Katzenpapa von FreeWolf (Beyblade 2020: März) ================================================================================ Kapitel 2: windstill -------------------- Auf dem Weg zur Arbeit – er fährt mit dem Fahrrad, um sich fit zu halten – hält er an einer Ampel und beobachtet, wie eine Reihe von Geschwistern, Müttern, Vätern und Großeltern kleine Schulkinder mit niedlichen Mützen über den Zebrastreifen führen. Im Büro gibt es Kuchen, weil sich eine der Mitarbeiterinnen in die Babypause verabschiedet. Kai wundert sich darüber, wie rund ihr Bauch plötzlich aussieht, hütet sich aber, etwas in diese Richtung zu äußern. Der erste Antrag, den er an diesem Montag unterschreibt, ist ein Antrag für Väterkarenz. Er erinnert die Personalabteilung daran, diesmal rechtzeitig Bewerbungsgespräche anzusetzen.   Einen Tag später ist er auf dem Weg zu Takao. Die Nachbarschaft ist ruhig, wie immer, ein Hausbesitzer fegt seine Schwelle, irgendwo weint ein Baby. Kai hat Montag und Dienstag mehr oder minder mit Meetings verbracht und damit, die übers Wochenende liegengebliebenen Emails zu beantworten (ein Wochenende, mehr wollte er nicht, aber selbst das scheint manchmal unmöglich mit der Firma im Nacken). Takaos Nachricht kommt ihm gelegen: Es ist eine willkommene Abwechslung zu Besprechungen, bei denen er den starken Verdacht, man wolle seine Zeit absichtlich verschwenden, immer wieder zurückdrängen muss. Zeit mit Takao fühlt sich nie an wie verschwendete Zeit. Außerdem ist es schön, dass Hiromis Abwesenheit nichts an ihren gemeinsamen Gewohnheiten ändert.   Takao erwartet ihn, anders als sonst, schon am Tor zum Dojo. Normalerweise macht er sich nicht die Mühe, zur Tür zu kommen, sondern wartet, bis Kai ihn im Garten ausfindig macht. Takao wirft einen Blick über seine Schulter, wie um zu prüfen, ob er verfolgt wird. Kai registriert dies, ohne es zu kommentieren. „Daichi kümmert sich um Ojii-chan“, erklärt der ehemalige Beyblade-Weltmeister dann und steckt seine Hände in die Hosentaschen. „Lass uns ein Stück gehen“ Also bewegen sie sich vom Dojo weg und in Richtung Fluss, wo sie sich anfangs geprügelt und irgendwann später nachmittags getroffen haben, um zu trainieren. Eine Gruppe Schulkinder, die wohl in der Nachhilfeschule waren, läuft an ihnen vorbei. Sie lachen, einer hält einen Beyblade in der Hand und plappert aufgeregt. Takao sieht den Kindern lächelnd nach. Erst als Kais Hand seine streift setzt er sich wieder in Bewegung. Sie steigen die Böschung hinunter, auf denselben ausgetretenen Pfaden wie immer. Takao streckt sich, seufzt. Er wirkt irgendwie müde, findet Kai. „Ojii-chan wird langsam ein bisschen unzurechnungsfähig“, sagt Takao und ist seltsam ernst dabei. Kais Hand streift Takaos, die an seiner Seite ruht. „War er das nicht immer?“, gibt Kai halb schmunzelnd zurück. Er erinnert sich gerne an den Trip zum U.S.