Post für dich von _Delacroix_ ================================================================================ Tadaima», rief Tsubasa, während die schwere Eingangstür hinter ihr ins Schloss fiel. «Okaeri», hörte sie ihre Mutter aus der Küche antworten. Scheinbar war ihre Schwester noch nicht aus dem Büro zurück. «Wir essen, sobald Ayaha kommt», wurde sie aufgeklärt, kaum das sie aus ihren Straßenschuhen gestiegen war. Tsubasa strahlte. Manchmal, wenn sie diesen Satz aus dem Mund ihrer Mutter hörte, erschien er ihr immer noch wie ein ferner Traum. «Dann mache ich solange meine Hausaufgaben!», rief sie eifrig zurück. «Tu das», hörte sie ihre Mutter in der Küche sagen, «Übrigens, heute ist ein Brief für dich gekommen. Ich habe ihn dir in dein Zimmer gelegt.»   Neugierig musterte Tsubasa den schlichten, weißen Briefumschlag, Jemand hatte in geschnörkelter Handschrift ihre Adresse darauf gemalt und ihn über und über mit bunten Briefmarken beklebt. Tsubasa schob sich die Brille höher auf die Nase, um die bunten Marken studieren zu können. Ein ihr unbekannter Mann präsentierte auf einer von ihnen stolz sein pausbäckiges Profil. Scheinbar hatte es ihm nicht geholfen, denn ein dicker, schwarzblauer Poststempel hatte ihn voll erwischt. Vorsichtig strich Tsubasa über eine lose Ecke der Marke. Dieser Brief musste einen weiten Weg hinter sich haben. Der Stempel, der scheinbar alle Marken getroffen hatte, war verlaufen, doch sie glaubte lateinische Buchstaben darauf erkennen zu können.   Ein Brief aus dem Ausland also. Wie aufregend!   In einer flinken Bewegung drehte sie den Brief herum, ließ seine schneeweiße Rückseite auf sich wirken, dann griff sie nach dem Brieföffner und schob ihn zwischen die stabilen, weißen Lagen. Mit leisem Protest gab der Umschlag schließlich nach. Tsubasa streckte vorsichtig zwei Finger durch das entstandene Loch. Sie fühlte eine glatte, stabile Oberfläche, die sich kühl an ihre Haut schmiegte. Neugierig zog sie daran, sah bereits eine erste, hellgrüne Ecke, da erklang ein fröhliches «Tadaima» aus Richtung Eingangstür. Hastig stopfte Tsubasa den Inhalt zurück in den Briefumschlag. Was auch immer in diesem Brief war, es konnte warten. Zumindest bis sie ihre große Schwester begrüßt und das Abendessen verschlungen hatte.     🐰🐰🐰   «Tsurugi-san.» Yashiro hielt in der Bewegung inne und drehte sich zu dem Portier herum, der ihn gerade das erste Mal seit seinem Einzug angesprochen hatte. Normalerweise hielten sie sich an ein strenges Protokoll aus Nicken und Schweigen, das sich, trotz fehlender Absprachen als ungewöhnlich effektiv erwiesen hatte. «Ich habe einen Brief für Sie», erklärte der Mann, dessen Namen sich Yashiro trotz ihrer langen Bekanntschaft nie gemerkt hatte, und hielt ihm einen schlichten, weißen Umschlag entgegen. Zögerlich griff er nach der Post. Das war ungewöhnlich. Äußerst ungewöhnlich. Schon vor Jahren hatte er sich angewöhnt, seine Fanpost an die Agentur schicken zu lassen, wo sich eine Sekretärin darum kümmerte, das jeder Absender ein Autogramm von ihm bekam. Das es ein Brief geschafft hatte, dieses geschickte System aus Chiffren und Postfächern zu umgehen, konnte nichts Gutes bedeuten.   Unter dem neugierigen Blick des Portiers musterte er den Umschlag. Ja, das war sein Name, den Jemand in großen, ausladenden Zeichen auf das Papier gemalt hatte. Die Tinte leuchtete Königsblau im grellen Lampenlicht.   «Tsurugi-san?», fragte der Portier und riss Yashiro unwirsch aus der Betrachtung heraus. Er schenkte ihm einen fragenden Blick. «Es ist mir ein bisschen peinlich, aber vielleicht... Wenn Sie ihn nicht behalten wollen ... Könnte ich dann eventuell den Umschlag haben?» «Den Umschlag?» Yashiros Stimme klang heiser und, obwohl er leise gesprochen hatte, viel zu laut in seinen Ohren. Der Portier vor ihm wurde rot. «Sehen Sie, meine Frau und ich, wir sammeln Briefmarken und diese dort sind den ganzen, weiten Weg aus Amerika gekommen. Da dachte ich -» Yashiro nickte. Vorsichtig drückte er den Zeigefinger durch das schmale Loch am Rand des Umschlags. Das Papier gab wie erwartet nach. Die entstandene Öffnung war nicht sauber, aber zumindest hatten weder die Marken, noch der Inhalt Schaden davon getragen. Misstrauisch warf er einen Blick auf die bunte Karte, bevor er sie eilig in seiner Manteltasche verschwinden ließ. Den leeren Umschlag reichte er dem Portier zurück. «Vielen Dank und einen schönen Abend», hörte er den Mann noch sagen, während er bereits wieder auf den Fahrstuhl zu hielt. Wenn er oben angekommen war, musste er unbedingt herausfinden, wer in aller Welt der Meinung war, ihm so eine Karte schicken zu müssen.     