi Ling, der sich mit einem Grummeln auf den Rücken rollte. „Ja ok. Bin gleich soweit.“ Damit raffte er sich auf und patschte mit nackten Füßen zum Waschzuber.Dann zog er sich, und es war ebenso merkwürdig, wie sein Puls darauf reagierte, bis auf seine untere Hose aus, das Wangji für einen Moment nicht wusste, was er in dieser Situation tun sollte, um nicht so unbeholfen zu erscheinen, wie er sich alberner Weise gerade fühlte. Er hatte Yi Ling schon öfter so gesehen und er hatte sich nie derart peinlich berührt darüber gefühlt. Zum Glück, schien Yi Ling nichts von seinem inneren Tumult zu bemerken, setzte er schlicht an sich zu waschen. Bei seinen Haaren gab er allerdings ein ergebenes Raunen von sich, als er mit seinen Fingern versuchte die Knoten darin wieder etwas zu entwirren. Dessen Haare waren meist ein rechtes Durcheinander, schenkte er diesen nie unnötig viel Aufmerksamkeit. Wangji nahm den Kamm, den er benutzte, aus seinem Beutel, während sich Yi Ling seine Arbeit der letzten Nacht anschaute, die er für ihn zu Ende gebracht hatte. „Ah, da hab ich dich wirklich mit dieser Sache sitzen lassen, hm? Ich dachte, ich hab es nur geträumt.“, meinte er etwas verlegen, über diesen Irrtum. „Mn. Dafür steht mir etwas frei.“, meinte Wangji ernst, das es ein kleines Vergnügen war, Yi Ling´s etwas dümmliche Miene auf seine, für ihn offensichtlich unerwartete Forderung, einzufangen. „Ich hab wirklich einen schlechten Einfluss auf dich. Aber ja, du hast etwas gut bei mir. Was möchte der große Lan xiān shī von diesem unwürdigen Schergen?“ Er verbeugte sich darauf noch theatralisch tief, das Wangji ihn an den Schultern griff und nach unten drückte, dass er zum Sitzen auf dem Boden kam. Das sich Yi Ling darüber eine schamlose Bemerkung nicht verkneifen konnte, war zu erwarten. „Das Bett ist gleich hier. Lan Zhan. Oder ist das eine von deinen wilden Fantasien?“ Und natürlich lachte er innig über den zurechtweisenden, wenn nicht auch etwas genervten Blick, den er ihm auf diesen Nonsens schenkte. „Oh.“, kam es darauf leise überrascht, als er sich hinter ihn begab und er den Kamm mit effizienten Strichen durch dessen dicke Haarfluten gleiten ließ. Yi Ling´s Körper entspannte sich sichtlich, rutschte er ein stückweit in sich zusammen und gab ein angetanes Brummen von sich, über diese Zuwendung. Als er fand, dass dessen Haare glatt genug waren, setzte er an einen Teil davon zu nehmen und sie in einem hohen Zopf mit seinem roten Haarband zusammen zu binden. Wangji fiel auf, dass Yi Ling dieses ebenso mit einem Schutzzauber versehen haben musste, war es trotz des langjährigen Tragens, immer noch fest und soweit unversehrt. Zwei leichte Strähnen ließ er ihm darauf noch von der Stirn her ins Gesicht fallen, das es ihm einen jugendlichen Charme verlieh. Dann nahm er das guān aus seinem Ärmel und band es um den Zopfansatz. Mit einem letzten, prüfenden Blick auf sein Werk, erhob er sich. Yi Ling murrte enttäuscht und öffnete seine Augen wieder, die er über seine Haarpflege geschlossen hatte. Er bewegte seinen Kopf leicht hin und her, bemerkte er wohl, dass an seiner Frisur diesmal etwas anders war, als sonst. Mit Bedacht, reichte er mit einer Hand an seinen Zopf und strich folglich mit seinen Fingern und einem fragenden Laut, über das guān. Er erhob sich darauf ebenso und ging zum Bronzespiegel hinüber, der sich in einer Ecke ihres Zimmers befand. „Lan Zhan, wann…“, fragte er verwundert über seine Reflektion darin, während er abermals das guān berührte. „Heute Morgen.