-Tournament in ihrem ersten Jahr als Team. Damals fand er Kinomiya-san unglaublich seltsam; er war es nicht gewöhnt, einen zugänglichen Großvater vor sich zu haben. Takao lächelt, aber das Lächeln erreicht kaum seine Mundwinkel, die sich gleich wieder senken. Kai schweigt. „Komm“, fordert er ihn schließlich auf. Sie spazieren, beide die Hände in den Hosentaschen, in Richtung Sonnenuntergang. Takao schweigt, beobachtet den Fluss, der momentan viel Wasser führt. Takao ist ernst. Wenn Takao ernst ist, ist es in Kai windstill. Es nimmt ihm den Atem. Auf einmal bleibt Takao stehen und seufzt abgrundtief. „Er denkt, ich bin Hitoshi-kun und Daichi ist ich und wundert sich über die andere Haarfarbe die wir haben“, führt Takao aus und oh. Kai begreift, fühlt sich als habe ihm ein kräftiger Schlag die Luft aus den Lungen geschlagen, während Takao halbherzig lacht, aber es klingt trocken und falsch. „Erst heute hat er Daichi erklärt, dass Rothaarige Seelen klauen. Daichi war ganz schön eingeschnappt deswegen“ Kai denkt nicht, er handelt. Er fasst nach Takaos Hand und zieht ihn zu sich, sodass sie einen, zwei Herzschläge nur dastehen, Stirn an Stirn, Herzschlag an Herzschlag, die Finger verschränkt. Sie atmen, das ist leichter zu zweit in so einer Situation. Ihre Nasen berühren sich, ehe Kai einen halben Schritt Raum zwischen sie bringt, ohne den Kontakt vollständig zu unterbrechen. Takao scheint wieder etwas leichter atmen zu können, hat etwas mehr Wind im Rücken als sie sich wortlos darauf einigen, weiterzugehen. Ein paar Meter weiter knüpft Kai wieder an das Gespräch an. „Ich frag mich, was Yura dazu sagen würde“, brummt er und stellt sich vor, wie das aussehen soll, dieser Seelenklau. Vielleicht hockt der Rotschopf jemandem auf der Brust. Kai lacht leise. Takao sieht ihn einen Moment lang verständnislos an, ehe er versteht was Kai meint. Er prustet, diesmal klingt sein Lachen wieder ein bisschen mehr nach ihm. Kai fühlt es wie eine Brise auf der Haut. Sie gehen bis zum Ramen-Shop der Saien-Familie, wo sie Essen mitnehmen, für sie beide und Daichi und Takaos Großvater. Diesmal laufen sie nur den kurzen Weg zurück zum Dojo, wo sie und vor allem das Essen bereits sehnsüchtig erwartet werden. Kinomiya-san begrüßt Kai als hätte er nicht erst vor zwei Tagen mit ihm gesprochen, fragt nach seinem Großvater. Kai übergeht die Frage. Daichi und Takao wechseln einen Blick. Der Jüngere zuckt mit den Schultern. Takao sieht einen langen Moment nachdenklich auf seine Ramen. Dann ist wieder alles wie immer: Takaos und Daichis Manieren sind noch nicht besser geworden; das wird sich wohl nie ändern. Vielleicht liegt es auch an Kais doch recht westlich angehauchter Erziehung, dass er als einziger nicht laut schlürft und ihm dieser Unterschied auffällt.   Später – Kinomiya-san hat sich bereits verabschiedet – bereitet Takao Tee zu. Daichi sitzt am Tisch, aber beachtet sie nicht. Takao legt eine Hand auf Kais, ganz kurz. Der wirft einen Blick zum Jüngeren: Er brütet über Unterlagen mit dem offiziellen Stempel einer Schule und sagt nichts. Kai vergisst gern, dass Daichi runde fünf Jahre jünger ist als Takao und er; er merkt es an Kleinigkeiten wie diesen. Das Radio läuft leise, eingestellt auf einen Popsender. Takao summt leise mit, schwenkt die Teekanne und schenkt Kai ein. „Rei wird Vater“, Takaos schokoladenbraune Augen richten sich mit einer seltsamen Intensität auf Kai. Der weiß nicht, was Takao von ihm erwartet. (Etwas in seinem Magen flattert nervös.) Er gibt einen unbestimmten Laut von sich und hofft, die Sache hat sich damit.   