The fragrant Flower von Ryouxi ================================================================================ Kapitel 14: Lavendel -------------------- [[BILD=8424154.png]] „Milo, wo bleibst du denn?“ Der Junge mit dem dunkelblondem Haar stand bereits mitten auf der Wiese zwischen den Schafen. Heute sollten sein Bruder und er ihrem Vater beim Hüten helfen. Eigentlich eine Aufgabe, der Milo gerne nachkam. Eigentlich. Er tat es seinem Vater immer gleich und trug einen Stock mit sich, um die Tiere zu treiben. Am liebsten würde er den gewundenen Stab seines Vaters verwenden, doch diesen durfte er nicht einmal anfassen. Der Junge hatte diese Regel nie verstanden, umso mehr Mühe hatte er sich mit dem Finden eines passenden Stockes gegeben. Genau dieser Stock hatte diesen Morgen aber nicht mehr neben der Tür gestanden. Milo konnte sich denken, dass sein jüngerer Bruder ihn mit in die Stadt genommen hatte. Er war etwas verärgert, aber vor allem traurig darüber. So kam es, dass er nun am Boden nach einem schnellen Ersatz suchte, während sein Vater bereits damit begonnen hatte, das Vieh in Richtung der weiten Ebenen in der Nähe zum Grasen zu treiben. „Ich brauch einen neuen Stab!“, rief Milo zurück. „Den kannst du noch unterwegs suchen. Komm jetzt!“ Nur ungern gab er seinem älteren Bruder nach. Trotz des schlechten Starts in den Tag, hatte Milo bald einen neuen Ast gefunden, der ihm beinahe noch besser gefiel, was in erster Linie daran liegen mochte, dass er von seinem Vater gelobt worden war. Als sie am Abend zurückkamen, hatte seine Mutter bereits gekocht. Sie wurden von dem jüngsten der drei Söhne begrüßt. Als dieser Milo seinen Hirtenstock zurückgeben wollte, lehnte er ab und schenkte ihn ihm stattdessen. Schließlich hatte er nun einen neuen. Milo genoss das Abendessen mit seiner Familie nach einem Tag wie diesem. Als es draußen bereits dämmerte, war plötzlich ein unruhiges Blöcken ihrer Schafe im Stall zu hören. Ohne zu zögern sprang der Vater auf, schnappte sich seinen Stab und rannte nach draußen. Milo wollte ihm folgen, doch seine Mutter hielt ihn wie immer zurück. In dieser Gegend kam es öfter vor, dass Vieh gerissen wurde. Doch mit seinem Stab konnte der Mann nicht nur Schafe hüten, sondern auch gegen Monster aus den Wäldern kämpfen. Milo war wirklich enttäuscht darüber, dass er nie dabei zuschauen durfte. Für gewöhnlich dauerte es nicht lange, bis wieder Ruhe einkehrte und ihr Vater zurückkam. Dieses Mal war es jedoch anders. Ein lauter Schrei war zu hören, gefolgt von einem krachenden Geräusch, das wie brechendes Holz klang. Sie alle sprangen von dem Tisch auf und wollten zur Tür rennen, um nachzuschauen. Ihre Mutter konnte gar nicht so schnell reagieren, um sie alle aufzuhalten. Das war jedoch auch nicht nötig, da im nächsten Augenblick die Tür, die sie gerade noch angesteuert hatten, aufflog. Sie wurde aus den Angeln gerissen und schlug auf den Boden, gefolgt von einer grellen, heißen Stichflamme. Milo konnte seinen älteren Bruder, der der Tür am nächsten gewesen war, schreien hören. Noch bevor er sich ihm zudrehen konnte, wurde er an der Hand gegriffen und weggezerrt. Seine Mutter hatte ihn und den Jüngeren gerade noch rechtzeitig zur Hintertür gebracht. Hinter ihnen brach ein Inferno los. Das gesamte Haus stand bereits lichterloh in Flammen, als sie nach draußen traten. Genauso wie der Stall. In der hereinbrechenden Dunkelheit sah das ganze Schauspiel beinahe atemberaubend aus. Wäre es nur nicht ihre ganze Existenz gewesen. Trotz des puren Grauens, das sich ihnen bot, entging Milo ein kleiner Funke am Rande seines Blickfeldes nicht. Ein Schmetterling, mit einer ungewöhnlich violetten Färbung. Doch der Junge hatte keine Zeit, ihm Beachtung zu schenken. Seine Mutter wurde gerade vor seinen Augen von einem Fremden, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war, vier lange Hörner am Kopf trug und feuerrotes Haar hatte, an der Kehle in die Luft gehoben. Milo schrie sich die Lunge aus dem Leib, doch alles was er damit bewirkte war, dass die Aufmerksamkeit dieses Ungeheuers ihm galt, nachdem der leblose Körper der Frau zu Boden gefallen war. Das Weinen seines Bruders erreichte nur als dumpfer Laut sein Bewusstsein. Er wusste, dass er gegen dieses Wesen keine Chance hatte. Die gelb glühenden Augen bohrten sich in die Milos. Sie brannten sich geradezu in seinem Gedächtnis ein. Ohne darüber nachzudenken rannte Milo zurück in das brennende Gebäude. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ihm dorthin jemand folgen würde, auch wenn es vielleicht seinen Tod bedeutete. Tatsächlich kam der fremde Mann ihm nicht hinterher, genauso wenig wie sein kleiner Bruder. Durch den dichten Qualm, der das gesamte Haus erfüllte, wurde dem Jungen schnell schwindelig. Er wagte sich trotz allem nicht nach draußen, wodurch ihm schließlich schwarz vor Augen wurde. Schweißgebadet schlug Milo seine Augen auf. Sein Herz raste, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen. Es war nicht das erste Mal, dass er sich in Form eines Traums an die Ereignisse von damals erinnerte. Es war aber das erste Mal, dass er den Traum anschließend so klar vor Augen hatte. Dabei entging ihm der eine Punkt nicht, an den er sich bisher nicht hatte erinnern können. Vermutlich, weil es damals keine Bedeutung für ihn gehabt hatte. Nun aber wusste der Mann, dass ein farbenfroher Schmetterling mit Monstern in Verbindung gebracht werden konnte. Es musste das erste Mal gewesen sein, dass dieses Phänomen aufgetreten war. Langsam klärte sich Milos Blick, so dass er Fenins Anwesenheit bewusst wurde. Dieser saß keine Armlänge von ihm entfernt und schaute ihn aufmerksam an. Sein Gesicht wurde von dem kleinen Feuer, das sie zum Wärmen gemacht hatten, angeleuchtet. Bei dem Anblick lief Milos Rücken ein Schauer hinunter. Er fand es noch immer befremdlich, dass sich ein Dämon in seiner Nähe aufhielt. Besonders nachdem er einen solchen Traum gehabt hatte machte es ihm zu schaffen. Immerhin war es nicht nur ein Traum, sondern seine Vergangenheit. Der Grund aus dem er seine Eltern, seine Geschwister und alles Vertraute verloren hatte. Eine unbändige Wut stieg in ihm auf. Über die Jahre hatte Milo irgendwie gelernt, mit seinem Verlust umzugehen. Trotzdem hätte er sich gerade am liebsten an irgendetwas oder irgendjemandem abreagiert. Sie hatten sich seit dem Vorfall gestern nicht weit von der Stadt wegbewegt. Milo hatte sich auch heute noch erschöpft gefühlt. Da er nicht widersprochen hatte, war Fenin ihm tatsächlich gefolgt. Er wusste wirklich nicht, was er davon halten sollte, doch der Dämon hatte sich nicht nur ruhig sondern auch distanzierter als damals verhalten. Zu gerne würde er wissen, was der andere damit erreichen wollte. Das Naheliegendste war wohl, dass er hinter seine Seele her war, doch warum würde er sich dann all diese Mühen machen und sie nicht einfach nehmen? Es war das erste Mal seit gestern, dass er etwas sagte. „Weißt du, warum ich Monster jage?“ „Du kannst sie nicht leiden“, war die nüchterne Antwort Fenins. Das war nicht schwer zu erraten, trotzdem verstand er nicht, wie der Dämon so ruhig bleiben und ihn auch noch in die Augen schauen konnte, schließlich war er ebenfalls davon betroffen. „Und wieso bist du dann zurückgekommen? Hast du einen Todeswunsch?“ Milo bereute seine verärgerten Worte augenblicklich wieder. Er war es gewesen, der nach Fenin gerufen hatte. Auch wenn das vielleicht nicht der Grund gewesen war, aus dem der andere aufgetaucht war, so hatte er ihn trotzdem gerufen. Ihm dann die Schuld für seine Anwesenheit zu geben fand selbst er arrogant. Doch Fenin ging gar nicht erst darauf ein. „Ich fand unsere Reise sehr angenehm und hatte das Gefühl, dass es dir nicht anders erging.