“, war seine simple Antwort und er hoffte Yi Ling würde es nicht weiter hinterfragen, hatte er selbst keine richtige Erklärung dazu. Yi Ling beließ es, unerwartet, auch dabei. Schenkte ihm aber ein zufriedenes Lächeln, das Wangji sich ebenso zufrieden fühlen ließ. Bis Yi Ling forderte zu wissen, ob er hübsch aussehen würde und Wangji diese Frage für einen Moment, nicht als dessen übliche Neckerei auffasste, sondern sich ihn wirklich einmal mit dem Gedanken betrachtete, wie dessen Erscheinung zu beschreiben sei. Yi Ling war keines falls unattraktiv und das wusste dieser auch. Sein Selbstbewusstsein war nahezu eine eigene Form. Wie andere Menschen zum Beispiel, groß oder beleibt waren. Würde er ihn auch als hübsch bezeichnen? Nein zu sagen, fühlte sich falsch angesetzt an. Lügen war zudem verboten in ihren Grundwerten. „Yi Ling kann durchaus ansprechend erscheinen.“ Dieser schaute ihn mit großen Augen an, als wartete er noch auf eine passende Pointe. „War es keine zufriedenstellende Antwort?“, erkundigte sich Wangji, denn selbst wenn es Yi Ling als einen Scherz aufgefasst hatte, sollte er mit seiner Bestätigung zu dessen Frage doch trotzdem sein Ziel erreicht haben. Yi Ling lachte darauf etwas überfordert klingend. „Schon, aber wenn du es mit solch einem ehrlichen Ton sagst, könnte man fast denken, du meinst es tatsächlich ernst.“ Wangji stellte nicht zum ersten Mal fest, das Yi Ling wohl selbst nicht recht zu wissen schien, was er auf seine Albernheiten zu hören bekommen wollte und sagte somit nichts mehr dazu. Das Knurren von dessen Magen erinnerte sie wieder daran, das sie zum Frühstück geladen waren und so verließen sie das Zimmer kurz darauf. Lan Zhan ließ ihn wissen, dass er nichts Brauchbares über seine morgendlichen Besorgungen hatte herausfinden können. Doch es zeigte sich, das Xiāo Míngqín etwas zu erzählen hatte, als er ihm sagte, dass sie nach ungewöhnlichen Begebenheiten Ausschau hielten. Auch wenn er den eigentlichen Grund hinter der Erklärung verbarg, das sie nach etwas Spannung und Abenteuer suchten. Eineinhalb Tage von hier, in Richtung Norden, so habe er gehört, solle es eine Miene geben in der Unheimliches vor sich ginge. Viele der Arbeiter seien spurlos verschwunden, ohne das es auch nur das geringste Anzeichen gäbe, was ihnen zugestoßen sein könnte. Zuerst hatte man gemeint, dass sie sich mit dem geschürften Gut schlicht aus dem Staub gemacht hätten. Durch einen versteckten Ausgang womöglich. Andere meinten, dass sie verschleppt worden waren, gab es Gerüchte, dass der hiesige Magistrat Männer wegholte, um sich ein aufwendiges Anwesen bauen zu lassen. Dessen unmenschliche Ausbeutereien, waren kein Geheimnis in dieser Gegend. Wieder andere tuschelten, dass ein Monster in den Schächten sein Unwesen trieb, das die Erde zum Beben brachte, begleitet von seltsamen und furchteinflößenden Geräuschen. Xiāo Míngqín schüttelte über diese Möglichkeit eingeschüchtert den Kopf und fächelte sich etwas eifriger Luft zu. „Unheimlich, nicht wahr? Ich würde für nichts in der Welt freiwillig solch einen Ort aufsuchen.“ Er wirkte tatsächlich etwas blass um die Nase, brachte ihn wohl schon der bloße Gedanke in Panik. Norden war ebenso die Richtung in die die Waldseelen sie hatten weisen können, was den Verlauf des unterirdischen Flusses anbelangte. Es wäre somit einen Versuch wert, einmal dort vorbeizuschauen. „Habt ihr den Namen des Ortes, zu dem diese Miene gehört?“, erkundigte sich Yi Ling und blickte kurz zu Lan Zhan, der seine Absicht verstanden hatte und ihm ein knappes aber verstehendes Nicken zukommen ließ. „OH, sagt nicht, das ihr euch tatsächlich dorthin wagen wollt?! Was, wenn es wirklich solch ein grässliches Monster ist?