Die Sache hat sich nicht, wird Kai später klar, als sie den Tee getrunken haben und dasitzen, Rücken an Rücken. Takao lehnt sich schwer an Kai, streckt sich, rutscht nach unten, legt seinen Kopf von hinten auf Kais Schulter. „Rei wird echt Vater“, kommt es wieder von Takao. „Das ist doch krass, oder?“ Er blickt zu Kai auf. Eigentlich will Kai ihm zustimmen, aber irgendwie fehlen ihm in dieser Sache die Worte. Also gibt er wieder ein unbestimmbares Geräusch von sich. „Was ist daran so krass?“, Daichi scheint genug von seinen Unterlagen zu haben, stützt gelangweilt das Kinn in die Hand. Irgendwie hat er auch recht. Menschen setzen Kinder in die Welt. Irgendwie. Takao richtet sich auf, zuckt ratlos mit den Schultern. Kai vermisst den Körperkontakt jetzt schon. „Irgendwie war es schon klar, dass Rei und Mao sicher als erste aus unserem Freundeskreis heiraten und Kinder kiegen“, meint er, halb an Daichi, halb an sich selbst gewandt. „Aber es ist schon schräg, dass sie jetzt plötzlich Nachwuchs in die Welt setzen. Ich glaub ich glaub’s erst, wenn ich das Kind sehe“ Kai schnaubt amüsiert. „Ich seh‘ vor mir, wie das Kind mit Karate-Kick durch die Gegend springt“, brummt er. Takao lacht. „Rei wird der sein, der die dreckigen Windeln wechselt“, mutmaßt er. „Wetten?“ Kai grinst. Da holt Takao sein Handy hervor und macht mit einem „Bleib so!“ ein Selfie von ihnen beiden. „Es gibt zu wenige Bilder, auf denen du lachst“, erklärt er Kai ernst, während er das Handy wieder einsteckt. Aus den Augenwinkeln sieht er Daichi die Augen verdrehen. „No homo, was?“, trietzt er und streckt Takao die Zunge heraus. Die Provokation wirkt: „Du kleiner-!“, Takao springt auf, um ihn in den Schwitzkasten zu nehmen. Kai schmunzelt, während er ihnen zusieht. Er fragt sich, ob Daichi nicht doch begriffen hat, wie sie zueinander stehen und nur bei der Scharade mitspielt, um ihnen eine Freude zu machen. Er ist ihm ein wenig dankbar dafür, dass er es nicht anspricht. Daichi wehrt sich lachend und auch Takao lacht. Über all dem Gezappel wandert der Zettel, über dem der Rotschopf gebrütet hat, in Kais Blickfeld. Kai will eigentlich nicht hinschauen, aber er tut es doch. Es ist ein Karrierefragebogen, wie er ihn auch irgendwann mal ausgefüllt hat, allerdings weiß Kai gerade nicht mehr, was er geschrieben hat. Daichi befreit sich mühsam aus dem Gerangel, bemerkt, dass Kai den Fragebogen gesehen hat und angelt sich den Zettel schnell wieder zurück. Dabei legt er sich halb über den Tisch und verschüttet fast Tee auf Kais Schoß. Takao verpasst ihm dafür eine Kopfnuss. „Ha, sowas mussten wir auch ausfüllen!“, Takao lehnt sich breit grinsend über Daichis Kopf hinweg und tippt auf eine Stelle auf dem Fragebogen. Daichi sieht aus als würde er sich gleich wieder aufregen, aber Takao ignoriert ihn. „Ich glaube, ich habe ‚Beyblade-Weltmeister‘ da reingeschrieben“, er lacht. Kai verdreht die Augen. „Haben wir das nicht alle?“, gibt er zurück, versucht sich immer noch zu erinnern, was er geschrieben hat. Für ihn gab es irgendwie nie eine Wahl. Takao grinst, Daichi lässt seinen Kopf geräuschvoll auf den Tisch fallen. „Ihr habt es euch ja leicht gemacht“, beschwert er sich. Takao grinst verschmitzt. „Die einzige Alternative, die ich damals gesehen habe, war Archäologe, so wie mein Vater und Hitoshi-kun“, erzählt er leichtfertig und lehnt sich zurück. „Aber von meiner Familie buddeln schon genug im Dreck herum, finde ich. Das Dojo muss ja auch von wem geschmissen werden, jetzt wo Ojii-chan es nicht mehr immer so ganz drauf hat“ Kai vergisst gern, dass Takao jetzt, wenn er nicht gerade den Nachwuchs der BBA trainiert, Kendo-Unterricht gibt. Takao zwinkert ihm verschmitzt zu. „Und du, Kai?