Geisternebel von Charly89 (Oktober) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Der Herbst hielt Einzug im Feuerreich. Die Blätter der Wälder färbten sich unaufhaltsam, rot und gelb in unzähligen Varianten. Die Reisfelder standen hoch und die Ernte bevor. Bis zum Horizont war nichts anderes zu sehen, nur wassergefüllte Terrassen und vereinzelte Bäume. Der Horizont selbst bestand aus sanften Bergen die in seichten Nebel gehüllt waren - ein weiteres Zeichen für den Jahreszeitenwechsel. Wie eine Mauer stand die höher gelegene Straße zwischen den Felder und teilte sie. Den Weg entlang eilten vier Menschen. Voran ein Mann, blond und ausdrucksstark. Hinter ihm ein Junge, grau sein Haar und das Gesicht hinter einer Maske verborgen. Ihm folgte ein brünettes Mädchen, lila Streifen im Gesicht und besorgt ihre Miene. Der letzte in der Reihe war wieder ein Junge, schwarz sind Haar und Augen, gelb die Brille auf seinem Haupt. Der Mann mahnte seine Schüler zur Ruhe und Eile. Der Unglaube über das sonderbare Verhalten des Senseis stand den Kindern ins Gesicht geschrieben. Der Blonde war bereits bei ihrem Treffen vor Stunden schon so merkwürdig. Das übliche Verspäten des Schwarzhaarigen hatte ihn wütend werden lassen, viel wütender wie normalerweise. Auch hatte er ihnen immer noch nicht verraten, weswegen sie hier durch die Reisfelder eilten. Nur das Reiseziel, ein kleines Dorf etliche Stunden entfernt, hatte er ihnen genannt und das sie möglichst vor Einbruch der Nacht dort sein sollten. Der Nebel stieg aus den Feldern auf, wurde dichter und bildete abnorme Formen. Eine unheimliche Atmosphäre baute sich auf, während die Sonne dem Ende des Tages entgegeneilte. Nicht mehr lang und der weiße Dunst würde sich der Straße bemächtigen. Dem Mädchen war unwohl. Seit Stunden hatten sie keine anderen Menschen gesehen. „Keine Angst. Ich passe auf dich auf“, tönte der Junge mit der gelben Brille, nachdem er zu seiner Kameradin aufgeschlossen hatte. Während er sprach schenkte er ihr ein strahlendes Lächeln. Der maskierte Junge schnaufte laut und abfällig. War er doch der Meinung, dass der Andere nicht mal auf sich selbst aufpassen konnte. Während die beiden Jungen anfingen zu streiten, schlich der Nebel unbemerkt die Böschung hinauf. Leise und unscheinbar schoben sich weiße Schlangen über den Weg. Sie wurden dicker und größer, begannen sich in Richtung des blutroten Himmels zu recken. Das Mädchen rang mit sich. Sollte sie wie üblich dazwischen gehen und versuchen den Streit zu beenden? Betrübt ließ den Kopf hängen. Es würde nichts bringen, dass ahnte sie bereits. Das Haupt wieder erhoben, wollte sie ihren Sensei um Hilfe bitten. Sie wandte sich um und sah ins Nichts. Unglaube und Angst spiegelten sich in ihren jungen Augen. Leise wisperte sie, während sie mit dem Finger über die zittrige Unterlippe fuhr. Doch die streitenden Jungs hörten sie nicht. Kurz sammelte sie sich und rief erneut nach ihren Kameraden. Der Streit endete abrupt. Wie in Trance traten die beiden Streithähne neben das Mädchen und starrten ebenfalls gegen das Nichts. Eine weiße undurchdringlich wirkende Wand beendete den Weg einige Meter vor den Kindern. Auch rechts und links neben ihnen hörte die Welt auf zu existieren. Der Nebel umhüllte sie, trennte sie von der Welt ab und beschränkte ihre Wahrnehmung auf wenige Meter. Wie konnte der Nebel sie