“ Yi Ling lächelte mitfühlend, über das Entsetzen des Mannes vor ihm. „Wir wollen nur mal schauen. Sollte es ein Monster sein, dann kehren wir natürlich sofort wieder um.“ Xiāo Míngqín wirkte dennoch, als habe er den Verstand verloren, freiwillig solch ein Risiko auf sich zu nehmen, gab aber nach einem langgezogenen Raunen und Yi Ling´s nicht wankenden Eifer, nach. „Wenn ich mich recht erinnere, war der Name etwas mit Feuer…uhm…ah, ich hab es wieder; Shúshuì Huǒ (schlafendes Feuer) *** Sie hatten sich von Xiāo Míngqín verabschiedet, der meinte, sollten sie von einem Ungetüm erwischt werden, dann habe er damit nichts zu tun, und das sie ihn nicht als Rachegeister heimsuchen sollten. Yi Ling hatte ihm als Sicherheit, einen seiner Abwehrtalismane gegeben, auch wenn der andere nicht wirklich wissen konnte, das dieser, sollte es erforderlich sein, solch eine Wirkung haben würde. Dennoch hatte man sein Geschenk begeistert angenommen, machte Xiāo Míngqín den Eindruck, als wäre er über jegliche Art von Heilbringung dankbar. Basaltpfeiler wuchsen wie steinerner Bambus aus dem Berg und gaben ihrem Weg hinauf einen faszinierenden, pittoresken Hintergrund. Sie hatten Shúshuì Huǒ noch nicht erreicht, doch spürte man bereits, dass etwas nicht stimmte, je näher sie dem Dorf kamen. In der Luft hing eine unterschwellige Bitterkeit fest, was nichts Gutes erahnen ließ. Zudem war es unnatürlich ruhig. Kein Rascheln im Unterholz oder in den Baumwipfeln. Kein Vogelzwitschern oder Insektensurren. Lan Zhan sprach aus, was er selbst bereits wie einen beständigen Hauch hatte wahrnehmen können. „Es liegt eine schwache Yin Konzentration auf der Umgebung.“ Yi Ling nickte beipflichtend. „Nicht konzentriert genug, um tatsächlich Schaden anrichten zu können. Aber womöglich war es zuvor stärker und dies war, was übrig blieb?“ Es gäbe darauf die Möglichkeit, das, was auch immer diese Spur an Yin zurückgelassen hat, entweder ein hochgradiges Yāoguài war, welches bereits wieder verschwunden sein konnte, und das Yin deswegen nicht mehr Kraft besaß. Oder aber, dass es sich um ein minderwertiges Monster handelte, das womöglich noch irgendwo in der Nähe sein Unwesen trieb. Beides waren jedoch Optionen, die für das Dorf, so oder so, ein Unglück gewesen sein könnte. Sie schritten weiter den ausgetretenen Pfad entlang, bis die ersten Hütten des Ortes in Sichtweite kamen. Es waren zwei simple Häuser, am Rande der Siedlung, vom einfachen Volk gebaut und bewohnt. Ein Nutzgarten war zu erkennen, doch waren sämtliche Pflanzen verdorrt. Auch hier war immer noch kein Anzeichen von Leben wahrzunehmen. Es gab Ställe, doch kein Tier war zu sehen oder zu hören. „Das ist alles mehr als wunderlich.“, murmelte Yi Ling und nach einem prüfenden Blick vom Zaun her auf das Grundstück, betrat er es. Es gab nichts wirklich Auffälliges. Nichts das anzeigte, das etwas vorgefallen sein musste. Der Grund um das Haus, war nicht unordentlicher, als es für eine Arbeiterfamilie üblich wäre. Am Haus angekommen, klopfte Yi Ling dennoch an, nur um sicher zu gehen, das sie auch wirklich die einzigen hier waren. Es tat sich nichts und er schob die Tür schließlich vorsichtig auf. Auch im Inneren war alles recht normal. Die Feuerstelle zeigte, dass schon Tage kein Feuer mehr gebrannt hatte, wie auch das verrottete Gemüse darauf hindeutete, dass das Haus schon länger nicht mehr bewohnt worden war. Er stöberte etwas durch das Hab und Gut, was ihm von Lan Zhan eine Ermahnung in Bezug auf die Achtung der privaten Dinge Anderer einbrachte. Aber es war ja auch nicht so, als habe er vor etwas zu entwenden. Es ging schlicht darum nach Hinweisen zu suchen, was er diesem auch sagte. „Nichts. Absolut gar nichts.