“ „Es war immer vorgesehen, dass ich die Firma übernehme“, brummt Kai unberührt, verschränkt die Arme vor der Brust. Er glaubt es ist eine Lüge, aber die Erinnerung ist weit weg. Es muss im Jahr nach dem Justice-Five-Turnier gewesen sein, als er die Schule abgeschlossen hat und nach London gegangen ist. Damals war viel los. Daichi sieht sie beide einen Moment lang einfach nur an und lässt seinen Kopf wieder zurück auf die Tischplatte fallen. „Ihr seid mir auch keine Hilfe“, brummt er geschlagen. Dieser Zettel scheint wichtig für ihn zu sein. Takao zwinkert Kai gutmütig zu. „Du sagst doch immer, du willst das machen, was dein Vater gemacht hat“, regt er an. Daichi blickt erneut auf, diesmal wirkt es, als hätte Takao den richtigen Ton angeschlagen. Ein Grinsen zieht sich über sein Gesicht und es ist wohl ein Groschen gefallen, denn er beugt sich über den Fragebogen und beginnt ihn auszufüllen. Takao grinst Kai siegessicher an. „Das schreit nach einem Bier!“, verkündet er. Daichi gibt einen frustrierten Laut von sich als er hinzufügt: „Außer für die, die morgen fit für die Schule sein müssen!“   Es ist spät als Kai sich verabschiedet. Er hat halb darauf gewartet, dass Takao ihn bittet, doch zu bleiben wie in alten Zeiten (nur dass es nicht ganz so ist wie in alten Zeiten). Takao begleitet ihn gähnend zur Tür. „Bist du sicher, dass du nach Hause kommst?“, fragt er zum wiederholten Mal. Kai nickt. „Ich muss Siegfried füttern“, erklärt er. Es ist eigentlich eine fadenscheinige Ausrede, die Hriomi prompt durchschauen würde. Aber Takao ist nicht Hiromi. Er sieht ihn einen Moment lang ernst an, und in Kai wird es wieder windstill angesichts der Intensität, mit der er fühlt. Sein Gesicht brennt genauso wie sein Brustkorb. Es schlägt ihm nicht zum Hals; es hält inne. Und dann überwindet Takao zwischen dem Licht, das vom Eingangsbereich zu ihnen blitzt, und der nächtlichen Dunkelheit den Abstand zwischen ihnen. Er lehnt sich an Kai, schlingt einen Arm halb um seine Hüfte, lässt die andere auf seinem Brustkorb ruhen. Kais Hemd ist geöffnet; Takaos Dreitagebart kratzt an Kais Schlüsselbein, seine Nase ist an seinem Hals. Kai fühlt wie Takao tief einatmet. Er atmet unwillkürlich auch ein, merkt erst jetzt, dass er den Atem angehalten hat. Sie küssen sich. Es fällt Kai noch schwerer, sich auf den Heimweg zu machen als ohnehin schon. Bevor er sich wirklich auf sein Rad schwingt schickt er ein Foto von Siegfried in einer lustigen Pose, das er am Morgen geschossen hat, an Hiromi: „Siegfried vermisst dich“   Als Kai später wieder Zuhause ist und mit Siegfried auf der Couch sitzt, der sich genüsslich schnurrend an ihn schmiegt, fährt er seinen Laptop hoch, sucht aus seinem Ordner den Kontakt des Pflegedienstes heraus, der sich in den letzten Jahren um seinen Großvater gekümmert hat.Dann schickt er Takao eine Email (er ignoriert die dreißig neuen Mails geflissentlich – wie können so schnell so viele neue Mails reinkommen?). Bevor er die Mail abschickt, hat er noch einen Geistesblitz. Er verlinkt die Details für einen staatlichen Bonus für die Pflege von Angehörigen.   