so schnell einkesseln? Und wo war der blonde Mann? Mutig ging der Grauhaarige voran, doch das Mädchen hielt ihn auf. Sie sollten besser zusammenbleiben, meinte sie. Kurz dachte der maskierte Junge darüber nach und nickte schließlich zustimmend. Entschlossen umgriff sie die Hand des Schwarzhaarigen. Dieser fühlte sich augenblicklich Wohl und starrte verträumt vor sich hin. Missmutig betrachtete der andere Junge das Schauspiel. Er würde sich nicht an die Hand nehmen lassen wie ein kleines Kind. Deutlich zeigte er mit Miene und Haltung, dass es sich das Mädchen ja nicht einfallen lassen sollte. Sie verstand sofort und umgriff stattdessen einen der Gurte, die der Junge um den Oberkörper trug. Langsam liefen die Drei durch das helle Nichts. Schritt für Schritt wagten sie sich vor. Die Feuchtigkeit des Nebels legte sich auf ihre Kleider, kroch in ihre Haare und auch in ihren Verstand. Zwielicht hüllte sie ein, löste Welt und Zeit auf. Der Schwarzhaarige hielt abrupt inne. Der Nebel zu seiner Rechten lichtete sich ein wenig. Eine Silhouette kam zum Vorschein. Laut rief der Junge den Namen ihres Senseis. Verwundert blickten die anderen Beiden. Nie und nimmer war das ihr Lehrer. Doch der Junge mit der Brille schien überzeugt. Das schimmernde Licht ließ Zuversicht in ihm aufkeimen, dass er richtig lag. Er löste sich aus der warmen Umarmung der Hand und eilte die Böschung hinunter. Das Wasser, das knöcheltief auf dem Feld stand, plätscherte als er hindurch lief. Er hörte das Rufen seiner Kameradin, gedämpft durch den Nebel, der auch in seinem Kopf herrschte. Doch er konnte nicht anhalten, er musste zu dem Licht ... Ungläubig blieben das Mädchen und der maskierte Junge zurück. Mit geweiteten Augen sahen sie dabei zu, wie der weiße Dunst ihren Kameraden und die fremde Silhouette verschluckte. Minuten später durschnitt ein Schrei die drückende Stille. Erschrocken hielt sich das Mädchen die Ohren zu. „War das Obito?“, fragte sie zittrig. Noch bevor der Grauhaarige antworten konnte, ertönte erneut ein Schrei. Schmerzverzerrt und eindeutig von ihrem verschwundenen Kameraden. Unschlüssig dachte er nach. Er musste ihm helfen, unbedingt. Das Bedürfnis war so unbändig, dass er nicht dagegen ankam. Der Nebel schien seine Sinne einzuschränken, nie würde er unter normalen Umständen so handeln, doch er musste. Ohne ein Wort, oder nochmal darüber nachzudenken eilte er davon. Hinein in das weiße Nichts, den Schreien entgegen. Die Erkenntnis umgriff mit kalten Fingern die Kehle des Mädchens, drückte ihr die Luft ab und schürte Panik. Sie war allein! Die Verzweiflung übermannte sie. Zittrig ging sie in die Knie und verbarg ihr Gesicht hinter ihren Händen. Unkontrolliertes Schluchzen verließ ihre Kehle, Tränen rannen die Wangen hinab. Was sollte sie jetzt tun? „Aber, aber“, hüllte sie plötzlich eine melodische Stimme ein. Erschrocken blickte das Mädchen auf. Da war eine Frau, in der Mitte des Weges, kaum zwei Schritte entfernt. Wo war diese auf einmal hergekommen? Die fremde Frau überbrückt den geringen Abstand und ging neben dem Mädchen in die Hocke. Liebevoll strich sie der Braunhaarigen eine Strähne aus dem Gesicht. Neugierig betrachtete sie das Kind und dieses betrachtete sie genauso. Die Kleidung der Frau war hochwertig, das Haar lang und schwarz. Ihr Gesicht war zur Hälfte unter einem Seidenschal verborgen. „Du solltest nicht weinen“, sprach die Frau ruhig. Ihre Stimme war warm und fühlte sich an als würde sie leuchten. Ungläubig starrte das Mädchen die fremde Frau an. Etwas an ihr wirkte eine unglaubliche Anziehungskraft aus und ließ das Kind alle Vorsicht vergessen. „Weinen macht hässlich, weißt du?