“ Das schlimme war, dass er Recht hatte. Bevor er um sein Wesen gewusst hatte, hatte er Fenin wirklich gemocht. Diese Tatsache regte ihn nur noch mehr auf, so dass das Folgende geradezu aus ihm herausplatzte. „Weil ich getäuscht wurde. Einer wie du hat meine gesamte Familie getötet, mir alles genommen, was ich hatte. Das ist der Grund, warum ich weder einen Dämonen noch eine Bestie am Leben lassen kann. So lange sie existieren wird es immer wieder Leid geben. Und genau deswegen kann ich dich nicht um mich akzeptieren.“ Nach dem letzten Satz biss er sich leicht auf die Unterlippe. Er hatte seine Leidensgeschichte noch nie laut ausgesprochen und war mehr als froh darüber, dass ihm nicht die Tränen kamen. Gleichzeitig beobachtete er die Miene des andere, die trotz des Erfahrenen erstaunlich ungerührt blieb. „Wieso hast du mich dann noch nicht angegriffen? Dass ich dein Leben gerettet habe, dürfte in diesem Fall doch keine Rolle für dich spielen.“ Milo knurrte leise bei seinen Worten. Doch bevor er antworten konnte, sprach Fenin weiter. Seine Stimme, wie auch seine Gesichtszüge wurden auf einmal sanft. „Nur weil ein Mensch dir Schaden zufügt, tut es der nächste nicht auch.“ Irritiert schaute Milo ihn an. Seine Gedanken waren gerade zu durcheinander, als dass er daraus einen Sinn ableiten konnte. „Und was hat das damit zu tun?“ Eigentlich hatte er gereizter klingen wollen, doch irgendwie war ein Großteil seiner Wut mit einem Mal verflogen. „Ein anderer Dämon hat dir Schaden zugefügt. Was habe ich damit zu tun?“ Tatsächlich ließ ihn diese Frage verstummen und darüber nachdenken. Natürlich war etwas an Fenins Worten dran. Er hatte ihn immerhin auch in der Vergangenheit einige Male vor Schaden bewahrt und somit das genaue Gegenteil bewiesen. Jedoch war es nicht einfach für Milo, auf einmal eine ganz andere Einstellung einzunehmen. Das war alles, wofür er sein halbes Leben lang gelebt und was er bis ins Mark verinnerlicht hatte. Wenn er nun etwas daran änderte, wo sollte er dann in Zukunft die Trennlinie ziehen? „Milo, wusstest du, dass es unterschiedliche Dämonen gibt?“ Fragend schaute der Mann auf. Ihm war klar, dass es einen Unterschied zwischen dem Dämon aus Lysils Dorf und jenem gab, der seine Familie ausgelöscht hatte. Doch für ihn hatte dieser Unterschied immer nur in der Stärke gelegen. „Teil sie meinetwegen in zwei Gruppen ein. Diejenigen, die lediglich ihre niederen Gelüste ausleben und jene, die wie Menschen auch ihr eigenes Verhalten steuern können.“ „Und du gehörst zu den Guten?“, mutmaßte Milo. Er wollte das noch immer nicht so recht akzeptieren. Zu seiner Überraschung schüttelte Fenin mit dem Kopf. „Nur weil man es kann, heißt es nicht, dass man auch einen moralisch vertretbaren Weg wählt. Gut und Böse wird von jedem anders empfunden. Ich sehe lediglich keinen Sinn darin, meine Stärke auszuleben, nur weil ich es kann.“ Im Gegensatz zu dem Dämon, dem Milo als Kind begegnet war, dachte sich dieser. Er musterte Fenin einen Augenblick. Er sah wieder wie ein normaler Mensch aus, auch wenn seine feinen Gesichtszüge mit einem Mal zu edel, seine hellen Augen mit einem Mal zu rotstichig wirkten. Die Hörner und Klauen waren verschwunden. Milo konnte nur mutmaßen, dass dies eine Fähigkeit jener Dämonen war, die angeblich so selbstbestimmt waren. Wenn der Mann ehrlich war, dann wusste er nicht viel über Dämonen. Die meiste Zeit hatte er auch nur mit Bestien zu tun. Anscheinend hatte er etwas zu lange den anderen angestarrt, da dieser auf einmal wieder zu sprechen begann. „Du fragst dich, warum ich jetzt so anders aussehe?“, hatte er seine Blicke richtig gedeutet. „In dieser Form besitze ich keine nennenswerte Kräfte, dafür kann ich mich unbemerkt zwischen den Menschen bewegen. Jeder zieht seine eigenen Vorteile daraus.“ „Ich schätze gegen einen solchen Dämon hätte ich keine Chance?“ Auf seine nur halb ernst gemeinte Frage lächelte Fenin ihn lediglich leicht an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)