Die Woche vergeht viel zu langsam. Kai hat das Gefühl, er ertrinkt in Mails und Meetings und kommt einfach nicht weiter mit den Dingen, die sich auf seiner To-Do-Liste türmen. Takao meldet sich nicht. Kai fragt sich, ob er etwas falsch gemacht hat und schickt ihm am Donnerstag am Morgen ein Bild von Siegfried. Er ist die meiste Zeit über zu abgelenkt, um einen Blick auf sein Handy zu riskieren, das stumm in seiner Brusttasche von Meeting zu Meeting wandert. Er verbringt seine Zeit mit drei Bewerbungsgesprächen für eine Assistenz der Geschäftsführung, brütet über Vertragsentwürfen und führt ein langes Gespräch mit den Firmenanwältinnen sowie der Vorgesetzten seiner Buchhaltung über seine nächste große Akquise. Sein Kopf schwirrt, aber das mag daran liegen, dass er zu wenig schläft und zu viel Kaffee trinkt; Stress macht das mit ihm. Takao reagiert nicht auf sein Bild. Das ist untypisch und kriecht Kai unter die Haut.   Kai fährt fast aus der Haut als am selben Abend nach zehn Uhr noch sein Handy klingelt – sein fucking Privattelefon, das bis vor zwei Momenten noch seine Chill-Playlist gespielt hat. Er erschrickt und fährt so zusammen, dass er Siegfried einen Klaps mit der flachen Hand verpasst. Dieser beißt ihm beleidigt in die Finger. Im Affekt faucht Kai seinen Kater an. Halb hofft er, es sei Takao als er nach der Lärmquelle greift. Doch es ist nicht Takao und die Enttäuschung brennt kalt in seiner Magengrube. Kai atmet einen Moment lang angespannt aus, dann hebt er ab. „Was?“, blafft er und nimmt sich duster vor, ein Exempel an dem zu statuieren, der es wagt- „Kai, как дела?“, die Stimme am anderen Ende der Leitung klingt unberührt, beinah unbekümmert. Kai braucht einen Moment. Dann realisiert er, dass jemand Russisch mit ihm spricht. Er blinzelt zuerst sein Handy, dann Siegfried irritiert an, der eine Runde um die Couch gedreht hat und sich nun auf seinem Lieblingsplatz ausstreckt, auf den Rücken rollt und ihm seinen Bauch präsentiert. „Kai?“, ertönt es erneut aus der Leitung, wohl weil er zu schweigsam war. Kai massiert sich den Nasenrücken. „Vanya“, begrüßt er den anderen schließlich angespannt. „Was verschafft mir die Ehre?“ Ein Lachen klingt zu ihm durch. Kai schielt auf die Uhr an der Wand. Wie spät ist es überhaupt bei Ivan? „Wir haben endlich einen Termin für Seryogas Junggesellenabschied“, verkündet sein Gesprächspartner stolz. „Natalia hält ihn uns frei!“ Kai runzelt die Stirn. Das ist das erste, das er von einem Junggesellenabschied hört. „Ich dachte, er will nichts in die Richtung …?“, hakt er also irritiert nach. Er hat Sergej pflichtschuldig gratuliert als Yuriy ihm unsubtil das Verlobungsfoto der beiden geschickt hat. „Jah“, macht Ivan gedehnt. Kai kann sich denken, was kommt. „Wir ignorieren das so ein ganz kleines bisschen“ Kai verdreht die Augen. Aber klar doch; Ivan bildet sich etwas ein und muss es durchziehen, egal um welchen Preis. Warum ruft eigentlich ausgerechnet Ivan ihn an und nicht Yuriy, wie sonst? Immerhin ist Yuriy der Trauzeuge. Das stimmt Kai noch etwas skeptischer. „Weiß Yura davon?