“, erklärte die Schwarzhaarige. Verwirrt legte das Mädchen den Kopf schief. Warum ist sie gleich noch hier? Sollte sie etwas erledigen? Sie wusste es nicht mehr, es schien auch keine Rolle mehr zu spielen. Ihr Kopf fühlte sich an wie Nebel, dumpf und schummrig. Fasziniert sieht die Braunhaarige der Frau ins Gesicht, es hatte etwas magisches, als würde es leuchten. „Du möchtest doch einmal so hübsch werden wie ich, oder?“ Die Stimme der Frau lullte das Kind ein. Der Nebel schien sich mehr und mehr in ihrem Kopf auszubreiten, schimmernd legte er ihre Gedanken lahm. Abwesend nickte es vor sich hin. „Findest du mich hübsch?“, kicherte die Fremde und ihre Augen funkelten eigenartig. Die Stimmung änderte sich merklich, wurde lauernd und bedrohlich. „Ja“, hauchte das Mädchen kaum hörbar. Spindeldürre Finger umschlossen den Seidenschal. Wie in Zeitlupe zog die Frau den Stoff nach unten. Der Anblick der Stück für Stück zum Vorschein kam war an Grausamkeit kaum zu übertreffen. Der durch den Schal bedeckte Bereich war fürchterlich verstümmelt. Auf beiden Seiten führte je eine riesige klaffende Wunde vom eigentlichen Ende des Mundes bis zu den Ohren. Die Ränder der Schnitte wirkten ausgefranst und schienen immer noch zu bluten. Die Augen des Mädchens weiteten sich und ihr Mund klappte auf. Ekel und Furcht jagten durch ihr Hirn. Das nackte Entsetzen flutete sie, als der Nebel in ihrem Kopf sich endlich lichtete. Sie wich zurück und landete auf ihrem Po. Die Frau kicherte, hell, schrill und unmenschlich. Die Fremde begann sich zu verändern. Arme und Beine schienen sich zu verlängern. „Ich bin doch hübsch, oder?“, fragte sie herausfordernd, drohend. Das Kind bekam kein Wort heraus. Immer noch konnte es nicht glauben, was es sah. Zu unwirklich war das, was sich vor ihren Augen abspielte. Die Frau, nein, das Wesen bedrängte es mehr und mehr. Arme und Beine wirkten immer unnatürlicher, als würde sich die Fremde in ein Spinnenwesen verwandeln. Unfähig sich zu rühren und zu fliehen lag das Mädchen da und starrte das entstellte Geschöpf an. Es beugte sich über das zitternden Kind, packte es an den braunen Haaren und zwang es so, den Augenkontakt aufrecht zu halten. Am Rande ihrer Wahrnehmung sah das Mädchen etwas Blankes aufleuchten. In der anderen Hand der Frau war ein Messer erschienen, scharf und spitz. Blut aus den Wunden, dick und schwer, tropfte hinab auf das Kind, besudelte dessen Kleider. „Ich bin doch hübsch, oder?!“, fragte die Gestalt wieder. Das diabolische Lächeln entblößt ihr komplettes Gebiss. Zahn und Zahn konnte das Kind sehen, selbst das Kiefergelenk schien blank zu liegen. Die Panik ließ die Gedanken des Kindes Amok laufen. Würde es jetzt sterben? Würde es auch zu so einem dämonischen Wesen werden? Der Blick des Mädchens ging an der Fratze vorbei zu dem nebelverdeckten Himmel. Ein Stoßgebet entsenden, bereitete sie sich auf das Ende vor. Glitzernde Kugeln eilten durch ihr Sichtfeld. Verwirrt blinzelte das Kind. Was konnte das sein? Raschelnd gingen die Kugeln einige Schritte entfernt zu Boden. Das Wesen sah auf und