“ Yi Ling hielt sich eine Hand über die Augen, als er nach oben in den Himmel schaute, um sich ein Bild über die Tageszeit zu machen. Wèi shí. (13-15 Uhr) Sie hatten sich beide Gebäude angesehen, aber nichts Brauchbares herausgefunden. Doch, das musste nichts heißen, weswegen sie sich weiter begaben. Im Herzen des Ortes, war es jedoch ebenso totenstill. Die Straßen waren leer, wie es auch die Häuser schienen. Es war zudem schwer zu sagen, ob das, was man an Verwüstung ausmachen konnte, einem bestimmten Grund unterlag, oder ob nicht einfach ein paar wilde Tiere ihre Chance genutzt hatten, hier etwas Essbares finden zu können. Sie hatten keine Angaben, wie lange das Dorf bereits ohne Bewohner war. Yi Ling konnte ebenso nicht übergehen, dass es immer anstrengender wurde zu atmen, wirkte die Luft zäh und dickflüssig in seinen Lungen. „Lass mich etwas versuchen.“, teilte er Lan Zhan mit und zog Chénqíng aus seinem Gürtel. Die Melodie die er spielte, hatte etwas Aufgewühltes, doch legte er keinen aggressiven Ton hinein, auch wenn es für das Ohr etwas Disharmonisches wiedergab. Vielmehr sollte sie für ihn auf die Suche gehen, ihnen, wenn möglich, den Weg weißen, was die zerstobene Yin-Energie anginge, sollte ihre Quelle noch irgendwo zu finden sein. Wangji verfolgte die schwarzen, rauchartigen Schwaden, die Yi Ling mit seinem Spiel hervorrief, und es ihn an die Nacht zurückerinnerte, als er ihn zum ersten Mal hatte spielen hören. Und genau wie damals, erinnerten ihn die dunklen Nebel-Silhouetten an hungrige Biester die Beute gewittert hatten, stiegen sie in einem Wirbel auf und zerstreuten sich in sämtliche Richtungen. Auch wenn Wangji sich nun mehr als bewusst war, welche Kraft Yi Ling zu dirigieren vermochte, so legte sich dennoch ein klammes Unbehagen über seine Haut, je länger er dieser ungeschliffen klingenden Melodie zuhörte. Das rote Funkeln war das erste was er sah, als dieser seine geschlossenen Augen plötzlich aufschlug und er Chénqíng von seinen Lippen nahm. „Hier entlang.“ Es war alles was dieser ihm mitteilte, als er sich auch schon umwandte und einem der Wege aus dem Dorf hinaus folgte. Der Eingang der Miene ragte, wie der aufgerissene Schlund eines Ungeheuers, aus dem Fels, der beißende Geruch von fauligem Fleisch etwas, das einem Übelkeit verschaffte. Das Yin war hier stärker, merklich konzentrierter und von allen Optionen die ihnen Xiāo Míngqín aufgezählt hatte, warum die Bewohner verschwunden sein könnten, war die, das es sich um ein Monster handelte, das diese verschleppte, momentan die Naheliegenste. „Yi Ling.“ Dieser nickte zu seiner Erleichterung verstehend, hatte er fast schon angenommen, dass er ohne weiter darüber nachzudenken, die Miene hätte untersuchen wollen. Doch zeigte er sich der Situation angebracht besonnen und überlegend. Ein kratzendes Geräusch, als habe man etwas Schweres über den Fels gezerrt, hallte aus dem Schacht zu ihnen heran, doch verstummte es genau so abrupt, wie es aufgekommen war. Vielleicht einer der Arbeiter. Vielleicht aber auch etwas weitaus Gefährlicheres. Yi Ling zog ein paar Talismane aus der Tasche, die sich an seinem Gürtel befestigt befand. Einige davon blank. Sie waren im Nachteil, in solch einem unbekannten, unübersichtlichen und dazu weitestgehend geschlossenen Ort, sollte es nur diesen einen Ein-und Ausgang geben. Auch konnten sie nicht sagen, wie tief es in den Fels hineinging. Yi Ling beschrieb darauf diverse Talismane und reichte sie ihm. „Hier. Falls es notwendig wird, werden sie, was auch immer uns begegnen sollte, für einen Moment lahmlegen können. Zusammen mit deinem líng qì, wird der Effekt noch etwas langanhaltender und wirkungsvoller ausfallen.