“, hakt er also nach. Das Schweigen, das folgt, spricht Bände. „Also nein“, brummt er trocken. Ivan macht ein panisches Geräusch. „Sag‘ ihm bloß nichts!“, beschwört er Kai hektisch. „Borya und ich wissen genau, was wir tun!“ Ivan und Boris also? Oh je, das kann nur schief gehen. Vor allem, da sie Yuriy in dessen Kontrollwahn sabotieren. Für Kai bleibt da eigentlich nur eine Frage offen: Will er sich in dieses Chaos aktiv einbringen? Yuriy wird ihm den Kopf abreißen dafür, dass der die beiden Chaoten nicht verrät. Kai schweigt noch einen Moment länger. Er krault Siegfrieds Bauch, der wieder zufrieden schnurrt. „Na gut“, meint er dann. „Und wofür braucht ihr da mich?“ „Wen sollten wir sonst einladen?“, retouriert Ivan bevor Kai eine Wette mit sich abschließen kann. Er ist so überrascht, dass er aufhört, Siegfried zu streicheln, der nun aggressiv seinen Kopf an Kais Hand reibt. Kai schnaubt. „Wahr. So viele Freunde habt ihr nicht“, brummt er. Ein bisschen freut er sich auch, ganz für sich. Er glaubt zu hören, wie Ivan die Augen verdreht. „Du kriegst noch alle Details! Keine Rückzieher!“, mahnt er noch und nennt ein Datum. Kai nickt, ehe er realisiert, dass Ivan ihn nicht sehen kann, und notiert es sich pflichtschuldig auf einem Post-It, das er an seinen Laptop klebt. Er gibt einen Laut von sich, der nach Zustimmung klingt. Sergej ist der erste aus seinem Freundeskreis – wenn er es denn so nennen will, sie sehen sich denkbar selten –, der heiratet. So wie Rei der erste ist, der Nachwuchs in die Welt setzt. Kai blickt Siegfried an, hält den Sprachreceiver zu, damit Ivan seine nächsten Worte nicht hört. „Krasser Scheiß“, murmelt er dann. Was ist nur los mit seinen Freunden in letzter Zeit? Bald kommt noch jemand daher und hält um seine Hand an. Kai schüttelt den Kopf, diesmal über sich selbst. „Also dann“, meldet er sich nochmal am Telefon. „Wir sehen uns“, sagt Ivan noch, dann legt er auf. Kai hat noch einen Laut des Abschieds auf der Zunge, den er schluckt.   Als er wenig später im Bett liegt, schickt er Takao ein „Schlaf gut“. Endlich, endlich antwortet er. Anstatt eines „Gute Nacht“ wie sonst kommt allerdings ein “Hast du Zeit?“. Das alarmiert Kai. Er dreht sich auf die Seite, vergräbt sich in der Decke. Er antwortet nach kurzem Zögern ein „Ja“. Für dich immer. Den zweiten Teil denkt er nur, er schreibt ihn nicht. Eigentlich sollte er schlafen.   Es dauert ein wenig. Dann reißt der schrille Ton der eingehenden Mitteilung Kai aus dem Halbschlaf: „Kannst du kurz runterkommen?“ Das ist höchst untypisch. Takao hat wie Hiromi einen Schlüssel und geht nach Wunsch frei in seinr Wohnung ein und aus. Kai reibt sich übers Gesicht, fühlt seinen Körper wie ein bleischweres Gewicht, aber schwingt sich aus dem Bett. Er streift einen Hoodie über und steigt in ein Paar Jogginghosen und Turnschuhe, ehe er die Wohnungstür hinter sich zufallen lässt. Takao wartet im Hauseingang, die Hände in den Hosentaschen. Er hat der Eingangstür den Rücken zugedreht und blickt nach oben in den dunklen Himmel. Als die automatische Beleuchtung angeht, dreht er sich halb zu Kai um. Er lächelt nicht wie sonst, wenn er ihn begrüßt, sondern dreht sich um, macht einen halben Schritt auf Kai zu, bleibt stehen. Sein Gesicht ist seltsam ernst. Kai fühlt einen Klumpen in seine Eingeweide sacken; er wiegt kalt und schwer wie Blei. Takao seufzt. Er wendet sich von Kai ab und es fühlt sich seltsam final an, macht zwei Schritte voraus. „Gehen wir ein Stück?