in dem wahnsinnigen Blick schien etwas zu funkeln. Hastig sprang es von dem Opfer herunter und kümmerte sich nicht mehr um es. Voller Unglaube drehte das Kind den Kopf. Die Frau kroch über den Weg und hob zittrig die kleinen bunten Kugeln auf. „Bonbons“, flüsterte eine vertraute Stimme. Erstaunt wendet sich das Mädchen um. Sie zweifelte einen Moment an dem was sie neben sich sah. War das wirklich? „Sensei Minato“, hauchte sie leise. Die Freude die ihren kleinen Körper flutete, war so unbändig, dass sie ihr beinahe nachgegeben hätte. Doch es wäre nicht angebracht, selbst unter diesen Umständen nicht. „Komm schnell“, forderte der Mann mit dem blonden Haar. Blitzschnell half er dem Kind auf und verschwand mit ihm im dichten Nebel - so schnell, als wäre ein Bijuu hinter ihnen her. Meter um Meter brachten sie zwischen sich und die Kreatur. „Obito und Kakashi?“, fragte das Mädchen schließlich, als sie die Ungewissheit nicht mehr ertrug. Der Mann wendet sich ihr kurz zu, der Blick unergründlich wie das Meer. Beinahe blieb dem Kind das Herz stehen, doch dann lächelte der Sensei. „In Sicherheit.“ Während sie den Weg entlangeilten, begann die Welt sich langsam wieder zu formen. Felder und Bäume erhielten ihre Konturen zurück, und auch der inzwischen sternenbesetze Himmel kam allmählich wieder zum Vorschein. In der Ferne konnte man Lichter erkennen. Richtige Lichter, kein schummriges Leuchten. Noch einmal beschleunigten Kind und Mann ihre Schritte. In dem Dorf angekommen führte der Mann das Kind zu einer kleinen Hütte. Sie würde ihre Unterkunft für die nächsten Tage werden. Der Dorfälteste, der im Haus nebenan residierte, hatte es ihnen zu diesem Zwecke überlassen. Hastig öffnete das Mädchen die Tür. Ihre Augen begannen zu leuchten, vor Glück und auch vor Tränen. Da saßen die beiden Jungen, geknickt und beschämt, aber körperlich unversehrt. Den Mann durfte sie vorhin nicht an ihrer Freude teilhaben lassen, doch ihre beiden Kameraden bekamen sie dafür umso mehr zu spüren. Fest und unbarmherzig drückte sie erst den einen, dann den anderen. Der Mann, blond und ausdrucksstark, stand etwas abseits und betrachtete das Geschehen. Verblüfft über das Mädchen schüttelte er den Kopf. Sie hatte das schrecklichste Erlebnis von allen, und dennoch galt ihre Sorge den anderen Beiden. „Sensei?“ Ein wenig gedankenverloren sah der Mann auf und betrachtete den maskierten Jungen. Für einen unscheinbaren Moment wirkte dieser ein wenig unsicher. „Was war das?“, fragte der Junge schließlich. Auch seine Kameraden richteten ihre Aufmerksamkeit auf dem Sensei. Erwartungsvoll und Neugierig betrachteten ihn die Drei. „Das würdet ihr nie glauben, obwohl es euch gerade fast in den Hintern gebissen hat.“ Beim letzten Teil des Satzes zwinkerte der Mann dem Jungen mit dem schwarzen Haar zu. Beschämt blickte dieser zur Seite und wurde rot. Der maskierte Junge zog die Augenbraue hoch und das Mädchen die Stirn in Falten. „Wir schlafen erst einmal und morgen, während unsere Mission, erzähle ich euch davon. Ich erzähle euch vom Geisternebel, der einmal alle fünfzig Jahre über die Reisfelder dieses Landes hinwegzieht; von Kuchisake Onna, von Irrlichtern und von Tanuki, die ihre Heimat verteidigen“, erklärte der Sensei mit einem breiten Lächeln und scheuchte die Kinder zu ihren Schlafstätten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)