“ Yi Ling grinste darauf in seiner üblichen Manier. „Nicht, das ich annehme, das der große Lan xiān shī nicht auch so mit allem fertig werden würde, egal was sich uns in den Weg stellt.“ Er zwinkerte ihm über diese Bemerkung noch zu, als sie erneut das Scharren aus der Miene hören konnten. Diesmal verbunden mit einem unnatürlichen, gurgelnden Laut. Sie tauschten noch einmal einen couragierten Blick, und betraten den Schlund. Yi Ling leuchtete ihnen den Weg mit einem seiner Feuertalismane. Es blieb vorerst wieder totenstill, als sie sich den Hauptschacht entlangbegaben. Es war deutlich, das hier vor kurzem noch gearbeitet worden war. Kiepen mit abgetragenem Gestein lagen im Weg, wie auch halb abgebrannte Laternen, als habe man versucht eilig hier wegzukommen. Große, tönerne Gefäße, die wohl Wasser in sich hielten in Scherben oder umgestoßen. Zerschlagene Kisten und abgesplitterte Tragebalken die die Schächte stützten, zeugten ebenso davon, dass hier etwas seine Aggressionen ausgelebt zu haben schien. Alles getaucht in einen drückenden Dunst von Yin-Energie. Wangji war sich nicht sicher, was genau man hier abgebaut hatte, doch fielen ihm die zinnoberroten Einschließungen auf, die sich ab und zu freigelegt zeigten. Sie kamen an einer der Belüftungsanlagen vorbei, welche man ebenso zerstört hatte. Es ließ Wangji daran denken, dass es nicht nur auf Monster Acht zu geben galt. Giftige Gase oder die fehlende Frischluft die hier nicht zirkulieren konnte, wären Risiken, denen man ebenso zum Opfer fallen konnte. Er mochte es dank der Kraft seines goldenen Kerns für einen gewissen Zeitraum aushalten können. Er schaute zu Yi Ling, der sich weiter prüfend umsah. Yi Ling war womöglich nicht dazu in der Lage, oder, wenn er es mit einem seiner Zauber beeinflussen konnte, vielleicht für eine Weile. Und das womöglich auch nur, wenn sie sich nicht mitten in einen Kampf gezogen befanden. Es wäre angebracht, somit extra vorsichtig zu sein, um etwaige Zeichen rechtzeitig deuten zu können. Yi Ling schaute sich den Inhalt einer der Kisten an und zog ein Seil hervor, das er sich ebenso an seinem Gürtel befestigte. „Man kann nie wissen, ob es nicht nützlich werden könnte.“, erklärte er ihm, und steckte sich darauf noch einen zylinderförmigen Behälter ein, an dessen Inhalt er kurz gerochen hatte und es wohl als etwas ebenso Nützliches ansah. Sie griffen sich jeweils eine der noch intakten Laternen und erhellten diese, bevor sie sich weiter, über etwas wackelig wirkende hölzerne Stege begaben, die sich hier und da zwischen Felsabschnitten gespannt befanden und sie weiter in die Miene hineinführten. Bis jetzt hatten sie noch keinen der Arbeiter gefunden. Es gab weder Leichen, noch Überreste irgendeiner Art. Der Verwesungsgeruch jedoch, hing noch immer in der nun etwas stickiger werdenden Luft. Dann war das Scharren wieder zu hören, doch diesmal klang es nahe genug, dass sie sich rasch umschauten, um nicht einem Hinterhalt zu erliegen. Ein abgehacktes Stöhnen folgte, das von einem Raunen abgelöst wurde, welches bei näherem Hinhören auch ein Flüstern hätte sein können. Sie befanden sich an einem Absatz der verlangte, dass sie die lange Holzleiter vor ihnen hinaufsteigen müssten, wollten sie nicht wieder kehrt machen, um einem der anderen, abzweigenden Schächte zu folgen. Allerdings, war es ebenso eine kritische Stelle, konnten sie nicht sehen, was sie auf dem oberen Abschnitt erwarten würde und ob sie schnell genug wären darauf zu reagieren. Es war schwer eine bestimmte Yin-Qi Signatur auszumachen, wenn der gesamte Ort damit angefüllt war. Yi Ling schien ihm auch hier stumm beizupflichten, zog er eines