“, fragt er dann und es ist eine rhetorische Frage. Kai setzt sich wortlos in Bewegung, fragt sich, was er falsch gemacht haben könnte. Seine Wohnung ist in einem anderen Teil der Stadt als das Dojo. Es fühlt sich seltsam generisch an, während sie ihre Turnschuhe durch nächtliche Gassen tragen. Es gibt mehrere Hochhäuser mit Wohneinheiten, ein paar Parks, ein Studentenheim. Es hat nichts vom Charme von Takaos Viertel, durch das Kai so gerne stromert. Sie gehen vielleicht fünf Minuten ziellos vor sich hin, dann bleibt Takao stehen. Er atmet tief durch. Kai fühlt etwas in sich flackern, doch begegnet Takaos Blick. „Was du gemacht hast war nicht okay“, beginnt Takao, immer noch ernst. So ernst hat Kai ihn selten erlebt. Er atmet ungehört aus. Als er wieder einatmen will fühlt es sich an als gäbe es keine Luft mehr um ihn herum. Sein Innerstes zieht sich verkrampft zusammen. Kai verschränkt die Arme vor der Brust, während Takaos Haltung offen bleibt; es ist wie eine Herausforderung. Er macht einen Schritt auf Kai zu, blickt ihn offen an. Er wirkt niedergeschlagen, erschöpft. Es ist als würde er ihm einen Finger auf die Brust setzen. Seine braunen Augen brennen sich in Kais. „Du hast kein Recht, dich in mein Leben einzumischen! Es geht dich nichts, hörst du“, Takao atmet geräuschvoll ein, betonte die nächsten zwei Silben einzeln. „gar nichts an, wie ich mich um Ojii-chan kümmere!“ Kai macht den Mund auf, will ihm widersprechen und sieht im selben Moment ein, dass das Blödsinn ist. Takao hat Recht. Es ist nicht seine Angelegenheit. Egal, dass er merkt, wie müde und abgespannt Takao ist. Egal, dass er merkt, dass Takao sich eigentlich enorme Sorgen macht. Egal, dass er merkt, dass Takao alles alles alles tut was er kann und es wohl nicht genug ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis – Kai muss den Gedanken nicht beenden um zu sehen, dass Takao es wohl ähnlich vermeidet, den Gedanken zu Ende zu denken. In seinem Inneren sitzt ein schwerer, kalter Klumpen. Kai drückt seine verschränkten Arme enger an sich, wie um sich zu wärmen. Sie mustern sich einen langen Moment, der vielleicht einen Herzschlag dauert – aber wer zählt Herzschläge, wenn das eigene Herz gerade stehengeblieben ist und sich zusammenzieht als wolle es in sich selbst verschwinden? – ehe Takao seufzt. Die kalte, wütende Energie scheint verschwunden zu sein, verraucht im Nichts. Er wirkt einfach nur erschöpft. „Du hast es sicher nur im besten Interesse getan“, Takao seufzt, fährt sich übers Gesicht, sieht Kai an und Kai erkennt die Augenringe im ungünstigen Licht der Straßenlaterne, die auf sie herabscheint. „Aber das ist nicht okay, ja?“ Kai macht erneut den Mund auf. Was er jetzt sagen muss ist Entschuldige, doch das Wort kommt ihm nicht über die Lippen. Stattdessen zieht sich seine Kehle zusammen und er bringt kein weiteres Wort heraus. Takao ballt die Hände zu Fäusten, blickt zu Boden. Kai kann sehr deutlich erkennen, welche Stürme in ihm toben müssen. „Ich krieg das hin“, bringt Takao gepresst hervor; es klingt trotzig. „Ich brauch keine Hilfe von irgendwelchen dahergelaufenen Leuten, die Ojii-chan nur ins Altenheim stecken wollen, weil er ein bisschen vergesslich ist!