🐰🐰🐰     «He Itsuki, ich glaube du hast Post!», verkündete Touma mit einem professionellen Blick auf seinen Briefkasten. Itsuki, der keine Ahnung hatte, woran sein Freund das erkannt zu haben glaubte, griff gehorsam nach seinem Briefkastenschlüssel. «Es ist mir schleierhaft, wie du das einem geschlossenen Briefkasten ansehen kannst», murmelte er, während er den Schlüssel ins Schloss steckte. «Tja, das ist eben meine Superkraft», witzelte Touma hinter ihm, «Weißt du, Masqueraider Ouga kann bei Bedarf auch durch Wände sehen.» Itsuki warf Touma einen Blick über die Schulter zu. «Sicher das du nicht den Briefträger gesehen hast, während ich oben die Sachen geholt habe?», fragte er skeptisch. Touma erlaubte sich ein dünnes Lächeln. «Vielleicht auch das», räumte er ein, «Das ändert aber nichts daran, dass da ein Brief in deinem Kasten ist.» Itsuki öffnete die Tür des Briefkastens und zog einen weißen Umschlag hervor. «Du meinst diesen hier, nehme ich an?» Touma nickte. «Da sind ganz schön viele Marken drauf.» Itsuki musste ihm recht geben. Fast die ganze obere Ecke war mit Marken bestückt worden. Zahllose Stempel hatten das Machwerk noch weiter verziert und ein großer blauer Aufkleber verkündete stolz, dass der Brief per «Air Mail» nach Japan gekommen war. Neugierig drehte Itsuki ihn herum. Es stand kein Absender darauf.   «Worauf wartest du? Mach ihn auf», drängte Touma und hätte er den Brief nicht fest in Händen gehalten, er hätte möglicherweise versucht, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. «Ich bin ja schon dabei», entgegnete Itsuki seinem Freund. Das Papier raschelte, als er den Umschlag öffnete und den Inhalt herauszog. Es war eine bunte Karte und darauf standen in einer kleinen grauen Sprechblase exakt drei Worte: «I miss you!»     🐰🐰🐰     Mit hochkonzentrierter Miene schob Kiria die Ecke der Postkarte einen Millimeter weiter nach oben. Dann hielt sie inne und zog vorsichtig ihre Hand zurück. So mochte es vielleicht gehen. Sir Gen, ihr geliebtes Maskottchen, blickte ihr über den Rand der Karte entgegen. «Kawaii», schoss es ihr durch den Kopf, während sie sorgsam den Lichteinfall überprüfte. Er harter, dunkler Schatten war das letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. So sanft wie möglich entfernte sie sich von ihrem Bett und musterte noch einmal ihren treuen Begleiter, der die Karte so eng umschlungen hielt, als wäre sie ein wertvoller Schatz. Dann griff Kiria nach ihrem Handy.   Es dauerte einen Augenblick, bis die Kamera ansprang und noch einen weiteren, bis sie die perfekte Stelle für ihr Foto gefunden zu haben glaubte. Wenn sie sich neben das Bett hockte und die Kamera möglichst auf einer Höhe mit Sir Gen hielt, wirkte es am besten. Einen Moment lang betrachtete sie sein goldenes Krönchen und die verkniffenen Augen, dann ließ sie den Blick tiefer wandern und drückte auf den Auslöser.   🐰🐰🐰     «Wie niedlich!», tippte Mamori in ihr Handy, als sie das Foto von Sir Gen mit der Postkarte erblickte, «So eine habe ich auch bekommen.» Strahlend blickte sie über den Rand ihres Mathebuches hinweg und musterte die Karte, die sie gegen das Foto von sich und ihren Freunden gelehnt hatte. Zwei süße, braune Häschen hockten im hohen Gras und reckten dem Betrachter neugierig ihre langen Löffel entgegen. Jedes von ihnen hatte ein bunt gemustertes Ei zwischen seine Pfötchen geklemmt. Mamori hatte nicht verstanden, was es mit den Eiern auf sich hatte, bis sie die Begriffe «Hase», «Ei» und «bunt» in die Suchmaschine ihres Handys getippt hatte. Doch dann war sie förmlich mit Informationen überschüttet worden. «Ostern» hieß das Fest, das in ganz Europa und den USA mit bergeweise bunten Eiern gefeiert zu werden schien. Es gab sogar große Paraden dazu. Doch mehr als die niedliche Karte, bedeuteten ihr die drei kleinen Worte, die sorgsam in einer Sprechblase über den Köpfen der Häschen schwebten. «I miss you.» Ich vermisse euch.   🐰🐰🐰     «Du bist heute früh scheinbar sehr gefragt», bemerkte Tarachino-san mit einem Blick auf Eleonoras Handy, das, seit sie sich zum Frühstück in der Starbucks-Filiale niedergelassen hatten, in einer Tour vibrierte. «Wundert Sie das?», fragte Ellie mit einem Lächeln, «Ein echter Star hat eben so seine Verpflichtungen.» Tarachino-san schenkte ihr einen bedeutungsschweren Blick, den sie stoisch ignorierte. «Was ich damit sagen wollte», verbesserte er sich schließlich, «ist, dass du mehr Verpflichtungen als normal zu haben scheinst.» Ellie griff nach ihrem Fruchtshake und nahm einen tiefen Schluck davon. «Nun, entweder sie haben endlich mein umfassendes Talent erkannt und überhäufen mich gerade mit weiteren Filmangeboten, oder aber es könnte an den Osterkarten liegen, die ich letzte Woche nach Japan geschickt habe.» Hosted by Animexx e.V. 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