seiner Papiermännchen hervor und versah es, anstelle von Schriftzeichen, mit einem geöffneten Auge. Dann ließ er es nach oben steigen und schloss seine Augen darüber. Wangji nahm an, das dieser nun wohl über das Männchen sehen konnte. Jenes streckte nun seinen Kopf über die Kante und drehte ihn hin und her. Schaute sich offensichtlich um. Das Flüstern war zurück, wechselte aber rasch in ein aufgebrachtes Grollen und dem Geräusch von brechendem Stein, das er das Vibrieren des Bodens unter seinen Füßen spüren konnte. Yi Ling riss seine Augen auf und beorderte das Männchen wieder zu sich. Er schaute ihn mit einem Ausdruck an, der ihm sagte, dass es nichts Erfreuliches war, was er zu berichten hatte. „Ich glaube wir haben einen der Arbeiter gefunden. Oder was aus ihm geworden ist.“ Sie sprangen noch rechtzeitig auseinander, als von oben her Gesteinsbrocken auf sie niedergingen und sich darauf eine groteske Imitation eines menschlichen Körpers an der Kante zeigte. Ihr Leib war unnatürlich dürr. Bräunliche, Wachspapier-artige Haut alles, was sich über deren Knochen spannte. Ihre Augen waren mit einem roten Leuchten ausgefüllt, während sie unverständlich vor sich hin wisperte. Sie trug noch immer einen Rest der Kleidung von einem der Arbeiter. Auch hielt sie, mit einem apathischen Schwanken ihrer deformierten Gestalt, an einer Spitzhacke fest. Dann öffnete sie ihren Mund und… „Uhhh, das nenn ich mal absolut widerlich!“ Yi Ling hatte sich über den grünlichen, schleimigen und wirklich abartig riechenden Auswurf, mit dem man auf sie gezielt haben mochte, die Nase zugehalten, und schaute Wangji mit etwas wässrigen Augen an. „Ich schätze, hier gibt es kein freundlich.“ Er klang noch immer nasal und Wangji entging ebenso nicht, das er ein Würgen wieder herunterschluckte. Dann zog dieser seine Dizi hervor und ließ deren Melodie ihre Arbeit tun. Die Gestalt gab ein gepeinigtes Kreischen von sich, ob der schrillen Töne, und taumelte am Rande der Kante, soweit bis einer ihrer Füße ins Leere trat und sie mit einem scheußlich klingenden Klatschen vor ihnen landete. Doch war es damit nicht vorüber, zuckte und stöhnte diese weiter, im Versuch sich aufrichten zu wollen. Was auch immer den Arbeitern hier zugestoßen sein musste, war stark genug, um sie mit solch einem verdrehten Existenzwillen zu beseelen, dass auch ein zerschmetterter Körper sie darin nicht aufhielt. Yi Ling spielte abermals auf Chénqíng, doch diesmal war es ein anderes Stück. Nicht so aggressiv, wie das vorherige. Die Gestalt stöhnte abermals, doch klang es diesmal schwach, als wäre sie müde, bis sie gänzlich in sich zusammensackte, und heißer röchelte. Es traf Wangji wie ein Hieb, als er verstand, dass es Yi Ling´s Version von einem „Zur Ruhe legen“, darstellte, das dieser spielte. Ein einziger, winziger glühender Funke entfloh dem verstümmelten Leib, und Wangji ging ebenso in Aktion, indem er diesen mit einem Binde-Zauber seinerseits einfing, ihn in einer bläulich schimmernden Kugel versiegelte, damit er ihnen nicht verlöschte. Es war das letzte Fragment der Seele, die einst zu dieser Person gehört hatte, bevor ihr solch ein Schicksal wiederfahren war. Dass dieser Seelen-Funken noch existierte, sagte ihnen, dass jene noch nicht lange in diesem Zustand gewesen sein konnte. Es war ebenso eine Möglichkeit, mehr darüber herauszufinden, was hier geschehen sein mochte. „Solch einen Assistenten lob ich mir.“ Wangji ersparte sich einen Kommentar dazu. Beide schauten auf die Sphäre und den darin hin und her huschenden Funken. „Ich denke, es ist besser, wenn du ihn befragst, mein yuàn qì verschreckt sie womöglich nur.