“ Er klingt unterdrückt wütend, aber es ist eine Art von Wut, die Kai nicht kennt. Sie fühlt sich kalt an, müde, falsch für Takao. Kai will nichts lieber als seine Arme um ihn schließen, weil er so so müde aussieht, doch Takaos immer noch ernster Blick hindert ihn daran. Warum hat Kai das nicht früher gesehen? „Sag‘ doch was!“, braust da Takao auf, ein verzweifelter Lufthauch, der allerdings nicht die übliche Kraft hat, die Kai sonst mitreißt und fortträgt, wenn er nicht aufpasst. Kai will vieles sagen. Er will sagen: Du bist müde. Er will sagen: Du willst keine Hilfe, aber du brauchst sie. Er will sagen: Das weißt du doch selbst auch. Stattdessen zuckt er mit den Schultern. Er sucht nach den richtigen Worten, aber die sind nicht so leicht zu finden, zumindest nicht für ihn.   Kai war nie gut mit Worten; deshalb verlegt er sich auf Taten. Er lockert seine Arme, die er so eng an sich gepresst hat, dass es weh tut. Er macht einen halben Schritt auf Takao zu. Dessen Haltung ist wie die eines in die Ecke gedrängten Raubtiers, das bereit ist zum Sprung. Die Schultern hochgezogen, die Fäuste geballt. Kai legt seine Hände auf seine Fäuste und merkt, wie Takao irritiert seine Haltung lockert. „Bleib heut bei mir“, bittet Kai leise, hofft, dass das leise Sehnen in seinem Inneren nicht zu laut nach Außen dringt. Takao scheint überrumpelt von der Bitte, denn er blinzelt Kai irritiert an, der noch immer seine Hände auf Takaos liegen hat. Dann nickt er, ganz sacht. Kai drückt seine Hände, wartet auf eine schwache Erwiderung. Als diese kommt, führt er Takao zurück in den vertrauten Hauseingang, die Treppe hoch und in die Wohnung hinein. Er muss das Licht nicht anschalten, führt Takao blind durch den schmalen Eingangsbereich, wo sie ihre Turnschuhe lassen. Sie stolpern direkt hinein in seinen Wohn- und Schlafraum. Takao lässt es zu, dass er ihn fahrig entkleidet, lässt es zu als er ihm die Handfläche auf die Brust legt, unter der flatternd ein Herz schlägt, um ihn aufs Bett zu leiten. Takao lässt es zu, dass Kai ihn mit seinem Arm erdet und sich in seinem Rücken zwischen ihn und die Welt schiebt, die Stelle küsst, an der sein Nacken in den Rücken übergeht. Er fühlt die Gänsehaut, die sich über Takaos Schultern und Rücken ausbreitet. Takao bewegt sich nicht. Kai seufzt, atmet gegen Takaos Nacken und schließt die Augen.   Als sein Wecker ihn aus einem kurzen, traumlosen Schlaf schreckt, ist er allein. Einen Moment lang glaubt Kai, sich alles nur eingebildet zu haben, weil Takao sich im Schlaf nicht um ihn geschlungen hat wie ein Oktopus und ihn festhält. Stattdessen ist Takao einfach ... nicht da. Aber sein Kissen riecht nach Takao und Siegfried knuspert bereits in der Küche als er sie betritt. Auf ihn wartet sein Thermobecher mit englischem Schwarztee und einem Schuss Milch und eine Nachricht von Takao: „Sorry, ich musste gehen“ Hiromi hat ihm und Takao in ihren gemeinsamen Chat ein paar Bikini-Bilder von sich am Strand geschickt. Kai deutet dieses Lebenszeichen positiv und antwortet mit einem Bild von seinem Bett. „Waiting for you“ schreibt er dazu und meint damit Hiromi und Takao beide. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)