“ Wangji nickte und legte seinen Zeigefinger an das Siegel, konzentrierte sich auf das Fragment darin. Es war gut möglich, dass es ihnen nicht viel verraten würde können, in diesem unvollständigen Zustand, doch es war einen Versuch wert. Er musste ebenso Acht geben, nicht zu überwältigend darauf einzuwirken, um es nicht zum Splittern zu bringen. Die erste Verbindung damit, gestaltete er daher wie ein vorsichtiges Anstippen, nicht anders als würde man versuchen wollen, einen Schlafenden sacht aufzuwecken. Er spürte die Irritation und Verunsicherung, die ihn darauf entgegenkamen, doch ließ er seine Absichten in sanfter Energie für sich sprechen und es brachte den gewünschten Effekt. Die ersten Bilder die man ihn einsehen ließ, waren etwas nebulös, das er nicht viel erkennen konnte. Einzig die panisch klingenden Wortfetzen, die damit einhergingen, ließen erahnen was er nicht sehen konnte. Die nächste Erinnerung, zeigte den Stollen. Die Männer die sich um ihn herum befanden, alle mit schreckbleichen Gesichtern, und zitternden Körpern. Grausam klingende Schreie, die aus den Schächten um sie herum wiederhallten. Jemand sprang auf, und ehe er sich versah, hatte dieser ein Messer gezogen und unter verstörten Worten, nicht auch so enden zu wollen, sich die eigene Kehle durchgeschnitten. Wangji sah den zuckenden Körper noch fallen, als abermals die Szene wechselte. „Wir hätten nie so tief graben sollen…diese Steine sind ein Fluch…“ Er war allein und nur mit dem verschwindenden Licht einer Öllampe, wirkte die Dunkelheit allesverzehrend. Seine zittrige Hand hielt ein paar zinnoberrote Kristalle und man verfluchte diese erneut. Er hörte das Scharren und Kratzen der Spitzhacken, die man über den Fels mitschleifte und warf die Kristalle mit einem verängstigten Wimmern, ziellos in die flackernden Schatten. Man kroch darauf weiter, ohne recht zu wissen wohin es einen führen würde, als ein sonderbarer, mattbrauner Dunst aufstieg, und den Träger der Erinnerung zum verzweifelten Luftschnappen brachte, als dieser Nebel an ihm hinauf waberte. Das letzte was er noch einfangen konnte, waren die rot glühenden Augen, eines der verwandelten Arbeiter, die im nächsten Augenblick schon direkt in die seinen starrten. Sich der faulende Körper über ihm ungemein kraftvoll zeigte, indem man ihn am Boden hielt und das Maul, das in dessen Hals biss, einen letzten verzweifelten, gurgelnden Laut aus dem Besitzer des Seelen-Funken herausquälte. Er nahm den folgenden Wandel zu ebensolch einer Kreatur noch kurz in seinem Bewusstsein wahr. Wangji fühlte sich einen kurzen Augenblick etwas benommen, doch fand er rasch zu seiner Positur zurück, und ihn Yi Ling bereits abwartend ansah, als er dessen Blick suchte. „Es stimmt, dass etwas in dieser Miene die Arbeiter verwandelt hat. Ich sah ungewöhnliche, rote Kristalle die man dafür verantwortlich machte. Dieser Arbeiter, wurde durch den Biss einer dieser Kreaturen, ebenso einer der ihren. Wir sollten zudem auf ein bräunliches Gas Acht geben, das womöglich eine Rolle in dem Ganzen spielte.“ Yi Ling raunte verstehend. „Das hört sich alles recht beunruhigend an. Wenn wir einen dieser Kristalle finden könnten, würde er uns vielleicht mehr verraten. „Wir wissen nicht, was sie bewirken. Somit sollten wir mit Bedacht vorgehen.“ Wangji griff nach der Sphäre und verstaute sie in seinem qián kūn Beutel. Er würde den Seelen Funken später weiterschicken. Vorausgesetzt, sie kamen unversehrt wieder hier heraus. „Lan Zhan, hältst du mich für solch einen Hitzkopf?“ Wangji schaute Yi Ling auf diese Frage, mit einem ergebenen, wissenden Gesichtsausdruck an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)